Sicher kennen viele von uns diesen Werbespruch einer schwedischen Möbelfirma. Ein Einkauf in Schwedens „Möbelhaus“ ist mit einigen Mühen verbunden und kann leicht zur Geduldsprobe, wenn nicht gar zum Albtraum werden! Lange Anfahrten, überfüllte Hallen, entlegene Regalpositionen, schwere und sperrige Pakete, kaum unterzubringen im eigenen oder geliehenen Wagen, quengelnde Kinder, ungesunde Fleischklöße. Und dann erst der Aufbau zu Hause! „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ erscheint da als beinahe zynische Frage. Es ist der Versuch, das „Leben“ uns als mehr oder weniger erschwingliche Möbel zu verkaufen. Für diese „Lebens.Möbel“ nehmen wir einiges auf uns. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Natürlich brauchen wir solche und ähnliche Möbel, wenn wir einmal umziehen oder ins Kloster eintreten. Aber: Findet unser Leben in den Möbeln seinen wohnlichen Grund? Nun, unser heutiges Evangelium geht da weiter und setzt dort an, wo die IKEA-Werbung aufhört. Es fragt uns gleichsam: „Lebst du noch oder bleibst du schon – und wohnst?“
Die Berufungsgeschichte des Evangelisten Johannes ist eine Geschichte von Suchen und Finden und Bleiben. Der Ort der Geschichte: Bethanien jenseits des Jordan. „In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.“
Liebe Schwestern und Brüder! Das ist die Initialzündung für die ganze Geschichte. Am Anfang steht das Zeugnis Johannes des Täufers über Jesus: Das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Das ist eine Antwort auf die Frage danach, wie Menschsein wieder zurechtgebracht und aufgerichtet werden kann. Gottes Lamm, das ist der Gottesknecht, von dem der Prophet Jesaja erzählt. ER, der Gottesknecht, Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt. ER, der Gottesknecht, der so wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt.
„Siehe, das ist Gottes Lamm“ ist die Antwort auf unser Fragen danach, wie wir Vergebung erfahren, um heilzuwerden. Es ist das, was uns das Christkind an Weihnachten gebracht hat. Geschenkte Erlösung! Es ist ein Finden dessen, wonach wir gesucht haben. Andreas wird danach zu seinem Bruder Simon sagen: „Wir haben den Messias gefunden.“
Das Rufen Jesu bleibt bei Johannes aus! Der HERR ruft nicht. Im Gegenteil. Als er sieht, dass die zwei Johannesjünger ihm nachfolgen, da FRAGT er: „Was sucht ihr?“ Sie antworten: „Wo wohnst du?“ Nun LÄDT er ein: „Kommt und seht!“ Und sie kommen und sehen, wo er bleibt – wo er wohnt. Und dann bleiben auch sie. Sie bleiben für den Rest des Tages und die Nacht bei Jesus. Vielleicht sind in diesem Moment ihre Herzenslampen wie die Lampen der klugen Jungfrauen mit Öl gefüllt und leuchten, auch wenn kein Wächter in der Wüste sie gerufen hat. Aber: Der Lichttag geht zu Ende. Die Sonne geht unter. Die Dämmerung zieht herauf. Irgendwann gehen die Öllampen vielleicht aus, es wird dunkel. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Es wird nicht dunkel bleiben, wenn Christi Licht in uns brennend leuchtet. Die Jünger sind gekommen um zu bleiben. Sie bleiben bei dem, den sie schon immer gesucht haben, zu dem sie schon immer gehört haben. Zwischen Jesus und den Jüngern besteht eine Verbindung. Dies wird deutlich in der Begegnung Jesu mit Petrus. „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels. Petrus.“ Auf diesem Felsen baut Jesus seine Kirche. Auf einem Felsen lässt es sich gut und sicher bauen, so hören wir es ja auch in der Geschichte „Vom Haus auf dem Felsen“. Jesus ist unser Fels, auf den wir bauen – unser Fels, auf dem wir wohnen. Mit Christus werden wir Felsen.Stark. Wie die Jünger, sind auch wir eingeladen, zu kommen um zu bleiben. Auch uns sah Jesus bereits unter dem Feigenbaum sitzen. „Lebst du noch,“ so lautet die Frage auch an uns in dieser Stunde. „Lebst du noch“ in deiner Rastlosigkeit, in deiner Suche nach Sinn, in deiner Orientierung an vorläufigen Zielen „oder bleibst du schon?“ Bist du angekommen auf dem Felsen, der DICH trägt?
Das heutige Evangelium verändert unsere Perspektive. Leben ist gut, auch Möbel sind gut, aber wohnen ist etwas Anderes. Wohnen heißt bleiben. „Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben.“ Bei Jesus haben wir eine ewige Bleibe, auch wenn uns das Leben übel mitspielt, auch wenn Möbel zu Bruch gehen.
„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“. Heute empfinden viele dieses alte Kindergebet vielleicht als problematisch, dabei drückt es einen wunderbaren Glaubenskern aus. Denn Jüngerschaft Jesu heißt: Wohnen. Christus will in mir Wohnung nehmen. Dafür muss ich die Enge meines Herzens weit machen, damit der König der Herrlichkeit einziehe. Wenn man ein möbliertes Zimmer bezieht, dann dauert es nicht lange, und das Zimmer sieht ganz anders aus. Das Bett steht woanders, die Stühle und der Tisch kommen in eine andere Ecke, neue Bilder werden aufgehangen und manches andere verschwindet ganz – das Zimmer verändert sich. Der Apostel Paulus schreibt im Epheser-Brief: „Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet.“ Wenn Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt, dann wird sich unser Leben spürbar verändern. Wenn Christus in unser Herz „einzieht“, dann kann unser Herz nicht so bleiben, wie es war. Dann kann es nicht mehr kalt, hart und lieblos bleiben, dann wird es warm. Jesus ist der Rhythmus im Puls unseres Herzensklangs. Er will nicht machtvoll in uns hausen, sondern in Liebe wohnen.
Im 27. Psalm heißt es: „Mein Herz denkt an dein Wort: Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz, o HERR, will ich suchen!“ Jüngerschaft heißt: Suchen und Finden. Das ist sicher die große Aufgabe für uns Missionsbenediktiner! Andere finden und suchen, damit sie wohnen können. Wie kann das bei uns in Königsmünster aussehen? Wie und wo halten wir auf dem Klosterberg die Frage nach dem tiefsten Grund unserer Existenz offen und zwar so, dass sich inmitten des vielfältigen Lebens, das wir ringsum sehen, auch hier die Möglichkeit zum Bleiben in Christus eröffnet? Bringen wir das Wort vom Lamm Gottes zu den Menschen oder hausen wir in unserem Kämmerlein und entziehen uns den nach Gottes Liebe suchenden Menschen? Wo ergibt sich für uns die Gelegenheit, wie Jesus andere mit den Worten „Kommt und seht und bleibt“ anzusprechen? Und zwar mit liebender Offenheit, wachsamer Achtsamkeit, bejahender Ehrlichkeit, fragender Neugier und barmherziger Liebe?
Vielleicht gelingt es uns dann, wenn wir in unserem eigenen Herzens.Gebet Gott immer wieder bitten: „Die Enge meines Herzens mach weit“! Dann kann der König der Herrlichkeit ins uns einziehen und uns verwandeln in der Liebe. Denn Jüngerschaft heißt: Kommt und seht – sucht und findet – bleibt und wohnt und liebt einander. Dann wird unser bereites Herz fühlen, dass ER in uns angekommen und gegenwärtig ist und in uns Wohnung genommen hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.
Während einer zurückliegenden Exerzitienwoche ging Prof. Peter Knauer auf die Frage ein, ob nur die Menschen von Gott geliebt seien, die getauft sind. Er hat damals ein Bild genutzt, das ich auch heute noch ansprechend finde. Die Taufe ist wie eine Fahne, und die Liebe Gottes ist wie der Wind. Durch die Fahne wird der Wind sichtbar, und in der Taufe wird die Liebe Gottes für den Menschen sichtbar und im Zuspruch zugesagt. Als sich heute für Jesus der Himmel in der Taufe geöffnet hat und Gott zu ihm sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen gefunden habe!“, hat sich in gleicher Weise für uns dieser Himmel geöffnet, und Gott spricht zu uns: „Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn!“ Uns allen, die wir hier versammelt sind oder uns an anderen Orten befinden, gilt dieser Zuspruch. Das ist wesentlich.
Vor allem öffentlichen Wirken Jesu kommt zuerst der Zuspruch des Vaters. Vor aller Arbeit, vor allem Erfolg, vor allem Verdienst kommt der Zuspruch des Vaters zu uns. Du bist geliebt, weil du bist. Lieber Emmanuel, Dir ist den Jahren Graf Dürckheim zu einer zentralen Person geworden. Er ist ein Lehrer der Initiation. Die Taufe ist ein Initiationsmoment. Hier wird uns zugesagt, dass wir Kinder unserer Eltern und Kinder Gottes zugleich sind.
Während einer Führung mit Familien fragte mich ein Kind. Warum müssen die Mönche so viel beten? Kinder stellen ja häufig die besten Fragen. Ich musste ein wenig überlegen, und dann antwortete ich: Damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Mit dieser Antwort war das Kind zufrieden. Wenn wir uns hier, wie in der Profess versprochen, zum Gebet versammeln, dann eben auch, damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Im Mönchtum gibt es den Begriff der „Ruminatio“, des Durchkauens der heiligen Schriften. Damit ist gemeint, dass wir nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern dass sie uns in Fleisch und Blut übergeht. Dass wir also nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern auch in unserem Leib abbilden. Die Botschaft Jesu, die im Wesentlichen aussagt: „Liebt einander, wie ich euch geliebt.“
Urteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.
Vergebt einander, dann wird auch euch vergeben werden.
Habt Erbarmen mit den am Rande Stehenden, den Armen und Verzweifelten, und euch wird Erbarmen zuteil.
Das ist dann gelebte Nachfolge. Dann lebt das in mir, was in einem Gebet Christian de Chergé, der ermordete Prior der Trappisten von Tibhirine, so ausgedrückt hat: Ich in Ihm, Er in mir. (Bruder Emmanuel hat dieses Gebet auf der Einladung zu seiner Silberprofess abdrucken lassen.)
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Begegnung. Wir können es auch als Dreifaltigkeitsfest feiern. Die Begegnung Gottes mit seinem geliebten Sohn im heiligen Geist am Fluss Jordan. Martin Buber schreibt: Alles Wesentliche ist Begegnung. Gott ist Bezogenheit im dreifaltigen Sinne untereinander, aber eben auch in der Hinwendung zu uns Menschen. Und so leben wir unsere Nachfolge nicht in sterilen Räumen frömmelnder Ichbezogenheit, sondern in der konkreten Zuwendung zum Nächsten. Das meint der heilige Benedikt, wenn er im Gast, aber auch im Kranken Christus begegnet. Und vielleicht gelingen uns manche Begegnungen, und manche misslingen, aber all das ist besser als ein abgeschottetes, reines und steriles Christentum. Vorausgesetzt, die Begegnungen finden auf Augenhöhe statt, weil ja der Nächste genauso ein geliebter Sohn, eine geliebte Tochter ist wie ich.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Schwellenfest. Es schließt den Weihnachtfestkreis ab. Ab morgen ist wieder Alltag. Aber heute, lieber Emmanuel, feiern wir Deine Silberprofess. Bei einer unserer Wanderungen hast Du mir erzählt, dass Du ein weihnachtlicher Typ bist. Das drückt sich ja auch in Deinem Namen aus, der Dir überaus wichtig ist. Die Menschwerdung Gottes, damit alles auf dieser Erde geheiligt sei. Das ist Dir wichtig. Schwellenfest heißt aber auch: Übergang in den Alltag. Die Treue zu halten, manchmal auch auszuhalten, wie in der Profess versprochen. In guten wie in bösen Tagen. Auszuhalten, wenn das Gebet oder die Arbeit gerade nicht eine Aufeinanderfolge von Höhepunkten sind. Die Mühen der Ebene weitergehen. Das ist gelebte benediktinische Stabilitas.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest, welches das Leid nicht ausschließt. Denn die gleichen Worte, die wir eben gehört haben, hören wir am Berg der Verklärung wieder. Diesmal unmittelbar vor dem Leiden Jesu. Dieses Leiden führt zu Tod und Auferstehung Jesu. Und auch hier sind wir hineingenommen. Unser Leid ist nicht grenzenlos. Es findet sein Ende in der Auferstehung.
Zuletzt: Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Sinnstiftung. Ein jeder von uns hat seinen Ursprung aus Gott, von Ihm kommen wir. Wir sind, weil Gott möchte, dass wir sind. Das ist der Sinn unseres Lebens. Und in der Auferstehung ist das Ziel unseres Lebens vorgezeichnet. Unsere endgültige Heimat ist im Himmel. Amen.
„Passwort vergessen?“ – Ärgerlich ist das, wenn ich beim Arbeiten am Rechner den Zugang zu einem Programm oder einer Homepage brauche; schnell habe ich eingetippt, was mir als das zugehörige Passwort in Erinnerung ist und dann poppt auf: „Passwort vergessen?“. Meist war es nur ein leicht zu korrigierender Flüchtigkeitsfehler, manchmal ist aber auch ein lästiges Herumsuchen fällig, bis ich schließlich weiterkomme. Es fehlt das richtige, entscheidende Wort, damit etwas passiert, – das Passwort eben. Übrigens kein Phänomen, das erst mit der Digitalisierung aufgetaucht ist. Schon der alte Goethe kannte das, als er 1797 die Ballade vom Zauberlehrling schrieb: Immerhin kennt der Zauberlehrling das Passwort, um in Gang zu bringen, was er vorhat. Viele werden die Verse noch aus der Schulzeit kennen:
Walle! walle Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Damit wird der Besen zum Hausknecht, der das Wasser aus dem Brunnen holt, um das Bad für den ebenso vorwitzigen wie bequemen Herrn Zauberlehrling zu füllen. – Aber dann, oh Schreck: es fehlt das Wort, um das Ganze zu beenden, bevor das Haus völlig unter Wasser steht.
Stehe! stehe! Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
In dieser humorigen Szene aus Goethezeiten spiegelt sich etwas, was mir in ziemlich ernsthafter Version in unserer augenblicklichen Corona-Bedrückung durch den Kopf geht. Es fühlt sich an wie „Passwort vergessen?“ oder Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen!
Neben der konkreten Bedrohung für Leib und Leben durch das Corona-Virus zerrt an den Nerven, dass im Augenblick kein Mensch wirklich weiß, wann und wie das Ganze zu stoppen ist. Wir meinten, alles im Griff zu haben und jetzt haben wir die Kontrolle verloren! Unsere Gedanken und Gespräche, unzählige Äußerungen von Experten und Politikern behaupten alles Mögliche, aber bis jetzt hat keiner das Wort gefunden, mit dem wir Corona loswerden; wir stehen da wie Zauberlehrlinge: Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.
Liebe Schwestern und Brüder,
Angesichts dieser, so möchte ich es einmal nennen, allumfassenden Wortfindungsstörung wirken die großen, souveränen Worte des Johannesprologs, die wir gerade als Evangelium gehört haben, wie aus der Zeit gefallen:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Man ahnt: Diese Sätze hätten die Kraft zu wirken, wenn es gelänge, sich von ihnen ergreifen zu lassen. Doch klingen sie angesichts des Wortgedröhns um die Corona-Pandemie nicht „wie ein Märchen aus uralten Zeiten“? Das tut umso mehr weh, je mehr wir merken, wie sehr es gerade hier und jetzt auf solche „wirkenden Worte“ ankäme.
Wie Zugang finden zu einem Wort, das nicht ins Leere geht, sondern etwas „werden“ lässt.
Wie Zugang finden zu einem Wort, das nicht runterzieht und verdunkelt, sondern in dem „Licht und Leben“ steckt?
Wie Zugang finden zu einem Wort, das nicht „von der Finsternis verschluckt wird“, sondern in der Dunkelheit leuchtet?
Die Antwort auf solche Fragen wird nicht so einfach zu finden sein wie ein Zauberspruch oder wie ein Computerpasswort. – Doch, warum sich nicht zumindest auf die Suche machen? Ist es nicht eine grundlegende Lebenserfahrung, dass sich die wirklich wichtigen Dinge Schritt um Schritt erschließen, wenn man mit ihnen lebt, statt nur über sie zu grübeln und zu reden? – Deshalb: Was wären nächste Schritte, um das Wort zum Wirken zu bringen, das uns aus dem lähmenden Gerede befreit und einen Weg weist, der weiterführt?
Ich schlage die Schrittfolge der „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ vor, die Dietrich Bonhoeffer Ende Juli 1944 aufschrieb, als ihm klar vor Augen stand, dass seine persönliche Situation in der Nazi-Gefangenschaft aussichtslos war. Ich glaube, diese Sätze haben wirklich die Kraft, als Widerhall des „Licht und Leben“ bringenden „Wortes“ zu wirken, von dem das Evangelium spricht. Bonhoeffer sieht vier Stationen auf dem Weg, der das „Wort, das am Anfang war“, Wirklichkeit werden lässt bringt. Er spricht von der „Zucht“, von der „Tat“, vom „Leiden“ und schließlich vom „Tod“:
Zucht. Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem Zucht der Sinne und deiner Seele, dass die Begierden und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
Tat. Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.
Leiden. Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Tod. Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
Die Kirche feiert heute das Fest der Heiligen Familie. Es soll die Familie als Keimzelle von Kirche und Gesellschaft wertschätzen und fördern. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung tiefgreifende Umbrüche in der Gesellschaft verursachte, wurde es eingeführt. Seitdem hat sich die Welt beschleunigt weiter verändert – besonders erkennbar in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft. Familien gibt es weiterhin – auch sie haben sich entwickelt. Es ist ein Kennzeichen unserer Zeit, dass ständig Umbruch ist – oder sanfter ausgedrückt: steter Wandel. Die Corona-Pandemie macht das noch deutlicher.
Kann das Fest uns inspirieren, den Wandel zu gestalten, um mehr zu leben – vielleicht sogar um zu überleben?
Von Jesu Familie – der Heiligen Familie – hörten wir gerade. Ort des Geschehens ist ein doppeltes Zentrum: Jerusalem – politisch, der Tempel – religiös. Das kündigt Bedeutendes an. Höhepunkt ist die Fokussierung auf das Kind Jesus – mehr Aufmerksamkeit und Mittelpunkt in der Öffentlichkeit geht nicht! Diese Präsentation wirkt: Die außerfamiliären fremden Menschen Simeon und Hanna öffnen sich für eine Begegnung – sie werden die zentralen aktiven Figuren der Erzählung – Maria und Josef als Eltern bleiben in Nebenrollen eher passiv – fast treten sie sogar in den Hintergrund. Auch der ursprüngliche Reiseanlass – das vom jüdischen Gesetz vorgeschriebene Ritual im Tempel – bildet nur noch den Rahmen der Begegnung mit Simeon und Hanna. Direkt nach dem Besuch der Hirten platziert der Evangelist Lukas dieses Ereignis in seine Kindheitsgeschichte, um die öffentliche Wirkung des folgenden Lebens Jesu von Anfang an zu zeigen. Simeon und Hanna sind so die beiden ersten namentlich genannten Menschen, denen Jesus begegnet – dieser Auftritt gehört ihnen. Eindrucksvoll weitet sich die Heilige Familie – Jesus wirkt über seine Kernfamilie hinaus – schon als Kleinkind.
Simeon empfängt das Kind Jesus in seinen Armen: Berührende Nähe, fast Intimität strahlt von Jesus aus – auch: schon jetzt. Weissagend erfasst und verkündet Simeon, was das nach der Kindheit anschließende Leben, Sterben und Auferstehen Jesu bedeutet: Heil, Licht und Herrlichkeit. Diese Erkenntnis setzt er gleich um: Mit Jesus wird er ein Segnender – er gibt von der Gnade, die er empfangen hat. Der Segen soll stärken, denn Simeon prophezeit Maria: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, …“ Das Leben dieses Menschen hat Konsequenzen – es wird nicht harmlos sein. Ein Hinweis auf die finale Katastrophe der Hinrichtung am Kreuz fehlt nicht: „… und deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“
Simeon spürt, dass Gott als Kind – schwach und ohnmächtig – in diese Welt gekommen ist und sich ihr am Kreuz letztendlich ganz hingibt. Deshalb ist er schon jetzt in seinem Leben gegenwärtig – so konkret wie das Kind in seinem Arm. Die äußere Szenerie offenbart eine existentielle Wahrheit: Simeon und – ihm gleich Hanna – erfahren ihre eigene göttliche Kindschaft, die Gott mit diesem Jesus endgültig und unzerstörbar schenkt. Ihr langes Leben verlief nicht ohne Brüche und ihre Präsenz im Tempel verweist auch auf ihre innere Not. Hat die Lebenswirklichkeit sie für diese Begegnung vorbereitet – geöffnet? Von diesem armen und ohnmächtigen Kind lassen sie sich beschenken und nehmen die heilende Gegenwart Gottes als eine eigene innere personale Geburt wahr. Wenn Gott selbst sich in dieser Weise als Gabe für die ganze Welt offenbart, dann ist auch ihr Leben gutgeheißen, in Liebe geborgen, geheiligt und erleuchtet. Simeon und Hanna wandeln sich – als längst Erwachsene – zu Kindern Gottes. Ihre Antwort darauf kann nur der Lobpreis sein – am Ende ihres Lebens bricht der Jubel durch. Er ist äußeres Zeugnis ihres Aufbruchs in ein erlöstes Leben mit und in Gott – schon jetzt und durch den nahenden Tod hindurch. — Und Maria und Josef? Man hat den Eindruck, den jungen Eltern ist das alles ein bisschen viel: Die geheimnisvolle Schwangerschaft, die herausfordernde Geburt im Stall, der überraschende Besuch der Hirten und jetzt Simeon und Hanna – ihnen bleibt das Staunen.
Schon das eine frohe Botschaft zum Fest der Heiligen Familie.
Von der erfahren wir später noch einmal. Weil sie Mühe hat, zu Jesus zu gelangen, macht sie ihm den Vorwurf, dass seine Jüngerschaft ihm mehr bedeute. Jesu Antwort: Entgrenzung! Er weitet den Rahmen der Familie über die biologisch bestimmte Zugehörigkeit hinaus. Zu seiner Familie gehören alle, die den Willen Gottes suchen und erfüllen. Diese Zugehörigkeit wurzelt in existentieller gemeinsamer Gotteskindschaft. In Jesus, seinem Leben und seiner Botschaft, verkörpert sich der Wille Gottes als allumfassendes Angebot. Überängstliche verkürzen es zu einer ausgrenzend zerstörenden Doktrin. Die anderen suchen im allfältigen Angebot und wählen daraus – einzeln und gemeinsam – frei und verantwortlich – mitunter im fairen gewaltfreien Streit, denn manche Lösung wird nur durch ihn geboren. Diese Würde – manchmal auch Bürde – verbindet uns zu einer globalen heiligen Familie.
Sie kann die Aufgaben einer Welt im Wandel lösen – in froher Gelassenheit und mutigem Engagement. Das ist eine ziemlich aktuelle Botschaft – an Weihnachten und weit darüber hinaus.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/12/trim-4116133_640.jpg426640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-27 11:00:372020-12-28 09:51:35Predigt am Fest der hl. Familie zu Lk 2,22-40 (27.12.2020)
Ende November zeigte die ARD das verfilmte Kammerspiel „GOTT“ von Ferdinand von Schirach. Einige von ihnen werden die Diskussion des fiktiven Ethikrates verfolgt haben. Es ging um die Frage „Wem gehört unser Leben?“, also letztlich um die Frage der Würde des Menschen.
Bereits vier Jahre zuvor wurde die Verfilmung „Terror – ihr Urteil“ des gleichen Autors gezeigt und hat mit der Frage, ob man wenige Menschen opfern darf, um viele zu retten, ebenso zum Nachdenken angeregt. Mehrmals habe ich diesen Film in der Oberstufe gezeigt und interessante Diskussionen mit und zwischen unseren Schülerinnen und Schülern entfachen können. Auch in diesem Stück rückt die Frage der Menschenwürde in den Mittelpunkt. Für mich als Juristen ist die eindrücklichste und rhetorisch wie inhaltlich beste Szene das Plädoyer der Staatsanwältin, wenn sie bekennt: „Wir brauchen etwas Verlässliches, etwas, woran wir uns immer halten können, etwas, das uns Klarheit im Chaos verschafft. Wir brauchen Prinzipien! Und diese Prinzipien haben wir in unserer Verfassung. Unsere Verfassung ist eine Sammlung von Prinzipien und sie hat ein oberstes Prinzip: Das ist die Würde des Menschen. Das Grundgesetz beginnt mit dem Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und dieser Satz steht nicht zufällig am Anfang, er ist seine wichtigste Aussage. […] Der Mensch ist zu jedem Zeitpunkt Subjekt dieser Würde und er darf niemals zu deren bloßem Objekt werden.“
Warum nun wurde die Menschenwürde vor gut 70 Jahren als alles überragendes Grundprinzip ausgerufen? Vermutlich, weil die unantastbare Würde angetastet worden war! Weil erlebt worden war, wie im Nationalsozialismus unzählige Menschen ihrer Würde beraubt wurden. Menschenwürde: Unantastbar – und doch bis heute immer wieder angetastet.
Obwohl eine „Menschenwürde“ sich aus keinem Gesetz herleiten lässt und somit aus staatlicher Sicht eine reine Idee ist, gilt sie zum Glück in vielen Ländern der Erde als oberstes Prinzip von Verfassungen. Es gibt verschiedene Versuche – politische und philosophische – sie innerweltlich zu deuten und zu erklären. Die vielleicht älteste Begründung steht im Tagesgebet vom heutigen Weihnachtstag. Dort heißt es:
„Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“ Der Mensch ist also wunderbar geschaffen. In der Genesis heißt es zu Beginn: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ Größer geht es doch wohl nicht. Der Mensch ist gottähnlich. An Weihnachten feiern wir nun genau die umgekehrte Angleichung: Gott wird menschähnlich, ja, mehr noch: Gott wird Mensch. Und genau hier erhält der Mensch eine Würde, die unantastbar, die heilig ist.
Wenn wir die Weihnachtsgeschichte, die Lebensgeschichte unseres menschgewordenen Gottes unter dieser Überschrift lesen, wird uns schnell auffallen, dass sie eine einzige Verkettung von Menschenrechtsverletzungen ist. Gott erleidet, was auch heute, was auch am heutigen Weihnachtsmorgen Menschen ertragen müssen: Geburt unter politischer Fremdherrschaft, Flucht, Vertreibung, Verleumdung, menschenunwürdige Folter und Todesstrafe.
Selbst im Johannesprolog, den wir eben hörten, klingt der Rechtsbruch an: „Er kam in sein Eigentum, aber die seinen nahmen ihn nicht auf.“
Jesus von Nazareth ist das Ebenbild all der Menschen, deren Würde angetastet wurde und bis heute angetastet wird. In Jesus Christus identifiziert sich Gott so sehr mit dem Menschen, dass er sich als neugeborenes Kind schutzlos ausliefert, sich berührbar und angreifbar macht und – wer es fassen kann, der fasse es – gerade dadurch die Würde des Menschen wiederherstellt. Das erklärt, warum die heutige Oration es als das Weihnachtsgeheimnis formuliert: „… du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“
Ein weiterer Gedanke. Schauen wir noch einmal auf den Johannesprolog. Wie die Ouvertüre zu einer großen Oper jede Melodie, jede Stimmung, ja, die gesamte Dramaturgie schon anklingen lässt, so ist auch die Ouvertüre bei Johannes, der Prolog, ein Schlüssel zum Ganzen des Evangeliums. Ein hochreflektierter und inhaltsschwerer Text. Gleich zu Beginn aber wird das Wesentliche gesagt: Jesus, Gottes menschgewordenes Wort, ist Offenbarer des Vaters. In immer neuen Wendungen wird diese Glaubensüberzeugung beleuchtet und erzählt. Der präexistente Logos wurde ein Mensch. Aus der Prae-Existenz als „Wort“ bei Gott ist er herausgetreten, „vom Himmel herabgestiegen“ und als Gesandter in die Welt gekommen. Oder wie wir es hörten: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“. Um Erleuchtung durch das von Gott in die Welt gesandte, fleischgewordene Wort geht es also. Der Hebräerbrief bekannte in der heutigen Lesung Gottes Sohn als den „Abglanz seiner Herrlichkeit“. Jesus Christus das wahre, erleuchtende, alles erhellende Licht. Licht hat zugleich immer mit Hoffnung und Zuversicht zu tun. Unzählige Menschen – und ich kann sie tatsächlich nicht zählen – haben mir in den vergangenen Wochen mündlich oder über die Kommunikationsplattformen gesagt, wie sehr sie sich über die schöne Beleuchtung unserer Abteikirche freuen. Der Blick auf den Klosterberg, das warme Licht, macht ihnen Hoffnung in dieser dunklen und oft einsamen Zeit der Pandemie. Licht der Hoffnung. Wir haben es an den Adventssonntagen zum Glockengeläut in unseren Fenstern aufgestellt und wollen es auch heute Abend zum weihnachtlichen Stadtgeläut um halb acht noch einmal tun. Wer Licht sieht – denken Sie an ein fernes, aus einem Fenster scheinendes Licht in kalter, vielleicht schneebedeckter Winterlandschaft – sieht nicht nur den Schein seiner Quelle, sondern kann innerlich sogar schon die Wärme empfinden, die es verströmt. Ein Hoffnungslicht. Jesus Christus aber ist weit mehr als ein Hoffnungslicht, weit mehr als eine Kerze, die wir aufstellen oder ein Gebäude, das wir illuminieren. In ihm ist die Hoffnung bereits erfüllt, denn ER ist der Abglanz des Vaters. ER ist das wahre, alles erleuchtende Licht. Und dieses Licht verändert alles oder in Abwandlung eines Sprichwortes: Seine Gegenwart wird alles ans Licht bringen. Das wahre Licht ist also das Licht der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. In seinem Licht, wird alles erleuchtet, muss jedes Dunkel, jede Sünde und Gottesferne weichen, wird jede Ungerechtigkeit aufgedeckt, weil sie von ihm überführt und in die Wahrhaftigkeit geführt wird.
Liebe Schwestern und Brüder,
der heilige Franz von Assisi hat nicht nur die erste Krippenfeier inszeniert, sondern auch über das Weihnachtsgeheimnis meditiert und schreibt staunend:
„Beachte, o Mensch, in welch erhabene Würde Gott der Herr dich eingesetzt hat, da er dich dem Leibe nach zum Bild seines geliebten Sohnes und dem Geiste nach zu seiner Ähnlichkeit erschaffen und gestaltet hat.“
Die Würde des Menschen und das menschgewordene Wort, das alles ans Licht bringt – diese beiden Aspekte biete ich ihnen als Festgeheimnis an.
Oder anders gesagt und im weihnachtlich vertrauten Bild gesprochen:
Die Menschenwürde ist die Krippe –
die alles ans Licht bringende Wahrhaftigkeit das Kind darin…
Wie sehr hat sich unser Leben nun schon über Monate verändert! Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, die Kinder wochenlang zu Hause betreuen, bittere Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dazu Abstand, Hygienevorschriften, Mund und Nasenschutz, und und und…
Es gibt niemanden, dessen Leben von den Auswirkungen der Pandemie nicht verändert worden wäre in diesem Jahr. So unterschiedlich die Auswirkungen waren und sind, für uns alle heißt das: vertraute Gewohnheiten aufgeben, neue Wege ausprobieren, Distanz halten, Ungewissheit ertragen lernen. Und nun feiern wir Weihnachten am Ende dieses so ganz anderen Jahres 2020.
ABER
Erinnern wir uns, Jesus ist auch mitten im Chaos zur Welt gekommen. Für Maria und Josef war alles Vertraute, alle Sicherheit, alle menschliche Nähe weggefallen. Mitten in der Nacht, in Kälte und Einsamkeit ist Jesus zur Welt gekommen.
ALSO
Beinhaltet sich doch auch für uns heute eine Chance in der Feier der Geburt des Gotteskindes!
Viele große Dinge beginnen ganz klein. –
genau das feiern wir heute Nacht: Den kleinen Anfang einer großen Liebe.
Ein Kind wird geboren, ärmlich, am Rande einer unbedeutenden Stadt…
Der kleine Anfang eines Lebens, so klein, wie unsere menschlichen Dinge ihren Anfang nehmen: Genauso klein haben auch wir unser Leben einst begonnen.
Klein jeder Anfang von Freundschaft und Liebe, klein der erste Funke von Hoffnung in schweren Zeiten. Klein der erste Schritt zu Versöhnung und Frieden nach langem Streit.
Anfänge sind zerbrechlich, bedroht wie dieses kleine Kind in der Krippe im Stall zu Betlehem.
Und genau das ist die Botschaft der Weihnacht: Gott fängt seine Geschichte mit uns Menschen an: klein, zerbrechlich, unauffällig, und vor allem: zutiefst menschlich. Gott wird Kind!
Indem sich das Kind in der Krippe von Anfang an auf Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit einlässt, weist es auf eine Alternative im Umgang mit Verletzlichkeit. Mit dieser Art und Weise, wie die Menschwerdung Jesu beginnt, antwortet Gott auf die Wunden der Welt, nicht indem er sich unverwundbar macht, sondern indem er das Wagnis eingeht, verwundbar zu werden. Bereits die Menschwerdung in Jesus ist ein Akt der Selbsthingabe Gottes, in der sich Gott selbst schutzbedürftig und absolut solidarisch mit den Kleinsten zeigt.
In der Hingabe steckt Lebenskraft.
Wir feiern Heilige Nacht und jede und jeder von uns sollte sich fragen: Was verbinde ich damit?
Ein frommes Spiel der Liturgie? Kerzenschein und Krippenidylle?
Oder bringe ich den Mut auf, mich den Nachtseiten und Tiefen meines Lebens zu stellen? IHM die „Ställe“ meiner Armseligkeit und Müdigkeit, der Resignation und Enttäuschung zu öffnen?
Denn gerade in sie hinein ist ER geboren! Er ist in den Abgründen, in den Finsternissen bei uns, heißt es in der Schrift: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.
Schwestern und Brüder,
es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall – am Schluss der Galgen.
In dieser Nacht hat es begonnen, ganz klein und zugleich kraftvoll. Er, der menschgewordene Gottessohn sagt: ICH BIN DA! ICH BIN BEI DIR! ICH BIN DEIN LEBEN!
Kann Gott näher an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann ER ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als ER es getan hat in dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?
Karl Rahner bekennt: …sein letztes, tiefstes und schönstes Wort hat Gott gesprochen, das Wort, das er nie mehr rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus…
Zu dieser Weihnachtsbotschaft gehört aber noch ein Zweites: Weihnachten braucht Menschen, die Gottes Anfängen trauen.
Natürlich: Das Risiko bleibt. Nicht jeder Anfang gelingt. Nicht jede Hoffnung findet Erfüllung. Manche ausgestreckte Hand wird zurückgewiesen. Und wer weiß, ob das verliebte Ehepaar seinen Weg wirklich bis zum Ende gemeinsam gehen kann? Ob der junge Mönch seinem Professversprechen treu bleibt?
Gott lässt sich nicht festlegen. Und er lässt die Menschen ihren Weg gehen.
Ja: Ein Risiko bleibt, trotz Weihnachten, und deshalb braucht es Menschen. Menschen, die diesen Glauben miteinander teilen und einander ermutigen. Braucht es Menschen wie Maria und Josef, die einem Traum gefolgt sind und einem Gott, der sie ganz andere Wege geführt hat. Denen wir trauen dürfen, wenn sie uns sagen: FANG AN, brich auf, es lohnt sich!
Es braucht Menschen wie die Hirten damals, die einander zurufen: Lasst uns nach Betlehem gehen! Kommt, wir wollen Gottes Wort und Gottes Anfang trauen. Und die so die Verzagten und Erschöpften mitnehmen, die Mut machen zum Aufstehen, zum ersten Schritt.
Es braucht Menschen, die heute Weihnachten feiern, die sich berühren lassen durch dieses Kind. Die deshalb morgen wagen, den Anfängen in ihrem Leben zu trauen. Und dann die Botschaft weitertragen: Es lohnt sich.
Schwestern und Brüder,
Beten wir DEN an, der in dieser Heiligen Nacht in unsere Welt, in unser Leben gekommen ist. Bekennen wir mit dankbarem Herzen unseren Glauben: Für uns und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.
Vergessen wir nicht – angesichts der Liebe Gottes – selber die Liebe zu üben und – angesichts des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein. Liebe will Gegenliebe. Liebe will Antwort.
Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die Höchstform das Verzeihen.
Ich wünsche uns allen, dass uns, in dieser Heiligen Nacht, die Erkenntnis aufleuchtet: Heute öffnet sich auch für mich ein wenig der Himmel, weil Gott mir ganz nahe ist, weil seine Gegenwart wie ein Lichtstrahl sogar in die dunklen Winkel meines Herzens hineinleuchtet.
Trauen wir auch mit mancher Träne in den Augen den kleinen Anfängen, denn in der Krippe beginnt neues Leben – ein Neuanfang. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/12/Weihnachten-2020.jpg15362048Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-25 07:57:402020-12-25 07:57:40Predigt in der Christmette (24.12.2020)
Wer in den augenblicklichen Lebensumständen zurechtzukommen sucht und sich umschaut, ob es früher schon einmal ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat, und wie man die Krise damals überstanden hat, und dann auf die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja stößt, findet eine bemerkenswerte Weise vor, wie einer der größten Tiefpunkte in der Geschichte des Volkes Israel, die Zeit des babylonischen Exils, bewältigt worden ist.
Den Hintergrund dieses Textes, so ahnt der Leser, bildet die seelische Krise, die durch die Vertreibung ins Exil entstanden war. Der Verlust ihrer Heimat setzte den Menschen zu, sie drohten, ihre Identität zu verlieren. Das stürzte sie in tiefe Trauer, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Irgendwann müssen sie so weit gekommen sein, dass sie sich gesagt haben: Es wird sich nichts mehr ändern. Wir sitzen hier in der Fremde fest, entrechtet, unterdrückt, ohnmächtig, unserer Feste und Lieder beraubt, ohne die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Unser Volk und alles, was uns heilig und kostbar war, unser geistiges Erbe werden bald aus der Geschichte ausgelöscht sein, vergangen und vergessen.
Was hat der Prophet einem da noch zu sagen? Durchhalteparolen einhämmern? Appelle verkünden, Vorhaltungen machen? Nichts von dem macht der Prophet. Er sammelt eine Gruppe wacher Menschen um sich, die noch nicht aufgegeben haben, und ruft ihnen zu: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Diese Worte hat er sich nicht selbst ausgedacht, denn er hat die Stimme Gottes gehört, sie durch die Trauer hindurch, über alle Hoffnungslosigkeit hinweg, erlauscht. Was diese Stimme ihm sagt, kommt unerwartet, denn sie klingt ganz anders, als die Leute sicher angenommen hätten. Trösten, das ist jetzt die Hauptsache. Trösten, das heißt: Gut zureden, zu verstehen geben, dass da einer ist, der um die Nöte und Ängste der Menschen weiß, dass Gott selbst es ist, der mit euch fühlt. Gott rechnet nicht die Sünden vergangener Zeiten auf, macht den ins Elend Geratenen keinen Vorwurf, lehnt sie nicht ab. Ganz eindringlich ist der Auftrag gesagt: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Und das meint: Sagt etwas, das wirklich zu Herzen geht und dort ankommt, wo die Trauer sich eingenistet hat – und das ist etwas anderes, als bloß „husch-husch“ eine optimistische Stimmung zu verbreiten.
Was der Trost bewirken soll, ist ein Mentalitätswandel, und der kommt nur zustande, wenn eine neue Überzeugung entsteht. Die Überzeugung muss sich von innen her bilden, sonst verfliegt der Trost wieder.
Zu einem echten Trost gehört mehr als Empathie, nämlich eine neue Perspektive. Was aber ist in der Lage, Mut zu machen? Nach rein menschlichem Ermessen ist zwar die Lage hoffnungslos, aber die Initiative geht ja von Gott aus, von seinen Möglichkeiten.
Der entscheidende Satz lautet: „Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht.“ Das ist der Fixpunkt der Perspektive.
Das ist nicht abstrakt-fromm daher gesagt, sondern soll heißen: Gott kommt und macht dem Exil ein Ende. Wir wissen im Nachhinein aus dem Verlauf der Geschichte Israels, dass es politische Vorgänge in Mesopotamien waren, die die Voraussetzungen dafür waren, dass die Verschleppten wieder nach Hause ziehen konnten. Als das Reich Babylon am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts zerfiel, übernahm die persische Großmacht die Vormacht-stellung in dieser Gegend. Sie war es auch, die den Juden die Rückkehr ins Stammland gestattete. Aber vom biblischen Glauben her war es Gott selbst, der die Geschicke lenkte und in seiner Bundestreue dem Volk ermöglichte, mit ihm eine neue Zukunft zu beginnen. Er sammelte es um sich und führte es weiter.
Damit hat der Prophet den Zielpunkt genannt, die Wendung zum Guten. Doch ist seine eigentliche Botschaft noch nicht an ihr Ende gekommen. Es geht ihm um mehr. Nämlich das, worauf es jetzt ankommt. Weil Gott kommt und seine Herrlichkeit sichtbar machen will, gilt es, sich jetzt darauf einzustellen. Jetzt ist es vor allem wichtig, die Hindernisse zu beseitigen, die Gottes Kommen im Wege stehen. Diese Hindernisbeseitigung macht der Prophet mit einem anschaulichen Bild klar: dem Bild des Landschaftsumbaus. „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße1“ Das sind die horizontalen Umbaumaßnahmen. Dann nennt er die vertikalen: „Was krumm ist, soll gerade werden, was hügelig ist, werde eben!“
Wenn wir in einer Landschaft vorwärts kommen wollen, werden wir manchmal durch schwieriges Gelände aufgehalten. Es zu überwinden, kostet Zeit und Mühe. Ähnlich ist es, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unzugänglich sind. Sie lassen einen nicht an sich herankommen. Es kostet viel Geduld, um Ärger zu vermeiden und sich zu verständigen. Auch Gott hat es nicht leicht, uns zu erreichen, bei uns mit seinen guten Absichten anzukommen, etwa um uns zu heilen, zu trösten oder neuen Schwung zu verleihen. Wir machen es ihm mit unseren Eigenwilligkeiten, unseren Fixierungen auf Lieblingsideen und selbstbezogenen Wünschen nicht leicht, uns zu erreichen und wirklich heranzulassen. Wir haben uns vielleicht schon so sehr an unsere Fehler gewöhnt, an gewisse Schwächen und sogenannte „Sachzwänge“, dass wir gar nicht mehr damit rechnen, uns in diesen Punkten ändern zu können. Das gilt nicht nur für den jeweils Einzelnen, sondern ist bei Institutionen, Gruppierungen, bei gesellschaftlichen Unternehmen und Staaten zu beobachten. Es kann sogar die Strukturen der Staaten untereinander bestimmen, mit schwerwiegenden Folgen.
Wenn wir nun auf Weihnachten zugehen, dann haben wir eine gute Gelegenheit, das Kommen Gottes in der Menschwerdung Christi anzubahnen. Denn er will uns ja dort treffen, wo wir uns befinden und ihn benötigen. Wenn er sich uns in seiner Herrlichkeit zeigt, dann schenkt er uns auch Kraft und Mut, dann verleiht er uns eine von innen kommende Überzeugung, die durch Hindernisse und Unwegsamkeiten hindurch in der Lage ist, seine Gegenwart, seine liebende Nähe zu erfahren. Das ist eine Zusage, die uns in dieser Krise helfen wird.
wir hier in der Abteikirche sind eine kleine Schar. Und wahrscheinlich nicht alle in einer freudigen Erwartung, wie sie zum Advent gehört. Eher nachdenklich mag sich der eine oder andere fühlen, nicht frei von Sorgen und Unsicherheit.
Und draußen vor der Kirche. Es gibt keinen Adventsmarkt. Da gehen die Gedanken zurück in die vergangenen Jahre. Viele Menschen waren unsere Gäste, bekannte Gesichter, und solche, die voller Erwartung zum ersten Mal kamen. Sie kamen, um all das anzuschauen, was über lange Wochen von vielen hilfreichen Händen vorbereitet worden war, um zu probieren, das Gebäck, den Stollen, den Glühwein, die Gerichte aus unsere Küche, oder um schon etwas für das Weihnachtsfest zu kaufen. Um zusammen zu sitzen und zu sprechen, in der Oase, im Forum, vor der Kirche, im Laden. Und in den Einstimmungen in der Kirche zu spüren, wie schön diese Zeit sein kann, die auf das Fest der Menschwerdung führt. Eine Zeit der Begegnung, der Nähe, der Vorfreude.
Der erste Advent in diesem Jahr, er ist anders.
Die Pandemie hat die Vorzeichen gesetzt. Angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit macht es Sinn, Regeln aufzustellen, Selbstverständliches einzuschränken, Abstand zu halten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und manches zu streichen, was mit festlicher Nähe zu tun hat. Eine Situation, wie sie so für uns alle neu ist.
Und verständlich ist es, wenn viele in Sorge sind und Fragen haben: Wie wird es Weihnachten? Die Familie? Die Reisen? Wie lange geht das noch? Und wann wird die Möglichkeit bestehen, durch eine Impfung geschützt zu werden? Fragen, die uns auch heute Morgen umtreiben. Und wie feiern wir Gottesdienst angesichts dieser Fragen? Gottesdienst im Advent, dieser Zeit, die von Hoffnung und Erwartung geprägt ist und ja den Blick auf Weihnachten öffnen will, dieses Fest, das wie kein anderes mit gelungenem Leben zu tun hat.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir sollten es auf jeden Fall jetzt gemeinsam versuchen. Und es liegt nahe, die Texte zu befragen, die uns heute dabei begleiten. Am meisten berührt haben mich die Sätze aus dem Markus-Evangelium, kurz und einprägsam. Jesus im Gespräch mit seinen engsten Vertrauten, mit Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas. Und dann, als er von dem Türhüter erzählt und dessen Sorge, wenn der Hausherr auf Reisen ist, eine kurze Forderung, die an Intensität noch gewinnt, weil sie zweimal wiederholt wird: Gebt Acht und bleibt wach! Und dann: Seid wachsam! Und: Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam.
Beim ersten Hören wirkt es wie die Einladung zu einer eigenen Pandemie-Predigt.
„Seid wachsam“, das ist die sinnvolle und verständliche Ermahnung der politisch Verantwortlichen. „Seid wachsam“: Das ist sicher auch das Wort derer, die den wissenschaftlichen Hintergrund erforschen und erklären und auf die Folgen des Corona-Virus verweisen. Eine solche „Pandemie-Predigt“ allerdings möchte ich nicht halten. Erst recht nicht, wenn ich daran denke, welche Fülle von Nachrichten uns täglich begleitet und uns auch wegen mancher Widersprüchlichkeit, Falschinformation und Polemik oft ratlos, verwirrt, auch hin und wieder aggressiv zurück lässt.
Eher bescheiden möchte ich fragen: Wie könnte unser Advent in diesem Jahr aussehen angesichts der Fakten, die unsere Zurückhaltung, unsere Ernsthaftigkeit und manche Einschränkung fordern. Manches ist anders. Und für manche ist es eine schwere Zeit.
Das Wort Jesu von der Wachsamkeit ist ja, wie wir eben gehört haben, an alle gerichtet, also auch an uns, die wir jetzt hier zusammen sind.
„Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“
„Das sage ich allen.“ Eine Aufforderung, die alle erreichen will und die auch alle mittragen und weitertragen sollen. Und wenn ich zwischen den Zeilen lese und es richtig heraushöre, ist hier von einer Wachsamkeit die Rede, die nicht voller Angst erstarrt und nur die Vorschrift kennt und dass ich alles richtig mache. Nein, sie ist offen für Neues, für Überraschungen. Sie schaut voller Achtsamkeit hin und nimmt wahr, was alles möglich ist. Und sie ist aktiv. Sie ist eben voller Erwartung.
Also: Sei wachsam.
Wie kann das sein, in diesem Advent? Die Einschränkungen unseres Alltags schenken uns Zeit. Für manche ist es die Einladung, auszuruhen, durchzuatmen,
Kraft zu schöpfen. Das tut gut. Für andere ist es vielleicht die Einladung, zuhause aufzuräumen. Eine Sache, die noch so sinnvoll sein mag, aber in der Regel in der Begeisterung nicht von Dauer ist und oft von sehr beschränktem Erfolg. Oder es wird berichtet, dass Baumärkte ein unverhofftes Umsatzplus verzeichnen. Das deutet auf erheblichen Reparaturbedarf in den eigenen vier Wänden. Sicher, es wird auch manche geben, die sich langweilen, herumhängen und die Tage vertrödeln. Aber ich spüre, es bringt mich meiner Frage nicht näher, wie Wachsamkeit in diesem Advent Gestalt finden kann.
Es geht ja um Advent, übersetzt also um „Ankunft“. Advent, sprachlich ist das Wort verwandt mit dem englischen „Adventure“, was ja „Abenteuer“ meint. Advent hat mit Warten und Erwartung zu tun und damit mit Zukunft.
Und es geht um eine Ankunft besonderer Art. Es geht um die Gegenwart Gottes unter uns. Jetzt schon, in unserem Alltag. Menschwerdung Gottes… Das ist auf Aufbruch gestimmt, auf Neubeginn, auf Zukunft. Das hat mit unseren Tagen zu tun, mit unserem Leben. Und wenn ich das, was mich Weihnachten erwartet,
in aller Kürze umreißen soll, dann ist es dies: Das Staunen über diesen Gott, der sich um uns Menschen sorgt. Über diesen Gott, der uns nachgeht bis zur Menschwerdung. Über diesen Gott, der trotz aller Probleme und Katastrophen in unserer Welt, trotz manchen Leids vielleicht ganz in meiner Nähe, uns immer wieder deutlich macht, dass er uns nicht allein lässt. Sich von diesem Gott anrühren lassen, das ist Weihnachten. Und ihn zu erwarten, das ist Advent, ihn zu entdecken in meinen Tagen.
Es geht um diesen Jesus, der uns allen unsere Einmaligkeit und Würde zeigt und es ein Leben lang nicht lassen kann, von diesem neuen Leben zu erzählen und es zu teilen, und uns an unsere Möglichkeiten in der Kraft des Geistes Gottes zu erinnern.
Wenn ich auf diesen Advent schaue, der so anders ist, stiller als sonst und nachdenklicher, frage ich mich, ob das nicht auch eine Einladung sein kann, neu und einmal ganz anders über mein Leben nachzudenken. Wie könnte dieser Advent im Alltag für mich aussehen? Nicht, dass ich Ihnen Rezepte an die Hand geben möchte. Das würde mich überfordern. Und mit Sicherheit würde ich Dinge sagen, die sie nur langweilen. Noch dazu würde es Ihre Entdeckerfreude einschränken. Und das möchte ich nicht.
Ich möchte Sie nur einladen, Ihren Alltag neu in den Blick zu nehmen, unter adventlichen Vorzeichen. Vielleicht ist manches Gewohnte und Selbstverständliche einer neuen Aufmerksamkeit wert. Vielleicht hat manches mit dem Leben zu tun, das auf der Strecke geblieben ist.
Advent, geschenkte Zeit, um neu nachzudenken, über mich, ganz persönlich, mich zu erinnern an Dinge, die ich einmal begonnen und gern getan hätte, die aber im Alltagstrott untergegangen sind. Mal wieder mit Menschen, denen ich vertraue, in Ruhe zu sprechen, und mit solchen, mit denen es Streit gab, Versöhnung zu suchen. Schöne Dinge im Alltag neu zu entdecken, Musik, Bücher, das Erlebnis in der Natur. Neues auszuprobieren, schöpferische Begabungen zuzulassen oder ganz neu zu entdecken. Vielleicht wird es dann wirklich abenteuerlich.´Das alles hat mit meinem Leben zu tun.
Und vielleicht entdecke ich dann tief in meinem Herzen Spuren, die mit dem Advent, der Ankunft, der Ankunft Gottes in meinem Alltag zu tun haben. Advent mitten in meinem Alltag, mitten in meinem Leben, dass Gott dabei ist, schon jetzt. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen ich mich schwer tue, weil manches nicht geht, oder wenn ich mich erschöpft fühle und getrieben, wenn ich mir selbst im Weg stehe und mich selbst nicht leiden kann, kann der Advent neu den Blick freigeben und schärfen und Neues möglich machen, was mit meinem Leben zu tun hat.
Mein Wunsch für uns an diesem ersten Advent ist, dass wir erfahren dürfen, dass Gott jetzt schon dabei ist, in unseren Herzen, damit das Unerwartete geschehen kann, und uns eine neue befreiende Sicht auf unseren Lebensweg geschenkt ist und von da auch ein offener Blick auf die Menschen, die mit uns leben, besonders für die, die es in diesen Tagen schwer haben, weil sie krank sind oder hilflos oder einsam sind und vielleicht ausgerechnet auf mich warten.
Vielleicht ist es auch ein Weg, neu Mut zu schöpfen in einer Welt, die ja in mancher Hinsicht bedroht ist, und Mut zu finden zum kritischen Blick und zu Schritten, die mit Frieden zu tun haben.
Meine Schwestern, meine Brüder,
ich wünsche Ihnen die Gegenwart Gottes in diesem Advent. Und erinnere noch einmal an das Wort des Apostels Markus von der Wachsamkeit. Vielleicht gibt es manches zu entdecken, was mit unserem Leben zu tun hat. Vielleicht können wir neu spüren, dass wir von Gott getragen sind.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/NIK0018_3.jpg569845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-01 09:45:032020-12-01 09:45:03Predigt am Ersten Adventssonntag (29.11.2020)
Das Christkönigsfest ist ein Fest des Lobpreises. Gott gebührt Lob und Ehre, weil er uns im Leben und Sterben und in der Auferweckung seines Sohnes gezeigt hat: Jesus Christus ist Alpha und Omega, ist Anfang und Ende. Jesus Christus und die Liebe werden das letzte Wort haben.
Und somit fragt Jesus im gehörten Evangelium nicht nach dem Glauben, sondern nach der Liebe.
Vielleicht sind wir und unsere Kirche viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir Gottes Wort und den Glauben in die Sprache des modernen Menschen übersetzen können, während wir uns auf die einzige Sprache, die alle Menschen sprechen, auf die Sprache der Liebe, zu wenig verstehen.
In diesem Sinn finde ich ein Wort der Dichterin Hilde Domin anregend und hilfreich. Sie schrieb: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zum letzten Atemzug.“
Schwestern und Brüder,
ich denke, das könnte ein Weg für uns alle sein!
NICHT IM STICH LASSEN –SICH NICHT UND ANDERE AUCH NICHT.
Hören wir unter diesem Vorzeichen noch einmal die Worte des Evangeliums:
„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben… ich war krank und ihr habt mich besucht…“
Eindringliche Worte. Manchmal sind wir selbst die Bedürftigen und wünschen uns sehnlichst, dass uns einer hilft, uns stärkt, uns besucht, zumindest uns mit einem Wort, mit einer Geste nahe ist. Die Rollen und die Lagen, in denen wir sind, wechseln im Lauf unseres Lebens immer wieder: Wir sind stark, um für andere da zu sein, wir sind schwach und auf andere angewiesen. Beides sind wir.
Ja, nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht-.
Wo Menschen am Mitmenschen so handeln, dort ereignet sich das, was Jesus Reich Gottes nennt: Dort sind Frieden, Gerechtigkeit und Liebe möglich.
Gerade hier in unserer Friedenskirche, im Blick auf unser Christ-Königs-Kreuz, wird es mir immer wieder bewusst:
Lass dich lieben, denn nur in der Liebe wirst du dich selber aushalten können. Du wirst Dich bekehren können, Dich zuwenden können und dann sehen, dass Du die Liebe brauchst, die du aus dir selber nicht hast, die Liebe, die dich heil machen kann. Lass mich an dich heran, damit Du liebend wirst.
Wo Menschen hingegen ihre Freiheit dazu nutzen, auf Kosten anderer zu leben, wachsen Unrecht, Neid, Gewalt und Krieg.
Eine Mysteriengeschichte
Da ist eine kleine französische Stadt, verschlafen, festgelegt, beengend, versunken in Grabesruh. Die Bewohner dieser Stadt: kleinbürgerlich, sittenstreng, ängstlich, irgendwie „gefesselt“. Keiner tanzt aus der Reihe. Sonntags geht man zur Kirche. Der Bürgermeister regiert und korrigiert dem Pfarrer auch die Sonntagspredigt. Ausgerechnet in der Fastenzeit nimmt eine Frau in dieser Stadt Wohnung. Und eröffnet – in der Fastenzeit – eine Chocolaterie! Dort dreht sich alles um Pralinen, köstliche Dinge aus Schokolade, vielfältig und wohlschmeckend. Und diese Frau versteht zu verkaufen. Energisch, charmant, einfühlsam und liebenswürdig. Sie bezaubert die Menschen in der kleinen Stadt. Manchmal ist sie allerdings auch traurig und unsicher und bedrückt. Ein Mensch eben und keine Ikone! Dieser Laden, die Frau und die Schokolade stören die Leute auf, stören den Lebenslauf in der Stadt. Etwas Neues und Ungeahntes kommt in Gang. Es entsteht Bewegung. Die Frau und ihre Schokolade gewinnen die Menschen. Der Laden wird zum Treffpunkt all derer, die der Kleinkariertheit ihrer Umgebung entfliehen wollen. Begegnungen, Freundschaften, Gespräche wachsen. Es gibt aber auch heftigen Widerstand, Feindschaft, Verleumdung, ja Todesgefahr. Soll die Frau ihren Laden zumachen? Doch der Strom der Offenheit, des neu erwachten Vertrauens, der Hoffnung ist nicht zu stoppen. Lösung, Lockerung, Aufbruch, Heiterkeit, Fröhlichkeit, Lachen. Eine neue Zeit in dieser kleinen Stadt.
Mir scheint, diese Geschichte hat eine tiefe Symbolik. Diese Frau und das Medium „Schokolade“ stehen für Heil und Glück, für Verwandlung und Neugeburt, für Auferstehung, für Erlösung. Alles verändert sich. Es wächst eine neue Stadt, eine neue Welt.
Bei den Menschen dieser Geschichte findet sich das, was Kennzeichen jeder christlichen Gemeinde und Gemeinschaft sein sollte:
Annahme des anderen
Offen für Freunde, Pilger und Fremde
Teilnehmen und teilgeben
Ein neuer kommunikativer Umgang miteinander
Dankbarkeit als Antwort auf das Geschenk des Lebens und der Gemeinsamkeit.
Die Geschichte hat mir wieder einmal die Augen geöffnet. Sie ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, eine Ostergeschichte, eine Erlösungsgeschichte unseres Alltags. Der tiefste Sinn menschlichen Lebens und christlichen Glaubens bricht hier auf.
Meine Schwestern und Brüder,
uns bedrücken oft genug Sorgen und Ängste. Viele von uns kennen Einsamkeit, Armut und Leid. In der Welt, in der wir leben, verdüstert sich oft der Horizont.
Da hinein nun kommt die Botschaft dieses Sonntags, des Christkönigsfestes. Die liturgischen Texte sprechen von „Herrschaft Gottes über allen und allem“, vom „Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit“, von der Gegenwart Christi in den Hungrigen und Durstigen, den Obdachlosen, Nackten und Kranken, sprechen vom Geschenk „ewigen Lebens“.
Der Christkönigssonntag ist eine Oster-Erinnerung. Ein Sonntag, der von der Nähe und Freundschaft Gottes berichtet; der uns an das tiefste Geheimnis unseres Lebens erinnern möchte: Du wirst geliebt und kannst lieben. Du bist in einer Gemeinschaft und kannst Gemeinschaft gewähren. Du bist erlöst und kannst andere erlösen. Mitten im Alltag treffen wir auf den gegenwärtigen Herrn und Bruder Jesus Christus, wenn wir nur die Augen des Glaubens öffnen.
Und am Ende unseres Lebens steht nicht die Dunkelheit des Grabes, sondern die Einladung zu einem großen Fest, zu neuem Leben!
Die Frohe Botschaft des heutigen Festes will Ermutigung sein, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Es geht um eine nüchterne, alltägliche und unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Im Sinn Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen.
Wir vergegenwärtigen in dieser Eucharistiefeier und darüber hinaus Jesus als einen Menschen, der in wehrloser Liebe die Mächte und Gewalten erleidet, der sich hingibt in den Tod, der sich auf den Willen Gottes horchend der Gefahr des Scheiterns und der Vernichtung aussetzt und die Lebensbedrohung auf diese Weise entmachtet.
Es liegt an jeder und jedem von uns persönlich, ob ich mich von dieser Liebe prägen lasse.
Wenn wir es wagen, dann werden wir spüren, was die heutige Präfation so schön ausdrückt: Das Reich der Wahrheit, in dem es nicht um Rechthaben geht; das des Lebens, in dem Menschen befreit und angstfrei aufatmen können; das Reich der Heiligkeit, dass mich einlädt, ganz der zu sein, der ich bin; ein Reich der Gnade, da wir alle begreifen, dass wir das Wesentliche im Leben eh nur geschenkt bekommen können; ein Reich der Gerechtigkeit, die mehr meint, als Recht zu bekommen; ein Reich der Liebe, die unser Markenzeichen sein sollte und dann auch das Reich des Friedens, das dort einzieht, wo der Mensch Gott und den Nächsten wie sich selbst liebt.
Schwestern und Brüder,
wir sind eingeladen, uns vom auferstandenen Herrn berühren und von seiner Kraft verwandeln zu lassen. Um dann andere zu verwandeln. Wir sind eingeladen, an diesem Christkönigsfest noch einmal Ostern zu erfahren und weiterzugeben. Geschieht das, dann wird sich leise auch unser Lebensraum verändern, ja, liebevoll das Antlitz der Erde erneuern. Amen.
Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.
Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.
Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.
Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.
Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!
Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.
Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.
In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:
„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein? Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen. Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“
Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.
Laut orientalischem Brauch haben die Freundinnen der Braut bei einer Hochzeit den Auftrag, den Bräutigam mit Lampen – die Exegeten sprechen von ölgetauchten Lichtfackeln – zu empfangen und ihn in den Hochzeitssaal zur Braut zu geleiten. Es sind zehn an der Zahl. Der Bräutigam kommt in der Nacht – verspätet. Die fünf klugen haben vorgesorgt, sie haben Ölvorräte; die törichten bzw. die dummen haben kein Öl mehr. Sie müssen zum Krämer, um neues Öl zu besorgen. Diese kommen dann zu spät zum Hochzeitssaal. Die Tür ist bereits verschlossen. Sie rufen: „Herr, mach uns auf!“ Darauf die Stimme des Bräutigams: „Ich kenne euch nicht“. Die genug Öl dabei hatten, können zum Feiern in den Hochzeitssaal, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Unser gerade gehörtes Gleichnis, das für das Himmelreich, die gerechte Welt Gottes, steht, befindet sich in der großen Endzeitrede des 24. und des 25. Kapitels des Matthäusevangeliums. Eingerahmt ist es in die Beschreibung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Schilderung der Wiederkunft Christi. Bedeutend ist die Aussage, dass niemand die Stunde kennt, wann der Menschensohn kommen wird, nicht die Engel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Der Rahmen am Ende: Das große Weltgericht mit der Scheidung der Schafe von den Böcken. Dann folgt die Aussage des Weltenherrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dazwischen zeichnet Matthäus vier Gleichnisse. Das heutige ist das dritte. Die jeweilige Hauptintention ist es, jetzt Christus zu begegnen. Wir werden aufgefordert, wie die klugen Jungfrauen wachsam zu sein, um dem Bräutigam zu begegnen. Der Bräutigam ist Christus. Dieser Christus kommt jetzt und überraschend.
Beim Lesen des Gleichnisses stellten sich bei mir auch Widerstände ein. Diese Widerstände waren auch mit Verstörung gepaart. Die klugen Frauen teilen nicht ihr Öl. Werden wir uns nicht gerade diese Woche, am Martinsfest, der christlichen Haltung des Teilens erinnern? So wie Martin von Tours seinen Mantel mit dem Bettler teilt, so sind wir als Christen eingeladen zu teilen. Das Öl möchte ich deuten als die Bereitschaft, dem kommenden Bräutigam entgegen zu gehen, den gegenwärtigen Christus zu empfangen. Diese sehnsuchtsvolle Offenheit und Bereitschaft, den gegenwärtigen Christus zu empfangen, kann nur eine innere Haltung sein. Diese innere Haltung will ein Leben lang in einem spirituellen Prozess eingeübt werden. Diese innere Haltung kann ich nicht an einen anderen Menschen weitergeben. Ich kann diese Haltung auch nicht dem Anderen überstülpen. Ebenso kann ich diese spirituelle Haltung nicht einfach beim Händler besorgen. Auf mich kommt es an.
So möchte ich heute das Gleichnis verstehen: Eine Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit wird gefordert in meiner persönlichen Nachfolge. Auf das Heute und auf das Jetzt kommt es an. Es ist eine klare Absage bezüglich all unserer Aufschiebetaktiken: demnächst irgendwann einmal. Wir wissen es ja alle schon, dass es auf das Jetzt ankommt. Das ist unsere innere Wachsamkeit. So beten wir jeden Dienstag im Morgengebet: „Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wann das sein wird, weiß keiner von uns. Uns bleibt heute allein der Schluss des Gleichnisses: „Seid also wachsam. Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Mein zweiter Widerstand beim Lesen: Die Tür wird vor der Nase zugesperrt. Es gleicht einem kalten Fallen der Tür ins Schloss. Heißt es nicht bei Lukas: „Klopft an, und es wird euch geöffnet“? Und heißt es nicht in der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“? Wenn wir ehrlich auf unser Leben schauen, kennen wir das Phänomen der vertanen Chancen. Es ist das Unwiederbringliche, das nicht mehr Nachzuholende. Wir alle kennen das Zuwenig und das Zuspät. Das, was wir noch gerne gesagt oder getan hätten: Ein Wort der Liebe, eine Bitte um Vergebung. Ein Letztes: Es ist alles gut jetzt. Töricht sind wir alle. Wir kennen doch unsere ablaufende Frist. Der November mit seiner vergänglichen Stimmung erinnert uns daran. Wir können in unserem Leben nichts verschieben. Unsere Zeit steht nicht in unseren Händen. Und es bleibt ernst: Es gibt die Wahrheit des vertanen Lebens. Welche Lebensschule ergibt sich daraus? Wir müssen gegenwärtig sein und dem gegenwärtigen Christus begegnen. Gott selbst ist Gegenwart. Es bedarf unserer inneren Aufmerksamkeit und unserer Achtsamkeit und einer Beachtung unserer Innerlichkeit, um dem Göttlichen in unserem Leben zu begegnen. Eine Möglichkeit ist in unserer mönchischen Tradition die Vertiefung in das Wort Gottes. Der Christ wie der geistliche Mensch übt. Es genügt aber nicht nur, innerlich zu sein und „Herr, Herr“ zu sagen, sondern der lautere Ausdruck der spirituellen Haltung ist der Blich auf die Ränder des Lebens. Den gegenwärtigen Christus erkennen wir im Armen, im Entrechteten, im Kranken und im Fremden.
Ein dritter Widerstand: Die Stimme des Bräutigams: „ Ich kenne Euch nicht!“ Eines der unheimlichsten Worte der Evangelien, wie ich finde. Warum erkennt der Bräutigam sie nicht?
Ein wesentlicher Punkt im Gleichnis ist die Erwartung des Bräutigams. Kluge wie Dumme wollen den Bräutigam sehen. Das Erwarten meint doch die Hoffnung. Existentielle Hoffnung meint im Christlichen immer, dass uns über unseren Tod hinaus Heil geschenkt wird. Göttliches Heil steht jenseits unserer Todesgrenze. Der Hochzeitssaal steht ja für unser seelisches Erlösungsbild. Im Fest werden wir jenseits unseres Todes Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Heil will uns allen von Gott her geschenkt werden. Diese Zuwendung Gottes haben wir nicht in der Hand. Wir haben es nicht im Griff. Wir Menschen bleiben Empfangende. Wir dürfen Hoffnung haben. Diese Hoffnungsperspektive ist das Erkennungsmerkmal derer, die mit der Sache Jesu, seinem Reich, ernst machen. Und wenn nicht? Wenn wir diese Hoffnung nicht in uns schüren, dann verändern wir uns bis zur Unkenntlichkeit. Wir werden nicht erkannt! Auch im geistlichen Leben können wir uns bis zur Unkenntlichkeit verändern.
In Hinblick auf unsere Sterblichkeit möge unser Hoffnungsbild von Folgendem geprägt sein:
Das Lebenslicht unserer Lebenslampe wird einmal ausgelöscht, da die göttliche Sonne, die keinen Untergang mehr kennt, über unserer Existenz aufgegangen ist. Möge dieses Hoffnungsbild mich, uns alle hier trösten. Amen.
Die Frage, die hinter dem Fest Allerheiligen, das wir heute feiern, steht, könnte so lauten: Was ist das Ziel unseres Lebens? Woraufhin sind wir unterwegs?
Gerade in der momentanen Jahreszeit, in der sich die Natur mehr und mehr in den winterlichen Ruhezustand zurückzieht, wo vieles abstirbt und zu Ende geht und wo vielleicht auch wir selber uns mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert sehen oder sie uns neu bewusst wird, erinnert uns das Fest Allerheiligen an unsere christliche Berufung und Hoffnung.
Berufung und Hoffnung:
Beides nämlich, der Ruf Jesu in die Nachfolge, der an uns in der Taufe ergangen ist, aber auch die in der Auferstehung Jesu begründete Hoffnung im Tod und über den Tod hinaus, machen deutlich, dass es sich beim Fest Allerheiligen um ein Fest des Lebens, um ein im wahrsten Sinne des Wortes lebendiges Fest, ein freudiges, hoffnungsvolles und Hoffnung machendes Fest handelt.
Das die Liturgie einleitende Tagesgebet hielt uns vor Augen, dass wir heute eingeladen sind, „die Verdienste aller Heiligen zu feiern.“
Einige dieser Heiligen sind uns von Kindheit an wohl vertraut, wie zum Beispiel St. Martin, der heilige Nikolaus oder die heilige Barbara, deren Lebensgeschichten wir nicht zuletzt in liebgewordenen Traditionen alljährlich erinnern. Andere Heiligengestalten wiederum sind uns im Gegensatz dazu selbst vom Namen her weniger oder gar nicht bekannt.
Doch wer die Heiligenlisten zu Rate zieht, wird sehr schnell feststellen, dass hier Frauen und Männer aus ganz verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Alter und Wesen verzeichnet sind.
Aber all diese Heiligen haben gemeinsam, dass sie sich von der Botschaft Jesu haben ansprechen und treffen lassen, und dass sie Jesus nachgefolgt sind und in ihrer Betroffenheit die Seligpreisungen, die wir im heutigen Evangelium gehört haben, zum Maßstab ihres Lebens gemacht haben.
Diese Menschen haben sich auf Jesu Botschaft eingelassen und sie zu ihrer Lebensmitte gemacht, haben ihr mit ihren je eigenen, von Gott geschenkten Talenten und Möglichkeiten eine Gestalt gegeben und auf diese Weise die Botschaft vom Reich Gottes schon in dieser Welt Wirklichkeit werden lassen.
Sie haben eine oder mehrere dieser Verheißungen des heutigen Evangeliums lebendig werden lassen und damit gezeigt, dass es sich bei den Seligpreisungen nicht um eine bloße Traumwelt, eine Vision oder Utopie handelt. Ihre Lebensgeschichten lehren uns vielmehr, dass die Botschaft Jesu lebbar und verwirklichbar ist.
Grundlage dafür war, dass sich die Heiligen vor Gott arm gemacht und arm gewusst haben. Sie sind mit offenen, leeren Händen vor Gott gestanden, einerseits im Wissen, dass sie von seiner Zuwendung abhängig sind und andererseits mit dem Vertrauen, dass Gott es ist, der ihre leeren Hände mit seiner Nähe, mit seinem Frieden, mit seiner Kraft füllen kann.
Diese empfangende Haltung hat die Heiligen die Welt mit den Augen Gottes anschauen lassen. Und das hat sie zu jenen Akzentsetzungen in ihrem Leben, zu jenen Taten, Entscheidungen oder Haltungen verholfen, auf die wir, wenn wir ihr Leben betrachten, manchmal mit Bewunderung, manchmal auch mit Verwunderung, manchmal vielleicht auch mit Entsetzen und dann auch wieder mit großem Staunen blicken.
Das Fest Allerheiligen nimmt also alle Menschen in den Blick, die den Weg der Nachfolge Jesu gegangen sind und seine Botschaft in ihrem Umfeld, in ihrer Zeit, in ihrer Situation und mit ihren Möglichkeiten gelebt haben.
Und dazu zählen nicht nur jene Menschen, die wir als Heilige verehren.
Dazu zählen auch all jene stillen, unbekannten, zum Teil längst vergessenen Menschen, die dem Glauben Gestalt gegeben haben und die bei Gott zur Vollendung gelangt sind.
Sie alle sind die „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, von denen Johannes im Buch der Geheimen Offenbarung im 7. Kapitel, Vers 9 sagt, dass „sie niemand zählen konnte“.
In der Präfation des heutigen Festtages heißt es:
„Heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Schwestern und Brüder, die schon zur Vollendung gelangt sind.“
Es sind unsere Schwestern und Brüder, nicht irgendwelche Übermenschen, die das heutige Fest in den Blick nimmt.
Dieser Lobpreis ist bemerkenswert, denn er schlägt förmlich eine Brücke zwischen denen, die bei Gott schon vollendet sind und uns, die wir noch auf dem Weg zum Ziel unseres Lebens sind.
Als Christen wissen wir um die Vorläufigkeit dieses Lebens und richten unseren Blick nach vorne, wo uns ein Leben über den Tod hinaus verheißen ist.
Die Heiligen, auf die wir heute blicken, halten uns diesen Blick und die Hoffnung auf den Himmel offen.
Ihr Leben, ihre Verdienste sollen uns nicht frustrieren oder demotivieren, weil wir meinen, sie kopieren zu müssen und gleichzeitig spüren, dass uns manche ihrer Taten zu groß, zu heroisch, zu unerreichbar erscheinen.
Was unsere Schwestern und Brüder in der Vollendung in ihrem Leben auf Erden ausgezeichnet hat, ist, dass sie der Verheißung gefolgt sind, die Jesus mit den Seligpreisungen seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben hat.
Die große Anzahl der Heiligen zeigt, wie vielfältig diese Nachfolge aussehen kann und wie vielfältig daher auch Heiligkeit gelebt, erkennbar und spürbar werden kann.
Das heutige Fest Allerheiligen macht uns deshalb Mut, wie viele Menschen vor uns auf dem Weg der Nachfolge Jesu zu gehen und dabei heilig zu werden. Denn dazu sind wir berufen: Heilige zu sein! Jetzt schon! Wir wissen es bloß noch nicht – oder schon nicht mehr…
Und es ist ein Weg, der uns zum Leben führt: zum Leben Gottes und seiner Heiligen, unserer Schwestern und Brüder. Amen.
„Gönne dich dir selbst! An der Lust des Tages, die dir zusteht, geh nicht achtlos vorbei!“
Liebe Schwestern und Brüder,
was klingt wie Zeilen aus einem Ratgeber zur Selbstfindung
oder einer Anleitung zum Glücklichsein,
sind tatsächlich Worte aus der Bibel,
aus dem Buch Jesus Sirach im 14. Kapitel.
Gönne Dich dir selbst!
Sei dir selber wertvoll!
Weil du Gott wertvoll bist.
Achte auf Dich, nimm dich selber ernst,
schau auf das, was dir gut tut
– es ist dir geschenkt!
Und dann – so heißt es weiter bei Jesus Sirach: „Wer sich selbst nichts Gutes gönnt, wem kann der Gutes tun?!“
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“ benennt es Jesus im Evangelium.
Das „Liebe deinen Nächsten“ hat uns unsere christliche Prägung
gut anerzogen.
Und es ist ja auch wichtig – gerade in Zeiten wie dieser.
Den Anderen sehen,
auf den Anderen Rücksicht nehmen,
für den Anderen da sein.
Und trotzdem: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Das „wie dich selbst“ gehört sich nicht bei uns
– egoistisch sein gehört sich nicht.
In Supervisionen und Beratungen sage ich immer wieder:
der Mensch muss egoistisch sein, muss sich um sich selbst sorgen.
Wenn nicht gerade in sozialen Berufen
am Ende nicht immer öfter der Burn-out stehen soll.
Ich kann nicht mehr… !!!
Er darf nur nicht egozentrisch werden
– mich selber immer in den Mittelpunkt stellen
und ständig um mich kreisen.
Aber wie will ich andere lieben, für andere da sein,
wenn ich mich selbst nicht liebe,
nicht für mich da bin?
Und andere lieben – gelingt uns das?!
Für andere da sein?
Andere akzeptieren, mich selber zurücknehmen,
den anderen wertschätzen, ihm Chancen geben?
Überlegen Sie einmal, ob und wie Sie das
in der letzten Woche getan haben.
War es nicht oft eher das Gegenteil?
Kommen wir nicht viel zu oft an unsere Grenzen?
Es gibt doch so viele Gründe:
Wenn ich mich vom anderen bedrängt fühle,
wenn ich den anderen nicht verstehe,
wenn ich mich selber beweisen muss,
weil ich mich minderwertig fühle.
Den Menschen am Rande
lasse ich gerne am Rande stehen.
Wer meine Hilfe braucht
– bekommt er oder sie diese?
Wohl niemand von uns kann sich da ausnehmen.
Wir spüren es immer wieder:
wir verletzen und sind verletzt,
Eifersucht und Machtgelüste lodern in uns.
Der oder die neben mir:
Wie oft gönne ich ihm oder ihr nichts.
Weil ich mir selbst nichts gönne?
Weil ich nicht spüren kann,
dass ich Gottes geliebtes Kind bin
und auch im Anderen Gottes geliebtes Kind sehe?
Die anderen als meine Geschwister annehmen,
und mit Gottes Augen sehen kann?!
Die Lesung des heutigen Tages aus dem Buch Exodus
geht weit darüber hinaus.
„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten.“ „Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen …“
In mir höre ich das Geschrei von Menschen,
die ungerecht behandelt und versklavt werden,
die für sich und ihre Kinder ein besseres Leben wünschen,
und elendig ertrinken,
den stummen Ruf der Armen auch in unseren Orten,
die sich nicht wagen, herauszutreten.
Die gerade in dieser Zeit Vereinsamten und Verzweifelten.
„Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.“
Haben wir Mitleid?
Oder ist es uns nicht eigentlich egal?!
Uns geht es ja gut.
Noch einmal zurück zum ganz Konkreten.
Was gönne ich denn dem Bruder, der Schwester neben mir?
Auch das, was mir vielleicht etwas „wegnimmt“,
was mich einschränkt, mich begrenzt?
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ heißt eben auch: gönne auch dem anderen das,
von dem du meinst, dass es nur für ich ist.
Und bei allem: „An der Lust des Tages, die dir zusteht, geh nicht achtlos vorbei.“
Die Lust, die dir zusteht.
Du musst sie dir nicht erwerben, erkaufen, erschleichen.
Sie steht dir zu!
Also: geh nicht achtlos vorbei.
Ist das nicht die große Sünde:
dass wir Gottes Geschenk für uns – und für die anderen! –
nicht annehmen?!
Es achtlos liegen lassen?
„Den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“
Mein ganzes Leben soll ER prägen.
Sein Geschenk – mich selbst –
und die „Lust des Tages“ darf ich annehmen.
Lassen wir es uns ruhig von einem Heiligen sagen:
Aus einem Brief von Bernhard von Clairvaux
an Papst Gregor III.:
Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst. Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
„ ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‘ Die Münze trägt sein Bild. Dadurch gehört sie ihm. Wem gehören wir? Doch wohl kaum dem Staat. Zwar sind wir auch geprägt, gleichsam als eine lebendige Münze. Wir tragen das Bild Gottes. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Diese Prägung besiegelt unsere Verpflichtung Gott gegenüber. Das Siegel fordert uns mehr als das Siegel des Kaisers. Alle Menschen tragen das Bild Gottes in sich, alle gehören ihm. Und deswegen sind wir alle Gott verpflichtet: ‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“
Dies sind nicht meine Worte, sondern Franz Kamphaus hat sich so zu diesem Evangelium geäußert. Mir sind die Worte des Geprägt seins nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Prägen kann man von der Handwerklichen Seite sehen oder von der Menschlichen. Was hat uns geprägt? Was hat sich uns eingeprägt? Was heißt es geprägt zu sein?
Ich erinnere mich noch als ich als Kind bei einem Ausflug zum Marine-Ehrenmal Laboe zum ersten Mal vor einem Automaten in dem man Münzen umprägen konnte stand. Man musste eine Münze hineinwerfen und eine Gebühr bezahlen um dann mit der eigenen Kraft einen großen Hebel zu drehen und so die Münze umzuprägen, so dass sie kein Geldstück mehr war, sondern das Ehrenmal zeigte. Als Kind war es unglaublich, dass so etwas möglich ist.
Lassen Sie uns heute auf beide Seiten schauen. Auf den handwerklichen Vorgang und die menschliche Prägung.
Schaut man sich an was beim Prägen passiert, fällt auf, dass der Rohling in seiner Masse bestehen bleibt. Es wird nichts hinzugefügt wie beim Modellieren und nichts Weggenommen wie beim sägen, gravieren, schleifen oder schnitzen. Es werden durch die Prägung nur Flächen hervorgehoben und andere treten in den Hintergrund um so ein Bild erstehen zu lassen.
Auch in uns ist Gottes Antlitz schon vorhanden. Es muss nichts hinzugefügt werden zu meiner Persönlichkeit und es muss auch nichts weggenommen werden von meiner Persönlichkeit um Gottes Antlitz auf mir erscheinen zu lassen, um Gott durch mich sichtbar zu machen. Ich bin schon vollkommen so wie ich bin. Ich bin ganz. Es ist alles in mir angelegt. Ich muss mich nur von ihm prägen lassen um sein Antlitz auf mir zum Vorschein zu bringen. Ich muss zulassen, dass Er durch mich sichtbar wird.
Zum Prägen braucht es Energie. Es braucht Kraft. Viel Kraft. Zum Handprägen einer Münze sind mehrere Schläge nötig. Gott hat diese Kraft, wie wir es in der Lesung gehört haben. Das Evangelium kam nicht nur im Wort, sondern mit Kraft und heiligem Geist. Er will, dass wir uns von ihm prägen lassen.
Nur nützt der beste Prägestempel nichts wenn er ins Leere haut. Zum Prägen braucht es nicht nur Prägestempel und Hammer, sondern auch ein Fundament das auf der Erde steht, das die Kraft aufnimmt und so das prägen erst möglich macht. Das sich zum Prägestempel hin ausrichtet um die Kraft aufzunehmen.
Bin ich bereit mich von Gott prägen zu lassen. Mich und meine Kraft auf ihn hin auszurichten. Seine Kraft an mir wirken zu lassen. Mich von ihm Formen zu lassen. Meine Kraft einzubringen, fest auf der Erde stehend. Paulus schreibt im Brief an die Gemeinde in Thessalonich von Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus und von der Mühe der Liebe die wir haben.
Oder lasse ich mich von anderen Dingen umprägen die nach Aufmerksamkeit schreien, die meine Kraft und Energie beanspruchen wollen. Wir kennen Sie: Hass, Neid, Angst, Vorurteile und Schubladen, Unsicherheiten, Wut, Unbarmherzigkeit,
in der Welt,
in unserer Gesellschaft aber auch
in unserem persönlichen Umfeld.
Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir unsere Energie auf sie richten und uns so von Ihnen umprägen lassen.
Jesus lässt sich im heutigen Evangelium nicht darauf ein. Er lässt die Pharisäer auflaufen. Er lässt sich nicht provozieren. Er bleibt auf Gott ausgerichtet. Standhaft in seiner Kraft. Er lässt ihren Prägestempel quasi ins Leere schlagen.
Bleiben auch wir auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Kraft ausgerichtet und lassen wir die anderen Prägestempel, die uns umprägen wollen ins Leere schlagen.
„‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“ So haben wir am Anfang von Franz Kamphaus gehört.
Lassen wir uns immer weiter von Gott prägen mit aller Kraft, damit sein Antlitz auf und durch uns immer stärker zu sehen ist. Damit er in dieser Welt durch uns sichtbar wird.
der Text des heutigen Evangeliums (Mt 22,1-14) wird besonders herausfordernd vom Ende her. Dort, wo der Mensch, der kein Hochzeitsgewand trägt, hinausgeworfen wird an den Ort der äußersten Finsternis. Und ganz am Ende des Evangeliums der Satz: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Was ist damit gemeint? Das lässt mich zunächst einmal ratlos zurück.
Gehen wir dennoch erst einmal an den Beginn des Evangeliums zurück.
Da lädt Gott in der Person des Königs die eingeladenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein. Ein Bild für die Gottesschau. Die Gäste haben aber andere Dinge zu tun. Und natürlich ist der Mensch frei, die Einladung abzulehnen. Dann aber werden die Diener getötet, und der König reagiert, indem er sein Heer schickt und die Stadt in Schutt und Asche legen lässt. Müssen wir nun unsere Vorstellung eines liebenden Gottes korrigieren? Nein, denn hier lässt sich die konkrete geschichtliche Erfahrung ablesen, dass die Menschen des ersten Bundes in Israel sich nicht alle der Jesusbewegung anschließen, also die Einladung aus der Sicht der Christen nicht angenommen haben. Die Stadt, die in Schutt und Asche liegt. ist Jerusalem, die 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde, nicht von Gott.
Dennoch stellt sich uns heute die Frage: Lasse ich mich von Gott stören in meinem Alltag? Ist er für mich präsent? Oder lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe?
Lasse ich mich von der Botschaft Jesu aufstören, gar aufschrecke? Oder hat sie längst keine Bedeutung mehr in meinem Leben? Höre ich „mit aufgeschrecktem Ohr“, wie es Benedikt im Prolog seiner Regel schreibt?
Die Botschaft Jesu, dass ein jeder Kind Gottes ist, wertvoll und geliebt;
die Botschaft Jesu: „Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“;
die Botschaft Jesu der Hinwendung zu den Bedürftigen, die uns auch heute fordert.
Dann erfolgt die zweite Einladung Gottes an den Menschen, und dieses Mal füllt sich der Festsaal. Die Botschaft Gottes durch Jesus richtet sich an alle. Ausnahmslos alle. Juden wie Heiden, Griechen wie Römer, und sogar an Böse und Gute. Alle sind gerufen. Auch die Bösen, und diese sogar als Erstes. Das war auch für die Christen, an die sich Matthäus richtet, verstörend. Damals wie heute gibt es in der Kirche, in den Gemeinden, in den Gemeinschaften die Selbstgerechten, die entscheiden wollen: Du gehörst dazu – und Du nicht. Matthäus warnt auch uns, nicht eine Kirche ohne Sünder zu bilden, sondern, wie es Papst Franziskus ausdrückt, eine verbeulte Kirche, eine verbeulte Gemeinde, ja, liebe Schwestern und Brüder, eine verbeulte Gemeinschaft, in der der Sünder seinen festen Platz hat.
Aber nun zum Schluss, zum Menschen, der ohne Hochzeitsgewand kam und stumm blieb. Bei den Begriffen Hochzeit und Mahl wussten die Christen des Matthäus, dass es ums Ganze geht. Um die Gottesbegegnung, um den wiederkehrenden Christus, der uns begegnen will. Da müssen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, wachsam sein wie der Diener, der auf den Hausherrn wartet. Wir Christen sollen wachsam sein, kein verschnarchter und verschlafener müder Haufen.
Beim Hochzeitsgewand geht es nicht um den richtigen Dresscode. Wir Mönche nennen unser Gewand Habit. Daraus ableiten lässt sich der Begriff Habitus. Und dem schließt sich die Frage an: Habe ich den Habitus der Erwartung und der Sehnsucht?
Gott fragt uns: Was erwarten wir? Wonach sehnen wir uns? Hören wir die liebende, werbende Stimme Gottes noch? Die Frage Gottes lautet nicht: Was hast du erreicht? Was hast Du getan? Wieviel hast Du gebetet?
Gott fragt mich: Was bewegt mich? Was trägt mich? Was lässt mich hoffen?
Gott fragt mich: Wonach sehnst Du dich? Damit ich nicht stumm bleibe, kann ich mich vielleicht der Sehnsucht des Jesaja anschließen und antworten wie er:
Meine Sehnsucht ist:
Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen, und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde. Und weiter: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. (Jes 25,8-9)
Wenn wir uns dieser Verheißung anschließen können, sind auch wir berufen und auserwählt.
„Theologie ist Biografie“ – dieser kleine Satz, der auch der Titel der Lebenserinnerungen des 2014 verstorbenen Theologen Herbert Vorgrimler ist, klingt zunächst nach einer Binsenweisheit. Jedes theologische (und auch nichttheologische) Denken ist von biografischen Voraussetzungen des Denkenden abhängig. Es ist für meine Theologie nicht unerheblich, ob ich in den Slums von Manila, in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet oder in einem kleinen Dorf in Niederbayern geboren wurde. Jedes menschliche Denken und Handeln entsteht auch aus biografischen Prägungen, die zu entdecken zur Lebensaufgabe werden kann.
„Theologie ist Biografie“ – den Satz kann man aber auch in umgekehrter Perspektive verstehen, dass theologisches Denken rückgebunden sein muss an die eigene Biografie, den persönlichen Lebensvollzug. Lehre und Leben müssen im Einklang miteinander sein. Wer in seinem Denken ständig die Barmherzigkeit Gottes verkündet, in seinem Leben diese Barmherzigkeit aber oft genug vermissen lässt, der macht sich im Reden und Handeln unglaubwürdig, dem nimmt man die Botschaft irgendwann nicht mehr ab, die er in wohlfeilen Worten verkündet. Auch das kann zur Lebensaufgabe jedes mündigen Christen werden, hinter der wohl viele von uns manches Mal zurückbleiben.
Wohl kein anderer hat den Zusammenhang von Theologie und Biografie, von Lehre und Leben, so erfahren, ja erleiden müssen wie Paulus, der große Völkermissionar, der die christliche Botschaft der Erlösung bis an die Grenzen der damaligen Welt brachte. Besonders deutlich und berührend wird das für mich in den Kapiteln 9 bis 11 seines Römerbriefes, in denen er sein Ringen um seinen Weg eindrücklich beschreibt – als jemand, der einerseits Jesus Christus und seine Botschaft persönlich erfahren hat, der aber andererseits die Beziehung zu dem Volk, dem er sich biografisch immer noch zugehörig weiß, nicht kappen will. Den Anfang haben wir heute in der Lesung gehört (Röm 9,1-5).
Dieser Saulus-Paulus ist Jude und hat als Jude mit seinen Glaubensgeschwistern leidenschaftlich die Anhänger des „neuen Weges“ des Jesus Christus verfolgt. In einem für ihn überwältigenden und umstürzenden Bekehrungserlebnis wandelt er sich zum treuen und ebenso leidenschaftlichen Jünger Jesu – ohne seine biografischen Wurzeln und die Menschen, denen er sich auch weiterhin verbunden fühlt, zu verraten. Und er entgeht dabei der Gefahr vieler Neubekehrter heute, die von ihrem früheren Leben nichts mehr wissen wollen und die Menschen, die einmal ihre engsten Freunde und Gefährten waren, verdammen – nur weil sie einem anderen Glauben anhängen. Nein, Saulus-Paulus leidet darunter, dass so viele seiner früheren Weggefährten seinen Weg, den er doch als richtig und heilbringend erkannt hat, nicht mitgehen können. Er „möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein“ um seiner Brüder willen, „die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“ Er weigert sich, seine jüdischen Glaubensgeschwister einfach zu verdammen, sondern möchte in seinem theologischen Denken einen Weg finden, ihnen Erlösung und Heil nicht abzusprechen. Er möchte die Wurzel seines Lebens nicht abschneiden, sondern ist davon überzeugt, dass seine jüdischen Wurzeln auch den Christen Paulus tragen und bereichern können – „Theologie ist Biografie“.
Am 9. August gedenkt die Kirche der hl. Edith Stein (durch den Sonntag wird in diesem Jahr ihr Festtag liturgisch verdrängt). Auch sie ist eine Frau, deren theologisches Denken zutiefst geprägt ist von ihrer Biografie. Als geborene Jüdin, promovierte Philosophin und konvertierte Christin, die dann als Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel eingetreten ist, wird ihr das Suchen und Fragen des Paulus nicht unbekannt gewesen sein. In Solidarität mit ihren jüdischen Geschwistern ist sie nach Auschwitz deportiert worden, wo sie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Bei ihrem Abtransport in das Vernichtungslager soll sie zu ihrer leiblichen Schwester Rosa gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Stellvertretung bis zur letzten Konsequenz.
Stellvertretung – mit diesem kühnen Gedanken versucht auch Paulus, sein Dilemma zu lösen. Im Bild von dem Ölbaum und seinen Zweigen sieht er sich selbst, den gebürtigen Juden und neuen Christen, als „wilden Zweig“, der zeitweilig die Stelle der „edlen Zweige“, seiner jüdischen Geschwister, einnimmt, bis irgendwann einmal alle Zweige am Ölbaum vereint sein werden. Das ist für ihn kein Grund, überheblich auf seine jüdischen Glaubensgeschwister herabzuschauen, sondern bewusst an dieser Stelle, stellvertretend für sein Volk diesen Platz einzunehmen.
Wie Gott einmal die Erlösungsgemeinschaft zwischen Juden und Christen vollenden wird, das ist seine Sache, bleibt Geheimnis. Klar ist nur: „Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Gott kündigt seinen einmal geschlossenen Bund mit dem Volk Israel nicht auf. So ruft es Paulus am Ende seines theologischen Ringens um die bleibende Erwählung und Rettung Israels aus,wie es uns in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefes überliefert ist. Und am Ende überlässt er die Lösung seines existentiellen Dilemmas dem Gott, der immer größer ist als unsere theologischen Begriffe und zu dem Juden und Christen gleichermaßen beten: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! … Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 11,33.36)
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ –
So, liebe Schwestern und Brüder, lautet ein Buchtitel des Philosophen und Publizisten Richard David Precht. In 54 Kapiteln geht Precht den Fragen nach: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?, und meint, in der Beantwortung dieser Fragen komme man der eigenen Identität auf die Spur.
Auch uns Christen beschäftigt immer wieder die Suche nach unserer Identität. Ein Christ fragt: Was macht mich aus? Hat meine Identität mit meiner Gottesbeziehung zu tun? Und wo ist der Ort, diese Identität zu leben: in der Familie, in einer Gemeinschaft oder allein?
Zunächst gründet für Christen ihre Identität in der Beziehung zu Gott. Gott verspricht, dass wir seine Kinder sind, geliebte Söhne und Töchter. Er spricht uns bedingungslos als seine „geliebten Kinder“ an.
Gleichzeitig haben wir als Christen die überkommene Aufgabe, Gottsucher im konkreten Alltag und Nachfolger Jesu im Heute zu sein.
Dabei stellen sich weitere Fragen ein: was macht mich aus? Wie definiere ich mich? Wie viel Individualität ist gesund und wo ist es besser, sich anzupassen? Man muss sich ja irgendwie definieren, sonst ist man ein Niemand, oder?
Lieber Br. Vincent, solche Fragen sind Dir sicher nicht fremd. In den vergangenen Jahren als Student in Paderborn, als Novize und Zeitlicher Professe in unserer Abtei, in den Monaten des Pastoralkurses hast Du vermutlich immer wieder die Identitätsfrage gestellt und nach Antworten gesucht. Antworten, die zu Dir und Deinen Lebensvorstellungen passen, die Dich so sein lassen, wie Du bist und nicht verbiegen.
Du hast immer wieder die Frage gestellt, wer bin ich vor Gott und vor den Menschen, mit denen ich den Alltag teile.
Diese Pfingstwoche 2020 ist gleichsam Deine ganz persönliche Identitätswoche, in der sich alles Fragen nach Deiner Identität nochmals verdichtet.
Während am Pfingstsonntag der Mönch und seine Lebensweise im Mittelpunkt des Suchens und Fragens standen, ist es heute der Dienst des Diakons.
In einer einzigen Woche bist Du aufgerufen, den Mönch und den Diakon in Dir Gestalt zu geben. Du, Bruder Vincent bist aufgerufen, als Mönch und Diakon Gestalt zu sein, dem Mönch- und Diakonsein Gestalt zu geben. Was heißt das?
Gestalt sein
Es mag einigen von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder verwundern, dass ich von der Gestalt des Mönches und des Diakons spreche. Eine Gestalt ist eine Form, ein Umriss oder eine Erscheinungsbild, also etwas Äußerliches. Müsste es aber bei beiden Lebensidentitäten nicht eher um Innerlichkeit gehen?
Von Äußerlichkeit sprechen wir in der Kirche nur ungern. Denn schnell verbinden wir äußere Gestalt oder Form mit Schein und Eitelkeiten. Muss das so sein? Es gibt ja nun mal sowohl für den Mönch als auch den Diakon äußere Zeichen seiner Lebensgestalt.
Ist es die Kukulle als Zeichen der mönchischen Lebensweise, ist es beim Diakon die Dalmatik und die gekreuzte Stola. Diese äußeren Zeichen sind prägend für den Träger, und für die, die ihn anschauen, vermitteln sie einen Eindruck.
Mönchsgewand und Dalmatik sind in Form des Kreuzes geschnitten und weisen so auf den, der menschliche Gestalt annahm, sich den Menschen zuneigte, um uns schließlich am Kreuz zu erlösen: Jesus Christus.
Ja, man kann sich allein durch das Äußere, den mönchischen Habitus, definieren, sich ergehen in liturgischen Handlungen und diakonalen Riten, aber werden diese Äußerlichkeiten reichen, um die Lebens-Gestalt eines Mönches und eines Diakons ein Leben lang zu verwirklichen?
Mönch und Diakon sind unterwegs mit Gott auf der Basis ihrer Spiritualität im Dialog mit ihm. Im alltäglichen Handeln lassen sie sich von Gottes schöpferischen Geist durchdringen und formen. Dabei können sich immer wieder neue und unerwartete Wege auftun und Herausforderungen zeigen, auf die beide sich einzulassen haben. Je mehr sie Gott in ihrem Leben Raum geben und sich auf ihn einlassen, desto mehr werden sie selbst zu einer menschlichen Gestalt Gottes und können in einer glaubhaft gelebten Spiritualität als Mönch und Diakon gestaltend wirken.
Gestalt geben
In den letzten Jahren konntest Du, lieber Br. Vincent, dem Mönch in Dir eine Gestalt geben. Die Zeiten von Noviziat und zeitlicher Profess waren Zeiten des Erlernens, des sich Vergewisserns – Zeiten der Gestaltgebung.
Weil Du diese Lebensweise angenommen hast und Dich in sie hineingegeben hast, gestaltetest Du sie mit. Du konntest dem Mönch in Dir eine bestimmte Form geben. Bündelnder Ausdruck Deiner Gestaltungsjahre war das am vergangenen Sonntag im Kreis Deiner Brüder vertrauensvoll gesungenen „Suscipe me, Dominie“ auf dem Professpflaster unser Abteikirche.
Gleich wirst Du wieder an dieser Alltags-Stelle stehen und Deine Bereitschaft erklären, als Diakon in dieser Gemeinschaft zu leben und für diese Deine Brüder zu wirken.
Da wird es wieder um Form und Formung gehen, d.h. um den Gestaltungwillen, dem Evangelium Jesu Raum und Zeit zu geben, nicht nur im inneren Ringen um die eigene Identität, sondern im diakonalen Handeln unter den Menschen.
So wirst Du sicher nicht von ungefähr für diesen Gottesdienst die Berichte von der Fußwaschung Jesu im Abendmahlssaal und der Taufe des Äthiopiers gewählt haben. Aus beiden Perikopen spiegelt uns die diakonale Haltung des Dienens, der Wertschätzung und der Ehrfurcht vor dem Leben des anderen entgegen, einem von Gott geschenkten und gestalteten Leben.
Als Diakon gibst Du in der Gemeinschaft und an Deinen Einsatzorten diesem Gott eine Gestalt und ein menschliches Antlitz.
Das ist ab heute Deine Mission! Ich möchte es mit den Worten von Papst Franziskus formulieren:
„Ich bin immer eine Mission; du bist immer eine Mission; jede Getaufte und jeder Getaufte ist eine Mission. Wer liebt, setzt sich in Bewegung, es treibt ihn von sich selbst hinaus, er wird angezogen und zieht an, er schenkt sich dem anderen und knüpft Beziehungen, die Leben spenden“ – so Papst Franziskus.
Lieber Br. Vincent, ich wünsche Dir von Herzen, dass Du in den kommenden Jahren dieser Mission Gestalt geben und eine Gestalt dieser Mission sein kannst.
Ich wünsche Dir, dass Du den Mönch und den Diakon in Dir nicht als zwei unvereinbare Identitäten wahrnimmst, sondern als Deine Identität in zwei Gestalten zu leben vermagst.
Ich wünsche Dir, dass Du mit Gottes Hilfe erkennst, dass Du in den unterschiedlichen Aufgaben und Diensten ein- und derselbe bist:
Vincent, ein von Gott geliebter und von den Menschen geschätzter Bruder!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/06/IMG_8377a.jpg321845Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2020-06-08 15:26:172020-06-08 15:36:04Predigt zur Diakonenweihe Br. Vincent (06.06.2020)
was für eine Gefühlsachterbahn, die die Jünger Jesu gefahren sind. Erst die Wunder und Reden, das Vertrauen und die Hoffnung das Jesus der Messias ist. Der begeisternde Einzug nach Jerusalem, die Huldigung der Menschen, Freude und Jubel. Dann das Letzte Abendmahl, wo der Meister ihnen die Füße wäscht und Verwunderung stiftet.
Auf dem Ölberg die Angst des Meisters zu spüren.
Der Verrat durch den Bruder aus den eigenen Reihen, der Jesus ausliefert und sich anschließend das Leben nimmt. Petrus der sich seine eigene Schwäche eingestehen muss, indem er Jesus dreimal Verleugnet.
Die Verurteilung, Demütigung und Hinrichtung dessen an den man geglaubt hat. Für den man alles stehen und liegen hat lassen und ihm nachgefolgt ist.
Verwirrung, Angst, Flucht und Verstecken.
Nur drei Tage später, die Auferstehung, die erst ankommen muss. An der Einige erst zweifeln. Vierzig Tage lang erscheint Jesus in den unterschiedlichsten Situationen.
Wieder Freude und Jubel doch an den Richtigen geglaubt zu haben. Doch die Hoffnung auf die Erlösung durch den Messias.
Und dann die Himmelfahrt. Jesus ist wieder weg. Empor gehoben in den Himmel. Aber wie lange kann das jetzt schon noch dauern bis er wiederkommt mit all seinen Engeln. Letztes Mal waren es ja auch nur drei Tage, die er fort war. Es kann also nicht lange dauern bis etwas passiert.
Diesmal keine Angst, sondern Vorfreude auf das was da kommt. Zusammensitzen und beten. Jetzt ist Zeit die Dinge zu reflektieren. Sich zu erinnern, was Jesus vor seinem Tod gesagt hat. Die Hoffnung zu nähren. Zu Warten.
Warten. Dieser seltsame Zustand zwischen Hoffen und Bangen. Zwischen Angst und Vorfreude. Zwischen Unsicherheit und Zuversicht. Zwischen Zögern und Ungeduld. Zwischen Spannung und Entspannung.
Warten. Erwarten. Diese urchristliche Haltung.
Traditioneller Weise ist der Advent die Zeit in der wir uns dieser Spannung gewiss werden. In der wir uns wieder Bewusst machen sollten, die Wiederkunft Christi zu erwarten. Leider ist diese Zeit heutzutage so vollgepackt mit den eigentlich für Weihnachten vorbehaltenen Feiern und Genüssen, dass das Gefühl des Wartens schwerlich aufkommt.
Vielleicht können wir ja dieses Jahr die jetzige außergewöhnliche Zeit nutzen uns des Gefühls des Wartens als urchristlichem Gefühl wieder zu nähern. In der Zeit des Verzichtes durch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronaviruses merke ich bei mir diese Spannungen des Wartens, des Erwartens, der Angst und der Vorfreude, des Zögerns und der Ungeduld, des Hoffens und Bangens. Des Ausschau Haltens. Was wird? Wann enden die Maßnahmen? Wie kommen wir aus dieser Zeit? Welche Wunden bleiben? Wann kann ich mich wieder ruhigen Gewissens mit Freunden treffen? Wann wieder Menschen ohne Beeinträchtigungen begegnen? Wird sich unser Sozialverhalten verändern? Die Angst mich oder andere Leute anzustecken und den Drang nach Freiheit mit anderen wieder mehr in Kontakt zu kommen
Sich diesen Zustand des Wartens zu eigen zu machen. Sich des Namens Jesu – Also Gott rettet – bewusst zu werden und zu wachen, zu beten, zu Hoffen und zu erwarten wie die Jünger nach der Himmelfahrt, kann helfen diese Zeit zu überstehen. Aus Ihr etwas Positives mitzunehmen. Einen richtigen Advent zu begehen.
Kraft dazu kommt von Gott. Er, Christus ist in UNS verherrlicht.
Einen dezenten Hinweis wie wir beten können gibt uns der Komponist des Gregorianischen Chorales. Er fasst in der heutigen Communio, – also des Gesanges, den wir gleich nach dem Kommunionempfang singen – die Verse aus dem Johannesevangelium, die der Stelle, die wir gerade gehört haben unmittelbar folgen zusammen. Er komponiert: Vater, solange ich war bei ihnen, ich bewahrte sie, die du gegeben hast mir. Jetzt aber: zu dir komme ich. Nicht bitte ich, dass du nimmst sie aus der Welt, sondern dass du bewahrst Sie vor dem Bösen.
Er kürzt damit nicht nur 3 Bibelverse auf das Wesentliche zusammen und hebt so den Kern des Hohepriesterlichen Gebetes Jesu, von dem wir heute die erste Hälfte gehört haben, hervor.
Er bietet auch uns einen Hinweis wie wir beten können. Das erste Wort ist „Pater“ also „Vater“ und die letzten Wörter sind „a malo“ also „vor dem Bösen“. Dies sind auch die ersten und letzten Worte des lateinischen Vaterunsers, welches die Mönche damals und auch wir Mönche heute mindestens dreimal am Tag beten. Auch die Vertonung von a malo erinnert an den Schluss des gesungenen Vaterunsers.
Das Vaterunser, dieses Urgebet der Christenheit, das uns von Jesus selbst geschenkt wurde. Dass die Bitte im Hohepriesterlichen Gebet Jesu wiederholt. Bewahre uns vor dem Bösen.
Es kann unsere Antwort, unsere Bekräftigung des Hohepriesterlichen Gebetes sein.
Es kann uns begleiten in der Zeit des Wartens, des Ausschau haltens. Wir können unsere Hoffnung hineinlegen.
Und wir können uns des Namens, den Gott seinem Sohn gegeben hat, bewusstwerden: Jesus (Gott rettet)
Nutzen wir diese Zeit das Warten, das Erwarten neu zu lernen auf den, der da kommt, der Herr ist und lebendig macht.
Auch an diesem Wochenende demonstrieren Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie. Dabei fällt die bunte Mischung der Teilnehmenden auf. Neben denen, die berechtigter Weise gegen die Einschränkungen einiger Grundfreiheiten protestieren, finden sich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, zudem versuchen Rechtspopulisten diese Proteste für ihr Interesse an Verunsicherung und Destabilisierung zu nutzen.
In der Folge kommt es zu Polarisierungen, Verteufelung der anderen, Hass, Wut und Aggression, die sich in Angriffen auf Polizisten und auch auf Journalisten entladen.
Die Reaktionen seitens der Politik sind gemischt, einerseits eine gewisse Fassungslosigkeit angesichts der teilweisen Verweigerung notwendiger Verhaltensregeln, kruder Verschwörungsphantasien und aufgeheizter Stimmungen, andererseits die ausdrückliche Bestätigung des Rechts auf Meinungsfreiheit verbunden mit der Bitte, diese in angemessener und gewaltloser Weise zu nutzen.
In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.
Dieses Recht ist zum einen Ausdruck der in Artikel 1 Absatz 1 gemachten Aussage und Forderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zum anderen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen wichtig, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, um so in der gemeinsamen Auseinandersetzung dieses Gemeinwesen zum Wohle aller zu gestalten.
Dahinter steht die Einsicht, dass jede und jeder vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte und dem eigenen Kontext eine je eigene Weise der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Keiner sieht alles, aber gemeinsam sieht man mehr und kann so der Wirklichkeit näher auf die Spur kommen und entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen treffen. Die Vielfalt der Meinungen somit als eine Ressource gemeinsamer Weltverantwortung und Lebensgestaltung.
Eine Ressource, die Benedikt in seiner Regel ausdrücklich zu nutzen empfiehlt, wenn er fordert, dass vor wichtigen Entscheidungen alle Brüder gehört werden sollen.
Doch die Vielfalt der Meinungen kann auch eine Herausforderung sein, die verunsichert und bedrohlich wirkt: Wem oder was soll oder kann ich glauben?
Zudem verwechseln manche die eigene Meinung mit Tatsachenbehauptung oder halten die Behauptung schon für eine Tatsache oder gar für die Wahrheit, um schließlich anderen fake news vorzuwerfen.
Je mehr ich jedoch von meiner Meinung als einer Tatsache oder der Wahrheit überzeugt bin, desto schärfer reagiere ich auf andere Meinungen.
Je mehr mich andere Meinungen nerven, desto verunsichernder und bedrohlicher empfinde ich die Vielfalt von Meinungen und klammere mich noch mehr an meine Meinung.
Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Teufelskreis, in dem der Mensch sich verrennt, sich einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Meinungen anderer entzieht, sich so dem Bemühen um eine gemeinsame Gestaltung von Gesellschaft und Welt verweigert.
Ganz anders klingt das heutige Evangelium, in dem Jesus seinen Jüngern, den Beistand, den Geist der Wahrheit verheißt, der sie führen soll.
Es ist die Fortsetzung des Evangeliums vom vergangenen Sonntag, wo Jesus von sich sagte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Somit ist dieser Geist der Wahrheit der Geist Jesu. Der Heilige Geist, das Band der Einheit zwischen Vater und Sohn, in dem auch wir durch den Sohn mit dem Vater verbunden sind.
Doch wie können wir diesen Geist der Wahrheit erkennen, um durch ihn die Wahrheit, Christus erkennen zu können?
Im Umgang mit dieser Frage kann ein zentraler Begriff der Benediktsregel hilfreich sein: discretio – mit diesem Begriff wird die Kunst der Unterscheidung bezeichnet.
Darunter verstehen wir heute zumeist die Bestimmung des guten Maßes, die Unterscheidung zwischen Zuviel und Zuwenig.
Im frühen Mönchtum verstand man darunter vor allem die Unterscheidung der Geister, die bereits der 1. Korintherbrief (12,10) als Geistesgabe, als Charisma nennt.
Dieses Charisma der Unterscheidung der Geister war in Korinth besonders gefordert, weil die Gemeinde dort in sich zerstritten war, so nennt Paulus gleich zu Beginn des Briefes vier Gruppierungen, die sich auf Paulus, Apollos, Kephas oder Christus beziehen, wobei jede meint, allein im Besitz der Wahrheit zu sein.
Diese Zerstrittenheit zeugt von keinem guten Geist, eher vom Widergeist oder Abergeist, der stets verneint und verwirrt und somit dem Geist Christi, der zur Einheit führt, völlig entgegensteht.
Joseph Ratzinger bringt es so auf den Punkt: Während der Geist Gottes „jenes Zwischen (ist), in dem der Vater und der Sohn eins sind als der eine Gott“ gilt vom Widergeist, dass er „allenthalben ‚dazwischen‘ steht und Einheit hindert“.
Damit ist ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der Geister genannt: Der Geist Gottes verbindet, der Widergeist trennt. Wes Geistes Kind jemand ist, zeigt sich meist an seinem Tun und dessen Folgen. Diese Einsicht entspricht schon dem Unterscheidungskriterium zwischen wahrer und falscher Prophetie, auf das sich auch Jesus bezieht, wenn er sagt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,16).
Paulus wird dazu in seinem Brief an die Galater ganz konkret und nennt die jeweiligen Geistesfrüchte (Gal 5, 19-25):
Der Widergeist bringt die Werke des Fleisches hervor: … Maßlosigkeit, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen. Der Geist Gottes aber: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut …
Origenes, einer der Begründer einer Theologie der Spiritualität, der um 200 gelebt hat, nimmt diese Gedanken des Paulus auf, fasst sie zusammen und sieht die Wirkung des guten Geistes in tiefer Ruhe und echter Verbundenheit.
D.h. die Frucht des Geistes nach innen ist die Verbundenheit mit mir selbst, psychologisch ausgedrückt die Selbstkongruenz, die innere Stimmigkeit, das Ruhen in sich.
Die Frucht des Geistes nach außen ist die Verbundenheit mit den anderen, die ich als Nächste, als Schwestern und Brüder wahrnehme und achte.
Die Frucht des Geistes ist damit letztlich die communio, die Gemeinschaft, nach innen mit mir selbst, nach außen mit den anderen.
Das ist auch die Grundhaltung für gelungene Kommunikation genannt, für einen guten Umgang mit der Meinungsfreiheit: Bei-sich-selbst-sein und zugleich dem anderen zugewandt-sein.
Damit sind mir auch die Kriterien gegeben, mit denen ich mein eigenes Kommunikationsverhalten beurteilen kann:
Wie sage ich meine Meinung? Wann, wo, wem? Welche Worte wähle ich? Wie ist der Ton? Welche Einstellung oder Haltung dem anderen gegenüber wird darin erkennbar? Welche Bedeutung, welche Wirkung hat der Inhalt?
Dienen Inhalt und Form meiner Meinungsäußerung der communio, der Gemeinschaft, der Verbundenheit mit den anderen oder wirken sie eher trennend und untergraben ein gutes Miteinander?
Ein konkretes Beispiel dafür, wie wir Christen unseren Standpunkt vertreten sollen, findet sich in der heutigen Lesung aus dem 1. Petrusbrief, die uns dazu ermutigt, anderen zu begegnen und zu bezeugen, woran wir glauben und wofür wir stehen. Dabei wird hier noch ausdrücklich auf die Art und Weise aufmerksam gemacht, in der dies geschehen soll.
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber mit Sanftmut und Milde und in Bescheidenheit und Respekt.“
Schafe. Warum vergleicht Jesus uns mit Schafen? Warum keine Ziegen, Schweine, Kühe, Rinder? Warum Schafe? Schauen wir, was diese Tiere ausmacht, warum Jesus uns mit Schafen vergleicht. Zufällig besitzen wir ja einige Exemplare Waldschafe, und ich darf als „Mietling“ mich ab und zu mit ihnen beschäftigen.
Eigentlich müsste also unser Bruder Isidor hier stehen und die Predigt halten. Aber hier nun einige Beobachtungen eines Mietlings im Schafstall.
Als ich über diese Predigt nachdachte, kam mir als erstes das letzte Silvesterfest in den Sinn.
Isidor sprach mich um halb neun abends an, ob ich ihm bitte bei den Schafen helfen könnte. Die Schafe sollten in den Stall, damit sie sich nicht durch die Böller um Mitternacht erschrecken, voll Panik in die Netze laufen und ungewollt ausbrechen. Im Schafstall musste irgendetwas passiert sein, dass die Schafe geängstigt hatte. Sie wollten nicht dorthin. Isidor hatte es seit fünf Uhr versucht, aber alleine war nichts zu machen. Wir trieben also zu zweit die Schafe durch eine Gasse von der Weide bis vor die Mistplatte. Hier weitete sich der Zaun und führte um die ganze Mistplatte. Isidor hatte vorne gelockt und ich stand als Absicherung hinten. Bis zur Mistplatte war es kein Problem, aber kein Schaf machte auch nur einen Schritt auf die Platte. Einige wollten schon zurück auf die Weide, aber dort stand ich nun im Weg. Pattsituation. Um die Schafe als Gruppe nicht in Panik zu versetzen, blieb ich relativ ruhig. Isidor hatte schon alle Lockmittel wie Kraftfutter und Äpfel bereit, aber es war nichts zu machen. Ab und zu schaffte er es, ein Schaf zu überzeugen, einen Schritt auf die Mistplatte zu machen, aber sobald dieses Schaf merkte, dass die anderen ihm nicht folgten, kehrte es um und löste so den Fluchtreflex der ganzen Herde aus. Auch wenn sich eines der ängstlicheren Tiere durch eine Kleinigkeit erschrak, blickten wieder alle Augen auf mich und den Fluchtweg zur vermeintlich sicheren Weide, anstatt auf die Stimme ihres Hirten zu hören und in den Stall zu gehen, wo es frisches Heu, Wasser und Kraftfutter gab. Wir spielten dieses Spiel eine gute Dreiviertelstunde. Ein Schaf durch langes Zureden auf die Mistplatte, eine kleine Unsicherheit, ein Fluchtreflex und alles war wieder auf Anfang. Es war zermürbend.
Dann nach einer gefühlten Ewigkeit das Einsehen. Warum auch immer. Ein Gefühl von Einsehen. Plötzlich setzte sich die Herde langsam und vorsichtig Richtung Stall in Bewegung. Auch die skeptischen Tiere gingen mit und lösten keinen Herdenfluchtinstinkt mehr aus. Es war geschafft. Einmal in Bewegung ging es ganz schnell. Es war kein Zögern mehr zu spüren. Die Herde hatte sich auf den Weg gemacht. Die Schafe waren im Stall. Was der letzte Auslöser war, kann ich nicht sagen. Warum sie sich schließlich fügten und ihrem Hirten folgten, kann ich nicht sagen.
Mir ist nur die Hilflosigkeit, ja die Machtlosigkeit des Hirten in der Situation vor Augen: dort zu stehen und außer gutem Zureden und Locken nichts machen zu können. Kein Zwang, kein Befehl, nur Geduld und Ausdauer, nur ruhig bleiben, frische Nahrung und gutes Zureden haben geholfen. Wer einmal so eine Situation erlebt hat, versteht, was Hirte sein bedeutet. Es heißt nicht herrschen, sondern Geduld und Barmherzigkeit. Es heißt sich in die Herde reindenken, dranbleiben, damit die Schafe den Klang der Stimme nicht verlernen, damit auch in Notsituationen wie dieser noch Vertrauen vorhanden ist. Es heißt sich alle Tiere anzusehen, zu bemerken, ob eines hinkt, ob es zurückbleibt, ob es niest, ob es krank ist. Ob es seine Lämmer versorgt oder Unterstützung braucht. Ob es im Frühjahr genug regnet, damit man im Sommer heuen kann, um im nächsten Winter genug Nahrung zu haben. Sie nachts heim zu holen in den sicheren Stall. Und all das nicht durch Befehl, sondern durch Locken und Rufen, durch Geduld und Barmherzigkeit.
Dies alles tut Gott für uns. Er allein ist der gute Hirte. An seiner Barmherzigkeit und Geduld sollen wir niemals verzweifeln, wie es so schön in der Benediktsregel heißt. Nur durch ihn kommen wir an frische Nahrung, wenn wir ihm unser Vertrauen schenken und auf seine Stimme hören, die uns ruft.
Wir sind alle Schafe. Das hat auch der Komponist des Allelujas und der Communio nochmal betont, da im Originaltext der Vulgata das Wort Schafe an dieser Stelle nicht steht. Er hat es also bewusst eingefügt und vertont.
Wir alle sind Schafe. Und jeder, der sich zum Hirten macht, stößt den eigentlichen Hirten weg. Er stößt Gott zur Seite. Damit keine Missverständnisse aufkommen: es gibt in einer Schafherde durchaus Leittiere und Hierarchie. Eine Schafherde ist aber kein Patriarchat mit dem Recht des Stärkeren, auch wenn die imposanten Böcke uns das weismachen möchten. Es ist ein Matriarchat in dem die älteren Muttertiere den Ton bestimmen.
Es gibt Tiere, die vorangehen und dem Hirten vertrauen, und es gibt die Skeptischen und alle Formen dazwischen. Es gib diejenigen, die im Alltag Vertrauen haben und in Notsituationen nicht. Und es gibt diejenigen, bei denen es genau anders herum ist. Es gibt diejenigen, die nur mitlaufen, diejenigen, die voranstürmen und diejenigen, die bremsen. Sie alle werden durch den Hirten zusammengehalten. Er kennt uns alle beim Namen und wir kennen ihn. Er hat uns alle im Blick und sorgt für uns.
Wir, die wir hier zusammen sind, gehören – hoffentlich – zu den Schafen, die dem Hirten mehr vertrauen und auf seine Stimme hören und so andere ermutigen können, es uns gleich zu tun. Durch unser Beispiel und unser Vorangehen. Er führt uns an frische Wasser. Durch ihn bekommen wir Nahrung in Fülle und Schutz in der Nacht. Höre, das ist unser Auftrag. Und nicht zu zaghaft und misstrauisch zu sein gegenüber dem Hirten, sondern vertrauensvoll.
Dann können wir gleich in der Communio voll Freude in das Blöken einstimmen. Me meae
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/05/Schafe_8969_3.jpg563845Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2020-05-03 09:03:082020-05-03 17:16:20Predigt am 4. Ostersonntag 2020 in der Abtei Königsmünster
„Die Renten sind sicher!“ – dieser Ausspruch Norbert Blüms von 1997 ist seit Freitag, seinem Sterbetag, immer wieder zu hören.
Einen ähnlichen Klang hatte die Aussage von Kanzlerin Merkel 2008, als sie inmitten der Finanzkrise ausdrücklich sagte: „Die Spareinlagen sind sicher!“ Beidesmal folgte Zweifel!
Seit Anfang März diesen Jahres ist sterotyp mal aus Berlin, mal aus Brüssel zu hören: „Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicher“ – denn die Hamsterkäufe waren da ein erstes Indiz dessen, was dann kam…
Ab Mitte März breitete sich europaweit und bald weltweit der große Shutdown angesichts der grassierenden Coronapandemie aus.
Seitdem begleitet uns dieses Wort, welches wir vorher nicht auf dem Schirm hatten: „Shutdown“ – und in Erweiterung das Wort „Lockdown“.
Der Shutdown bedeutet eine Situation, wie wir sie uns – als wir die diesjährige Fastenzeit begannen – noch nicht hätten vorstellen können. Per staatlicher Verfügungen wurden in kurzer Zeit das öffentliche und das private Leben in ungeahnter Weise heruntergefahren – nach und nach fast weltweit.
„Der unausweichliche Prozess der Globalisierung hat anscheinend seinen Höhepunkt erreicht: Jetzt zeigt sich die globale Verwundbarkeit der globalisierten Welt.“ So deutet der tschechische Soziologieprofessor und Priester Tomas Halik das, was sich zur Zeit ereignet.
Die Pandemie und der Shutdown sind zu zwei Seiten einer Medaille geworden.
Was hier gesellschaftlich und vielfach auch persönlich existenziell geschieht, erfahren Menschen besonders, wenn der Tod in ihr Leben einbricht. Im Tod bricht nicht nur das einzelne Lebensgefüge eines Sterbenden zusammen, sondern vielfach das von Partnerschaften, Familien, Freundschaften und manchmal das von großen menschlichen Gefügen.
Auch wenn hier in der Kirche die Osterkerze brennt und das Halleluja diesen liturgischen Raum erobert hat, so ist doch in unserer Gesellschaft für unzählige Menschen ein fortwährender Karfreitag mit Arbeitslosigkeiten, Insolvenzen und Zukunftsängsten geblieben.
Ging es nicht auch „Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus – Zwilling -, Natánael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei anderen von seinen Jüngern“ ebenso?
Sie fanden sich am See von Tiberias wieder, weil am Karfreitag in Jerusalem mit Jesus auch ihre Lebensperspektiven starben. Der Grund, warum sie drei Jahre zuvor am See von Tiberias ihre Boote und Netze hatten liegen lassen, war tot und damit auch ihr Glaube an den neuen Weg.
Die Jünger fingen wieder von vorn an mit dem, was sie konnten – und das hieß: „Ich gehe fischen“. Kein Startup-Erlebnis, sondern ganz nüchtern hieß es gerade im Evangelium: „aber in dieser Nacht fingen sie nichts.“ Ihr persönlicher Shutdown hielt also noch an!
Die Erfahrung von Ostern scheint nicht immer nach dem liturgischen Kalender zu verlaufen, wie auch unsere Tage zeigen…
Der Karfreitag kann unerträglich lang werden, wie sich gegenwärtig gesellschaftlich zeigt und nun die große Solidarität, die wir vor Wochen noch hatten, heftige Risse bekommt und der Blick auf den eigenen Kuchen zunimmt. Die globalisierte Speisekammer scheint gefühlt schneller leer zu werden als gedacht.
Und Karfreitagsaugen werden irgendwann trüb:
„Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“
Auf die Frage nach ihren messbaren Erfolgen kam nur die knappe Antwort: „Nein“!
Nun macht der Nichterkannte den Jüngern mit der Verheißung Mut, es nochmals zu versuchen: Ihr könnt das! Ihr werdet etwas fangen!
Vergemeinschaftet kann das dann heißen: „Wir schaffen das…“
Und siehe, zu was Menschen in der Lage sind, wenn sie erneut anpacken…
Siehe da, wenn Menschen aus dem Nichts als Trümmerfrauen Städte aufbauen oder als Optimisten blühende Landschaften schaffen. Manchmal ist es unglaublich, was Menschen erreichen, wenn sie Verheißungen vertrauen: der Überfluss droht die Netze zu zerreißen und die Zahl 153 – von der ich weiß, dass sie auch eine mystische Bedeutung haben kann – klingt wie steigende Börsenkurse.
Ihren Erfolg wertschätzt Jesus, indem er ihnen sogar sagt: „Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.“
Heißt das nicht, dass unsere Aufbaukräfte gut sind, dass Erfolge nicht fromm missachtet werden dürfen und Optimismus unschätzbar ist…
Der Nachtrag des Johannesevangeliums, der exegetisch das 21. Kapitel darstellt, und der damit zu einer Zeit entstanden ist, als die Kirche, als das Werk der Jünger schon etliche Jahrzehnte wuchs und vermutlich auch erfolgreich war, spricht von einer anderen Speise, die ihnen entgegenkommt und schon längst da ist, als sie an das neue Ufer kommen. Nicht Brot und Wein wie in Emmaus – denn die junge Kirche feiert schon längst die Eucharistie in den Häusern – sondern Jesus hat für die Jünger die zu diesem Zeitpunkt entscheidende Nahrung selbst bereitet:
Zu erkennen in einem Kohlenfeuer, auf dem Fisch und Brot sind.
Das Kohlenfeuer – kann es nicht sprechen von dem brennenden Dornbusch und dem Gott, der sagt „Ich bin der ich bin“?
Und Fisch und Brot – sind es nicht die Gaben der Brotvermehrung, wo Christus gegenwärtig ist, wenn zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln, um das Brot und den Fisch, die „Gaben der Erde und der menschlichen Arbeit“, miteinander zu teilen?
Spricht an diesem dritten Ostersonntag 2020 die Gottesgabe auf dem Kohlenfeuer seiner Gegenwart vielleicht von der Gottesgabe der Geschwisterlichkeit und damit von der Gabe, welche die Pandemie verhindert, die laut Papst Franziskus noch schlimmer ist: der „Virus des gleichgültigen Egoismus“.
„Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicher“ – der Satz stimmt, wenn wir globale Geschwisterlichkeit als Anstiftung unseres gegenwärtigen Gottes leben.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/04/Osterkerze.jpg600450Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-04-27 14:48:222020-04-27 14:48:22Predigt am 3. Ostersonntag (26.04.2020) in der Abtei Königsmünster
Als Jesus am Abend nach seiner Auferstehung den Aposteln erscheint, ist Thomas nicht dabei. Da wird uns kein Grund genannt, warum er nicht da ist. Vermutlich aber will er sich von diesem Kreis absetzen, der ja – seiner Meinung nach – ohnehin dabei ist, sich nach dem Tod des Meisters aufzulösen. Allein fühlt er sich sicherer, denn das gemeinsame Versteck könnte ganz schnell zur Falle werden. Und doch lässt er sich von den anderen noch kontaktieren, die ihm freudig mitteilen: Jesus ist von den Toten auferstanden; er lebt.
Aber der Zweifel in ihm ist stärker als die freudige Mitteilung seiner Mitbrüder. Er kennt sie ja auch alle nur zu gut. Angefangen von Petrus, diesem Maulhelden, den Zebedäus-Brüdern, die immer die erste Geige spielen wollten und deshalb mit Petrus immer sofort um den Meister herumscharwenzelten, den Verzagten am Ölberg und von Judas, dem Verräter und Dieb, den Jesus auch noch gewähren lässt, ganz zu schweigen. Ja, in diesem Kreis hat er nur Schöntuer erlebt, die sich, als es ernst wurde, in Angsthasen und Versager umwandelten. Schon bei der Kreuzigung waren ja fast alle verschwunden, und jetzt sitzen sie die meiste Zeit immer noch hinter verschlossenen Türen. Also: vermutlich alles nur Blöff.
Und doch fühlt er sich durch die erhaltene Neuigkeit getrieben, nochmals diesen Kreis aufzusuchen. Und dieser Kreis gewährt ihm weiterhin Eintritt, ohne ihm Vorwürfe zu machen, wo er abgeblieben war. Und jetzt sieht er mit eigenen Augen, dass ihre Botschaft echt ist. Jesus lebt – er lebt ein neues Leben im Lichte seines Vaters. Ja, diese Schöntuer, Angsthasen, Versager, diese Menschen mit all ihren Fehlern und Schwächen, denen Thomas ja auch nicht nachsteht, die haben die Wahrheit gesprochen. Ja, und genau diese Leute hat Jesus als Zeugen für seine Auferstehung und die damit verbundene Frohbotschaft auserwählt. Und vom auferstandenen Jesus angerührt, kann Thomas nun auch nicht mehr anders, als sich ganz in seinen Dienst zu stellen.
Ich denke, in der Geschichte von Thomas finden wir ein Spiegelbild der Kirche. Ja, in unserer Kirche, aufgegliedert in Gemeinden und Gemeinschaften, sind wir alle Menschen mit Schwächen und Fehlern. Und dennoch ist jeder, der da ehrlich mitmacht, von Jesus gerufen, die Frohbotschaft zu verkünden und seine Liebe weiter zu geben, so wie er damals die Apostel mit ihren Schwächen und Fehlern dazu berufen hat.
Aber weil wir Menschen nun mal so sind, die eigenen Schwächen und Fehler nicht zu sehen oder sehen zu wollen, und das Gute, das andere tun, schon gar nicht, findet man leicht einen Grund, sich von der kirchlichen Gemeinschaft, zu der man gehört, zu distanzieren. So war das ja auch bei Thomas. Und die Schlagworte, die heutzutage über die Kirche ausgebreitet werden, kennen wir ja alle. Wasser predigen und Wein trinken. Prink, Glorie, Geldgier und Karrieresucht statt Dienst am Menschen. Lieblosigkeit statt Liebe, und natürlich Missbrauch statt die Würde des Menschen zu achten. Kurzum: die Kirche ist unglaubwürdig, und Gutes sucht man vergeblich. Da bleibe ich lieber draußen vor der Tür, da bleibe ich lieber bei mir selbst, denn man muss sich ja schämen, dazuzugehören.
Wäre Thomas draußen vor der Tür geblieben, hätte er den Auferstandenen nie erlebt, hätte er sich nie bekehrt, wäre er nie in seinen Dienst getreten und hätte nie das Heil Christi erfahren. Denn der Treffpunkt mit dem Auferstandenen war nicht draußen vor der Tür, sondern inmitten der Gemeinschaft, in dieser Gemeinschaft mit all den Schwächen und Fehlern, aber einer Gemeinschaft, die sich dennoch ganz in den Dienst Jesu gestellt hatte, die sich ganz seiner Führung anvertraut hatte.
So vertraue ich weiterhin der Kirche, dass sie uns durch die Kraft des Heiligen Geistes mit Christus zusammenführen kann, damit wir durch ihn geheiligt werden und zum ewigen Leben beim Vater im Himmel gelangen. Ich vertraue der Kirche, dass sie trotz aller Fehler und Schwächen immer noch wahrheitsgetreu die Hoffnungen, Zusagen und Gebote unseres Herrn Jesus Christus verkündet. Ich vertraue der Kirche, dass sie durch ihr tägliches Gebet und Lobpreis auf den einzigen und wahren Gott hinweist, der Sinn und Ziel unseres Lebens ist. Und ich vertraue, dass die Kirche ihre Tore weiterhin offenhält für alle, die – wie Thomas – unserem Auferstandenen begegnen und in seinen Dienst treten wollen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/NIK0116.jpg845568Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-04-22 15:59:342020-04-22 15:59:34Predigt am 2. Ostersonntag (19.04.2020) in der Abtei Königsmünster
Es ist Ostern und wir dürfen es 50 Tage feiern. Jedes Jahr neu bekennen wir mit einem besonders feierlichen Ton am Ostertag: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!“. Seit einer Woche scheint es, dass wir aus dem liturgischen Feiern nicht mehr herauskommen. So viele Feier- und Festtage mit ihrem je eigenen Schwerpunkt. Was wir da alles feiern – das kann ich schlecht in einem Satz zusammenfassen. Zu viele Bilder und Gefühle aus der letzten Woche bewegen mein Herz. Da muss ich innerlich schmunzelnd an eines meiner ehemaligen Kindergartenkinder aus meiner Heimat Mengeringhausen denken. Ich war vor 26 Jahren Erzieherpraktikant im Anerkennungsjahr, da hatte mir ein sechsjähriger Junge – er heißt auch Benedikt – die festlichen Inhalte der Kar– und Ostertage in der Mengeringhäuser Kirche nach einem Kindergottesdienst zusammenfassend so erklärt: „Erst kommt Jesus mit seinen Kumpels nach Jerusalem. Dann essen wir mit ihm. Danach schlagen wir ihn alle ans Kreuz. Dann ruht er im Grab und steht wieder auf. Bis abends geht er mit Freunden spazieren, erschreckt immer wieder die Jünger am See, und dann fährt er zu seinem Vater auf.“ Dann schaute er auf den Hochaltar. Auf einem der Altarbilder sieht man Jesus in Gethsemane beten und ein Lichtstrahl fällt in dunkler Nacht auf ihn. Der Junge war nun fest überzeugt: „Jetzt weiß ich endlich, an was Jesus gestorben ist. An einem Sonnenbrand!“ Auf den Punkt gebracht. Naja, bis auf die Todesursache. Und abends geht er mit seinen Freunden spazieren – der erste Osterspaziergang. An den Ostern meiner Kindheit gehörte der Osterspaziergang traditionell dazu, und für mich war das immer: ein Stück mit nach Emmaus zu gehen.
Liebe Geschwister! Es ist der Ostertag. Die Jünger sitzen versteckt in ihrem Haus in Jerusalem und haben die Fenster und Türen verschlossen. Sie gehen nicht spazieren. Wie zitternde Angsthasen haben sie sich in ihren Angsthasenbau zurückgezogen. Also kein Osterspaziergang? Doch: Denn zwei Jünger sind auf dem Weg nach Emmaus, weg von Jerusalem, weg von den anderen Jüngern, weg von den Ereignissen der letzten Tage. Sie müssen die Ereignisse der letzten Tage in Jerusalem, das Geschehen um Jesus und sein Sterben, noch verarbeiten. Nicht eine Aufbruchsstimmung ist auf ihrem Weg spürbar, sondern Resignation und Verzweiflung. Es gibt Wegstrecken im menschlichen Leben, die holprig und steinig sind, wo uns der Gegenwind oder ein Virus ins Gesicht bläst. Eine Krankheit oder auch die aktuelle Pandemie kann uns mutlos machen.
Es gibt Lebenswege, da werden wir von Mitmenschen enttäuscht. Es gibt Wegkreuzungen auf unserem Lebensweg, wo uns der Tod eines geliebten Menschen jede Hoffnung nehmen kann. Schwer wird dann der Schritt, und es kommt die Frage auf nach dem „Wohin“ und „Wozu“ und dem „Warum“. Vielleicht ist es den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus ähnlich ergangen. Sie können JERSUALEM, den Ort der Hoffnungslosigkeit, nicht mehr ertragen – der Wind des Schmerzes hat hier in den letzten Tagen zu sehr geweht. Sie kehren der Stadt den Rücken zu. Sie geben auf und fliehen. Versunken in Traurigkeit und Verzweiflung. Denn dieser Jesus von Nazareth, der ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hatte, der die Mitte ihrer Gemeinschaft von Jüngerinnen und Jüngern war, ist ihnen gewaltsam genommen, er wurde ans Kreuz geschlagen. Alles ist zerstört, rabenschwarz, tot. Die dunkle Nacht der Seele. Und noch lange ist jene Nacht nicht vorgedrungen, und es scheint kein Morgenstern und schon gar keine Ostersonne für sie.
Die Trauer macht die beiden Jünger blind. Blind auch für den, der nun zu ihnen kommt – sich zu ihnen gesellt – und den Weg mit ihnen geht. Und doch spüren sie, dass Kraft und Trost von ihm und seinen Worten ausgeht. Christus begleitet uns, ob wir es wahrnehmen oder nicht. ER ist da. Wenn wir Christus zum Gefährten haben, leuchtet im Herz alles in schönerem Licht. Wenn wir ihm glauben und vertrauen, brennt unser Herz wie ein Feuer in dunkler Nacht. Seine Nähe erfüllt unser ganzes Sein. Er wird unsere Hoffnung und unsere Freude – unsere Stärke und unser Licht. Und liegt auch ein mühsamer Weg vor uns, mit Christus als Gefährten können wir diesen Weg getröstet zurücklegen. Seine Liebe und Nähe treibt uns immer neu an, dass wir nicht ermüden. Jesus hat uns versprochen, mit uns zu gehen, jetzt ist ER bei uns. ER hat uns seine Gegenwart versprochen. ER ist jetzt in dieser Feier bei uns und wird in Brot und Wein gegenwärtig. Er trägt uns, auch wenn wir in manchen Situationen unseres Lebens meinen, dass es nicht mehr weitergeht.
Liebe Schwestern und Brüder! Es ist Ostern! Wir sind wie die Jünger von Emmaus noch unterwegs. Aber wir wissen, da ist jemand, der mit uns geht: Jesus Christus. Die Begegnung mit dem Auferstandenen hat die Emmausjünger mit unbeschreiblicher Freude erfüllt. So große Freude, dass sie nicht anders können, als diese Freude zu anderen Menschen zu tragen. Das heutige Evangelium ist eine Anforderung an uns: Uns immer wieder auf die Nähe des HERRN einzulassen, in seiner Nähe Kraft und Freude zu finden und dann Boten der Freude für unsere Mitmenschen zu sein. Die Jünger haben den HERRN im heutigen Evangelium gebeten, bei ihnen zu bleiben. „HERR, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ Der zu Gast Gebetene wird zum Gastgeber. Seine Hände brechen vor ihren Augen das Brot. Und „da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn“. Im Buch Jesus Sirach heißt es. „Er gab ihnen ein Herz zum Denken. Sein Auge setzte er ihnen ins Herz!“ Es hängt davon ab, dass uns die Augen und das Herz aufgehen. Wenn wir Christus geschaut haben, wissen wir, wofür wir leben. Jeder, der seines Herzens Ohr neigt und IHN sucht, der wird auch finden. Der HERR lässt sich nicht vergeblich suchen. Aber es muss ein Suchen sein, das eine Offenheit im Herzen zeigt. Denn: Offenheit ist Voraussetzung für den Augenblick des Erkennens. Ein Erkennen, dass das Herz öffnet und entflammt und das uns sagen lässt: ER ist es. ER, den wir so oft in der Ferne suchen, ohne zu ahnen, dass er unser nächster Begleiter war. Die heilige Gertrud von Helfta hat diese österliche Erfahrung wunderschön so ausgedrückt: „Da fühlte mein Herz, dass du angekommen und in mir gegenwärtig warst.“ Amen, Halleluja!
liebe Schwestern und Brüder unserer Mescheder Gemeinden, liebe Freunde und Förderer, Schwestern und Brüder im Glauben, die Sie heute über den Livestream mit uns verbunden sind!
Drei Begebenheiten der letzten Tage kamen mir bei der Vorbereitung der heutigen Osterpredigt in den Sinn. Drei Erlebnisse, die mich berührt und die sich mir eingeprägt haben.
Am Mittag des Gründonnerstags traf ich in unserer hiesigen Sparkasse eine Bekannte, die ich aufgrund des einzuhaltenden Sicherheitsabstands zunächst gar nicht wahrnahm. Im Vorübergehen rief sie mir zu, ich möge in diesen Tagen besonders an ihre Familie denken, die es schwer getroffen habe. Besonders schwer habe es ihren Bruder getroffen, der, obwohl er eine stabile Gesundheit hatte und aufgrund seiner 56 Lebensjahre auch noch nicht unbedingt zur Risikogruppe gehöre, nun schwer an Covid-19 erkrankt sei und an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen im Krankenhaus auf der Intensivstation läge. Wirkliche Angst konnte ich ihren Worten entnehmen. Lebensangst. Überlebensangst. Ich versprach das Gedenken und das Gebet. Das Gespräch war zu Ende, aber das Gesagte wirkte noch lange in mir fort.
Lebensangst. Überlebensangst. Sie ist mächtig in diesen Tagen!
Die zweite Begebenheit datiert einen Tag – oder auch 2000 Jahre – zuvor. Am Mittwochabend haben wir im Kreis der Brüder den Film „Maria Magdalena“ aus dem Jahre 2018 geschaut. Obwohl die Gestalt der Maria Magdalena sehr zu begeistern vermochte, blieb ich an einem anderen Charakter hängen: Judas. Sehr warmherzig, liebevoll und bedingungslos treu in der Nachfolge wurde Judas im Film gezeichnet. Einer, der die Kraft seiner unbedingten Nachfolge aus der verheißenen Hoffnung der bald schon anbrechenden Königsherrschaft Gottes zieht. In diesem Reich der Liebe und der Gerechtigkeit will er auf ewig wohnen und all seine Lieben wiedersehen, die er so schmerzlich vermisst. Doch wann geht es los? Wann beginnt dieses Reich? Er wird ungeduldig. Lebensangst. Überlebensangst. Er hat Angst, dass seine Hoffnung enttäuscht wird. Er will nachhelfen. Sein Verrat wird hier eher als ein verzweifeltes Anschubsen Jesu dargestellt. Jetzt muss der Messias sich doch endlich offenbaren und seine Königsherrschaft beginnen. Jetzt kann er nicht mehr anders. Judas will es nach seinen menschlichen Vorstellungen verwirklicht wissen. Er hat die Botschaft eben noch nicht verstanden. Und er wird sie innerweltlich auch nicht mehr verstehen, denn der Blick ins leere Grab, die tröstende Begegnung mit dem Auferstandenen ist ihm nicht mehr möglich. Angst. Überlebensangst. Sie war zu mächtig und hat ihm im Letzten das wahre Leben nicht ermöglicht, es am Ende sogar vernichtet.
Der dritte Moment, der sich mir eingeprägt hat, war nochmals einige Tage zuvor. Es war die Aussage einer älteren Frau aus Oberammergau im Rahmen einer Reportage über die abgesagten Passionsspiele. Der Ort und seine Bewohner haben über Jahre in die Leidensgeschichte investiert. Die Passionsspiele sind eine wichtige Einnahmequelle für das kleine oberbayrische Dorf. Über die Hälfte der Bevölkerung steht mehrere Monate auf der Bühne, um das Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu getreu einem über 380 Jahre alten Pestgelöbnis darzustellen. Nun sind die Passionsspiele abgesagt und auf 2022 verschoben. Die Reportage zeigte in diesem Zusammenhang auch eine junge Muslima, die der besagten älteren Dame ihre benötigten Lebensmittel vor die Haustür stellte. Der Dank und die Freude über die aktuelle Hilfsbereitschaft der Dorfbevölkerung – insbesondere der jungen Muslima – brachte die ältere Dame vor laufender Kamera zum Weinen: „So lange schon lebe ich hier, so viele Passionsspiele habe ich miterlebt, aber erst jetzt, da sie abgesagt werden mussten, habe ich in dieser jungen Frau zum ersten Mal die barmherzige Liebe Gottes wirklich erfahren dürfen.“ Ein Satz, der nachdenklich macht.
Was verbindet diese drei Begebenheiten miteinander? Auf den ersten Blick ist es die Angst einzelner Menschen. Angst. Überlebensangst.
Über die Angst zu sprechen, fällt an diesem Osterfest, das durch Kontaktverbot, abgesagte gesellschaftliche Ereignisse, fehlende Familienbesuche und Gottesdienste hinter verschlossenen Kirchentüren geprägt ist, nicht schwer. Die Angst überschattet unseren Alltag in Deutschland seit nunmehr vier Wochen.
Mit dieser Angst und Unsicherheit sind wir durchaus auch im Kern des heutigen Osterevangeliums. Im noch diffusen Licht des frühen Ostermorgens kommt Maria von Magdala zum Grab und findet den Stein weggewälzt. Es ist die Angst um den geliebten Meister, die sie schnell zu den Jüngern laufen lässt, die Angst und Unsicherheit um den Verbleib ihres Herrn, der sie rennen lässt. Überhaupt ist hier viel von Bewegung die Rede, denn nun rennen die Jünger ihrerseits zum Grab. Der Evangelist beschreibt es wie einen Wettlauf, denn wir hören, wer schneller ist und zuerst ankommt. Angst kann zu Aktionismus führen, der aber nicht ans Ziel bringt, solange das Vertrauen und die Hoffnung fehlen. Petrus, der zwar langsamer ist und später am Grab ankommt, traut sich dagegen hinein in das Grab, hinein in die dunkle Ungewissheit. Die Hoffnung, den Worten Jesu trauen zu dürfen, dass der Tod nicht das Ende ist, trägt ihn in die Grabkammer hinein, und aus der Ungewissheit und Angst kann österliches Licht aufstrahlen. Das ängstliche und verschlossene Herz wird weit und die Selbstbezogenheit öffnet sich zum anderen hin. Die eigene Auferstehung beginnt. Das nimmt auch der andere Jünger wahr und traut sich jetzt ebenfalls hinein. „Er sah und glaubte“ berichtet uns das Evangelium. Den Auferstandenen selber sehen sie zwar noch nicht, aber der Glaube an die Worte ihres Meisters trägt jetzt wieder und wird mächtiger als die Angst, die sie bisher gefangen hielt. Auferstehung ist eben nicht das große Zauberkunststück oder die Effekthascherei mancher Zeitgenossen. Auferstehung beginnt zaghaft, eben im noch diffusen Licht des Ostermorgens. Auferstehung beginnt dort, wo ich der Botschaft Jesu wieder traue, wo meine Hoffnung und mein Glaube wieder stärker werden als die Angst. Dann kann so vieles um mich herum wieder heller und leichter werden, dann kann die österliche Sonne wirklich strahlen und mein Leben bis in den letzten dunklen Winkel hinein erhellen. Das ist Ostern, das ist Auferstehung!
Papst Franziskus drückte es bei seiner Video-Generalaudienz am vergangenen Mittwoch so aus:
„Gott ist allmächtig in der Liebe und nicht anders. Es ist seine Natur, er ist so. Er ist die Liebe. Du könntest einwenden: „Was will ich mit einem so schwachen Gott, der stirbt? Ich würde einen starken und mächtigen Gott vorziehen.“ Aber wisse: Alle Macht der Welt vergeht, doch die Liebe bleibt. Nur die Liebe wacht über das Leben, das wir haben, denn sie umarmt unsere Schwächen und verwandelt sie. Es ist die Liebe Gottes, die zu Ostern unsere Sünde durch seine Vergebung tilgte, die den Tod zu einem Übergang zum Leben machte, die unsere Angst in Vertrauen, unsere Verzweiflung in Hoffnung verwandelte. Ostern sagt uns, dass Gott alles zum Guten wenden kann.“
Noch einmal zurück zu den drei Begebenheiten, die ich eingangs erzählte. Was verbindet sie? Es ist nur auf den ersten Blick die Angst. Genauer betrachtet verbindet sie die Sehnsucht nach Leben!
Die Sehnsucht meiner Bekannten, dass der geliebte Bruder die schwere Corona-Erkrankung übersteht.
Die Sehnsucht des Judas, dass die Gerechtigkeit des verheißenen Gottesreiches endlich anbricht.
Die Sehnsucht der älteren Dame aus Oberammergau, die so oft gespielte Passion als Lebenswirklichkeit in der Gemeinschaft ihres Ortes am eigenen Leibe erfahren zu dürfen.
Das ist Ostern, das ist Auferstehung!
Beginnen wir, liebe Schwestern und Brüder, noch heute mit unserer eigenen Auferstehung aus den dunklen Grabkammern unserer Ängste und vertrauen wir darauf, dass Gott wirklich alles zum Guten wenden kann. Spüren wir neu unsere eigene Sehnsucht nach Leben!
Dann kann es Ostern werden – auch in dieser schweren Zeit.
Meine lieben Brüder und Schwestern, die Sie über das Internet mit uns verbunden sind, meine lieben Brüder hier in der Abtei!
Am Osterfest geht es immer um Leben und Tod! Am Osterfest 2020 geht es in besonderer Weise um Leben und Tod, oder besser gesagt um Tod und Leben!
Es ist eine Folge der Globalisierung – und noch nie dagewesen -, dass eine Viruserkrankung, die sehr viele Todesopfer fordert, sich so rasant ausbreitet: Sie macht vor keinem Erdteil, vor keiner Nation halt. Sie unterscheidet nicht zwischen hochentwickelten und weniger entwickelten Ländern. Corona betrifft alle Menschen – ohne Ausnahme: Die Infizierten und die Nicht-Infizierten, die noch Lebenden und die schon Verstorbenen.
Der Münsteraner Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz sprach schon vor Jahren davon, dass sich die Menschheit in einer allumfassenden „Koalition der Lebenden und der Toten“ befindet. Er stellt „eine Gleichheit aller Menschen unter Berücksichtigung der unterschiedlichsten Lebens- und Handlungsbedingungen“ fest. Metz sieht diese Gleichheit als Folge einer „rettenden Gottesgerechtigkeit“.
Und da sind wir wieder beim Thema „Ostern“.
„Es gibt kein Leid in der Welt, das uns nicht angeht.“ Diese elementare und solidarische Gleichheit aller Menschen zielt auf „die Anerkennung einer Autorität, die allen Menschen zugänglich und zumutbar ist, auf die Autorität der Leidenden, der ungerecht und unschuldig leidenden Opfer.“ Alle Leidenden haben uns etwas zu sagen, haben eine Botschaft auch ohne große Worte.
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Wie hätte Jesus darauf reagiert? Wir wissen, dass er sich überwiegend in Gleichnissen, weniger in dogmatischen Sätzen äußerte. Im Johannesevangelium stoßen wir – kurz vor seiner eigenen Leidensgeschichte – auf ein Bildwort aus dem bäuerlichen Milieu seiner Zeit: „Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Joh. 12, 24) Jesus beschreibt einen biologischen Vorgang, der jedem seiner Zuhörer geläufig ist: Wenn nach der winterlichen Ruhepause die Natur sich regt und alles wieder sprießt und sprosst: Frühjahr, eine Zeit des beginnenden Lebens! Darauf kann man sich verlassen: Leben – Sterben – Leben — Leben – Tod – Geburt.
Genauso stellten sich die griechischen Philosophen den „Kosmos“ vor. Platon wusste um das lebendige Walten der Physis: Werden und Vergehen – Anwesen und Abwesen – Wachsen und Sterben. Für die Antike war der Mensch fester Bestandteil dieses Kosmos; auf Augenhöhe mit Flora und Fauna, in Harmonie mit Pflanzen und Tieren inklusive ihrer Vergänglichkeit. Kosmos konnte nur einen göttlichen Ursprung haben. Auch die intellektuellen Juden zur Zeit Jesu wussten darum.
Heute ist dies anscheinend alles unvorstellbar geworden. Schon lange haben sich die meisten modernen Menschen vom Kosmos emanzipiert, „befreit“ und sich in und mit einer mechanisch-technischen Weltanschauung eingerichtet.
Dass menschliches Sterben nicht nur ein biologischer Vorgang ist, weiß auch Jesus: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ (Joh. 12, 25) Der Inhalt des christlichen Osterfestes bleibt paradox: Wir leben nicht unserem Tod entgegen, sondern wir sterben unserem Leben entgegen. Wir wechseln im Sterben unsere Lebensform, doch wir werden nicht zerstört.
Übrigens hat Pythagoras (570 – 510 v.Chr.) die Lehre der Unsterblichkeit der Seele aus Ägypten nach Hellas importiert. Denn in der Frömmigkeit der alten Griechen findet man nicht den geringsten Hinweis auf ein Fortleben der Seele nach dem Tod.
Die praktische Seelsorge beschränkt sich derzeit auf Beerdigungen direkt am Grab im engsten Familienkreis. Ich hatte also in den letzten Wochen viel Zeit zur Muße. Bei gutem Wetter sitze ich dann auf der runden Bank in unserem Garten, rauche eine Zigarre und beobachte den kleinen frühlingshaften Kosmos auf dem Klosterberg: Die eiweißreichen Kerne eines jeden Samenkorns verzehren sich zugunsten einer neuen Pflanze; alles sprießt und sprosst; „wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Die verschiedenen Vogelarten liefern sich Revierkämpfe und zeigen Balzrituale. Bruder Isidors Mutterschafe führen ihre Lämmer aus. Ein Bild des Lebens! Keine Corona-Panik! Ein Gleichnis für den inneren und äußeren Frieden der Menschen.
Vielleicht brechen wir innerlich auf – wo wir an diesem Osterfest ja nicht weg können – und machen uns auf die Suche nach der verlorenen Harmonie und lernen wieder den Kosmos bewusst wahrzunehmen.
Tiere und Pflanzen machen uns vor identisch zu leben. Auf ihre Art hat Ute Latendorf die österliche Botschaft in einem Gedicht beschrieben:
Leben lernen
Von der Sonne lernen, zu wärmen,
von den Wolken lernen, leicht zu schweben.
Von dem Wind lernen, Anstöße zu geben,
Von den Vögeln lernen, Höhe zu gewinnen,
Von den Bäumen lernen, standhaft zu sein.
Von den Blumen das Leuchten lernen,
Von den Steinen das Bleiben lernen,
Von den Büschen im Frühling Erneuerung lernen,
Von den Blättern im Herbst das Fallenlassen lernen,
Vom Sturm die Leidenschaft lernen.
Vom Regen lernen, sich zu verströmen,
Von der Erde lernen, mütterlich zu sein.
Vom Mond lernen, sich zu verändern,
Von den Sternen lernen, einer von vielen zu sein,
Von den Jahreszeiten lernen, dass das Leben immer von Neuem beginnt.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/04/Osterglocke.jpg600450Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-04-12 20:33:072020-04-12 20:37:40Predigt in der Osternacht am 11.04.2020
Liebe Brüder hier in der Abteikirche,
liebe Schwestern und Brüder, die Sie vom Bildschirm aus mit uns die Karfreitagsliturgie feiern!
An diesem Karfreitag strahlt zwar draußen die Sonne, doch unsere Feier wird überschattet von Vorsichtsmaßnahmen, die mit der Covid-19 Pandemie zusammenhängen. Es ist sehr schade, dass Sie, die Kirchengemeinden und wir Mönche hier, dieses für unseren Glauben zentrale Fest nicht gemeinsam im Kirchenraum begehen können, so wie wir es gewohnt sind, und das gilt auch für Ostern, den Tag der Auferstehung. Das beeinträchtigt sehr wohl das unmittelbare Erleben.
Was bleibt dann von dem Kern eines starken Glaubensereignisses an diesem hohen Feiertag noch übrig, wenn wir in einer zugesperrten Kirche zusammenkommen und die anderen nur über das Internet dabei sein können?
Anders gefragt: Was steht jetzt in dieser Stunde im Mittelpunkt der Karfreitagsliturgie? Es ist das Gedenken an Christi heilsames Leiden und Sterben und an seine Auferstehung. Gerade jetzt angesichts der bedrohlichen Lage sind wir darauf angewiesen, nach dem tragenden Grund unseres Glaubens und unserer Hoffnung zu fragen. Jesus sichert seinen Jüngern zu: „Wo zwei oder drei in meinen Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Über die Zeiten hinweg kommt er zu uns, wir sind nicht passive Zuschauer, sondern werden in seine Gegenwart hineingeholt. Wir schauen auf ihn und werden so Zeugen all dessen, was mit ihm geschehen ist.
Denn soeben haben wir die Leidensgeschichte nach dem Johannesevangelium gehört, und wieder einmal läuft dann das dramatische Geschehen der letzten beiden Tage Jesu von Nazareth vor unserem inneren Auge ab. Es geht dabei um mehr als eine Erzählung des beklagenswerten Todes eines großen Menschen, der vor zwei Jahrtausenden zu Unrecht verurteilt und hingerichtet worden ist. Wir schauen auf den Durchbohrten, betrachten seinen letzten Weg, und versuchen zu verstehen, was sein letzter Gang für uns bedeutet. Wir schauen auch auf die beteiligten Personen: welche Rolle haben jene gespielt, die in die Passionsgeschichte verwickelt sind? Seine Mutter, seine Jüngerinnen und Jünger, seine Feinde und Gegner, die Mächtigen wie Pilatus und König Herodes, und die Vertreter des jüdischen Volkes, dann die namenlosen Randfiguren, die Soldaten und alle jene, die auch noch zufällig mit in diese Geschichte hineingeraten, etwa Simon aus Zyrene und die beiden Verbrecher, die links und rechts neben dem Unschuldigen am Kreuz aufgehängt werden.
An jedem einzelnen von ihnen wird deutlich, wie Menschen mit der Passion Jesu umgehen, wie sie darauf reagieren. Wir können an ihnen auf unsere eigenen Reaktionsweisen stoßen. Vielleicht gibt es jemanden unter ihnen, mit dem ich mich in irgendeiner Weise identifizieren kann?
Keine dieser Gestalten ist unwichtig, bedeutungslos. Nehmen wir nur die beiden Mitgekreuzigten. In den Evangelien werden sie Räuber, Verbrecher, Übeltäter genannt, wir sagen heute Kriminelle, vielleicht Terroristen. Es ist nicht von Belang, was sie verbrochen haben und warum sie rechtmäßig zum Tode verurteilt worden sind. Nur dass sie Jesus in der Stunde seines Sterbens räumlich am nächsten waren, sein Kreuz links und rechts flankierten, Jesus also in ihre Mitte kam. Das war natürlich kein Ehrenplatz. Ihn so zu positionieren hieß, ihn als Verbrecher einzustufen und verächtlich zu machen. Dorthin hat ihn seine Sendung, seine Berufung geführt, dort ist er gelandet mit seinem Einsatz für das Heil der Menschen. Nun erntet er Schimpf und Schande. Er wird zum Spielball seiner Gegner, zum Abscheu für die religiös Reinen mit ihren fixen Vorstellungen von Gott, die sie pflegen, um nicht wirklich an Gott glauben zu müssen. Auch die beiden Mitgekreuzigten reagieren auf diesen Menschen in ihrer Mitte, der allerdings aus ganz anderen Gründen als sie hingerichtet wird. Das Lukasevangelium lässt einen der zwei Kriminellen in die Verhöhnung der Schaulustigen um ihn herum einstimmen, der andere dagegen öffnet sich für die menschgewordene Liebe Gottes an seiner Seite und bittet um das ewige Leben. Es ist unbegreiflich, was da in dieser Begegnung passiert. Noch im Sterben wendet sich Jesus ihm zu, offenbart seine erbarmende Liebe zum Sünder, indem er ihm, allen Begleitumständen zum Trotz, verheißt, umgewandelt zu werden und bald im Paradies zu sein.
Diese Episode kennt das Johannesevangelium nicht, sondern erwähnt nur die Tatsache, dass Jesus zusammen mit zwei Verbrechern gekreuzigt worden ist. Das aber nicht der Vollständigkeit halber, quasi aus protokollarischen Gründen, sondern um ganz deutlich zu betonen, dass der Gekreuzigte in jene Zone gerät, wo menschliche Würde nicht mehr zählt. Diesen letzten Akt seines Lebens lässt Jesus nicht einfach stumpf und passiv über sich ergehen als sei er nur von äußeren Mächten aufgezwungen. Vielmehr lässt er sich unter die Verbrecher zählen, um in allem uns gleich zu sein, außer der Sünde. Er nimmt den letzten Platz bewusst an. Er nimmt ebenso die Folgen menschlichen Fehlverhaltens auf sich. Er erlebt an sich selbst, was es heißt, auf die unterste Stufe herabzufallen, ohne Solidarität schutzlos da zu stehen. Anscheinend gibt es keinen Unterschied zwischen ihm und den Sündern. Er ist es, der sich mit ihnen solidarisiert. Er nimmt an der Not ihrer Zweifel teil, an dem Gefühl, dass alles sinnlos zu sein scheint, wird im Ölberg von der Angst gepackt und muss durch das Dunkel der Gottesferne hindurch. “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Weil Jesu alles loslässt, erreicht Gottes Gnade den tiefsten Punkt des Menschlichen, dringt in den Abgrund menschlichen Dunkels vor, um es dort in Jesus selbst zu heilen und in göttliches Licht zu verwandeln.
Das tiefste Dunkel aber ist der Tod. Deshalb ist es die Überzeugung der Kirche, dass Jesus in das Reich des Todes herabgestiegen ist, wie es das Apostolische Glaubensbekenntnis formuliert. Gott hat keine Erlösung von oben herab verordnet oder einen Schalter umgelegt, sondern aus der Tiefe und von innen her den in sich verschlossenen Menschen an seinem tiefsten Punkt aufgesucht. Wie sehr es Jesus verlangt hat, den Menschen aus seiner selbstgewählten Quarantäne zu befreien, sehen wir am Kreuz. Auch die Ängste, in denen Menschen gefangen sind angesichts der eigenen Verfehlungen oder leidvoller Schicksalsschläge, können das göttliche Wirken nicht aufhalten.
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir doch wirklich verstehen könnten, was uns in der Stunde der Krise und Angst entgegenkommt an göttlicher Langmut, an Milde, an lebensspendender Kraft! Wo uns doch nicht nur das Evangelium, sondern auch die Erfahrung vieler Menschen bezeugt, dass Gott ausgerechnet in der Stunde der Not den Abstand zu uns überwindet, und dort uns nahe kommt, wo wie es am wenigsten vermuten. Lasst uns daher das Kreuz verehren, auf den Durchbohrten schauen und uns aufschließen lassen für das österliche Leben.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/04/Karfreitag.jpg600398Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-04-10 17:00:392020-04-10 17:27:39Predigt an Karfreitag am 10.04.2020
„Freiheit, Freiheit – ist die einzige, die fehlt“. So, liebe Schwestern und Brüder, heißt es in einer bekannten Rockballade von Marius Müller-Westernhagen, die zu einer Art Hymne der Befreiung von der DDR-Diktatur und der deutschen Wiedervereinigung wurde. Freiheit, Freiheit ist ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen, eine tiefe Sehnsucht in jedem von uns. Frei zu sein von inneren und äußeren Zwängen, frei zu sein von Sorgen und Ängsten, frei zu sein, das zu tun, was man will und was einem wichtig ist, frei zu sein, sich selbst zu verwirklichen, seinen eigenen Weg zu gehen und Glück, Erfüllung, Sinn und Frieden zu finden. Und es schmerzt uns oder wird gar unerträglich, wenn sie fehlt, die Freiheit.
Und sie fehlt uns in diesen Tagen und Wochen der Corona-Krise ganz deutlich. Wir sind zurzeit stark eingeschränkt.
Vieles ist gerade nicht möglich, nicht erlaubt. Durch staatliche Anordnungen verboten. Die sind zwar sinnvoll und
notwendig, aber trotzdem macht es uns das Leben mitunter schwer. Wir müssen Distanz zueinander wahren, auch wenn wir gerade jetzt das Bedürfnis nach Nähe verspüren. Und viele von uns sind in diesen Tagen sicher auch nicht frei von Sorgen und Ängsten.
Doch wie frei waren wir eigentlich vor Corona? Wie frei waren und sind wir in einer Welt, in der Werbung und Medien uns subtil manipulieren und einflüstern, was wir alles brauchen, um glücklich zu sein, um „jemand“ zu sein? Wie frei sind wir in einer Welt, in der die Wirtschaft in hohem und zunehmenden Maße die Politik und Gesetzgebung bestimmt, in der es immer mehr nur um Gewinnmaximierung geht und der einzelne Mensch zum Mittel zum Zweck degradiert wird, in der die Kluft zwischen reich und arm immer größer wird, in der die soziale Marktwirtschaft immer mehr zu einem unmenschlichen und gnadenlosen Kapitalismus verkommt. Wie frei sind wir in einer Welt, in der unsere Demokratien, die doch für unsere Freiheit sorgen, immer stärker gefährdet sind, weil rechtspopulistische Ideen und Gruppen immer mehr Gehör und Anhänger finden und unsere Gesellschaften immer stärker gespalten und zerrissen sind, in der ein friedliches Zusammenleben und geteilter Wohlstand bedroht werden,
weil es vielen Nationen anscheinend nur noch um die eigenen Interessen geht und aus dem Blick gerät, dass wir Menschen alle Teil ein weltweiten Schicksalsgemeinschaft sind, Schwestern und Brüder.
Vieles wird uns jetzt in dieser Krise deutlich und erfährt eine erste Korrektur. Wir besinnen uns wieder darauf, was wirklich wichtig ist im Leben. Solidarität, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe nehmen wieder spürbar zu. Sind das nicht schon erste Schritte auf dem Weg zu mehr Freiheit? Und es gibt Stimmen, die sagen, die Krise muss noch ein wenig länger dauern, damit wir wirklich dauerhaft daraus lernen und unsere Welt sich dadurch nachhaltig zum Positiven verändert, auch wenn das für manche zynisch klingen mag. Doch warum rede ich die ganze Zeit von Freiheit? Weil mir dieses Thema aus den heutigen Lesungen sehr deutlich entgegenkommt. Und weil sie uns viel Ermutigendes dazu zu sagen haben.
Da ist das Volk Israel, das in Ägypten unterdrückt wird und versklavt ist. Doch Gott lässt sein Volk nicht im Stich. Er
offenbart sich dem Mose als der Ich bin da, der das Elend seines Volkes sieht und sein Leid kennt, der die Initiative
ergreift, um an der Seite der Israeliten gegen ihre Unterdrücker zu kämpfen und sie aus der Knechtschaft in die Freiheit zu führen. Direkt vor dem Aufbruch in die Freiheit stärkt sich das Volk nach göttlicher Anordnung mit einem gemeinsamen besonderen Mahl, dem Pessach- oder Paschamahl. Wir haben davon in der Lesung gehört. Das Pessachmahl ist also ein Mahl der Befreiung, in dem der Glaube, dass Gott all denen nahe ist, die in Unfreiheit leben und die leiden, lebendig wird.
Heute gedenken wir insbesondere des letzten Abendmahls, das Jesus mit seinen Jüngern gehalten hat. Hier hat Jesus, der Immanuel, der Gott mit uns, diesem Pessachmahl eine neue Bedeutung verliehen, indem er es mit seiner eigenen Lebenshingabe verbunden und uns als wertvolle Erinnerung daran hinterlassen hat. So erinnert uns dieses Mahl daran, wie unermesslich die Liebe Gottes ist, mit der er uns liebt, bedingungslos. Eine Liebe, die bis zum letzten geht, in der sich Gott in Jesus selbst ganz und gar hingibt. Es ist, wie das Exsultet in der Osternacht besingen wird, die „unbegreifliche Liebe des Vaters, die den Sohn dahingibt, um den Knecht zu erlösen“. Ja, Gott hat das Elend der Menschen, unser Elend gesehen. Wir sind verstrickt und gefangen in den Strukturen des Bösen, der Sünde. Wir leiden darunter und haben selbst Anteil daran. Eine Sünde verursacht die nächste. Eine Aktion zieht die nächste Re-aktion nach sich. Ein Teufelskreis. Durch seinen Tod am Kreuz, durch sein Opfer, hat Jesus uns daraus befreit. Er hat die Macht der Sünde für uns durchbrochen, indem er auf die Gewalt nicht mit Gegengewalt geantwortet hat, sondern sie aus Liebe scheinbar ohnmächtig erlitten hat.
Und wenn ich Gott seine maßlose Liebe zu mir glaube, und erkenne, was er am Kreuz für mich getan hat, – und das bringen wir in jeder Eucharistiefeier zum Ausdruck – dann wird mich das innerlich frei machen. Frei von Angst und Sorge, weil ich dann keine Angst mehr um mich selbst, mein kleines, oft so schnell gekränktes und eitles Ego haben muss. Denn dann weiß ich mich ja vollkommen umfangen und getragen von der Liebe Gottes, die alles Verstehen übersteigt. Dann stehe ich auch nicht mehr unter dem Zwang, mich selbst verwirklichen zu müssen, womöglich auf Kosten anderer, sondern dann wird es mir ein inneres Bedürfnis sein, auf diese Liebe mit meiner Liebe zu antworten, mich selbst in Liebe an Gott und die Menschen hinzugeben. Und gerade darin, indem ich mich selbst loslasse und hingebe, werde ich mich selbst finden, mich selbst verwirklichen, weil Gott uns als sein Ebenbild so angelegt hat, als Mitliebende, weil es unserer tiefsten Wahrheit entspricht. Und ich werde dabei Jesus ganz nahe sein, weil ich ihm dann nacheifere, in seinen Spuren gehe.
Er lebte ganz aus dieser Liebe Gottes. Er wusste sich in dieser Liebe ganz geborgen. Im Evangelium heißt es, dass Jesus „wusste, dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte.“ Und deswegen war er innerlich ganz frei und konnte alles loslassen. Deswegen konnte er zum Sklaven werden, indem er, der Meister und Herr, seinen Jüngern die Füße wusch. Und deswegen konnte er zuletzt auch sein Leben loslassen. Das Mahl der Liebe, das Jesus uns hinterlassen und in dem er seinen Tod vorweggenommen hat, und das Beispiel seines Dienstes an uns im Zeichen der Fußwaschung, will uns frei machen. Frei von allen inneren Zwängen, von aller Angst und Sorge, ja, selbst von der Angst vor dem Tod, und frei zum Dienen, frei mich selbst loszulassen. Wenn wir also ernsthaft glauben, was wir heute und in diesen Tagen feiern, oder zumindest es immer mehr glauben, dann wird es uns, dann
wird es die Welt verändern. Der heutige Tag und auch die nächsten Tage wollen uns in diesem Glauben stärken. Öffnen wir uns für diese Botschaft! Öffnen wir dafür nicht nur unseren Verstand, sondern auch unsere Herzen, damit dieser Glaube uns wirklich ganz durchdringen und erfüllen kann!
Und so möchte ich Ihnen am Schluss meiner Predigt die letzten Zeilen des Liedes „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen mitgeben, die lauten: „Alle die von Freiheit träumen, sollen’s Feiern nicht versäumen, sollen tanzen auch auf Gräbern, Freiheit …“
Ja, Feiern und Tanzen, heute, am Gründonnerstag noch verhalten und Ostern dann aus ganzem, aus freiem Herzen!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/130830_Königsmünster_450.jpg563845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-04-09 19:00:542020-04-09 16:50:47Predigt an Gründonnerstag am 09.04.2020
An den Sonntagen der österlichen Bußzeit kommen in der Eucharistiefeier im Lesejahr A Passagen aus dem Johannesevangelium zum Vortrag. Dieses Evangelium wird auch das mystische genannt, ein Evangelium, das in Gänze sozusagen vom Glanz der Göttlichkeit Christi erstrahlt. Es spielte schon immer in der Liturgie der Fasten- und Passionszeit eine gewichtige Rolle. Die Reihe der teils ungewohnt langen und zugleich faszinierenden Perikopen richtete sich zuerst an die Katechumenen, an Frauen und Männer also, die auf ihre christliche Initiation in der Feier der Osternacht zugingen. Sie richtete sich auch an Christen, die mit einer schweren Schuld beladen als Poenitenten auf dem Weg der Wiederversöhnung waren. Ebenso richteten und richten sich diese Passagen des Johannesevangeliums an uns alle, denn unser Glaube kann nur als immerwährender Anfängergeist und im Geist steter Versöhnung lebendig bleiben.
Am dritten Fastensonntag hörten wir von der Verheißung lebendigen Wassers, die Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen offenbart. Wir alle sind mit dieser Frau aus Samarien gemeint. Jedem von uns will sich das doppelte Geheimnis des Durstes erschließen – des Durstes Christi, den es sozusagen nach dem Durst unserer Seelen dürstet, nach der tiefsten Sehnsucht des Menschen, die sich im Verfließen der Zeit allein aus der ursprünglichen Quelle der Ewigkeit stillen lässt. An ihr dürfen wir schon jetzt wieder und wieder zur inneren Ruhe kommen – und dessen bedürfen wir doch in diesen Tagen.
Am vierten Fastensonntag erfuhren wir vom Drama des blindgeborenen Mannes, dem Jesus mit dem Augenlicht auch eine neue Lebenssicht schenkte. Wir Menschen sind wie blindgeboren, doch ist jedem von uns das Licht Christi – der neue Blick – verheißen. Wahrhaftig erhellende Sichtweisen tun besonders in widerwärtiger Gegenwart not und sie können sich auftun im nüchternen Vertrauen gläubiger Herzen.
Heute, am fünften Fastensonntag, begegnen wir einem eindrucksvoll menschlichen Jesus, einem berührbaren, innerlich erregten und weinenden Mann auf dem Weg zum Grab seines geliebten Freundes, der nach vier Tagen schon zu stinken beginnt, wie es die Lutherbibel drastisch ins Wort fasst. Wir alle sind sterblich. Auch wenn es uns stinkt, wir sind definitiv „die Sterblichen“, wie in der Antike die Menschen genannt wurden – im Unterschied zu den unsterblichen Göttern. Jeder von uns ist in vielerlei Binden eng gebunden, in Bindungen der Angst, die uns bisweilen erstarren lässt. Immer wieder einmal sind einem Augen und Mund verdeckt vom Schweißtuch unserer Nöte, man will sie nicht anschauen oder darüber sprechen und irgendwann fühlt man sich geradezu eingeschlossen in die Einsamkeit – wie in eine Grabeshöhle.
Mit „Lazarus im Grab“ sind wir gemeint und zu uns als seinen geliebten Freunden ist Jesus auf dem Weg. Auch uns will derzeit – unter den gegebenen lebensfeindlichen Umständen – der Ruf der Auferstehung Christi auferwecken: zum Leben und zur Lebensfreude oder verhaltener gesagt zur Lebensfreundlichkeit in Wort und Tat … Ich wünsche sie uns derzeit von Herzen.
Das als erster Hinweis – und noch kurz zwei weitere auf zwei andere Texte der Liturgie dieses Sonntags:
Hören wir zunächst mit den gespannten Ohren des Anfängergeistes von Katechumenen und mit den auf das versöhnende Wort lauschenden Ohren von Poenitenten noch einmal die großartige Prophetie des Ezechiel in der heutigen Lesung: So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. … Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig … Ich habe gesprochen und ich führe es aus – Spruch des HERRN. Diese Verheißung, einst erfüllt in der Auferweckung des Lazarus, will sich wieder und wieder erfüllen in der Geschichte der Menschheit und in den vielen Geschichten der Einzelschicksale. Wir sollen und dürfen lernen, die Geschicke der Welt und unseres eigenen Erdendaseins wie Katechumenen ganz neu zu sehen oder wie Poenitenten von Grund auf erneuert auch zu verstehen, und das schon jetzt und Tag für Tag … Dann werden wir es auch bald feiern können – im Licht der Nacht der Auferstehung Christi, jener Ostervigil, die der heilige Augustinus die „Mutter aller Vigilien“ genannt hat.
Und noch zuletzt – lasst uns nachher in gleicher Haltung die Communio der heutigen Messe singen. Sie ist zweifellos eine der machtvollsten Verflechtungen von Text und Melodie im Repertoire der lateinischen Liturgie. „Als der HERR sah, daß die Schwestern des Lazarus am Grab weinten, da brach er in Tränen aus vor den Juden und rief: ‚Lazarus, komm heraus!‘ Da kam er heraus; Hände und Füße waren mit Binden umwunden; seit vier Tagen war er tot gewesen.“ Jede Beschreibung dieses Gesangs greift zu kurz. Es genügt, ihn zu singen. Er erschließt sich von selbst und öffnet mir das Herz, wenn ich nur die impressive, expressive Kraft des Rufes Christi nicht scheue, dieses „Lazare, veni foras!“, mit dem er jeden von uns aus seinem Grab ruft – und auch das gilt heute.
FÜRBITTEN
Herr Jesus Christus, du rufst uns auf, zu glauben und auf dein Wort zu vertrauen. Es fällt uns oft schwer. Doch du versprichst uns neues Leben. So bitten wir dich:
Für die Corona-Patienten und alle Kranken, die körperliche und seelische Schmerzen ertragen müssen. – Christus, höre uns. Alle: Christus, erhöre uns.
Für alle, die in Pflege und medizinischer Betreuung an die Grenzen ihrer Kraft geraten. – Christus, …
Für alle, die an ihren Arbeitsplätzen weiter ihre Pflicht tun, und für alle, die nicht mehr arbeiten dürfen. – Christus, …
Für alle, die auf engstem Raum mit ungewohnten Herausforderungen fertig werden müssen. – Christus, …
Für alle von Ängsten Geplagten und für alle im Glauben Erschütterten. – Christus, …
Für alle, die neue Wege des Miteinanders suchen und wagen. – Christus, …
Für alle, die wir in diesen Tagen aus dem Blick verlieren, weil uns die eigene Not zu sehr plagt. – Christus, …
Für uns selbst und unsere Lieben, die Lebenden und die Verstorbenen. – Christus, …
Gott, führe uns aus der Bedrängnis. Hauche uns deinen Geist ein, damit wir leben. Das erbitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn und unseren Herrn. – A: Amen.
„Welche Freiheit haben wir vor Tagen noch genossen. Die Freiheit zu sein, die Freiheit zu feiern, die Freiheit zu lieben, zu küssen, zu umarmen, die Freiheit zu gehen, wohin und wann wir wollten, und die Freiheit das Risiko zu tragen, uns an jedem Ort und bei jedem Kontakt mit irgendetwas zu infizieren.
Nun ist die Freiheit für den Augenblick verloren. Verloren, bis eine Krise beendet ist, deren Verlauf wir nicht kennen und deren Ende ungewiss ist. Die Maßnahmen sind hart und vernünftig. Schulen werden geschlossen und Kneipen gleich mit. Parties müssen abgesagt werden und Gottesdienste dürfen nicht mehr stattfinden. Das öffentliche Leben wird immer weiter lahmgelegt.“
So beschreibt es der Politikwissenschaftler Erik Flügge im gerade digital erschienen Büchlein Freiheit und Pandemie. Eine Erinnerung an das Leben danach.
„Die Unterbrechung unseres Lebens mag Wochen oder Monate dauern,“ schreibt er weiter, „und dennoch muss sie eine Unterbrechung bleiben. Denken Sie nur einige Zeit voraus. Wenn in Monaten endlich die Entwarnung gegeben wird, dass es geschafft ist. Dann wird die Diskussion los gehen. Wir werden uns die Frage stellen, was wir aus der Pandemie gelernt haben. Wie wir uns verändern wollen als Gesellschaft.“
Erst dann, liebe Brüder?
Theologinnen und Theologen stellen schon heute Fragen. Fragen nach dem Sinn und der Berechtigung der von Priestern privat gefeierten Messen. Ein Rückschritt im Eucharistieverständnis? Sie loben oder kritisieren die Möglichkeiten von Gerneralabsolution und Ablass.
Vielfältige Angebote und Vorschläge von Gemeinden und Diözesen und privaten Initiativen tun sich auf für Familien, die für sich zu Hause Gottesdienst feiern müssen oder wollen. Ein neuer Impuls für die Hauskirche? Selbst das Dikasterium für die Laien in Rom weist darauf hin. Gebetsinitiativen, Glockenläuten und Kerzen in den Fenstern führen Menschen in ihrer Getrenntheit zusammen. Ebenso wie digitale Verbindungen ganz persönlich, in Chats und Foren. Im Internet geteilte Gottesdienste und Gebete. Wir haben es ja noch gut hier in der Abtei. Wir können gemeinsam Gottesdienst feiern und beten. Bewegen uns aktuelle Fragen trotzdem? Es geht vom ganz Konkreten auch um das Grundsätzliche. Die Kirchen befolgen die Anordnungen aus Politik und Wissenschaft. Das betont auch das gemeinsame Schreiben der evangelischen. orthodoxen und katholischen Kirche in Deutschland. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden in anderen Fällen nicht so unbedingt übernommen. Gesetzliche Vorgaben nicht einfach akzeptiert. Die Bandbreite von Homosexualität bis zum kirchlichen Arbeitsrecht ist groß …
Dass sich die Kirche gerade nach oder in der Missbrauchskrise nicht traut, die Stimme zu erheben, vermutet der Fundmentaltheologe Magnus Striet. Und hofft: „… dass man einen Lernprozess durchgemacht hat und naturwissenschaftliche Kenntnisse, Wissenskomplexe schlicht und einfach akzeptiert.“
Doch noch einmal die Frage: was bedeutet das ganz konkret – auch hier für uns?!
„Stellen wir uns eine Situation im Herbst vor, sagen wir im September 2020. Wir sitzen in einem Straßencafé in einer Großstadt. Es ist warm, und auf der Straße bewegen sich wieder Menschen. Bewegen sie sich anders? Ist alles so wie früher? Schmeckt der Wein, der Cocktail, der Kaffee, wieder wie früher? Wie damals vor Corona? Oder sogar besser?“ fragt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx. Er beschreibt seine Wahrnehmung leerer Städte und geschlossener Geschäfte nicht als Ausdruck einer Apokalypse, sondern als Moment des Neuanfangs. Er schreibt: „Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führten. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre fühlten viele sich sogar erleichtert, dass das viele Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen plötzlich zu einem Halt kam. Verzichte müssen nicht unbedingt Verlust bedeuten, sondern können sogar neue Möglichkeitsräume eröffnen.“
Kann die Fastenzeit noch einmal ganz neu, ganz anders werden? Uns bewusster mit uns und unserer Zeit umgehen lassen? Uns vielleicht neu ausrichten auf das Wesentliche? Vielleicht gibt uns das heutige Evangelium einen Leitfaden dazu an die Hand. Die Erzählung des Wunders Jesu ist ja von Johannes beschrieben wie eine Lehrerzählung. Das Heilungswunder Jesu führt zu einem Spinnennetz an Spekulation und Unterstellung, an Verurteilungen – und an Glauben.
Da ist der Geheilte – der sagen kaum sagen kann, was ihm geschah. Die Eltern, die sich sicherlich freuen über die Heilung ihres Sohnes – aber in der Auseinandersetzung ihren Sohn allein lassen. Da sind die Pharisäer, – vielleicht hin- und hergerissen zwischen ihren Moral- und Ritenvorschriften und der Erkenntnis, dass es sich vielleicht doch um ein Wunder, um ein Handeln Gottes handelt. Da sind die Vorurteile und Vorverurteilungen der verschiedenen Beteiligten.
Wo stehen wir in diesem Gefüge? Bin ich der Blinde, die Eltern, die Pharisäer? Bin ich die Menschen am Rande? Bin ich die fragenden Jünger?
Corona gibt uns ja derzeit manche neue Zeit. Vielleicht nutzen wir sie, den Bibeltext von heute noch intensiver zu lesen und auf uns wirken zu lassen. Damit er uns im wahrsten Sinne des Wortes neu anregt.
Paulus hat uns ja im Brief an die Epheser gemahnt: „Lebt als Kinder des Lichts! Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis.“
„Wir werden uns wundern,“ schaut Matthias Horx hoffnungsvoll in die Zukunft. Und beschreibt, was sich getan haben kann.
Werden auch wir uns wundern, was sich bei uns getan hat? In unserem Engagement in dieser Krise – oder auch das der Mitarbeitenden, das wir ermöglichen. Im Umgang miteinander und der Achtsamkeit umeinander. In Fragen des Alltags, der Liturgie. Werden wir uns wundern, was werden kann auch wenn unsere eigenen Pläne nicht umgesetzt werden können, durchkreuzt werden? Wenn nicht immer alles so ist, wie ich es gewohnt bin?
Kinder des Lichtes zu sein heißt auch, Kinder des Mutes und der Phantasie zu sein. Menschen, die lernen und neu sehen – wie der Blinde im Evangelium. Der griechische Urtext sagt, er sah nicht nur, sondern erkannte auch. und konnte bekennen: „Ich glaube, Herr!“
Doch vergessen wir nicht: Auch uns wird nur der Teig auf die Augen gestrichen. Zum Wasser laufen und uns waschen, das müssen wir selber.
Jesus Christus ist gekommen, um den Menschen Licht, Heil und Trost zu schenken. Er führt uns zusammen, auch wenn wir voneinander Abstand halten müssen. Zu ihm dürfen wir mit unseren Anliegen kommen und beten:
Wir beten für alle, die unter der Corona-Pandemie leiden: Für die an Covid19 Erkrankten, die im Krankenhaus sind und für alle in Quarantäne.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Für die Berufstätigen, die unsicher sind, wie es weitergeht. Für Arbeitgeber und Selbständige, deren Existenz in Gefahr gerät. Für alle, die voller Angst sind und sich bedroht fühlen.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Wir beten für die vielen Menschen, die unermüdlich im Einsatz sind: in Arztpraxen und Krankenhäusern, im Lebensmittelhandel und in Apotheken
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Für alle Verantwortlichen, die für das Land und für Europa wichtige Entscheidung treffen müssen. Und um Einsicht für alle, sich danach zu verhalten.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Wir beten für alle, denen die Gottesdienstgemeinschaft fehlt. Für alle, die einander beistehen und sich ermutigen und neue Formen entwickeln, wie Menschen ihren Glauben miteinander teilen.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Wir beten für die Frauen, Männer und Kinder, die auf der Flucht sind und unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Und für die Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die selbst unter katastrophalen Bedingungen im Einsatz sind.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Jesus Christus, Du schenkst uns Dein Heil und Deinen Beistand gerade auch in diesen schweren Zeiten. Dafür danken wir Dir und preisen Dich heute und an jedem Tag. Amen.
Die heutigen Gedanken sollen weniger eine exegetische Auslegung der Erzählung von der Begegnung am Jakobsbrunnen sein als vielmehr ein Impuls zum Nachdenken über die Quelle in uns selbst, die uns vielleicht gerade in dieser schwierigen Zeit neuen Mut und Hoffnung schenken kann. Brunnen finden sich auf vielen Plätzen in Städten und Dörfern. Sind sie heute eher Blickfang, waren es früher wichtige Orte der Begegnung und Kommunikation. In vielen armen Ländern gehen auch heute noch Menschen zum Brunnen, um das lebensnotwendige Wasser für den Alltag der Familie zu holen. Der Brunnen ist ein wichtiger Ort, der im Alten wie im Neuen Testament immer wieder Erwähnung findet, der aber auch große symbolische Bedeutung in den Märchen hat. Es wird also kein Zufall sein, dass das Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin gerade an einem Brunnen stattfindet. Ein Brunnen birgt in sich eine Tiefe, aus der er mit Wasser gespeist wird. Sichtbar sind jedoch nur ein Teil des Brunnenschachtes und die Wasseroberfläche. „Brunnen“ – das ist seit alters her für die Menschen ein Bild, das für mehr steht als ein tieferes Wasserloch. Es ist das Bild für etwas, das in die Tiefe führt, uns auf den Grund bringt, auf den Grund von Dingen, ja, und eigentlich – denn darum geht es hier – auf den Grund unserer selbst. Der Brunnen steht als Bild für unseren eigenen Grund, der unter der sichtbaren Oberfläche liegt, unser eigenes Wesen, zu dem wir hinabsteigen können oder auch nicht. Und auch der Jakobsbrunnen des Evangeliums dient hier als ein solches Bild, das uns verständlicher machen soll, was Jesus uns sagen will. Eigentlich müssten wir mit der samaritischen Frau fragen: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast Du also das lebendige Wasser?“. Jesus aber will uns in die eigene Tiefe führen; und indem er uns führen will, schöpft er aus seiner eigenen Quelle: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht“! Da spricht ganz offensichtlich einer, der nicht nur vermutet und ahnt, sondern der weiß, wovon er redet. Da spricht einer, der um das weiß, was Gott uns schenken will, wenn wir ihn nur lassen. Und es ist klar: Wenn wir es wüssten, wäre alles andere unwichtig. Nun könnten wir einwenden: Dann soll Jesus, wenn er es doch weiß, uns sagen, worin die Gabe Gottes besteht. Dann wissen auch wir es und haben endlich das ersehnte Ziel erreicht. Ganz so einfach ist das dann doch nicht… Denn mit dem Wissen ist das so eine Sache. Wissen und Wissen sind eben nicht das Gleiche. Ich kann etwas wissen, im Sinne eines Auswendiglernens, einer intellektuellen Aneignung. Ich kann von der Schönheit der Natur wissen, weil ich davon in Büchern gelesen oder eine Dokumentation im Fernsehen gesehen habe. Ich kann aber auch etwas wissen, weil ich es erlebt und selbst erfahren habe. Bei einem Spaziergang durch die gerade am heutigen Sonntag so frühlingshafte Natur kann ich ihre Schönheit mit meinem ganzen Wesen erspüren: Ich rieche sie, sehe sie, spüre den Wind auf meiner Haut, fühle die Wärme der Sonne. Diese persönliche Wahrnehmung, dieser Prozess, ist eine ganz andere Art des Wissens. Schauen wir also auf den Einwand: „Jesus könne uns doch sagen, worin die Gabe Gottes besteht“, damit auch wir sie wissen und um sie bitten können. Auf diesen Einwand kann man entgegnen: Jesus sagt es uns ganz deutlich, er hat sich uns ganz offenbart, und wir können darum wissen – jedoch zunächst nur im ersten Sinne: Im Sinne der intellektuellen Aneignung, des Hörens und vermeintlichen Verstehens. Die Gabe Gottes ist Leben. Leben in Fülle, ewiges Leben, dessen Quelle bleibend in uns sprudelt. Ein nie versiegender Quell. Oder wie wir es in der Lesung aus dem Römerbrief gehört haben: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Nun wissen wir also um die Gabe Gottes. Aber lassen wir alles stehen und liegen und rennen los? Oder um mit Paulus zu fragen: Wissen wir um diese Gnade und „rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“? Wir wissen eben nur in der ersten Weise darum. Und deswegen müssen wir uns weiter auf den Weg machen. Die Fastenzeit, diese Krisentage der Entschleunigung unseres Lebens, können uns dabei helfen. Sie könnten uns als Zeit dienen, in der wir uns ernsthaft auf die Suche nach dem Brunnen machen. Und dieser Brunnen ist Christus, es ist unser Herz, in das die Liebe Gottes ausgegossen ist. Dort ist der Ort der wahren Begegnung! Aber auch wenn wir zum Brunnen unseres Herzens hingefunden haben, werden wir feststellen müssen, dass es nicht so leicht ist, an die Quelle, an das Wasser heranzukommen. Denn der Brunnen ist zugeschüttet. Zugeschüttet mit all dem Unrat des Alltags, mit dem Lärm und der Ablenkung der Welt. Gerade in diesen Tagen auch zugeschüttet mit den Sorgen und Ängsten um unsere eigene Gesundheit und die unserer Familienangehörigen und Freunde oder zugeschüttet mit unseren Illusionen und unserem Egoismus. Die kommenden Tage könnten für uns zu einer Zeit werden, in der wir uns die Mühe machen, den Brunnen in uns, wenn wir ihn gefunden haben, freizulegen – Schicht für Schicht, ohne Angst, auch wenn wir immer tiefer hineingelangen in das Dunkel des Abgrunds, ungewiss, ob da am Ende wirklich eine Quelle auf uns wartet. Die Mühe des Freilegens ist die Treue im Glauben, die Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Ist es uns gelungen, den Brunnen freizulegen, können wir reichlich trinken vom Wasser. Ja, der Brunnen wird zur Quelle werden, die sprudelt und fließt, bei der ich nicht mehr mühsam graben und schöpfen muss. Wenn diese Quelle fließen kann, dann fließen Leben, Freude, Sinn und Ziel aus meinem Innern. Das ist das andere Wissen, das Wissen um die Gabe Gottes aus durchlebter, vielleicht auch durchlittener Erfahrung. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen!“ Wagen wir uns also in die Tiefe….
Predigt am 2. Sonntag im Jahreskreis (17.01.2021)
Predigtvon Br. Benedikt Müller OSB
„Wohnst du noch oder lebst du schon?“
Liebe Schwestern und Brüder!
Sicher kennen viele von uns diesen Werbespruch einer schwedischen Möbelfirma. Ein Einkauf in Schwedens „Möbelhaus“ ist mit einigen Mühen verbunden und kann leicht zur Geduldsprobe, wenn nicht gar zum Albtraum werden! Lange Anfahrten, überfüllte Hallen, entlegene Regalpositionen, schwere und sperrige Pakete, kaum unterzubringen im eigenen oder geliehenen Wagen, quengelnde Kinder, ungesunde Fleischklöße. Und dann erst der Aufbau zu Hause! „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ erscheint da als beinahe zynische Frage. Es ist der Versuch, das „Leben“ uns als mehr oder weniger erschwingliche Möbel zu verkaufen. Für diese „Lebens.Möbel“ nehmen wir einiges auf uns. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Natürlich brauchen wir solche und ähnliche Möbel, wenn wir einmal umziehen oder ins Kloster eintreten. Aber: Findet unser Leben in den Möbeln seinen wohnlichen Grund? Nun, unser heutiges Evangelium geht da weiter und setzt dort an, wo die IKEA-Werbung aufhört. Es fragt uns gleichsam: „Lebst du noch oder bleibst du schon – und wohnst?“
Die Berufungsgeschichte des Evangelisten Johannes ist eine Geschichte von Suchen und Finden und Bleiben. Der Ort der Geschichte: Bethanien jenseits des Jordan. „In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.“
Liebe Schwestern und Brüder! Das ist die Initialzündung für die ganze Geschichte. Am Anfang steht das Zeugnis Johannes des Täufers über Jesus: Das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Das ist eine Antwort auf die Frage danach, wie Menschsein wieder zurechtgebracht und aufgerichtet werden kann. Gottes Lamm, das ist der Gottesknecht, von dem der Prophet Jesaja erzählt. ER, der Gottesknecht, Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt. ER, der Gottesknecht, der so wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt.
„Siehe, das ist Gottes Lamm“ ist die Antwort auf unser Fragen danach, wie wir Vergebung erfahren, um heilzuwerden. Es ist das, was uns das Christkind an Weihnachten gebracht hat. Geschenkte Erlösung! Es ist ein Finden dessen, wonach wir gesucht haben. Andreas wird danach zu seinem Bruder Simon sagen: „Wir haben den Messias gefunden.“
Das Rufen Jesu bleibt bei Johannes aus! Der HERR ruft nicht. Im Gegenteil. Als er sieht, dass die zwei Johannesjünger ihm nachfolgen, da FRAGT er: „Was sucht ihr?“ Sie antworten: „Wo wohnst du?“ Nun LÄDT er ein: „Kommt und seht!“ Und sie kommen und sehen, wo er bleibt – wo er wohnt. Und dann bleiben auch sie. Sie bleiben für den Rest des Tages und die Nacht bei Jesus. Vielleicht sind in diesem Moment ihre Herzenslampen wie die Lampen der klugen Jungfrauen mit Öl gefüllt und leuchten, auch wenn kein Wächter in der Wüste sie gerufen hat. Aber: Der Lichttag geht zu Ende. Die Sonne geht unter. Die Dämmerung zieht herauf. Irgendwann gehen die Öllampen vielleicht aus, es wird dunkel. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Es wird nicht dunkel bleiben, wenn Christi Licht in uns brennend leuchtet. Die Jünger sind gekommen um zu bleiben. Sie bleiben bei dem, den sie schon immer gesucht haben, zu dem sie schon immer gehört haben. Zwischen Jesus und den Jüngern besteht eine Verbindung. Dies wird deutlich in der Begegnung Jesu mit Petrus. „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels. Petrus.“ Auf diesem Felsen baut Jesus seine Kirche. Auf einem Felsen lässt es sich gut und sicher bauen, so hören wir es ja auch in der Geschichte „Vom Haus auf dem Felsen“. Jesus ist unser Fels, auf den wir bauen – unser Fels, auf dem wir wohnen. Mit Christus werden wir Felsen.Stark. Wie die Jünger, sind auch wir eingeladen, zu kommen um zu bleiben. Auch uns sah Jesus bereits unter dem Feigenbaum sitzen. „Lebst du noch,“ so lautet die Frage auch an uns in dieser Stunde. „Lebst du noch“ in deiner Rastlosigkeit, in deiner Suche nach Sinn, in deiner Orientierung an vorläufigen Zielen „oder bleibst du schon?“ Bist du angekommen auf dem Felsen, der DICH trägt?
Das heutige Evangelium verändert unsere Perspektive. Leben ist gut, auch Möbel sind gut, aber wohnen ist etwas Anderes. Wohnen heißt bleiben. „Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben.“ Bei Jesus haben wir eine ewige Bleibe, auch wenn uns das Leben übel mitspielt, auch wenn Möbel zu Bruch gehen.
„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“. Heute empfinden viele dieses alte Kindergebet vielleicht als problematisch, dabei drückt es einen wunderbaren Glaubenskern aus. Denn Jüngerschaft Jesu heißt: Wohnen. Christus will in mir Wohnung nehmen. Dafür muss ich die Enge meines Herzens weit machen, damit der König der Herrlichkeit einziehe. Wenn man ein möbliertes Zimmer bezieht, dann dauert es nicht lange, und das Zimmer sieht ganz anders aus. Das Bett steht woanders, die Stühle und der Tisch kommen in eine andere Ecke, neue Bilder werden aufgehangen und manches andere verschwindet ganz – das Zimmer verändert sich. Der Apostel Paulus schreibt im Epheser-Brief: „Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet.“ Wenn Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt, dann wird sich unser Leben spürbar verändern. Wenn Christus in unser Herz „einzieht“, dann kann unser Herz nicht so bleiben, wie es war. Dann kann es nicht mehr kalt, hart und lieblos bleiben, dann wird es warm. Jesus ist der Rhythmus im Puls unseres Herzensklangs. Er will nicht machtvoll in uns hausen, sondern in Liebe wohnen.
Im 27. Psalm heißt es: „Mein Herz denkt an dein Wort: Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz, o HERR, will ich suchen!“ Jüngerschaft heißt: Suchen und Finden. Das ist sicher die große Aufgabe für uns Missionsbenediktiner! Andere finden und suchen, damit sie wohnen können. Wie kann das bei uns in Königsmünster aussehen? Wie und wo halten wir auf dem Klosterberg die Frage nach dem tiefsten Grund unserer Existenz offen und zwar so, dass sich inmitten des vielfältigen Lebens, das wir ringsum sehen, auch hier die Möglichkeit zum Bleiben in Christus eröffnet? Bringen wir das Wort vom Lamm Gottes zu den Menschen oder hausen wir in unserem Kämmerlein und entziehen uns den nach Gottes Liebe suchenden Menschen? Wo ergibt sich für uns die Gelegenheit, wie Jesus andere mit den Worten „Kommt und seht und bleibt“ anzusprechen? Und zwar mit liebender Offenheit, wachsamer Achtsamkeit, bejahender Ehrlichkeit, fragender Neugier und barmherziger Liebe?
Vielleicht gelingt es uns dann, wenn wir in unserem eigenen Herzens.Gebet Gott immer wieder bitten: „Die Enge meines Herzens mach weit“! Dann kann der König der Herrlichkeit ins uns einziehen und uns verwandeln in der Liebe. Denn Jüngerschaft heißt: Kommt und seht – sucht und findet – bleibt und wohnt und liebt einander. Dann wird unser bereites Herz fühlen, dass ER in uns angekommen und gegenwärtig ist und in uns Wohnung genommen hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.
Predigt am Fest der Taufe des Herrn (Silberprofess Br. Emmanuel – 10.01.2021)
Predigtvon Br. Benjamin Altemeier OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder, lieber Emmanuel!
Während einer zurückliegenden Exerzitienwoche ging Prof. Peter Knauer auf die Frage ein, ob nur die Menschen von Gott geliebt seien, die getauft sind. Er hat damals ein Bild genutzt, das ich auch heute noch ansprechend finde. Die Taufe ist wie eine Fahne, und die Liebe Gottes ist wie der Wind. Durch die Fahne wird der Wind sichtbar, und in der Taufe wird die Liebe Gottes für den Menschen sichtbar und im Zuspruch zugesagt. Als sich heute für Jesus der Himmel in der Taufe geöffnet hat und Gott zu ihm sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen gefunden habe!“, hat sich in gleicher Weise für uns dieser Himmel geöffnet, und Gott spricht zu uns: „Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn!“ Uns allen, die wir hier versammelt sind oder uns an anderen Orten befinden, gilt dieser Zuspruch. Das ist wesentlich.
Vor allem öffentlichen Wirken Jesu kommt zuerst der Zuspruch des Vaters. Vor aller Arbeit, vor allem Erfolg, vor allem Verdienst kommt der Zuspruch des Vaters zu uns. Du bist geliebt, weil du bist. Lieber Emmanuel, Dir ist den Jahren Graf Dürckheim zu einer zentralen Person geworden. Er ist ein Lehrer der Initiation. Die Taufe ist ein Initiationsmoment. Hier wird uns zugesagt, dass wir Kinder unserer Eltern und Kinder Gottes zugleich sind.
Während einer Führung mit Familien fragte mich ein Kind. Warum müssen die Mönche so viel beten? Kinder stellen ja häufig die besten Fragen. Ich musste ein wenig überlegen, und dann antwortete ich: Damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Mit dieser Antwort war das Kind zufrieden. Wenn wir uns hier, wie in der Profess versprochen, zum Gebet versammeln, dann eben auch, damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Im Mönchtum gibt es den Begriff der „Ruminatio“, des Durchkauens der heiligen Schriften. Damit ist gemeint, dass wir nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern dass sie uns in Fleisch und Blut übergeht. Dass wir also nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern auch in unserem Leib abbilden. Die Botschaft Jesu, die im Wesentlichen aussagt: „Liebt einander, wie ich euch geliebt.“
Urteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.
Vergebt einander, dann wird auch euch vergeben werden.
Habt Erbarmen mit den am Rande Stehenden, den Armen und Verzweifelten, und euch wird Erbarmen zuteil.
Das ist dann gelebte Nachfolge. Dann lebt das in mir, was in einem Gebet Christian de Chergé, der ermordete Prior der Trappisten von Tibhirine, so ausgedrückt hat: Ich in Ihm, Er in mir. (Bruder Emmanuel hat dieses Gebet auf der Einladung zu seiner Silberprofess abdrucken lassen.)
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Begegnung. Wir können es auch als Dreifaltigkeitsfest feiern. Die Begegnung Gottes mit seinem geliebten Sohn im heiligen Geist am Fluss Jordan. Martin Buber schreibt: Alles Wesentliche ist Begegnung. Gott ist Bezogenheit im dreifaltigen Sinne untereinander, aber eben auch in der Hinwendung zu uns Menschen. Und so leben wir unsere Nachfolge nicht in sterilen Räumen frömmelnder Ichbezogenheit, sondern in der konkreten Zuwendung zum Nächsten. Das meint der heilige Benedikt, wenn er im Gast, aber auch im Kranken Christus begegnet. Und vielleicht gelingen uns manche Begegnungen, und manche misslingen, aber all das ist besser als ein abgeschottetes, reines und steriles Christentum. Vorausgesetzt, die Begegnungen finden auf Augenhöhe statt, weil ja der Nächste genauso ein geliebter Sohn, eine geliebte Tochter ist wie ich.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Schwellenfest. Es schließt den Weihnachtfestkreis ab. Ab morgen ist wieder Alltag. Aber heute, lieber Emmanuel, feiern wir Deine Silberprofess. Bei einer unserer Wanderungen hast Du mir erzählt, dass Du ein weihnachtlicher Typ bist. Das drückt sich ja auch in Deinem Namen aus, der Dir überaus wichtig ist. Die Menschwerdung Gottes, damit alles auf dieser Erde geheiligt sei. Das ist Dir wichtig. Schwellenfest heißt aber auch: Übergang in den Alltag. Die Treue zu halten, manchmal auch auszuhalten, wie in der Profess versprochen. In guten wie in bösen Tagen. Auszuhalten, wenn das Gebet oder die Arbeit gerade nicht eine Aufeinanderfolge von Höhepunkten sind. Die Mühen der Ebene weitergehen. Das ist gelebte benediktinische Stabilitas.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest, welches das Leid nicht ausschließt. Denn die gleichen Worte, die wir eben gehört haben, hören wir am Berg der Verklärung wieder. Diesmal unmittelbar vor dem Leiden Jesu. Dieses Leiden führt zu Tod und Auferstehung Jesu. Und auch hier sind wir hineingenommen. Unser Leid ist nicht grenzenlos. Es findet sein Ende in der Auferstehung.
Zuletzt: Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Sinnstiftung. Ein jeder von uns hat seinen Ursprung aus Gott, von Ihm kommen wir. Wir sind, weil Gott möchte, dass wir sind. Das ist der Sinn unseres Lebens. Und in der Auferstehung ist das Ziel unseres Lebens vorgezeichnet. Unsere endgültige Heimat ist im Himmel. Amen.
Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten (3.1.2021)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
„Passwort vergessen?“ – Ärgerlich ist das, wenn ich beim Arbeiten am Rechner den Zugang zu einem Programm oder einer Homepage brauche; schnell habe ich eingetippt, was mir als das zugehörige Passwort in Erinnerung ist und dann poppt auf: „Passwort vergessen?“. Meist war es nur ein leicht zu korrigierender Flüchtigkeitsfehler, manchmal ist aber auch ein lästiges Herumsuchen fällig, bis ich schließlich weiterkomme. Es fehlt das richtige, entscheidende Wort, damit etwas passiert, – das Passwort eben. Übrigens kein Phänomen, das erst mit der Digitalisierung aufgetaucht ist. Schon der alte Goethe kannte das, als er 1797 die Ballade vom Zauberlehrling schrieb: Immerhin kennt der Zauberlehrling das Passwort, um in Gang zu bringen, was er vorhat. Viele werden die Verse noch aus der Schulzeit kennen:
Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Damit wird der Besen zum Hausknecht, der das Wasser aus dem Brunnen holt, um das Bad für den ebenso vorwitzigen wie bequemen Herrn Zauberlehrling zu füllen. – Aber dann, oh Schreck: es fehlt das Wort, um das Ganze zu beenden, bevor das Haus völlig unter Wasser steht.
Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
In dieser humorigen Szene aus Goethezeiten spiegelt sich etwas, was mir in ziemlich ernsthafter Version in unserer augenblicklichen Corona-Bedrückung durch den Kopf geht. Es fühlt sich an wie „Passwort vergessen?“ oder Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen!
Neben der konkreten Bedrohung für Leib und Leben durch das Corona-Virus zerrt an den Nerven, dass im Augenblick kein Mensch wirklich weiß, wann und wie das Ganze zu stoppen ist. Wir meinten, alles im Griff zu haben und jetzt haben wir die Kontrolle verloren! Unsere Gedanken und Gespräche, unzählige Äußerungen von Experten und Politikern behaupten alles Mögliche, aber bis jetzt hat keiner das Wort gefunden, mit dem wir Corona loswerden; wir stehen da wie Zauberlehrlinge: Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.
Liebe Schwestern und Brüder,
Angesichts dieser, so möchte ich es einmal nennen, allumfassenden Wortfindungsstörung wirken die großen, souveränen Worte des Johannesprologs, die wir gerade als Evangelium gehört haben, wie aus der Zeit gefallen:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Man ahnt: Diese Sätze hätten die Kraft zu wirken, wenn es gelänge, sich von ihnen ergreifen zu lassen. Doch klingen sie angesichts des Wortgedröhns um die Corona-Pandemie nicht „wie ein Märchen aus uralten Zeiten“? Das tut umso mehr weh, je mehr wir merken, wie sehr es gerade hier und jetzt auf solche „wirkenden Worte“ ankäme.
Die Antwort auf solche Fragen wird nicht so einfach zu finden sein wie ein Zauberspruch oder wie ein Computerpasswort. – Doch, warum sich nicht zumindest auf die Suche machen? Ist es nicht eine grundlegende Lebenserfahrung, dass sich die wirklich wichtigen Dinge Schritt um Schritt erschließen, wenn man mit ihnen lebt, statt nur über sie zu grübeln und zu reden? – Deshalb: Was wären nächste Schritte, um das Wort zum Wirken zu bringen, das uns aus dem lähmenden Gerede befreit und einen Weg weist, der weiterführt?
Ich schlage die Schrittfolge der „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ vor, die Dietrich Bonhoeffer Ende Juli 1944 aufschrieb, als ihm klar vor Augen stand, dass seine persönliche Situation in der Nazi-Gefangenschaft aussichtslos war. Ich glaube, diese Sätze haben wirklich die Kraft, als Widerhall des „Licht und Leben“ bringenden „Wortes“ zu wirken, von dem das Evangelium spricht. Bonhoeffer sieht vier Stationen auf dem Weg, der das „Wort, das am Anfang war“, Wirklichkeit werden lässt bringt. Er spricht von der „Zucht“, von der „Tat“, vom „Leiden“ und schließlich vom „Tod“:
Zucht.
Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem Zucht der Sinne und deiner Seele, dass die Begierden und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
Tat.
Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.
Leiden.
Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Tod.
Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
Predigt am Fest der hl. Familie zu Lk 2,22-40 (27.12.2020)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Die Kirche feiert heute das Fest der Heiligen Familie. Es soll die Familie als Keimzelle von Kirche und Gesellschaft wertschätzen und fördern. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung tiefgreifende Umbrüche in der Gesellschaft verursachte, wurde es eingeführt. Seitdem hat sich die Welt beschleunigt weiter verändert – besonders erkennbar in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft. Familien gibt es weiterhin – auch sie haben sich entwickelt. Es ist ein Kennzeichen unserer Zeit, dass ständig Umbruch ist – oder sanfter ausgedrückt: steter Wandel. Die Corona-Pandemie macht das noch deutlicher.
Kann das Fest uns inspirieren, den Wandel zu gestalten, um mehr zu leben – vielleicht sogar um zu überleben?
Von Jesu Familie – der Heiligen Familie – hörten wir gerade. Ort des Geschehens ist ein doppeltes Zentrum: Jerusalem – politisch, der Tempel – religiös. Das kündigt Bedeutendes an. Höhepunkt ist die Fokussierung auf das Kind Jesus – mehr Aufmerksamkeit und Mittelpunkt in der Öffentlichkeit geht nicht! Diese Präsentation wirkt: Die außerfamiliären fremden Menschen Simeon und Hanna öffnen sich für eine Begegnung – sie werden die zentralen aktiven Figuren der Erzählung – Maria und Josef als Eltern bleiben in Nebenrollen eher passiv – fast treten sie sogar in den Hintergrund. Auch der ursprüngliche Reiseanlass – das vom jüdischen Gesetz vorgeschriebene Ritual im Tempel – bildet nur noch den Rahmen der Begegnung mit Simeon und Hanna. Direkt nach dem Besuch der Hirten platziert der Evangelist Lukas dieses Ereignis in seine Kindheitsgeschichte, um die öffentliche Wirkung des folgenden Lebens Jesu von Anfang an zu zeigen. Simeon und Hanna sind so die beiden ersten namentlich genannten Menschen, denen Jesus begegnet – dieser Auftritt gehört ihnen. Eindrucksvoll weitet sich die Heilige Familie – Jesus wirkt über seine Kernfamilie hinaus – schon als Kleinkind.
Simeon empfängt das Kind Jesus in seinen Armen: Berührende Nähe, fast Intimität strahlt von Jesus aus – auch: schon jetzt. Weissagend erfasst und verkündet Simeon, was das nach der Kindheit anschließende Leben, Sterben und Auferstehen Jesu bedeutet: Heil, Licht und Herrlichkeit. Diese Erkenntnis setzt er gleich um: Mit Jesus wird er ein Segnender – er gibt von der Gnade, die er empfangen hat. Der Segen soll stärken, denn Simeon prophezeit Maria: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, …“ Das Leben dieses Menschen hat Konsequenzen – es wird nicht harmlos sein. Ein Hinweis auf die finale Katastrophe der Hinrichtung am Kreuz fehlt nicht: „… und deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“
Simeon spürt, dass Gott als Kind – schwach und ohnmächtig – in diese Welt gekommen ist und sich ihr am Kreuz letztendlich ganz hingibt. Deshalb ist er schon jetzt in seinem Leben gegenwärtig – so konkret wie das Kind in seinem Arm. Die äußere Szenerie offenbart eine existentielle Wahrheit: Simeon und – ihm gleich Hanna – erfahren ihre eigene göttliche Kindschaft, die Gott mit diesem Jesus endgültig und unzerstörbar schenkt. Ihr langes Leben verlief nicht ohne Brüche und ihre Präsenz im Tempel verweist auch auf ihre innere Not. Hat die Lebenswirklichkeit sie für diese Begegnung vorbereitet – geöffnet? Von diesem armen und ohnmächtigen Kind lassen sie sich beschenken und nehmen die heilende Gegenwart Gottes als eine eigene innere personale Geburt wahr. Wenn Gott selbst sich in dieser Weise als Gabe für die ganze Welt offenbart, dann ist auch ihr Leben gutgeheißen, in Liebe geborgen, geheiligt und erleuchtet. Simeon und Hanna wandeln sich – als längst Erwachsene – zu Kindern Gottes. Ihre Antwort darauf kann nur der Lobpreis sein – am Ende ihres Lebens bricht der Jubel durch. Er ist äußeres Zeugnis ihres Aufbruchs in ein erlöstes Leben mit und in Gott – schon jetzt und durch den nahenden Tod hindurch. — Und Maria und Josef? Man hat den Eindruck, den jungen Eltern ist das alles ein bisschen viel: Die geheimnisvolle Schwangerschaft, die herausfordernde Geburt im Stall, der überraschende Besuch der Hirten und jetzt Simeon und Hanna – ihnen bleibt das Staunen.
Schon das eine frohe Botschaft zum Fest der Heiligen Familie.
Von der erfahren wir später noch einmal. Weil sie Mühe hat, zu Jesus zu gelangen, macht sie ihm den Vorwurf, dass seine Jüngerschaft ihm mehr bedeute. Jesu Antwort: Entgrenzung! Er weitet den Rahmen der Familie über die biologisch bestimmte Zugehörigkeit hinaus. Zu seiner Familie gehören alle, die den Willen Gottes suchen und erfüllen. Diese Zugehörigkeit wurzelt in existentieller gemeinsamer Gotteskindschaft. In Jesus, seinem Leben und seiner Botschaft, verkörpert sich der Wille Gottes als allumfassendes Angebot. Überängstliche verkürzen es zu einer ausgrenzend zerstörenden Doktrin. Die anderen suchen im allfältigen Angebot und wählen daraus – einzeln und gemeinsam – frei und verantwortlich – mitunter im fairen gewaltfreien Streit, denn manche Lösung wird nur durch ihn geboren. Diese Würde – manchmal auch Bürde – verbindet uns zu einer globalen heiligen Familie.
Sie kann die Aufgaben einer Welt im Wandel lösen – in froher Gelassenheit und mutigem Engagement. Das ist eine ziemlich aktuelle Botschaft – an Weihnachten und weit darüber hinaus.
Predigt am Ersten Weihnachtstag (25.12.2020, 9.30 Uhr)
Predigtvon P. Julian M. Schaumlöffel OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Ende November zeigte die ARD das verfilmte Kammerspiel „GOTT“ von Ferdinand von Schirach. Einige von ihnen werden die Diskussion des fiktiven Ethikrates verfolgt haben. Es ging um die Frage „Wem gehört unser Leben?“, also letztlich um die Frage der Würde des Menschen.
Bereits vier Jahre zuvor wurde die Verfilmung „Terror – ihr Urteil“ des gleichen Autors gezeigt und hat mit der Frage, ob man wenige Menschen opfern darf, um viele zu retten, ebenso zum Nachdenken angeregt. Mehrmals habe ich diesen Film in der Oberstufe gezeigt und interessante Diskussionen mit und zwischen unseren Schülerinnen und Schülern entfachen können. Auch in diesem Stück rückt die Frage der Menschenwürde in den Mittelpunkt. Für mich als Juristen ist die eindrücklichste und rhetorisch wie inhaltlich beste Szene das Plädoyer der Staatsanwältin, wenn sie bekennt: „Wir brauchen etwas Verlässliches, etwas, woran wir uns immer halten können, etwas, das uns Klarheit im Chaos verschafft. Wir brauchen Prinzipien! Und diese Prinzipien haben wir in unserer Verfassung. Unsere Verfassung ist eine Sammlung von Prinzipien und sie hat ein oberstes Prinzip: Das ist die Würde des Menschen. Das Grundgesetz beginnt mit dem Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und dieser Satz steht nicht zufällig am Anfang, er ist seine wichtigste Aussage. […] Der Mensch ist zu jedem Zeitpunkt Subjekt dieser Würde und er darf niemals zu deren bloßem Objekt werden.“
Warum nun wurde die Menschenwürde vor gut 70 Jahren als alles überragendes Grundprinzip ausgerufen? Vermutlich, weil die unantastbare Würde angetastet worden war! Weil erlebt worden war, wie im Nationalsozialismus unzählige Menschen ihrer Würde beraubt wurden. Menschenwürde: Unantastbar – und doch bis heute immer wieder angetastet.
Obwohl eine „Menschenwürde“ sich aus keinem Gesetz herleiten lässt und somit aus staatlicher Sicht eine reine Idee ist, gilt sie zum Glück in vielen Ländern der Erde als oberstes Prinzip von Verfassungen. Es gibt verschiedene Versuche – politische und philosophische – sie innerweltlich zu deuten und zu erklären. Die vielleicht älteste Begründung steht im Tagesgebet vom heutigen Weihnachtstag. Dort heißt es:
„Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“ Der Mensch ist also wunderbar geschaffen. In der Genesis heißt es zu Beginn: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ Größer geht es doch wohl nicht. Der Mensch ist gottähnlich. An Weihnachten feiern wir nun genau die umgekehrte Angleichung: Gott wird menschähnlich, ja, mehr noch: Gott wird Mensch. Und genau hier erhält der Mensch eine Würde, die unantastbar, die heilig ist.
Wenn wir die Weihnachtsgeschichte, die Lebensgeschichte unseres menschgewordenen Gottes unter dieser Überschrift lesen, wird uns schnell auffallen, dass sie eine einzige Verkettung von Menschenrechtsverletzungen ist. Gott erleidet, was auch heute, was auch am heutigen Weihnachtsmorgen Menschen ertragen müssen: Geburt unter politischer Fremdherrschaft, Flucht, Vertreibung, Verleumdung, menschenunwürdige Folter und Todesstrafe.
Selbst im Johannesprolog, den wir eben hörten, klingt der Rechtsbruch an: „Er kam in sein Eigentum, aber die seinen nahmen ihn nicht auf.“
Jesus von Nazareth ist das Ebenbild all der Menschen, deren Würde angetastet wurde und bis heute angetastet wird. In Jesus Christus identifiziert sich Gott so sehr mit dem Menschen, dass er sich als neugeborenes Kind schutzlos ausliefert, sich berührbar und angreifbar macht und – wer es fassen kann, der fasse es – gerade dadurch die Würde des Menschen wiederherstellt. Das erklärt, warum die heutige Oration es als das Weihnachtsgeheimnis formuliert: „… du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“
Ein weiterer Gedanke. Schauen wir noch einmal auf den Johannesprolog. Wie die Ouvertüre zu einer großen Oper jede Melodie, jede Stimmung, ja, die gesamte Dramaturgie schon anklingen lässt, so ist auch die Ouvertüre bei Johannes, der Prolog, ein Schlüssel zum Ganzen des Evangeliums. Ein hochreflektierter und inhaltsschwerer Text. Gleich zu Beginn aber wird das Wesentliche gesagt: Jesus, Gottes menschgewordenes Wort, ist Offenbarer des Vaters. In immer neuen Wendungen wird diese Glaubensüberzeugung beleuchtet und erzählt. Der präexistente Logos wurde ein Mensch. Aus der Prae-Existenz als „Wort“ bei Gott ist er herausgetreten, „vom Himmel herabgestiegen“ und als Gesandter in die Welt gekommen. Oder wie wir es hörten: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“. Um Erleuchtung durch das von Gott in die Welt gesandte, fleischgewordene Wort geht es also. Der Hebräerbrief bekannte in der heutigen Lesung Gottes Sohn als den „Abglanz seiner Herrlichkeit“. Jesus Christus das wahre, erleuchtende, alles erhellende Licht. Licht hat zugleich immer mit Hoffnung und Zuversicht zu tun. Unzählige Menschen – und ich kann sie tatsächlich nicht zählen – haben mir in den vergangenen Wochen mündlich oder über die Kommunikationsplattformen gesagt, wie sehr sie sich über die schöne Beleuchtung unserer Abteikirche freuen. Der Blick auf den Klosterberg, das warme Licht, macht ihnen Hoffnung in dieser dunklen und oft einsamen Zeit der Pandemie. Licht der Hoffnung. Wir haben es an den Adventssonntagen zum Glockengeläut in unseren Fenstern aufgestellt und wollen es auch heute Abend zum weihnachtlichen Stadtgeläut um halb acht noch einmal tun. Wer Licht sieht – denken Sie an ein fernes, aus einem Fenster scheinendes Licht in kalter, vielleicht schneebedeckter Winterlandschaft – sieht nicht nur den Schein seiner Quelle, sondern kann innerlich sogar schon die Wärme empfinden, die es verströmt. Ein Hoffnungslicht. Jesus Christus aber ist weit mehr als ein Hoffnungslicht, weit mehr als eine Kerze, die wir aufstellen oder ein Gebäude, das wir illuminieren. In ihm ist die Hoffnung bereits erfüllt, denn ER ist der Abglanz des Vaters. ER ist das wahre, alles erleuchtende Licht. Und dieses Licht verändert alles oder in Abwandlung eines Sprichwortes: Seine Gegenwart wird alles ans Licht bringen. Das wahre Licht ist also das Licht der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. In seinem Licht, wird alles erleuchtet, muss jedes Dunkel, jede Sünde und Gottesferne weichen, wird jede Ungerechtigkeit aufgedeckt, weil sie von ihm überführt und in die Wahrhaftigkeit geführt wird.
Liebe Schwestern und Brüder,
der heilige Franz von Assisi hat nicht nur die erste Krippenfeier inszeniert, sondern auch über das Weihnachtsgeheimnis meditiert und schreibt staunend:
„Beachte, o Mensch, in welch erhabene Würde Gott der Herr dich eingesetzt hat, da er dich dem Leibe nach zum Bild seines geliebten Sohnes und dem Geiste nach zu seiner Ähnlichkeit erschaffen und gestaltet hat.“
Die Würde des Menschen und das menschgewordene Wort, das alles ans Licht bringt – diese beiden Aspekte biete ich ihnen als Festgeheimnis an.
Oder anders gesagt und im weihnachtlich vertrauten Bild gesprochen:
Die Menschenwürde ist die Krippe –
die alles ans Licht bringende Wahrhaftigkeit das Kind darin…
Predigt in der Christmette (24.12.2020)
Predigtvon Abt Aloysius Althaus OSB
Schwestern und Brüder im Glauben,
Wie sehr hat sich unser Leben nun schon über Monate verändert! Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, die Kinder wochenlang zu Hause betreuen, bittere Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dazu Abstand, Hygienevorschriften, Mund und Nasenschutz, und und und…
Es gibt niemanden, dessen Leben von den Auswirkungen der Pandemie nicht verändert worden wäre in diesem Jahr. So unterschiedlich die Auswirkungen waren und sind, für uns alle heißt das: vertraute Gewohnheiten aufgeben, neue Wege ausprobieren, Distanz halten, Ungewissheit ertragen lernen. Und nun feiern wir Weihnachten am Ende dieses so ganz anderen Jahres 2020.
ABER
Erinnern wir uns, Jesus ist auch mitten im Chaos zur Welt gekommen. Für Maria und Josef war alles Vertraute, alle Sicherheit, alle menschliche Nähe weggefallen. Mitten in der Nacht, in Kälte und Einsamkeit ist Jesus zur Welt gekommen.
ALSO
Beinhaltet sich doch auch für uns heute eine Chance in der Feier der Geburt des Gotteskindes!
Viele große Dinge beginnen ganz klein. –
genau das feiern wir heute Nacht: Den kleinen Anfang einer großen Liebe.
Ein Kind wird geboren, ärmlich, am Rande einer unbedeutenden Stadt…
Der kleine Anfang eines Lebens, so klein, wie unsere menschlichen Dinge ihren Anfang nehmen: Genauso klein haben auch wir unser Leben einst begonnen.
Klein jeder Anfang von Freundschaft und Liebe, klein der erste Funke von Hoffnung in schweren Zeiten. Klein der erste Schritt zu Versöhnung und Frieden nach langem Streit.
Anfänge sind zerbrechlich, bedroht wie dieses kleine Kind in der Krippe im Stall zu Betlehem.
Und genau das ist die Botschaft der Weihnacht: Gott fängt seine Geschichte mit uns Menschen an: klein, zerbrechlich, unauffällig, und vor allem: zutiefst menschlich. Gott wird Kind!
Indem sich das Kind in der Krippe von Anfang an auf Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit einlässt, weist es auf eine Alternative im Umgang mit Verletzlichkeit. Mit dieser Art und Weise, wie die Menschwerdung Jesu beginnt, antwortet Gott auf die Wunden der Welt, nicht indem er sich unverwundbar macht, sondern indem er das Wagnis eingeht, verwundbar zu werden. Bereits die Menschwerdung in Jesus ist ein Akt der Selbsthingabe Gottes, in der sich Gott selbst schutzbedürftig und absolut solidarisch mit den Kleinsten zeigt.
In der Hingabe steckt Lebenskraft.
Wir feiern Heilige Nacht und jede und jeder von uns sollte sich fragen: Was verbinde ich damit?
Ein frommes Spiel der Liturgie? Kerzenschein und Krippenidylle?
Oder bringe ich den Mut auf, mich den Nachtseiten und Tiefen meines Lebens zu stellen? IHM die „Ställe“ meiner Armseligkeit und Müdigkeit, der Resignation und Enttäuschung zu öffnen?
Denn gerade in sie hinein ist ER geboren! Er ist in den Abgründen, in den Finsternissen bei uns, heißt es in der Schrift: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.
Schwestern und Brüder,
es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall – am Schluss der Galgen.
In dieser Nacht hat es begonnen, ganz klein und zugleich kraftvoll. Er, der menschgewordene Gottessohn sagt: ICH BIN DA! ICH BIN BEI DIR! ICH BIN DEIN LEBEN!
Kann Gott näher an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann ER ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als ER es getan hat in dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?
Karl Rahner bekennt: …sein letztes, tiefstes und schönstes Wort hat Gott gesprochen, das Wort, das er nie mehr rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus…
Zu dieser Weihnachtsbotschaft gehört aber noch ein Zweites: Weihnachten braucht Menschen, die Gottes Anfängen trauen.
Natürlich: Das Risiko bleibt. Nicht jeder Anfang gelingt. Nicht jede Hoffnung findet Erfüllung. Manche ausgestreckte Hand wird zurückgewiesen. Und wer weiß, ob das verliebte Ehepaar seinen Weg wirklich bis zum Ende gemeinsam gehen kann? Ob der junge Mönch seinem Professversprechen treu bleibt?
Gott lässt sich nicht festlegen. Und er lässt die Menschen ihren Weg gehen.
Ja: Ein Risiko bleibt, trotz Weihnachten, und deshalb braucht es Menschen. Menschen, die diesen Glauben miteinander teilen und einander ermutigen. Braucht es Menschen wie Maria und Josef, die einem Traum gefolgt sind und einem Gott, der sie ganz andere Wege geführt hat. Denen wir trauen dürfen, wenn sie uns sagen: FANG AN, brich auf, es lohnt sich!
Es braucht Menschen wie die Hirten damals, die einander zurufen: Lasst uns nach Betlehem gehen! Kommt, wir wollen Gottes Wort und Gottes Anfang trauen. Und die so die Verzagten und Erschöpften mitnehmen, die Mut machen zum Aufstehen, zum ersten Schritt.
Es braucht Menschen, die heute Weihnachten feiern, die sich berühren lassen durch dieses Kind. Die deshalb morgen wagen, den Anfängen in ihrem Leben zu trauen. Und dann die Botschaft weitertragen: Es lohnt sich.
Schwestern und Brüder,
Beten wir DEN an, der in dieser Heiligen Nacht in unsere Welt, in unser Leben gekommen ist. Bekennen wir mit dankbarem Herzen unseren Glauben: Für uns und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.
Vergessen wir nicht – angesichts der Liebe Gottes – selber die Liebe zu üben und – angesichts des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein. Liebe will Gegenliebe. Liebe will Antwort.
Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die Höchstform das Verzeihen.
Ich wünsche uns allen, dass uns, in dieser Heiligen Nacht, die Erkenntnis aufleuchtet: Heute öffnet sich auch für mich ein wenig der Himmel, weil Gott mir ganz nahe ist, weil seine Gegenwart wie ein Lichtstrahl sogar in die dunklen Winkel meines Herzens hineinleuchtet.
Trauen wir auch mit mancher Träne in den Augen den kleinen Anfängen, denn in der Krippe beginnt neues Leben – ein Neuanfang. Amen.
Predigt am 2. Adventssonntag 2020 zu Jesaja 40,1-5.9-11
Predigtvon P. Johannes Sauerwald OSB
Wie kommt der göttliche Trost zum Menschen?
Wer in den augenblicklichen Lebensumständen zurechtzukommen sucht und sich umschaut, ob es früher schon einmal ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat, und wie man die Krise damals überstanden hat, und dann auf die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja stößt, findet eine bemerkenswerte Weise vor, wie einer der größten Tiefpunkte in der Geschichte des Volkes Israel, die Zeit des babylonischen Exils, bewältigt worden ist.
Den Hintergrund dieses Textes, so ahnt der Leser, bildet die seelische Krise, die durch die Vertreibung ins Exil entstanden war. Der Verlust ihrer Heimat setzte den Menschen zu, sie drohten, ihre Identität zu verlieren. Das stürzte sie in tiefe Trauer, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Irgendwann müssen sie so weit gekommen sein, dass sie sich gesagt haben: Es wird sich nichts mehr ändern. Wir sitzen hier in der Fremde fest, entrechtet, unterdrückt, ohnmächtig, unserer Feste und Lieder beraubt, ohne die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Unser Volk und alles, was uns heilig und kostbar war, unser geistiges Erbe werden bald aus der Geschichte ausgelöscht sein, vergangen und vergessen.
Was hat der Prophet einem da noch zu sagen? Durchhalteparolen einhämmern? Appelle verkünden, Vorhaltungen machen? Nichts von dem macht der Prophet. Er sammelt eine Gruppe wacher Menschen um sich, die noch nicht aufgegeben haben, und ruft ihnen zu: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Diese Worte hat er sich nicht selbst ausgedacht, denn er hat die Stimme Gottes gehört, sie durch die Trauer hindurch, über alle Hoffnungslosigkeit hinweg, erlauscht. Was diese Stimme ihm sagt, kommt unerwartet, denn sie klingt ganz anders, als die Leute sicher angenommen hätten. Trösten, das ist jetzt die Hauptsache. Trösten, das heißt: Gut zureden, zu verstehen geben, dass da einer ist, der um die Nöte und Ängste der Menschen weiß, dass Gott selbst es ist, der mit euch fühlt. Gott rechnet nicht die Sünden vergangener Zeiten auf, macht den ins Elend Geratenen keinen Vorwurf, lehnt sie nicht ab. Ganz eindringlich ist der Auftrag gesagt: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Und das meint: Sagt etwas, das wirklich zu Herzen geht und dort ankommt, wo die Trauer sich eingenistet hat – und das ist etwas anderes, als bloß „husch-husch“ eine optimistische Stimmung zu verbreiten.
Was der Trost bewirken soll, ist ein Mentalitätswandel, und der kommt nur zustande, wenn eine neue Überzeugung entsteht. Die Überzeugung muss sich von innen her bilden, sonst verfliegt der Trost wieder.
Zu einem echten Trost gehört mehr als Empathie, nämlich eine neue Perspektive. Was aber ist in der Lage, Mut zu machen? Nach rein menschlichem Ermessen ist zwar die Lage hoffnungslos, aber die Initiative geht ja von Gott aus, von seinen Möglichkeiten.
Der entscheidende Satz lautet: „Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht.“ Das ist der Fixpunkt der Perspektive.
Das ist nicht abstrakt-fromm daher gesagt, sondern soll heißen: Gott kommt und macht dem Exil ein Ende. Wir wissen im Nachhinein aus dem Verlauf der Geschichte Israels, dass es politische Vorgänge in Mesopotamien waren, die die Voraussetzungen dafür waren, dass die Verschleppten wieder nach Hause ziehen konnten. Als das Reich Babylon am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts zerfiel, übernahm die persische Großmacht die Vormacht-stellung in dieser Gegend. Sie war es auch, die den Juden die Rückkehr ins Stammland gestattete. Aber vom biblischen Glauben her war es Gott selbst, der die Geschicke lenkte und in seiner Bundestreue dem Volk ermöglichte, mit ihm eine neue Zukunft zu beginnen. Er sammelte es um sich und führte es weiter.
Damit hat der Prophet den Zielpunkt genannt, die Wendung zum Guten. Doch ist seine eigentliche Botschaft noch nicht an ihr Ende gekommen. Es geht ihm um mehr. Nämlich das, worauf es jetzt ankommt. Weil Gott kommt und seine Herrlichkeit sichtbar machen will, gilt es, sich jetzt darauf einzustellen. Jetzt ist es vor allem wichtig, die Hindernisse zu beseitigen, die Gottes Kommen im Wege stehen. Diese Hindernisbeseitigung macht der Prophet mit einem anschaulichen Bild klar: dem Bild des Landschaftsumbaus. „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße1“ Das sind die horizontalen Umbaumaßnahmen. Dann nennt er die vertikalen: „Was krumm ist, soll gerade werden, was hügelig ist, werde eben!“
Wenn wir in einer Landschaft vorwärts kommen wollen, werden wir manchmal durch schwieriges Gelände aufgehalten. Es zu überwinden, kostet Zeit und Mühe. Ähnlich ist es, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unzugänglich sind. Sie lassen einen nicht an sich herankommen. Es kostet viel Geduld, um Ärger zu vermeiden und sich zu verständigen. Auch Gott hat es nicht leicht, uns zu erreichen, bei uns mit seinen guten Absichten anzukommen, etwa um uns zu heilen, zu trösten oder neuen Schwung zu verleihen. Wir machen es ihm mit unseren Eigenwilligkeiten, unseren Fixierungen auf Lieblingsideen und selbstbezogenen Wünschen nicht leicht, uns zu erreichen und wirklich heranzulassen. Wir haben uns vielleicht schon so sehr an unsere Fehler gewöhnt, an gewisse Schwächen und sogenannte „Sachzwänge“, dass wir gar nicht mehr damit rechnen, uns in diesen Punkten ändern zu können. Das gilt nicht nur für den jeweils Einzelnen, sondern ist bei Institutionen, Gruppierungen, bei gesellschaftlichen Unternehmen und Staaten zu beobachten. Es kann sogar die Strukturen der Staaten untereinander bestimmen, mit schwerwiegenden Folgen.
Wenn wir nun auf Weihnachten zugehen, dann haben wir eine gute Gelegenheit, das Kommen Gottes in der Menschwerdung Christi anzubahnen. Denn er will uns ja dort treffen, wo wir uns befinden und ihn benötigen. Wenn er sich uns in seiner Herrlichkeit zeigt, dann schenkt er uns auch Kraft und Mut, dann verleiht er uns eine von innen kommende Überzeugung, die durch Hindernisse und Unwegsamkeiten hindurch in der Lage ist, seine Gegenwart, seine liebende Nähe zu erfahren. Das ist eine Zusage, die uns in dieser Krise helfen wird.
Predigt am Ersten Adventssonntag (29.11.2020)
Predigtvon Abt Stephan Schröer OSB
Er ist anders, der erste Advent in diesem Jahr.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir hier in der Abteikirche sind eine kleine Schar. Und wahrscheinlich nicht alle in einer freudigen Erwartung, wie sie zum Advent gehört. Eher nachdenklich mag sich der eine oder andere fühlen, nicht frei von Sorgen und Unsicherheit.
Und draußen vor der Kirche. Es gibt keinen Adventsmarkt. Da gehen die Gedanken zurück in die vergangenen Jahre. Viele Menschen waren unsere Gäste, bekannte Gesichter, und solche, die voller Erwartung zum ersten Mal kamen. Sie kamen, um all das anzuschauen, was über lange Wochen von vielen hilfreichen Händen vorbereitet worden war, um zu probieren, das Gebäck, den Stollen, den Glühwein, die Gerichte aus unsere Küche, oder um schon etwas für das Weihnachtsfest zu kaufen. Um zusammen zu sitzen und zu sprechen, in der Oase, im Forum, vor der Kirche, im Laden. Und in den Einstimmungen in der Kirche zu spüren, wie schön diese Zeit sein kann, die auf das Fest der Menschwerdung führt. Eine Zeit der Begegnung, der Nähe, der Vorfreude.
Der erste Advent in diesem Jahr, er ist anders.
Die Pandemie hat die Vorzeichen gesetzt. Angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit macht es Sinn, Regeln aufzustellen, Selbstverständliches einzuschränken, Abstand zu halten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und manches zu streichen, was mit festlicher Nähe zu tun hat. Eine Situation, wie sie so für uns alle neu ist.
Und verständlich ist es, wenn viele in Sorge sind und Fragen haben: Wie wird es Weihnachten? Die Familie? Die Reisen? Wie lange geht das noch? Und wann wird die Möglichkeit bestehen, durch eine Impfung geschützt zu werden? Fragen, die uns auch heute Morgen umtreiben. Und wie feiern wir Gottesdienst angesichts dieser Fragen? Gottesdienst im Advent, dieser Zeit, die von Hoffnung und Erwartung geprägt ist und ja den Blick auf Weihnachten öffnen will, dieses Fest, das wie kein anderes mit gelungenem Leben zu tun hat.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir sollten es auf jeden Fall jetzt gemeinsam versuchen. Und es liegt nahe, die Texte zu befragen, die uns heute dabei begleiten. Am meisten berührt haben mich die Sätze aus dem Markus-Evangelium, kurz und einprägsam. Jesus im Gespräch mit seinen engsten Vertrauten, mit Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas. Und dann, als er von dem Türhüter erzählt und dessen Sorge, wenn der Hausherr auf Reisen ist, eine kurze Forderung, die an Intensität noch gewinnt, weil sie zweimal wiederholt wird: Gebt Acht und bleibt wach! Und dann: Seid wachsam! Und: Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam.
Beim ersten Hören wirkt es wie die Einladung zu einer eigenen Pandemie-Predigt.
„Seid wachsam“, das ist die sinnvolle und verständliche Ermahnung der politisch Verantwortlichen. „Seid wachsam“: Das ist sicher auch das Wort derer, die den wissenschaftlichen Hintergrund erforschen und erklären und auf die Folgen des Corona-Virus verweisen. Eine solche „Pandemie-Predigt“ allerdings möchte ich nicht halten. Erst recht nicht, wenn ich daran denke, welche Fülle von Nachrichten uns täglich begleitet und uns auch wegen mancher Widersprüchlichkeit, Falschinformation und Polemik oft ratlos, verwirrt, auch hin und wieder aggressiv zurück lässt.
Eher bescheiden möchte ich fragen: Wie könnte unser Advent in diesem Jahr aussehen angesichts der Fakten, die unsere Zurückhaltung, unsere Ernsthaftigkeit und manche Einschränkung fordern. Manches ist anders. Und für manche ist es eine schwere Zeit.
Das Wort Jesu von der Wachsamkeit ist ja, wie wir eben gehört haben, an alle gerichtet, also auch an uns, die wir jetzt hier zusammen sind.
„Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“
„Das sage ich allen.“ Eine Aufforderung, die alle erreichen will und die auch alle mittragen und weitertragen sollen. Und wenn ich zwischen den Zeilen lese und es richtig heraushöre, ist hier von einer Wachsamkeit die Rede, die nicht voller Angst erstarrt und nur die Vorschrift kennt und dass ich alles richtig mache. Nein, sie ist offen für Neues, für Überraschungen. Sie schaut voller Achtsamkeit hin und nimmt wahr, was alles möglich ist. Und sie ist aktiv. Sie ist eben voller Erwartung.
Also: Sei wachsam.
Wie kann das sein, in diesem Advent? Die Einschränkungen unseres Alltags schenken uns Zeit. Für manche ist es die Einladung, auszuruhen, durchzuatmen,
Kraft zu schöpfen. Das tut gut. Für andere ist es vielleicht die Einladung, zuhause aufzuräumen. Eine Sache, die noch so sinnvoll sein mag, aber in der Regel in der Begeisterung nicht von Dauer ist und oft von sehr beschränktem Erfolg. Oder es wird berichtet, dass Baumärkte ein unverhofftes Umsatzplus verzeichnen. Das deutet auf erheblichen Reparaturbedarf in den eigenen vier Wänden. Sicher, es wird auch manche geben, die sich langweilen, herumhängen und die Tage vertrödeln. Aber ich spüre, es bringt mich meiner Frage nicht näher, wie Wachsamkeit in diesem Advent Gestalt finden kann.
Es geht ja um Advent, übersetzt also um „Ankunft“. Advent, sprachlich ist das Wort verwandt mit dem englischen „Adventure“, was ja „Abenteuer“ meint. Advent hat mit Warten und Erwartung zu tun und damit mit Zukunft.
Und es geht um eine Ankunft besonderer Art. Es geht um die Gegenwart Gottes unter uns. Jetzt schon, in unserem Alltag. Menschwerdung Gottes… Das ist auf Aufbruch gestimmt, auf Neubeginn, auf Zukunft. Das hat mit unseren Tagen zu tun, mit unserem Leben. Und wenn ich das, was mich Weihnachten erwartet,
in aller Kürze umreißen soll, dann ist es dies: Das Staunen über diesen Gott, der sich um uns Menschen sorgt. Über diesen Gott, der uns nachgeht bis zur Menschwerdung. Über diesen Gott, der trotz aller Probleme und Katastrophen in unserer Welt, trotz manchen Leids vielleicht ganz in meiner Nähe, uns immer wieder deutlich macht, dass er uns nicht allein lässt. Sich von diesem Gott anrühren lassen, das ist Weihnachten. Und ihn zu erwarten, das ist Advent, ihn zu entdecken in meinen Tagen.
Es geht um diesen Jesus, der uns allen unsere Einmaligkeit und Würde zeigt und es ein Leben lang nicht lassen kann, von diesem neuen Leben zu erzählen und es zu teilen, und uns an unsere Möglichkeiten in der Kraft des Geistes Gottes zu erinnern.
Wenn ich auf diesen Advent schaue, der so anders ist, stiller als sonst und nachdenklicher, frage ich mich, ob das nicht auch eine Einladung sein kann, neu und einmal ganz anders über mein Leben nachzudenken. Wie könnte dieser Advent im Alltag für mich aussehen? Nicht, dass ich Ihnen Rezepte an die Hand geben möchte. Das würde mich überfordern. Und mit Sicherheit würde ich Dinge sagen, die sie nur langweilen. Noch dazu würde es Ihre Entdeckerfreude einschränken. Und das möchte ich nicht.
Ich möchte Sie nur einladen, Ihren Alltag neu in den Blick zu nehmen, unter adventlichen Vorzeichen. Vielleicht ist manches Gewohnte und Selbstverständliche einer neuen Aufmerksamkeit wert. Vielleicht hat manches mit dem Leben zu tun, das auf der Strecke geblieben ist.
Advent, geschenkte Zeit, um neu nachzudenken, über mich, ganz persönlich, mich zu erinnern an Dinge, die ich einmal begonnen und gern getan hätte, die aber im Alltagstrott untergegangen sind. Mal wieder mit Menschen, denen ich vertraue, in Ruhe zu sprechen, und mit solchen, mit denen es Streit gab, Versöhnung zu suchen. Schöne Dinge im Alltag neu zu entdecken, Musik, Bücher, das Erlebnis in der Natur. Neues auszuprobieren, schöpferische Begabungen zuzulassen oder ganz neu zu entdecken. Vielleicht wird es dann wirklich abenteuerlich.´Das alles hat mit meinem Leben zu tun.
Und vielleicht entdecke ich dann tief in meinem Herzen Spuren, die mit dem Advent, der Ankunft, der Ankunft Gottes in meinem Alltag zu tun haben. Advent mitten in meinem Alltag, mitten in meinem Leben, dass Gott dabei ist, schon jetzt. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen ich mich schwer tue, weil manches nicht geht, oder wenn ich mich erschöpft fühle und getrieben, wenn ich mir selbst im Weg stehe und mich selbst nicht leiden kann, kann der Advent neu den Blick freigeben und schärfen und Neues möglich machen, was mit meinem Leben zu tun hat.
Mein Wunsch für uns an diesem ersten Advent ist, dass wir erfahren dürfen, dass Gott jetzt schon dabei ist, in unseren Herzen, damit das Unerwartete geschehen kann, und uns eine neue befreiende Sicht auf unseren Lebensweg geschenkt ist und von da auch ein offener Blick auf die Menschen, die mit uns leben, besonders für die, die es in diesen Tagen schwer haben, weil sie krank sind oder hilflos oder einsam sind und vielleicht ausgerechnet auf mich warten.
Vielleicht ist es auch ein Weg, neu Mut zu schöpfen in einer Welt, die ja in mancher Hinsicht bedroht ist, und Mut zu finden zum kritischen Blick und zu Schritten, die mit Frieden zu tun haben.
Meine Schwestern, meine Brüder,
ich wünsche Ihnen die Gegenwart Gottes in diesem Advent. Und erinnere noch einmal an das Wort des Apostels Markus von der Wachsamkeit. Vielleicht gibt es manches zu entdecken, was mit unserem Leben zu tun hat. Vielleicht können wir neu spüren, dass wir von Gott getragen sind.
„Habt acht! Bleibt wach! Seid wachsam!“
Predigt am Christkönigssonntag (22.11.2020)
Predigtvon Abt Aloysius Althaus OSB
Das Christkönigsfest ist ein Fest des Lobpreises. Gott gebührt Lob und Ehre, weil er uns im Leben und Sterben und in der Auferweckung seines Sohnes gezeigt hat: Jesus Christus ist Alpha und Omega, ist Anfang und Ende. Jesus Christus und die Liebe werden das letzte Wort haben.
Und somit fragt Jesus im gehörten Evangelium nicht nach dem Glauben, sondern nach der Liebe.
Vielleicht sind wir und unsere Kirche viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir Gottes Wort und den Glauben in die Sprache des modernen Menschen übersetzen können, während wir uns auf die einzige Sprache, die alle Menschen sprechen, auf die Sprache der Liebe, zu wenig verstehen.
In diesem Sinn finde ich ein Wort der Dichterin Hilde Domin anregend und hilfreich. Sie schrieb: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zum letzten Atemzug.“
Schwestern und Brüder,
ich denke, das könnte ein Weg für uns alle sein!
NICHT IM STICH LASSEN –SICH NICHT UND ANDERE AUCH NICHT.
Hören wir unter diesem Vorzeichen noch einmal die Worte des Evangeliums:
„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben… ich war krank und ihr habt mich besucht…“
Eindringliche Worte. Manchmal sind wir selbst die Bedürftigen und wünschen uns sehnlichst, dass uns einer hilft, uns stärkt, uns besucht, zumindest uns mit einem Wort, mit einer Geste nahe ist. Die Rollen und die Lagen, in denen wir sind, wechseln im Lauf unseres Lebens immer wieder: Wir sind stark, um für andere da zu sein, wir sind schwach und auf andere angewiesen. Beides sind wir.
Ja, nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht-.
Wo Menschen am Mitmenschen so handeln, dort ereignet sich das, was Jesus Reich Gottes nennt: Dort sind Frieden, Gerechtigkeit und Liebe möglich.
Gerade hier in unserer Friedenskirche, im Blick auf unser Christ-Königs-Kreuz, wird es mir immer wieder bewusst:
Lass dich lieben, denn nur in der Liebe wirst du dich selber aushalten können.
Du wirst Dich bekehren können, Dich zuwenden können und dann sehen, dass Du die Liebe brauchst, die du aus dir selber nicht hast, die Liebe, die dich heil machen kann. Lass mich an dich heran, damit Du liebend wirst.
Wo Menschen hingegen ihre Freiheit dazu nutzen, auf Kosten anderer zu leben, wachsen Unrecht, Neid, Gewalt und Krieg.
Eine Mysteriengeschichte
Da ist eine kleine französische Stadt, verschlafen, festgelegt, beengend, versunken in Grabesruh. Die Bewohner dieser Stadt: kleinbürgerlich, sittenstreng, ängstlich, irgendwie „gefesselt“. Keiner tanzt aus der Reihe. Sonntags geht man zur Kirche. Der Bürgermeister regiert und korrigiert dem Pfarrer auch die Sonntagspredigt.
Ausgerechnet in der Fastenzeit nimmt eine Frau in dieser Stadt Wohnung. Und eröffnet – in der Fastenzeit – eine Chocolaterie! Dort dreht sich alles um Pralinen, köstliche Dinge aus Schokolade, vielfältig und wohlschmeckend.
Und diese Frau versteht zu verkaufen. Energisch, charmant, einfühlsam und liebenswürdig. Sie bezaubert die Menschen in der kleinen Stadt. Manchmal ist sie allerdings auch traurig und unsicher und bedrückt. Ein Mensch eben und keine Ikone!
Dieser Laden, die Frau und die Schokolade stören die Leute auf, stören den Lebenslauf in der Stadt. Etwas Neues und Ungeahntes kommt in Gang. Es entsteht Bewegung.
Die Frau und ihre Schokolade gewinnen die Menschen. Der Laden wird zum Treffpunkt all derer, die der Kleinkariertheit ihrer Umgebung entfliehen wollen.
Begegnungen, Freundschaften, Gespräche wachsen.
Es gibt aber auch heftigen Widerstand, Feindschaft, Verleumdung, ja Todesgefahr.
Soll die Frau ihren Laden zumachen?
Doch der Strom der Offenheit, des neu erwachten Vertrauens, der Hoffnung ist nicht zu stoppen.
Lösung, Lockerung, Aufbruch, Heiterkeit, Fröhlichkeit, Lachen. Eine neue Zeit in dieser kleinen Stadt.
Mir scheint, diese Geschichte hat eine tiefe Symbolik. Diese Frau und das Medium „Schokolade“ stehen für Heil und Glück, für Verwandlung und Neugeburt, für Auferstehung, für Erlösung. Alles verändert sich. Es wächst eine neue Stadt, eine neue Welt.
Bei den Menschen dieser Geschichte findet sich das, was Kennzeichen jeder christlichen Gemeinde und Gemeinschaft sein sollte:
Die Geschichte hat mir wieder einmal die Augen geöffnet. Sie ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, eine Ostergeschichte, eine Erlösungsgeschichte unseres Alltags. Der tiefste Sinn menschlichen Lebens und christlichen Glaubens bricht hier auf.
Meine Schwestern und Brüder,
uns bedrücken oft genug Sorgen und Ängste. Viele von uns kennen Einsamkeit, Armut und Leid. In der Welt, in der wir leben, verdüstert sich oft der Horizont.
Da hinein nun kommt die Botschaft dieses Sonntags, des Christkönigsfestes. Die liturgischen Texte sprechen von „Herrschaft Gottes über allen und allem“, vom „Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit“, von der Gegenwart Christi in den Hungrigen und Durstigen, den Obdachlosen, Nackten und Kranken, sprechen vom Geschenk „ewigen Lebens“.
Der Christkönigssonntag ist eine Oster-Erinnerung. Ein Sonntag, der von der Nähe und Freundschaft Gottes berichtet; der uns an das tiefste Geheimnis unseres Lebens erinnern möchte: Du wirst geliebt und kannst lieben. Du bist in einer Gemeinschaft und kannst Gemeinschaft gewähren. Du bist erlöst und kannst andere erlösen. Mitten im Alltag treffen wir auf den gegenwärtigen Herrn und Bruder Jesus Christus, wenn wir nur die Augen des Glaubens öffnen.
Und am Ende unseres Lebens steht nicht die Dunkelheit des Grabes, sondern die Einladung zu einem großen Fest, zu neuem Leben!
Die Frohe Botschaft des heutigen Festes will Ermutigung sein, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Es geht um eine nüchterne, alltägliche und unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Im Sinn Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen.
Wir vergegenwärtigen in dieser Eucharistiefeier und darüber hinaus Jesus als einen Menschen, der in wehrloser Liebe die Mächte und Gewalten erleidet, der sich hingibt in den Tod, der sich auf den Willen Gottes horchend der Gefahr des Scheiterns und der Vernichtung aussetzt und die Lebensbedrohung auf diese Weise entmachtet.
Es liegt an jeder und jedem von uns persönlich, ob ich mich von dieser Liebe prägen lasse.
Wenn wir es wagen, dann werden wir spüren, was die heutige Präfation so schön ausdrückt: Das Reich der Wahrheit, in dem es nicht um Rechthaben geht; das des Lebens, in dem Menschen befreit und angstfrei aufatmen können; das Reich der Heiligkeit, dass mich einlädt, ganz der zu sein, der ich bin; ein Reich der Gnade, da wir alle begreifen, dass wir das Wesentliche im Leben eh nur geschenkt bekommen können; ein Reich der Gerechtigkeit, die mehr meint, als Recht zu bekommen; ein Reich der Liebe, die unser Markenzeichen sein sollte und dann auch das Reich des Friedens, das dort einzieht, wo der Mensch Gott und den Nächsten wie sich selbst liebt.
Schwestern und Brüder,
wir sind eingeladen, uns vom auferstandenen Herrn berühren und von seiner Kraft verwandeln zu lassen. Um dann andere zu verwandeln. Wir sind eingeladen, an diesem Christkönigsfest noch einmal Ostern zu erfahren und weiterzugeben. Geschieht das, dann wird sich leise auch unser Lebensraum verändern, ja, liebevoll das Antlitz der Erde erneuern. Amen.
Predigt am 33. Sonntag im Jahreskreis (15.11.2020)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.
Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.
Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.
Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.
Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!
Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.
Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.
In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:
„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen.
Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“
Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.
Predigt am 32. Sonntag im Jahreskreis (08.11.2020)
Predigtvon Br. Emmanuel Panchyrz OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Laut orientalischem Brauch haben die Freundinnen der Braut bei einer Hochzeit den Auftrag, den Bräutigam mit Lampen – die Exegeten sprechen von ölgetauchten Lichtfackeln – zu empfangen und ihn in den Hochzeitssaal zur Braut zu geleiten. Es sind zehn an der Zahl. Der Bräutigam kommt in der Nacht – verspätet. Die fünf klugen haben vorgesorgt, sie haben Ölvorräte; die törichten bzw. die dummen haben kein Öl mehr. Sie müssen zum Krämer, um neues Öl zu besorgen. Diese kommen dann zu spät zum Hochzeitssaal. Die Tür ist bereits verschlossen. Sie rufen: „Herr, mach uns auf!“ Darauf die Stimme des Bräutigams: „Ich kenne euch nicht“. Die genug Öl dabei hatten, können zum Feiern in den Hochzeitssaal, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Unser gerade gehörtes Gleichnis, das für das Himmelreich, die gerechte Welt Gottes, steht, befindet sich in der großen Endzeitrede des 24. und des 25. Kapitels des Matthäusevangeliums. Eingerahmt ist es in die Beschreibung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Schilderung der Wiederkunft Christi. Bedeutend ist die Aussage, dass niemand die Stunde kennt, wann der Menschensohn kommen wird, nicht die Engel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Der Rahmen am Ende: Das große Weltgericht mit der Scheidung der Schafe von den Böcken. Dann folgt die Aussage des Weltenherrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dazwischen zeichnet Matthäus vier Gleichnisse. Das heutige ist das dritte. Die jeweilige Hauptintention ist es, jetzt Christus zu begegnen. Wir werden aufgefordert, wie die klugen Jungfrauen wachsam zu sein, um dem Bräutigam zu begegnen. Der Bräutigam ist Christus. Dieser Christus kommt jetzt und überraschend.
Beim Lesen des Gleichnisses stellten sich bei mir auch Widerstände ein. Diese Widerstände waren auch mit Verstörung gepaart. Die klugen Frauen teilen nicht ihr Öl. Werden wir uns nicht gerade diese Woche, am Martinsfest, der christlichen Haltung des Teilens erinnern? So wie Martin von Tours seinen Mantel mit dem Bettler teilt, so sind wir als Christen eingeladen zu teilen. Das Öl möchte ich deuten als die Bereitschaft, dem kommenden Bräutigam entgegen zu gehen, den gegenwärtigen Christus zu empfangen. Diese sehnsuchtsvolle Offenheit und Bereitschaft, den gegenwärtigen Christus zu empfangen, kann nur eine innere Haltung sein. Diese innere Haltung will ein Leben lang in einem spirituellen Prozess eingeübt werden. Diese innere Haltung kann ich nicht an einen anderen Menschen weitergeben. Ich kann diese Haltung auch nicht dem Anderen überstülpen. Ebenso kann ich diese spirituelle Haltung nicht einfach beim Händler besorgen. Auf mich kommt es an.
So möchte ich heute das Gleichnis verstehen: Eine Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit wird gefordert in meiner persönlichen Nachfolge. Auf das Heute und auf das Jetzt kommt es an. Es ist eine klare Absage bezüglich all unserer Aufschiebetaktiken: demnächst irgendwann einmal. Wir wissen es ja alle schon, dass es auf das Jetzt ankommt. Das ist unsere innere Wachsamkeit. So beten wir jeden Dienstag im Morgengebet: „Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wann das sein wird, weiß keiner von uns. Uns bleibt heute allein der Schluss des Gleichnisses: „Seid also wachsam. Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Mein zweiter Widerstand beim Lesen: Die Tür wird vor der Nase zugesperrt. Es gleicht einem kalten Fallen der Tür ins Schloss. Heißt es nicht bei Lukas: „Klopft an, und es wird euch geöffnet“? Und heißt es nicht in der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“? Wenn wir ehrlich auf unser Leben schauen, kennen wir das Phänomen der vertanen Chancen. Es ist das Unwiederbringliche, das nicht mehr Nachzuholende. Wir alle kennen das Zuwenig und das Zuspät. Das, was wir noch gerne gesagt oder getan hätten: Ein Wort der Liebe, eine Bitte um Vergebung. Ein Letztes: Es ist alles gut jetzt. Töricht sind wir alle. Wir kennen doch unsere ablaufende Frist. Der November mit seiner vergänglichen Stimmung erinnert uns daran. Wir können in unserem Leben nichts verschieben. Unsere Zeit steht nicht in unseren Händen. Und es bleibt ernst: Es gibt die Wahrheit des vertanen Lebens. Welche Lebensschule ergibt sich daraus? Wir müssen gegenwärtig sein und dem gegenwärtigen Christus begegnen. Gott selbst ist Gegenwart. Es bedarf unserer inneren Aufmerksamkeit und unserer Achtsamkeit und einer Beachtung unserer Innerlichkeit, um dem Göttlichen in unserem Leben zu begegnen. Eine Möglichkeit ist in unserer mönchischen Tradition die Vertiefung in das Wort Gottes. Der Christ wie der geistliche Mensch übt. Es genügt aber nicht nur, innerlich zu sein und „Herr, Herr“ zu sagen, sondern der lautere Ausdruck der spirituellen Haltung ist der Blich auf die Ränder des Lebens. Den gegenwärtigen Christus erkennen wir im Armen, im Entrechteten, im Kranken und im Fremden.
Ein dritter Widerstand: Die Stimme des Bräutigams: „ Ich kenne Euch nicht!“ Eines der unheimlichsten Worte der Evangelien, wie ich finde. Warum erkennt der Bräutigam sie nicht?
Ein wesentlicher Punkt im Gleichnis ist die Erwartung des Bräutigams. Kluge wie Dumme wollen den Bräutigam sehen. Das Erwarten meint doch die Hoffnung. Existentielle Hoffnung meint im Christlichen immer, dass uns über unseren Tod hinaus Heil geschenkt wird. Göttliches Heil steht jenseits unserer Todesgrenze. Der Hochzeitssaal steht ja für unser seelisches Erlösungsbild. Im Fest werden wir jenseits unseres Todes Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Heil will uns allen von Gott her geschenkt werden. Diese Zuwendung Gottes haben wir nicht in der Hand. Wir haben es nicht im Griff. Wir Menschen bleiben Empfangende. Wir dürfen Hoffnung haben. Diese Hoffnungsperspektive ist das Erkennungsmerkmal derer, die mit der Sache Jesu, seinem Reich, ernst machen. Und wenn nicht? Wenn wir diese Hoffnung nicht in uns schüren, dann verändern wir uns bis zur Unkenntlichkeit. Wir werden nicht erkannt! Auch im geistlichen Leben können wir uns bis zur Unkenntlichkeit verändern.
In Hinblick auf unsere Sterblichkeit möge unser Hoffnungsbild von Folgendem geprägt sein:
Das Lebenslicht unserer Lebenslampe wird einmal ausgelöscht, da die göttliche Sonne, die keinen Untergang mehr kennt, über unserer Existenz aufgegangen ist. Möge dieses Hoffnungsbild mich, uns alle hier trösten. Amen.
Predigt an Allerheiligen (1.11.2020)
Predigtvon P. Helmut Bochnick OSB
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Frage, die hinter dem Fest Allerheiligen, das wir heute feiern, steht, könnte so lauten: Was ist das Ziel unseres Lebens? Woraufhin sind wir unterwegs?
Gerade in der momentanen Jahreszeit, in der sich die Natur mehr und mehr in den winterlichen Ruhezustand zurückzieht, wo vieles abstirbt und zu Ende geht und wo vielleicht auch wir selber uns mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert sehen oder sie uns neu bewusst wird, erinnert uns das Fest Allerheiligen an unsere christliche Berufung und Hoffnung.
Berufung und Hoffnung:
Beides nämlich, der Ruf Jesu in die Nachfolge, der an uns in der Taufe ergangen ist, aber auch die in der Auferstehung Jesu begründete Hoffnung im Tod und über den Tod hinaus, machen deutlich, dass es sich beim Fest Allerheiligen um ein Fest des Lebens, um ein im wahrsten Sinne des Wortes lebendiges Fest, ein freudiges, hoffnungsvolles und Hoffnung machendes Fest handelt.
Das die Liturgie einleitende Tagesgebet hielt uns vor Augen, dass wir heute eingeladen sind, „die Verdienste aller Heiligen zu feiern.“
Einige dieser Heiligen sind uns von Kindheit an wohl vertraut, wie zum Beispiel St. Martin, der heilige Nikolaus oder die heilige Barbara, deren Lebensgeschichten wir nicht zuletzt in liebgewordenen Traditionen alljährlich erinnern. Andere Heiligengestalten wiederum sind uns im Gegensatz dazu selbst vom Namen her weniger oder gar nicht bekannt.
Doch wer die Heiligenlisten zu Rate zieht, wird sehr schnell feststellen, dass hier Frauen und Männer aus ganz verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Alter und Wesen verzeichnet sind.
Aber all diese Heiligen haben gemeinsam, dass sie sich von der Botschaft Jesu haben ansprechen und treffen lassen, und dass sie Jesus nachgefolgt sind und in ihrer Betroffenheit die Seligpreisungen, die wir im heutigen Evangelium gehört haben, zum Maßstab ihres Lebens gemacht haben.
Diese Menschen haben sich auf Jesu Botschaft eingelassen und sie zu ihrer Lebensmitte gemacht, haben ihr mit ihren je eigenen, von Gott geschenkten Talenten und Möglichkeiten eine Gestalt gegeben und auf diese Weise die Botschaft vom Reich Gottes schon in dieser Welt Wirklichkeit werden lassen.
Sie haben eine oder mehrere dieser Verheißungen des heutigen Evangeliums lebendig werden lassen und damit gezeigt, dass es sich bei den Seligpreisungen nicht um eine bloße Traumwelt, eine Vision oder Utopie handelt. Ihre Lebensgeschichten lehren uns vielmehr, dass die Botschaft Jesu lebbar und verwirklichbar ist.
Grundlage dafür war, dass sich die Heiligen vor Gott arm gemacht und arm gewusst haben. Sie sind mit offenen, leeren Händen vor Gott gestanden, einerseits im Wissen, dass sie von seiner Zuwendung abhängig sind und andererseits mit dem Vertrauen, dass Gott es ist, der ihre leeren Hände mit seiner Nähe, mit seinem Frieden, mit seiner Kraft füllen kann.
Diese empfangende Haltung hat die Heiligen die Welt mit den Augen Gottes anschauen lassen. Und das hat sie zu jenen Akzentsetzungen in ihrem Leben, zu jenen Taten, Entscheidungen oder Haltungen verholfen, auf die wir, wenn wir ihr Leben betrachten, manchmal mit Bewunderung, manchmal auch mit Verwunderung, manchmal vielleicht auch mit Entsetzen und dann auch wieder mit großem Staunen blicken.
Das Fest Allerheiligen nimmt also alle Menschen in den Blick, die den Weg der Nachfolge Jesu gegangen sind und seine Botschaft in ihrem Umfeld, in ihrer Zeit, in ihrer Situation und mit ihren Möglichkeiten gelebt haben.
Und dazu zählen nicht nur jene Menschen, die wir als Heilige verehren.
Dazu zählen auch all jene stillen, unbekannten, zum Teil längst vergessenen Menschen, die dem Glauben Gestalt gegeben haben und die bei Gott zur Vollendung gelangt sind.
Sie alle sind die „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, von denen Johannes im Buch der Geheimen Offenbarung im 7. Kapitel, Vers 9 sagt, dass „sie niemand zählen konnte“.
In der Präfation des heutigen Festtages heißt es:
„Heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Schwestern und Brüder, die schon zur Vollendung gelangt sind.“
Es sind unsere Schwestern und Brüder, nicht irgendwelche Übermenschen, die das heutige Fest in den Blick nimmt.
Dieser Lobpreis ist bemerkenswert, denn er schlägt förmlich eine Brücke zwischen denen, die bei Gott schon vollendet sind und uns, die wir noch auf dem Weg zum Ziel unseres Lebens sind.
Als Christen wissen wir um die Vorläufigkeit dieses Lebens und richten unseren Blick nach vorne, wo uns ein Leben über den Tod hinaus verheißen ist.
Die Heiligen, auf die wir heute blicken, halten uns diesen Blick und die Hoffnung auf den Himmel offen.
Ihr Leben, ihre Verdienste sollen uns nicht frustrieren oder demotivieren, weil wir meinen, sie kopieren zu müssen und gleichzeitig spüren, dass uns manche ihrer Taten zu groß, zu heroisch, zu unerreichbar erscheinen.
Was unsere Schwestern und Brüder in der Vollendung in ihrem Leben auf Erden ausgezeichnet hat, ist, dass sie der Verheißung gefolgt sind, die Jesus mit den Seligpreisungen seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben hat.
Die große Anzahl der Heiligen zeigt, wie vielfältig diese Nachfolge aussehen kann und wie vielfältig daher auch Heiligkeit gelebt, erkennbar und spürbar werden kann.
Das heutige Fest Allerheiligen macht uns deshalb Mut, wie viele Menschen vor uns auf dem Weg der Nachfolge Jesu zu gehen und dabei heilig zu werden. Denn dazu sind wir berufen: Heilige zu sein! Jetzt schon! Wir wissen es bloß noch nicht – oder schon nicht mehr…
Und es ist ein Weg, der uns zum Leben führt: zum Leben Gottes und seiner Heiligen, unserer Schwestern und Brüder. Amen.
Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (25.10.2020)
Predigtvon P. Guido Hügen OSB
„Gönne dich dir selbst!
An der Lust des Tages, die dir zusteht,
geh nicht achtlos vorbei!“
Liebe Schwestern und Brüder,
was klingt wie Zeilen aus einem Ratgeber zur Selbstfindung
oder einer Anleitung zum Glücklichsein,
sind tatsächlich Worte aus der Bibel,
aus dem Buch Jesus Sirach im 14. Kapitel.
Gönne Dich dir selbst!
Sei dir selber wertvoll!
Weil du Gott wertvoll bist.
Achte auf Dich, nimm dich selber ernst,
schau auf das, was dir gut tut
– es ist dir geschenkt!
Und dann – so heißt es weiter bei Jesus Sirach:
„Wer sich selbst nichts Gutes gönnt,
wem kann der Gutes tun?!“
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“
benennt es Jesus im Evangelium.
Das „Liebe deinen Nächsten“ hat uns unsere christliche Prägung
gut anerzogen.
Und es ist ja auch wichtig – gerade in Zeiten wie dieser.
Den Anderen sehen,
auf den Anderen Rücksicht nehmen,
für den Anderen da sein.
Und trotzdem:
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Das „wie dich selbst“ gehört sich nicht bei uns
– egoistisch sein gehört sich nicht.
In Supervisionen und Beratungen sage ich immer wieder:
der Mensch muss egoistisch sein,
muss sich um sich selbst sorgen.
Wenn nicht gerade in sozialen Berufen
am Ende nicht immer öfter der Burn-out stehen soll.
Ich kann nicht mehr… !!!
Er darf nur nicht egozentrisch werden
– mich selber immer in den Mittelpunkt stellen
und ständig um mich kreisen.
Aber wie will ich andere lieben, für andere da sein,
wenn ich mich selbst nicht liebe,
nicht für mich da bin?
Und andere lieben – gelingt uns das?!
Für andere da sein?
Andere akzeptieren, mich selber zurücknehmen,
den anderen wertschätzen, ihm Chancen geben?
Überlegen Sie einmal, ob und wie Sie das
in der letzten Woche getan haben.
War es nicht oft eher das Gegenteil?
Kommen wir nicht viel zu oft an unsere Grenzen?
Es gibt doch so viele Gründe:
Wenn ich mich vom anderen bedrängt fühle,
wenn ich den anderen nicht verstehe,
wenn ich mich selber beweisen muss,
weil ich mich minderwertig fühle.
Den Menschen am Rande
lasse ich gerne am Rande stehen.
Wer meine Hilfe braucht
– bekommt er oder sie diese?
Wohl niemand von uns kann sich da ausnehmen.
Wir spüren es immer wieder:
wir verletzen und sind verletzt,
Eifersucht und Machtgelüste lodern in uns.
Der oder die neben mir:
Wie oft gönne ich ihm oder ihr nichts.
Weil ich mir selbst nichts gönne?
Weil ich nicht spüren kann,
dass ich Gottes geliebtes Kind bin
und auch im Anderen Gottes geliebtes Kind sehe?
Die anderen als meine Geschwister annehmen,
und mit Gottes Augen sehen kann?!
Die Lesung des heutigen Tages aus dem Buch Exodus
geht weit darüber hinaus.
„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen
oder ausbeuten.“
„Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen.
Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit,
werde ich auf ihren Klageschrei hören.
Mein Zorn wird entbrennen …“
In mir höre ich das Geschrei von Menschen,
die ungerecht behandelt und versklavt werden,
die für sich und ihre Kinder ein besseres Leben wünschen,
und elendig ertrinken,
den stummen Ruf der Armen auch in unseren Orten,
die sich nicht wagen, herauszutreten.
Die gerade in dieser Zeit Vereinsamten und Verzweifelten.
„Wenn er zu mir schreit, höre ich es,
denn ich habe Mitleid.“
Haben wir Mitleid?
Oder ist es uns nicht eigentlich egal?!
Uns geht es ja gut.
Noch einmal zurück zum ganz Konkreten.
Was gönne ich denn dem Bruder, der Schwester neben mir?
Auch das, was mir vielleicht etwas „wegnimmt“,
was mich einschränkt, mich begrenzt?
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“
heißt eben auch: gönne auch dem anderen das,
von dem du meinst, dass es nur für ich ist.
Und bei allem:
„An der Lust des Tages, die dir zusteht,
geh nicht achtlos vorbei.“
Die Lust, die dir zusteht.
Du musst sie dir nicht erwerben, erkaufen, erschleichen.
Sie steht dir zu!
Also: geh nicht achtlos vorbei.
Ist das nicht die große Sünde:
dass wir Gottes Geschenk für uns – und für die anderen! –
nicht annehmen?!
Es achtlos liegen lassen?
„Den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen,
mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“
Mein ganzes Leben soll ER prägen.
Sein Geschenk – mich selbst –
und die „Lust des Tages“ darf ich annehmen.
Lassen wir es uns ruhig von einem Heiligen sagen:
Aus einem Brief von Bernhard von Clairvaux
an Papst Gregor III.:
Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst.
Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft,
aber ich sage: Tu es immer wieder einmal.
Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da,
oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
Predigt am 29. Sonntag im Jahreskreis (18.10.2020)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
„ ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‘ Die Münze trägt sein Bild. Dadurch gehört sie ihm. Wem gehören wir? Doch wohl kaum dem Staat. Zwar sind wir auch geprägt, gleichsam als eine lebendige Münze. Wir tragen das Bild Gottes. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Diese Prägung besiegelt unsere Verpflichtung Gott gegenüber. Das Siegel fordert uns mehr als das Siegel des Kaisers. Alle Menschen tragen das Bild Gottes in sich, alle gehören ihm. Und deswegen sind wir alle Gott verpflichtet: ‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“
Dies sind nicht meine Worte, sondern Franz Kamphaus hat sich so zu diesem Evangelium geäußert. Mir sind die Worte des Geprägt seins nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Prägen kann man von der Handwerklichen Seite sehen oder von der Menschlichen. Was hat uns geprägt? Was hat sich uns eingeprägt? Was heißt es geprägt zu sein?
Ich erinnere mich noch als ich als Kind bei einem Ausflug zum Marine-Ehrenmal Laboe zum ersten Mal vor einem Automaten in dem man Münzen umprägen konnte stand. Man musste eine Münze hineinwerfen und eine Gebühr bezahlen um dann mit der eigenen Kraft einen großen Hebel zu drehen und so die Münze umzuprägen, so dass sie kein Geldstück mehr war, sondern das Ehrenmal zeigte. Als Kind war es unglaublich, dass so etwas möglich ist.
Lassen Sie uns heute auf beide Seiten schauen. Auf den handwerklichen Vorgang und die menschliche Prägung.
Schaut man sich an was beim Prägen passiert, fällt auf, dass der Rohling in seiner Masse bestehen bleibt. Es wird nichts hinzugefügt wie beim Modellieren und nichts Weggenommen wie beim sägen, gravieren, schleifen oder schnitzen. Es werden durch die Prägung nur Flächen hervorgehoben und andere treten in den Hintergrund um so ein Bild erstehen zu lassen.
Auch in uns ist Gottes Antlitz schon vorhanden. Es muss nichts hinzugefügt werden zu meiner Persönlichkeit und es muss auch nichts weggenommen werden von meiner Persönlichkeit um Gottes Antlitz auf mir erscheinen zu lassen, um Gott durch mich sichtbar zu machen. Ich bin schon vollkommen so wie ich bin. Ich bin ganz. Es ist alles in mir angelegt. Ich muss mich nur von ihm prägen lassen um sein Antlitz auf mir zum Vorschein zu bringen. Ich muss zulassen, dass Er durch mich sichtbar wird.
Zum Prägen braucht es Energie. Es braucht Kraft. Viel Kraft. Zum Handprägen einer Münze sind mehrere Schläge nötig. Gott hat diese Kraft, wie wir es in der Lesung gehört haben. Das Evangelium kam nicht nur im Wort, sondern mit Kraft und heiligem Geist. Er will, dass wir uns von ihm prägen lassen.
Nur nützt der beste Prägestempel nichts wenn er ins Leere haut. Zum Prägen braucht es nicht nur Prägestempel und Hammer, sondern auch ein Fundament das auf der Erde steht, das die Kraft aufnimmt und so das prägen erst möglich macht. Das sich zum Prägestempel hin ausrichtet um die Kraft aufzunehmen.
Bin ich bereit mich von Gott prägen zu lassen. Mich und meine Kraft auf ihn hin auszurichten. Seine Kraft an mir wirken zu lassen. Mich von ihm Formen zu lassen. Meine Kraft einzubringen, fest auf der Erde stehend. Paulus schreibt im Brief an die Gemeinde in Thessalonich von Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus und von der Mühe der Liebe die wir haben.
Oder lasse ich mich von anderen Dingen umprägen die nach Aufmerksamkeit schreien, die meine Kraft und Energie beanspruchen wollen. Wir kennen Sie: Hass, Neid, Angst, Vorurteile und Schubladen, Unsicherheiten, Wut, Unbarmherzigkeit,
in der Welt,
in unserer Gesellschaft aber auch
in unserem persönlichen Umfeld.
Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir unsere Energie auf sie richten und uns so von Ihnen umprägen lassen.
Jesus lässt sich im heutigen Evangelium nicht darauf ein. Er lässt die Pharisäer auflaufen. Er lässt sich nicht provozieren. Er bleibt auf Gott ausgerichtet. Standhaft in seiner Kraft. Er lässt ihren Prägestempel quasi ins Leere schlagen.
Bleiben auch wir auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Kraft ausgerichtet und lassen wir die anderen Prägestempel, die uns umprägen wollen ins Leere schlagen.
„‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“ So haben wir am Anfang von Franz Kamphaus gehört.
Lassen wir uns immer weiter von Gott prägen mit aller Kraft, damit sein Antlitz auf und durch uns immer stärker zu sehen ist. Damit er in dieser Welt durch uns sichtbar wird.
Predigt am 28. Sonntag im Jahreskreis (11.10.2020)
Predigtvon Br. Benjamin Altemeier OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
der Text des heutigen Evangeliums (Mt 22,1-14) wird besonders herausfordernd vom Ende her. Dort, wo der Mensch, der kein Hochzeitsgewand trägt, hinausgeworfen wird an den Ort der äußersten Finsternis. Und ganz am Ende des Evangeliums der Satz: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Was ist damit gemeint? Das lässt mich zunächst einmal ratlos zurück.
Gehen wir dennoch erst einmal an den Beginn des Evangeliums zurück.
Da lädt Gott in der Person des Königs die eingeladenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein. Ein Bild für die Gottesschau. Die Gäste haben aber andere Dinge zu tun. Und natürlich ist der Mensch frei, die Einladung abzulehnen. Dann aber werden die Diener getötet, und der König reagiert, indem er sein Heer schickt und die Stadt in Schutt und Asche legen lässt. Müssen wir nun unsere Vorstellung eines liebenden Gottes korrigieren? Nein, denn hier lässt sich die konkrete geschichtliche Erfahrung ablesen, dass die Menschen des ersten Bundes in Israel sich nicht alle der Jesusbewegung anschließen, also die Einladung aus der Sicht der Christen nicht angenommen haben. Die Stadt, die in Schutt und Asche liegt. ist Jerusalem, die 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde, nicht von Gott.
Dennoch stellt sich uns heute die Frage: Lasse ich mich von Gott stören in meinem Alltag? Ist er für mich präsent? Oder lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe?
Lasse ich mich von der Botschaft Jesu aufstören, gar aufschrecke? Oder hat sie längst keine Bedeutung mehr in meinem Leben? Höre ich „mit aufgeschrecktem Ohr“, wie es Benedikt im Prolog seiner Regel schreibt?
Die Botschaft Jesu, dass ein jeder Kind Gottes ist, wertvoll und geliebt;
die Botschaft Jesu: „Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“;
die Botschaft Jesu der Hinwendung zu den Bedürftigen, die uns auch heute fordert.
Dann erfolgt die zweite Einladung Gottes an den Menschen, und dieses Mal füllt sich der Festsaal. Die Botschaft Gottes durch Jesus richtet sich an alle. Ausnahmslos alle. Juden wie Heiden, Griechen wie Römer, und sogar an Böse und Gute. Alle sind gerufen. Auch die Bösen, und diese sogar als Erstes. Das war auch für die Christen, an die sich Matthäus richtet, verstörend. Damals wie heute gibt es in der Kirche, in den Gemeinden, in den Gemeinschaften die Selbstgerechten, die entscheiden wollen: Du gehörst dazu – und Du nicht. Matthäus warnt auch uns, nicht eine Kirche ohne Sünder zu bilden, sondern, wie es Papst Franziskus ausdrückt, eine verbeulte Kirche, eine verbeulte Gemeinde, ja, liebe Schwestern und Brüder, eine verbeulte Gemeinschaft, in der der Sünder seinen festen Platz hat.
Aber nun zum Schluss, zum Menschen, der ohne Hochzeitsgewand kam und stumm blieb. Bei den Begriffen Hochzeit und Mahl wussten die Christen des Matthäus, dass es ums Ganze geht. Um die Gottesbegegnung, um den wiederkehrenden Christus, der uns begegnen will. Da müssen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, wachsam sein wie der Diener, der auf den Hausherrn wartet. Wir Christen sollen wachsam sein, kein verschnarchter und verschlafener müder Haufen.
Beim Hochzeitsgewand geht es nicht um den richtigen Dresscode. Wir Mönche nennen unser Gewand Habit. Daraus ableiten lässt sich der Begriff Habitus. Und dem schließt sich die Frage an: Habe ich den Habitus der Erwartung und der Sehnsucht?
Gott fragt uns: Was erwarten wir? Wonach sehnen wir uns? Hören wir die liebende, werbende Stimme Gottes noch? Die Frage Gottes lautet nicht: Was hast du erreicht? Was hast Du getan? Wieviel hast Du gebetet?
Gott fragt mich: Was bewegt mich? Was trägt mich? Was lässt mich hoffen?
Gott fragt mich: Wonach sehnst Du dich? Damit ich nicht stumm bleibe, kann ich mich vielleicht der Sehnsucht des Jesaja anschließen und antworten wie er:
Meine Sehnsucht ist:
Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen, und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde. Und weiter: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. (Jes 25,8-9)
Wenn wir uns dieser Verheißung anschließen können, sind auch wir berufen und auserwählt.
Predigt am 19. Sonntag im Jahreskreis (09.08.2020)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
„Theologie ist Biografie“ – dieser kleine Satz, der auch der Titel der Lebenserinnerungen des 2014 verstorbenen Theologen Herbert Vorgrimler ist, klingt zunächst nach einer Binsenweisheit. Jedes theologische (und auch nichttheologische) Denken ist von biografischen Voraussetzungen des Denkenden abhängig. Es ist für meine Theologie nicht unerheblich, ob ich in den Slums von Manila, in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet oder in einem kleinen Dorf in Niederbayern geboren wurde. Jedes menschliche Denken und Handeln entsteht auch aus biografischen Prägungen, die zu entdecken zur Lebensaufgabe werden kann.
„Theologie ist Biografie“ – den Satz kann man aber auch in umgekehrter Perspektive verstehen, dass theologisches Denken rückgebunden sein muss an die eigene Biografie, den persönlichen Lebensvollzug. Lehre und Leben müssen im Einklang miteinander sein. Wer in seinem Denken ständig die Barmherzigkeit Gottes verkündet, in seinem Leben diese Barmherzigkeit aber oft genug vermissen lässt, der macht sich im Reden und Handeln unglaubwürdig, dem nimmt man die Botschaft irgendwann nicht mehr ab, die er in wohlfeilen Worten verkündet. Auch das kann zur Lebensaufgabe jedes mündigen Christen werden, hinter der wohl viele von uns manches Mal zurückbleiben.
Wohl kein anderer hat den Zusammenhang von Theologie und Biografie, von Lehre und Leben, so erfahren, ja erleiden müssen wie Paulus, der große Völkermissionar, der die christliche Botschaft der Erlösung bis an die Grenzen der damaligen Welt brachte. Besonders deutlich und berührend wird das für mich in den Kapiteln 9 bis 11 seines Römerbriefes, in denen er sein Ringen um seinen Weg eindrücklich beschreibt – als jemand, der einerseits Jesus Christus und seine Botschaft persönlich erfahren hat, der aber andererseits die Beziehung zu dem Volk, dem er sich biografisch immer noch zugehörig weiß, nicht kappen will. Den Anfang haben wir heute in der Lesung gehört (Röm 9,1-5).
Dieser Saulus-Paulus ist Jude und hat als Jude mit seinen Glaubensgeschwistern leidenschaftlich die Anhänger des „neuen Weges“ des Jesus Christus verfolgt. In einem für ihn überwältigenden und umstürzenden Bekehrungserlebnis wandelt er sich zum treuen und ebenso leidenschaftlichen Jünger Jesu – ohne seine biografischen Wurzeln und die Menschen, denen er sich auch weiterhin verbunden fühlt, zu verraten. Und er entgeht dabei der Gefahr vieler Neubekehrter heute, die von ihrem früheren Leben nichts mehr wissen wollen und die Menschen, die einmal ihre engsten Freunde und Gefährten waren, verdammen – nur weil sie einem anderen Glauben anhängen. Nein, Saulus-Paulus leidet darunter, dass so viele seiner früheren Weggefährten seinen Weg, den er doch als richtig und heilbringend erkannt hat, nicht mitgehen können. Er „möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein“ um seiner Brüder willen, „die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“ Er weigert sich, seine jüdischen Glaubensgeschwister einfach zu verdammen, sondern möchte in seinem theologischen Denken einen Weg finden, ihnen Erlösung und Heil nicht abzusprechen. Er möchte die Wurzel seines Lebens nicht abschneiden, sondern ist davon überzeugt, dass seine jüdischen Wurzeln auch den Christen Paulus tragen und bereichern können – „Theologie ist Biografie“.
Am 9. August gedenkt die Kirche der hl. Edith Stein (durch den Sonntag wird in diesem Jahr ihr Festtag liturgisch verdrängt). Auch sie ist eine Frau, deren theologisches Denken zutiefst geprägt ist von ihrer Biografie. Als geborene Jüdin, promovierte Philosophin und konvertierte Christin, die dann als Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel eingetreten ist, wird ihr das Suchen und Fragen des Paulus nicht unbekannt gewesen sein. In Solidarität mit ihren jüdischen Geschwistern ist sie nach Auschwitz deportiert worden, wo sie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Bei ihrem Abtransport in das Vernichtungslager soll sie zu ihrer leiblichen Schwester Rosa gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Stellvertretung bis zur letzten Konsequenz.
Stellvertretung – mit diesem kühnen Gedanken versucht auch Paulus, sein Dilemma zu lösen. Im Bild von dem Ölbaum und seinen Zweigen sieht er sich selbst, den gebürtigen Juden und neuen Christen, als „wilden Zweig“, der zeitweilig die Stelle der „edlen Zweige“, seiner jüdischen Geschwister, einnimmt, bis irgendwann einmal alle Zweige am Ölbaum vereint sein werden. Das ist für ihn kein Grund, überheblich auf seine jüdischen Glaubensgeschwister herabzuschauen, sondern bewusst an dieser Stelle, stellvertretend für sein Volk diesen Platz einzunehmen.
Wie Gott einmal die Erlösungsgemeinschaft zwischen Juden und Christen vollenden wird, das ist seine Sache, bleibt Geheimnis. Klar ist nur: „Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Gott kündigt seinen einmal geschlossenen Bund mit dem Volk Israel nicht auf. So ruft es Paulus am Ende seines theologischen Ringens um die bleibende Erwählung und Rettung Israels aus,wie es uns in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefes überliefert ist. Und am Ende überlässt er die Lösung seines existentiellen Dilemmas dem Gott, der immer größer ist als unsere theologischen Begriffe und zu dem Juden und Christen gleichermaßen beten: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! … Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 11,33.36)
Predigt zur Diakonenweihe Br. Vincent (06.06.2020)
Predigtvon Weihbischof Dominicus Meier OSB
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ –
So, liebe Schwestern und Brüder, lautet ein Buchtitel des Philosophen und Publizisten Richard David Precht. In 54 Kapiteln geht Precht den Fragen nach: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?, und meint, in der Beantwortung dieser Fragen komme man der eigenen Identität auf die Spur.
Auch uns Christen beschäftigt immer wieder die Suche nach unserer Identität. Ein Christ fragt: Was macht mich aus? Hat meine Identität mit meiner Gottesbeziehung zu tun? Und wo ist der Ort, diese Identität zu leben: in der Familie, in einer Gemeinschaft oder allein?
Zunächst gründet für Christen ihre Identität in der Beziehung zu Gott. Gott verspricht, dass wir seine Kinder sind, geliebte Söhne und Töchter. Er spricht uns bedingungslos als seine „geliebten Kinder“ an.
Gleichzeitig haben wir als Christen die überkommene Aufgabe, Gottsucher im konkreten Alltag und Nachfolger Jesu im Heute zu sein.
Dabei stellen sich weitere Fragen ein: was macht mich aus? Wie definiere ich mich? Wie viel Individualität ist gesund und wo ist es besser, sich anzupassen? Man muss sich ja irgendwie definieren, sonst ist man ein Niemand, oder?
Lieber Br. Vincent, solche Fragen sind Dir sicher nicht fremd. In den vergangenen Jahren als Student in Paderborn, als Novize und Zeitlicher Professe in unserer Abtei, in den Monaten des Pastoralkurses hast Du vermutlich immer wieder die Identitätsfrage gestellt und nach Antworten gesucht. Antworten, die zu Dir und Deinen Lebensvorstellungen passen, die Dich so sein lassen, wie Du bist und nicht verbiegen.
Du hast immer wieder die Frage gestellt, wer bin ich vor Gott und vor den Menschen, mit denen ich den Alltag teile.
Diese Pfingstwoche 2020 ist gleichsam Deine ganz persönliche Identitätswoche, in der sich alles Fragen nach Deiner Identität nochmals verdichtet.
Während am Pfingstsonntag der Mönch und seine Lebensweise im Mittelpunkt des Suchens und Fragens standen, ist es heute der Dienst des Diakons.
In einer einzigen Woche bist Du aufgerufen, den Mönch und den Diakon in Dir Gestalt zu geben. Du, Bruder Vincent bist aufgerufen, als Mönch und Diakon Gestalt zu sein, dem Mönch- und Diakonsein Gestalt zu geben. Was heißt das?
Gestalt sein
Es mag einigen von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder verwundern, dass ich von der Gestalt des Mönches und des Diakons spreche. Eine Gestalt ist eine Form, ein Umriss oder eine Erscheinungsbild, also etwas Äußerliches. Müsste es aber bei beiden Lebensidentitäten nicht eher um Innerlichkeit gehen?
Von Äußerlichkeit sprechen wir in der Kirche nur ungern. Denn schnell verbinden wir äußere Gestalt oder Form mit Schein und Eitelkeiten. Muss das so sein? Es gibt ja nun mal sowohl für den Mönch als auch den Diakon äußere Zeichen seiner Lebensgestalt.
Ist es die Kukulle als Zeichen der mönchischen Lebensweise, ist es beim Diakon die Dalmatik und die gekreuzte Stola. Diese äußeren Zeichen sind prägend für den Träger, und für die, die ihn anschauen, vermitteln sie einen Eindruck.
Mönchsgewand und Dalmatik sind in Form des Kreuzes geschnitten und weisen so auf den, der menschliche Gestalt annahm, sich den Menschen zuneigte, um uns schließlich am Kreuz zu erlösen: Jesus Christus.
Ja, man kann sich allein durch das Äußere, den mönchischen Habitus, definieren, sich ergehen in liturgischen Handlungen und diakonalen Riten, aber werden diese Äußerlichkeiten reichen, um die Lebens-Gestalt eines Mönches und eines Diakons ein Leben lang zu verwirklichen?
Mönch und Diakon sind unterwegs mit Gott auf der Basis ihrer Spiritualität im Dialog mit ihm. Im alltäglichen Handeln lassen sie sich von Gottes schöpferischen Geist durchdringen und formen. Dabei können sich immer wieder neue und unerwartete Wege auftun und Herausforderungen zeigen, auf die beide sich einzulassen haben. Je mehr sie Gott in ihrem Leben Raum geben und sich auf ihn einlassen, desto mehr werden sie selbst zu einer menschlichen Gestalt Gottes und können in einer glaubhaft gelebten Spiritualität als Mönch und Diakon gestaltend wirken.
Gestalt geben
In den letzten Jahren konntest Du, lieber Br. Vincent, dem Mönch in Dir eine Gestalt geben. Die Zeiten von Noviziat und zeitlicher Profess waren Zeiten des Erlernens, des sich Vergewisserns – Zeiten der Gestaltgebung.
Weil Du diese Lebensweise angenommen hast und Dich in sie hineingegeben hast, gestaltetest Du sie mit. Du konntest dem Mönch in Dir eine bestimmte Form geben. Bündelnder Ausdruck Deiner Gestaltungsjahre war das am vergangenen Sonntag im Kreis Deiner Brüder vertrauensvoll gesungenen „Suscipe me, Dominie“ auf dem Professpflaster unser Abteikirche.
Gleich wirst Du wieder an dieser Alltags-Stelle stehen und Deine Bereitschaft erklären, als Diakon in dieser Gemeinschaft zu leben und für diese Deine Brüder zu wirken.
Da wird es wieder um Form und Formung gehen, d.h. um den Gestaltungwillen, dem Evangelium Jesu Raum und Zeit zu geben, nicht nur im inneren Ringen um die eigene Identität, sondern im diakonalen Handeln unter den Menschen.
So wirst Du sicher nicht von ungefähr für diesen Gottesdienst die Berichte von der Fußwaschung Jesu im Abendmahlssaal und der Taufe des Äthiopiers gewählt haben. Aus beiden Perikopen spiegelt uns die diakonale Haltung des Dienens, der Wertschätzung und der Ehrfurcht vor dem Leben des anderen entgegen, einem von Gott geschenkten und gestalteten Leben.
Als Diakon gibst Du in der Gemeinschaft und an Deinen Einsatzorten diesem Gott eine Gestalt und ein menschliches Antlitz.
Das ist ab heute Deine Mission! Ich möchte es mit den Worten von Papst Franziskus formulieren:
„Ich bin immer eine Mission; du bist immer eine Mission; jede Getaufte und jeder Getaufte ist eine Mission. Wer liebt, setzt sich in Bewegung, es treibt ihn von sich selbst hinaus, er wird angezogen und zieht an, er schenkt sich dem anderen und knüpft Beziehungen, die Leben spenden“ – so Papst Franziskus.
Lieber Br. Vincent, ich wünsche Dir von Herzen, dass Du in den kommenden Jahren dieser Mission Gestalt geben und eine Gestalt dieser Mission sein kannst.
Ich wünsche Dir, dass Du den Mönch und den Diakon in Dir nicht als zwei unvereinbare Identitäten wahrnimmst, sondern als Deine Identität in zwei Gestalten zu leben vermagst.
Ich wünsche Dir, dass Du mit Gottes Hilfe erkennst, dass Du in den unterschiedlichen Aufgaben und Diensten ein- und derselbe bist:
Vincent, ein von Gott geliebter und von den Menschen geschätzter Bruder!
Predigt am 7. Ostersonntag (24.05.2020)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
was für eine Gefühlsachterbahn, die die Jünger Jesu gefahren sind. Erst die Wunder und Reden, das Vertrauen und die Hoffnung das Jesus der Messias ist. Der begeisternde Einzug nach Jerusalem, die Huldigung der Menschen, Freude und Jubel. Dann das Letzte Abendmahl, wo der Meister ihnen die Füße wäscht und Verwunderung stiftet.
Auf dem Ölberg die Angst des Meisters zu spüren.
Der Verrat durch den Bruder aus den eigenen Reihen, der Jesus ausliefert und sich anschließend das Leben nimmt. Petrus der sich seine eigene Schwäche eingestehen muss, indem er Jesus dreimal Verleugnet.
Die Verurteilung, Demütigung und Hinrichtung dessen an den man geglaubt hat. Für den man alles stehen und liegen hat lassen und ihm nachgefolgt ist.
Verwirrung, Angst, Flucht und Verstecken.
Nur drei Tage später, die Auferstehung, die erst ankommen muss. An der Einige erst zweifeln. Vierzig Tage lang erscheint Jesus in den unterschiedlichsten Situationen.
Wieder Freude und Jubel doch an den Richtigen geglaubt zu haben. Doch die Hoffnung auf die Erlösung durch den Messias.
Und dann die Himmelfahrt. Jesus ist wieder weg. Empor gehoben in den Himmel. Aber wie lange kann das jetzt schon noch dauern bis er wiederkommt mit all seinen Engeln. Letztes Mal waren es ja auch nur drei Tage, die er fort war. Es kann also nicht lange dauern bis etwas passiert.
Diesmal keine Angst, sondern Vorfreude auf das was da kommt. Zusammensitzen und beten. Jetzt ist Zeit die Dinge zu reflektieren. Sich zu erinnern, was Jesus vor seinem Tod gesagt hat. Die Hoffnung zu nähren. Zu Warten.
Warten. Dieser seltsame Zustand zwischen Hoffen und Bangen. Zwischen Angst und Vorfreude. Zwischen Unsicherheit und Zuversicht. Zwischen Zögern und Ungeduld. Zwischen Spannung und Entspannung.
Warten. Erwarten. Diese urchristliche Haltung.
Traditioneller Weise ist der Advent die Zeit in der wir uns dieser Spannung gewiss werden. In der wir uns wieder Bewusst machen sollten, die Wiederkunft Christi zu erwarten. Leider ist diese Zeit heutzutage so vollgepackt mit den eigentlich für Weihnachten vorbehaltenen Feiern und Genüssen, dass das Gefühl des Wartens schwerlich aufkommt.
Vielleicht können wir ja dieses Jahr die jetzige außergewöhnliche Zeit nutzen uns des Gefühls des Wartens als urchristlichem Gefühl wieder zu nähern. In der Zeit des Verzichtes durch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronaviruses merke ich bei mir diese Spannungen des Wartens, des Erwartens, der Angst und der Vorfreude, des Zögerns und der Ungeduld, des Hoffens und Bangens. Des Ausschau Haltens. Was wird? Wann enden die Maßnahmen? Wie kommen wir aus dieser Zeit? Welche Wunden bleiben? Wann kann ich mich wieder ruhigen Gewissens mit Freunden treffen? Wann wieder Menschen ohne Beeinträchtigungen begegnen? Wird sich unser Sozialverhalten verändern? Die Angst mich oder andere Leute anzustecken und den Drang nach Freiheit mit anderen wieder mehr in Kontakt zu kommen
Sich diesen Zustand des Wartens zu eigen zu machen. Sich des Namens Jesu – Also Gott rettet – bewusst zu werden und zu wachen, zu beten, zu Hoffen und zu erwarten wie die Jünger nach der Himmelfahrt, kann helfen diese Zeit zu überstehen. Aus Ihr etwas Positives mitzunehmen. Einen richtigen Advent zu begehen.
Kraft dazu kommt von Gott. Er, Christus ist in UNS verherrlicht.
Einen dezenten Hinweis wie wir beten können gibt uns der Komponist des Gregorianischen Chorales. Er fasst in der heutigen Communio, – also des Gesanges, den wir gleich nach dem Kommunionempfang singen – die Verse aus dem Johannesevangelium, die der Stelle, die wir gerade gehört haben unmittelbar folgen zusammen. Er komponiert: Vater, solange ich war bei ihnen, ich bewahrte sie, die du gegeben hast mir. Jetzt aber: zu dir komme ich. Nicht bitte ich, dass du nimmst sie aus der Welt, sondern dass du bewahrst Sie vor dem Bösen.
Er kürzt damit nicht nur 3 Bibelverse auf das Wesentliche zusammen und hebt so den Kern des Hohepriesterlichen Gebetes Jesu, von dem wir heute die erste Hälfte gehört haben, hervor.
Er bietet auch uns einen Hinweis wie wir beten können. Das erste Wort ist „Pater“ also „Vater“ und die letzten Wörter sind „a malo“ also „vor dem Bösen“. Dies sind auch die ersten und letzten Worte des lateinischen Vaterunsers, welches die Mönche damals und auch wir Mönche heute mindestens dreimal am Tag beten. Auch die Vertonung von a malo erinnert an den Schluss des gesungenen Vaterunsers.
Das Vaterunser, dieses Urgebet der Christenheit, das uns von Jesus selbst geschenkt wurde. Dass die Bitte im Hohepriesterlichen Gebet Jesu wiederholt. Bewahre uns vor dem Bösen.
Es kann unsere Antwort, unsere Bekräftigung des Hohepriesterlichen Gebetes sein.
Es kann uns begleiten in der Zeit des Wartens, des Ausschau haltens. Wir können unsere Hoffnung hineinlegen.
Und wir können uns des Namens, den Gott seinem Sohn gegeben hat, bewusstwerden: Jesus (Gott rettet)
Nutzen wir diese Zeit das Warten, das Erwarten neu zu lernen auf den, der da kommt, der Herr ist und lebendig macht.
Predigt am 6. Ostersonntag (17.05.2020)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Lesung: 1 Petr 3, 15 – 18
Evangelium: Joh 14, 15 – 21
Auch an diesem Wochenende demonstrieren Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie. Dabei fällt die bunte Mischung der Teilnehmenden auf. Neben denen, die berechtigter Weise gegen die Einschränkungen einiger Grundfreiheiten protestieren, finden sich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, zudem versuchen Rechtspopulisten diese Proteste für ihr Interesse an Verunsicherung und Destabilisierung zu nutzen.
In der Folge kommt es zu Polarisierungen, Verteufelung der anderen, Hass, Wut und Aggression, die sich in Angriffen auf Polizisten und auch auf Journalisten entladen.
Die Reaktionen seitens der Politik sind gemischt, einerseits eine gewisse Fassungslosigkeit angesichts der teilweisen Verweigerung notwendiger Verhaltensregeln, kruder Verschwörungsphantasien und aufgeheizter Stimmungen, andererseits die ausdrückliche Bestätigung des Rechts auf Meinungsfreiheit verbunden mit der Bitte, diese in angemessener und gewaltloser Weise zu nutzen.
In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.
Dieses Recht ist zum einen Ausdruck der in Artikel 1 Absatz 1 gemachten Aussage und Forderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zum anderen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen wichtig, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, um so in der gemeinsamen Auseinandersetzung dieses Gemeinwesen zum Wohle aller zu gestalten.
Dahinter steht die Einsicht, dass jede und jeder vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte und dem eigenen Kontext eine je eigene Weise der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Keiner sieht alles, aber gemeinsam sieht man mehr und kann so der Wirklichkeit näher auf die Spur kommen und entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen treffen. Die Vielfalt der Meinungen somit als eine Ressource gemeinsamer Weltverantwortung und Lebensgestaltung.
Eine Ressource, die Benedikt in seiner Regel ausdrücklich zu nutzen empfiehlt, wenn er fordert, dass vor wichtigen Entscheidungen alle Brüder gehört werden sollen.
Doch die Vielfalt der Meinungen kann auch eine Herausforderung sein, die verunsichert und bedrohlich wirkt: Wem oder was soll oder kann ich glauben?
Zudem verwechseln manche die eigene Meinung mit Tatsachenbehauptung oder halten die Behauptung schon für eine Tatsache oder gar für die Wahrheit, um schließlich anderen fake news vorzuwerfen.
Je mehr ich jedoch von meiner Meinung als einer Tatsache oder der Wahrheit überzeugt bin, desto schärfer reagiere ich auf andere Meinungen.
Je mehr mich andere Meinungen nerven, desto verunsichernder und bedrohlicher empfinde ich die Vielfalt von Meinungen und klammere mich noch mehr an meine Meinung.
Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Teufelskreis, in dem der Mensch sich verrennt, sich einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Meinungen anderer entzieht, sich so dem Bemühen um eine gemeinsame Gestaltung von Gesellschaft und Welt verweigert.
Ganz anders klingt das heutige Evangelium, in dem Jesus seinen Jüngern, den Beistand, den Geist der Wahrheit verheißt, der sie führen soll.
Es ist die Fortsetzung des Evangeliums vom vergangenen Sonntag, wo Jesus von sich sagte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Somit ist dieser Geist der Wahrheit der Geist Jesu. Der Heilige Geist, das Band der Einheit zwischen Vater und Sohn, in dem auch wir durch den Sohn mit dem Vater verbunden sind.
Doch wie können wir diesen Geist der Wahrheit erkennen, um durch ihn die Wahrheit, Christus erkennen zu können?
Im Umgang mit dieser Frage kann ein zentraler Begriff der Benediktsregel hilfreich sein: discretio – mit diesem Begriff wird die Kunst der Unterscheidung bezeichnet.
Darunter verstehen wir heute zumeist die Bestimmung des guten Maßes, die Unterscheidung zwischen Zuviel und Zuwenig.
Im frühen Mönchtum verstand man darunter vor allem die Unterscheidung der Geister, die bereits der 1. Korintherbrief (12,10) als Geistesgabe, als Charisma nennt.
Dieses Charisma der Unterscheidung der Geister war in Korinth besonders gefordert, weil die Gemeinde dort in sich zerstritten war, so nennt Paulus gleich zu Beginn des Briefes vier Gruppierungen, die sich auf Paulus, Apollos, Kephas oder Christus beziehen, wobei jede meint, allein im Besitz der Wahrheit zu sein.
Diese Zerstrittenheit zeugt von keinem guten Geist, eher vom Widergeist oder Abergeist, der stets verneint und verwirrt und somit dem Geist Christi, der zur Einheit führt, völlig entgegensteht.
Joseph Ratzinger bringt es so auf den Punkt: Während der Geist Gottes „jenes Zwischen (ist), in dem der Vater und der Sohn eins sind als der eine Gott“ gilt vom Widergeist, dass er „allenthalben ‚dazwischen‘ steht und Einheit hindert“.
Damit ist ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der Geister genannt: Der Geist Gottes verbindet, der Widergeist trennt. Wes Geistes Kind jemand ist, zeigt sich meist an seinem Tun und dessen Folgen. Diese Einsicht entspricht schon dem Unterscheidungskriterium zwischen wahrer und falscher Prophetie, auf das sich auch Jesus bezieht, wenn er sagt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,16).
Paulus wird dazu in seinem Brief an die Galater ganz konkret und nennt die jeweiligen Geistesfrüchte (Gal 5, 19-25):
Der Widergeist bringt die Werke des Fleisches hervor: … Maßlosigkeit, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen.
Der Geist Gottes aber: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut …
Origenes, einer der Begründer einer Theologie der Spiritualität, der um 200 gelebt hat, nimmt diese Gedanken des Paulus auf, fasst sie zusammen und sieht die Wirkung des guten Geistes in tiefer Ruhe und echter Verbundenheit.
D.h. die Frucht des Geistes nach innen ist die Verbundenheit mit mir selbst, psychologisch ausgedrückt die Selbstkongruenz, die innere Stimmigkeit, das Ruhen in sich.
Die Frucht des Geistes nach außen ist die Verbundenheit mit den anderen, die ich als Nächste, als Schwestern und Brüder wahrnehme und achte.
Die Frucht des Geistes ist damit letztlich die communio, die Gemeinschaft, nach innen mit mir selbst, nach außen mit den anderen.
Das ist auch die Grundhaltung für gelungene Kommunikation genannt, für einen guten Umgang mit der Meinungsfreiheit: Bei-sich-selbst-sein und zugleich dem anderen zugewandt-sein.
Damit sind mir auch die Kriterien gegeben, mit denen ich mein eigenes Kommunikationsverhalten beurteilen kann:
Wie sage ich meine Meinung? Wann, wo, wem? Welche Worte wähle ich? Wie ist der Ton? Welche Einstellung oder Haltung dem anderen gegenüber wird darin erkennbar? Welche Bedeutung, welche Wirkung hat der Inhalt?
Dienen Inhalt und Form meiner Meinungsäußerung der communio, der Gemeinschaft, der Verbundenheit mit den anderen oder wirken sie eher trennend und untergraben ein gutes Miteinander?
Ein konkretes Beispiel dafür, wie wir Christen unseren Standpunkt vertreten sollen, findet sich in der heutigen Lesung aus dem 1. Petrusbrief, die uns dazu ermutigt, anderen zu begegnen und zu bezeugen, woran wir glauben und wofür wir stehen. Dabei wird hier noch ausdrücklich auf die Art und Weise aufmerksam gemacht, in der dies geschehen soll.
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber mit Sanftmut und Milde und in Bescheidenheit und Respekt.“
Predigt am 4. Ostersonntag 2020 in der Abtei Königsmünster
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Schafe. Warum vergleicht Jesus uns mit Schafen? Warum keine Ziegen, Schweine, Kühe, Rinder? Warum Schafe? Schauen wir, was diese Tiere ausmacht, warum Jesus uns mit Schafen vergleicht. Zufällig besitzen wir ja einige Exemplare Waldschafe, und ich darf als „Mietling“ mich ab und zu mit ihnen beschäftigen.
Eigentlich müsste also unser Bruder Isidor hier stehen und die Predigt halten. Aber hier nun einige Beobachtungen eines Mietlings im Schafstall.
Als ich über diese Predigt nachdachte, kam mir als erstes das letzte Silvesterfest in den Sinn.
Isidor sprach mich um halb neun abends an, ob ich ihm bitte bei den Schafen helfen könnte. Die Schafe sollten in den Stall, damit sie sich nicht durch die Böller um Mitternacht erschrecken, voll Panik in die Netze laufen und ungewollt ausbrechen. Im Schafstall musste irgendetwas passiert sein, dass die Schafe geängstigt hatte. Sie wollten nicht dorthin. Isidor hatte es seit fünf Uhr versucht, aber alleine war nichts zu machen. Wir trieben also zu zweit die Schafe durch eine Gasse von der Weide bis vor die Mistplatte. Hier weitete sich der Zaun und führte um die ganze Mistplatte. Isidor hatte vorne gelockt und ich stand als Absicherung hinten. Bis zur Mistplatte war es kein Problem, aber kein Schaf machte auch nur einen Schritt auf die Platte. Einige wollten schon zurück auf die Weide, aber dort stand ich nun im Weg. Pattsituation. Um die Schafe als Gruppe nicht in Panik zu versetzen, blieb ich relativ ruhig. Isidor hatte schon alle Lockmittel wie Kraftfutter und Äpfel bereit, aber es war nichts zu machen. Ab und zu schaffte er es, ein Schaf zu überzeugen, einen Schritt auf die Mistplatte zu machen, aber sobald dieses Schaf merkte, dass die anderen ihm nicht folgten, kehrte es um und löste so den Fluchtreflex der ganzen Herde aus. Auch wenn sich eines der ängstlicheren Tiere durch eine Kleinigkeit erschrak, blickten wieder alle Augen auf mich und den Fluchtweg zur vermeintlich sicheren Weide, anstatt auf die Stimme ihres Hirten zu hören und in den Stall zu gehen, wo es frisches Heu, Wasser und Kraftfutter gab. Wir spielten dieses Spiel eine gute Dreiviertelstunde. Ein Schaf durch langes Zureden auf die Mistplatte, eine kleine Unsicherheit, ein Fluchtreflex und alles war wieder auf Anfang. Es war zermürbend.
Dann nach einer gefühlten Ewigkeit das Einsehen. Warum auch immer. Ein Gefühl von Einsehen. Plötzlich setzte sich die Herde langsam und vorsichtig Richtung Stall in Bewegung. Auch die skeptischen Tiere gingen mit und lösten keinen Herdenfluchtinstinkt mehr aus. Es war geschafft. Einmal in Bewegung ging es ganz schnell. Es war kein Zögern mehr zu spüren. Die Herde hatte sich auf den Weg gemacht. Die Schafe waren im Stall. Was der letzte Auslöser war, kann ich nicht sagen. Warum sie sich schließlich fügten und ihrem Hirten folgten, kann ich nicht sagen.
Mir ist nur die Hilflosigkeit, ja die Machtlosigkeit des Hirten in der Situation vor Augen: dort zu stehen und außer gutem Zureden und Locken nichts machen zu können. Kein Zwang, kein Befehl, nur Geduld und Ausdauer, nur ruhig bleiben, frische Nahrung und gutes Zureden haben geholfen. Wer einmal so eine Situation erlebt hat, versteht, was Hirte sein bedeutet. Es heißt nicht herrschen, sondern Geduld und Barmherzigkeit. Es heißt sich in die Herde reindenken, dranbleiben, damit die Schafe den Klang der Stimme nicht verlernen, damit auch in Notsituationen wie dieser noch Vertrauen vorhanden ist. Es heißt sich alle Tiere anzusehen, zu bemerken, ob eines hinkt, ob es zurückbleibt, ob es niest, ob es krank ist. Ob es seine Lämmer versorgt oder Unterstützung braucht. Ob es im Frühjahr genug regnet, damit man im Sommer heuen kann, um im nächsten Winter genug Nahrung zu haben. Sie nachts heim zu holen in den sicheren Stall. Und all das nicht durch Befehl, sondern durch Locken und Rufen, durch Geduld und Barmherzigkeit.
Dies alles tut Gott für uns. Er allein ist der gute Hirte. An seiner Barmherzigkeit und Geduld sollen wir niemals verzweifeln, wie es so schön in der Benediktsregel heißt. Nur durch ihn kommen wir an frische Nahrung, wenn wir ihm unser Vertrauen schenken und auf seine Stimme hören, die uns ruft.
Wir sind alle Schafe. Das hat auch der Komponist des Allelujas und der Communio nochmal betont, da im Originaltext der Vulgata das Wort Schafe an dieser Stelle nicht steht. Er hat es also bewusst eingefügt und vertont.
Wir alle sind Schafe. Und jeder, der sich zum Hirten macht, stößt den eigentlichen Hirten weg. Er stößt Gott zur Seite. Damit keine Missverständnisse aufkommen: es gibt in einer Schafherde durchaus Leittiere und Hierarchie. Eine Schafherde ist aber kein Patriarchat mit dem Recht des Stärkeren, auch wenn die imposanten Böcke uns das weismachen möchten. Es ist ein Matriarchat in dem die älteren Muttertiere den Ton bestimmen.
Es gibt Tiere, die vorangehen und dem Hirten vertrauen, und es gibt die Skeptischen und alle Formen dazwischen. Es gib diejenigen, die im Alltag Vertrauen haben und in Notsituationen nicht. Und es gibt diejenigen, bei denen es genau anders herum ist. Es gibt diejenigen, die nur mitlaufen, diejenigen, die voranstürmen und diejenigen, die bremsen. Sie alle werden durch den Hirten zusammengehalten. Er kennt uns alle beim Namen und wir kennen ihn. Er hat uns alle im Blick und sorgt für uns.
Wir, die wir hier zusammen sind, gehören – hoffentlich – zu den Schafen, die dem Hirten mehr vertrauen und auf seine Stimme hören und so andere ermutigen können, es uns gleich zu tun. Durch unser Beispiel und unser Vorangehen. Er führt uns an frische Wasser. Durch ihn bekommen wir Nahrung in Fülle und Schutz in der Nacht. Höre, das ist unser Auftrag. Und nicht zu zaghaft und misstrauisch zu sein gegenüber dem Hirten, sondern vertrauensvoll.
Dann können wir gleich in der Communio voll Freude in das Blöken einstimmen. Me meae
Predigt am 3. Ostersonntag (26.04.2020) in der Abtei Königsmünster
Predigtvon P. Werner Vullhorst OSB
„Die Renten sind sicher!“ – dieser Ausspruch Norbert Blüms von 1997 ist seit Freitag, seinem Sterbetag, immer wieder zu hören.
Einen ähnlichen Klang hatte die Aussage von Kanzlerin Merkel 2008, als sie inmitten der Finanzkrise ausdrücklich sagte: „Die Spareinlagen sind sicher!“ Beidesmal folgte Zweifel!
Seit Anfang März diesen Jahres ist sterotyp mal aus Berlin, mal aus Brüssel zu hören: „Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicher“ – denn die Hamsterkäufe waren da ein erstes Indiz dessen, was dann kam…
Ab Mitte März breitete sich europaweit und bald weltweit der große Shutdown angesichts der grassierenden Coronapandemie aus.
Seitdem begleitet uns dieses Wort, welches wir vorher nicht auf dem Schirm hatten: „Shutdown“ – und in Erweiterung das Wort „Lockdown“.
Der Shutdown bedeutet eine Situation, wie wir sie uns – als wir die diesjährige Fastenzeit begannen – noch nicht hätten vorstellen können. Per staatlicher Verfügungen wurden in kurzer Zeit das öffentliche und das private Leben in ungeahnter Weise heruntergefahren – nach und nach fast weltweit.
„Der unausweichliche Prozess der Globalisierung hat anscheinend seinen Höhepunkt erreicht: Jetzt zeigt sich die globale Verwundbarkeit der globalisierten Welt.“ So deutet der tschechische Soziologieprofessor und Priester Tomas Halik das, was sich zur Zeit ereignet.
Die Pandemie und der Shutdown sind zu zwei Seiten einer Medaille geworden.
Was hier gesellschaftlich und vielfach auch persönlich existenziell geschieht, erfahren Menschen besonders, wenn der Tod in ihr Leben einbricht. Im Tod bricht nicht nur das einzelne Lebensgefüge eines Sterbenden zusammen, sondern vielfach das von Partnerschaften, Familien, Freundschaften und manchmal das von großen menschlichen Gefügen.
Auch wenn hier in der Kirche die Osterkerze brennt und das Halleluja diesen liturgischen Raum erobert hat, so ist doch in unserer Gesellschaft für unzählige Menschen ein fortwährender Karfreitag mit Arbeitslosigkeiten, Insolvenzen und Zukunftsängsten geblieben.
Ging es nicht auch „Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus – Zwilling -, Natánael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei anderen von seinen Jüngern“ ebenso?
Sie fanden sich am See von Tiberias wieder, weil am Karfreitag in Jerusalem mit Jesus auch ihre Lebensperspektiven starben. Der Grund, warum sie drei Jahre zuvor am See von Tiberias ihre Boote und Netze hatten liegen lassen, war tot und damit auch ihr Glaube an den neuen Weg.
Die Jünger fingen wieder von vorn an mit dem, was sie konnten – und das hieß: „Ich gehe fischen“. Kein Startup-Erlebnis, sondern ganz nüchtern hieß es gerade im Evangelium: „aber in dieser Nacht fingen sie nichts.“ Ihr persönlicher Shutdown hielt also noch an!
Die Erfahrung von Ostern scheint nicht immer nach dem liturgischen Kalender zu verlaufen, wie auch unsere Tage zeigen…
Der Karfreitag kann unerträglich lang werden, wie sich gegenwärtig gesellschaftlich zeigt und nun die große Solidarität, die wir vor Wochen noch hatten, heftige Risse bekommt und der Blick auf den eigenen Kuchen zunimmt. Die globalisierte Speisekammer scheint gefühlt schneller leer zu werden als gedacht.
Und Karfreitagsaugen werden irgendwann trüb:
„Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“
Auf die Frage nach ihren messbaren Erfolgen kam nur die knappe Antwort: „Nein“!
Nun macht der Nichterkannte den Jüngern mit der Verheißung Mut, es nochmals zu versuchen: Ihr könnt das! Ihr werdet etwas fangen!
Vergemeinschaftet kann das dann heißen: „Wir schaffen das…“
Und siehe, zu was Menschen in der Lage sind, wenn sie erneut anpacken…
Siehe da, wenn Menschen aus dem Nichts als Trümmerfrauen Städte aufbauen oder als Optimisten blühende Landschaften schaffen. Manchmal ist es unglaublich, was Menschen erreichen, wenn sie Verheißungen vertrauen: der Überfluss droht die Netze zu zerreißen und die Zahl 153 – von der ich weiß, dass sie auch eine mystische Bedeutung haben kann – klingt wie steigende Börsenkurse.
Ihren Erfolg wertschätzt Jesus, indem er ihnen sogar sagt: „Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.“
Heißt das nicht, dass unsere Aufbaukräfte gut sind, dass Erfolge nicht fromm missachtet werden dürfen und Optimismus unschätzbar ist…
Der Nachtrag des Johannesevangeliums, der exegetisch das 21. Kapitel darstellt, und der damit zu einer Zeit entstanden ist, als die Kirche, als das Werk der Jünger schon etliche Jahrzehnte wuchs und vermutlich auch erfolgreich war, spricht von einer anderen Speise, die ihnen entgegenkommt und schon längst da ist, als sie an das neue Ufer kommen. Nicht Brot und Wein wie in Emmaus – denn die junge Kirche feiert schon längst die Eucharistie in den Häusern – sondern Jesus hat für die Jünger die zu diesem Zeitpunkt entscheidende Nahrung selbst bereitet:
Zu erkennen in einem Kohlenfeuer, auf dem Fisch und Brot sind.
Das Kohlenfeuer – kann es nicht sprechen von dem brennenden Dornbusch und dem Gott, der sagt „Ich bin der ich bin“?
Und Fisch und Brot – sind es nicht die Gaben der Brotvermehrung, wo Christus gegenwärtig ist, wenn zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln, um das Brot und den Fisch, die „Gaben der Erde und der menschlichen Arbeit“, miteinander zu teilen?
Spricht an diesem dritten Ostersonntag 2020 die Gottesgabe auf dem Kohlenfeuer seiner Gegenwart vielleicht von der Gottesgabe der Geschwisterlichkeit und damit von der Gabe, welche die Pandemie verhindert, die laut Papst Franziskus noch schlimmer ist: der „Virus des gleichgültigen Egoismus“.
„Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicher“ – der Satz stimmt, wenn wir globale Geschwisterlichkeit als Anstiftung unseres gegenwärtigen Gottes leben.
Predigt am 2. Ostersonntag (19.04.2020) in der Abtei Königsmünster
Predigtvon P. Karl Brahm OSB
Als Jesus am Abend nach seiner Auferstehung den Aposteln erscheint, ist Thomas nicht dabei. Da wird uns kein Grund genannt, warum er nicht da ist. Vermutlich aber will er sich von diesem Kreis absetzen, der ja – seiner Meinung nach – ohnehin dabei ist, sich nach dem Tod des Meisters aufzulösen. Allein fühlt er sich sicherer, denn das gemeinsame Versteck könnte ganz schnell zur Falle werden. Und doch lässt er sich von den anderen noch kontaktieren, die ihm freudig mitteilen: Jesus ist von den Toten auferstanden; er lebt.
Aber der Zweifel in ihm ist stärker als die freudige Mitteilung seiner Mitbrüder. Er kennt sie ja auch alle nur zu gut. Angefangen von Petrus, diesem Maulhelden, den Zebedäus-Brüdern, die immer die erste Geige spielen wollten und deshalb mit Petrus immer sofort um den Meister herumscharwenzelten, den Verzagten am Ölberg und von Judas, dem Verräter und Dieb, den Jesus auch noch gewähren lässt, ganz zu schweigen. Ja, in diesem Kreis hat er nur Schöntuer erlebt, die sich, als es ernst wurde, in Angsthasen und Versager umwandelten. Schon bei der Kreuzigung waren ja fast alle verschwunden, und jetzt sitzen sie die meiste Zeit immer noch hinter verschlossenen Türen. Also: vermutlich alles nur Blöff.
Und doch fühlt er sich durch die erhaltene Neuigkeit getrieben, nochmals diesen Kreis aufzusuchen. Und dieser Kreis gewährt ihm weiterhin Eintritt, ohne ihm Vorwürfe zu machen, wo er abgeblieben war. Und jetzt sieht er mit eigenen Augen, dass ihre Botschaft echt ist. Jesus lebt – er lebt ein neues Leben im Lichte seines Vaters. Ja, diese Schöntuer, Angsthasen, Versager, diese Menschen mit all ihren Fehlern und Schwächen, denen Thomas ja auch nicht nachsteht, die haben die Wahrheit gesprochen. Ja, und genau diese Leute hat Jesus als Zeugen für seine Auferstehung und die damit verbundene Frohbotschaft auserwählt. Und vom auferstandenen Jesus angerührt, kann Thomas nun auch nicht mehr anders, als sich ganz in seinen Dienst zu stellen.
Ich denke, in der Geschichte von Thomas finden wir ein Spiegelbild der Kirche. Ja, in unserer Kirche, aufgegliedert in Gemeinden und Gemeinschaften, sind wir alle Menschen mit Schwächen und Fehlern. Und dennoch ist jeder, der da ehrlich mitmacht, von Jesus gerufen, die Frohbotschaft zu verkünden und seine Liebe weiter zu geben, so wie er damals die Apostel mit ihren Schwächen und Fehlern dazu berufen hat.
Aber weil wir Menschen nun mal so sind, die eigenen Schwächen und Fehler nicht zu sehen oder sehen zu wollen, und das Gute, das andere tun, schon gar nicht, findet man leicht einen Grund, sich von der kirchlichen Gemeinschaft, zu der man gehört, zu distanzieren. So war das ja auch bei Thomas. Und die Schlagworte, die heutzutage über die Kirche ausgebreitet werden, kennen wir ja alle. Wasser predigen und Wein trinken. Prink, Glorie, Geldgier und Karrieresucht statt Dienst am Menschen. Lieblosigkeit statt Liebe, und natürlich Missbrauch statt die Würde des Menschen zu achten. Kurzum: die Kirche ist unglaubwürdig, und Gutes sucht man vergeblich. Da bleibe ich lieber draußen vor der Tür, da bleibe ich lieber bei mir selbst, denn man muss sich ja schämen, dazuzugehören.
Wäre Thomas draußen vor der Tür geblieben, hätte er den Auferstandenen nie erlebt, hätte er sich nie bekehrt, wäre er nie in seinen Dienst getreten und hätte nie das Heil Christi erfahren. Denn der Treffpunkt mit dem Auferstandenen war nicht draußen vor der Tür, sondern inmitten der Gemeinschaft, in dieser Gemeinschaft mit all den Schwächen und Fehlern, aber einer Gemeinschaft, die sich dennoch ganz in den Dienst Jesu gestellt hatte, die sich ganz seiner Führung anvertraut hatte.
So vertraue ich weiterhin der Kirche, dass sie uns durch die Kraft des Heiligen Geistes mit Christus zusammenführen kann, damit wir durch ihn geheiligt werden und zum ewigen Leben beim Vater im Himmel gelangen. Ich vertraue der Kirche, dass sie trotz aller Fehler und Schwächen immer noch wahrheitsgetreu die Hoffnungen, Zusagen und Gebote unseres Herrn Jesus Christus verkündet. Ich vertraue der Kirche, dass sie durch ihr tägliches Gebet und Lobpreis auf den einzigen und wahren Gott hinweist, der Sinn und Ziel unseres Lebens ist. Und ich vertraue, dass die Kirche ihre Tore weiterhin offenhält für alle, die – wie Thomas – unserem Auferstandenen begegnen und in seinen Dienst treten wollen.
Predigt am Ostermontag (13.04.2020)
Predigtvon Bruder Benedikt Müller OSB
Liebe Schwestern und Brüder!
Es ist Ostern und wir dürfen es 50 Tage feiern. Jedes Jahr neu bekennen wir mit einem besonders feierlichen Ton am Ostertag: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!“. Seit einer Woche scheint es, dass wir aus dem liturgischen Feiern nicht mehr herauskommen. So viele Feier- und Festtage mit ihrem je eigenen Schwerpunkt. Was wir da alles feiern – das kann ich schlecht in einem Satz zusammenfassen. Zu viele Bilder und Gefühle aus der letzten Woche bewegen mein Herz. Da muss ich innerlich schmunzelnd an eines meiner ehemaligen Kindergartenkinder aus meiner Heimat Mengeringhausen denken. Ich war vor 26 Jahren Erzieherpraktikant im Anerkennungsjahr, da hatte mir ein sechsjähriger Junge – er heißt auch Benedikt – die festlichen Inhalte der Kar– und Ostertage in der Mengeringhäuser Kirche nach einem Kindergottesdienst zusammenfassend so erklärt: „Erst kommt Jesus mit seinen Kumpels nach Jerusalem. Dann essen wir mit ihm. Danach schlagen wir ihn alle ans Kreuz. Dann ruht er im Grab und steht wieder auf. Bis abends geht er mit Freunden spazieren, erschreckt immer wieder die Jünger am See, und dann fährt er zu seinem Vater auf.“ Dann schaute er auf den Hochaltar. Auf einem der Altarbilder sieht man Jesus in Gethsemane beten und ein Lichtstrahl fällt in dunkler Nacht auf ihn. Der Junge war nun fest überzeugt: „Jetzt weiß ich endlich, an was Jesus gestorben ist. An einem Sonnenbrand!“ Auf den Punkt gebracht. Naja, bis auf die Todesursache. Und abends geht er mit seinen Freunden spazieren – der erste Osterspaziergang. An den Ostern meiner Kindheit gehörte der Osterspaziergang traditionell dazu, und für mich war das immer: ein Stück mit nach Emmaus zu gehen.
Liebe Geschwister! Es ist der Ostertag. Die Jünger sitzen versteckt in ihrem Haus in Jerusalem und haben die Fenster und Türen verschlossen. Sie gehen nicht spazieren. Wie zitternde Angsthasen haben sie sich in ihren Angsthasenbau zurückgezogen. Also kein Osterspaziergang? Doch: Denn zwei Jünger sind auf dem Weg nach Emmaus, weg von Jerusalem, weg von den anderen Jüngern, weg von den Ereignissen der letzten Tage. Sie müssen die Ereignisse der letzten Tage in Jerusalem, das Geschehen um Jesus und sein Sterben, noch verarbeiten. Nicht eine Aufbruchsstimmung ist auf ihrem Weg spürbar, sondern Resignation und Verzweiflung. Es gibt Wegstrecken im menschlichen Leben, die holprig und steinig sind, wo uns der Gegenwind oder ein Virus ins Gesicht bläst. Eine Krankheit oder auch die aktuelle Pandemie kann uns mutlos machen.
Es gibt Lebenswege, da werden wir von Mitmenschen enttäuscht. Es gibt Wegkreuzungen auf unserem Lebensweg, wo uns der Tod eines geliebten Menschen jede Hoffnung nehmen kann. Schwer wird dann der Schritt, und es kommt die Frage auf nach dem „Wohin“ und „Wozu“ und dem „Warum“. Vielleicht ist es den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus ähnlich ergangen. Sie können JERSUALEM, den Ort der Hoffnungslosigkeit, nicht mehr ertragen – der Wind des Schmerzes hat hier in den letzten Tagen zu sehr geweht. Sie kehren der Stadt den Rücken zu. Sie geben auf und fliehen. Versunken in Traurigkeit und Verzweiflung. Denn dieser Jesus von Nazareth, der ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hatte, der die Mitte ihrer Gemeinschaft von Jüngerinnen und Jüngern war, ist ihnen gewaltsam genommen, er wurde ans Kreuz geschlagen. Alles ist zerstört, rabenschwarz, tot. Die dunkle Nacht der Seele. Und noch lange ist jene Nacht nicht vorgedrungen, und es scheint kein Morgenstern und schon gar keine Ostersonne für sie.
Die Trauer macht die beiden Jünger blind. Blind auch für den, der nun zu ihnen kommt – sich zu ihnen gesellt – und den Weg mit ihnen geht. Und doch spüren sie, dass Kraft und Trost von ihm und seinen Worten ausgeht. Christus begleitet uns, ob wir es wahrnehmen oder nicht. ER ist da. Wenn wir Christus zum Gefährten haben, leuchtet im Herz alles in schönerem Licht. Wenn wir ihm glauben und vertrauen, brennt unser Herz wie ein Feuer in dunkler Nacht. Seine Nähe erfüllt unser ganzes Sein. Er wird unsere Hoffnung und unsere Freude – unsere Stärke und unser Licht. Und liegt auch ein mühsamer Weg vor uns, mit Christus als Gefährten können wir diesen Weg getröstet zurücklegen. Seine Liebe und Nähe treibt uns immer neu an, dass wir nicht ermüden. Jesus hat uns versprochen, mit uns zu gehen, jetzt ist ER bei uns. ER hat uns seine Gegenwart versprochen. ER ist jetzt in dieser Feier bei uns und wird in Brot und Wein gegenwärtig. Er trägt uns, auch wenn wir in manchen Situationen unseres Lebens meinen, dass es nicht mehr weitergeht.
Liebe Schwestern und Brüder! Es ist Ostern! Wir sind wie die Jünger von Emmaus noch unterwegs. Aber wir wissen, da ist jemand, der mit uns geht: Jesus Christus. Die Begegnung mit dem Auferstandenen hat die Emmausjünger mit unbeschreiblicher Freude erfüllt. So große Freude, dass sie nicht anders können, als diese Freude zu anderen Menschen zu tragen. Das heutige Evangelium ist eine Anforderung an uns: Uns immer wieder auf die Nähe des HERRN einzulassen, in seiner Nähe Kraft und Freude zu finden und dann Boten der Freude für unsere Mitmenschen zu sein. Die Jünger haben den HERRN im heutigen Evangelium gebeten, bei ihnen zu bleiben. „HERR, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ Der zu Gast Gebetene wird zum Gastgeber. Seine Hände brechen vor ihren Augen das Brot. Und „da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn“. Im Buch Jesus Sirach heißt es. „Er gab ihnen ein Herz zum Denken. Sein Auge setzte er ihnen ins Herz!“ Es hängt davon ab, dass uns die Augen und das Herz aufgehen. Wenn wir Christus geschaut haben, wissen wir, wofür wir leben. Jeder, der seines Herzens Ohr neigt und IHN sucht, der wird auch finden. Der HERR lässt sich nicht vergeblich suchen. Aber es muss ein Suchen sein, das eine Offenheit im Herzen zeigt. Denn: Offenheit ist Voraussetzung für den Augenblick des Erkennens. Ein Erkennen, dass das Herz öffnet und entflammt und das uns sagen lässt: ER ist es. ER, den wir so oft in der Ferne suchen, ohne zu ahnen, dass er unser nächster Begleiter war. Die heilige Gertrud von Helfta hat diese österliche Erfahrung wunderschön so ausgedrückt: „Da fühlte mein Herz, dass du angekommen und in mir gegenwärtig warst.“ Amen, Halleluja!
Predigt am Ostersonntag (12.04.2020)
Predigtvon P. Julian Schaumlöffel OSB
Liebe Brüder hier im Königsmünster,
liebe Schwestern und Brüder unserer Mescheder Gemeinden, liebe Freunde und Förderer, Schwestern und Brüder im Glauben, die Sie heute über den Livestream mit uns verbunden sind!
Drei Begebenheiten der letzten Tage kamen mir bei der Vorbereitung der heutigen Osterpredigt in den Sinn. Drei Erlebnisse, die mich berührt und die sich mir eingeprägt haben.
Am Mittag des Gründonnerstags traf ich in unserer hiesigen Sparkasse eine Bekannte, die ich aufgrund des einzuhaltenden Sicherheitsabstands zunächst gar nicht wahrnahm. Im Vorübergehen rief sie mir zu, ich möge in diesen Tagen besonders an ihre Familie denken, die es schwer getroffen habe. Besonders schwer habe es ihren Bruder getroffen, der, obwohl er eine stabile Gesundheit hatte und aufgrund seiner 56 Lebensjahre auch noch nicht unbedingt zur Risikogruppe gehöre, nun schwer an Covid-19 erkrankt sei und an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen im Krankenhaus auf der Intensivstation läge. Wirkliche Angst konnte ich ihren Worten entnehmen. Lebensangst. Überlebensangst. Ich versprach das Gedenken und das Gebet. Das Gespräch war zu Ende, aber das Gesagte wirkte noch lange in mir fort.
Lebensangst. Überlebensangst. Sie ist mächtig in diesen Tagen!
Die zweite Begebenheit datiert einen Tag – oder auch 2000 Jahre – zuvor. Am Mittwochabend haben wir im Kreis der Brüder den Film „Maria Magdalena“ aus dem Jahre 2018 geschaut. Obwohl die Gestalt der Maria Magdalena sehr zu begeistern vermochte, blieb ich an einem anderen Charakter hängen: Judas. Sehr warmherzig, liebevoll und bedingungslos treu in der Nachfolge wurde Judas im Film gezeichnet. Einer, der die Kraft seiner unbedingten Nachfolge aus der verheißenen Hoffnung der bald schon anbrechenden Königsherrschaft Gottes zieht. In diesem Reich der Liebe und der Gerechtigkeit will er auf ewig wohnen und all seine Lieben wiedersehen, die er so schmerzlich vermisst. Doch wann geht es los? Wann beginnt dieses Reich? Er wird ungeduldig. Lebensangst. Überlebensangst. Er hat Angst, dass seine Hoffnung enttäuscht wird. Er will nachhelfen. Sein Verrat wird hier eher als ein verzweifeltes Anschubsen Jesu dargestellt. Jetzt muss der Messias sich doch endlich offenbaren und seine Königsherrschaft beginnen. Jetzt kann er nicht mehr anders. Judas will es nach seinen menschlichen Vorstellungen verwirklicht wissen. Er hat die Botschaft eben noch nicht verstanden. Und er wird sie innerweltlich auch nicht mehr verstehen, denn der Blick ins leere Grab, die tröstende Begegnung mit dem Auferstandenen ist ihm nicht mehr möglich. Angst. Überlebensangst. Sie war zu mächtig und hat ihm im Letzten das wahre Leben nicht ermöglicht, es am Ende sogar vernichtet.
Der dritte Moment, der sich mir eingeprägt hat, war nochmals einige Tage zuvor. Es war die Aussage einer älteren Frau aus Oberammergau im Rahmen einer Reportage über die abgesagten Passionsspiele. Der Ort und seine Bewohner haben über Jahre in die Leidensgeschichte investiert. Die Passionsspiele sind eine wichtige Einnahmequelle für das kleine oberbayrische Dorf. Über die Hälfte der Bevölkerung steht mehrere Monate auf der Bühne, um das Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu getreu einem über 380 Jahre alten Pestgelöbnis darzustellen. Nun sind die Passionsspiele abgesagt und auf 2022 verschoben. Die Reportage zeigte in diesem Zusammenhang auch eine junge Muslima, die der besagten älteren Dame ihre benötigten Lebensmittel vor die Haustür stellte. Der Dank und die Freude über die aktuelle Hilfsbereitschaft der Dorfbevölkerung – insbesondere der jungen Muslima – brachte die ältere Dame vor laufender Kamera zum Weinen: „So lange schon lebe ich hier, so viele Passionsspiele habe ich miterlebt, aber erst jetzt, da sie abgesagt werden mussten, habe ich in dieser jungen Frau zum ersten Mal die barmherzige Liebe Gottes wirklich erfahren dürfen.“ Ein Satz, der nachdenklich macht.
Was verbindet diese drei Begebenheiten miteinander? Auf den ersten Blick ist es die Angst einzelner Menschen. Angst. Überlebensangst.
Über die Angst zu sprechen, fällt an diesem Osterfest, das durch Kontaktverbot, abgesagte gesellschaftliche Ereignisse, fehlende Familienbesuche und Gottesdienste hinter verschlossenen Kirchentüren geprägt ist, nicht schwer. Die Angst überschattet unseren Alltag in Deutschland seit nunmehr vier Wochen.
Mit dieser Angst und Unsicherheit sind wir durchaus auch im Kern des heutigen Osterevangeliums. Im noch diffusen Licht des frühen Ostermorgens kommt Maria von Magdala zum Grab und findet den Stein weggewälzt. Es ist die Angst um den geliebten Meister, die sie schnell zu den Jüngern laufen lässt, die Angst und Unsicherheit um den Verbleib ihres Herrn, der sie rennen lässt. Überhaupt ist hier viel von Bewegung die Rede, denn nun rennen die Jünger ihrerseits zum Grab. Der Evangelist beschreibt es wie einen Wettlauf, denn wir hören, wer schneller ist und zuerst ankommt. Angst kann zu Aktionismus führen, der aber nicht ans Ziel bringt, solange das Vertrauen und die Hoffnung fehlen. Petrus, der zwar langsamer ist und später am Grab ankommt, traut sich dagegen hinein in das Grab, hinein in die dunkle Ungewissheit. Die Hoffnung, den Worten Jesu trauen zu dürfen, dass der Tod nicht das Ende ist, trägt ihn in die Grabkammer hinein, und aus der Ungewissheit und Angst kann österliches Licht aufstrahlen. Das ängstliche und verschlossene Herz wird weit und die Selbstbezogenheit öffnet sich zum anderen hin. Die eigene Auferstehung beginnt. Das nimmt auch der andere Jünger wahr und traut sich jetzt ebenfalls hinein. „Er sah und glaubte“ berichtet uns das Evangelium. Den Auferstandenen selber sehen sie zwar noch nicht, aber der Glaube an die Worte ihres Meisters trägt jetzt wieder und wird mächtiger als die Angst, die sie bisher gefangen hielt. Auferstehung ist eben nicht das große Zauberkunststück oder die Effekthascherei mancher Zeitgenossen. Auferstehung beginnt zaghaft, eben im noch diffusen Licht des Ostermorgens. Auferstehung beginnt dort, wo ich der Botschaft Jesu wieder traue, wo meine Hoffnung und mein Glaube wieder stärker werden als die Angst. Dann kann so vieles um mich herum wieder heller und leichter werden, dann kann die österliche Sonne wirklich strahlen und mein Leben bis in den letzten dunklen Winkel hinein erhellen. Das ist Ostern, das ist Auferstehung!
Papst Franziskus drückte es bei seiner Video-Generalaudienz am vergangenen Mittwoch so aus:
„Gott ist allmächtig in der Liebe und nicht anders. Es ist seine Natur, er ist so. Er ist die Liebe. Du könntest einwenden: „Was will ich mit einem so schwachen Gott, der stirbt? Ich würde einen starken und mächtigen Gott vorziehen.“ Aber wisse: Alle Macht der Welt vergeht, doch die Liebe bleibt. Nur die Liebe wacht über das Leben, das wir haben, denn sie umarmt unsere Schwächen und verwandelt sie. Es ist die Liebe Gottes, die zu Ostern unsere Sünde durch seine Vergebung tilgte, die den Tod zu einem Übergang zum Leben machte, die unsere Angst in Vertrauen, unsere Verzweiflung in Hoffnung verwandelte. Ostern sagt uns, dass Gott alles zum Guten wenden kann.“
Noch einmal zurück zu den drei Begebenheiten, die ich eingangs erzählte. Was verbindet sie? Es ist nur auf den ersten Blick die Angst. Genauer betrachtet verbindet sie die Sehnsucht nach Leben!
Die Sehnsucht meiner Bekannten, dass der geliebte Bruder die schwere Corona-Erkrankung übersteht.
Die Sehnsucht des Judas, dass die Gerechtigkeit des verheißenen Gottesreiches endlich anbricht.
Die Sehnsucht der älteren Dame aus Oberammergau, die so oft gespielte Passion als Lebenswirklichkeit in der Gemeinschaft ihres Ortes am eigenen Leibe erfahren zu dürfen.
Das ist Ostern, das ist Auferstehung!
Beginnen wir, liebe Schwestern und Brüder, noch heute mit unserer eigenen Auferstehung aus den dunklen Grabkammern unserer Ängste und vertrauen wir darauf, dass Gott wirklich alles zum Guten wenden kann. Spüren wir neu unsere eigene Sehnsucht nach Leben!
Dann kann es Ostern werden – auch in dieser schweren Zeit.
Christus ist wahrhaft vom Tode erstanden!
Amen. Halleluja.
Predigt in der Osternacht am 11.04.2020
Predigtvon P. Reinald Rickert OSB
Meine lieben Brüder und Schwestern, die Sie über das Internet mit uns verbunden sind, meine lieben Brüder hier in der Abtei!
Am Osterfest geht es immer um Leben und Tod! Am Osterfest 2020 geht es in besonderer Weise um Leben und Tod, oder besser gesagt um Tod und Leben!
Es ist eine Folge der Globalisierung – und noch nie dagewesen -, dass eine Viruserkrankung, die sehr viele Todesopfer fordert, sich so rasant ausbreitet: Sie macht vor keinem Erdteil, vor keiner Nation halt. Sie unterscheidet nicht zwischen hochentwickelten und weniger entwickelten Ländern. Corona betrifft alle Menschen – ohne Ausnahme: Die Infizierten und die Nicht-Infizierten, die noch Lebenden und die schon Verstorbenen.
Der Münsteraner Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz sprach schon vor Jahren davon, dass sich die Menschheit in einer allumfassenden „Koalition der Lebenden und der Toten“ befindet. Er stellt „eine Gleichheit aller Menschen unter Berücksichtigung der unterschiedlichsten Lebens- und Handlungsbedingungen“ fest. Metz sieht diese Gleichheit als Folge einer „rettenden Gottesgerechtigkeit“.
Und da sind wir wieder beim Thema „Ostern“.
„Es gibt kein Leid in der Welt, das uns nicht angeht.“ Diese elementare und solidarische Gleichheit aller Menschen zielt auf „die Anerkennung einer Autorität, die allen Menschen zugänglich und zumutbar ist, auf die Autorität der Leidenden, der ungerecht und unschuldig leidenden Opfer.“ Alle Leidenden haben uns etwas zu sagen, haben eine Botschaft auch ohne große Worte.
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Wie hätte Jesus darauf reagiert? Wir wissen, dass er sich überwiegend in Gleichnissen, weniger in dogmatischen Sätzen äußerte. Im Johannesevangelium stoßen wir – kurz vor seiner eigenen Leidensgeschichte – auf ein Bildwort aus dem bäuerlichen Milieu seiner Zeit: „Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Joh. 12, 24) Jesus beschreibt einen biologischen Vorgang, der jedem seiner Zuhörer geläufig ist: Wenn nach der winterlichen Ruhepause die Natur sich regt und alles wieder sprießt und sprosst: Frühjahr, eine Zeit des beginnenden Lebens! Darauf kann man sich verlassen: Leben – Sterben – Leben — Leben – Tod – Geburt.
Genauso stellten sich die griechischen Philosophen den „Kosmos“ vor. Platon wusste um das lebendige Walten der Physis: Werden und Vergehen – Anwesen und Abwesen – Wachsen und Sterben. Für die Antike war der Mensch fester Bestandteil dieses Kosmos; auf Augenhöhe mit Flora und Fauna, in Harmonie mit Pflanzen und Tieren inklusive ihrer Vergänglichkeit. Kosmos konnte nur einen göttlichen Ursprung haben. Auch die intellektuellen Juden zur Zeit Jesu wussten darum.
Heute ist dies anscheinend alles unvorstellbar geworden. Schon lange haben sich die meisten modernen Menschen vom Kosmos emanzipiert, „befreit“ und sich in und mit einer mechanisch-technischen Weltanschauung eingerichtet.
Dass menschliches Sterben nicht nur ein biologischer Vorgang ist, weiß auch Jesus: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ (Joh. 12, 25) Der Inhalt des christlichen Osterfestes bleibt paradox: Wir leben nicht unserem Tod entgegen, sondern wir sterben unserem Leben entgegen. Wir wechseln im Sterben unsere Lebensform, doch wir werden nicht zerstört.
Übrigens hat Pythagoras (570 – 510 v.Chr.) die Lehre der Unsterblichkeit der Seele aus Ägypten nach Hellas importiert. Denn in der Frömmigkeit der alten Griechen findet man nicht den geringsten Hinweis auf ein Fortleben der Seele nach dem Tod.
Die praktische Seelsorge beschränkt sich derzeit auf Beerdigungen direkt am Grab im engsten Familienkreis. Ich hatte also in den letzten Wochen viel Zeit zur Muße. Bei gutem Wetter sitze ich dann auf der runden Bank in unserem Garten, rauche eine Zigarre und beobachte den kleinen frühlingshaften Kosmos auf dem Klosterberg: Die eiweißreichen Kerne eines jeden Samenkorns verzehren sich zugunsten einer neuen Pflanze; alles sprießt und sprosst; „wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Die verschiedenen Vogelarten liefern sich Revierkämpfe und zeigen Balzrituale. Bruder Isidors Mutterschafe führen ihre Lämmer aus. Ein Bild des Lebens! Keine Corona-Panik! Ein Gleichnis für den inneren und äußeren Frieden der Menschen.
Vielleicht brechen wir innerlich auf – wo wir an diesem Osterfest ja nicht weg können – und machen uns auf die Suche nach der verlorenen Harmonie und lernen wieder den Kosmos bewusst wahrzunehmen.
Tiere und Pflanzen machen uns vor identisch zu leben. Auf ihre Art hat Ute Latendorf die österliche Botschaft in einem Gedicht beschrieben:
Leben lernen
Von der Sonne lernen, zu wärmen,
von den Wolken lernen, leicht zu schweben.
Von dem Wind lernen, Anstöße zu geben,
Von den Vögeln lernen, Höhe zu gewinnen,
Von den Bäumen lernen, standhaft zu sein.
Von den Blumen das Leuchten lernen,
Von den Steinen das Bleiben lernen,
Von den Büschen im Frühling Erneuerung lernen,
Von den Blättern im Herbst das Fallenlassen lernen,
Vom Sturm die Leidenschaft lernen.
Vom Regen lernen, sich zu verströmen,
Von der Erde lernen, mütterlich zu sein.
Vom Mond lernen, sich zu verändern,
Von den Sternen lernen, einer von vielen zu sein,
Von den Jahreszeiten lernen, dass das Leben immer von Neuem beginnt.
Amen.
Predigt an Karfreitag am 10.04.2020
Predigtvon P. Johannes Sauerwald OSB
Liebe Brüder hier in der Abteikirche,
liebe Schwestern und Brüder, die Sie vom Bildschirm aus mit uns die Karfreitagsliturgie feiern!
An diesem Karfreitag strahlt zwar draußen die Sonne, doch unsere Feier wird überschattet von Vorsichtsmaßnahmen, die mit der Covid-19 Pandemie zusammenhängen. Es ist sehr schade, dass Sie, die Kirchengemeinden und wir Mönche hier, dieses für unseren Glauben zentrale Fest nicht gemeinsam im Kirchenraum begehen können, so wie wir es gewohnt sind, und das gilt auch für Ostern, den Tag der Auferstehung. Das beeinträchtigt sehr wohl das unmittelbare Erleben.
Was bleibt dann von dem Kern eines starken Glaubensereignisses an diesem hohen Feiertag noch übrig, wenn wir in einer zugesperrten Kirche zusammenkommen und die anderen nur über das Internet dabei sein können?
Anders gefragt: Was steht jetzt in dieser Stunde im Mittelpunkt der Karfreitagsliturgie? Es ist das Gedenken an Christi heilsames Leiden und Sterben und an seine Auferstehung. Gerade jetzt angesichts der bedrohlichen Lage sind wir darauf angewiesen, nach dem tragenden Grund unseres Glaubens und unserer Hoffnung zu fragen. Jesus sichert seinen Jüngern zu: „Wo zwei oder drei in meinen Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Über die Zeiten hinweg kommt er zu uns, wir sind nicht passive Zuschauer, sondern werden in seine Gegenwart hineingeholt. Wir schauen auf ihn und werden so Zeugen all dessen, was mit ihm geschehen ist.
Denn soeben haben wir die Leidensgeschichte nach dem Johannesevangelium gehört, und wieder einmal läuft dann das dramatische Geschehen der letzten beiden Tage Jesu von Nazareth vor unserem inneren Auge ab. Es geht dabei um mehr als eine Erzählung des beklagenswerten Todes eines großen Menschen, der vor zwei Jahrtausenden zu Unrecht verurteilt und hingerichtet worden ist. Wir schauen auf den Durchbohrten, betrachten seinen letzten Weg, und versuchen zu verstehen, was sein letzter Gang für uns bedeutet. Wir schauen auch auf die beteiligten Personen: welche Rolle haben jene gespielt, die in die Passionsgeschichte verwickelt sind? Seine Mutter, seine Jüngerinnen und Jünger, seine Feinde und Gegner, die Mächtigen wie Pilatus und König Herodes, und die Vertreter des jüdischen Volkes, dann die namenlosen Randfiguren, die Soldaten und alle jene, die auch noch zufällig mit in diese Geschichte hineingeraten, etwa Simon aus Zyrene und die beiden Verbrecher, die links und rechts neben dem Unschuldigen am Kreuz aufgehängt werden.
An jedem einzelnen von ihnen wird deutlich, wie Menschen mit der Passion Jesu umgehen, wie sie darauf reagieren. Wir können an ihnen auf unsere eigenen Reaktionsweisen stoßen. Vielleicht gibt es jemanden unter ihnen, mit dem ich mich in irgendeiner Weise identifizieren kann?
Keine dieser Gestalten ist unwichtig, bedeutungslos. Nehmen wir nur die beiden Mitgekreuzigten. In den Evangelien werden sie Räuber, Verbrecher, Übeltäter genannt, wir sagen heute Kriminelle, vielleicht Terroristen. Es ist nicht von Belang, was sie verbrochen haben und warum sie rechtmäßig zum Tode verurteilt worden sind. Nur dass sie Jesus in der Stunde seines Sterbens räumlich am nächsten waren, sein Kreuz links und rechts flankierten, Jesus also in ihre Mitte kam. Das war natürlich kein Ehrenplatz. Ihn so zu positionieren hieß, ihn als Verbrecher einzustufen und verächtlich zu machen. Dorthin hat ihn seine Sendung, seine Berufung geführt, dort ist er gelandet mit seinem Einsatz für das Heil der Menschen. Nun erntet er Schimpf und Schande. Er wird zum Spielball seiner Gegner, zum Abscheu für die religiös Reinen mit ihren fixen Vorstellungen von Gott, die sie pflegen, um nicht wirklich an Gott glauben zu müssen. Auch die beiden Mitgekreuzigten reagieren auf diesen Menschen in ihrer Mitte, der allerdings aus ganz anderen Gründen als sie hingerichtet wird. Das Lukasevangelium lässt einen der zwei Kriminellen in die Verhöhnung der Schaulustigen um ihn herum einstimmen, der andere dagegen öffnet sich für die menschgewordene Liebe Gottes an seiner Seite und bittet um das ewige Leben. Es ist unbegreiflich, was da in dieser Begegnung passiert. Noch im Sterben wendet sich Jesus ihm zu, offenbart seine erbarmende Liebe zum Sünder, indem er ihm, allen Begleitumständen zum Trotz, verheißt, umgewandelt zu werden und bald im Paradies zu sein.
Diese Episode kennt das Johannesevangelium nicht, sondern erwähnt nur die Tatsache, dass Jesus zusammen mit zwei Verbrechern gekreuzigt worden ist. Das aber nicht der Vollständigkeit halber, quasi aus protokollarischen Gründen, sondern um ganz deutlich zu betonen, dass der Gekreuzigte in jene Zone gerät, wo menschliche Würde nicht mehr zählt. Diesen letzten Akt seines Lebens lässt Jesus nicht einfach stumpf und passiv über sich ergehen als sei er nur von äußeren Mächten aufgezwungen. Vielmehr lässt er sich unter die Verbrecher zählen, um in allem uns gleich zu sein, außer der Sünde. Er nimmt den letzten Platz bewusst an. Er nimmt ebenso die Folgen menschlichen Fehlverhaltens auf sich. Er erlebt an sich selbst, was es heißt, auf die unterste Stufe herabzufallen, ohne Solidarität schutzlos da zu stehen. Anscheinend gibt es keinen Unterschied zwischen ihm und den Sündern. Er ist es, der sich mit ihnen solidarisiert. Er nimmt an der Not ihrer Zweifel teil, an dem Gefühl, dass alles sinnlos zu sein scheint, wird im Ölberg von der Angst gepackt und muss durch das Dunkel der Gottesferne hindurch. “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Weil Jesu alles loslässt, erreicht Gottes Gnade den tiefsten Punkt des Menschlichen, dringt in den Abgrund menschlichen Dunkels vor, um es dort in Jesus selbst zu heilen und in göttliches Licht zu verwandeln.
Das tiefste Dunkel aber ist der Tod. Deshalb ist es die Überzeugung der Kirche, dass Jesus in das Reich des Todes herabgestiegen ist, wie es das Apostolische Glaubensbekenntnis formuliert. Gott hat keine Erlösung von oben herab verordnet oder einen Schalter umgelegt, sondern aus der Tiefe und von innen her den in sich verschlossenen Menschen an seinem tiefsten Punkt aufgesucht. Wie sehr es Jesus verlangt hat, den Menschen aus seiner selbstgewählten Quarantäne zu befreien, sehen wir am Kreuz. Auch die Ängste, in denen Menschen gefangen sind angesichts der eigenen Verfehlungen oder leidvoller Schicksalsschläge, können das göttliche Wirken nicht aufhalten.
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir doch wirklich verstehen könnten, was uns in der Stunde der Krise und Angst entgegenkommt an göttlicher Langmut, an Milde, an lebensspendender Kraft! Wo uns doch nicht nur das Evangelium, sondern auch die Erfahrung vieler Menschen bezeugt, dass Gott ausgerechnet in der Stunde der Not den Abstand zu uns überwindet, und dort uns nahe kommt, wo wie es am wenigsten vermuten. Lasst uns daher das Kreuz verehren, auf den Durchbohrten schauen und uns aufschließen lassen für das österliche Leben.
Predigt an Gründonnerstag am 09.04.2020
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
„Freiheit, Freiheit – ist die einzige, die fehlt“. So, liebe Schwestern und Brüder, heißt es in einer bekannten Rockballade von Marius Müller-Westernhagen, die zu einer Art Hymne der Befreiung von der DDR-Diktatur und der deutschen Wiedervereinigung wurde. Freiheit, Freiheit ist ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen, eine tiefe Sehnsucht in jedem von uns. Frei zu sein von inneren und äußeren Zwängen, frei zu sein von Sorgen und Ängsten, frei zu sein, das zu tun, was man will und was einem wichtig ist, frei zu sein, sich selbst zu verwirklichen, seinen eigenen Weg zu gehen und Glück, Erfüllung, Sinn und Frieden zu finden. Und es schmerzt uns oder wird gar unerträglich, wenn sie fehlt, die Freiheit.
Und sie fehlt uns in diesen Tagen und Wochen der Corona-Krise ganz deutlich. Wir sind zurzeit stark eingeschränkt.
Vieles ist gerade nicht möglich, nicht erlaubt. Durch staatliche Anordnungen verboten. Die sind zwar sinnvoll und
notwendig, aber trotzdem macht es uns das Leben mitunter schwer. Wir müssen Distanz zueinander wahren, auch wenn wir gerade jetzt das Bedürfnis nach Nähe verspüren. Und viele von uns sind in diesen Tagen sicher auch nicht frei von Sorgen und Ängsten.
Doch wie frei waren wir eigentlich vor Corona? Wie frei waren und sind wir in einer Welt, in der Werbung und Medien uns subtil manipulieren und einflüstern, was wir alles brauchen, um glücklich zu sein, um „jemand“ zu sein? Wie frei sind wir in einer Welt, in der die Wirtschaft in hohem und zunehmenden Maße die Politik und Gesetzgebung bestimmt, in der es immer mehr nur um Gewinnmaximierung geht und der einzelne Mensch zum Mittel zum Zweck degradiert wird, in der die Kluft zwischen reich und arm immer größer wird, in der die soziale Marktwirtschaft immer mehr zu einem unmenschlichen und gnadenlosen Kapitalismus verkommt. Wie frei sind wir in einer Welt, in der unsere Demokratien, die doch für unsere Freiheit sorgen, immer stärker gefährdet sind, weil rechtspopulistische Ideen und Gruppen immer mehr Gehör und Anhänger finden und unsere Gesellschaften immer stärker gespalten und zerrissen sind, in der ein friedliches Zusammenleben und geteilter Wohlstand bedroht werden,
weil es vielen Nationen anscheinend nur noch um die eigenen Interessen geht und aus dem Blick gerät, dass wir Menschen alle Teil ein weltweiten Schicksalsgemeinschaft sind, Schwestern und Brüder.
Vieles wird uns jetzt in dieser Krise deutlich und erfährt eine erste Korrektur. Wir besinnen uns wieder darauf, was wirklich wichtig ist im Leben. Solidarität, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe nehmen wieder spürbar zu. Sind das nicht schon erste Schritte auf dem Weg zu mehr Freiheit? Und es gibt Stimmen, die sagen, die Krise muss noch ein wenig länger dauern, damit wir wirklich dauerhaft daraus lernen und unsere Welt sich dadurch nachhaltig zum Positiven verändert, auch wenn das für manche zynisch klingen mag. Doch warum rede ich die ganze Zeit von Freiheit? Weil mir dieses Thema aus den heutigen Lesungen sehr deutlich entgegenkommt. Und weil sie uns viel Ermutigendes dazu zu sagen haben.
Da ist das Volk Israel, das in Ägypten unterdrückt wird und versklavt ist. Doch Gott lässt sein Volk nicht im Stich. Er
offenbart sich dem Mose als der Ich bin da, der das Elend seines Volkes sieht und sein Leid kennt, der die Initiative
ergreift, um an der Seite der Israeliten gegen ihre Unterdrücker zu kämpfen und sie aus der Knechtschaft in die Freiheit zu führen. Direkt vor dem Aufbruch in die Freiheit stärkt sich das Volk nach göttlicher Anordnung mit einem gemeinsamen besonderen Mahl, dem Pessach- oder Paschamahl. Wir haben davon in der Lesung gehört. Das Pessachmahl ist also ein Mahl der Befreiung, in dem der Glaube, dass Gott all denen nahe ist, die in Unfreiheit leben und die leiden, lebendig wird.
Heute gedenken wir insbesondere des letzten Abendmahls, das Jesus mit seinen Jüngern gehalten hat. Hier hat Jesus, der Immanuel, der Gott mit uns, diesem Pessachmahl eine neue Bedeutung verliehen, indem er es mit seiner eigenen Lebenshingabe verbunden und uns als wertvolle Erinnerung daran hinterlassen hat. So erinnert uns dieses Mahl daran, wie unermesslich die Liebe Gottes ist, mit der er uns liebt, bedingungslos. Eine Liebe, die bis zum letzten geht, in der sich Gott in Jesus selbst ganz und gar hingibt. Es ist, wie das Exsultet in der Osternacht besingen wird, die „unbegreifliche Liebe des Vaters, die den Sohn dahingibt, um den Knecht zu erlösen“. Ja, Gott hat das Elend der Menschen, unser Elend gesehen. Wir sind verstrickt und gefangen in den Strukturen des Bösen, der Sünde. Wir leiden darunter und haben selbst Anteil daran. Eine Sünde verursacht die nächste. Eine Aktion zieht die nächste Re-aktion nach sich. Ein Teufelskreis. Durch seinen Tod am Kreuz, durch sein Opfer, hat Jesus uns daraus befreit. Er hat die Macht der Sünde für uns durchbrochen, indem er auf die Gewalt nicht mit Gegengewalt geantwortet hat, sondern sie aus Liebe scheinbar ohnmächtig erlitten hat.
Und wenn ich Gott seine maßlose Liebe zu mir glaube, und erkenne, was er am Kreuz für mich getan hat, – und das bringen wir in jeder Eucharistiefeier zum Ausdruck – dann wird mich das innerlich frei machen. Frei von Angst und Sorge, weil ich dann keine Angst mehr um mich selbst, mein kleines, oft so schnell gekränktes und eitles Ego haben muss. Denn dann weiß ich mich ja vollkommen umfangen und getragen von der Liebe Gottes, die alles Verstehen übersteigt. Dann stehe ich auch nicht mehr unter dem Zwang, mich selbst verwirklichen zu müssen, womöglich auf Kosten anderer, sondern dann wird es mir ein inneres Bedürfnis sein, auf diese Liebe mit meiner Liebe zu antworten, mich selbst in Liebe an Gott und die Menschen hinzugeben. Und gerade darin, indem ich mich selbst loslasse und hingebe, werde ich mich selbst finden, mich selbst verwirklichen, weil Gott uns als sein Ebenbild so angelegt hat, als Mitliebende, weil es unserer tiefsten Wahrheit entspricht. Und ich werde dabei Jesus ganz nahe sein, weil ich ihm dann nacheifere, in seinen Spuren gehe.
Er lebte ganz aus dieser Liebe Gottes. Er wusste sich in dieser Liebe ganz geborgen. Im Evangelium heißt es, dass Jesus „wusste, dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte.“ Und deswegen war er innerlich ganz frei und konnte alles loslassen. Deswegen konnte er zum Sklaven werden, indem er, der Meister und Herr, seinen Jüngern die Füße wusch. Und deswegen konnte er zuletzt auch sein Leben loslassen. Das Mahl der Liebe, das Jesus uns hinterlassen und in dem er seinen Tod vorweggenommen hat, und das Beispiel seines Dienstes an uns im Zeichen der Fußwaschung, will uns frei machen. Frei von allen inneren Zwängen, von aller Angst und Sorge, ja, selbst von der Angst vor dem Tod, und frei zum Dienen, frei mich selbst loszulassen. Wenn wir also ernsthaft glauben, was wir heute und in diesen Tagen feiern, oder zumindest es immer mehr glauben, dann wird es uns, dann
wird es die Welt verändern. Der heutige Tag und auch die nächsten Tage wollen uns in diesem Glauben stärken. Öffnen wir uns für diese Botschaft! Öffnen wir dafür nicht nur unseren Verstand, sondern auch unsere Herzen, damit dieser Glaube uns wirklich ganz durchdringen und erfüllen kann!
Und so möchte ich Ihnen am Schluss meiner Predigt die letzten Zeilen des Liedes „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen mitgeben, die lauten: „Alle die von Freiheit träumen, sollen’s Feiern nicht versäumen, sollen tanzen auch auf Gräbern, Freiheit …“
Ja, Feiern und Tanzen, heute, am Gründonnerstag noch verhalten und Ostern dann aus ganzem, aus freiem Herzen!
Predigt am 5. Fastensonntag 2020
PredigtLazare, veni foras!
von P. Marian Reke OSB
An den Sonntagen der österlichen Bußzeit kommen in der Eucharistiefeier im Lesejahr A Passagen aus dem Johannesevangelium zum Vortrag. Dieses Evangelium wird auch das mystische genannt, ein Evangelium, das in Gänze sozusagen vom Glanz der Göttlichkeit Christi erstrahlt. Es spielte schon immer in der Liturgie der Fasten- und Passionszeit eine gewichtige Rolle. Die Reihe der teils ungewohnt langen und zugleich faszinierenden Perikopen richtete sich zuerst an die Katechumenen, an Frauen und Männer also, die auf ihre christliche Initiation in der Feier der Osternacht zugingen. Sie richtete sich auch an Christen, die mit einer schweren Schuld beladen als Poenitenten auf dem Weg der Wiederversöhnung waren. Ebenso richteten und richten sich diese Passagen des Johannesevangeliums an uns alle, denn unser Glaube kann nur als immerwährender Anfängergeist und im Geist steter Versöhnung lebendig bleiben.
Am dritten Fastensonntag hörten wir von der Verheißung lebendigen Wassers, die Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen offenbart. Wir alle sind mit dieser Frau aus Samarien gemeint. Jedem von uns will sich das doppelte Geheimnis des Durstes erschließen – des Durstes Christi, den es sozusagen nach dem Durst unserer Seelen dürstet, nach der tiefsten Sehnsucht des Menschen, die sich im Verfließen der Zeit allein aus der ursprünglichen Quelle der Ewigkeit stillen lässt. An ihr dürfen wir schon jetzt wieder und wieder zur inneren Ruhe kommen – und dessen bedürfen wir doch in diesen Tagen.
Am vierten Fastensonntag erfuhren wir vom Drama des blindgeborenen Mannes, dem Jesus mit dem Augenlicht auch eine neue Lebenssicht schenkte. Wir Menschen sind wie blindgeboren, doch ist jedem von uns das Licht Christi – der neue Blick – verheißen. Wahrhaftig erhellende Sichtweisen tun besonders in widerwärtiger Gegenwart not und sie können sich auftun im nüchternen Vertrauen gläubiger Herzen.
Heute, am fünften Fastensonntag, begegnen wir einem eindrucksvoll menschlichen Jesus, einem berührbaren, innerlich erregten und weinenden Mann auf dem Weg zum Grab seines geliebten Freundes, der nach vier Tagen schon zu stinken beginnt, wie es die Lutherbibel drastisch ins Wort fasst. Wir alle sind sterblich. Auch wenn es uns stinkt, wir sind definitiv „die Sterblichen“, wie in der Antike die Menschen genannt wurden – im Unterschied zu den unsterblichen Göttern. Jeder von uns ist in vielerlei Binden eng gebunden, in Bindungen der Angst, die uns bisweilen erstarren lässt. Immer wieder einmal sind einem Augen und Mund verdeckt vom Schweißtuch unserer Nöte, man will sie nicht anschauen oder darüber sprechen und irgendwann fühlt man sich geradezu eingeschlossen in die Einsamkeit – wie in eine Grabeshöhle.
Mit „Lazarus im Grab“ sind wir gemeint und zu uns als seinen geliebten Freunden ist Jesus auf dem Weg. Auch uns will derzeit – unter den gegebenen lebensfeindlichen Umständen – der Ruf der Auferstehung Christi auferwecken: zum Leben und zur Lebensfreude oder verhaltener gesagt zur Lebensfreundlichkeit in Wort und Tat … Ich wünsche sie uns derzeit von Herzen.
Das als erster Hinweis – und noch kurz zwei weitere auf zwei andere Texte der Liturgie dieses Sonntags:
Hören wir zunächst mit den gespannten Ohren des Anfängergeistes von Katechumenen und mit den auf das versöhnende Wort lauschenden Ohren von Poenitenten noch einmal die großartige Prophetie des Ezechiel in der heutigen Lesung: So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. … Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig … Ich habe gesprochen und ich führe es aus – Spruch des HERRN. Diese Verheißung, einst erfüllt in der Auferweckung des Lazarus, will sich wieder und wieder erfüllen in der Geschichte der Menschheit und in den vielen Geschichten der Einzelschicksale. Wir sollen und dürfen lernen, die Geschicke der Welt und unseres eigenen Erdendaseins wie Katechumenen ganz neu zu sehen oder wie Poenitenten von Grund auf erneuert auch zu verstehen, und das schon jetzt und Tag für Tag … Dann werden wir es auch bald feiern können – im Licht der Nacht der Auferstehung Christi, jener Ostervigil, die der heilige Augustinus die „Mutter aller Vigilien“ genannt hat.
Und noch zuletzt – lasst uns nachher in gleicher Haltung die Communio der heutigen Messe singen. Sie ist zweifellos eine der machtvollsten Verflechtungen von Text und Melodie im Repertoire der lateinischen Liturgie. „Als der HERR sah, daß die Schwestern des Lazarus am Grab weinten, da brach er in Tränen aus vor den Juden und rief: ‚Lazarus, komm heraus!‘ Da kam er heraus; Hände und Füße waren mit Binden umwunden; seit vier Tagen war er tot gewesen.“ Jede Beschreibung dieses Gesangs greift zu kurz. Es genügt, ihn zu singen. Er erschließt sich von selbst und öffnet mir das Herz, wenn ich nur die impressive, expressive Kraft des Rufes Christi nicht scheue, dieses „Lazare, veni foras!“, mit dem er jeden von uns aus seinem Grab ruft – und auch das gilt heute.
FÜRBITTEN
Herr Jesus Christus, du rufst uns auf, zu glauben und auf dein Wort zu vertrauen. Es fällt uns oft schwer. Doch du versprichst uns neues Leben. So bitten wir dich:
Für die Corona-Patienten und alle Kranken, die körperliche und seelische Schmerzen ertragen müssen. – Christus, höre uns. Alle: Christus, erhöre uns.
Für alle, die in Pflege und medizinischer Betreuung an die Grenzen ihrer Kraft geraten. – Christus, …
Für alle, die an ihren Arbeitsplätzen weiter ihre Pflicht tun, und für alle, die nicht mehr arbeiten dürfen. – Christus, …
Für alle, die auf engstem Raum mit ungewohnten Herausforderungen fertig werden müssen. – Christus, …
Für alle von Ängsten Geplagten und für alle im Glauben Erschütterten. – Christus, …
Für alle, die neue Wege des Miteinanders suchen und wagen. – Christus, …
Für alle, die wir in diesen Tagen aus dem Blick verlieren, weil uns die eigene Not zu sehr plagt. – Christus, …
Für uns selbst und unsere Lieben, die Lebenden und die Verstorbenen. – Christus, …
Gott, führe uns aus der Bedrängnis. Hauche uns deinen Geist ein, damit wir leben. Das erbitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn und unseren Herrn. – A: Amen.
Predigt am 4. Fastensonntag 2020
Predigtvon P. Guido Hügen OSB
„Welche Freiheit haben wir vor Tagen noch genossen. Die Freiheit zu sein, die Freiheit zu feiern, die Freiheit zu lieben, zu küssen, zu umarmen, die Freiheit zu gehen, wohin und wann wir wollten, und die Freiheit das Risiko zu tragen, uns an jedem Ort und bei jedem Kontakt mit irgendetwas zu infizieren.
Nun ist die Freiheit für den Augenblick verloren. Verloren, bis eine Krise beendet ist, deren Verlauf wir nicht kennen und deren Ende ungewiss ist. Die Maßnahmen sind hart und vernünftig. Schulen werden geschlossen und Kneipen gleich mit. Parties müssen abgesagt werden und Gottesdienste dürfen nicht mehr stattfinden. Das öffentliche Leben wird immer weiter lahmgelegt.“
So beschreibt es der Politikwissenschaftler Erik Flügge im gerade digital erschienen Büchlein Freiheit und Pandemie. Eine Erinnerung an das Leben danach.
„Die Unterbrechung unseres Lebens mag Wochen oder Monate dauern,“ schreibt er weiter, „und dennoch muss sie eine Unterbrechung bleiben. Denken Sie nur einige Zeit voraus. Wenn in Monaten endlich die Entwarnung gegeben wird, dass es geschafft ist. Dann wird die Diskussion los gehen. Wir werden uns die Frage stellen, was wir aus der Pandemie gelernt haben. Wie wir uns verändern wollen als Gesellschaft.“
Erst dann, liebe Brüder?
Theologinnen und Theologen stellen schon heute Fragen. Fragen nach dem Sinn und der Berechtigung der von Priestern privat gefeierten Messen. Ein Rückschritt im Eucharistieverständnis? Sie loben oder kritisieren die Möglichkeiten von Gerneralabsolution und Ablass.
Vielfältige Angebote und Vorschläge von Gemeinden und Diözesen und privaten Initiativen tun sich auf für Familien, die für sich zu Hause Gottesdienst feiern müssen oder wollen. Ein neuer Impuls für die Hauskirche? Selbst das Dikasterium für die Laien in Rom weist darauf hin. Gebetsinitiativen, Glockenläuten und Kerzen in den Fenstern führen Menschen in ihrer Getrenntheit zusammen. Ebenso wie digitale Verbindungen ganz persönlich, in Chats und Foren. Im Internet geteilte Gottesdienste und Gebete. Wir haben es ja noch gut hier in der Abtei. Wir können gemeinsam Gottesdienst feiern und beten. Bewegen uns aktuelle Fragen trotzdem? Es geht vom ganz Konkreten auch um das Grundsätzliche. Die Kirchen befolgen die Anordnungen aus Politik und Wissenschaft. Das betont auch das gemeinsame Schreiben der evangelischen. orthodoxen und katholischen Kirche in Deutschland. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden in anderen Fällen nicht so unbedingt übernommen. Gesetzliche Vorgaben nicht einfach akzeptiert. Die Bandbreite von Homosexualität bis zum kirchlichen Arbeitsrecht ist groß …
Dass sich die Kirche gerade nach oder in der Missbrauchskrise nicht traut, die Stimme zu erheben, vermutet der Fundmentaltheologe Magnus Striet. Und hofft: „… dass man einen Lernprozess durchgemacht hat und naturwissenschaftliche Kenntnisse, Wissenskomplexe schlicht und einfach akzeptiert.“
Doch noch einmal die Frage: was bedeutet das ganz konkret – auch hier für uns?!
„Stellen wir uns eine Situation im Herbst vor, sagen wir im September 2020. Wir sitzen in einem Straßencafé in einer Großstadt. Es ist warm, und auf der Straße bewegen sich wieder Menschen. Bewegen sie sich anders? Ist alles so wie früher? Schmeckt der Wein, der Cocktail, der Kaffee, wieder wie früher? Wie damals vor Corona? Oder sogar besser?“ fragt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx.
Er beschreibt seine Wahrnehmung leerer Städte und geschlossener Geschäfte nicht als Ausdruck einer Apokalypse, sondern als Moment des Neuanfangs. Er schreibt: „Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führten. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre fühlten viele sich sogar erleichtert, dass das viele Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen plötzlich zu einem Halt kam. Verzichte müssen nicht unbedingt Verlust bedeuten, sondern können sogar neue Möglichkeitsräume eröffnen.“
Kann die Fastenzeit noch einmal ganz neu, ganz anders werden? Uns bewusster mit uns und unserer Zeit umgehen lassen? Uns vielleicht neu ausrichten auf das Wesentliche? Vielleicht gibt uns das heutige Evangelium einen Leitfaden dazu an die Hand. Die Erzählung des Wunders Jesu ist ja von Johannes beschrieben wie eine Lehrerzählung. Das Heilungswunder Jesu führt zu einem Spinnennetz an Spekulation und Unterstellung, an Verurteilungen – und an Glauben.
Da ist der Geheilte – der sagen kaum sagen kann, was ihm geschah. Die Eltern, die sich sicherlich freuen über die Heilung ihres Sohnes – aber in der Auseinandersetzung ihren Sohn allein lassen. Da sind die Pharisäer, – vielleicht hin- und hergerissen zwischen ihren Moral- und Ritenvorschriften und der Erkenntnis, dass es sich vielleicht doch um ein Wunder, um ein Handeln Gottes handelt. Da sind die Vorurteile und Vorverurteilungen der verschiedenen Beteiligten.
Wo stehen wir in diesem Gefüge?
Bin ich der Blinde, die Eltern, die Pharisäer?
Bin ich die Menschen am Rande?
Bin ich die fragenden Jünger?
Corona gibt uns ja derzeit manche neue Zeit. Vielleicht nutzen wir sie, den Bibeltext von heute noch intensiver zu lesen und auf uns wirken zu lassen. Damit er uns im wahrsten Sinne des Wortes neu anregt.
Paulus hat uns ja im Brief an die Epheser gemahnt: „Lebt als Kinder des Lichts! Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis.“
„Wir werden uns wundern,“ schaut Matthias Horx hoffnungsvoll in die Zukunft. Und beschreibt, was sich getan haben kann.
Werden auch wir uns wundern, was sich bei uns getan hat? In unserem Engagement in dieser Krise – oder auch das der Mitarbeitenden, das wir ermöglichen. Im Umgang miteinander und der Achtsamkeit umeinander. In Fragen des Alltags, der Liturgie. Werden wir uns wundern, was werden kann auch wenn unsere eigenen Pläne nicht umgesetzt werden können, durchkreuzt werden? Wenn nicht immer alles so ist, wie ich es gewohnt bin?
Kinder des Lichtes zu sein heißt auch, Kinder des Mutes und der Phantasie zu sein. Menschen, die lernen und neu sehen – wie der Blinde im Evangelium. Der griechische Urtext sagt, er sah nicht nur, sondern erkannte auch. und konnte bekennen: „Ich glaube, Herr!“
Doch vergessen wir nicht: Auch uns wird nur der Teig auf die Augen gestrichen. Zum Wasser laufen und uns waschen, das müssen wir selber.
Fürbitten
nach www.bistum-trier.de
Jesus Christus ist gekommen, um den Menschen Licht, Heil und Trost zu schenken. Er führt uns zusammen, auch wenn wir voneinander Abstand halten müssen. Zu ihm dürfen wir mit unseren Anliegen kommen und beten:
Wir beten für alle, die unter der Corona-Pandemie leiden: Für die an Covid19 Erkrankten, die im Krankenhaus sind und für alle in Quarantäne.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Für die Berufstätigen, die unsicher sind, wie es weitergeht. Für Arbeitgeber und Selbständige, deren Existenz in Gefahr gerät. Für alle, die voller Angst sind und sich bedroht fühlen.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Wir beten für die vielen Menschen, die unermüdlich im Einsatz sind: in Arztpraxen und Krankenhäusern, im Lebensmittelhandel und in Apotheken
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Für alle Verantwortlichen, die für das Land und für Europa wichtige Entscheidung treffen müssen. Und um Einsicht für alle, sich danach zu verhalten.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Wir beten für alle, denen die Gottesdienstgemeinschaft fehlt. Für alle, die einander beistehen und sich ermutigen und neue Formen entwickeln, wie Menschen ihren Glauben miteinander teilen.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Wir beten für die Frauen, Männer und Kinder, die auf der Flucht sind und unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Und für die Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die selbst unter katastrophalen Bedingungen im Einsatz sind.
V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns
Jesus Christus, Du schenkst uns Dein Heil und Deinen Beistand gerade auch in diesen schweren Zeiten. Dafür danken wir Dir und preisen Dich heute und an jedem Tag. Amen.
Predigt am 3. Fastensonntag 2020
Predigtvon P. Julian Schaumlöffel OSB
Die heutigen Gedanken sollen weniger eine exegetische Auslegung der Erzählung von der Begegnung am Jakobsbrunnen sein als vielmehr ein Impuls zum Nachdenken über die Quelle in uns selbst, die uns vielleicht gerade in dieser schwierigen Zeit neuen Mut und Hoffnung schenken kann. Brunnen finden sich auf vielen Plätzen in Städten und Dörfern. Sind sie heute eher Blickfang, waren es früher wichtige Orte der Begegnung und Kommunikation. In vielen armen Ländern gehen auch heute noch Menschen zum Brunnen, um das lebensnotwendige Wasser für den Alltag der Familie zu holen. Der Brunnen ist ein wichtiger Ort, der im Alten wie im Neuen Testament immer wieder Erwähnung findet, der aber auch große symbolische Bedeutung in den Märchen hat. Es wird also kein Zufall sein, dass das Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin gerade an einem Brunnen stattfindet. Ein Brunnen birgt in sich eine Tiefe, aus der er mit Wasser gespeist wird. Sichtbar sind jedoch nur ein Teil des Brunnenschachtes und die Wasseroberfläche. „Brunnen“ – das ist seit alters her für die Menschen ein Bild, das für mehr steht als ein tieferes Wasserloch. Es ist das Bild für etwas, das in die Tiefe führt, uns auf den Grund bringt, auf den Grund von Dingen, ja, und eigentlich – denn darum geht es hier – auf den Grund unserer selbst. Der Brunnen steht als Bild für unseren eigenen Grund, der unter der sichtbaren Oberfläche liegt, unser eigenes Wesen, zu dem wir hinabsteigen können oder auch nicht. Und auch der Jakobsbrunnen des Evangeliums dient hier als ein solches Bild, das uns verständlicher machen soll, was Jesus uns sagen will. Eigentlich müssten wir mit der samaritischen Frau fragen: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast Du also das lebendige Wasser?“. Jesus aber will uns in die eigene Tiefe führen; und indem er uns führen will, schöpft er aus seiner eigenen Quelle: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht“! Da spricht ganz offensichtlich einer, der nicht nur vermutet und ahnt, sondern der weiß, wovon er redet. Da spricht einer, der um das weiß, was Gott uns schenken will, wenn wir ihn nur lassen. Und es ist klar: Wenn wir es wüssten, wäre alles andere unwichtig. Nun könnten wir einwenden: Dann soll Jesus, wenn er es doch weiß, uns sagen, worin die Gabe Gottes besteht. Dann wissen auch wir es und haben endlich das ersehnte Ziel erreicht. Ganz so einfach ist das dann doch nicht… Denn mit dem Wissen ist das so eine Sache. Wissen und Wissen sind eben nicht das Gleiche. Ich kann etwas wissen, im Sinne eines Auswendiglernens, einer intellektuellen Aneignung. Ich kann von der Schönheit der Natur wissen, weil ich davon in Büchern gelesen oder eine Dokumentation im Fernsehen gesehen habe. Ich kann aber auch etwas wissen, weil ich es erlebt und selbst erfahren habe. Bei einem Spaziergang durch die gerade am heutigen Sonntag so frühlingshafte Natur kann ich ihre Schönheit mit meinem ganzen Wesen erspüren: Ich rieche sie, sehe sie, spüre den Wind auf meiner Haut, fühle die Wärme der Sonne. Diese persönliche Wahrnehmung, dieser Prozess, ist eine ganz andere Art des Wissens. Schauen wir also auf den Einwand: „Jesus könne uns doch sagen, worin die Gabe Gottes besteht“, damit auch wir sie wissen und um sie bitten können. Auf diesen Einwand kann man entgegnen: Jesus sagt es uns ganz deutlich, er hat sich uns ganz offenbart, und wir können darum wissen – jedoch zunächst nur im ersten Sinne: Im Sinne der intellektuellen Aneignung, des Hörens und vermeintlichen Verstehens. Die Gabe Gottes ist Leben. Leben in Fülle, ewiges Leben, dessen Quelle bleibend in uns sprudelt. Ein nie versiegender Quell. Oder wie wir es in der Lesung aus dem Römerbrief gehört haben: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Nun wissen wir also um die Gabe Gottes. Aber lassen wir alles stehen und liegen und rennen los? Oder um mit Paulus zu fragen: Wissen wir um diese Gnade und „rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“? Wir wissen eben nur in der ersten Weise darum. Und deswegen müssen wir uns weiter auf den Weg machen. Die Fastenzeit, diese Krisentage der Entschleunigung unseres Lebens, können uns dabei helfen. Sie könnten uns als Zeit dienen, in der wir uns ernsthaft auf die Suche nach dem Brunnen machen. Und dieser Brunnen ist Christus, es ist unser Herz, in das die Liebe Gottes ausgegossen ist. Dort ist der Ort der wahren Begegnung! Aber auch wenn wir zum Brunnen unseres Herzens hingefunden haben, werden wir feststellen müssen, dass es nicht so leicht ist, an die Quelle, an das Wasser heranzukommen. Denn der Brunnen ist zugeschüttet. Zugeschüttet mit all dem Unrat des Alltags, mit dem Lärm und der Ablenkung der Welt. Gerade in diesen Tagen auch zugeschüttet mit den Sorgen und Ängsten um unsere eigene Gesundheit und die unserer Familienangehörigen und Freunde oder zugeschüttet mit unseren Illusionen und unserem Egoismus. Die kommenden Tage könnten für uns zu einer Zeit werden, in der wir uns die Mühe machen, den Brunnen in uns, wenn wir ihn gefunden haben, freizulegen – Schicht für Schicht, ohne Angst, auch wenn wir immer tiefer hineingelangen in das Dunkel des Abgrunds, ungewiss, ob da am Ende wirklich eine Quelle auf uns wartet. Die Mühe des Freilegens ist die Treue im Glauben, die Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Ist es uns gelungen, den Brunnen freizulegen, können wir reichlich trinken vom Wasser. Ja, der Brunnen wird zur Quelle werden, die sprudelt und fließt, bei der ich nicht mehr mühsam graben und schöpfen muss. Wenn diese Quelle fließen kann, dann fließen Leben, Freude, Sinn und Ziel aus meinem Innern. Das ist das andere Wissen, das Wissen um die Gabe Gottes aus durchlebter, vielleicht auch durchlittener Erfahrung. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen!“ Wagen wir uns also in die Tiefe….