„Welches Gebot ist das erste von allen?“ Die Frage des Schriftgelehrten an Jesus ist durchaus berechtigt – und bleibend aktuell. Welches Gebot in dieser Vielzahl an Geboten der Tora ist die innerste Mitte, an der ich mich orientieren kann? Welches Gebot gibt den anderen Sinn? Woran soll ich mich halten in dieser Vielzahl von Worten?
Und Jesus antwortet aus der Mitte der jüdischen Tradition heraus, mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis (Schema Israel), das jeder gläubige Jude täglich betet: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“
Scheinbar ganz einfach – und doch beginnen die Fragen und Missverständnisse hier erst. Das zeigt sich deutlich, als vor einigen Monaten der Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg, der sich selbst als katholisch bezeichnet, gefragt wurde, was für ihn Nächstenliebe bedeute. Seine Antwort: „Da ich katholisch bin, bedeutet Nächstenliebe für mich, sich um die Angehörigen des eigenen Volkes zu kümmern.“ Das Konzept der Nächstenliebe wird also schamlos missbraucht für das völkisch-nationalistische Programm dieser Partei, missbraucht dazu, Fremde auszuschließen, auszugrenzen, letztlich abzuschieben. Nächstenliebe als Ausschließungsprogramm. Gut, dass Erzbischof Koch, sein zuständiger Bischof, dieser Aussage sofort widersprochen hat und klarstellte, dass christliche Nächstenliebe auch dem gelte, „der eine andere Meinung, eine andere Überzeugung, einen anderen Pass hat. Nächstenliebe kennt keine Fremden.“
Anders ausgedrückt: Auch der Fremde wird mir zum Nächsten, „denn er ist wie du“. So übersetzt Martin Buber das „wie dich selbst“: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Er ist Mensch wie du – mit allen Stärken und Schwächen, mit allen Gaben und Talenten.
Übrigens sagt das auch schon die jüdische Tradition, die für uns Christen ebenfalls Heilige Schrift ist. Im Buch Leviticus heißt es: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ (vgl. Lev 19,34) Und in der Parallelstelle zu unserem heutigen Evangelium erzählt Lukas auf die Frage des Schriftgelehrten, wer denn sein Nächster sei, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das schon hier die eigenen Stammesgrenzen sprengt und im Samariter, der dem Verletzten zum Nächsten wird, die Nächstenliebe sozusagen universalisiert.
Die Weiterführung der markinischen Episode bei Lukas zeigt etwas Wichtiges: Liebe ist nicht etwas Abstraktes, keine Theorie, die in schönen Worten beschreibt, was es mit der Liebe auf sich hat. Nein, Liebe ist immer konkret, sie drängt mich zur oft unspektakulären Tat, spornt mich an, dem anderen zu helfen, macht sich die Hände schmutzig und verbindet Wunden. Eine so verstandene Nächstenliebe hat dann wiederum mit Gott zu tun, denn in dem Menschen, der mich jetzt gerade braucht, der mir zum Nächsten wird, begegnet mir Gott, wird Gott aufs Neue Mensch. Menschwerdung setzt sich bis heute fort.
Einer, der diese Liebe ganz konkret gelebt hat, ist der in der vergangenen Woche verstorbene Altbischof von Limburg, Franz Kamphaus. „Den Armen das Evangelium verkünden“ – sein bischöflicher Wahlspruch war für ihn keine leere Floskel, sondern ist in seinem Leben konkret geworden: in seiner Einfachheit und Bescheidenheit. In seinem kompromisslosen Eintreten für die Armen von heute – da hat er auch keine Konflikte gescheut, wenn er etwas als richtig erkannt hat, wie es sein Einsatz für einen Verbleib der Kirche in der staatlichen Schwangerschaftsberatung zeigte. Gerade so wollte er dem Leben dienen auf allen Ebenen. Und seine langjährige Aufgabe als Weltkirchenbischof hat ihn über den Tellerrand des eigenen Landes schauen lassen, damit die Nächstenliebe eben nicht eng verstanden wird, sondern sich ausweitet auf alle Menschen. Nach seiner Emeritierung als Bischof hat er als einfacher Mensch und Seelsorger unter geistig behinderten Menschen gelebt. Dort ist er auch gestorben.
„Mach‘s wie Gott – werde Mensch!“ Der Titel eines seiner Bücher kann uns in dieser Woche Richtschnur sein in unserem Bemühen, Gott und den Nächsten – auch den Fernsten, der mir zum Nächsten werden kann – zu lieben. Es in unserer Menschwerdung Gott gleich zu tun und es mit der Liebe einfach mal zu versuchen. Oder um es mit einem anderen Wort von Franz Kamphaus zu sagen: „Den Diktatoren gleitet der Erdball aus der Hand, und er zerbricht – die Liebe hält ihn zusammen.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/11/hilchot_schma.webp8001200Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-11-03 11:10:182024-11-03 11:10:18Predigt am 31. Sonntag im Jahreskreis (3.11.2024)
Es knospt unter den Blättern das nennen sie Herbst.
Hilde Domin
Im Frühherbst gibt es Tage, die uns mit einem unverhofft heiteren Leuchten beschenken. Noch vor einer Woche machte der Gingko-Baum an der Klosterpforte vor dem strahlend blauen Himmel die Rede vom goldenen Oktober unmittelbar anschaulich. Das in der Natur anhebende jahreszeitliche Sterben war zumindest für Stunden zu glühendem Leben gelichtet. Doch wer wollte sich davon täuschen lassen?! Nur zu gut wissen wir, wie bald schon die steigenden Nebel alles rundum verdüstern. Die lautlos fallenden Blätter im Park erinnern als wortloser Kommentar zum andauernden Lärm der Katastrophennachrichten in den Medien, was scheint’s die Stunde geschlagen hat.
Die sprichwörtliche Novemberstimmung nimmt derzeit für meine Wahrnehmung eine apokalyptische Färbung an! Vielen geht sie ans Gemüt.
Da erinnert uns gleich zu Beginn des dunklen Monats die Liturgie der Kirche – sozusagen als Gegenanzeige – an die Vision einer neuen Welt, an die Vision vom Menschen im Glanz seiner Ganzheit, an die Vision vom Einssein der Menschheit und der gesamten Schöpfung, an die Vision vom Heil, von Heilung und Heiligung. Wir feiern Allerheiligen. Wir feiern die Berufung und die Befähigung aller Menschen, einer jeden, eines jeden von uns, sich von all den Todesschatten ringsum nicht verwirren zu lassen, sondern den Schleier herbstlichen Trübsinns, der sich über die Dinge breitet, zu durchschauen. Mit den Augen eines vertrauensvollen Herzens können und dürfen wir entdecken, dass – um im Bild der Natur zu bleiben – die Blätter nur deshalb fallen, weil das Wachstum des Baumes bereits kleinste Knospen treibt, obschon es noch einen Winter lang Kraft zu neuem Aufbrechen sammeln muss.
Immer wenn eine bisher gültige und deshalb in sich bewegliche Gestalt des Lebens kraftlos wird und schlaff oder in Enge erstarrt, dann gilt es zu erkennen und mehr noch zu erspüren, dass das Leben selbst sich neu und womöglich ganz anders ausdrücken will. Dann gilt es zu lassen, sich im Lassen zu üben. Lass es sein – das Leben, wie es ist oder wie es eben geschieht. „Let it be“ – sangen in unseren jungen Jahren die Beatles, und wir haben unbeschwerten Herzens mitgesungen, weil das Leben mit seinen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten noch vor uns lag. Let it be! Im Alter kommt uns das nicht mehr so leicht über die Lippen, wenn wir die Vergänglichkeit immer bedrängender wahrnehmen – unsere Endlichkeit.
Man ahnt: bald werden wir uns lassen, loslassen müssen. Die üblichen Vorstellungen, die wir damit verbinden, können uns ängstigen, die Vorstellung: was losgelassen wird, fallt, fällt hin und dahin.
Allmählicher Verfall – diese uns zugewandte Seite des Alterns könnte jedoch eine Kehrseite haben. Unsere je eigene irdische Gestalt vermag anscheinend das Leben nicht mehr zu fassen und zu halten, ist für das Leben in seiner Fülle nicht weit und offen genug. Ich ahne durch alle Ängste und Zweifel, durch Auflehnung und Trotz, durch alle Trauer hindurch, dass auch das Sterben ein Ausdruck des einen Lebens ist. „Es knospt unter den Blättern …“ – deshalb welken und fallen sie. Ein ungewohnter Gedanke, ich weiß, ein Trostgedanke – und im Glauben müsste er keine bloße Vertröstung bleiben.
Früher trugen wir in Königsmünster am Vorabend von Allerheiligen zur Vigil das Reliquiar aus der Krypta zur Verehrung in den Mönchschor der Abteikirche – ein Ritual, mit dem ich auch meine Schwierigkeiten hatte. Irgendwann aber ging mir durch den Sinn: diese Gebeine kanonisierter Heiliger sind wie die Leichen in den Särgen oder die Asche in der Urne buchstäblich „Re-liquien“, das Zurückgelassene der Gestalt der einen Lebensfülle, wie sie sich in jedem, in je-dem(!) unverwechselbaren und unwiederholbaren Menschen ausgeprägt und gezeigt hat. Der Glaube bezeugt, dass dieser einzigartige schöpferische Ausdruck des Lebens zu jener unerschöpflichen Fülle gehört, in der jeder Mensch ewig aufgehoben ist. Seine zurückgelassene, zerfallende Gestalt – die Reliquien – ehren wir wie die Gräber also zu Recht.
Reliquienkult – so verstanden und in diskreter Weise geübt – kann sinnvoll sein, ein Zeichen menschlicher Würde. Doch verlangt dieser Kult, damit er nicht zu kurz gerät, nach einer entsprechenden Kultur, nach der Kultur des Leibes und des leibhaftigen Daseins überhaupt – aus Ehrfurcht vor der lebendigen Gestalt des Lebens. Gerade wenn wir Reliquien in kostbaren Schmuck fassen und bisweilen in einem goldenen Schrein bergen, der einem edlen Haus gleicht, müssen wir uns umso mehr darum kümmern, dass jeder Mensch zu Lebzeiten seinen Leib umsorgen und in ihm auf dieser Erde ein Haus bewohnen kann. Das gilt für die alltägliche Sorge um uns selbst und umeinander – bis hin zur Hospiz- und Palliativpflege.
Ich weiß, dass wir mit unserem Totenkult immer auch zu spät kommen, weil uns die Lebenskultur – zumal im Blick auf andere, gerade auch auf uns nahe Menschen – nie ganz gelingt. Vielleicht liegt genau darin ein Grund aller Trauer. Dennoch: es gilt, sich darin nicht resignativ zu verfangen, sondern Tritt zu fassen, um in großen und kleinen Alltagsschritten gegenwärtiger Lebenskultur einzuholen, was in den Ritualen des Reliquienkultes einst in festlichem Ernst begangen wurde und heutzutage mehr oder weniger bloß Folklore ist.
Letztendlich kommt es darauf an, in das CREDO des Allerheiligenfestes einzustimmen. Es kündet vom Vertrauen zum Gott des Lebens, das uns alle gewiss sein lassen kann:
Ich bin eine Gestalt der unerschöpflich schöpferischen Liebe – unverwechselbar und unwiederholbar. Ich bin diese einzigartige und doch mit allen und allem verbundene menschliche Gestalt des einen Lebens: erfahrbar, hörbar und sichtbar für den mir zugemessenen Zeit-Raum des Daseins und zugleich verborgen und geborgen im Geheimnis der Ewigkeit, aus der ich stamme, in die ich zurückkehre, die unser aller Heimat ist.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/11/Gingko.jpg1024768Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-11-02 10:14:232024-11-03 11:18:06Predigt an Allerheiligen (1.11.2024)
Wozu gibt es Priester? Diese Frage stellt sich vielen Menschen heute in einer Zeit vielfältiger Krisen und hausgemachter Skandale, die das Wesen des Priestertums weltweit betreffen. Wir könnten es uns jetzt einfach machen und diese Frage als eine rein europäische oder sogar deutsche abtun, aber ein genauer Blick auf die Dokumente der in dieser Woche beginnenden Weltsynode in Rom zeigt, dass viele Probleme die Kirche und auch das Priestertum in vielen Ländern unserer Weltkirche betreffen. Und auch der hl. Benedikt ist in seiner Regel ja äußerst skeptisch, Mönche seiner Klöster zu Priestern zu weihen und tut das nur nach reiflicher Überlegung.
Nichtsdestotrotz haben wir vor zwei Monaten Deine Priesterweihe, lieber P. Victor, gemeinsam mit fünf Seminaristen der Diözese Sumbawanga in Tansania als großes Fest gefeiert, wo die Freude und Begeisterung so vieler Menschen über eure Berufung spürbar war. Wie kann also das Priestertum heute als glaubwürdiger Dienst vor Gott und für die Menschen gelebt werden?
Die heutige Lesung aus dem Buch Numeri gibt uns da einige gute Anhaltspunkte. Sie führt uns in die Zeit der Wüstenwanderung Israels, sozusagen an den Anfang der Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk, dieser so einzigartigen Liebesgeschichte. Mose, der Prophet und Führer seines Volkes, hat alle Hände voll zu tun und sehnt sich nach Entlastung – und er bekommt sie auch. Der Herr „nahm etwas von dem Geist, der auf Mose ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten.“ Mose merkt, dass er nicht alles allein bewerkstelligen kann, und er sucht sich Hilfe in erfahrenen Menschen.
Und dann passiert das Unglaubliche: zwei Männer, Eldad und Medad, treten auf, „auch sie redeten prophetisch im Lager“. Sie scheinen aber nicht ganz dazuzugehören, stehen eher am Rande, in der Sprache des Textes: „Sie waren nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen.“ Da bekommen es die etablierten Mitglieder der Gemeinschaft mit der Angst zu tun, und Josua macht sich zum Sprecher dieser Ängste und bittet den Mose, sie am Reden zu hindern. Und es zeugt von der Größe des Mose, dass er auf solche Ängste nicht eingeht, sondern im Gegenteil ausruft: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“
Scheinbar sind wir nun wieder an unserem Ausgangspunkt – denn wenn alle Menschen zu Propheten würden, wenn wir wirklich daran glauben, dass alle Menschen geistbegabt sind, wozu braucht es dann noch eine besondere Gruppe?
Eine Antwort könnte sein: Es braucht Menschen wie Mose, die genau das ihren Mitmenschen zusagen: Ihr alle seid mit Heiligem Geist begabt, ihr alle habt Anteil an der königlichen, priesterlichen und prophetischen Würde Jesu, ihr alle seid berufen von Gott!
Es braucht Menschen, die das ihren Mitmenschen zusagen im Sakrament der Versöhnung und Krankensalbung, wenn sie selbst nicht mehr daran glauben, oder die Menschen im Sakrament der Eucharistie in Verbindung bringen mit dem Gott, der sich an uns austeilt!
Und es braucht Menschen, die anderen Menschen den Segen Gottes vermitteln, die Gutheißung des Menschen durch Gott – nichts anderes meint das lateinische „benedicere“ als das, anderen Gutes zu sagen! In der Abtei Mvimwa, der Heimatabtei von P. Victor, gibt es eine schöne Zeichnung auf einem Felsen, die darstellt, wie ein Mönch einen Besucher segnet – ein wahrhaft benediktinischer Dienst.
Genau zu diesem Dienst, lieber P. Victor, bist Du geweiht worden – anderen Menschen ihre gottgeschenkte Würde zuzusagen und ihnen dabei zu helfen, ihre Berufung zu entdecken.
In der Lesung und auch im Evangelium treffen wir auf Menschen, die genau das tun und die damit Überraschung im schon bestehenden Jüngerkreis auslösen. Es sind sog. „Fremdpropheten“, die vielleicht einen anderen Blick für die Dinge haben, die „immer schon“ so laufen, wie sie laufen, getreu dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Menschen, die uns, die wir oft betriebsblind geworden sind, durchaus etwas zu sagen haben. Grenzgänger, die herkömmliche Grenzen überschreiten und gerade so dabei helfen, dass Menschen zueinander finden können.
Lieber P. Victor, wer hätte vor sechs Jahren gedacht, als Du hier in Deutschland ankamst, dass Du an diesem Tag bei uns Primiz feiern kannst? Du hast auf Deinem Weg immer wieder Grenzen überschritten: Matanga, dein Heimatort – Mvimwa, die Abtei, in der du deinen Weg als Missionsbenediktiner begonnen hast – Meschede, wo Du schnell eine zweite Heimat gefunden hast – Hannover, wo Du in unserer Cella mitgelebt und die Feinheiten und Tücken der deutschen Sprache erlernt hast – Salzburg, wo du Theologie studierst – und wer weiß, welche Grenzen du in Zukunft noch überschreiten wirst? Eine neue Umschreibung von Mission meint genau das: Grenzen zu überschreiten auf andere Menschen hin. In diesem Sinne bist Du ein wahrer Missionsbenediktiner.
Und besonders danke ich Dir, dass Du uns hier in Deutschland allein durch deine Präsenz daran erinnerst, dass die deutsche Kirche nicht das Maß aller Dinge ist, sondern dass wir eingebunden sind in eine Weltkirche unterschiedlichster Kulturen und Menschen. In diesem Sinne bist Du ein Fremdprophet, der uns auf Dinge aufmerksam machen kann, für die wir betriebsblind geworden sind. Und der das nicht mit der Brechstange macht, sondern mit einem feinen, oft hintergründigen Humor, der sich auch selbst nicht zu wichtig nimmt. So wünsche ich Dir viele gesegnete Jahre priesterlichen Wirkens für Gott und die Menschen. Mögest Du auch weiterhin immer wieder Grenzen überschreiten und so verbindend wirken!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/09/20240929_094852.jpg9601280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-09-29 15:08:092024-09-29 15:08:09Predigt bei der Primiz von P. Victor Chambi OSB (29.09.2024)
Jede Beziehung, jede Gruppe kennt diese Erfahrung: Irgendwann ist mir der andere, den ich so gut zu kennen glaubte, total fremd und eine Riesenenttäuschung. Bleischwere Enttäuschung hat die Leichtigkeit der Anfangsbegeisterung verschluckt. Auch ich selbst kann auf einmal dastehen und mich selbst nicht mehr wiedererkennen. …
So eine Situation nennen wir dann Krise: Sinnkrise, Beziehungskrise, Lebenskrise. Es ist ein nahezu allgemeingültiger Grundsatz, fast nichts schlimmer zu finden als eine Krise. Dann geht es oft so: Je heftiger wir eine Krise vermeiden wollen, desto schneller ist die nächste da! – Warum eigentlich diese Krisenpanik? Im Griechischen heißt „KRISIS“ Entscheidung. Das rückt unsere ganzen Krisenvermeidungsstrategien in ein sehr seltsames Licht. Ist unsere Angst vor einer Krise in Wirklichkeit die Angst, uns zu entscheiden?
Das Evangelium heute beschreibt die große Krise in der Jüngerschaft Jesu. Vielen wird mulmig, weil Jesus mit seinem Anspruch zu weit geht. Man muss sich entscheiden: Die meisten gehen, einige bleiben – klarer, in anderer Weise, entschiedener als vorher.
So bitter es ist, eine Krise durchstehen zu müssen: Wenn ich mich ihr stelle, hat sie im Rückblick meist heilsame Folgen: Sie zwingt zu Entscheidungen, – und die getroffen zu haben, wirkt entlastend. Nur: Oft verwenden wir unendlich viel Energie darauf, eine Krise „im Keim zu ersticken“, so als wäre es etwas Ungehöriges, Fragen und Probleme mit sich selbst, mit einem Lebenspartner, mit der Politik, mit der Gesellschaft, mit der Kirche, mit meinem Orden oder auch mit seinem Gott zu haben. Eine Krise, ein „Nicht-mehr-Können“ ist wahrlich nichts Ungehöriges. Ungehörig ist, den falschen Anschein zu erwecken, als sei alles in Ordnung. Irgendwann ist es Zeit, Fragen in den Raum zu stellen; denn nur gestellte Fragen können eine Antwort finden. Nicht gestellte Fragen treiben einen bald hierhin, bald dorthin, immer schneller, immer weiter, immer planloser.
Wann endlich gebe ich dem, was mich selbst andauernd umtreibt, die Möglichkeit, sich von einem nagenden Unbehagen in eine vernehmbare und klare Frage zu verwandeln? Welche Frage treibt mich um, wenn ich nicht mehr bereit und in der Lage bin, andere zu verstehen, sondern nach allen Seiten urteile und verurteile? Was steckt dahinter, wenn ich Menschen, Zeit und Dinge in unglaublich großen Mengen verbrauche, weil ich nirgendwo zufrieden sein kann? Was steckt dahinter, wenn sich um mich herum Unsicherheit und Angst verbreiten? Sind nicht all das Methoden, die Fragen zu überspielen, die eigentlich fällig sind: Wo ist der Weg – und was ist das Ziel?
Denn: Den Weg findet nur der, der ihn geht: Und: Wer geht, der wird eine Erfahrung machen, die ihm verschlossen war, solange er der Frage nach dem Weg und dem Ziel ausgewichen ist. Wer geht, der wird – staunend möglicherweise – wahrnehmen: „Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße“ (Johannes Bours). Das, was man vor lauter Krisenpanik für unmöglich gehalten hatte, wird möglich, wenn man ins Leben hineingeht.
Dieser Augenblick, in dem einer über seinen eigenen Schatten springt, ist es, in dem wir mit unserem ganzen Leben, mit Verstand, Leib und Seele an etwas rühren, was sich mit Worten nicht klarmachen lässt, dass nämlich Christus der Weg mitgeht: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Oder übersetzt: Die Lebensstrecke, die mir zugemutet ist, ist kein blindes Schicksal ohne Richtung und Ziel. Mein Lebensweg, so wie er ist, und wie immer er aussehen mag, ist der Ort, an dem die Menschenfreundlichkeit Gottes auf mich wartet, – wenn ich nur gehe!
Wenn du nur endlich die Fragen, die dich umtreiben, stelltest, würde dich die Antwort auf den richtigen Weg bringen.
Wenn du nur endlich losgingest, würdest du merken, dass es nicht nötig ist, aufzubegehren oder sich zu verweigern.
Wenn du nur endlich das Kreuz der Krise riskiertest, wäre es dir möglich, dem zu begegnen, der durch den Tod hindurch ins wirkliche Leben gelangt ist.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/06/IMG_6237.jpg13332000Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2024-08-26 13:57:102024-08-26 13:57:10Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (25.8.2024)
Beim heutigen Abschnitt aus dem Markusevangelium (Mk 6,7-13) ist es sinnvoll, den Textzusammenhang, das Davor und Danach, zu beachten: Davor steht die Erzählung von der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt und durch seine Familie mit der Konsequenz, dass Jesus in die benachbarten Dörfer auszog, um dort zu lehren – wir hörten davon am letzten Sonntag. – Danach folgt der ausführliche Bericht von der Enthauptung des Täufers Johannes.
Unser heutiger Abschnitt, die Aussendung der Zwölf, ist von den Themen Ablehnung und Mord umgeben. Das ist schon ein Hinweis, wie das Leben Jesu weitergeht und wie es enden wird: Mit der Katastrophe eines Mordes am Kreuz. Doch Gott lässt sich von der Ignoranz und Bosheit der Menschen nicht aufhalten, das wird die Auferstehung Jesu und die österliche Aussendung der Jünger endgültig bestätigen. Die Aussendung der Zwölf schon jetzt, inmitten von Ablehnung und Mord, zielt in diese österliche Richtung: Gott geht weiter – und die Zwölf sollen ihre Aussendung in dieser Welt ein- und ausüben.
Die vorhergehende familiäre Ablehnung – gerade durch seine Nächsten – dürfte Jesus besonders getroffen haben. Doch lässt er sich davon nicht stoppen – im Gegenteil – es zieht ihn lehrend in die weite Nachbarschaft. Jesus lebt aus Gottesliebe selbstbestimmt, nicht fremd- oder familienbestimmt. Nun ruft er die Zwölf zu sich – es sieht so aus, dass auch sie seine Familie sind. Er löst biologische Familiengrenzen auf, weil alle Menschen existenziell zu seiner universalen Familie gehören sollen, denn alle stammen aus der Liebe des einen Gottes. Will er deshalb den Zwölfen vor der Aussendung nochmal besonders nahe sein? Gestärkt durch diese Intimität sendet er sie aus. Zu zweit sollen sie gehen, denn die Sache Jesu ist keine Solonummer – für Jesus ist das Ich immer in ein geschwisterliches Wir eingebunden – Selbst- und Nächstenliebe ist das Gebot.
Ausdrücklich gibt Jesus ihnen eine Vollmacht – das heißt: Sie sollen nicht im eigenen Sinne, sondern für ihn handeln. Sie sollen an seiner Stelle weiter tun, was sie nun schon eine Weile mit ihm unterwegs erfahren hatten: Aus und mit der Liebeskraft Gottes Menschen heilen und zu ihrer ureigenen Gotteskindschaft befreien. Denn die „unreinen Geister“ gehen der Menschheit nie aus: Sie zeigen sich in tötendem Ungeist kleiner und großer Ideologien, in jeder Form von Gewalt.
Nach der Vollmacht gibt Jesus ihnen zusätzlich ein detailliertes Gebot mit auf den Weg: Außer einem Wanderstab und Sandalen sollen sie nichts mitnehmen. Mit einer detaillierten Aufzählung verstärkt Jesus seine klare Entschiedenheit: „Kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd.“ Es ist eindeutig: Mit nichts meint Jesus auch nichts. Das ist schlicht und einfach radikal – eine echte Herausforderung – auch für uns, die wir mit allen möglichen Mitteln versuchen, der Sache Jesu zu dienen.
Da darf man fragen: Wie soll das gehen? Warum schickt er sie so unversorgt arm los? Von den Zwölfen erfahren wir nichts: keine Fragen, auch kein Protest oder Widerstand. Vielleicht gründet ihre Bereitschaft, so zu gehen, in den guten Erfahrungen, die sie bisher auf ihrem Weg mit Jesus gemacht hatten. Das Leben Jesu ist vor allem einfaches Da-Sein, gegenwärtig Sein – Leben aus der Liebes-Gegenwart Gottes, aus ihr wirken und sie bezeugen. Nur die beruhigt die existentielle Not, nicht genug zu sein; mit den Dingen dieser Welt können wir sie nicht stillen. Und konkret für den Lebensweg gilt: Ohne Gepäck geht es sich leichter. Jesus selbst ist arm unterwegs – wir erfahren nichts von irgendeiner Ausstattung. Auf seinem Weg vertraute er auf Gastfreundschaft und genoss sie – gerade erst war er im Haus des Synagogenvorstehers eingekehrt und hatte dessen Tochter geheilt. Aus dieser positiven Erfahrung gibt Jesus den Zwölfen die Empfehlung: „Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst.“ Er lässt sie – buchstäblich – nicht im Regen stehen. Er vertraut auf die Güte und Gastfreundschaft der Menschen, denn auch darin verwirklicht sich seine frohe Botschaft: Der Mensch ist im Grunde gut und es tut ihm gut, gastfreundlich zu sein – mit Menschen zu teilen und Fremdheit in Vertrauen oder gar Freundschaft zu wandeln.
Doch Jesus ist Realist und weiß, dass es auch anders kommen kann: Die Türen der Häuser, mehr noch die Ohren und Herzen der Menschen, bleiben verschlossen. Was tun? Jesus empfiehlt: „… dann geht weiter …“. Er respektiert die Freiheit der Menschen, zu der auch das Nein-Sagen gehört, auch wenn sie sich damit Lebensmöglichkeiten vergeben. Wir hören kein Wort von „dranbleiben müssen“ oder „da muss man mal Druck machen“ – daraus spräche der Ungeist zwanghafter Gewalt und die Geschichte zeigt, dass es oft so gelaufen ist. Wie Jesus sollen die Zwölf ein Angebot machen und ein Angebot kann man annehmen oder ablehnen. Seine frohe Botschaft der Gottes- und Menschenliebe ist absolut gewaltfrei und deshalb kann sie auch nur so verkündet werden – Inhalt und Methode stimmen überein – anders wäre es unglaubwürdig.
Schlussendlich gibt Jesus ihnen noch ein beachtenswertes Detail mit auf den Weg: „… und schüttelt den Staub von euren Füßen, …“. Die Ablehnung, der Misserfolg ihrer Sendung, könnte sie frustrieren – Jesus kennt seine Zwölf. Menschen fixieren sich und andere in Erwartungen und die sind ein Konfliktprogramm. Darum der ausdrückliche Rat an die Zwölf, den drohenden Frust innerlich abzuschütteln wie den äußerlichen Staub von ihren Füßen. Auch unsere Sprache bestätigt das: Wer nach-tragend lebt, geht schwerer. Die Zwölf – und wir – sollen unbeschwert unterwegs sein, denn Jesu Botschaft ist leicht und will Leben erleichtern.
Mit diesen Empfehlungen gut ausgestattet, ziehen die Zwölf dann aus und verkündigen die Umkehr, wie es auch Johannes getan hatte. Der wird – wie erwähnt – direkt anschließend ermordet und das zeigt, wie böse Menschen sein können – da ist Umkehr bitternötig. Jesu Botschaft zielt auf konkretes Verhalten, auf konkrete Verhaltensänderung, wo es notwendig ist. Umkehr soll und kann die Not wenden und das will auch konkret eingefordert sein. Seine Botschaft ist nicht harmlos – an anderer Stelle sagt er: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein.“ Es ist ein Ja zu lebendigem Lieben und ein Nein zur Gewalt – in all ihren Formen.
In dieser Spur setzen die Zwölf das Werk Jesu wirksam fort: Sie treiben viele Dämonen aus, salben viele Kranke und heilen sie. Das ist eine Vorschau auf die endgültige Sendung aller Jünger nach Jesu Tod und Auferstehung. Zu dieser Sendung sind auch wir eingeladen und berufen – darum heißt es am Ende dieser und jeder Messe: „Gehet hin! – In Frieden.“ Was kann uns besseres geschenkt sein, denn es geht um die spannendste Botschaft überhaupt.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/05/Abteikirche-innen.jpg536800Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-07-14 11:17:162024-07-14 11:17:16Predigt am 15. Sonntag im Jahreskreis (14.07.2024)
Am Dreifaltigkeitssonntag lohnt es über diese Frage nachzudenken.
Für mich ist Gott nicht der alte Mann mit Bart der im Fernen Himmel sitzt.
Gott ist für mich Kreativität. Er ist der Schöpfer aller Dinge. Er durchdringt die ganze Schöpfung. Und sie ist sehr gut, wie wir es im Schöpfungsbericht hören können. Gott hat uns als seine Abbilder geschaffen. Wir alle sind Abbild Gottes.
Er ist ein Gott, der uns auf Augenhöhe begegnen will.
Wenn wir uns Gott öffnen kann er uns ganz durchdringen. Dann kann er sich in unsere DNA schreiben, wie es dieser Kirchenraum so wundervoll darstellt. Das Fünfeck des Menschen öffnet sich zur göttlichen Parabel hin. Es strebt auseinander, dass die Parabel – das Gott – es durchdringen kann und die unendliche Gotteskraft bis in die DNA-Stränge in den Schöpfungsfenstern dringt.
Für mich ist Gott die Weisheit. Die Klugheit. Er ist die Wahrheit und das Leben. Er ist Stärke und Kraft, die er uns weitergibt.
Er ist das Gute in dieser Welt. In unserer Ordensregel finden wir bei den Werken der geistlichen Kunst die Sätze:
Sieht man Gutes bei sich, es Gott zuschreiben, nicht sich selbst. Das Böse aber immer als eigenes Werk erkennen, sich selbst zuschreiben.
Ich habe das als Novize immer als Ungerecht empfunden. Wieso kann ich nichts Gutes selber tun, sondern nur Böses? Doch so sind diese Sätze nicht gemeint. Heute freue ich mich, dass wenn ich etwas Gutes getan habe, Gott in dieser Welt durch mich etwas sichtbar gemacht wurde. Das er durch mich in diese Welt kommen durfte. Das Böse tut aber weder mir noch der Welt gut.
Gott ist für mich die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Die Hoffnung auf ein ewiges Leben in Freude. Die Hoffnung geliebte Menschen wiederzusehen. Die Hoffnung, die im Schmerz und Angst, in Trauer und Not Trost spenden kann. An der ich mich festhalten kann. Die mich niemals im Stich lässt. Er ist die Zuversicht
Gott ist für mich die Liebe, in all ihren Formen. Ob es die Liebe des Vaters, die Liebe der Mutter, die geschwisterliche Liebe, die kindliche Liebe oder die Liebe zur Partnerin oder zum Partner ist. Ob es die Liebe zu Mitbrüdern, zu Freunden, die Nächstenliebe, die Akzeptanz oder die Hilfsbereitschaft ist. Oder ob es die Liebe zu Gott oder Von Gott ist. Ja und auch die Liebe zu uns selbst. In allen diesen Formen ist Gott präsent. In all diesen Formen können wir Gott erfahren – ihm begegnen im Andern und in mir.
Für mich ist Gott Barmherzigkeit. Einer der stärksten Sätze unserer Ordensregel ist für mich:
Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln.
Gott ist erbarmungslos Barmherzig. Er vergibt uns. Er bleibt bei uns. Er ist der Ich-bin-da, wie er es Mose im Dornbusch zugesagt hat und wie Christus es uns am Ende des heutigen Evangeliums zugesagt hat:
„Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Er ist das Licht in dieser Welt, dass uns leuchtet und uns Orientierung geben will.
Er ist Frieden in all seinen Formen. Frieden im Kleinen und im Großen, mit mir selbst, mit anderen und in der Welt.
Und Gott ist für mich Beziehung. Was heute am Dreifaltigkeitssonntag besonders zum Ausdruck kommt. Er ist dreifaltig einer. Er ist in sich Gemeinschaft. Also ist auch unsere Gemeinschaft jetzt und hier Abbild Gottes. Wir sind sein Leib als Christinnen und Christen. Wir sind seine Hände und Füße, durch die er in die Welt kommt.
Gott ist für mich das Positive in dieser Welt. Und dies haben wir mit der Taufe als unauslöschliches Mahl aufgeprägt bekommen. Was für eine Zusage an uns.
Seine Gebote wollen uns nicht einengen, sondern ihn in uns und in diese Welt bringen. Sie wollen das Positive in dieser Welt und in uns zum Leuchten bringen.
Um diesen Reichtum wieder mehr Menschen zugänglich zu machen merke ich, dass ich anscheinend neue Sprachen lernen muss. Das wir neue Worte finden müssen, die die Menschen auf der Such verstehen. Um diese Froh und freimachende Botschaft in der Welt strahlen zu lassen. Um sie Wirklichkeit werden zu lassen, so dass immer wieder eine Ahnung vom Himmel in dieser Zeit aufblitzen kann.
Das ist Gott für mich. Dass ist meine Hoffnung.
Aber was ist mit DIR? Was ist Gott für DICH?
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/12/P1020010.jpg1024682Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2024-05-26 11:11:162024-05-26 11:11:16Predigt am Dreifaltigkeitssonntag (26.5.2024)
Es bleibt Abschied – auch Christi Himmelfahrt ist ein Fest des Lassens, des Loslassens.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Zwar ist der Abschied von „Himmelfahrt“ ein anderer als der damals an Karfreitag, als der Meister, der Rabbi und Lehrer Israels am Kreuz verendete, als sich die Resignation breit machte und nur noch das Gefühl des Scheiterns wichtig war – das war der erste Abschied: Trostlos, schmerzhaft, von der Ausweglosigkeit und von der Sinnlosigkeit geleitet. Ein menschlicher Abschied, wie er auch uns heutigen in jedem Moment bevorstehen kann. Karfreitag ist ein Abschied in das Dunkel, in das Sterben aller Hoffnung. Karfreitag – ein abgrundtiefes Scheiden ins Nichts.
Aber bleibt nicht auch an Himmelfahrt letztlich Abschied?
Meiner Empfindung nach wird den Jüngern an Himmelfahrt ein zweiter Abschied zugemutet. Wohl anders als der auf Golgatha. Vielleicht heller, lichter. Nicht das bittere Getrennte, das allen Menschen im Tod begegnet, sondern ein getröstetes Zurückbleiben scheint diesen Abschied, den wir im heutigen Fest meditieren, einzufärben.
Was die Jünger an Ostern zurückgesehen bekamen, all das Leben und diese wirkliche Gemeinschaft mit Jesus – sie können es nicht halten. Damals wie heute gilt: Es geht alles weiter. Neues will wachsen und sich entwickeln – auch in Jerusalem war das so. Dass dieses so lichte und helle, ja dieses begeisternde und glaubensfeste Ostergefühl endlich ist, dass der Alltag und das Leben es verändern und neu gestalten, das hatte ja schon der Auferstandene in der ersten Ostererfahrung der Maria von Magdala kundgetan: Dieser starken Frau wird schon am Ostermorgen selbst der Abschied von Himmelfahrt zugemutet. In der Theologie des Johannes fallen all die Feste, die wir nacheinander feiern, um die Geheimnisse wenigstens ein wenig fassen und verinnerlichen zu können, in der Theologie des Johannes fallen Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt in eins. „Noli me tangere“ so spricht der Auferstandene zu Maria – Noli me tangere – Klammere nicht, erstarre nicht; noli me tangere: lass mich in dir wachsen, mache keine endgültigen Bilder von mir, habe Mut, mich jeden Tag neu zu sehen, anderes zu erfahren; noli me tangere: lass mich sein, so wie ich bin, bleibe offen für all mein Sein, für all meine Wahrheit und für die vielen verschiedenen Formen der Liebe. Noli me tangere! Halt mich nicht fest.
Abschied und Trennung sind auch Gefühle von Himmelfahrt. Geduld und Hoffnung aber unterschieden diesen Abschied von Karfreitag. Der heilige Geist – der ja mit Recht „der Tröster“ genannt wird – er ist das eine Abschiedsgeschenk, er ist die Erinnerung an Jesus, die alle Menschen verbinden kann.
Wer aber im Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit… So der hl. Benedikt.
Oder mit den Worten der großen Theresa:
O Seele, suche dich in mir
und, Seele, suche mich in dir
Die Liebe hat in meinem Wesen
dich abgebildet treu und klar:
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren
als meines Herzens schönste Zier:
bist Du verirrt, bist du verloren,
o Seele, suche dich in mir!
In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such‘ nicht dort und such‘ nicht hier:
gedenk‘, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche mich in dir!
Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für:
Ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier,
dann ruf‘ mich und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen,
und, Seele, suche mich in dir!
Teresa von Avila
Und es bleibt ein zweites Abschiedsgeschenk. Von ihm spricht das Evangelium und schlägt damit die Brücke von damals zu heute. Dieses zweite Abschiedsgeschenk wird nicht unbedingt auf den ersten Blick als Gabe und Geschenk deutlich. Und trotzdem ist es eine Hilfe – vielleicht die einzige echte und wirkungsvolle – gerade in Trauer und Abschied. Dieses zweite Vermächtnis Jesu ist ein ganz einfaches, ein völlig alltägliches: Es ist sinnvolle Arbeit. Das mag nun für jeden und jede verschieden aussehen, liebe Schwestern, liebe Brüder. Im weitesten Sinn ist es die Arbeit im Weinberg des Herrn, im Reiche Gottes. Das meint die Liebe zu allen und allem.
Der Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ – er hat ganz viel Alltägliches an sich. Er fordert uns auf, gerade im Alltag und im Kleinen treu zu bleiben. Das Vermächtnis Jesu bedeutet uns allen viel alltägliche Kleinarbeit – manchmal fordert es nur jene, dass wir dem eigenen Leben treu und liebevoll auf der Spur bleiben und nicht in Tod und Trauer, im ständigen Abschied, den das Leben täglich fordert, verhaften. Wer seine Arbeit liebt – und ich meine hier nicht nur die spezifisch kirchlich seelsorgerische – wer seine Arbeit liebt, der weiß um das Geheimnis, das jedem sinnvollen Tun innewohnt.
Wer langsam und geduldig seine Schwimmbewegungen im Meer des Alltags macht, den trägt das Wasser. Wer in Beharrlichkeit und innerem Glauben sein alltägliches Tun beginnt, der wird mit der Zeit vielleicht wirklich Berge versetzen. Und nur wer ausharrt im Guten – auch wenn alles dunkel wird – kann die Welt verändern und – was mir wichtiger scheint – sich selbst.
Himmelfahrt bleibt somit ein Fest. Diese Feiertage spenden in der Erinnerung des Geistes Jesu Trost und Zuversicht. Solche Feste sind Haltepunkte, an denen Gewesenes sich wieder neu verwirklicht und an dem wir Kraft und Mut schöpfen für das alltägliche Tun.
Im Alltag selber jedoch, im Segen sinnvoller Arbeit, in Mühe und Beharrlichkeit erfüllt sich das Geheimnis eines solchen Festes. Dort erprobt sich die Lebendigkeit der Verheißung: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/12/astronomy-1867616_1280.jpg8741280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-05-10 10:50:192024-05-10 10:50:19Predigt an Christi Himmelfahrt (09.05.2024)
Viola Kohlberger.
Eine junge Frau aus Augsburg, 32 Jahre alt.
Ewig engagiert bei den Pfadfinderinnen und Pfadfindern
und seit 2021 Kuratin,
sprich: Geistliche Leiterin des Diözesanverbandes dort.
Angestellt vom Bistum,
im Moment promoviert sie in Kirchengeschichte.
Gerade für die Anliegen der Jugend
engagierte sie sich beim „Synodalen Weg“.
Setzte sich kritisch auseinander
vor allem mit einigen Bischöfen und deren Verhalten.
Sie kandidiert zur Bundeskuratin,
eine Aufgabe, die ich selber von 2001 bis 2010 erfüllt habe.
Seit Wochen tourt sie durch Deutschland,
um sich den Diözesen und Gremien vorzustellen.
Am letzten Montag wurde ihre Kandidatur
vom Ständigen Rat der Bischofskonferenz abgelehnt.
Natürlich werden keine Informationen gegeben,
wer und überhaupt.
Keine Gründe benannt.
Doch schon der Vorgang an sich ist ein Skandal.
Darf ein Jugendverband nicht selber entscheiden,
wer in ihm Verantwortung übernimmt?
Wäre es nicht mindestens ein Ansatz von Transparenz,
die doch auch von den Bischöfen so groß geschrieben wird,
Gründe zu benennen?
Und dann höre ich die Lesung des heutigen Tages
aus der Apostelgeschichte.
Da hatte die Gemeinde in Jerusalem
Angst vor Saulus,
dem jetzt bekehrten Paulus.
Was steckt denn hinter und in ihm?
Kann man ihm vertrauen?
Ist er wirklich der Bekehrte?
Ist er nicht der Feind?
Will er nicht das, was wir nicht wollen?
Barnabas setzte sich für ihn ein.
Machte deutlich,
wie Paulus sich für das Evangelium einsetzt.
Bis sich auch die anderen „Brüder“
(Schwestern werden nicht genannt …) für Paulus einsetzten
und dann – so sagt es die Apostelgeschichte – „die ganze Kirche in Judäa, Galiläa und Samarien nun Frieden hatte.“
Wie schön wäre es,
wenn auch wir das heute sagen könnten …
Dass es nicht so ist,
nicht einmal in unserer deutschen Kirche,
ist traurig genug.
Was sind denn die Ängste,
die uns und die Entscheidungsträger erfüllen?
Ja, und ich frage mich noch mehr:
sind wir uns denn noch des Verbindenden
hinter allem bewusst?
„Ich bin der Weinstock. Ihr seid die Rebzweige.“
Viele sind gern selber der Weinstock
und geben vor, was denn die Reben sollen.
Sie wissen ja,
wo es lang geht,
was unsere Kirche rettet,
was „dran“ ist.
Wer nimmt das nicht alles für sich in Anspruch.
Gerade auf sogenannten konservativen Seiten.
Verlieren wir dabei nicht zu oft
die frohe Botschaft Jesu aus dem Blick?
Viola Kohlberger darf nicht kandidieren.
Und wie viele schließen wir aus
– ob bei der Kommunion
oder von geistlichen Ämtern?
Wie viele schließen wir aus
wegen ihres Geschlechts,
ihrer sexuellen Orientierung?
Die Liste lässt sich fortsetzen …
Und es meint nicht nur „die Kirche“,
sondern jeden und jede von uns.
Auch mich.
Und das, obwohl das Evangelium heute
uns wieder einmal so deutlich macht,
dass wir doch gemeinsam Reben sind
am Weinstock Gottes?
Glauben bedeutet,
auf den zu vertrauen,
der sich selbst offenbart hat als der ICH BIN DER ICH BIN DA.
Der da ist für alle.
Für seine geliebten Kinder.
Und das muss Folgen haben,
soll es nicht bei einer versunkenen Innerlichkeit bleiben.
Unser Glaube soll Frucht bringen
wie die Reben am Weinstock.
Unser Glaube soll uns offen machen
für die Menschen um uns herum.
Er soll uns bereit machen,
auf sie zuzugehen,
zu helfen, zu unterstützen,
vielleicht einfach einmal einander zuzuhören.
Glauben heißt zu lieben,
wie Jesus geliebt hat und liebt.
Ohne Voraussetzungen.
Obwohl wir, wie ich es gestern las,
so „vollkommen unvollkommen“ sind.
Ob wir es nicht einfach einmal wieder versuchen
– gerade mit denen, die uns nicht so liegen …?
Ob nicht doch wieder etwas von der Geistkraft Gottes
in unserer Kirche lebendig wird,
wir nicht doch irgendwann den Streit sein lassen,
damit „Frieden“ wird?
Ein Text von Adalbert Ludwig Balling:
Ein bisschen Christ sein,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen lieben,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen Solidarität,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen Mitleid,
aber nur ein bisschen.
Ein bisschen von allem,
aber ja kein bisschen zuviel!
Du Bisschen-Mensch!
Wehe,
würde Gott
dich nur bisschen-weise
lieben!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/03/2VL3799kl.jpg8511280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-04-28 17:09:352024-04-28 17:09:35Predigt am 5. Ostersonntag (28.04.2024)
Ich kann mit dieser Kreuzigung nichts anfangen, sagte mir ein Freund, das Leben Jesu sei doch aussagekräftig und der Wanderrabbi Joshua sei auch ein beeindruckender Prediger gewesen. Aber dass Jesus sterben musste und dann noch diesen Tod, das entzog sich seiner Vorstellung. Und dass er das freiwillig getan habe, ohne Kampf, ohne Widerspruch, das befremde ihn. Ostern würde er auch gerne feiern, aber Karfreitag?
In der Rede vom guten Hirten geht es genau darum: Leben hinzugeben und das freiwillig.
Die Frage berührt die Menschen nicht nur im Bedauern um den Tod Jesu. Warum musste der Gottessohn sterben? Und warum musste er am Kreuz hingerichtet werden?
Sie berührt auch unser eigenes Leben. Früher betete man um einen guten Tod und nahm damit die Sterblichkeit des Lebens bewusst in den Blick. Und wir ahnen: Sterben ist loslassen, ausatmen, sein lassen. Für manche gehört ein Aufbäumen, ein Kampf dazu, andere willigen still ein und gehen hinüber. Das Geheimnis ist, dass Tod uns nicht einfach geschieht und wir eine Art Opfer sind, sondern dass jeder Mensch seinen Tod stirbt. Einzig die Tatsache, dass das Schicksal des sicheren Todes uns allen dräut, verbindet alle Menschen.
Welche Rolle nun spielt die Hingabe des Hirten Jesu in diesem Zusammenhang?
Was will uns Gott sagen?
Die alte Theologie schon hat sich diese Fragen gestellt und ihre Antwort versucht: Damit die Menschen gerettet werden, musste Gottes Sohn sterben. Es brauchte ein Opfer, das uns loskauft. Blut gegen Blut – Auge um Auge – Zahn um Zahn. Der Gedanke des Opfers, das sich freiwillig gibt, klingt auch in der Rede Jesu über den guten Hirten an. Er gibt das Leben für die Schafe. Und er gibt es freiwillig.
Das ist erst einmal ein starker Gedanke. Etwas nicht notgedrungen, nicht erzwungen tun, und dann gegen unser Wirtschaftsdenken: Er gibt sein Leben, ohne etwas dafür zu bekommen. Eine Nuance an dem Gedanken ist sehr wichtig: Jesus schenkt sich – opfert sich. Er wird nicht geopfert. Das ist passiv, wenn das Leben geraubt wird. Jesus bleibt aktiv. Er willigt innerlich ein – wenn auch in Angst, Zweifel und Einsamkeit.
Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin.
Unser Verhältnis zum Leben ist ein anderes. Wir vertrauen dem evolutionären Lebenstrieb und gehen davon aus, dass wir unser Leben selber gestalten, dass wir unser Überleben sichern. Wir erleben uns als Besitzende des Lebens, wollen aktiv sein, was meint, dass wir das Leben festhalten und meinen, es zu bewahren.
Und im innersten Herzen wissen wir, dass wir es nicht verhindern können, das Sterben – unser Sterben. Wir tragen das Todesleiden an unserem Leib – sind und bleiben Kreaturen – Geschaffene, Abhängige, Sterbliche.
Es ist nicht zu verschweigen, dass wir Verlängerung und Hinauszögerung erforschen und organisieren.
Eine berechtigte Reaktion ist unser Forscherdrang, der Kampf um das Leben, alle Strategie, den Tod wenn schon nicht zu besiegen so doch hinauszuschieben oder gar auszublenden.
Jesus aber verdrängt nichts. Er sieht den Tatsachen ins Auge. Er ist eben ganz Mensch geworden, der einzig wirklich göttliche. Er begreift, wer er ist und was sein Auftrag wird: Hirte sein, der sein Leben hingibt. So sehr der Tod erschüttern mag, er ist ja doch nicht sinnlos. So sehr unser Tod uns auch verängstigen mag, ist er sinnlos?
Jesus musste sterben, weil der Tod zum Menschsein gehört. Der Schandtod am Kreuz, das ungerechte Urteil, all das vertieft seinen Tod. Er stirbt den sozialen Tod, indem er als Verbrecher hingerichtet wird, er stirbt den rechtlichen Tod, indem er verurteilt wird, und er stirbt den emotionalen Tod in der Angst am Ölberg, dem Verlassensein von den schlafenden Gefährten, und dann stirbt er auch den Tod allen Lebens.
Jesus stirbt alle Tode. Alle unsere Tode. Er ist wirklich Mensch geworden.
Jesus ist als Lebender schon in den Abgrund des Todes hinabgestiegen. Und sein Schicksal, mit der Menschwerdung auch dem Tode verfallen zu sein, trägt er durch bis ans Ende.
Zwei Kräfte nun setzt Jesus seiner Sterblichkeit entgegen: die erste ist die Hoffnung. Leben folgt einer andersartigen Logik, als der menschengemachte Individualismus. Leben ist Kollektiv.
Es gibt nicht das Einzelne, sondern nur das Größere, die Gattung, die Spezies. Dafür lohnt es sich zu leben und dafür lohnt sich auch die Hingabe des Lebens an die Nachkommen. Ein archaischer Gedanke, dass wir in unseren Kindern weiterleben. Wir sollten das nicht unterschätzen. Unser gesamtes soziales System beruht darauf. Der Generationenvertrag, die Fürsorge, der Stolz und die Freude, wenn das Leben in den Nachkommen wächst.
Und die zweite Kraft gegen die Sterblichkeit ist die Freiheit. Solange wir den Tod einfach ignorieren, verschaffen wir uns eine Fristverlängerung – ja.
Aber wir verknüpfen unser Dasein auch mit einer Angst, die im Dunkel lauert. Dumpf kann sie uns beherrschen, die Lebenshektik, nicht genug zu bekommen, raubt den Atem und macht das Herz eng.
Wir können uns von der Angst zum Tode nur befreien, wenn wir so frei werden, dass wir sie annehmen. – Ein großes Wort, ich weiß, und so schwer zu leben. Solange wir jung sind, scheint es leichter, wenn eben noch so viele Jahre vor uns liegen. Beginnt der Zeitvorrat aber zu schwinden, dann erwachen wir in einer verstörenden Realität.
Wenn wir Menschen also am Ende vor einer solchen Herausforderung stehen, dann macht es Sinn, sich bestens vorzubereiten und ganz schlicht und einfach zu üben.
In vielen alltäglichen Zusammenhängen erleben wir Endlichkeit und so etwas wie Tod. Wir können das annehmen als Übung für das große Loslassen. Wenn etwas nicht gleich klappt, wenn etwas so völlig quer läuft, das sind die Widerwärtigkeiten.
Das Hirtenamt – auch in der Kirche sollten wir uns diese Zusammenhänge immer wieder verdeutlichen, erklären und mit dem Lebensbeispiel nahebringen.
Jesus, der wahre Hirt der Kirche aber sagt uns:
Verbinden sich die beiden Kräfte Hoffnung und Freiheit, dann geschieht das Wunder, zu dem nur Menschen fähig sind: Wir teilen und spüren, dass wir reicher werden. Wir sterben füreinander, werden Brot für das Leben der Welt. Amen, seien wir es!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/04/DSC01797.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-04-25 08:48:412024-04-25 08:48:41Predigt am 4. Ostersonntag (21.04.2024)
„Was du auch sagst, ich fall dir ins Wort! Wohin du auch gehst, ich bin immer schon dort! Nimm’s einfach hin! Es gibt vor mir kein Entrinnen. Versuch’s gar nicht erst, es hat keinen Sinn.
Du kannst dir noch so schöne Luftschlösser zimmern, ich werde sie doch immer wieder zertrümmern! Jeden Hoffnungsschimmer werd ich im Keim ersticken und jeden Strohhalm, nach dem du greifst, einfach zerknicken!
Ich such dich heim, und das nicht zu knapp! Und du kannst dir sicher sein, du schüttelst mich nicht ab. All deine Bemühungen laufen ins Leere, denn ich komm mit Vergnügen dir zuhauf in die Quere!
Und welch ein Pech! Niemand rettet dich! Ich mach dir durch die Rechnung einen fetten Strich. Da hilft dir auch kein Urvertrauen. Ich werd tagaus und tagein dir die Tour versauen
mit meinem Gift, das ich dir ins Bewusstsein träufel, ich listiger, illustrer Teufel! Ich weiß, du kennst mich gut: Ich bin der Zweifel!“
So besingt der Liedermacher Bodo Wartke in seinem Lied „Zweifel und Zuversicht“ den Zweifel. In einem fiktiven Dialog, der sich in jedem Menschen abspielt, lässt er Zweifel und Zuversicht zu Wort kommen und miteinander um die Deutungshoheit im Menschen wetteifern. Gerade in den Auferstehungserzählungen der Evangelien, besonders im heutigen Evangelium, hat der Zweifel seinen Platz – und darf, ja muss seinen Platz haben. Denn die Auferstehung Jesu war etwas so Neues, vorher noch nicht Dagewesenes, im wahrsten Sinn des Wortes Un-Glaubliches, dass der Zweifel darin vorkommen muss. Und der Zweifel ist nicht nur auf Thomas beschränkt, der dem Evangelium nach bei der ersten Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen nicht dabei war und nun das Ereignis bezweifelt, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen und seinen Finger in die Seitenwunde Jesu gelegt hat. Ja, vor dem Zweifel gibt es kein Entrinnen, wie Bodo Wartke singt. Wohin wir auch gehen, wie im alten Spiel vom Hasen und vom Igel ist er „immer schon da“ – auch heute noch. Ein Glaube ohne Zweifel, ein Glaube, der nicht durch die Not des Zweifels hindurchgegangen ist, droht ins Fundamentalistische zu kippen.
Der Auferstehungsglaube der ersten Jünger ist kein triumphalistischer Glaube, sondern ein trotziger Glaube, der sich immer wieder vom Zweifel anfragen lässt, der das Verstehen sucht, der sich nicht zufriedengibt mit billigen Erklärungen. Er ist ein Glaube, der auch nicht hinter das zurückfallen will, was Jesus in seinem Leben verkündet hat: eine Gerechtigkeit, die vor Leid und Tod nicht haltmacht, die den Finger in die Wunde legt und nicht vorschnell bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“
Und doch kann der Zweifel, wenn er für sich bleibt, lähmend sein und in die Verzweiflung führen, gerade wenn wir uns die heutige Welt- und Kirchenlage ansehen. Sensiblere Gemüter, die sich vom Leid der Welt anfragen und betreffen lassen, spüren genau, was im Lied als Selbstaussage des Zweifels besungen wird: „Welch ein Pech! Niemand rettet dich! Ich mach dir durch die Rechnung einen fetten Strich!“
Aber da gibt es ja auch noch die zweite Stimme in unserem Innern, die Bodo Wartke besingt. Er nennt sie Zuversicht und meint damit keine billige Vertröstung, der das Leid und die Verzweiflung fremd sind. Hören wir nun auch die Zuversicht sprechen:
„Was du auch tust, hab keine Angst zu versagen! Wohin du auch gehst, ich werde dich tragen! Wir kriegen das hin! Es kann dir gelingen! Erst recht dann, wenn ich bei dir bin.
Ich werd vorbehaltlos dir den Rücken stärken, und schon sehr bald wirst du verzückt bemerken: Das Leben steckt schier voller Möglichkeiten! Und ich werde dir dafür den Weg bereiten!
Hab Vertrauen! Auf mich kannst du bauen! Und mit staunenden Augen in die Zukunft schauen! Es wird Zeit, dass wir dir die Flügel entstauben und von nun an dir an dich zu glauben erlauben.
Zeit zu handeln! Hab Mut! Und glaub mir: der Wandel tut dir ganz gut! Ab jetzt ist Schluss mit dem bekloppten Zynismus! Wie wär’s mit ’nem Schuss Optimismus?
Ich bin die, die, wenn der Vesuv ausbricht, dich noch ans rettende Ufer kriegt. Ich weiß, du kennst auch mich: Ich bin die Zuversicht.“
„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus zu Thomas und zu uns allen, die wir Jüngerinnen und Jünger zweiter Hand sind, die wir also den Auferstandenen nicht physisch gesehen haben, die wir aber doch unsere Erfahrungen mit ihm machen können. Selig sind die, die zuversichtlich sind durch den Zweifel hindurch, die sich getragen fühlen, auch wenn nichts zu gelingen scheint, die immer noch das Leben mit den unendlich vielen Möglichkeiten sehen.
„Es wird Zeit, Gesicht zu zeigen! Das heißt, du musst dich entscheiden. Wen wählst du von uns beiden?“ So die Frage am Ende des Liedes. Auch von uns ist immer neu die Entscheidung gefordert, und vermutlich wird sie von Tag zu Tag unterschiedlich aussehen. Manchmal überwiegt der Zweifel, manchmal die Zuversicht. Aber vielleicht ist der Osterglaube genau dies: ein zweifelnder Glaube, ein Glaube mit Zweifel UND Zuversicht. AMEN.
Vom berühmten Schriftsteller Franz Kafka, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt, ist eine kurze Geschichte überliefert, weniger als eine halbe Seite lang, die von einem Kaiser erzählt, der auf dem Sterbebett einem Boten eine wichtige Botschaft anvertraut – „eine kaiserliche Botschaft“. „So sehr war ihm an ihr gelegen, dass er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ“. Und der Bote macht sich auch gleich voller Elan auf den Weg, aber dann – typisch Kafka – wird es unheimlich und dunkel; die Literaturwissenschaft hat für diesen Stil ein eigenes Wort erfunden: „kafkaesk“. Der Bote kommt nicht so recht vorwärts, zu viele Menschen stehen ihm im Weg, zu viele Häuser, „wie nutzlos müht er sich ab“, und es scheint, als könnte er den riesigen Palast niemals durchqueren. Und selbst wenn er aus dem Palast herauskäme, und gleich heißt es wieder einschränkend: „aber niemals, niemals kann es geschehen“, so lautet das Fazit der kurzen Erzählung: „Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“
„Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten.“ Ist das nicht eine treffende Beschreibung dessen, wie es uns heute in der Kirche oft zu ergehen scheint? Auch uns ist ja eine wahrhaft kaiserliche Botschaft anvertraut, eine Botschaft des Lebens, wie sie der ersten Zeugin Maria von Magdala anvertraut wurde. Aber oft scheint es doch eher so zu sein, dass wir eher mit der Botschaft eines Toten unterwegs sind, sei es, dass für die, die sie hören, diese Botschaft nichts mit ihrem Leben zu tun hat, sei es, dass die, die diese Botschaft überbringen sollen, unglaubwürdig geworden sind, weil sie sich in Streitigkeiten über den Inhalt dieser Botschaft verlieren oder darüber, wer würdig ist, diese Botschaft zu hören. Die Boten – wir – dringen mit unserer Botschaft nicht mehr durch zu den Menschen, weil der Palast so hoch und unüberwindlich geworden ist, dass er den Weg versperrt. Oder wir stolpern über unsere feinen Gewänder und stehen uns letztlich selbst im Weg. Oder wir versuchen, den festzuhalten, den wir verkünden wollen, und stutzen ihn so auf unser Maß zurecht. Ist also diese ganze Sache mit Ostern nur ein Traum, ein subjektives Hirngespinst derer, die Zeit genug haben, am Fenster zu sitzen und vor sich hinzuträumen?
„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ Ich lese diesen letzten Satz aus Kafkas Erzählung gar nicht so negativ. Für mich atmet dieser Satz tatsächlich etwas von der leisen, zarten, österlichen Hoffnung, die Menschen immer wieder hinausgetrieben hat, sie anderen Menschen weiterzusagen. Denn was gibt uns eigentlich das Recht, so abfällig über Träume zu reden? Sind Träume wirklich nur sprichwörtliche Schäume, sind sie nur Hirngespinste, die in unserer hochrationalen Welt nichts zu suchen haben? Wer so denkt, für den ist Religion tatsächlich nur Opium für Menschen, die mit dieser harten Realität nicht zurechtkommen. Wer so denkt, der denkt allerdings auch sehr europäisch, andere würden sagen: kolonialistisch, weil er mit einem Handstreich das hinwegfegt, was für den größten Teil der Menschheit durchaus eine Erkenntnisquelle sein kann: Träume, Visionen, Phantasie. Wer so denkt, der denkt auch sehr unbiblisch, denn in der Bibel sind es oft Menschen, die träumen, die auf einmal die Kreativität zu ganz anderen Lösungen entdecken, ja, die manches Mal auch Lösungen träumen. Es heißt dann lapidar, dass ein Engel zu ihnen im Traum spreche. Und die sich dann auf den Weg machen, ihre Träume in die Tat umzusetzen. Maria Magdalena bleibt nicht weinend am Grab stehen, sondern sie macht sich auf den Weg, wird zur ersten Predigerin der Auferstehung und verändert so die Wirklichkeit.
„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ Und dann kann es vielleicht passieren, dass ich in diesem Traum auf einmal die Mauern meines Palastes, der oft mehr ein Gefängnis als ein Palast ist, überwinde. Und ich werde entdecken, was für unendliche Möglichkeiten diese kaiserliche Botschaft beinhaltet, die mir anvertraut ist, mir schwachen Menschen voller Tränen und Selbstzweifel – und doch angesprochen und beim Namen gerufen. Und ich werde diese frei machende Botschaft allen Menschen weitersagen müssen, ohne Angst vor dem, was „man“ tut oder besser unterlässt. Wie gut, dass es Menschen gibt, die am Fenster sitzen und träumen. Wie gut, dass es Menschen gibt, die den Mut zu träumen nicht aufgegeben haben – und die darüber die Kraft zu kämpfen gewonnen haben – für eine bessere Welt, eine bessere Kirche, eine bessere Gesellschaft.
Mögen wir die kaiserliche Botschaft des Lebens, die uns anvertraut ist, in uns hineinträumen, und mögen wir den Mut finden, diesen Traum vom Leben, das keinen Tod mehr kennt, mit unseren Mitmenschen zu teilen. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/03/barley-field-1684052_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-03-31 12:00:562024-03-30 10:12:11Predigt an Ostersonntag (31.03.2024)
„Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Kirche.
Sie werden antworten: Die Messe.
Frag hundert Katholiken, was das wichtigste ist in der Messe.
Sie werden antworten: Die Wandlung.
Sag hundert Katholiken, dass das wichtigste in der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein: Nein, alles soll so bleiben, wie es ist.“
Dieser pointierte Gedankengang von Lothar Zenetti entlarvt die uns zur Selbstverständlichkeit gewordene Spaltung zwischen dem, was wir in Gebet, Kult und Ritus vollziehen, und dem was unser Lebensgefühl prägt.
Zugleich weist er hintergründig auf die große Bedeutung von Wandlung, wenn Kirche, Glaube und Spiritualität lebendig und belebend sein sollen.
Die Bedeutung der Wandlung in der Messe wird darin deutlich, dass wir gleich nach der Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi, angesichts der gewandelten Gaben dazu aufgefordert werden, das Geheimnis des Glaubens, das mysterium fidei, zu bekennen:
„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit“
Dieses mysterium fidei ist letztlich eine Bekenntnisformel des mysterium paschale, des Paschamysteriums, mit dem der Benediktiner und Liturgiewissenschaftler Odo Casel sowohl die liturgische Feier als auch ihren Inhalt bezeichnete.
„Pascha“ , der Übergang Christi von Leiden und Tod zum Leben, ist für den Laacher Mönch der grundlegende Gehalt des Christentums, des Osterfestes und jeder liturgischen Feier. Am Christen soll sich durch die Feier der Liturgie schon in diesem Leben vollziehen, was sich an Christus vollzogen hat: Der Übergang in das neue Leben mit Christus beim Vater.
Hier ist die Spaltung zwischen Liturgie und Gottesdienst einerseits und dem persönlichen Leben andererseits überwunden. Dieses Denken ist keinesfalls neu, sondern gründet in der Theologie des frühen Christentums und der alten Kirche, mit deren Quellen sich Odo Casel zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts intensiv beschäftigt hat.
Auf diese Weise hat er mit anderen Theologen die Grundlagen für die Entwicklung einer neuen Theologie gelegt, die sich dann im II. Vatikanischen Konzil Bahn brach und in wichtigen Konzilsdokumenten ihren Ausdruck findet .
Von besonderer Bedeutung ist in dieser Theologie der Heilige Geist, so dass manche Kommentatoren des Konzils auch von einer Wiederentdeckung des Heiligen Geistes sprechen.
Dieser Geist ist es, der uns mit Christus verbindet, uns wandelt, um so Christus gleichförmig zu werden. So schreibt Paulus im 1. Korintherbrief: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: … wir werden alle verwandelt werden“ (15,51).
Durch den Geist des Auferstandenen, der uns zuerst durch Taufe und Firmung geschenkt wird, werden wir zu einer neuen Schöpfung, zu neuen Menschen, werden wir, paulinisch gesprochen, von „fleischlichen“ Menschen zu geistlichen Menschen.
Durch den Geist des Auferstandenen wohnt Gott in unseren Seelen, denn so verheißt Jesus seinen Jüngern beim letzten Abendmahl: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Jo 14,23).
Oder in den Worten Gregors des Großen: Gott wohnt durch den Geist „in der Herberge unserer Herzen“ (Homilie 30 zu den Evangelien).
Dieser Geist muss in uns wachsen und sich auswirken, bis der innere, himmlische Mensch zum Vollalter Christi heranreift Christ-sein ist also ein Prozess, ein Christ-werden. Um diesen Prozess in Bewegung zu halten, feiern wir einmal jährlich in der Feier der Kar- und Ostertage das Pascha Christi in entfalteter Form. Doch auch alle übrigen liturgischen Feiern verbinden uns in besonderer Weise mit Christus.
Der Geist Gottes, dessen Wirken wir in den heutigen Lesungen, wie uns zu Beginn des Wortgottesdienstes gesagt wurde, verfolgt haben, kann uns angesichts der Bedrohungen und Herausforderungen unserer Zeit, Beistand, Trost und Stärkung sein. Er ist es, der lebendig macht und aufrichtet.
Darum hat Jesus im Rahmen des letzten Abendmahles seinen Jüngern zugesagt: „ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit“ (Jo 14,16f).
Und als der Auferstandene am Abend des ersten Tages, an dem die Frauen den Jüngern vom leeren Grab erzählt hatten, durch die ängstlich verschlossenen Türen in ihre Mitte trat, „hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Jo 20,22). – Der Heilige Geist als erste Gabe des Auferstandenen.
Von dieser Gabe soll auch die diesjährige Osterkerze künden, bei der Br. Justus die Struktur des großen Fensters hier in der Apsis aufgenommen hat. Morgen, wenn das Licht hindurchfällt, ist dann gut zu erkennen, dass hier der Heilige Geist als Feuer dargestellt ist, das vom Himmel herabfällt. Dahinter steht die Prophezeiung aus dem Buch Joel (3,1): „Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, / eure Alten werden Träume haben / und eure jungen Männer haben Visionen.“
Wagen wir, bewegt vom Geist des Auferstandenen, zu träumen, entwickeln wir Visionen, und haben wir den Mut, uns immer tiefer mit Christus zu verbinden und von seinem Geist beleben, bewegen und wandeln zu lassen.
Die Gedanken zum Wirken des Heiligen Geistes verdanken sich dem Kapitel „Pfingsten“ der Schrift Odo Casels „Das christliche Festmysterium“ (Paderborn 1941), 76-83.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/03/Osterkerze-2024.jpg15362048Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-03-30 23:00:582024-03-31 15:18:52Predigt in der Osternacht (30.03.2024)
“Es war Nacht.”(Joh 13,30) Der Satz wird schnell überlesen in der Passage, mit der das Johannesevangelium vom Vorabend der Passion Jesu berichtet: von seinem Abschiedsmahl mit den Jüngern, bei dem er ihnen – als sein Vermächtnis – die Füße wäscht. Die Liturgie des Gründonnerstags setzt es Jahr für Jahr in Szene. Ein ambivalenter Moment! In der Predigt der Abendmahlsfeier gestern erfuhr er vorweg eine erhellende Deutung. Was liturgisch nicht gezeigt wird, beschreibt umso eindringlicher Johannes in seinem Evangelium (Joh 13,21ff.): die Geste des Brotteilens, mit der Jesus den Verrat – seine bevorstehende Auslieferung – durch Judas nicht nur aufdeckt, sondern geradezu provoziert.
“Als Judas den Bissen Brot, den Jesus ihm gab, gegessen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht.” Auch wenn es so klingt, ist dieser Hinweis für den Verfasser des 4. Evangeliums keine Randbemerkung. „Draußen und Nacht“ – das ist mehr als eine bloße Orts- und Zeitangabe, da verdichten sich innere Erfahrungen. Draußen und Nacht sind Bilder des Menschen und seiner Welt. Zunächst dieses Menschen namens Judas und seiner Welt – in der Nachkommenschaft des Kain gewissermaßen, der verräterischen Gegenwelt des Brudermordes. Doch steht Judas auch für die Versuchbarkeit des Menschen überhaupt.
Draußen und Nacht. Dahinein bricht nach dem Abendmahl auch Jesus auf – mit seinen Gefährten. Doch nie und nirgends war er so einsam wie hier und jetzt. In ihm selbst ist Nacht, seit Judas ging. Er selbst ist innerlich draußen. So lässt er seine Gefährten auch bald zurück. Drei nimmt er noch mit – wie in einer letzten Anklammerung, dann trennt er sich auch von ihnen.
Einen Steinwurf weit, schreibt Johannes. Einen Steinwurf weit?! Das heißt doch: Jesus geht an den Ort der Sünder, wo man sie steinigt, wo man die Schuldigen mit dem Stein gerade noch treffen kann. Kennen wir das nicht?! Aus der Distanz der Selbstgerechtigkeit Urteile schleudernd – wie Steine.
Draußen inmitten der Nacht will Jesus sich finden lassen – von Judas, und er wird ihn Freund nennen. Dieses Weggehen Jesu von seinen Gefährten – Schritt für Schritt – bis ans Kreuz, wo er schreien wird, dieses Weggehen nach draußen in die Nacht, das zeigt Jesus noch einmal als den, der gekommen ist, das Verlorene zu suchen (vgl. Lk 19,9). Das zeigt ihn als den, der in den Bannkreis der Sünde hineingeht, an den Ort der Steinigung, um den Sünder Freund zu nennen. Er tut es um den Preis der Einsamkeit. Es kostet ihn die Gemeinschaft der Menschen und es wird ihn die Erfahrung der Nähe Gottes kosten, ihre Vertrautheit: Mein Gott, mein Gott – auch Du!?
In jener äußersten Stunde, an jenem äußersten Ort wird Jesu Einsamkeit, seine Verlassenheit am Kreuz, durchscheinend für den Blick des Glaubens. Das gottmenschliche Geheimnis schimmert auf: der Mensch in Gott und Gott im Menschen. Sie lassen einander nicht außen vor. Ent-äußerung im Wortsinn! In Jesus Christus hat Gott sich selbst verlassen – auf den Menschen zu, ohne jeden Vorbehalt, wie es der Philipperhymnus (Phil 2,5ff.) besingt. Und: In Jesus Christus ist der Mensch vorbehaltlos zu Gott hin aufgebrochen, wovon das „Halt mich nicht fest!“ (Joh 20,17) am Ostermorgen spricht.
Jesus am Kreuz – die Karfreitagsikone der Passion! Gleich wird sie uns vor Augen gestellt. Ostern aber müsste das Kreuz wie am Karsamstag eigentlich leer bleiben, weil die Passion der Liebe Pascha ist, ein Übergang – der Weg, der über alle Wege hinausführt in die Weite Gottes (vgl. 1 Kor 12,31 ff.). Das leere Kreuz zeigt als Wegweiser der Liebe über sich hinaus – auf Himmel und Erde, die oft in „Nacht“ getaucht sind, und zu den Menschen, vor allem zu denen, die „draußen“, die außen vor sind.
Draußen inmitten der Nacht – da irrt Judas umher, da flieht immer noch Kain. Draußen inmitten der Nacht ‑ da kann ich auf das Kreuz stoßen, mich an seinem Fuß niederlassen und ruhig werden. Ich und du – mit Spuren vom Kainsmal, mit Judasschatten in der Seele wie jeder Mensch. Vielleicht werden wir hören, was nach dem Schrei sein Schweigen jedem und jeder von uns sagen will:
Freund, wozu bist du gekommen?
Mir bricht das Herz.
Jene Zwiespältigkeit, die dich sündigen lässt,
zieht sich auch mitten durch mich.
Gott hat mich zur Sünde gemacht,
damit alle in mir Gerechtigkeit Gottes werden (vgl. 2 Kor 5,21). Sieh mich an! Wer mich sieht, sieht Gott.
Gott reißt den Riss durch die Schöpfung
in sich hinein und das zerreißt auch mir das Herz.
In mir bricht ihm das Herz,
bricht auf in grenzenlose Weite.
Du zweifelst?
Stoß zu mit der Lanze des Zweifels,
wenn du Gewissheit willst!
Mein gebrochenes Herz
– die offene Wunde –
soll dir ein Zeichen sein, ein zuverlässiges Zeugnis,
damit du glauben kannst:
Mitten in Gott ist der Ort der Sünder,
wo sie kein Stein mehr tödlich treffen kann.
Kein steinharter Vorwurf,
nicht einmal der Steinwurf der Selbstverurteilung.
Kain muss nicht länger fliehen,
Judas muss nicht mehr verzweifeln.
Und du – auf deinen Irrwegen zweifelnden Fliehens
willst du nicht umkehren, willst du nicht heimkehren
– ins Vertrauen?!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/03/Karfreitag-Kreuz.jpg6801024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-03-30 10:11:292024-03-30 10:11:29Predigt zum Karfreitag (29.03.2024)
I.
„In jeder Generation ist jedermann verpflichtet, sich selbst so anzusehen, als wäre er dabei gewesen.“ Dieser Satz stammt aus der jüdischen Tradition; er macht deutlich, wie ein glaubender Mensch mit der überlieferten Tradition umgehen soll: Mach dir zu eigen, was vergangene Generationen erfahren und gelernt haben. Sei dir darüber im Klaren, dass es dabei nicht um einen sentimentalen Ausflug in die „gute alte Zeit“ geht, sondern um dich, um uns – hier und jetzt. „Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last, Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“ lässt Goethe seinen Faust sagen, als der nach einem Ausweg aus der Enge seiner einsamen Selbstbezogenheit sucht.
Die Tage von Gründonnerstag bis Ostersonntag sind der Erinnerung, besser der Verinnerlichung, des Lebens, Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu gewidmet; sie bieten eine überaus intensive Verdichtung von Lebens- und Glaubenserfahrungen, die es zu „erwerben“ gilt, damit sie uns für den aufgegebenen Augenblick nicht „belasten“ sondern „nützen“.
II.
Unter der Perspektive der Bedeutung für uns möchte ich heute Abend die Person des Petrus in den Blick nehmen, um mit ihm und von ihm zu lernen, wie Leben und Glauben zueinander finden.
In dem Abschnitt aus dem Johannesevangelium (Joh 13,1-15), den wir gerade gehört haben, sieht Petrus Jesus auf sich zukommen, sein Idol, in dessen Windschatten er groß herauskommen will. Ausgerechnet der möchte ihm die Füße waschen. Mehr an Zuneigung, an Wertschätzung, an Liebe als dieses Angebot der Fußwaschung ist kaum vorstellbar. Das irritiert Petrus zutiefst.
Unsäglich ist deshalb die Verdrehtheit und Verstocktheit, mit der er auf dieses Angebot reagiert: „Du Herr, willst mir die Füße waschen? … Niemals sollst Du mir die Füße waschen“ schleudert Petrus Jesus ins Gesicht. – Jesus muss sich gefühlt haben wie einer, dem man mit lautem Getöse die Tür vor der Nase zudonnert: „Niemals sollst Du mir die Füße waschen.“ Das bedeutet: Ich lasse dich nicht an mich heran, untersteh‘ dich, mir zu nahe zu kommen. Mehr Misstrauen geht nicht.
Gott sei Dank reagiert Jesus auf diese brutale Zurückweisung nicht so, wie das vermutlich in den meisten Beziehungssituationen passieren würde: Er dreht sich nicht um und zieht nicht beleidigt und wutschnaubend ab. Vielmehr unternimmt er mit größtmöglicher Deutlichkeit einen neuen Anlauf: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ Das bedeutet: Petrus, ist dir wirklich klar, was du da gerade tust? Du schneidest dich von dem ab, was dir doch als Grund und Kraft und Ziel deines Lebens aufgegangen ist. Willst du das wirklich? Das endlich sitzt bei Petrus – so massiv, dass er schlagartig aufs komplette Gegenteil umschaltet: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt.“ Petrus hat verstanden – zumindest für diesen Augenblick: Gott ernst zu nehmen als Grund und Weg und Ziel des Lebens bedeutet, sich von ihm die Füße waschen zu lassen, ihn als Diener – nicht als Machthaber – an sich anzunehmen. Gott zu verehren heißt, sich nicht vor ihm zu schämen, keine Angst vor ihm zu haben. Gottes-dienst ist nicht verhuschte Unterwürfigkeit sondern grenzenloses Vertrauen!
Das ist im Kern anders als alles bisher Dagewesene – damals und heute immer noch. Hier unterscheidet sich der Glaube an Jesus Christus wirklich und grundlegend von allem, was es sonst im Bereich der Religionen gab und gibt. So mit Gott in Beziehung zu sein, war für die meisten Menschen im Umfeld Jesu noch viel unfassbarer als für Petrus. Sie geraten aufgrund seiner Art Gott zu verkörpern in blinde Aggression und nageln ihn ans Kreuz. Aus ihrer Machthabersicht ist das absolut folgerichtig: Wo kämen wir denn hin, wenn plötzlich Dienen und Vertrauen wirkungsvoller wären als Befehlen und Kontrollieren?
III.
Soweit, was uns in der Szene der Fußwaschung als „Erbe“ hinterlassen ist. Wie können wir es im Sinne Goethes „erwerben“? – Ich schlage vor, uns auf den Augenblick zu konzentrieren, in dem die Haltung des Petrus umschlägt, weil er glasklar spürt, was auf dem Spiel steht; als er innehält und sich dazu durchringt, Jesus an sich heranzulassen. Es muss ein atemberaubender Moment gewesen sein!
In dem Maß, wie wir dieses „Erbe“ des Petrus „erwerben“, dürfte es auch für uns atemberaubend werden! Haben wir doch ganz anderes mit der Muttermilch aufgesogen:
– dass keiner besser für uns sorgen kann als wir selbst.
– dass es „peinlich“ ist, Zuwendung annehmen zu „müssen“, ohne zu bezahlen.
– dass es darauf ankommt, oben zu sein und oben zu bleiben.
– dass die Mitgeschöpfe und die Mitmenschen mir als „Untergeschöpfe“ und „Untermenschen“ zur beliebigen Verfügung zu stehen haben, weil meine Selbstbezogenheit mich zwingt, den „Obermenschen“ zu spielen.
Mit Petrus innezuhalten bedeutet, die Einsicht an mich heranzulassen, dass da wo ich mich gegenüber der Zuwendung durch Mensch und Gott erhaben und unerreichbar mache, dass da die Welt aus den Fugen gerät und eine zerstörte Schöpfung, eine nicht zu unterbrechende Spirale von Missbrauch, Gewalt und Krieg die zwangsläufige Folge ist. Die dramatische Weltlage dieser Tage lässt uns das mit aller erdenklichen Deutlichkeit spüren und erleiden.
Zu „erwerben“, was wir in der atemberaubenden Begegnung zwischen Petrus und Jesus bei der Fußwaschung „ererbt“ haben, heißt:
Mensch, gib den Widerstand auf gegen das, was Gott eigentlich gewollt hat, als er seine Schöpfung und dich als sein Geschöpf ins Dasein gestellt hat.
Fang an, deine Bestimmung darin zu sehen, dich von Gott und den Menschen so lieben zu lassen, dass du eine Liebende, ein Liebender wirst.
Dein Dasein hat nicht dann sein Ziel erreicht, wenn du andere zwingen kannst, dir die Füße zu waschen. Dein Dasein ist vielmehr da am Ziel, wo Gott dir die Füße waschen darf und du deshalb nicht dein Gesicht verlierst, wenn du deinen Menschengeschwistern die Füße wäschst. –
Kurz: Mensch „erwirb“ endlich, was du „ererbt“ hast: Der Liebe bedürftig und zur Liebe fähig zu sein!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/03/tek-18.jpg8691250Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-03-29 10:15:162024-03-29 10:17:25Predigt zum Gründonnerstag (28.03.2024)
in den vergangenen Tagen habe ich unzähligen Menschen die Hand geschüttelt. Sie haben sich bei mir mit Namen vorgestellt. Unmöglich, sich die Namen zu merken. Das hat auch niemand erwartet – erst recht nicht im Trubel rund um meine Amtseinführung. Dann waren aber auch noch intensivere Begegnungen dabei – im Bischofshaus, in kleineren Kreisen im Generalvikariat oder bei sonstigen Gelegenheiten – auch da das gleiche Bild: Ich schüttele Hände. Man stellt sich mit Namen vor. Bei solchen Gelegenheiten müsste ich mir die Namen merken. Aber das ist eine Schwäche: Es fällt mir nicht leicht, mir Namen zu merken. Ich höre den Namen. Ich habe ihn auch verstanden. Aber er ist gleich wieder weg. Ich höre und höre dennoch nicht. Vielleicht kennen Sie eine ähnliche Erfahrung aus anderen Zusammenhängen: Wenn man als Familie zusammen bei Tisch sitzt, es wird erzählt. Man selbst ist aber mit den Gedanken ganz woanders und erschrickt, wenn man plötzlich hört: „Du hörst mir ja gar nicht zu!“ Ich höre und höre dennoch nicht. Und wie nervig sind diejenigen Gesprächspartner, die einem ins Wort fallen, nicht zuhören, sondern sofort beginnen von sich zu erzählen. Die fragen, wie es einem geht und die Antwort gar nicht abwarten. Auch sie hören und hören dennoch nicht.
Mit dem richtigen Hören scheint das so eine Sache zu sein. Wir hören, was wir hören wollen. Wir überhören, was wir nicht hören wollen. Wir hören. Und das Gehörte verflüchtigt sich. Da hat es das Bild einfacher: Man sieht etwas vor Augen. Der Schall, den wir hören, verflüchtigt sich. Das Bild, das wir sehen, bleibt. Das heißt, die Sichtbarkeit eines Gegenstands verleitet immer ziemlich dazu, ihn als gegeben und fassbar hinzunehmen. Der Philosoph Hans Blumenberg hat einmal gesagt, dass mit der Aufklärung die optischen Metaphern immer weiter an Bedeutung gewonnen haben. Gleichzeitig hat dann ein Begriff wie Evidenz, also der Sichtbarkeit, für die Bestimmung des Wahrheitsbegriffs an Bedeutung gewonnen. Die Wahrheit ist das, was ich klar vor Augen habe. Aber das Ohr neigt schon aufgrund der Flüchtigkeit des „nur“ Gehörten dazu, das Wahrgenommene auch stärker zu hinterfragen und hat damit ein vielleicht kritischeres Potenzial als das Auge. Dennoch – in unserer Geistes- und Kulturgeschichte fristet das Hören als Weg der Erkenntnis und der Lebensbewältigung eine eher kümmerliche Existenz. Das Hören wurde zumindest lange unterschätzt.
In der jüdischen und christlichen Überlieferung stand aber eigentlich das gesprochene Wort an erster Stelle. Das Verbot bildlicher Darstellungen Gottes bei den Juden richtete sich gerade gegen den Götzendienst, dem das Bild Vorschub leisten würde. Glaube kommt eben vom Hören und nicht vom Sehen oder vom Festhaltenwollen oder Ergreifenkönnen.
Nicht von ungefähr hat der heilige Benedikt in seiner Ordensregel an den Beginn als Prolog einen entscheidenden Satz gestellt, der wie eine Überschrift gelten kann für den, der Gott sucht. Benedikt sagt: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens!“ Es ist quasi eine „Kurzformel“ des benediktinischen Lebens. Höre – neige das Ohr! – wie viel Respekt für mein Gegenüber ist in diesem Wort enthalten – das heißt: mit sensibler Aufmerksamkeit sich respektvoll dem anderen zuzuwenden.
Benedikt geht es darum, das Hören zu einer Grundhaltung des Miteinanders, des gemeinsamen Lebens zu machen. Deshalb geht es nicht um ein einfaches akustisches Hören. Es geht um Verinnerlichung. Darum sagt Benedikt: Neige das Ohr deines Herzens! Das bloße Ohr reicht nicht, wenn das Herz weit weg ist. Ein Hörender werden, das heißt: von Grund auf bereit zu sein, sich auch belehren, sich auch beschenken zu lassen, sich nicht taub zu stellen und nur das eigene gelten lassen. Mit der Option, dass der andere mit dem Gesagten im Recht sein könnte. Nur so können wir im Hören einander die Wahrheit hinüberreichen! Wie es bei Hölderlin heißt: „Viel hat erfahren / seit ein Gespräch wir sind / der Mensch“.
Diese geistliche Tugend des Hörens mit dem Herzen verändert unsere Art, aufeinander zu- und miteinander umzugehen. Man hat doch den Eindruck, dass es derzeit im gesellschaftlichen Diskurs – und auch innerhalb unsrer Kirche – zu einer Grundhaltung geworden ist, dass man meint: Ich muss möglichst zugespitzt meine eigene Position zu Gehör bringen, damit ich überhaupt gehört werde. So entsteht der Eindruck, dass wir mehr damit beschäftigt sind, uns zu „positionieren“ als wirklich auf den anderen hinzuhören. Man bekommt leicht das Gefühl wie bei einem Gespräch, bei dem alle gleichzeitig sprechen, keiner aber dem anderen wirklich zuhört. Ist es das, was uns so frustriert und weshalb wir nicht weiterkommen?
Richtiges Hören fordert mich heraus, beim Hören nicht sofort damit beschäftigt zu sein, wie kompatibel das Gesagte mit meiner eigenen Position ist. Hören können heißt, meine Aufmerksamkeit von mir selbst weg auf den anderen hin zu lenken. Es ist eine radikale Wertschätzung des Menschen, mit dem ich jetzt gerade zu tun habe. Ihm das erste Wort zu überlassen, zeigt, dass ich ihn achte und respektiere. Nur wo ich versuche, mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen, werde ich wirklich zuhören können, werde ich vor allen Dingen eine Sensibilität auch dafür bekommen, was „zwischen den Zeilen“ oder auch nicht gesagt wird. Der gute Zuhörer ist fähig, auch das Unausgesprochene mitzuhören! Erst das führt dazu, dass der andere sich verstanden fühlt. Erst dann kann das Gespräch sich weiterentwickeln. Deswegen gehört die Fähigkeit, still sein zu können, zum Hören mit dazu. Stille und Hören sind Tugenden des Gebets!
Mit dieser geistlichen Grundhaltung beschreibt Papst Franziskus immer wieder Synodalität als „Stil der Kirche“. Ein synodaler Stil der Kirche, wie Papst Franziskus ihn versteht, verwirklicht sich für ihn in drei Schritten, nämlich: „… in der Begegnung, im Einander-Zuhören und in der Unterscheidung.“ Papst Franziskus sagt: „Synodalität setzt das Zuhören voraus: Wir müssen das Zuhören in der Kirche entwickeln. Auf diese Weise zeigt Gott uns den Weg, dem wir folgen sollen, indem er uns aus unseren Gewohnheiten herausführt und uns auffordert, neue Wege zu gehen wie Abraham. Wir müssen Gott zuhören, wenn er zu uns spricht, und dürfen ihn nicht nur abgelenkt hören. (…) Es ist das Hören auf sein Wort, das uns zur Unterscheidung befähigt und uns erleuchtet. (…) Es ist diese Veränderung der Herzen, die es uns ermöglichen wird, die Welt zu verändern und das Gesicht der Kirche zu erneuern.“
Das erinnert mich auch an die Bitte des Königs Salomo an Gott, als er seine Verantwortung als König übernimmt. In diesem Augenblick hat er nämlich gerade nicht um Macht und Einfluss, Durchsetzungskraft oder etwas anderes gebetet, sondern er bat Gott „um ein hörendes Herz“ – die Fähigkeit hinhören zu können, ist in den biblischen Schriften von jeher eine Quelle der Weisheit für die Mächtigen.
Auch in der Regel des Heiligen Benedikt kehrt dieser Gedanke wieder, dass sich mit der Bereitschaft und Fähigkeit eines hörenden Herzens verbinden muss, will sie geistliche Autorität sein: Die jungen Mönche sollen auf die Stimme der Älteren hören, die Älteren auf die Stimme der Jüngeren, gemeinsam auf die Stimme des Herrn – nur so gelingt das gemeinschaftliche Leben. Nur so werden eine Gemeinschaft und der Einzelne in ihr zu Gottsuchern. Und allein darauf kommt es an. Eine der großen Weisheiten der Kirchenväter war, niemals etwas anzufangen, ohne vorher den Rat eines anderen gehört zu haben!
Vielleicht verstehen wir jetzt etwas besser, was der Heilige Benedikt meint, wenn er den Mönchen zuruft: „Höre … und neige das Ohr deines Herzens!“
Diese geistliche Tugend ist der Dreh- und Angelpunkt. Sie hält uns in der Einheit zusammen: eine monastische Gemeinschaft wie hier in der Abtei Königsmünster, eine Kirche wie die Kirche in Deutschland mit ihrer synodalen Dynamik und eine Weltkirche, die lernen muss, aufeinander zu hören, um Unterschiede in Einheit leben zu können.
Das gilt aber in gleicher Weise für unser Erzbistum und für mich persönlich auf dem gemeinsamen Weg, der nun begonnen hat: Höre … und neige das Ohr deines Herzens! Das soll auch meine geistliche Haltung, mit der ich mich mit Ihnen auf den Weg machen möchte und um die ich immer wieder im Gebet bitten möchte. Benedikt inspiriert uns, diesen Weg von nun an gemeinsam zu gehen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/IMG_9453.jpg563845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-03-22 11:29:362024-03-22 11:29:36Predigt am Benediktsfest (21.03.2024)
Das Markusevangelium berichtet direkt vor den gerade gehörten Versen von der Taufe Jesu – und die endet so: „Als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“
Im fließenden Originaltext schließen unsere Verse nicht mit dem gehörten schlichten „In jener Zeit …“ an, sondern: „Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste.“ Man kann auch übersetzen: „Und sofort warf ihn der Geist in die Wüste hinaus.“ – Das klingt nach aufbrechender Energie, der Geist treibt buchstäblich kraftvoll zu einem abrupten Wechsel der Szenerie: Der Liebeserklärung des himmlischen Vaters am Jordan folgt unmittelbar der Rauswurf in die Wüste mit der Versuchung des Satans. Diese Dynamik lässt aufhorchen.
Die bei der Taufe offenbarte himmlische Liebeserklärung beschert Jesus von Anfang an kein simples Komfortleben und führt auch nicht direkt zum öffentlichen Wirken Jesu in Galiläa. Der Umweg in und durch die Wüste muss sein, Jesus hat gar keine Wahl, der Geist treibt ihn dorthin – noch scheint er ganz passiv zu sein und wir erfahren auch kein Wort von ihm.
Die Wüste wird für Jesus ein Lernort in einer Welt, wie sie ist – in der auch wir leben. Da gibt es satanisch Böses und alle sind versucht dem nachzugeben und wie Treibgut in diesem üblen Strom mit zu schwimmen oder sogar davon zu profitieren. Aggressive Gewalt – in all ihren Formen – ist die Methode des Bösen. Jesus – und wir – sind herausgefordert, dem zu widerstehen. Viele Menschen taten und tun das und bezahlen es womöglich mit ihrem Leben. Die Kirche nennt solche Menschen Märtyrer und verehrt sie und ihre Gesinnung zu Recht. Der Volksmund hat dafür ein Sprichwort: „Die toten Fische schwimmen mit dem Strom, die Lebendigen dagegen.“
Im Fortgang des Evangeliums erfahren wir, wie es Jesus in der Wüste ergeht: „Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ Wilde Tiere und Engel: Ein Gegensatz? – Oder nur scheinbar? Wilde Tiere versinnbildlichen Kraft und Schönheit der irdischen Natur. Entdeckt Jesus das hier? Auch die ursprüngliche Kraft und natürliche Schönheit seines Menschseins mit allen Sinnen? Wilde Tiere und Engel sind Ausdruck einer im Grunde göttlichen-menschlichen Energie-Einheit. Engel können Jesus dienen, weil Jesus sich irdisch-natürlich ganz für Gott öffnet, nachdem der Himmel sich bei der Taufe ihm geöffnet hat. Da wächst eine intime wechselseitige Beziehung. Der Engeldienst setzt fort, was Jesus schon zuvor bei seiner Taufe grundlegend erfuhr: „Du bist mein geliebter Sohn.“ In Jesus wird das Menschsein in seiner göttlichen Qualität ganz ausgeprägt. Jesus lässt sich ganz lieben – dadurch gereift besteht er die Versuchung des Bösen. Jesus erfährt schon jetzt, lange vor seiner Hinrichtung, sein Leben als unsterbliches, als ewiges, nur in und aus Gott begründetes Leben.
Das wird dann auch sogleich auf die Probe gestellt: Johannes, der ihn gerade noch getauft hatte, wird ausgeliefert – später ermordet – es ist schon ein Vorschein auf Jesu eigene Hinrichtung. Johannes wird ein Opfer willkürlicher Gewalt, er ist der erste Märtyrer. Diesem Bösen begegnet Jesus nicht mit Gegengewalt, sondern es bringt ihn buchstäblich in Bewegung: Er geht nach Galiläa. Jetzt wird er aktiv und teilt sich öffentlich mit: Er verkündet das Evangelium Gottes. Galiläa steht für das konkrete alltägliche Leben der Menschen. Folgerichtig folgt unseren Versen direkt die Berufung der ersten Jünger, die er mitten in ihrer Arbeit als Fischer in seine Nachfolge ruft.
Von hier aus spannt sich ein Bogen bis ans Ende des Markusevangeliums. Dort, im leeren Grab Jesu, werden die Frauen beauftragt zu gehen und zu verkünden: „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Am Ende des Evangeliums angekommen, hat der Leser umfassend gelernt, was es bedeutet, dem vorausgehenden Jesus nachzufolgen.
Nun, aus dem leeren Grab heraus, ist endgültig und für alle bestätigt, was Jesus am Anfang sagt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/02/desert-790640_1280.jpg9601280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-02-18 15:11:112024-02-18 15:11:11Predigt am 1. Fastensonntag (18.02.2024)
Liebe Schwestern und Brüder, vermutlich kennen Sie alle die berühmte Darstellung der Erschaffung des Adam von Michelangelo, ein Ausschnitt aus dem großen Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Links ist Adam zu sehen, der – salopp gesagt – wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängt und den Zeigefinger seiner linken Hand Gott träge und schlaff entgegenstreckt. Von rechts kommt ihm Gottvater kraftvoll entgegen, ebenfalls mit ausgestrecktem Zeigefinger, um auf Adam den Lebensfunken überspringen zu lassen. Das Fresko zeigt den Moment unmittelbar davor. Zwischen den Zeigefingern ist noch eine kleine Lücke. Sie berühren sich noch nicht. Der göttliche Lebensfunke ist noch nicht übergesprungen. Deshalb wirkt Adam noch schlaff und kraftlos. Erst die Kraft Gottes belebt ihn.
Dieses Bild kam mir in den Sinn bei dem heutigen Evangelium, in dem von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus berichtet wird. Da heißt es nämlich: er „fasste sie an der Hand und richtete sie auf.“ (Mk 1,31) Ähnlich wie bei der Erschaffung des Adam scheint auch hier eine Übertragung göttlicher Kraft über die Hände stattgefunden zu haben, die Petri Schwiegermutter aufrichtet, stärkt, mit neuem Leben erfüllt, ja sogar heilt. Und auch das ist ein Anfang. Im Markus-Evangelium ist es die erste Heilung, die Jesus vollzieht. Es folgen viele weitere und auch viele Dämonenaustreibungen. In Jesu Wirken wird deutlich, dass hier Gott selbst am Werk ist, und dass Gott für uns das Leben will, das Leben in Fülle. So war es von Anfang an gedacht. So hatte Gott seine Schöpfung erdacht und geschaffen. Der Mensch in liebevoller, inniger Verbindung mit seinem Schöpfer, der ihn als sein geliebtes Gegenüber, sein Ebenbild geschaffen hat. Doch wie uns die Bibel bildhaft berichtet, kam es zum Bruch zwischen Gott und Mensch. Die Brüchigkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens wurde offenbar. Jesus setzt hier einen neuen Anfang, indem er das, was zerbrochen ist, heilt, wiederherstellt. Und weil der Mensch nicht nur sein irdischer, vergänglicher Leib ist, sondern auch unsterblicher Geist und Seele, heilt Jesus nicht nur die Krankheiten des Leibes, sondern verkündet zudem auch Gottes frohmachende Botschaft, damit sie tief in Geist und Seele des Menschen eindringt und auch hier ihre heilsame Wirkung entfaltet, die wesentlich existentieller sein kann als eine rein leibliche Heilung.
Ich habe oft den Eindruck, dass wir vielfach diese frohe Botschaft noch nicht wirklich verstanden haben, dass sie noch nicht vom Kopf in unser Herz gerutscht ist. Denn erst dann entfaltet sie ihre volle, heilsame Wirkung. Allein mit dem Verstand können wir sie nicht fassen, bleibt sie äußerlich. Erst wenn wir sie nach und nach verinnerlichen, kann sie uns von innen her prägen, verwandeln, ja heilen.
Und diese Botschaft könnte man mit den Worten von Johannes Duns Scotus, einem mittelalterlichen schottischen Theologen, so formulieren: amo: volo ut sis. Auf Deutsch übersetzt: ich liebe, das heißt: ich will, dass du seist.
Stellen Sie sich einmal ganz konkret vor, wie Gott diese Worte zu Ihnen spricht, zu Ihnen ganz persönlich. Wenn Sie möchten, schließen sie dazu kurz die Augen. Und dann hören Sie Gott innerlich zu Ihnen sprechen: „Ich liebe dich. Ich will, dass du seist. Ich will, dass Du teilhast an meinem göttlichen, ewigen Sein. Das ist der Grund, warum es Dich gibt. Allein aus Liebe habe ich Dich erschaffen, mit meiner Liebe begleite ich Dich in jedem Moment Deines Lebens, meine Liebe ist es, die Dich am Leben hält. Wäre es nicht so, gäbe es Dich nicht, und ich könnte Dir nicht meine Liebe zeigen. Ich liebe Dich, so wie Du bist, um Deiner selbst willen, bedingungslos, mit einer
Liebe, die alles menschliche Verstehen übersteigt und selbst im Tod nicht endet. Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du bist!“
Ja, das ist die frohe und heilsame Botschaft, die Jesus verkündet. Dass Gottes Liebe eben nicht an Leistungen gebunden oder an Bedingungen geknüpft ist. Wir müssen keine Gebote erfüllen, keine Opfer bringen, damit Gott uns liebt. Seine Liebe ist reines Geschenk, theologisch gesprochen: Gnade. Auf Lateinisch: gratia. Da steckt das Wort „gratis“ drin. Die Liebe Gottes ist kostenlos. Doch diese frohe Botschaft wurde immer wieder von Menschen missverstanden, verzerrt, verdunkelt,
missbraucht, und wird es heute noch. Und dann ist sie nicht mehr heilsam, sondern ganz im Gegenteil: dann kann sie uns krankmachen, dämonisch wirken.
Damit die frohe Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes zu uns ihre heilsame Wirkung in mir entfalten kann, braucht es immer wieder Zeiten der Stille und des Gebetes, in denen ich mir diese Botschaft, dieses unbedingte „Ja“ zu mir immer wieder von Gott zusagen lasse. „Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du bist!“ Es braucht regelmäßige Zeiten, diese Botschaft zu verinnerlichen, damit sie mich von innen her prägen und verwandeln kann. Damit ich sie immer mehr wirklich
glauben kann. Damit sie vom Kopf ins Herz rutscht. Und je mehr ich mich auf Gott hin ausrichte und mit ihm in Liebe verbunden bin, desto mehr komme ich zu mir selbst, weil er mich ja als sein Abbild geschaffen hat. Und dann wird mich mein Glaube an Gottes Liebe auch in schweren Zeiten tragen.
Dann werde ich auch angesichts von Leid, Krankheit und Tod nicht an Gott verzweifeln. Dann weiß ich ihn gerade auch in diesen Zeiten an meiner Seite, mir in Liebe zugewandt. Auch Jesus hat sich immer wieder zurückgezogen, um in Stille zu beten, um sich wieder ganz bewusst mit seinem Vater zu verbinden und auf seine Stimme zu hören. Das heutige Evangelium erzählt uns davon. Und aus diesem Gebet hat er Kraft geschöpft. Es hat ihm wieder Orientierung gegeben und den für ihn „richtigen“ Weg erkennen lassen. Es hat ihn frei gemacht von den Erwartungen anderer. „Alle suchen dich“, heißt es, als sie ihn gefunden haben. Und darin schwingt die Erwartung mit, dass er zurückkehrt und weiter Kranke heilt. Doch Jesus ist innerlich frei und ganz in Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters und sagt: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen.“ (Mk 1,38) Ja, er ist nicht bloß ein
Wunderheiler, sondern Gottes Sohn, der so unendlich viel mehr geben will: Gott will das umfassende Heil aller Menschen zu allen Zeiten. Und je mehr ich ihm diese Botschaft wirklich
glaube und sie verinnerliche, desto mehr wird sie ihre heilsame Wirkung in mir entfalten, mich innerlich freimachen, mich mit Kraft erfüllen, mir Orientierung geben. Und dann werde ich selber zu einem glaubwürdigen Zeugen dieser frohen Botschaft: „Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du seist!“ Amen!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/02/art-painting-285919_1280.jpg7671280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-02-04 15:02:082024-02-04 15:02:08Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (04.02.2024)
„Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“
So lauten die zum geflügelten Wort gewordenen Verse des Zauberlehrlings im Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe, in denen deutlich wird, dass ihm die von ihm selbst entfesselte Macht über den Kopf gewachsen ist. Erst der Spruch des Meisters bannt die Gefahr, und alles ist wieder gut.
Die Rede von Geistern und Dämonen ist uns heute fremd, und wenn jemand zu oft den Teufel bemüht, werden wir skeptisch. Im Evangelium hingegen ist wie selbstverständlich von Besessenheit die Rede, und ein vornehmliches Zeichen für das in Jesus anbrechende Reich Gottes sind die Dämonenaustreibungen, die Heilung sog. besessener Menschen, die er im Namen Gottes vornimmt. Die Vollmacht Jesu, von der im heutigen Evangelium die Rede ist, äußert sich nicht nur in seinen Worten, seiner Lehre, sondern auch in ganz konkreten Zeichen. Nichtsdestotrotz bleiben uns solche Dämonenaustreibungen erst einmal fremd, gerade wenn wir bedenken, wie viel an Missbrauch in der Vergangenheit damit betrieben wurde und wie vorschnell gesagt wurde, jemand sei „vom Teufel besessen“, wenn seine Meinung den Mächtigen in Kirche und Welt nicht passte. Heute lässt sich das, was damals „Besessenheit“ genannt wurde, oftmals medizinisch erklären, und es gibt gute und erfolgversprechende Therapien, die wissenschaftlich erwiesen sind.
Wie aber können wir dann die Rede von Geistern und Dämonen heute verstehen, wenn wir sie nicht vorschnell beiseiteschieben wollen? Welcher Kern lässt sich im heutigen Evangelium für unser Leben heute herauslesen?
Denn ich bin der festen Überzeugung, dass das, was im Evangelium umschrieben ist mit einem „unreinen Geist“, auch heute existiert – wir nennen es nur anders. Auch heute gibt es Dinge, die einen Menschen langsam, aber sicher von innen zerstören können. Gedanken, die das Miteinander vergiften und wie Säure von innen her auffressen und zersetzen. Systemische, ja dämonische Strukturen, die einen Menschen krank machen können. Verschwörungstheorien, die wie „Schwurbelgeister“ daherkommen und ganz subtil Hass und Egoismus aussäen. Wenn wir an bestimmte „Geheimtreffen“ denken, merken wir, wie hochaktuell und brandgefährlich das alles ist. Gut, dass so viele Menschen endlich dagegen aufstehen und ihre Stimme erheben.
Denn genau das tut Jesus ja auch. Seine Reaktion auf den „unreinen Geist“, der den Menschen im Evangelium innerlich gefangen hält, könnte nicht klarer sein: „Schweig und verlass ihn!“ Jesus spricht deutlich aus, was Menschen krank macht, was sie innerlich und äußerlich zerreißt. Und er ermutigt uns dazu, dasselbe zu tun – immer da, wo wir krank machende Strukturen in unserer Welt, in unserer Gesellschaft, ja auch in unserer Kirche erleben. Laut die Stimme dagegen zu erheben. Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zur eigenen Freiheit zu befähigen.
Die Lesung spricht vom Dienst des Propheten, der genau das tut. Der nicht im eigenen Namen spricht, der nicht die eigenen „unreinen Geister“ bestätigt, sondern der im Namen Gottes spricht, der den Willen Gottes verkündet. Und dieser Wille Gottes hat immer mit dem Leben des Menschen zu tun. Gott will, dass wir Menschen in Freiheit leben – diese Botschaft zieht sich wie ein Refrain durch die Seiten der gesamten Heiligen Schrift. Das Tagesgebet fasst gut zusammen, worum es geht: „Gib, dass wir dich mit ungeteiltem Herzen anbeten und die Menschen lieben, wie du sie liebst.“ Gottesliebe und Menschenliebe sind nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zusammenzusehen. Denn nur zusammen können wir die Geister, die wir selbst gerufen haben, auch wieder loswerden. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/NIK0018_3.jpg569845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-01-28 11:00:262024-01-28 07:57:59Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis (28.01.2024)
Predigt anlässlich der Silberprofess von P. Maurus Runge OSB am 14.01.2024
(Lesungstext: 1 Sam 3,3b-10.19)
von Br. Ansgar Stüfe OSB, Abtei Münsterschwarzach
Höre mein Sohn, sind die ersten Worte der Regel des Heiligen Benedikt. Da die Regel drei Mal im Jahr in unseren Klöstern vorgelesen wird, bekommen die Mönche drei Mal im Jahr genau diesen Satz zu hören, falls sie zuhören.
Um das Hören geht es auch in der Lesung aus dem Buch Samuel. Samuel hört eine Stimme, ebenfalls drei Mal, und kann sie nicht zuordnen. Seinem erfahrenen Lehrer Eli erst fällt auf, dass dieser Ruf woanders herkommt. Samuel brauchte also die Hilfe eines in geistlichen Erfahrungen geübten Menschen, um seine eigene Berufung zu erkennen. Was war nun seine Berufung? Nachdem er erkannt hatte, wer ihn ruft, antwortete er: Rede, denn Dein Diener hört.
Also darum geht es bei der Berufung, dem Sprechen Gottes zuzuhören.
Jetzt wird es richtig spannend. Die Lesung hört nämlich gerade nach diesem Satz auf. Geht es also einfach ausschließlich darum, zu hören und darüber zu meditieren? Auf diese Frage antwortet Benedikt in unerwarteter Weise.
Wenn der Mönch also bereit ist zu hören, sagt er ihm: Nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat. Im ersten Satz der Regel wird also in dichtester Sprache das benediktinische Leben zusammengefasst. Es geht um das Hören und Erkennen der Sprache Gottes und das Handeln. Kontemplatives Leben besteht also nach Benedikt nicht nur in der Kontemplation, der Betrachtung, sondern auch in der Tat.
So beginnt auch das Leben des Mönchs durch eine Tat, nämlich dem Eintritt in das Kloster. Bei Dir, Maurus, ist das jetzt 25 Jahre her. Vor dem Eintritt aber stand die Bereitschaft zum Hören. Erst als Du Dich berufen fühltest, warst Du zum Schritt ins Kloster fähig geworden. Hören und Handeln gehört also zusammen. Trotzdem ist damit ein Problem verbunden. Viele Menschen fühlen, dass sie zu einem Lebensstil berufen sind, können sich aber nicht zur Tat entscheiden. Dafür gibt es viele Gründe. Manche fühlen sich unsicher, welcher Weg wirklich für sie geeignet ist.
Andere fürchten sich einfach davor, sich festzulegen und meinen, sowieso noch viel Zeit vor sich zu haben. Insgesamt fehlt es den meisten an Erfahrungen, Entscheidungen zu treffen, wenn der Ausgang nicht sicher vorhergesagt werden kann. Das ist ein Zeichen unserer Zeit. In meinem ärztlichen Beruf klagen ältere Kollegen, dass junge Ärzte und Ärztinnen sich vor Entscheidungen fürchten. Auch Ehen werden weniger geschlossen, weil es eben keine sichere Vorhersage für das Gelingen der Beziehung geben kann.
Diese Unsicherheit bleibt und muss ausgehalten werden, egal was wir in unserem Leben anpacken.
Daher folgt nach dem Eintritt auch das Versprechen, durchzuhalten. In der Sprache Benedikts ist es die Stabilität, das Bleiben. Es geht also darum, bei der gewählten Lebensform zu bleiben, auch wenn immer wieder Zweifel auftauchen, ob ich Gottes Stimme richtig interpretiert habe. In meiner eigenen Erfahrung, es sind jetzt 45 Jahre, wurde die Stabilität der wichtigste Faktor im geistlichen Leben. Als ich in der Abtei Peramiho in Tansania 1987 ankam, war ich noch recht jung. Die Umgebung war völlig fremd. Auch meine europäischen Mitbrüder lebten in einer Mentalität der Vergangenheit, die ich nicht verstand. In dieser Situation ergab sich die Notwendigkeit, die Leitung des Krankenhauses zu übernehmen. Für eine gewisse Zeit war ich davon überzeugt, dass ich das nie schaffen werde. Zum Glück waren zwei Ordensschwestern im Krankenhaus tätig, die mir Mut zusprachen. So sagte ich mir, wenigstens versuchen kann ich es ja. Aus diesem Versuch wurden 36 Jahre. Der Entschluss zum Durchhalten hat mir gezeigt, dass ich es wirklich schaffen kann und Eigenschaften in mir habe, von denen ich keine Ahnung hatte. Diese Art von Stabilität hat es mir ermöglicht, Wirkungen zu erzielen und Strukturen zu gestalten, wie ich sie mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hätte. Wenn ich mir Dein monastisches Leben, lieber Maurus, anschaue, ist es Dir durchaus ähnlich ergangen. Du hast enorm viele Tätigkeiten übernommen, von denen Du früher nicht geahnt hast, dass Du sie mal ausüben wirst. Wir zwei haben sogar einmal zusammen den Reinigungsdienst in den Büros der Kongregation übernommen. Das können nur wenige Mönche von sich sagen.
Dem Hören folgt also die Tat. Dieser Satz mag manche überraschen, wenn diese Grundsätze als Kennzeichen kontemplativen Lebens genannt werden. Auch bei manchen Mönchen herrscht der Irrtum vor, dass klösterliches Leben ausschließlich im Meditieren besteht. Ja, das gehört dazu, es ist aber nicht alles. Das gehörte bzw. betrachtete Wort muss in die Tat umgesetzt werden.
Benediktiner haben nun sehr unterschiedliche Schwerpunkte, wenn diese Regelgrundsätze in das wirkliche Leben umgesetzt werden sollen. Da gibt es Klöster, die in Landwirtschaft und Handwerk arbeiten, aber keine Seelsorge oder Schulen unterhalten. Es gibt Klöster, die in Jahrhunderte alter Tradition Kunst und Schulen weitertragen oder auch unsere Kongregation, die Klöster in Afrika und Asien gegründet hat, um den Glauben zu verbreiten. Wir leben jetzt in einer Zeit, in der christlicher Glaube, besonders in katholischer Ausprägung, große Rückschläge zu erleiden hat und oft rundheraus abgelehnt wird. Nun meine ich, dass gerade hier die Stunde der Benediktiner geschlagen hat. Zwar predigen auch wir, manchmal sogar ich, aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist viel mehr unsere Lebensform. Frauen und Männer leben in Klöstern und teilen gemeinsam ihr Leben. Wir alle sind ja sehr unterschiedlichen Charakters, wir teilen nicht oft dieselbe Meinung und manchmal können wir uns überhaupt nicht leiden. Trotzdem leben wir in Frieden zusammen und bringen es sogar fertig, Entscheidungen zu treffen. Wir zeigen unsere Lebensform auch in der Öffentlichkeit. Kürzlich beschwerte sich jemand, dass wir im Livestream von unseren Gottesdiensten auch zeigen, wenn ein Mönch gähnt, einschläft und der Organist sogar ein Schluck Wasser trinkt. Aber genau das ist unsere Botschaft. Wir sind Menschen!! Nichts Menschliches ist uns fremd. Trotzdem leben wir zusammen, trotzdem halten wir durch und laufen nicht weg. Viele meiner Mitbrüder hätte ich mir nicht zu meinem Bekanntenkreis ausgesucht. Aber eben diese Menschen bereichern mich um Erfahrungen, die ich sonst ohne sie nicht gemacht hätte.
In neuerer Zeit ist es gelungen, unsere Lebensform auch einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch daran bist Du, Maurus, beteiligt.
Die modernen Medien und der schon erwähnte Livestream erlauben ganz neue Wege, mit Menschen aus allen Schichten in Kontakt zu treten. Dabei hilft es, dass heutzutage keine theologischen Abhandlungen erwartet werden, sondern einfach das Alltagsleben der Benediktiner sichtbar wird. Es scheint ja so zu sein, dass Glaubensverkündigung heute nur durch glaubwürdig gelebtes Leben gelingen kann. So schreibt Benedikt im Kapitel über den Abt: „Er mache alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch Reden sichtbar.“ Dies gilt für alle Mönche, ja eigentlich für alle Christen. Wenn uns dann jemand fragt, was es denn mit dem Christentum auf sich hat, können wir antworten: Kommt und seht. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/01/DSC01560.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-01-16 14:18:522024-01-16 14:18:52Predigt am 2. Sonntag im Jahreskreis (14.01.2024)
Jemand fühlt sich wie versteinert, mutlos, ohne Orientierung, kraftlos. Da hinein sagt ihm einer ein Wort der Zuneigung und Sympathie. Dann kann es geschehen, dass beinahe im Handumdrehen aus dem versteinerten Herzen ein Herz aus Fleisch wird, eines das lebt und pocht und springen möchte vor Erleichterung und Freude. Einen solchen lebenswendenden und Leben spendenden Satz haben wir gerade im Evangelium gehört. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“- Im Augenblick seiner Taufe hört Jesus diesen Satz und wird von ihm so gepackt, dass er davon im Leben und durchs Sterben hindurch getragen ist. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Das verinnerlicht Jesus so sehr, dass er ganz und gar verkörpert wer und wie Gott ist.
II.
Wenn ich in mich selbst hineinschaue und deute, was ich immer wieder mit Menschen erlebe, ist das eine der größten Sehnsüchte, die wir alle in uns haben: Ich möchte wer sein. Darum ist es auch wohl so unbeschreiblich bitter, wenn jemand glaubt von sich sagen zu müssen: Ich habe es zu nichts gebracht, niemand findet Gefallen an mir.
Weil ganz viele Menschen es zu möglichst viel bringen wollen, geschieht unendlich viel: Schauen Sie sich Ihre Schul- und Ausbildungszeugnisse, Ihre Gehaltskonten, Ihre Titel, den Komfort Ihrer Häuser, die Autos und Urlaubsreisen … an: Dazu haben wir es gebracht.
Zugleich Sie wissen alle aus Ihrer Lebenserfahrung: Früher oder später wirken Menschen einfach nur komisch oder tragisch in ihrem Versuch, koste es was es wolle, wer zu sein. Kurz: Wer meint, er wäre schon wer, wenn er es zu etwas gebracht hat, liegt irgendwann auf der Nase.
Denn der Satz: „Ich bin wer“ oder „Ich gefalle mir“ geht nicht; er hört sich entweder schrecklich einsam oder lächerlich naiv an. Es geht nur: „Du bist wer.“ „Du gefällst mir.“ Alles andere ist Krampf, – so wie der Versuch, sich selbst zu umarmen. Es gibt Dinge, die kann ich mir nicht selber sagen, die sind nur gültig, wenn ich sie gesagt bekomme – aus freien Stücken, von Herzen, kurz aus Liebe. Denn Liebe bedeutet: „Ich will, dass du bist“, so der heilige Augustinus
Wir Menschen leben nicht von dem, was wir bringen, sondern von dem, was uns gebracht wird, nicht von dem, was wir machen, sondern von dem, was uns geschenkt ist. Das gilt umso mehr, je hartnäckiger behauptet wird, dass es anders sei.
III.
Wenn ich persönlich ausdrücke, was es heißt an Gott zu glauben, dann ist es ganz einfach dies: Was ich bin, ist mir von Gott geschenkt. Und Unglaube ist aus dieser Perspektive: Ich muss selbst das bringen, was ich sein will. Der entscheidende Satz des Glaubens lautet: Gott, ich glaube dir, dass du an mich glaubst und deshalb Mensch geworden bist.
So an Gott glauben zu können, ist eine unglaublich schöne Sache, weil es mich von diesem Krampf entlastet, mir selber sagen zu müssen, dass ich wer bin – und immer wieder und wieder zu leiden, dass das nun einmal nicht geht, selbst wenn ich mich dabei bis zum Umfallen anstrenge.
An Gott zu glauben ist zugleich eine unglaublich schwere Sache, weil wir bis in innerste Tiefen meinen, wir seien nur das, was wir aus uns machen: Eine Wahnvorstellung, die deshalb so wirksam ist, weil so viele behaupten, das sei doch normal. Sich nicht vorstellen können und erst recht nicht glauben können, dass vor allen anderen, sogar vor mir selbst, Gott an mich glaubt, – das ist die eigentliche Wurzel des Unglaubens, – auch der Glaubens- und Kirchenkrise hier und heute.
IV.
Weil glauben so schön und so schwer zugleich ist, deshalb können wir es nicht allein. Deshalb gibt es Kirche in Gemeinden, Klöstern, Gruppen. All das ist zu nichts anderem da, als das Menschen im Namen Gottes einander sagen und darin bestärken: Du bist wer, weil Gott dein Vater ist und Jesus Christus dein Bruder wurde, du bist Kind Gottes. Die einfache Tatsache, dass du da bist, ist genug, damit es gut ist. Kurz und noch einmal: „Ich will, dass du bist.“
Jede Begegnung, die einem Menschen das vermittelt, ist ein Augenblick, in dem sich der Himmel öffnet. Jede Situation ohne Tuchfühlung mit diesem Himmel ist ein Vorgeschmack der Hölle.
Damit sich der Himmel öffnet und offen bleibt, gibt es die Taufe: Der Mensch bekommt – theologisch ausgedrückt – als „unauslöschliches Siegel“ eingebrannt: Du bist schon wer, bevor Du es zu etwas gebracht hast. Wer das in sich aufnimmt und in sich wirken lässt, der bekommt ein „neues Herz“, einen „neuen Geist“.
Wenn wir diesen „neuen Geist“ aus den Weihnachtstagen mitnehmen könnten in den „Jahreskreis“, – dann wäre der kein Hamsterrad, in dem wir uns totlaufen, sondern eine Etappe auf dem Weg zum Himmel!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2024/01/Ich-will-dass-du-bist.jpg560560Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2024-01-07 14:54:512024-01-07 14:54:51Predigt zu Mk 1,7-11 am Fest der Taufe des Herrn (07.01.2024)
Aus einer unbegrenzbaren kosmischen Dunkelwolke schimmert schwach ein einziger Stern; das muss uns genug sein; mehr ist nicht geoffenbart. – Reinhold Schneider im „Winter in Wien“
Meine Schwestern, meine Brüder – es ist bemerkenswert und keineswegs selbstverständlich, dass wir Menschen sind. Ein Liedermacher aus meinen jungen Jahren sang mit Recht: Was wir sind, sind wir nur, wenn wir es auch werden.
Menschwerdung! Das Stichwort dieser adventlich-weihnachtlichen Tage klagt Jahr für Jahr die entscheidende Notwendigkeit ein: dass die Menschen auf dieser Erde endlich für sich und für einander Mensch werden.
Konstantin Wecker, der Liedermacher, hatte vermutlich seine liebe Not damit. Immer wieder stand damals sein Name in den Schlagzeilen: eine aus gutbürgerlicher Sicht nicht gerade rühmenswerten Künstlerkarriere. Inzwischen hat sich das Blatt der öffentlichen Meinung gewendet. Ich habe ihn schon damals geschätzt.
Kürzlich blätterte ich abends wieder einmal in einem seiner frühen Bücher. Der Titel lautet: „Und die Seele nach außen kehren.“ Da sprangen mir wie neu einige Sätze ins Auge, Worte, die ich längst kannte, aber vergessen hatte. Sie passen zum Stichwort Menschwerdung und lauten: In einer Gesellschaft der Starken / wird es einem nun mal schwer gemacht / sein Irren und Taumeln / sein Schwanken und Schwachsein / unverschämt zu zeigen.
Das trifft mitten ins Schwarze, in den wunden Punkt unseres Miteinanders – in Familie und Partnerschaft, in Gesellschaft und Kirche, auch im Kloster. Immer und überall muss man stark sein, meint wenigstens, es sein zu müssen. Oft muss man so tun „als ob“. Wer aber dabei nicht mitkommt und das nicht „unverschämt zu zeigen“ weiß, verzieht sich aus lauter Scham – vielleicht ins dichte Gestrüpp einer Sucht wie seinerzeit Konstantin Wecker oder hinter wohlanständige, aber hohle Fassaden …
Nur: Menschlichkeit beweist man zuerst mal durch die Hingabe seiner ganzen fehlerhaften Persönlichkeit an seine Mitmenschen.
Auch das ist ein Wort des Liedermachers, das mir unter die Haut gegangen ist, als ich es las. Nach diesen wenigen Sätzen habe ich an jenem Abend das Buch geschlossen und die Lampe gelöscht. Ich erinnere mich genau. Durch das offene Fenster leuchtete ein Stern am Himmel. Er stand hell und klar im dunklen Fensterrahmen. Ein tröstendes Bild. Es ließ mich noch an ein weiteres Wecker-Wort denken, das mich zunächst in den Schlaf begleitet und dann am andern Morgen geweckt hat: Dies nur kann uns nach Hause führen: / Liebe und eines Größeren Barmherzigkeit.
Da kündigte sich schon die Kehre an, die Konstantin Wecker später zu einem beachtlichen spirituellen Autor werden ließ.
Der Stern – ein tröstendes Bild! Ein Bild, das aufrichten und Richtung geben kann. Eine weihnachtliche Orientierung! Darum geht es ja: den Orient des eigenen Lebens zu sichten, den Punkt also, an dem uns wie den drei königlichen Weisen ein Licht aufgeht – über Gott und Mensch. Das Licht der Welt! Von ihm spricht auch das heutige Sonntagsevangelium (vgl. Joh 1,6-8) für das Johannes der Täufer Zeugnis ablegt.
Der Stern – eine weihnachtliche Orientierung! Der erste Akzent bedeutet: Wir müssen das Dunkel unseres Lebens nicht fliehen, wir können, wir sollten darin aushalten. Nur wenn wir unsere inneren Nächte nicht künstlich zum Tag machen oder sonst wie umbiegen, kann uns überhaupt eine Weihnacht geschenkt werden. Der zweite Akzent deutet hin auf den Segen, dass uns der Sinn des Lebens einleuchtet wie eine Lichtspur, an die wir uns halten dürfen – auf den Wegen unserer Menschwerdung, die auch Wirrwarr-Strecken kennen.
Käme es da nicht auf eine adventlich-weihnachtliche Sorge um den Menschen an, die wir einander schulden? Dass wir einem in Verwirrung geratenen Menschen nicht mit klugen Ratschlägen zu helfen versuchen, sondern ihm achtsam und einfühlend, in einer eher fragenden als wissenden Haltung zur Seite stehen und gehen, damit er seiner eigenen Lebenslinie wieder trauen lernt. So könnte ihm ein Licht über sich selbst aufgehen – wie ein Stern, an den er sich halten kann und soll. Wer aber auf solche Weise einem anderen Menschen helfen will, müsste der sich nicht auch selbst auf seinen eigenen Stern verlassen? Ein guter Helfer, eine gute Helferin ist erfahrungsgemäß, wer am schwindenden Stern des eigenen Lebens gelitten und ihn in großer Sorge gesucht und wieder gefunden hat.
Uns allen soll ein Licht aufgehen: dass ein jeder, eine jede von Gott gutgeheißen ist. Sonst gäbe es uns nicht. Allein aus diesem Grund sind wir da. Wir verdanken uns dem Ja Gottes, seinem schöpferischen und erlösenden Ja. Daran erinnert uns der Stern und will unsere Sehnsucht wieder wecken, ganz in dieser Gewissheit leben zu können.
Wie bekommt mein Leben Glanz? Das ist die oft verschämte Frage vieler Menschen. Manche meinen, sie müssten deshalb etwas Glänzendes zustande bringen. Aber das zählt nichts gegen das eine: geliebt zu werden und zu lieben. Das ist der Glanz des Lebens – unser je eigener und gemeinsamer Stern der Menschwerdung.
Nüchtern formuliert heißt das: unter uns immer wieder neu dem gegenseitigen Ja zueinander Raum zu geben und eine konkrete Gestalt – auch und gerade, wenn es gilt, untereinander den schwierigen Umgang mit dem Nein zu lernen, wodurch das Ja Kontur bekommt. Das Zeugnis Johannes des Täufers äußert sich, wie wir im Evangelium gehört haben, zunächst durch ein mehrfaches Nein. Das jedoch steht im Dienst des größeren Ja und darauf kommt es an (vgl. Joh 1,19-28).
Dom Helder Camara, der nach einer Umkehr befreiungstheologisch orientierte Erzbischof aus Lateinamerika, hat uns in seinen „Mitternächtlichen Meditationen“ aus der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils ein wunderbares Gebet der Orientierung hinterlassen:
Herr, lehre mich, ein Nein zu sagen, das den Geschmack des Ja hat, und niemals ein Ja, das den Geschmack des Nein hat.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/12/Kreuz-mit-Stern.jpg1040652Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-12-18 08:24:402023-12-18 08:24:40Predigt am Dritten Adventssonntag „Gaudete“ (17.12.2023)
von Msgr. Dr. Michael Bredeck, Diözesanadministrator des Erzbistums Paderborn
Lieber Abt Cosmas, liebe Altäbte Aloysius, Dominicus und Stephan,
herzlichen Dank für die Einladung, heute hier als Administrator unseres Erzbistums Paderborn die Predigt zu halten. Es ist mir eine Freude und Ehre, dies anlässlich der Benediktion von Abt Cosmas zu tun.
Zwei Monate vor der Wahl von Pater Cosmas Hoffmann zum fünften Abt von Königsmünster am 18. August habe ich am 12. Juni den Konvent besucht und ein Gespräch mit euch, dem Konvent von Königsmünster, geführt. Es war schon ein erster Schritt auf dem Weg zur Abtswahl, den ihr als Gemeinschaft ganz bewusst und mit verschiedenen Etappen gegangen seid. Bei unserem Gespräch im Juni haben wir uns einerseits darüber ausgetauscht, wie wichtig das Zusammenspiel von Abtei und Erzbistum eigentlich ist und wie es derzeit darum bestellt ist. Wir haben auch etwas darüber gesprochen, wie groß und vielfältig diese Verbundenheit und auch Freundschaft sich seit der Gründung eurer Abtei ist und wie sie sich immer wieder neu zeigt. Wir als Erzbistum und die Abtei sind vielfältig miteinander verflochten, und wir stehen einander im Wort, erneuert um Juni, dass wir wo und wie immer möglich einander unter die Arme greifen und dieses Miteinander auch jetzt in schwieriger und weiter herausfordernder Zeit weiter ausbauen werden.
Und dann hatten wir einen zweiten Schwerpunkt in unserem Gespräch, als wir uns über Führen und Leiten heute in der Kirche, über meine Erfahrungen als Administrator und über die Aussagen des Zukunftsbildes zu diesem Thema austauschten und das auch etwas versucht haben, auf euren Konvent zu beziehen. Mir ist sehr in Erinnerung, wie dem neuen Abt der Aspekt des gemeinsamen Weges, sowohl zwischen dem Erzbistum und Königsmünster, als auch des Konventes, der ja aus vielen Einzelnen besteht, besonders wichtig ist. Ich glaube deshalb, es ist mehr als nur eine zeitliche Zufälligkeit, dass Cosmas zum Abt gewählt wurde, als die Kirche sich mitten in der Erfahrung eines synodalen Weges befindet, eines Weges hin zu einer synodaleren Kirche, sowohl in unserem Bistum, wie in Deutschland wie als katholische Weltkirche.
Das Kloster hier ist seit langem ein spiritueller Sehnsuchtsort für viele Menschen aus unserem Erzbistum. Auch für viele diejenigen, die heute hier versammelt sind. Königsmünster ist ein besonderer Ort des Gebetes, der Ruhe und des Wesentlichen. Viele junge Männer, nicht nur aus unserer Diözese, haben sich vor allem in den 1980er und 1990er Jahren dem Konvent angeschlossen. Über den Studienorte Padernborn und über weitere Bezüge gibt es auch viele persönliche Kontakte.
Im Jugendhaus, in der „Oase“, haben Hunderte junger Leute in den Jahrzehnten prägende Erfahrungen des Glaubens und des Lebens gemacht. Viele Männer und Frauen kommen als Gäste hierher, um einige Tage in Stille zu verbringen oder Einzelgespräche mit den Mönchen zu führen. Auch der „Geistliche Rat“ – das Beratungsgremium des Erzbischofs – tut das schon seit vielen Jahren und im nächsten April auch wieder. Erzbischof Becker hatte diese sogenannten „Wüstentage“ eingeführt, die Cosmas so gut und einfühlsam begleitet hat.
Die Liste der Begegnungen und Gemeinsamkeiten könnte ich noch weiterführen, aber hier ist dazu nicht der Ort. Was ich sagen möchte ist: Für uns als Verantwortliche im Erzbistum, aber auch für viele Menschen im Erzbistum, ist sehr deutlich spürbar: Die Mönche von Königsmünster vertrauen der Lebens- und Hoffnungsbotschaft des Evangeliums und machen sie für uns auf ihre Weise erfahrbar – in der benediktinischen Tradition der Gastfreundschaft, in ihrer Spiritualität und nicht zuletzt in der Glaubens- und Lebens-Bildung am Gymnasium, in der Jugendarbeit und der Begleitung. Auch ihr werdet in den kommenden Jahren, in der Amtszeit des Abtes Cosmas, euch gut überlegen müssen, mit wieviel Kräften ihr welche Aufgaben oder Schwerpunkte weiterführen könnt. Ich möchte euch heute darum bitten, das erfahrbare Zeugnis der Lebens- und Hoffnungsbotschaft für Menschen, die nach hier kommen, hierbei stark zu berücksichtigen.
Aber lassen Sie mich in meiner Predigt noch etwas zu Abt Cosmas sagen. Zu dem Theologen Cosmas Hoffmann. Abt Cosmas stammt, wie ich, aus dem Ruhrgebiet, aus Dortmund. Das macht ihn schon mal sympathisch und unkompliziert. Etwas zeitversetzt haben wir nach dem Abitur Theologie an der Fakultät in Paderborn studiert. Bevor er dann aber in das Kloster eintrat, lebte Stefan Hoffmann noch eine Zeit lang in einem Ashram in Indien mit. Sein Interesse am Hinduismus und am Zen-Buddhismus ist seitdem geblieben und weitete sich zu einem intensiven interreligiösen Dialog mit Mönchen anderer Weltreligionen. Ich glaube, dass das sehr entscheidend für ihn war und für die Art seines Glaubens, für sein Verständnis einer missionarischen und diakonischen Pastoral. Und nicht zuletzt für sein Verständnis von Leitung und Weggemeinschaft heute. Niemals von oben herab, niemals nur der Herde voraus, sondern, wie Papst Franziskus es sagt, mal vorweg gehend, mal in der Mitte, mal hinter der Herde. Lernbereit und gesprächsbereit und bereit zum Hören.
Unser gemeinsames theologisches Fach, wenn ich so sagen darf, ist die Fundamentaltheologie. Fundamentaltheologie ist „Theologische Grundlagenarbeit“. Sie will über den Grund des christlichen Glaubens Rechenschaft ablegen, vor der Vernunft und vor dem Leben selbst. In Aufnbahme der großen Überschrift unseres diözesanen Zukunftsbildes von 2014 darf ich es mal so formulieren: Ein fundamentaltheologisch grundierter Abt oder Administrator geht immer wieder aus von der Frage: Wozu bist du da, christlicher Glaube, heute, in einer Welt, die plural, ausdifferenziert, säkular, vieldeutig und vieles mehr ist?
Mit größter Wucht trifft ja der Glaube an Jesus Christus und an den Dreifaltigkeit Gott heute auf die Frage, welche Bedeutung er in dieser säkular verworfenen Welt noch haben kann. Der christliche Glaube steht – noch radikaler gesagt – heute bis hinein in die innersten Kreise der Kirche selbst vor der Frage, ob und was er Menschen in ihrer normalen Lebenswelt noch etwas zu sagen hat. Mittlerweile ist vom Phänomen des „Apatheismus“ die Rede, wie es Tomáš Halík formuliert, von einer religiösen Gleichgültigkeit, in die hinein die überlieferten Wege „ins Leere“ laufen.
Vor ein paar Wochen fand in Hannover der „dennoch“-Kongress statt, den Bischof Wilmer und das Bistum Hildesheim gemeinsam mit dem Bonifatiuswerk veranstaltet haben. In der eröffnenden Keynote dort wurde es wie folgt auf den Punkt gebracht „Unsere bewährten Strategien werden nicht mehr funktionieren. Zuversicht ohne Gott ist denkbar. Und sie wird für immer mehr Menschen denkbar.“
Das ist unsere Situation, in der sich das Erzbistum, die Abtei Königsmünster und alle anderen Gemeinden und Einrichtungen heute und künftig noch stärker vorfinden. Ich glaube, es versagen jetzt all die Antworten, dass ja doch jeder und jede „irgendwie“ religiös ist und dass wir nur einfach mehr Fachstellen und weitere Einrichtungen brauchen, damit die Inkulturation des Christlichen wieder gelingt. Und da können die heute gehörten biblischen Erzählungen vom „guten Hirten“ oder auch vom „verlorenen Schaf“ durchaus helfen, denn sie sprechen ja letztlich genau davon. Und ich finde, auch das von Papst Franziskus initiierte Stichwort einer Kirche im Zeichen der „Synodalität“, einer Kirche mit Synodalität als Lebensprinzip, ist hier sehr hilfteich. Denn es beschreibt die Kirche Jesu Christi als Gemeinschaft vieler Menschen, die mit dem göttlichen Hirten gemeinsam unterwegs sind und wo niemand verloren geht. Eine Gemeinschaft innerhalb der großen Menschheitsfamilie, für die sie Sakrament, Zeichen der Liebe Gottes zu allen Menschen, sein will. Das immer wieder konkret auf ein Bistum, einen Konvent, auf eine Einrichtung anzuwenden, ist heute sicher eine zentrale Leitungsaufgabe überall in der Kirche.
Die Benediktiner haben eine lange Tradition von Synodalität. Wesentlich ist dabei, einander ohne Vorurteil und ohne vorgefertigtes Konzept zu begegnen. Offene Gespräche sind hierzu wichtig, wirkliche Begegnungen. Die synodale Art ist den Benediktinern quasi schon mit der Ordensregel des hl. Benedikt eingeschrieben. Gleich am Anfang schreibt Benedikt ja, man soll bei wichtigen Fragen alle hören, weil Gott oft den Jüngsten das Richtige eingibt. Wenn es um grundlegende Entscheidungen geht, möchte er also, dass alle angehört werden. So gibt es bei den Benediktinern sehr ausgeprägt das synodale Prinzip, die Beratung, das Hören, das Zuhören. Das ist Voraussetzung für den Oberen und seine Entscheidungen. Auch in diesem „benediktinischen“ Sinn geht es Papst Franziskus um eine Kirche, die es ernst meint mit dem Weg und Dialog miteinander und die auf diese Weise in unserer Zeit und Kultur weiterbestehen kann, geleitet vom guten Hirten, geführt vom Geist und darin Licht der Welt und Salz der Erde ist.
Auch die jüngst veröffentlichte Kirchenmitgliedschaftsstudie zeigt wieder: Menschen wollen und suchen auch weiterhin Gespräche über relevante Fragen ihres Lebens. Darin liegt die Chance und die Herausforderung für uns als Kirche, als Kirche im Erzbistum Paderborn, als Abtei Königsmünster. Dass wir versuchen, relevant zu sein und uns deshalb „auf den Weg zu den Menschen machen und jedem und jeder nachgehen“. Nur direkte Kontakte binden Menschen auf Dauer und lassen sie umdenken. Wir folgen Jesus, der als der gute Hirte die Menschen auf den Wegen ihrer Zeit begleitet ihren Fragen zuhört, auf das schaut, was ihr Herz berührt, in den Sorgen des Alltags den verlorenen Schafen nachgeht. Auch und gerade an den Rändern, in der Diaspora. Die Abtei Königsmünster hat hier in meinen Augen ein sehr deutliches missionarisches Zeichen gesetzt mit der Gründung der Cella schon vor 35 Jahren in einer so säkularen Großstadt wie Hannover.
Lieber Abt Cosmas! Dieses jesuanische Prinzip gilt für Menschen, die in der Kirche Leitung innehaben, nach innen wie nach außen. Es ist durchaus herausfordernd und sicher auch anstrengend, aber trägt Früchte. Davon bin ich fest überzeugt. Lass dich auf diesem Weg nie entmutigen! Sichere dir die manchmal kleinen, aber sicher täglichen Hinweise, dass dieser Weg der richtige ist.
Erlauben Sie mir einen letzten Gedanken: Hinter dem Versuch des Guten Hirten, den Menschen nahe zu sein, steht die Überzeugung, dass in der Auseinandersetzung mit den anderen Religionen, dem Zen-Buddhismus zum Beispiel im Fall von Abt Cosmas, der Philosophie, der Literatur, der Kunst, der Musik, auch mit den Nichtglaubenden, ein schöneres, deutlicheres Verständnis von Christus entstehen kann, etwas, das so vorher vielleicht nicht da war. Das schützt vor Fundamentalismus. Das hat auch wahrhaft theologische Gründe, denn, wie das Konzil sagt: In Jesus Christus hat sich Gott gewissermaßen mit jedem Menschen verbunden. Für diese Glaubensüberzeugung können wir durch Freundschaft Zeugnis ablegen. „Das Wesen der Freundschaft ist die Freundlichkeit“, hat einmal Martin Heidegger gesagt. Mit Freundlichkeit den Menschen begegnen. Ich weiß: Das ist anspruchsvoll und vielleicht auch anstrengend. Freundlich und zugleich verbindlich. Wir wollen das Gespräch suchen, auch mit denen, die nicht unserer Meinung sind, gerade mit denen, mit allen, die einen guten Weg gehen wollen. Und wir wollen offen sein auch für ihre Argumente.
„Bitte: Öffnen wir die Türen!“, sagt Papst Franziskus. „Versuchen auch wir, wie Jesus, der gute Hirte, zu sein – in unseren Worten, Gesten und täglichen Aktivitäten: eine offene Tür, eine Tür, die niemandem vor der Nase zugeschlagen wird.“
In diesem Sinn wünsche ich dem neuen Abt von Königsmünster und der Abtei gute, gesegnete und erfolgreiche Jahre, Gottes Geleit, die Freude und Wirksamkeit, einen guten Weg der offenen Türen in der Freundschaft mit Gott und den Menschen. Zum Wohl aller, für die wir gemeinsam da sind.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/11/weboptimiert-Abtsbenediktion-Cosmas-Hoffmann-Abtei-Konigsmunster-Meschede-34-2048x1365-1.jpg13652048Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-11-19 08:17:272023-11-19 13:09:25Predigt bei der Abtsbenediktion von Abt Cosmas (18.11.2023)
Nein! Niemals! Nimmermehr! Ein Wort das dies ausdrückt steht im griechischen Urtext an erster Stelle der Antwort der klugen Jungfrauen. Die Einheitsübersetztung übersetzt es leider nicht. Das Evangelium ist also eigentlich gefühlt noch unchristlicher als es sich für uns mit der schroffen Zurückweisung des Bräutigams eh anhört.
Hätte es da nicht bessere Versionen gegeben. Hätte der Bräutigam nicht barmherzig sein können. Hätte er seinen Dienern nicht sagen können: „Öffnet das Tor, dies ist eine Hochzeit, alle sollen essen und trinken und fröhlich sein! Lasst die gedankenlosen Jungfrauen hereinkommen und sich die Füße waschen, denn sie sind weit gelaufen!“
Wie gefällt Ihnen dieser Schluss?
Mir ausgesprochen gut! Er bestätigt das Bild eines gütigen Gottes, den Jesus uns immer wieder vor Augen stellt:
wenn er die Geschichte vom barmherzigen Vater erzählt, der dem verlorenen Sohn alle Türen öffnet und ihn wieder in sein Haus aufnimmt;
wenn er mehrmals das Wort des Propheten Hosea aufgreift: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“,
wenn er uns den Rat gibt: „Bittet, dann wird euch gegeben, klopft an, dann wird euch geöffnet.“
Ich fände diesen Schluss außerordentlich sympathisch.
Nur leider steht er nicht in der Bibel.
Ich möchte einen zweiten Versuch machen, das Gleichnis zu Ende zu erzählen:
Als der Bräutigam das Klopfen hört, ließ er sich berichten, was geschehen war. Dann zog er die Brautjungfern mit dem Reserveöl zur Rechenschaft und sagte: „Warum habt ihr euer Öl nicht mit den anderen geteilt?“
„Es hätte weder ihnen noch uns gereicht“, antworteten sie.
Darauf entgegnete der Bräutigam: „Ist nicht das Teilen viel wichtiger als das Licht selbst?“
Und er öffnete die Tür, schickte die Brautjungfern weg, die nicht bereit waren, ihr Öl zu teilen, und lud die anderen zu seiner Hochzeitsfeier ein.
Auch diese Variante finde ich sehr gelungen.
Das ist der Jesus, den wir kennen. Das entspricht dem, was Jesus den Menschen immer wieder ans Herz legt:
wenn er die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt und zur Hilfsbereitschaft auffordert;
wenn er sagt: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab“;
wenn er deutlich macht, dass unsere Barmherzigkeit der einzige Maßstab ist, an dem unser Leben gemessen wird:
„Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben… Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Ein Jesus, der Solidarität predigt und vor Egoismus warnt – das passt. Nur leider finden sich diese Schlusssätze auch nicht im Evangelium.
Das echte Ende der Geschichte ist hart und wenig herzlich:
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: „Herr, mach uns auf!“ Er aber antwortete „Amen, ich sage euch: „Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Diese Version ist unbequem und provozierend.
Und sie gibt uns, gerade vor dem Hintergrund der beiden anderen Versionen, zwei wichtige Impulse.
Der Erste: Vertrau auf einen gütigen Gott, aber bleibe wach für seinen Anspruch!
Er ist nicht nur der liebe und barmherzige, der verzeiht und ein Auge zudrückt, sondern immer auch der fordernde und aufrüttelnde Gott, der ernstgenommen und gehört werden will; der uns fragt, was wir aus unseren Möglichkeiten gemacht haben; der uns stört in unserer Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit.
Und der zweite Impuls: Teile, so viel du kannst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben!
Für deinen Ölvorrat – um im Bild zu bleiben – bist du ganz allein verantwortlich. Die Grundausrichtung deines Lebens, deinen persönlichen Lebensentwurf, deine Ziele, deine Werte kannst du nicht borgen und ausleihen.
Verhindern, dass du die Ölkrise kriegst und dein geistliches Leben langsam ausbrennt, dass dein Christsein nur noch auf Sparflamme brennt – das kannst nur du allein.
Zeigen, dass du Feuer gefangen hast und dich für die Sache Jesu begeisterst, dass das Licht deines Glaubens leuchtet – das kann dir niemand abnehmen.
Ob du die Öl-Tankstellen Gottesdienst, Gebet oder gute Gespräche über Bibel und Glauben nützt, ob du deinen Ölstand regelmäßig prüfst und Reserven anlegst – das liegt allein an dir.
Gott – der die Weisheit ist – lässt sich leicht finden. Wir hörten es in der ersten Lesung.
Such Ihn und finde ihn und füll deinen Ölvorrat auf, damit er die Mitte deines Lebens ist und bleibt.
Inspiriert von Wolfgang Raible
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/11/Magdeburg_Dom_St._Mauritius_und_Katharina_Paradiespforte_469.jpg533800Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2023-11-13 11:47:592023-11-13 11:47:59Predigt am 32. Sonntag im Jahreskreis (12.11.2023)
Ich will, dass du bist. Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (A) zu Ex 22, 20 -26 und Mt 22,34-40
von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
I.
Das Judentum kennt das Fest „Simchat Tora“ – das Fest der Gesetzesfreude[1]. Die Buchrollen mit dem Gesetz Gottes, der Tora werden in feierlicher Prozession, mit Musik und Tanz durch die Synagoge getragen; für die Kinder gibt es, ähnlich wie bei uns an Nikolaus, Süßigkeiten und kleine Geschenke.
Aus Freude über Gesetze und Gebote ein Fest feiern? Spätestens wenn die Steuererklärung fällig ist oder das Knöllchen für falsches Parken zu bezahlen ist, wird sich jeder von uns kopfschüttelnd abwenden.
Trotzdem lohnt es sich, ein paar Augenblicke bei dieser uns recht fremden Sicht zu verweilen. Gesetz und Gebot sind ganz fest mit der Kerngeschichte des Judentums verbunden, der Erzählung von der Befreiung der Israeliten aus der Knechtschaft des Pharao, dem mühsamen Zug durch die Wüste und der Ankunft im „gelobten Land“. In diesem Zusammenhang bringt Mose dem Volk die Tafeln mit den Zehn Geboten, die er von Gott empfangen hat. Die Menschen erkennen: Dieses Gesetz ist Hilfe, nicht Zwang. Das Gesetz Gottes dient nicht dazu, einem Pharao oder sonstigen Gewaltherrscher Macht und Reichtum zu sichern. Sein Zweck ist es vielmehr, den Menschen zu ermöglichen, so befreit und erlöst zu bleiben, wie sie waren, als sie die ägyptische Sklaverei, die Truppen des Pharao und das Rote Meer hinter sich hatten, – und unter den Füßen die Wüste, in der es galt, Etappe um Etappe voranzukommen in das Land, das „von Milch und Honig“ fließt. Erlöste Menschen, die wissen wo es lang geht, auch wenn der Weg mühsam und unübersichtlich wird, hat Gott vor Augen, wenn er „Gesetzgeber“ ist. In genau dieser Tradition sahen sich übrigens auch die Väter des Mönchtums wie der heilige Benedikt, als sie ihre Klosterregeln schrieben.
Einer meiner Schüler kam vor diesem Hintergrund auf die Formulierung „Die Zehn Gebote sind das Navigationssystem Gottes“. Ich finde, die in diesem Vergleich steckende Analogie mit der beharrlichen Stimme, die dem Autofahrer sagt, wo er herfahren muss, trifft ziemlich genau. Mit dem Fest „Simchat Tora“ bringt das Judentum diese Sichtweise auf das göttliche Gesetz zum Leuchten: Gott lässt uns nicht im Stich, wenn es kritisch wird, wenn sich das Leben anfühlt wie ein Wüstenzug, in dem uns verloren zu gehen droht, dass wir erlöste und befreite Menschen sind. Die biblischen Gebote – ein Beispiel haben wir gerade in der ersten Lesung gehört – meinen: Mensch, erhalte dir und deinen Nächsten den Zustand, befreit und erlöst zu sein, – damit du dich nicht auf einmal in der Versklavung und Unfreiheit wiederfindest, in die du zwischendurch hineingeraten warst:
II.
Mit seinen Geboten zeigt Gott den Menschen:
Du bist einer, der mit beiden Beinen auf der Erde steht, aber mit dem Scheitel an den Himmel rührt.
Du bist eine, die sich unter Wert verkauft, wenn sie Gott und dem Nächsten die Liebe verweigert.
Du bist einer, der zu klein von sich denkt, wenn er verdrängt, dass er mehr ist, als die Erde ihm geben kann.
Kurz: Das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe erinnert mich daran, wer ich eigentlich bin: Der Gottesliebe bedürftig, zur Menschenliebe begabt.
III.
Vom heiligen Augustinus stammt die markante Formulierung: Wer liebt, der sagt: Ich will, dass Du bist. Wie erlösend und motivierend dieser Satz wirkt, wenn er mir aufrichtig und glaubwürdig gesagt wird, hat hoffentlich jede und jeder irgendwann erlebt. Nichts ist aufbauender, als wenn mir jemand zu wissen und vor allem zu spüren gibt: Ich will, dass du bist, dass es dich gibt.
Das Gegenteil von Liebe wäre dann: Ich will, dass Du so wirst, wie ich meine, dass du sein müsstest. Menschliches Miteinander wird zur Hölle, wo Menschen andere Menschen zwingen, so zu sein, wie sie selber sind. Kein Mensch kann es bei sich selbst aushalten, wenn er meint er müsse ein anderer sein, als er ist.
Nichts und niemand kann sein und leben, wenn es nicht diesen Satz gäbe: Ich will, dass du bist. Deshalb ist die Liebe das wichtigste Gebot: An der Gottes- und Nächstenliebe entscheidet sich, ob das Leben oder der Tod die Oberhand bekommt.
IV.
Obwohl von seinem ausdrücklichen Selbstverständnis her nicht religiös, war es dem Dichter Max Frisch gegeben, in Wort und Gleichnis zu veranschaulichen, worauf es in der Begegnung mit diesem tiefsten Grund unseres Lebens ankommt: Auf das Hineinwachsen in Gottes bedingungslose Liebe, die immer weiter und tiefer ist als alle Konstruktionen, die der Kopf des Menschen produziert.
Er schreibt in seinen Tagebüchern: „Es ist bemerkenswert, dass wir von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Mal. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solang wir sie lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der, den man liebt.“[2]
Das ist es, woran uns Gottes Gebot Augenblick für Augenblick erinnert und weswegen es eigentlich Augenblick für Augenblick ein Freudenfest wert ist: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
[1] Nach der Predigt wurde ich auf einen schrecklichen Zusammenhang aufmerksam gemacht, der mir bei der Vorbereitung entgangen war: In diesem Jahr ist das Fest Simchat Tora von der Terrororganisation Hamas ausgenutzt worden, um Israel zu überfallen, viele Menschen zu ermorden und Israelis und Palästinenser in den Krieg zu zwingen.
[2] Max Frisch, Tagebuch 1946 – 1949, Frankfurt 1978, 31
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/10/30.-Sonntag.jpg6271050Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-10-29 13:21:352023-10-30 08:37:25Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (29.10.2023)
Auch wenn es als Anrede gestelzt klingen mag, sage ich heute bewusst: Meine Mitmenschen!
Als Lesung war vorhin der Schluss des Briefes zu hören, den der Völkerapostel an die Gemeinde in Philippi gerichtet hat, die er während seiner zweiten Missionsreise in Europa gründete. Vielleicht haben Sie die Worte des Paulus noch im Ohr: „Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht: in Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. Alles vermag ich durch den, der mich stärkt. Doch ihr habt recht daran getan, an meiner Bedrängnis Anteil zu nehmen …“.
Der eher kurze Brief ist nach allem, was sich zwischen seinen Zeilen lesen lässt, im Gefängnis geschrieben, wohin es Paulus durch sein Apostolat verschlagen hat. In dieser „Bedrängnis“, wie er es nennt, hat er – auch sich selbst als ermutigenden Trost – im zweiten Briefkapitel den bekannten Philipper-Hymnus (Phil 2,5-11) verfasst: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen.“ Auf der Basis eines schon vorliegenden Liedes bringt dieser Hymnus das christliche Gottgeheimnis auf den Punkt: dass nämlich Gottes Größe sich darin erweist, sich um der Menschen willen in Christus klein zu machen oder dass Gottes Macht sich in der Passion Jesu als Machtverzicht erweist.
Auf diese unbedingte Entschiedenheit Gottes für den Menschen kann nur eine unbedingte Entschiedenheit des Menschen für Gott die angemessene Antwort sein.
Das ist die herausfordernde Botschaft des Paulus nicht nur im Philipperbrief, sondern überall, wo er sie verkündet und wo immer sie gehört wird. Und sie wird gehört bis in unsere Zeit und das besonders außerhalb angestammter kirchlicher Hörerkreise. Es ist fast wie damals, als der Missionar Paulus nicht nur in den Synagogen der jüdischen Diaspora unter Seinesgleichen predigte, sondern auf dem berühmten Areopag, dem Marktplatz der griechischen Metropole, auch das Gespräch mit den philosophisch bewanderten Athenern suchte, um ihnen das Geheimnis des unbekannten Gottes zu erschließen – durch Worte, die noch heute Herzen berühren und öffnen können. Er sagte:
„Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. ( ) Gerade diese euch unbekannte Gottheit verkünde ich euch. ( ) Mit allem, was Gott tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Er ist ja für keinen von uns in unerreichbarer Ferne. Denn in ihm, dessen Gegenwart alles durchdringt, leben wir, bestehen wir und sind wir. Oder, wie es einige eurer eigenen Dichter ausgedrückt haben: Er ist es, von dem wir abstammen.“ (Apg, 17,22-23.27f. NGÜ)
Die provokative Sicht von der Entschiedenheit des gegenseitigen Für-ein-anders von Gott und Mensch hat auch in unserer Zeit dazu geführt, dass Paulus zum Gesprächspartner einer ganzen Reihe von Philosophen geworden ist, die bemerkenswerter Weise gesellschaftlich fast alle dem linken Spektrum zuzuordnen sind und sich teils als Atheisten verstehen. Als Gottlose und als Unruhestifter wurden auch die ersten Christen im religiösen und politischen Umfeld ihrer Zeit gesehen, bevor das Christentum zur Staatsreligion mutierte, um es neutral zu formulieren. Es dürfte also nicht ganz so verwunderlich sein, dass linksorientiert kritische Geister heutzutage im Apostel Paulus einen Gesinnungsgenossen finden. Er war jedenfalls zutiefst überzeugt, dass alle Grenzen und Unterschiede zwischen Menschen – Rang, Hautfarbe, Geschlecht, Religion – zweitrangig sind angesichts dessen, dass Gott selber Mensch wurde, um das gottgewollte Menschsein an sich frei- und in sein gottverbürgtes Recht einzusetzen. So deckt er den tiefsten Grund einer universalen Humanität auf.
Paulus nennt sie (theologisch)„Sein in Christus“, durch das in aller Vielfalt „alle zusammen ein neuer Mensch geworden“ (Gal 3,28) sind. So steht es im Galaterbrief. Übrigens auch das Leitwort unseres Gymnasiums nebenan meint und will dasselbe: „Dilatato corde humanitas exhibeatur: Mit weitem Herzen Menschsein ermöglichen“ – Menschenfreundlichkeit und Menschenwürde verwirklichen!
Der inzwischen 90jährige Fulbert Steffensky, ein ehemaliger Benediktiner aus Maria Laach, der sich selbst als katholisch fromm und protestantisch denkend beschreibt, war öfter mit seiner Frau Dorothee Sölle hier auf dem Klosterberg zu Gast. Bei einem ihrer Besuche sagte er mir in seiner nachdenklich ruhigen Art: „Wenn ein Kloster lebendig bleiben will, muss es ein Thema haben.“
Ich meine, das wäre eins und nicht nur für ein Kloster: „Mit weitem Herzen Menschsein ermöglichen!“ – in Gottes Namen. So könnte die gottmenschliche Wahrheit der unbedingten Entschiedenheit füreinander immer wieder im Sinne Bert Brechts konkret werden.
Eine Provokation, eine Herausforderung bleibt sie allemal – in einer Welt, in der Menschen das eine einigende Menschsein vergessen oder verraten und sich auf Gott berufen, um Gewalt gegen Menschen auszuüben: sei es mit dem zum Schlachtruf pervertierten islamischen Glaubensbekenntnis „Allahu akbar“ (Gott ist größer.) wie derzeit in Israel-Palästina oder mit dem irregeleitet gläubigen Schlachtruf „Deus lo vult“ (Gott will es.), mit dem zur Zeit der Kreuzzüge Christen ins Heilige Land einfielen.
Die Predigt verdankt sich einer Anregung durch Überlegungen von Prof. Klaus Müller zur paulinischen Kenosis(Entäußerung)-Theologie.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/10/Dilatato-corde.jpeg193194Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-10-18 08:43:492023-10-20 09:32:40Predigt am 28. Sonntag im Jahreskreis (15.10.2023)
Dem heutigen Abschnitt des Evangeliums gehen wichtige Ereignisse voraus: Ein neuer Abschnitt im Leben Jesu hatte begonnen – er war aus der Provinz imposant in die Hauptstadt Jerusalem eingezogen. Dann steigerte sich die öffentliche Aufmerksamkeit weiter: Es gab Aufruhr, als er Händler und Käufer aus dem Tempel trieb und die Tische der Geldwechsler umstieß. Er heilte dort Menschen und Kinder jubelten ihm zu. Das verärgerte religionsamtliche Führungspersonal – Hohepriester und Schriftgelehrte – sprach darauf Jesus an und nach einem kurzen Disput ließ Jesus sie einfach stehen und ging weg. Am nächsten Tag verschärfte sich die Konfrontation weiter – jetzt vereint mit der politischen Führung, den Volksältesten: Ihre Frage nach seiner Handlungsvollmacht konterte Jesus mit einer Gegenfrage, in der sie sich so spekulativ verhedderten, dass Jesus sie ohne Antwort wiederum einfach stehen ließ.
Es ist eine spannungsgeladene Lage, in die Matthäus das heutige Evangelium platziert. Kontroversen, ja heftiger Streit liegen in der Luft. Eines wird damit schon jetzt klar: Jesus ist nicht harmlos – er stellt Fragen, seine Botschaft regt an, seine Lebensart mischt auf. – Soweit eine erste Einordnung.
Jesus ist schon länger mit seinen Jüngern verkündend und heilend unterwegs, doch das religiöse und politische Establishment erkennt darin nichts Positives, keine Chance für sich – im Gegenteil: Mit „Was meint ihr?“ stellt Jesus ihr Leben buchstäblich in Frage, mehr noch: Sie erleben ihn als einen fortwährenden Angriff auf ihre elitäre Lebensweise. Und es wird noch schärfer: Ein ganzes folgendes Kapitel lang schüttet Jesus einen Wehe-Ruf nach dem anderen aus – eine Kostprobe: „Weh Euch, ihr Schriftgelehrten (…), ihr Heuchler, ihr verschließt den Menschen das Himmelreich! … Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut!“ Auch wenn die Bibelwissenschaft heute weiß, dass Matthäus diese Konfrontation nachträglich literarisch ausgebaut hat, sind wir Zeugen eines massiven Konfliktes, der ein wesentlicher Grund für die bald folgende Hinrichtung Jesu am Kreuz wurde.
Worin bestand dieser Grundkonflikt? Kann der auch etwas mit uns zu tun haben? Können wir daraus lernen? – Er hat mit uns zu tun, wenn wir die Figuren des Gleichnisses als typische Charaktere verstehen, die immer und überall existieren. Sie halten uns in vielfältiger Weise vor Augen, wie unterschiedlich Menschen mit dem Lebensangebot Jesu umgehen.
Offensichtlich ist es eine Gefahr, wie diese Schriftgelehrten zu leben: Man hat es zu etwas gebracht und weiß ziemlich genau, wo es langgehen soll. Gern diktiert man anderen, wie man zu leben hat, man hat eben seine Erfahrung. Und wenn die nicht ausreicht, dann wird irgendeine Schrift zitiert – gerne die Stellen, die einem selbst in den Kram passen. Mangels innerer personaler Charakterklarheit soll eine äußere Quelle die innere Leere füllen. Solche Schriftgelehrte setzen ihre Interpretation der Schrift als selbstschützenden Panzer und aggressive Waffe ein. Sie agieren Angst getrieben, haben sich Privilegien erobert und verteidigen diese gewalttätig – es geht um Besitz-Stands-Wahrung in einem festgefahrenen Leben. Tatsächlich werden sie bald, dann total-final – man beachte die Sprache – fest–stellen: „Wir haben ein Gesetz und demnach muss er sterben!“ – Lebendigkeit, Lieben im Leben, das hört sich anders an. Kurz und gut: „Der Buchstabe tötet – der Geist macht lebendig.“ – Hat Jesus auch deshalb nichts aufgeschrieben? Seine mündliche Rede, seine Gleichnisse sind offen, sie sind ein Angebot an jeden einzelnen von uns, aus ihnen zu leben und sie weiter zu verkünden.
Zurück zu unserem Gleichnis: Jesus gibt seine Kontrahenten noch nicht auf – ein neuer Kontakt mit ihnen ist ihm wichtig. Mit der Frage „Was meint ihr?“ bietet er wieder ein Gespräch an. Jesus entlarvt ihre blockierte Lebensweise mit dem Gleichnis von den zwei Söhnen. Der eine lehnt die Bitte des Vaters zunächst ab und geht schließlich doch zur Arbeit in den Weinberg. Der andere entpuppt sich als glatter Lügner: Er sagt zu und geht dennoch nicht. Der erste erweist sich als ein Mensch, der seine ursprüngliche Ablehnung bereut. Eigene Einsicht überzeugt ihn, sein Leben zu verändern, sich weiter zu entwickeln. Dabei hilft, dass der Vater den äußerlich schon Erwachsenen „mein Kind“ nennt: Innen ist er noch unreif, die Ansprache des Vaters klingt wie eine liebevolle Zuwendung, die dem Sohn weiteres Wachstum ermöglichen will. Dieser erkennt die Notwendigkeit der Arbeit im Weinberg und vielleicht freut er sich auch auf den Genuss des guten Weines, der nur aus einem durch Arbeit gepflegten Weinberg gewonnen wird. Er entdeckt in der Bitte des Vaters das Angebot, selbst wie ein guter Wein zu reifen. Die auch mühsame Arbeit im Weinberg ist der Weg dahin – Selbstentwicklung ist keine Hängematte!
Der zweite versucht‘s mit einer Lüge. Sein „Ja“ ist nur Schein, es ist eine leere Worthülse, Sagen und Tun fallen auseinander, er füllt sein „Ja“ nicht durch sein Tun. Sein leeres Ja zeigt: Sein Leben hat keine innere Substanz, sein Inneres entspricht nicht seinem Äußeren. Er versucht mit einer Lüge durchzukommen – vielleicht steht sie für eine grundlegende Lebenslüge. Er bricht nicht auf, sondern bleibt in seiner Verweigerung zu Hause sitzen.
Jesu Frage: „Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?“ beantworten die Schriftgelehrten formal richtig, doch ihre Antwort ist nur ein Lippenbekenntnis. Sie erkennen nicht, dass Jesus mit dem Gleichnis ihnen den Spiegel vorhält: Sie leben wie der zweite Sohn, der die Bitte des Vaters äußerlich formal annimmt und bejaht, dann aber nicht danach handelt. Sie leben äußerlich ein Ja und innerlich ein Nein und bleiben dabei. Sie verweigern sich dauerhaft der Bitte des Vaters, sie wollen sich nicht bewegen und engagieren, nicht im Weinberg an der Basis arbeiten. Bei ihnen können keine Lebensfrüchte wachsen und reifen. An anderer Stelle sagt Jesus: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Auch wenn diese Schriftgelehrten äußerlich so tun, gehen sie nicht in den Weinberg, sie gehen nicht ins Reich Gottes.
Eine Alternative ihrer Verweigerungshaltung präsentiert Jesus ihnen sogleich: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Während Schriftgelehrte und Ältesten zur obersten zentralen Gesellschaftsschicht gehörten, waren Zöllner und Dirnen am anderen Ende – ausgegrenzt und ganz unten. Zöllner galten als hemmungslos raffgierige Betrüger, Dirnen als gescheiterter moralischer Abschaum. Doch gerade sie sind offen für das Reich Gottes. Sie wissen um ihre Fehler, ihre Schwäche – auch ihr moralisches Versagen. An anderer Stelle sagt Jesus: „Ich bin gekommen, die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten.“ Menschen wie ihnen hat Jesus ihre ursprüngliche unzerstörbar göttliche Würde wieder vermittelt. Das hatte schon Johannes ermöglicht, der – so Jesus ausdrücklich – auf dem „Weg der Gerechtigkeit“ war. Das klingt nach einem aus- und aufrichtenden Weg in eine personale Richtigkeit, nach Veränderungsbereitschaft zu einem stimmigeren Leben. Die Schriftgelehrten dagegen haben sich in ihrer Selbstgerechtigkeit der Botschaft des Johannes verweigert. Und wenn sie schon von Johannes nichts angenommen und umgesetzt haben, dann haben sie Jesu Botschaft von Anfang an nicht kapiert. Sie haben nur gesehen, ihre Wahrnehmung ist nur äußerlich – zu innerer Umkehr, Reue, wie beim ersten Sohn, waren und sind sie nicht fähig und bereit.
Und doch bleibt Hoffnung – auch für sie. Jesus sagt: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Irgendwann wird also auch ihnen aufgehen, dass ihr Lebensmodell einem leeren Palast gleicht – außen glanzvoll, innerlich tot. Das Angebot göttlichen Liebens, seine unzerstörbare Gegenwart in allen und allem braucht bei Menschen wie ihnen länger bis zu einer Auferstehung mitten im und ins Leben.
Diese Hoffnung gilt auch uns, die wir uns selbst und andere oft abwerten, ausgrenzen und fixieren. Gott lädt immer wieder neu ein – jeden von uns – dem Leben zu trauen und Neues zu wagen, gerade auch aus Scheitern und Versagen heraus in eine neue Auferstehung. Gott schenkt uns immer bedingungslos neues Leben. Diese Erlösung löst Fixierungen und ermöglicht Liebe, Leben – und Lösungen, mitten im Alltag.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/NIK0018_3.jpg569845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-10-01 15:27:012023-10-01 15:27:01Predigt am 26. Sonntag im Jahreskreis (1.10.2023)
In seinen Gleichnissen durchbricht Jesus immer wieder unsere Erwartungen, indem er uns Menschen vor Augen führt, die ganz anders handeln, als wir es uns vorstellen. Da ist der Vater, der dem heimkehrenden Sohn keine Vorwürfe macht, sondern ihm zu Ehren ein Fest feiert – die Frau, die wegen einer verlorenen Münze das ganze Haus auf den Kopf stellt – der Sämann, der drei Viertel des Saatgutes auf unbrauchbaren Boden sät und damit verschwendet. Und heute hören wir von einem Weinbergbesitzer, der all seinen Arbeitern den gleichen Lohn ausbezahlt, egal ob sie nur eine Stunde gearbeitet oder den ganzen Tag in der Hitze geschuftet haben.
Beim Gleichnis heute kommt noch dazu, dass wir uns in unserem Gerechtigkeitsempfinden verletzt fühlen, wenn der Verwalter jeden Menschen unabhängig von seiner Leistung gleich behandelt. Rein juristisch ist er im Recht, denn er hält sich genau an die Absprachen, wonach er jedem Arbeiter einen Denar ausbezahlt. Aber zwischen Recht und Gerechtigkeit scheint manchmal ein großer Unterschied zu liegen. „Leistung muss sich wieder lohnen“ – das scheint hier nicht zu gelten, und überhaupt, wo kämen wir da hin, wenn jeder Unternehmer heute so handelt? Mit der Bibel lässt sich nun mal kein Staat machen und kein Bruttoinlandsprodukt vergrößern.
Mal abgesehen davon, dass ich davon überzeugt bin, dass im Reich Gottes, von dem die Gleichnisse Jesu handeln, tatsächlich andere Maßstäbe gelten als in unserer an Leistung und Profitmaximierung orientierten Welt, ist für mich die Reaktion des Weinbergbesitzers auf die Kritik der Arbeiter der ersten Stunde entscheidend für das, was wir für unser Leben heute aus dieser Geschichte lernen können. Er betont, dass keinem ein Unrecht geschieht, dass jeder den lebensnotwendigen, vereinbarten Lohn erhalten hat, und stellt dann eine Frage, die den Kern der Kritik ins Schwarze trifft und entlarvend ist: „Ist dein Auge böse, weil ich gut bin?“ Martin Luther übersetzt noch sprachgewaltiger: „Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?“
Mit dieser Frage wird die Perspektive geändert: es geht hier nicht vornehmlich um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, sondern um meinen Blick, meine Perspektive, die ich einnehme – und ob es nicht manchmal für mich persönlich wie auch fürs gesellschaftliche Klima gut sein kann, diese Perspektive zu wechseln. Warum kann ich mich nicht an dem freuen, was mir positiv geschehen ist? Dass ich eine gute Arbeit gefunden habe, dafür einen gerechten Lohn bekomme, der mein Überleben und das Überleben meiner Familie sichert? Warum wandert mein Blick scheel zum anderen, dem, der erst so spät zur Arbeit gekommen ist, und warum fühle ich mich benachteiligt, wenn auch dieser den lebensnotwendigen Lohn erhält? Warum kann ich die Güte eines Menschen nicht aushalten, wenn sie anderen gilt? Was weiß ich denn von den Gründen und Motiven des anderen, der doch genau so wie ich auf Arbeit gewartet hat, den aber keiner angeworben hat?
Es geht für mich im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg um die Prüfung meiner Erwartungen, um Erwartungsmanagement. Es geht darum, auf das zu schauen, was mir geschenkt ist, und nicht neidvoll darauf zu schauen, was der Mitmensch neben mir erhält und wo er vermeintlich übervorteilt wird. Und es geht darum, meine Perspektive vielleicht einmal zu hinterfragen und demjenigen, der dem Anschein nach weniger leistet oder andere Ansichten hat als ich, nicht etwas zu unterstellen, was in Wirklichkeit ganz anders ist. Und hier entfaltet das Gleichnis seine ganze Sprengkraft in Kirche und Gesellschaft heute.
In der Kirche erwarten die einen das Heil von Reformen, die anderen von der Beibehaltung des Status Quo. Und die einen unterstellen den jeweils anderen unlautere Absichten, wenn sie ihnen nicht ganz das Katholischsein absprechen.
Wir erwarten von Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, dass sie sich integrieren und uns nicht die Arbeitsplätze wegnehmen, beschimpfen sie andererseits als Sozialschmarotzer, die uns nicht auf der Tasche liegen sollen – ohne je mit diesen Menschen über das gesprochen zu haben, was sie bewegt und belastet.
Und wir erwarten einfache Lösungen für komplexe Probleme und wundern uns hinterher, wenn wir populistischen Rattenfängern auf den Leim gegangen sind, die nicht das Wohl der Gesellschaft, sondern nur ihr eigenes kleines Wohl im Sinn haben.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg lehrt mich, mich an dem zu freuen, was ich geschafft habe, und nicht mit bösem Blick nur das zu sehen, was andere bekommen haben. Es lehrt mich, meine Erwartungen und Motive zu hinterfragen und das Beste von meinen Mitmenschen anzunehmen, nicht das Schlechteste. Das ist nicht einfach und verlangt immer neu eine innere Umkehr. Aber so können wir mitten in dieser Welt dem Reich Gottes schon etwas näher kommen, das jenseits von Leistungs- und Konkurrenzdenken sich entfaltet. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/09/work-in-the-vineyard-3371576_1280.jpg9101280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-09-24 10:00:052023-09-23 09:04:17Predigt am 25. Sonntag im Jahreskreis (24.09.2023)
Predigt zu Mt 16, 13-20 „Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“
Angesichts der gegenwärtigen Kirchensituation geht der Satz über Petrus als „Fels“ schwer durch du Ohren und noch schwerer über die Lippen. Man möchte loslegen mit lauter Klage und gerechtem Zorn. – Dieser Versuchung möchte ich heute Morgen nicht erliegen, denn – so finde ich – eine Predigt ist dazu da, auf das hinzuweisen, was weiterführt und aufbaut, was nicht im Hin und Her der Gründe und Gegengründe hängenbleibt, sondern auf den Grund verweist, der Stand gibt.
Einen lohnenden Hinweis dazu habe ich in einem Buch gefunden, das den anschaulichen Titel trägt „Der singende Stotterer“. Es ist die Autobiografie von Walter Dirks. Walter Dirks, geb. 1901, war in seinen Zwanzigern und Dreißigern, also in den Jahren zwischen den zwei Weltkriegen, als Assistent von Romano Guardini Teil des katholischen Aufbruchs dieser Jahre, in dem sich die Konturen dessen entwickelten, was dann im Zweiten Vatikanischen Konzil für die ganze Kirche in Gang gesetzt wurde. Sein ganzes Leben hat er diesem Aufbruch gewidmet, – auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Kulturchef des WDR.
Dieser Walter Dirks schreibt im Rückblick auf sein Leben: „Die Kirche, so belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist, hat mir doch den Glauben vermittelt und dadurch das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen. Ich hätte diese Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, wäre sie mir nicht durch die Kirche vermittelt worden. Deshalb ist sie, die mich in vielem ärgert, plagt, mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“
Dirks‘ Erfahrungsbilanz scheint mir nahezu prophetisch im Blick auf die Lage unserer Kirche hier und heute: „Belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist.“
Das ist die eine Seite, die sich durch nichts beschönigen lässt. Doch zugleich gilt genauso klar: Eben diese Kirche, die oft so unsäglich stottert, ist unverzichtbar, weil sie von dem zu singen vermag, was den Menschen den tragenden Grund ihres Lebens zu vermittelt. „Sie ist das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen.“
Mit Christus an Gott zu glauben, auf ihn zu bauen, ist tragender Grund des Lebens. Das verkörpert Petrus: Auch er eine in vielerlei Hinsicht belastete Existenz, auch er ein „Singender Stotterer“: Man denke nur daran, wie er in der Passionsnacht erst einschläft und dann Jesus dreimal verleugnet. Und zugleich – oder vielleicht gerade deshalb? – ist Petrus der, der Jesus Christus als den zum Leuchten bringt, der es ist: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Auf diesen zwiespältigen Petrus setzt Jesus, er wird der „Fels“ – nicht weil er über die „Unterwelt“ erhaben ist, sondern weil er sich von ihr nicht „überwältigen“ lässt.
Der unendlich große Gott hat sich darauf angewiesen gemacht, dass Menschen in all ihrer Gebrochenheit den Mut haben, ihn weiterzusagen, – wenn es sein muss mehr stotternd als singend, nicht als strahlende Siegertypen, sondern als solche, die sich durchs Hinfallen nicht entmutigen lassen wieder aufzustehen. Denn ohne Menschen, die Gott weitersagen, wäre er zwar da, aber nicht als Gott für die Menschen, sondern als unzugängliche, Angst einflößende Schicksalsmacht. Hier unterscheidet sich Christsein sich von all den anderen Wegen zu Gott: Gott ist nicht ohne die Menschen zu haben und umgekehrt auch: Es gibt keinen Menschen, der nicht Abbild Gottes wäre, egal wie entstellt er auf den ersten Blick wirkt.
Darin ist der Petrus des heutigen Evangeliums Fels, Grund der Kirche. Er verkörpert das Prinzip unseres Christseins: Der Mensch – sowohl in seiner Größe als auch in seinen Grenzen – ist Abbild Gottes. Ob und wie Gott die Menschen erreicht, hängt daran, dass es Menschen gibt, die Gottes Unendlichkeit in ihrer Endlichkeit gegenwärtig werden zu lassen.
Das gilt zunächst für den, der den Dienst des Petrus versieht. Und gleichzeitig steckt darin ein Zuspruch und Anspruch an jede und jeden von uns: Fühl dich nicht zu klein, zu unbedeutend zu schwach, zu wenig intelligent oder begabt, um den Menschen um dich herum Gott zu bringen. Und umgekehrt gilt auch: Auf dem Antlitz des Menschen, so elend begrenzt er dir manchmal vorkommen mag, begegnet dir ein Wink Gottes.
Durch jeden Menschen und an jedem Menschen das Antlitz Gottes zum Leuchten zu bringen, das ist die Aufgabe der Kirche, darin ist sie mit Petrus Fels und Fundament, der Grund, der Stand verleiht.
Oder, mit Walter Dirks: „Wir hätten die Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, würde sie uns nicht durch die Kirche vermittelt. Deshalb ist sie, die in vielem ärgert, die plagt, die mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“
Bild: Friedbert Simon In: Pfarrbriefservice.de
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/08/petrus_schalfend_am_oelberg-1_niedernberg_by_friedbert_simon_pfarrbriefservice_0.jpg7561200Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2023-08-28 15:13:212023-08-28 15:13:21Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (29.08.2023)
wir feiern heute ein Fest mit dem rätselhaften Titel „Verklärung des Herrn“. Das Fest bezieht sich auf eine Überlieferung, die sich in allen drei Evangelien der Synoptiker Lukas, Matthäus und Markus findet. Darin zeigt sich, dass es sich sozusagen um einen Urstein der Geschichte von Jesus dem Christus handelt.
In den Evangelien selbst kommt der deutsche Titel des Festes „Verklärung“ nicht vor. Dort wird von Licht gesprochen, das aus Jesu Antlitz erstrahlt und von weißen Kleidern, so weiß wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Dieses Licht und dieses Weiß hat etwas mit „Überirdischem“ zu tun. Erinnern wir uns: Das Gesicht Moses strahlt so ein Licht aus, als er nach der Gottesbegegnung mit den Gesetzestafeln vom Sinai zurückkommt. Die Engel im österlich leeren Grab tragen leuchtende Gewänder des himmlischen Glanzes.
Der Text selbst spricht von Verwandlung. „Transfiguratio Domini“. Das sagt, dass etwas gleichbleibt und sich doch auch ändert. Es ist nicht ein anderer, ein fremder Jesus, sondern die Offenbarung einer „erweiterten Figur Jesu“ – so möchte ich es umschreiben. Das Bekannte und Gewohnte wird über sich hinausgehoben, erweitert. Es scheint etwas durch, das im Grunde schon immer da ist, und in diesem Augenblick strahlt es so mächtig auf, dass alles andere davon überzeichnet und folglich sogar in seinem Gehalt verändert wird. Danach sehen wir Menschen uns im Innersten: dass etwas durchscheinen möge vom Weltenlicht, vom Gottesstern, vom Seelenglanz.
Die Verklärung Jesu beginnt innen – im Seelenkern. Er zieht sich auf den Berg zurück, um zu beten. Da geschieht Verklärung. Jesu Gestalt wird so transparent, dass die andere Seite der Welt durchscheint: seine himmlische Herkunft: Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen. Es klingt die Geschichte Israels an. Mose, der Gesetzesträger und Elija, der größte der Propheten erscheinen – jene also, die Gott schauten, ohne zu sterben.
Und dann stahlt eine Wolke auf, die für sich spricht. Die Szene wird unwirklich, denn es wird eigenartigerweise von einem Schatten gesprochen, in dem Jesu Licht erscheint. Das kennen wir aus der Erzählung von der Wüstenwanderung des Volkes Israel. Die Wolke, in der Gott nahe ist. Hier strahlt denn auch eine Transfiguration auf – eine Bedeutungsverschiebung: Der Schatten verdeckt nicht das Licht, wie wir es aus der Natur kennen. Dunkelheit Gottes wirkt gegenteilig: Gottes Schatten verdeckt nicht Licht, sondern Gottes Schatten bestätigt Licht. In unserem Weltbild ein Paradox, trotzdem finden wir es in den Überlieferungen: Gottes Schatten erleuchtet.
Nehmen wir die Wüstenwanderung Israels. Gottes dunkle Wolke begleitet das Volk auf einer Wanderung, die durch Wüste und Steppe, auf Irr- und Umwegen, durch Sünde und Tod, dann erst in das gelobte Land führt.
Von Maria wird gesagt, dass die Kraft des Höchsten sie „überschattet“. Der Herr ist mit dir – sagt ihr der Engel zu. Und das meint eben nicht, dass sie verschont bleiben wird. Ihr wird Unendliches zugemutet: das uneheliche Kind, die gesellschaftliche Schande, der rätselhafte Knabe im Tempel, die Einsamkeit mit dem Geheimnis und das Ausharren auf Golgatha – das ist ihr Weg, an dessen Ende erst der Himmel wartet.
Auch der Schatten Gottes auf Jesu Leben ist unübersehbar: Die Geburt in der Unbehaustheit des Stalles, die Flucht nach Ägypten, das Unverständnis der Menschen, die Ablehnung, die Verleumdungen, das Scheitern der Mission, die Zerstreuung der Jünger, der Weg hinauf zur Schädelhöhe, der bittere Tod zwischen den Verbrechern. Erst dann erhebt sich der Sieg von Ostern.
Wir finden das heutige Evangelium eingebettet zwischen zwei Leidensankündigungen Jesu. „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst. Er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Und Lukas überliefert in seinem Bericht der Verklärung, dass auch hier die Jünger eingeschlafen waren, während Jesus betete. Die ergreifende Szene vom Ölberg klingt an.
Vielleicht ist das Verklärung: Innerlich glänzendes Leben im Schatten göttlicher Wirklichkeit. Gott ist in der Dunkelheit nahe – was denn nicht unbedingt meint, dass wir sein Dasein wahrnehmen. Er drängt sich nie auf und zeigt seine Göttlichkeit einzig im Licht der Liebe, die erst in der Spannung vergänglichen und verletzlichen Lebens sich auftut. Es bleibt uns Glaube: in Licht und Freude dankbar geübt, in Dunkelheit und Leiden schmerzhaft geläutert und verwirklicht.
In Verklärung und Herrlichkeit sind wir Menschen Abbilder Gottes. Manchmal kann man sie bei einigen Menschen durchleuchten sehen. Die Wolke ist dann mitunter der Grund eines Lichtes, das von innen kommt. Ostern ist in diesem Zusammenhang wirklich Pascha, das heißt Vorübergang des Herrn, Hindurchgehen in die Liebe.
Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/08/piece-3241434_1280.jpg7201280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-08-07 07:01:562023-08-07 07:01:56Predigt am Fest der Verklärung des Herrn (6.8.2023)
Träume haben Menschen seit jeher fasziniert, da sie so schwer fassbar sind. Einerseits haben sie zu viel mit der erlebten Tageswirklichkeit gemein, als dass man sie als bloße Einbildung abtun könnte, andererseits wirken sie zu fremd und unwirklich, um als Teil der Tageswirklichkeit gesehen zu werden.
Bereits in den Dokumenten der ältesten Schriftkulturen, wie z.B. vom Ende des 3. Jahrtausends vor Christus in Ägypten, sind Träume und Traumdeutungen überliefert. Auch das Alte Testament, in dem rund 20 Träume enthalten sind, bildet hier keine Ausnahme. Bekannt sind den meisten der Traum Jakobs von der Himmelsleiter (Gen 28,12) und die Deutung der Träume des Pharaos durch Josef, einen Sohn Jakobs (Gen 40-41).
Auch der neutestamentliche Namensvetter, Josef, der Vater Jesu, ließ sich, wie auch die Sterndeuter aus dem Osten, dem Matthäusevangelium zufolge von Träumen bewegen.
In dieser biblischen Tradition steht auch König Salomo, der zu Beginn seiner Amtszeit altem Brauch gemäß nach Gibeon, einem ursprünglich kanaanäischen Heiligtum, pilgert und dort 1000 Brandopfer darbringt (1 Kö 3,4). In der folgenden Nacht „erscheint ihm Gott im Traum und fordert ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll!“ (ebd. 3,5). Salomo wählt weder Reichtum noch Macht, sondern wünscht sich ein „ein hörendes Herz“ (ebd. 3,9).
Das „hörende Herz“ ist die große Sehnsucht, der Schatz, für den Salomo, wie der Bauer und der Kaufmann im Evangelium, alles andere stehen und liegen lässt, und in der Folge überreich beschenkt wird.
In einer jiddischen Geschichte sind diese beiden Elemente der heutigen Lesungen von Traum und Schatz in besonderer Weise miteinander verwoben. Vermutlich ahnen einige schon, welche Geschichte ich meine, da sie sehr bekannt ist. Dennoch möchte ich sie kurz skizzieren:
Vor mehr als hundert Jahren lebte in einem Dorf bei Krakau ein armer Jude, der Flickschuster Eisik, Sohn des Jekel. Er ist sehr gläubig und hat Gott schon oft gebeten, ihn aus seiner Armut zu befreien.
Eines Nachts träumt er von einer großen Stadt mit einer Königsburg oberhalb der Stadt und einem großen Fluss, über den eine Brücke hinauf zur Königsburg führte. Eine Stimme sagt ihm im Traum: Das ist Prag. Dort, unter der Brücke ist am Ufer ein Schatz vergraben. Geh hin, grab ihn aus, er gehört dir!
Nach dem Erwachen denkt Eisik: „Träume sind Schäume“. Doch in den beiden folgenden Nächten hat er den selben Traum, so dass er sich schließlich auf den Weg, das sind gut 500 km, macht und nach einigen Tagen müde und ausgehungert in Prag ankommt. Er sieht die Burg, den Fluss, die Brücke, die Stelle, wo der Schatz liegen soll. Doch die Brücke ist von Soldaten bewacht. So streift Eisik um die Stelle herum, wo der Schatz liegen soll, bis er auffällt, man ihn packt und zum Hauptmann der Wache führt, der ihn zunächst für einen Spion hält.
Nachdem Eisik dem Hauptmann von seinem Traum erzählt hat, lacht der laut los und erwidert ihm: Auch ich träume seit einigen Tagen einen Traum, der mich in ein Dorf nach Krakau schickt, wo unter dem Herd eines Juden, Eisik, Sohn des Jekel, soll er heißen, ein Schatz vergraben sein soll. Aber was denkst du: Träume sind Schäume! Bei Krakau gibt es viele Juden, die eine Hälfte heißt Eisik, die andere Jekel. Da hätte ich was zu tun, in all den Hütten den Herd wegzuräumen und nach einem Schatz zu graben. Du verrückter Kerl, mach, dass du nach Hause kommst!
Und Eisik macht sich auf den Weg nach Hause, räumt den Herd in seiner Hütte weg, gräbt den Schatz aus und lebt fortan, befreit von seiner Armut, glücklich mit seinem Schatz.
Viele Zeitgenossen reagieren dem Hauptmann ähnlich, wenn ihnen der Schatz, das Reich Gottes, angeboten wird: „Da hätte ich aber viel zu tun, mich noch mit diesen alten Kamellen von Jesus abzugeben.“ Andere sind verbittert von Leid, von Misserfolgen, wiederholten Enttäuschungen, schwerer Krankheit oder vom Tod eines lieben Menschen, so dass sie alle Sehnsucht verloren haben. Wieder andere haben mit Christen oder Kirchenvertretern negative Erfahrungen gemacht und wollen sich auf eine unsichere Schatzsuche nicht mehr einlassen. Und dann gibt es jene, die das Reich Gottes in die Ewigkeit abschieben, es für einen Traum halten und nicht merken, dass dieser Schatz hier auf Erden auffind- und erfahrbar ist.
Sie alle verschließen sich ‑ wie der Hauptmann ‑ der möglichen Freude über den Besitz des Schatzes.
Dem gegenüber steht Eisik. Sein Traum lässt ihn nicht los. Er macht es wie der Perlenkaufmann im Evangelium: Er geht ein Risiko ein, nimmt viele Mühen und Gefahren auf sich, um den Schatz zu finden.
So entdecken auch heute noch Menschen die Botschaft Jesu als einen Schatz, der ihr Leben prägt und sie auch durch Not, Leid und Mühe trägt. Solche Menschen haben die Maßstäbe ihres Lebens „verrückt“, so dass nicht mehr Geld und Karriere die entscheidende Rolle spielen, sondern Jesus Christus und seine Zuwendung zu den Menschen. Da stört es sie gar nicht, wenn sie von anderen ausgelacht oder für dumm verkauft werden.
Der Auslöser für eine Schatzsuche kann ein Traum, eine Sehnsucht nach Leben, eine tiefe Erfahrung, ein persönliches Erlebnis sein. Auf jeden Fall etwas, was mich bewegt, was ich letztlich nicht erklären kann, was mich im Herzen berührt.
Voraussetzung dafür ist ein Herz, das sich berühren lässt, oder mit den Worten Salomos: ein hörendes Herz. Dieses Bild steht für ein Herz, das wahrnimmt, fühlt und Fragen nachspürt wie: Welche Erfahrungen, Erinnerungen gehen mir seit langem nach? Was berührt, fasziniert mich in dem, was ich erlebe? Was macht mein Herz warm, hell und weit?
Eine solche Erfahrung kann mich zum Aufbruch ermutigen, einen Prozess des Suchens und Findens eröffnen. Jeder muss sich selbst auf diesen Weg machen, der ein lebenslanger sein kann.
Dieser Weg ist und bleibt ein Wagnis, denn die Zufälligkeit des Findens ist nicht in den Griff zu bekommen. Es gibt hier keine Geling-Garantie, denn finden kann ich nicht machen. Doch je ernsthafter die Suche, desto wahrscheinlicher auch das Finden. Diese Erfahrung kann aber nur jemand machen, der etwas wagt und ein Risiko eingeht.
Schließlich gilt, dass der Schatz oft gar nicht fern sein muss, sondern in meinem eigenen Leben verborgen ist und ich ihn nur noch zu entdecken brauche, so wie der Kaufmann auf seiner beruflichen Suche nach Perlen, plötzlich und zufällig auf die Perle trifft, und so wie der Bauer mitten in seiner alltäglichen Arbeit beim Pflügen des gewohnten Ackers auf einen Schatz trifft.
Gerade im Alltag, den wir oft routinemäßig durchpflügen und nicht mehr genau hinsehen oder hinhören, ist darum ein hörendes und sehendes Herz hilfreich, das wach und achtsam im Gewohnten Neues, Überraschendes entdeckt.
Das hörende Herz ist das Kennzeichen des Glaubenden, der in allem und durch alles, was ihm begegnet und was er erlebt, Gottes leise Stimme vernimmt.
Nehmen wir die Einladung des Evangeliums zur Schatzsuche an. Fassen wir Mut, unseren Träumen und Sehnsüchten zu folgen.
Bitten wir Gott wie Salomo um ein hörendes Herz, damit wir den Schatz im Acker unseres Lebens entdecken und von ihm her leben.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/07/Acker.jpg231317Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-07-30 14:22:092023-07-30 14:22:09Predigt am 17. Sonntag im Jahreskreis (30.07.2023)
Römerbrief 8, 18ff. und Matthäusevangelium 13,1ff.
Das heutige Sonntagsevangelium gehört zu den längsten im Kirchenjahr. Es hat zwei Teile: das bekannte Gleichnis der Aussaat des Wortes vom Reich, das Jesus vor einer großen Menschenmenge erzählt, und die Deutung dieses Gleichnisses über die „Geheimnisse des Himmelreichs“ im kleinen Kreis seiner Jünger. Beides wird berichtet und erübrigt eigentlich eine zusätzliche Predigt. Die steht aber nun einmal an. Deshalb liegt es nahe, sich auch der Lesung aus dem Römerbrief zuzuwenden.
Der Ton, den Paulus im gesamten Römerbrief anschlägt, ist von existenzieller Wucht – wie in der Passage, die vorhin zu hören war. Ich nehme nochmals einige Worte auf, die das spürbar machen können. Er spricht von den Leiden der gegenwärtigen Zeit und von der Knechtschaft der Vergänglichkeit. Doch er tut es in der Perspektive der Hoffnung mit ähnlich starken Wortbildern: sehnsüchtiges Warten, Seufzen und in Geburtswehen liegen.
Kann uns das kalt lassen, was Paulus da aufdeckt: diese tiefe Solidarität in der Passion des Daseins? Seiner Einsicht nach teilen sie alle Geschöpfe, nicht nur die Menschen, auch Tiere und Pflanzen, alles was atmet – und atmet nicht alles, schwingt in unterschiedlicher Dichte wie die sogenannte leblose Materie?!
Passion des Daseins! – Passion meint zweierlei: Leidenschaft und Leidensgeschichte. Das bedeutet: beides hängt zusammen. Leidenschaft kann eine Leidensgeschichte zur Folge haben.
Weil die Liebe zum Leben seine Leidenschaft war, gestaltete sich der Weg Jesu nach und nach zu seiner Leidensgeschichte. In der öffentlichen Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Dirnen, indem er Kranke auch am Sabbat heilte, Sündern bedingungslos vergab und gegen die religiösen Machthaber seiner Zeit für die Freiheit der Kinder Gottes eintrat, in alldem lebte er diese Liebe – bis zum Kreuz.
Jesus am Kreuz: das ist die Ikone der Passion des Daseins. Jahr für Jahr steht sie nach der Karfreitagsliturgie in der leeren Dämmerung der Apsis – ungewohnt schlicht, sehr still, ein einprägsamer Augenblick.
Auf der Höhe des Jahres können wir heute mit einem sonntäglichen Aufblick zur gewohnten, ganz anders gearteten Kreuzikone dieser Kirche den Alltag mit seinem oft irritierenden Themengestöber unterbrechen. Wir dürfen uns der Weite jenes Horizontes vergewissern, den Jesus von Nazareth mit seiner Reich-Gottes-Botschaft im Sinn hatte, wenn er wie im heutigen Evangelium von den „Geheimnissen des Himmelreichs“ sprach.
Die üblichen Assoziationen zum „Wort vom Reich“, wie Matthäus es nüchtern nennt, gehen jedoch fehl in der Annahme, damit sei vor allem eine Art Herrschaftsgebiet gemeint, das ein- und ausgrenzt. Machtkategorien verraten bis heute das Herzstück dieser Botschaft.
Reich im Sinne Jesu meint einfach Reichweite – eine Reichweite, die Horizonte eröffnet und keine Grenzen schließt. Ein Horizont ist ja eine buchstäblich vorläufige Grenze, die vor denen, die auf ihn zugehen, zurückweicht und so über sich hinaus weiterführt. Weiter – nicht nur linear verstanden, sondern räumlich.
Der offene Himmel über dem See Genezareth, unter dem Jesus Menschen sammelt, atmet diese Weite und hat ihn im Wortsinn „inspiriert“ als ein Gleichnis für den Atemraum einer je größeren Liebe. In ihr kann die menschliche Haltung des Liebens ihren inneren Halt finden, um sich im liebenden Verhalten zu äußern. Diese Inspiration bildet das Herzstück der Verkündigung Jesu, die von dort ihren Ausgang nimmt, um die Vielen aufzuerwecken – zur Solidarität in der Passion des Daseins, nicht nur der Menschen, sondern der gesamten Schöpfung!
Was will und soll sie das für uns bedeuten? Wir können annehmen, dass unsere doppeldeutige Lebenspassion in dem Erlebnis der Trennung von der Mutter wurzelt, mit dem wir zur Welt kommen. Die biologische Geburt – ihr Trauma – weist in Bedeutung und Wirkung über das körperliche Geschehen hinaus auf die seelische und geistige Ebene. Der Mensch erlebt sich nicht nur am Anfang, sondern immer wieder als getrennt: getrennt von seinen Mitmenschen und seiner Umwelt, getrennt von den Sinnquellen des Daseins, von Gott und wie in einem inneren Zwiespalt irgendwie getrennt auch von sich selbst.
Diesem Erleben des Getrenntseins liegt jedoch etwas zugrunde – die Erinnerung an eine Einheit, ohne die Trennung gar nicht als solche denkbar und erfahrbar wäre. Wir verdanken unser Dasein auch einem Bruch, weshalb zeitgenössische Theologie von der „Gnade des Bruchs“ sprechen kann.
Wie lässt sich das verstehen? – Ich spreche einfach von mir selbst, denn ich kenne das Gefühl der Bruchstückhaftigkeit in vielerlei Hinsicht: immer wieder reibe ich mich an meinen Ecken und Kanten wund oder verletze damit andere. Ich denke, das gilt auch gegenseitig. Aber ist das schon alles? Gerade über die Bruchkanten könnten wir doch auch wahrnehmen, dass wir als Menschen zueinander gehören und darüber hinaus zu etwas, das mehr ist als wir alle zusammen – ein nicht mehr und noch nicht gegebenes Ganzes, dessen Teile wir sind.
Das ist doppelt zu spüren – als Verlust von Einheit und als Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Gilt das nicht auch in Gegenseitigkeit?! Führen uns dieser Verlust und diese Sehnsucht nicht in die vielfältigen Lebensweisen des Mit-ein-anders – wie anschaulich doch die Sprache ist! – des Mit-ein-anders von Partnerschaften, Familienformen, auch klösterlichen Gemeinschaften und was es sonst noch gibt. In all diesen oft mühsamen Lebensweisen könnte sich unsere Bruchstückhaftigkeit als die Chance zu gegenseitiger Ergänzung erweisen – einer Ergänzung, deren ein jeder, eine jede von uns zugleich bedürftig und fähig ist.
Ein Letztes: Unsere Bruchkanten passen allerdings nicht nahtlos zu- oder gar ineinander. Es bleiben Lücken und sie sollten auch bleiben – als stete Herausforderung, diese Lücken in liebender Haltung und liebendem Verhalten zu überbrücken. Doch nicht nur das, sondern auch und mehr noch sollten die Lücken bleiben, weil sie den Grund durchschimmern lassen, auf den alles ankommt – nämlich jene göttliche Liebe, die unser menschliches Lieben erst möglich macht, es in Gelingen und Scheitern trägt und es vollendet. Diesem Grund dürfen wir vertrauen. Wir können uns auf ihn verlassen und müssten nicht immerzu an uns festhalten. Warum nur fällt das so schwer?!
Das Jahr steht auf der Höhe – so singen wir zum Schluss (GL 465). Der evangelische Pfarrer Detlev Block, der ein Dichter war, hat dieses Mittsommerlied 1978 geschrieben. Ihn bewegte die Frage: „Welchen Trost, welche Ermutigung gibt es für uns, wenn der Schatten des Wechsels und der Vergänglichkeit auf uns fällt?“ Der Kreislauf der Jahreszeiten spiegelt für ihn gleichsam, was auch unserem Leben insgesamt beschieden ist. Auf Blüte und Reife folgt die Ernte, dann setzt in der Natur das herbstliche Sterben ein und bisweilen liegt über Winterlandschaften eine Art Totenstille. Sonntag für Sonntag sind wir eingeladen, im Hören des Wortes und im Brotbrechen den Glauben zu nähren, dass unsere Lebenszeit aufgehoben ist in Gottes Ewigkeit, aus der wir stammen und in die wir heimkehren. Darauf dürfen wir vertrauen – mit anderen Worten: darauf können wir uns verlassen und müssen nicht an uns festhalten.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/03/Karfreitag-Kreuz.jpg6801024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-07-16 20:33:212023-07-16 20:33:21Predigt am 15. Sonntag im Jahreskreis (16.07.2023)
Wer, liebe Schwestern und Brüder, hätte wohl damals vor rund 2000 Jahren gedacht, dass aus diesem kleinen, völlig verängstigten Kreis von Fischern und anderen meist einfachen, ungebildeten Männern, die wir Apostel nennen, eine Bewegung hervorgeht, die sich von Jerusalem quasi lawinenartig über die ganze Erde ausbreitet, die Milliarden von Menschen begeistert, die die Welt verändert und bis heute Bestand hat? Wer das einem damaligen Zeitgenossen erzählt hätte, dem hätte dieser vermutlich einen Vogel gezeigt. Dieser armselige Haufen von Jüngern, die sich aus Furcht hinter verschlossenen Türen verstecken, soll die ganze Welt verändern und solch eine immense Wirkung haben? Unmöglich! Wenn wir damals gelebt hätten, hätten wir vermutlich ähnlich gedacht. Denn nach menschlichen Maßstäben war das unmöglich.
Nun, wir wissen, dass es – wider aller Erwartung – doch möglich war. Dass genau das passiert ist. Das alles Entscheidende dabei, der Grund, warum von diesem kleinen Kreis eine solch ungeheure Dynamik ausging, war Gottes Heiliger Geist. Der hat alles verändert. Der hat aus den verängstigten, mutlosen Jüngern unerschrockene, kraftvolle und zutiefst überzeugende Boten des Evangeliums gemacht. Hätten sie das alles aus eigener, menschlicher Kraft bewirken müssen, hätten sie dabei allein auf ihre eigene Kraft vertraut, wäre es nicht zu dieser Dynamik gekommen. Dann gäbe es heute keine Kirche. Dann säßen wir heute Morgen nicht hier. Dann sähe die Welt heute anders aus.
Das Evangelium erzählt uns, dass Jesus trotz verschlossener Türen zu seinen Jüngern vordringt und ihnen den Heiligen Geist einhaucht. Doch durch die verschlossenen Türen ihrer Herzen scheint er zunächst noch nicht vordringen zu können. Die Einhauchung des Heiligen Geistes scheint noch keine Wirkung zu entfalten. Denn wie uns das Johannesevangelium ein paar Verse nach unserem heutigen Abschnitt berichtet, sind die Jünger acht Tage später wieder hinter verschlossenen Türen zusammen. Erst als sie am Pfingstfest der Heilige Geist wie ein heftiger Sturm überkommt und sie mit seinem Feuer entflammt, beginnen sie mutig in aller Öffentlichkeit aufzutreten und das Evangelium zu verkünden. Und damit nahm eine gewaltige Entwicklung ihren Lauf.
Doch wo ist diese Dynamik heute zu spüren? Wo ist der Heilige Geist mit seiner gewaltigen Kraft heute am Werk? Wenn ich die große Verunsicherung bei vielen Menschen aufgrund der vielen Krisen in den letzten Jahren wahrnehme – ich denke da vor allem an Corona, den Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation, den Klimawandel, – wenn ich auf die krisenhafte Situation unserer Kirche heute schaue – ich sage nur Missbrauch, innere Zerrissenheit, Mitgliederschwund, – wenn ich sehe, dass viele noch zusätzlich individuell ganz unterschiedlich durch Schwierigkeiten oder Herausforderungen belastet sind, sei es in den Familien oder auch in unserer Gemeinschaft, im Beruf oder im Freundeskreis, dann habe ich den Eindruck, dass wir eher den verängstigten, mutlosen Jüngern vor der Geistsendung gleichen. Dann ist für mich von Dynamik, von Aufbruch, von Zuversicht wenig spürbar. Dann habe ich den Eindruck, wir brauchen Gottes Heiligen Geist mehr denn je!
Doch vertrauen wir überhaupt noch auf ihn? Rechnen wir noch mit ihm oder leben wir nicht allzu oft so, als ob es Gott nicht gäbe? Meinen wir nicht allzu oft, wir könnten oder müssten gar alles aus eigener Kraft schaffen?
Dass wäre nicht allzu verwunderlich. Denn der ungeheure technische Fortschritt unserer Zeit verleitet uns oft zu der Vorstellung, wir könnten alles selber machen. Und unsere Gesellschaft impft uns ein, dass wir nur dann etwas zählen, wenn wir etwas leisten. Doch damit kommen wir nicht weit. Alles selbst in der Hand zu haben und machen zu können, ist eine Illusion! Und es kann sehr befreiend sein, sich von dieser Illusion zu verabschieden, wenn ich darauf vertraue, dass jemand anders mein Leben in der Hand hält, jemand, der es restlos gut mit mir meint und der mich rückhaltlos liebt. Es kann sehr befreiend sein, zu erkennen: ich muss nicht alles aus eigener Kraft schaffen. Da ist jemand, der mir mit seiner Kraft zu Hilfe kommt, der ganz andere Möglichkeiten hat als ich.
Vielleicht macht uns der Heilige Geist auch ein wenig Angst. Er ist eben kein laues Lüftchen, sondern ein gewaltiger Sturm. Der weht, wo er will, nicht wo ich will. Der lässt sich nicht zähmen. Der kann mich gehörig durcheinanderschütteln und Veränderungen mit sich bringen, die ich nicht absehen kann. Dann müsste ich vielleicht aus meinem bisherigen Leben, in dem ich es mir bequem eingerichtet habe, heraus. Müsste vielleicht von vielen „Besitzständen“ loslassen, mich von liebgewordenen Gewohnheiten, auch Denkgewohnheiten verabschieden. Der Heilige Geist kann zu einem „Wind of Change“ werden, der uns nicht immer so angenehm ist, wie er in der erfolgreichen Rockballade der Scorpions, der „Hymne der Wende“, besungen wird. Vor allem dann nicht, wenn er in mein eigenes Leben bläst. Denn ich habe doch gerne alles unter Kontrolle. Veränderungen machen vielen Angst. Und Angst macht eng. Und dann steht der Heilige Geist vor den verschlossenen Türen meines Herzens und kann nicht rein. Aber Angst und Verunsicherung sind ja sowieso schon oft da, wie ich gerade beschrieben habe. Wäre es dann nicht viel sinnvoller, sich dem Wirken den Heiligen Geistes zu öffnen, ihm zu vertrauen, weil ich doch allein nicht weiterkomme, allein nicht aus meinen Ängsten herauskomme?
Ich bin gewiss und glaube fest daran, dass der Heilige Geist eine gewaltige Kraft ist, die uns selbst, unsere Familien, unsere Mönchsgemeinschaft, unsere Gesellschaft, ja die ganze Welt verändern kann. Dafür müssen wir uns ihm aber öffnen und zulassen, dass er uns bewegt, verändert, stört. Vergessen wir dabei nicht: er ist die Liebe selbst. Deshalb brauchen wir keine Angst vor ihm zu haben. Gerade von unserer Angst will er uns ja befreien – wie die Jünger. Da er die Liebe ist, kann er uns nichts Böses wollen, ganz im Gegenteil: er will uns in die Weite, in die Freiheit führen, er will das Beste für uns.
Da er aber die Liebe ist, will er uns ganz! So ist die Liebe eben. Die geht aufs Ganze. Er will uns mit seinem Feuer entflammen, eine Leidenschaft in uns entfachen, für die Liebe, das Leben, für Gott. Halbherzigkeit ist damit nicht vereinbar. Bloß daran wärmen geht nicht, sondern nur ganz und gar brennen, die Liebe weitergeben, andere damit anstecken.
Manches werden wir dafür loslassen müssen. Doch das, was wir dafür „quasi im Gegenzug“ bekommen, ist so unvergleichlich mehr, dass es den Verlust mehr als aufwiegt, wenn wir es dann überhaupt noch als Verlust empfinden, denn durch die Berührung mit Gott verschieben sich viele Werte, und vieles, was einem vorher wichtig war, wird auf einmal unwichtig.
Wenn wir den Heiligen Geist in unser Herz hineinlassen, dann kann ein neues Pfingsten geschehen, ein neuer Sturm der Begeisterung seinen Anfang nehmen, der uns von lähmender Angst befreit und ungeahnte Kräfte freisetzt. Lassen wir uns von ihm anstecken!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/05/pentecost-g1f646e01d_1280.jpg6531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-05-30 08:37:222023-05-30 08:37:22Predigt an Pfingsten (28.05.2023)
Wie im Himmel so auf Erden,
liebe Schwestern, liebe Brüder,
das ist ein Satz, der in unseren Kirchen und Familien oder auch persönlich oft gebetet wird – gehört er doch zum Urgebet des Christentums, dem Vaterunser. Hier werden Grundsätze unseres Glaubens ausgesprochen. Es geht um den Lobpreis Gottes, den wir vertrauensvoll als Vater anreden. Es geht um unsere Bedürftigkeit nach Nahrung, es geht um die Tatsache, dass wir in unserem Leben nie ohne Fehler und Versagen sind, es geht um die Bitte, klare und menschenfreundliche Wege im Gewirr des Alltags zu finden. Das Gebet endet mit der Anerkennung von Gottes Macht und Herrlichkeit und es spricht aus, dass wir von der endlichen Welt mehr erwarten, wenn wir sprechen: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe – eben: wie im Himmel so auf Erden.
Im Zusammenhang mit dem heutigen Fest stellt sich dann mehr oder weniger intensiv die Frage, was das denn sein könnte der „Himmel“? Und manche von uns stellen die Frage konkreter: Wo ist er denn dieser Himmel?
Bohrend stellt sich diese Frage im Erleben unserer Vergänglichkeit: Wo sind sie, die Menschen, die gestorben sind? Und emotional noch intensiver: sehen wir uns wieder in diesem Himmel?
Fragt man die derzeit sehr diskutierte künstliche Intelligenz nach dem Himmel, so bekommt man folgende Antwort:
„Der Himmel wird im Allgemeinen als der Raum oberhalb der Erdoberfläche betrachtet. Es ist der Bereich, in dem sich die Atmosphäre erstreckt und in dem sich Wolken, Sterne, Planeten und andere Himmelskörper befinden. Der genaue Ort des Himmels wird jedoch oft als metaphysisches Konzept betrachtet und kann je nach religiösen oder spirituellen Überzeugungen unterschiedlich interpretiert werden. In verschiedenen Religionen und Kulturen gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, wo der Himmel liegt und wie er beschaffen ist. Es ist wichtig zu beachten, dass dies spekulative und subjektive Vorstellungen sind, die auf Glauben und Interpretation basieren, anstatt auf wissenschaftlicher Messung oder Beobachtung.“
Dieser Text wirft uns Fragende zurück auf die Erde und man könnte sagen: Typisch naturwissenschaftlich kaputt erklärt, rationalistisch aufgelöst und endgültig entmythologisiert.
In dem durchaus sauber argumentierenden Text stecken aber einige Voraussetzungen, die man hinterfragen könnte, wenn man denn den Himmel als Sehnsuchtsort nicht so ganz aufgeben mag. Es wird nämlich vorausgesetzt, dass wir die Erde begreifen könnten, wenn wir sie mittels Naturwissenschaft zergliedern, analysieren und damit greifbar machen. Vielleicht sollten wir, um den Himmel zu verstehen, erst mal mit der Erde anfangen. Und damit meine ich nicht nur unseren Planeten Erde, sondern das Universum und das gesamte erfahrbare Dasein. Hier gibt es nicht nur Fakten, die wir „noch nicht“ verstehen, weil wir sie noch nicht vermessen können, sondern hier gibt es auch Fragen, an denen Naturwissenschaft bisher grundsätzlich scheitert:
Was ist das Dasein und woher kommt es?
Was ist Leben und wie ist es genau entstanden?
Und vor allem: Was ist der Mensch und warum fragt er immer wieder über sich hinaus und denkt eben über so etwas scheinbar Sinnloses wie den Himmel nach? Warum fragt er nach seinen Toten und kann sich einfach nicht damit zufriedengeben, dass nach dem Tod alles ein nur „aus“ sein soll?
Denken wir uns tiefer in das Thema hinein, so bleibt uns nur unser Hier und Jetzt, um Spuren des Himmels zu suchen. Es bleibt das Wunder des Lebens an sich, das wir im Frühling jedes Jahr erleben, um zu ahnen, dass es Kräfte des Daseins gibt, die sich der Erklärung verschließen. Es bleiben diese Fragen, die Menschen immer wieder zu allen Zeiten in allen Regionen und Religionen stellen und die einfach nicht verstummen.
Indem wir den spirituellen Himmel unbewusst immer mehr mit dem materiellen Universum gleichgesetzt haben, sind wir einer Spur gefolgt, die einerseits unsere Sehnsucht nach Unbegrenztheit befriedigt. Dieser Himmel – auch spirituell vorgestellt – ist natürlich groß und monumental.
Das Konzept hat aber den Nachteil, dass wir uns im gekrümmten Raum wiederfinden, der sich im Grunde in sich selber dreht. Er ist unbegrenzt, aber endlich. Milliarden von Lichtjahren entfernt, darin aber schweigend zu den Fragen aus dem inneren Universum des Menschen. Das gilt es erst einmal auszuhalten, demütig zu werden, dass diese kleinen humanoiden Wesen auf einem winzigen Planeten sich soweit entwickeln konnten, das alles zu erforschen und zu begreifen.
Großartigkeit und Kleinheit liegen manchmal so eng zusammen. Kommen wir zurück ins Hier und Jetzt: Wie wäre es, wenn der Himmel gar nicht weit weg wäre, sondern ganz nah? Könnte er nicht im Grunde die „andere Seite der Wirklichkeit“ sein? Muss er getrennt gedacht werden und weit entfernt oder wäre es vorstellbar, dass der Himmel verwoben mit unserer Wirklichkeit immer und überall einfach dabei ist, dass er zum Dasein gehört, dass er einfach nur die andere Seite der Medaille ist?
Manchmal fragen die Menschen nach den Verstorbenen und wo sie sind. Wir wissen, dass wir die Körper bestatten und dass sie vergehen und doch spüren wir mitunter, dass etwas bleibt – und wenn es nur die Erinnerungen lebender Menschen sind. Vielleicht sind sie aber nur hinübergegangen auf die andere Seite der Wirklichkeit und können von dort aus weiter für uns da sein. Dann wäre der Himmel nicht etwa jenseits der Welt, sondern inmitten der Welt. Unser Erlebnishorizont wäre dann ein äußerer und die Hinübergegangenen hätten sich in die innere Dimension des Daseins zurückgezogen. Wir würden die Außenfläche einer Kugel erleben, deren Inneres eine ganz andere Dimension hat, in die wir aber eingeschrieben sind.
Wir würden dann nicht erst nach dem Tod in den Himmel „kommen“, sondern wären schon jetzt darauf. Und immer wenn wir wachsam das Dasein betrachten, könnten wir Funken dieses Inneren durchblitzen sehen.
In den Dialogen des heiligen Gregor finden wir dazu folgende Gedanken. Sie beschreiben den inneren Kontakt zum Innersten der Welt so:
Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng. Hat sie auch nur ein wenig vom Licht des Schöpfers erblickt, wird ihr alles Geschaffene verschwindend klein. Denn im Licht innerer Schau öffnet sich der Grund des Herzens, weitet sich in Gott und wird so über das Weltall erhoben. Die Seele des Schauenden wird über sich selbst hinausgehoben. Wenn das Licht Gottes sie über sich selbst hinausreißt, wird sie in ihrem Inneren ganz weit; wenn sie von oben hinabschaut, kann sie ermessen, wie klein das ist, was ihr unten unermesslich schien. (Dialoge II,35,6)
Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng, weil der Himmel ihre andere Seite ist, weil nichts getrennt ist, weil wir uns in Gott geborgen glauben dürfen. AMEN
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/05/clouds-g51fe6327f_1920.jpg12771920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-05-18 16:29:252023-05-18 16:29:25Predigt an Christi Himmelfahrt (18.05.2023)
Dass Jesus das Motiv des Hirten nutzt, um seine Gottesbotschaft zu veranschaulichen, ist kein Zufall. Hirten waren in der Lebenswelt seiner Zuhörer allgegenwärtig. Die nomadische Lebensweise, in der man mit seinen Herden von Weideplatz zu Weideplatz zog, steht historisch am Anfang der biblischen Geschichte. Der bis heute vielleicht populärste Psalm, Ps 23, zeugt davon: „Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. … Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“
Uns Heutigen ist der „Hirt“ aus dem Blick geraten. Einen Schäfer, der – ein Pfeifchen schmauchend – mit seiner Herde übers Land zieht, trifft man höchst selten. Seine Aufgaben hat der hochprofessionelle „Tierwirt“ übernommen, der darin perfektioniert ist, zu möglichst geringen Kosten appetitlich abgepackte Grillsteaks für die Kühlregale der Lebensmitteldiscounter zu produzieren.
Und trotzdem: Der „Gute Hirt“ ist bis heute ein Sehnsuchtsbild: Die Vorstellung von jemandem der „grüne Auen“ verspricht, der mich zum „Ruheplatz am Wasser“ führt, ist das unausgesprochene Leitmotiv der Werbung jedes Reiseveranstalters. Und wer ist nicht immer wieder darauf angewiesen, dass er heil durchs „finstere Tal“ geleitet wird und jemanden findet, der „den Tisch deckt“, wenn „Feinde“ bedrohlich nahe rücken?
In unserem kirchlichen Kontext ist das Hirtenmotiv ziemlich verschlissen. Viele konventionelle Guter-Hirt-Bilder wirken kitschig oder gar peinlich. Mancher Hirte und „Ober-Hirte“ (welch paradoxer Begriff für ein Dienst-Amt!) taugt eher als Schauerbeispiel dafür, wie entsetzlich man ein „Hirtenamt“ missbrauchen kann.
II.
Vor diesem Hintergrund treffen wir heute auf Jesu Gleichnis vom „Guten Hirten“. Um es in seinem Sinn zu verstehen, ist eine Voraussetzung unabdingbar: Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst! Jeder der, mit welchem Motiv auch immer, sich selbst als „Hirt“ aufbaut, ist ein „Dieb“ und ein „Schlächter“. Der Jesus des heutigen Evangeliums ist da glasklar und unmissverständlich.
Wo immer ein Mensch einen „Hirtendienst“ übernimmt, kommt er an diesem Grundsatz nicht vorbei, – egal ob er ein kirchliches Amt innehat, Verantwortung in Wirtschaft oder Politik trägt oder in Familie, Schule oder einer sozialen Einrichtung für andere sorgt: Wenn Gott selbst der Hirt ist, setzt das jedem „Unterhirten“, jeder „Unterhirtin“ eine Grenze, klarer ausgedrückt: ein Tabu. Niemand darf sich zum Alleinherrscher über „dumme Schafe“ machen und niemand darf sich unter den Druck setzen oder setzen lassen, ein Schlaraffenland a lá Psalm 23 herbeizaubern zu müssen.
Was zu tun und zu lassen ist, wenn man, wo auch immer, in einem Hirtendienst steht, zeigt Jesus im Evangelium auf: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.“ Ein Hirt nimmt den Zugang und nicht die Hintertür, er mogelt sich nicht irgendwo herein, um Beute zu machen.
Wie klar und hilfreich könnten Beziehungen und auch die Ausübung von Verantwortung und Macht sein, wenn sie ohne Manipulationen und Tricks, ohne Angstverbreitung, ohne Verschleierung von Eigeninteressen und auf der Basis von Vertrauenswürdigkeit ausgeübt würden!
Gott als der „Gute Hirte“ wartet, „bis ihm geöffnet wird und bis er gehört“ wird: Nicht das große Gepränge und Getöse, sondern das Fingerspitzengefühl für den passenden Augenblick und das Gespür für den richtigen Ton zeichnen ihn aus.
„Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.“ In der Sicht Gottes hat jede und jeder einzelne einen Namen und damit die Würde der Einmaligkeit. Keiner ist anonymer Versorgungsfall oder beliebige Verfügungsmasse.
Und: Es geht ums „Hinausführen“ und nicht darum, Menschen mehr oder weniger lebensuntüchtig in irgendeinem „Stall“ festzuhalten.
Was wäre alles möglich, wenn Hirten das „Hinausführen“ zu ihrem Leitmotiv machen würden!
„Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.“ Ein weiteres Grundbild von ganz großer Bedeutung. Ein Hirte geht voraus – und fuhrwerkt nicht mit dem Knüppel des Treibers hinterher!
III.
Entscheidend für Jesus ist: Dieser „Gute Hirt“ muss nicht erfunden oder von jemandem in Szene gesetzt werden. Er ist schon da! Jesus selbst lebt auf dem Fundament, dass Gott sein Hirt ist. So kann er tatsächlich durchs tiefste Tal, durchs Tal des Todes gehen, ohne von Furcht überwältigt zu werden.
Im Grund des eigenen Daseins, im „Herzen“ zu wissen, dass ich geführt, geleitet und versorgt bin, das ist der Trost des Bildes vom „Guten Hirten“, den Jesus verkörpert. Jede und jeder ist eingeladen, diesen „Hirtentrost“ anzunehmen. Wo immer ein „Hirtendienst“ zu tun ist, geht es einzig und allein darum, diesen Trost vertrauens- und buchstäblich glaub-würdig zu vermitteln
Zu diesem „tröstenden Hirten“ können wir immer und immer wieder beten und dabei gewiss sein, dass er unsere Stimme hört:
Höchster, lichtvoller Gott,
erleuchte die Finsternis in meinem Herzen:
gib mir einen Glauben, der weiterführt,
eine Hoffnung, die durch alles trägt,
und eine Liebe, die auf jeden Menschen zugeht.
Lass mich spüren, wer du, Herr, bist,
und lass mich erkennen, wie ich deinen Auftrag erfülle.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/05/Schafe_8969_3.jpg563845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-05-01 08:37:472023-05-01 08:37:47Predigt am Vierten Ostersonntag (30.04.2023)
Was mir an den sog. Auferstehungserzählungen der Evangelien so gefällt, liebe Schwestern und Brüder, ist, dass sie nicht triumphalistisch-siegesgewiss daherkommen, sondern sehr leise. Es sind Geschichten, die durch den Zweifel hindurchgegangen sind, die den Zweifel, die Ängste und Sorgen der Jünger ernst nehmen und nicht vorschnell durch ein „ihr müsst nur mehr glauben“ zu überwinden versuchen. In allen Osterevangelien hat der Zweifel Raum, und der Auferstehungsglaube ist ein trotziger Glaube, ein Glaube, der trotz alledem, trotz des Zustands der Welt – und heute könnten wir ergänzen: trotz des Zustands der Kirche – die Hoffnung nicht aufgibt, dass es da noch mehr geben muss als Leid und Tod. Die Osterevangelien, die relativ spät entstanden sind und mehr die Erfahrungen der ersten Gemeinden widerspiegeln als dass sie historische Tatsachenberichte geben wollen, sagen nicht: „Genau so und nicht anders müsst ihr glauben“, sondern sie ermutigen uns: „Versuche, so zu glauben und zu leben, als ob es wahr wäre.“
Das 21. Kapitel des Johannesevangeliums, erst nachträglich dem Evangelium hinzugefügt, nimmt diesen leise-trotzigen Grundton des „als ob“ auf: „Es könnte trotz allem wahr sein.“ Da sind sieben der Jünger, angeführt von Simon Petrus, am See von Tiberias, die wieder ihrer gewohnten Arbeit als Fischer nachgehen. In dem kurzen Dialog zwischen Petrus und den Jüngern nehme ich einen resignativen Unterton wahr: „Ich gehe fischen.“ – „Wir kommen auch mit.“ Was sollen wir auch sonst tun? Das kleine Intermezzo mit diesem Jesus – es waren wohl doch nur verlorene Jahre. Nichts hat sich geändert, all unsere Hoffnung hat sich am Kreuz zerschlagen, ist durch-kreuzt worden. Solche Erfahrungen der alltäglichen Sinnlosigkeit – sie sind mir zumindest nicht fremd. Und im Geiste einer self fulfilling prophecy, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung heißt es dann weiter: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“
Dann heißt es: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“ Auch das ein wiederkehrendes Thema in den Auferstehungserzählungen. Die Jünger sind so gefangen in ihrer Resignation und Hoffnungslosigkeit, in ihrem Zweifel, dass sie nichts mehr wahrnehmen können, was neue Perspektiven eröffnet. Und doch versuchen sie es noch einmal auf das Wort Jesu, des für sie Fremden, hin, und werfen gegen den Augenschein noch einmal die Netze aus – und siehe da: „Sie konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.“ Für mich ist der entscheidende Moment in diesem Evangelium, dass die Jünger es noch einmal versuchen, dass sie nicht völlig die Hoffnung aufgeben, in Mutlosigkeit versinken, sondern das Unmögliche wagen. Und im Tun des scheinbar Unmöglichen öffnen sich ihnen neue Perspektiven, werden ihnen neue Bilder vor Augen gemalt: „Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr!“
Und dann kommt die seltsam anmutende Stelle, dass Petrus sich das Obergewand umgürtet, „weil er nackt war“, und in den See springt, um schneller bei Jesus am Ufer zu sein – Letzteres passt wieder zu diesem so ungestümen Mann, der so oft vorprescht und dann doch wieder jäh sich seiner Schwäche, ja auch seiner Schuld bewusst wird. Vielleicht können wir die Nacktheit des Petrus auch in diesem übertragenen Sinn verstehen – Petrus ist sich seiner Schuld bewusst, die er noch bei der Verleugnung Jesu auf sich geladen hat und die er nun mit dem Gewand zu bedecken sucht.. Für diese Deutung spricht auch das Kohlenfeuer, das am Ufer brennt – dasselbe griechische Wort kommt noch einmal im Johannesevangelium vor, und zwar genau bei der Szene der Verleugnung, als sich die Knechte und Mägde im Hof des Hohenpriesters ein Kohlenfeuer anzünden. Was mir diese kleine Episode zeigt: auch mit meinem Versagen, meiner Schwäche, meiner Schuld kann ich dem Auferstandenen begegnen – ja, gerade meine Schuld wird zum Einfallstor für die Gnade Gottes: „O felix culpa, o glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“ hieß es im Exsultet der Osternacht.
Und schließlich ist es das Mahl, das gemeinsame Essen, das die Erfahrung mit dem lebendigen Jesus besiegelt. Das, was sie schon zu Lebzeiten so oft miteinander getan haben, wird zum Erkennungszeichen des neuen Lebens. Nichts von dem, was wir in diesem Leben tun, keine menschliche Begegnung, keine Freundschaft, kein Liebeserweis ist verloren in der Ewigkeit. Genau das meinen wir, wenn wir von leiblicher Auferstehung, der Auferstehung des Leibes sprechen. Der Leib, das ist all das, was uns als Menschen in Beziehung ausmacht.
Und genau deswegen ist der Glaube an die Auferstehung kein Glaube, der mich auf ein besseres Jenseits vertröstet, weil das Diesseits kaum auszuhalten ist. Wenn ich an die leibliche Auferstehung glaube, dann verpflichtet mich dieser Glaube dazu, leidenschaftlich diese Erde zu lieben. Er verpflichtet mich dazu, dass ich trotz meines Versagens mich wie Petrus mit dem Obergewand umgürte, den Sprung wage und so lebe, als ob es wahr sein könnte. Und mich nicht zufriedengebe mit dem Zustand dieser Welt und dieser Kirche. In der trotzigen Hoffnung, dass es nicht umsonst ist, werfe ich die Netze meiner Sehnsucht noch einmal aus. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/04/sea-g321dd0a3f_1280.jpg9051280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-04-23 11:00:222023-04-23 08:53:47Predigt am Dritten Ostersonntag (23.04.2023)
Liebe Schwestern und Brüder, bei dem Stichwort „Quasimodo“ denken vermutlich viele von Ihnen an den Glöckner von Notre Dame. Vermutlich denken Sie an die erfolgreiche Verfilmung des berühmten Romans von Victor Hugo mit Anthony Quinn in der Rolle des buckligen und völlig entstellten Glöckners – an der Seite von Gina Lollobrigida als schöne und verführerische Esmeralda. Seinen Namen verdankt der Glöckner dem Tag, an dem er als Findelkind vor der Kathedrale Notre Dame in Paris gefunden wurde: dem Sonntag Quasimodo. Damit ist der Sonntag nach Ostern gemeint, der nach seinem Introitus, also nach dem Eingangsgesang der Messe dieses Tages, benannt ist. Der beginnt mit den Worten „Quasi modo geniti infantes“. Auf Deutsch: „Gleichsam wie neugeborene Kinder“. Wir haben ihn zu Beginn der Messe gesungen. Der Sonntag Quasimodo ist also heute. Wir nennen ihn auch Weißen Sonntag.
Wenn man in die Zeit der frühen Kirche zurückgeht, erklärt sich, warum der heutige Sonntag „Weißer Sonntag“ heißt und warum wir genau diesen Introitus singen: Damals war der zentrale Termin für die Taufe die Osternacht. In einem zumeist dreijährigen sogenannten Katechumenat bereiteten sich die Taufbewerber auf die Taufe vor und wurden in den Glauben eingeführt. An der Heiligen Messe durften sie in dieser Zeit noch nicht teilnehmen. Da sie eben „heilig“ war, wollte man sie vor Nicht-Gläubigen schützen und gestattete nur Getauften die Teilnahme an der Messe. Die Einführung in die Eucharistiefeier und die theologisch-spirituelle Bedeutung ihrer Riten geschah also erst nach der Taufe, insbesondere in der Woche nach Ostern, und zwar während der Messe selbst. Vermutlich im 7. Jahrhundert entstand dann der Brauch, dass die Neugetauften zu den Messen an den Tagen der Osteroktav ihre weißen Taufgewänder anzogen und sie dann am Sonntag nach Ostern wieder ablegten. Daher also der Name „Weißer Sonntag“.
Der Introitus wiederum hat genau diese Neugetauften im Blick: Der Text lautet in deutscher Übersetzung: „Gleichsam wie neugeborene Kinder, vernünftig, ohne Hinterlist, verlangt nach Milch.“ Die Worte stammen aus dem 1. Petrusbrief (2,2) und machen bildhaft deutlich, dass die Neugetauften im Glauben weiter genährt werden müssen, damit sie im Glauben wachsen, so wie Säuglinge die Muttermilch für ein gesundes Wachstum brauchen. Aus dem Kontext des 1. Petrusbriefs geht hervor, was mit dieser „vernünftigen und unverfälschten Milch“, wie es dort wörtlich heißt, gemeint ist: nämlich das Wort Gottes, das lebt und bleibt (1,23). Das ist die Nahrung, die unseren Glauben wachsen lässt. Deshalb müssen wir dieses Wort immer wieder verkosten, betrachten, meditieren, wenn wir im Glauben wachsen wollen. Nach diesem Wort sollen wir verlangen, wie Säuglinge, die nach der Muttermilch schreien und nicht eher still werden, bis sie gestillt werden. Ja, wir sollen uns sehnen nach dem lebendigen Wort. Auch diese Bedeutung steckt in dem Verb des griechischen Urtexts, das hier mit „verlangen“ übersetzt wird. Denn die Sehnsucht treibt uns an, uns immer wieder nach diesem Wort auszustrecken, nach dem Wort, das in Christus Fleisch geworden ist, ja das Christus selbst ist. Und jetzt mal Hand aufs Herz, liebe Schwestern, liebe Brüder: Wie sieht es mit Ihrer Sehnsucht nach Gott und seinem Wort aus? Wie oft nähren Sie ihren Glauben damit?
Ich habe den Eindruck, dass viele Christen gar nicht nach diesem Wort verlangen, gar keine Sehnsucht mehr nach Christus in sich spüren und dem entsprechend im Glauben nicht wachsen, nicht erwachsen geworden sind. Das ist vielleicht ähnlich wie in der Gemeinde von Korinth, denen Paulus in seinem ersten Brief schreibt: „Vor euch, Brüder und Schwestern, konnte ich aber nicht wie vor Geisterfüllten reden; ihr wart noch irdisch eingestellt, unmündige Kinder in Christus. Milch gab ich euch zu trinken statt fester Speise; denn diese konntet ihr noch nicht vertragen. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht; denn ihr seid immer noch irdisch eingestellt.“ (1Kor 3,1-3)
Und deshalb macht es meines Erachtens auch nur begrenzt Sinn, wenn wir in Deutschland auf dem Synodalen Weg über kirchliche Strukturen diskutieren. Ich sage nicht, dass das unwichtig ist oder dass sie nicht reformbedürftig sind, aber was nützen uns neue Strukturen, wenn das Fundament fehlt oder brüchig ist? Das ist doch der Grund, warum so manches in unserer Kirche „schief“ ist. Und mit Fundament meine ich einen erwachsenen Glauben! Und das ist nichts Äußerliches, kein starres Befolgen von Regeln und Riten, keine Ideologie, keine bloße Weltanschauung, kein „Ich glaube an Gott“, sondern ein „Ich glaube Dir, Gott“, also eine tiefe Gottesbeziehung, aus der heraus ich lebe und meine Leben gestalte, die mir Kraft, Hoffnung, Sinn und Orientierung gibt. Eine Christusbeziehung, die ausstrahlt und mich zu einem überzeugenden Boten des Evangeliums macht. Das vermisse ich oft in unserer Kirche, auch bei vielen Hauptamtlichen – bis hinauf zu den Bischöfen und Kardinälen. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum immer weniger Menschen zu uns in die Kirche kommen, warum viele Menschen, die auf der Suche sind, die in eine Sinnkrise geraten, gar nicht erst auf die Idee kommen, bei uns Christen nachzufragen und nach Antworten zu suchen. Sicher spielen hierbei auch die Missbrauchsfälle und verkrustete, völlig veraltete kirchliche Strukturen eine Rolle. Aber vor allem liegt es aus meiner Sicht daran, dass wir es nicht schaffen, die frohe Botschaft überzeugend weiterzugeben, so dass sie die Menschen unserer Zeit erreicht, weil wir oft selbst die Botschaft nicht wirklich verinnerlicht haben und daraus leben, weil wir die Sehnsucht nach dem Wort Gottes mit anderen, vergänglichen Dingen versuchen zu stillen oder auch sie zu betäuben.
Der heutige Sonntag, der in besonderer Weise die Neugetauften im Blick hat, kann uns, die vermeintlich „alten Hasen“, ermutigen, uns wieder zurückzubesinnen auf unsere eigenen Glaubensanfänge, auf frühere Gotteserfahrungen, die uns bewegt oder angerührt haben, damit unsere Sehnsucht nach Gott wieder neu entfacht wird. Uns allen hat er eine Sehnsucht nach ihm ins Herz gelegt. Die ist vielleicht im Laufe der Zeit ein wenig heruntergebrannt und glimmt nur noch. Denn wer im Glauben voranschreitet, macht immer wieder auch die Erfahrung, dass Gott sich seinem Gespür entzieht. Der macht Erfahrungen geistlicher Trockenheit oder – wie Johannes vom Kreuz, ein großer Mystiker im 16 Jahrhundert, es nennt – Erfahrungen der „dunklen Nacht des Glaubens“. Und das lässt die Sehnsucht nach Gott schon mal erlahmen. Doch Johannes vom Kreuz sieht hierin Gott als Pädagogen am Werk, der uns immer wieder zu geistlichem Wachstum anregen will und herausfordert. Auch er benutzt das Bild des Säuglings, um es anschaulich zu machen. Er schreibt: „Wenn sich ein Mensch mit Entschiedenheit dem Leben mit Gott zuwendet, pflegt Gott ihn zumeist geistlich zu umsorgen wie eine liebende Mutter ihr neugeborenes Kind: Sie wärmt es an ihrer Brust, nährt es mit ihrer süßen Milch, trägt es auf den Armen und herzt es. In dem Maße aber, wie es heranwächst, entzieht ihm die Mutter solcher Art Zärtlichkeiten, sie bestreicht die bisher süße Brust mit Bitterem, lässt es von den Armen herab, damit es auf eigenen Füßen stehen lerne, die Art des Säuglings ablege und nach kernigerer Nahrung verlange. Nicht anders verhält sich die Gnade Gottes, diese liebende Mutter, sobald ein Mensch zu neuem Leben in Gott wiedergeboren wird.“
Doch nicht nur heute, auch zu Lebzeiten des Johannes sind viele im Glauben nicht gewachsen, sondern Kinder geblieben. Er schreibt: „Es ist beklagenswert, so viele Menschen sehen zu müssen, denen Gott alle Gaben und Gnaden verleiht, um voranzukommen, und würden sie Mut fassen, so könnten sie es. Sie aber bleiben bei ihrer niedrigen Art mit Gott umzugehen, weil sie es nicht anders wollen oder wissen oder niemand da ist, der sie aus den Kinderschuhen der Frömmigkeit herausführen könnte. Beschenkt sie unser Herr schließlich doch so reich, dass sie dennoch vorankommen, so gelangen sie doch wesentlich später, mühseliger … ans Ziel, weil sie sich Gott nicht überlassen haben. … Sie sind wie kleine Kinder: wenn ihre Mütter sie auf den Arm nehmen möchten, strampeln und schreien sie, weil sie unbedingt selber laufen wollen, obwohl sie es doch nicht können und wenn, dann nur mit Kleinkind-Schritten.“
Der heutige Sonntag lädt uns ein, im Glauben voranzuschreiten, zu wachsen, der Sehnsucht nach Gott wieder mehr Raum in unserem Leben, in unserem Herzen zu geben. Lassen wir sie von Gott wieder neu entfachen. Sein Wort will uns dabei Nahrung sein. Nehmen wir es immer wieder zu uns, vertiefen wir uns darin, „kauen“ wir es. Manchmal muss man länger kauen, wie beim Schwarzbrot, bis es seinen vollen Geschmack preisgibt. Nur Gott vermag unsere Sehnsucht wahrhaft zu stillen. Er selbst hat eine unendliche Sehnsucht nach uns und wartet nur darauf, dass wir uns ihm zuwenden. Oder noch einmal mit Johannes vom Kreuz: „Vor allem muss man wissen: Wenn der Mensch Gott sucht– viel früher schon sucht Gott den Menschen.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/04/child-gd523740e6_1920.jpg10801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-04-16 10:38:492023-04-16 10:38:49Predigt am Zweiten Ostersonntag (16.4.2023)
Wer mit „Nein“ antwortet, für den scheint das Thema erledigt zu sein: Keine Auferstehung, kein Ostern!
Wer mit „Ja“ antwortet, bekommt es gleich mit weiteren, noch drängenderen Fragen zu tun: Ist die Auferstehung Jesu nur ein historisches Ereignis, dessen wir jährlich freudig gedenken?
Oder ein Ereignis, das mein Leben begleitet und prägt?
Was bedeutet es für mich, dass Jesus auferstanden ist?
Die Frage nach der Auferstehung Jesu wird schnell existentiell, betrifft eine jede, einen jeden von uns persönlich, denn was genau die Jüngerinnen und Jünger Jesu nach dem Schock der Kreuzigung, die sie zum Abtauchen in Flucht oder Versteck führte, erfahren haben, wissen wir nicht. Tatsache aber ist, dass aus dem Sich-Verstecken Aufbruch wurde, aus Verzweiflung Hoffnung, aus Flucht Bekenntnis.
In den frühen Bekenntnisformeln und späteren Ostererzählungen finden sich verschiedene Bilder und Vorstellungen, um das Ereignis zu beschreiben, das die Jüngerinnen und Jünger Jesu von der Todesstarre zum Aufbruch ins Leben führte: Erscheinung, Wiederkunft, Auferweckung, Auferstehung, Neuschöpfung, Geistwirken.
Wir bleiben herausgefordert, die Leerstelle auszuhalten und Glauben zu wagen. Dabei können uns jene unterstützen, die, wie wir gerade im Evangelium gehört haben, ebenfalls mit einer Leerstelle konfrontiert worden sind, mit dem leeren Grab.
Während andere Jüngerinnen und Jünger auf Kreuzigung und Tod Jesu mit Lähmung oder Rückzug oder Flucht nach Galiläa reagieren, drängt es Maria von Magdala zum Grab Jesu.
Noch in der Dunkelheit vor Tagesanbruch geht sie zum Grab, wo sie sofort sieht, dass der Stein weggenommen ist. Schrecken, Empörung und Verzweiflung durchfahren sie und sogleich läuft sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagt: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“ (Jo 20,2).
Die beiden Jünger eilen dann gemeinsam mit ihr zum Grab. Der andere Jünger ist schneller als Petrus, kommt als Erster ans Grab, beugt sich vor, sieht die Leinenbinden, geht jedoch nicht hinein, sondern lässt Simon Petrus den Vortritt.
Der geht hinein, sieht die Leinenbinden und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte, zusammengebunden an einer besonderen Stelle.
Auch der andere Jünger geht hinein, sieht und glaubt. Während Petrus zuvor die Situation zur Kenntnis nimmt, blitzt beim Jünger, den Jesus liebte, der Glaube auf – Erkenntnis eines geliebten und liebenden Herzens? Allerdings ist es eher ein kurzes Aufblitzen des Glaubens, das letztlich ohne Folgen bleibt, denn beide Jünger kehren wieder nach Hause zurück. „Denn“, so heißt es, „sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse“ (Jo 20,9).
Maria aber bleibt zurück, harrt aus, will Abschied nehmen am Ort seiner letzten Gegenwart, am Ort, wo sich seine letzte Spur verliert. Sie hofft, diese Spur wieder zu finden, steht draußen vor dem Grab und weint.
In ihrer Trauer können ihr selbst die beiden Engelsgestalten, die sie beim Hineinbeugen in das Grab sieht, nicht weiterhelfen.
Vielmehr wendet sie sich zurück, will sich resigniert zurückziehen, in Trauer und Schmerz versinken. Doch im Umwenden sieht sie jemanden dastehen, den sie für den Gärtner hält, auch ihm klagt sie ihre Not, dass jemand den geliebten Verstorbenen weggebracht habe (vgl. 20,14f.).
Erst als er sie mit ihrem Namen anspricht, wendet sie sich ihm wirklich zu, erkennt ihn und antwortet mit einem Wort vertrauter Anrede: Rabbuni, mein Herr.
Diesen Moment der Begegnung verdichtet Susanne Ruschmann in ihrem Gedicht „Wendezeit“:
Wendezeit in der Wende
zwischen Schmerz und Trost
zwischen Trauer und Freude
zwischen Ende und Neubeginn
zwischen Nacht und Tag
GOTTES BEGEGNUNG
beim Namen gerufen werden
die Stimme des Anfangs hören
umgekehrt werden
von der Suche nach dem Toten
zur Begegnung mit dem Leben
neu ausgerichtet sein
weil das Zwischen
mit meinem Namen gefüllt ist
weil in der Wende
Gott begegnet.
Maria hat Jesus erkannt und will, wie das vertraute „Rabbuni“ zeigt, sich ihm ganz hinwenden, es so werden lassen wie früher. Doch einem solch rückgreifenden Zugriff entzieht sich der Auferstandene.
Maria von Magdala muss lernen, dass Jesu Gegenwart nach seinem Tod eine andere ist als vorher. Entsprechend weist Jesus auch ihren spontanen Impuls, ihn zu berühren, anzufassen, zu begreifen – die zutiefst menschliche Form der Vergewisserung von ‚Wirklichkeit‘ – recht deutlich, fast scharf zurück: „Halt mich nicht fest!“ oder wie es manche Exegeten zugespitzt formulieren: „Lass mich los!“.
Maria und mit ihr alle, die dem Auferstandenen nachfolgen, müssen lernen, dass es angesichts des leeren Grabes nicht darum geht, das Andenken eines Toten zu pflegen oder Vergangenes zu beschwören, sondern darum, ihn als Lebenden zu erfahren.
Eine realistische Beziehung zum Auferweckten
kann nur Beziehung in Entzogenheit sein, die zugleich eine neue Weise der Gemeinschaft eines dauerhaften Beieinander-Bleibens mit ihm ist. Diese neue Weise setzt aber voraus, die frühere Art der Beziehung, des menschlichen Umgangs miteinander loszulassen.
Und Maria Magdalena lässt los, wendet sich vom Grab ab und geht den Weg in die Verkündigung, zu der er sie gesandt hat. „In dieser Wende vollzieht sie selbst eine Auferstehung von der trauernd Suchenden zur Verkünderin der Osterbotschaft“ (Susanne Ruschmann, Maria von Magdala, Münster 2002, 164).
Maria Magdalena ist somit in der Ostererzählung des Johannesevangeliums nicht nur die Erste am Grab, die Erste, die dem Auferstandenen begegnet, sondern auch die Erste, die ihn bezeugt: „Ich habe den Herrn gesehen.“
So wie Maria Magdalena sollen auch wir, Jesus als dem Auferstandenen begegnen, auf ihn hören und ihn bezeugen.
Damit ist eine jede, ein jeder von uns gefragt.
Kehren wir also noch einmal zur Ausgangsfrage zurück: Ist Jesus auferstanden – oder ist er es nicht?
Der frühere Bamberger Generalvikar Alois Albrecht antwortet auf diese Frage:
„Wenn Dich einer fragt: glaubst Du an das leere Grab,
glaubst Du an das Ostern Jesu, seine Auferstehung
und sein Leben, dann sag nicht sofort Nein oder Ja.
Mach dir bewusst, dass ein Nein Dein Leben in die Enge treibt,
deren Schluss der Tod ist.
Und mach dir umgekehrt bewusst, dass Dein Ja Dein Leben in die Weite führt, deren Endpunkt Gott ist.
Vor wem willst Du stehen und wofür kannst Du leben?
Du kannst Dich für ein Nein entscheiden und zittern. –
Ich habe mich für ein Ja entschieden – und singe!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/04/Angelico_noli_me_tangere-scaled.jpg25601958Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-04-10 15:22:342023-04-10 15:22:34Predigt am Ostersonntag (9.4.2023)
Die Auferweckung des Lazarus leitet im Johannesevangelium zur Passion Jesu über. Das Abschiedsmahl mit seinen Jüngern, der Leidensweg, die Hinrichtung am Kreuz stehen bevor. Der Beschluss, Jesus zu töten, fällt gleich nach der Auferweckung des Lazarus – zuvor hatte man es schon einmal versucht – wir hörten davon. Die Auferweckung des Lazarus und Jesu eigene Auferstehung sind auch geografisch nah: Bethanien liegt bei Jerusalem. Die Auferweckung des Lazarus stimmt auf das kommende Geschehen um Jesus ein. Das zentrale Thema wird gesetzt: Das Leben ist stärker als der Tod – sogar im Tod ersteht das Leben neu. Damals wie heute – dort und überall.
Bald – an Ostern – feiern wir das. Dazu passt die Welt um uns: In diesen Frühlingstagen erwacht die im Winter scheinbar gestorbene Natur zu neuem Leben. Überall kann Leben neu erweckt werden, vielleicht nicht sofort sichtbar, vielleicht nur leise, klein und unscheinbar, vielleicht langsamer, als wir es ersehnen – und doch unzerstörbar. Der Grund ist: Gott ist auch im Tod – in all seinen Formen – als neues Leben gegenwärtig. Es will geboren werden, wachsen, reifen, aufblühen und Frucht bringen – auch durch uns – durch jeden einzelnen von uns. Gott ruft uns, er beruft jeden einzelnen. Es ist der göttliche Ruf aus Liebe, der uns zum Leben auferwecken will.
Die Auferweckung des Lazarus durch Jesus entfaltet beispielhaft diese Wahrheit. Da geht es von Anfang an menschlich zu: Maria, Marta und Lazarus leben als Geschwister in einem Dorf – ausdrücklich erfahren wir, dass Jesus die drei liebt. Maria hatte ihre Liebe zu Jesus öffentlich gezeigt, als sie ihm die Füße gesalbt und mit ihren Haaren getrocknet hatte.
Jetzt sind die beiden Schwestern in Sorge: Ihr Bruder Lazarus ist krank. Die beiden sind in Not – in den ersten Versen kommt dreimal das Wort ‚krank‘ vor – sie machen sich viel Sorge. Wie sehr sie auf die heilende Liebe Jesu bauen wird in der Nachricht deutlich, die sie Jesus senden: „Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank.“ Es heißt nicht: „Lazarus ist krank“, nein, es heißt: „Der, den du liebst, … “ – so hatten die Schwestern ihn erlebt. Jesu Lieben ist der Grund ihrer Hoffnung auf Heilung.
Jesus bricht nicht gleich zu ihnen auf, sondern weitet die Perspektive und bringt Gott ins Spiel, weil Gott die Quelle der Liebe ist. Er sagt: „Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes.“ Jesus verherrlicht Gott, indem er diesen Menschen liebt, das heißt: ihm neues Leben schenkt. Gott will nicht um seiner selbst willen verherrlicht werden – der Mensch ist das Ziel und die konkrete Verkörperung der Liebe Gottes. Wie ein bestätigendes Ausrufezeichen passt dazu der direkt folgende Vers: „Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus.“
Und diese Liebe nimmt sich Zeit, vielleicht braucht sie Zeit: Jesus bleibt noch zwei Tage – erst dann bricht er auf. Als er ankommt, ist Lazarus längst tot, schon vier Tage im Grab. Marta kommt Jesus allein entgegen – das Trösten der vielen Leute hatte ihr nicht geholfen, es war nur ein Vertrösten. Sie bricht aus der dörflichen Enge Bethaniens aus und spricht Jesus an. Im Dialog über Tod und Auferstehung schöpft sie Zuversicht und ihre neu gewonnene Festigkeit offenbart sie im Bekenntnis: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ Die Liebe Jesu hat Marta zum Vertrauen – das bedeutet Glauben – geführt.
Das gelingt ihrer Schwester Maria nicht. Sie bleibt im Haus sitzen und bricht erst auf, als ihre Schwester sie ruft. Sie fällt Jesus mit dem Satz „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“ vor die Füße – sie ist ganz Vorwurf. Sie öffnet sich nicht für Jesus, spricht nicht mit ihm, in ihr wächst kein neues Vertrauen, kein neuer Glaube – im Gegenteil: sie bleibt im Weinen stecken, wie die ganze Entourage der Juden.
Als Jesus das sieht, ist er „im Innersten erregt und erschüttert“. Jesus ruht nicht distanziert und unberührt verklärt in sich, nein: Er bebt. Seine Energie setzt er ein und geht alle an: „Wo habt ihr ihn bestattet?“ Jesus sucht den Menschen – sogar den toten Menschen. Sie wollten Lazarus schnell und endgültig loswerden, ihn beseitigen – die Fakten waren ja klar.
Diese kollektive hartherzige Kälte lässt Jesus nur noch eines tun: Er weint – in ihm kommt etwas in fließende Bewegung. Die Juden täuschen sich weiter: In ihrer Ignoranz meinen sie, sein Weinen sei Ausdruck seiner Liebe zu Lazarus. Ihr Irren gipfelt in der spekulativ-spitzen Frage: „ …, hätte er nicht verhindern können, dass dieser hier starb?“ Und wiederum bebt Jesus. Nun kommt er auch äußerlich in Bewegung: Er geht los, er kommt zum Grab, das – wie sein eigenes später – mit einem Stein verschlossen ist. Todsicher eben! Jesus lässt den Stein wegnehmen und auch Martas Einwand – „Herr, er riecht aber schon, …“ – hält ihn nicht auf – biologische Abläufe bremsen ihn nicht.
Die Kraft zur folgenden Auferweckung hat Jesus nicht aus sich selbst, sondern von seinem göttlichen Vater, zu dem er Augen und Seele erhebt und ihm dankt. Jesus macht sich durchlässig für Gott. Gottes Lieben wird jetzt durch Jesus menschlich wirksam, indem er ruft: „Lazarus, komm heraus!“ Jesus ruft Lazarus mit seinem Namen und der steht für diesen göttlich einmaligen konkreten Menschen. Am Anfang hieß es „Ein Mann war krank“ – jetzt würdigt Jesus ihn als eine Person mit eigenem Namen, als menschlich-göttliche Person, als ein Kind Gottes.
Der Ruf Jesu zielt auf einen, der im Leben krank, gestorben und begraben war. Die dörfliche Enge Bethaniens, die erstickende schwesterliche Übersorge und eine religiös bornierte Entourage, die das Evangelium einfach nur „die Juden“ nennt, hatten ihn ins Grab gebracht. Jesu Ruf „Lazarus, komm heraus!“ ist eine Berufung ins Leben – buchstäblich eine Heraus-Forderung, die Lazarus aktiv annimmt: Jesus holt ihn nicht aus dem Grab – Lazarus kommt selbst heraus: Auferweckung ist aktives Mittun! Lazarus geht selbst erste Schritte in sein auferwecktes Leben.
Der Ruf meint auch: „Lazarus, komm aus Dir heraus!“ – komm aus dem Grab, in das man einen Menschen schon in diesem Leben einschließen kann. So wird wahr, was Jesus von sich sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ – Er sagt nicht: „Ich werde die Auferstehung sein …“, er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Also: Jetzt und nicht erst irgendwann.
Die Umgebung kann dabei unterstützen. In diese Richtung gehen Jesu Aufforderungen: „Löst ihm die Binden …!“ Es klingt wie eine Ent-Bindung, eine neue Geburt in sein Leben hinein – jeder kann Geburtshelfer sein. Das Binden-Lösen ermöglicht buchstäblich Ent-Wicklung. Das verhüllte Gesicht wird frei – Lazarus zeigt sein Gesicht – es ist Abbild seiner Persönlichkeit und erinnert an die Uranfänge, als Gott den Menschen nach seinem Bild schuf. Und weiter: „ … lasst ihn weggehen!“ Niemand soll ihn aufhalten! „Weggehen“ kann auch als „Weg gehen“ gelesen werden: Es geht um selbstbestimmtes Suchen und Finden des eigenen Lebensweges – für Lazarus und jeden von uns. Die Auferweckung endet hoffnungsvoll – Jesu Wirken bleibt nicht folgenlos: „Viele der Juden, die (…) gesehen hatten, was er getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.“ Spät, aber nicht zu spät, möchte man ergänzen.
Und doch folgt der Beschluss, Jesus bald zu töten. Denn menschlich-göttliches Wirken ist als kreativer Störfaktor allen „Systemen“ verdächtig, weil es überholte Normen in Frage stellt und eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster erschüttert. Es entlarvt die Angst, die hinter Privilegien und Machtgehabe steckt. So gesehen ist es logisch, dass dieser Jesus, der zu einfacher und ursprünglicher Lebendigkeit auferweckt, auszugrenzen und letztendlich zu beseitigen ist. Und nach ihm viele, bis auf den heutigen Tag.
Befreiendes Sich-lieben-lassen geht weiter und es wächst – trotz allem. Es verwandelt die Anarchie tödlicher Gewalt in die Anarchie des Liebens. Die findet ihre Grenze an der Würde und Freiheit aller Kinder Gottes und der ganzen Schöpfung – bis dahin ist himmlisch viel Luft nach oben. Das können wir leben und feiern – besonders an Ostern. Alle sind eingeladen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/03/easter-bells-g785c8e142_1920.jpg14401920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-03-27 08:44:062023-03-27 08:44:06Predigt am Fünften Fastensonntag (26.3.2023)
Am 21. März feiern die Benediktinerklöster das Hochfest des Transitus ihres Ordensvaters Benedikt, also seines Übergangs von diesem Leben in die Welt Gottes. Es ist eine gute Tradition, dass wir dieses Fest gemeinsam mit unserem Freundeskreis feiern, der an diesem Tag auch seine Jahreshauptversammlung abhält. Gastprediger war Pfr. Wolfgang Severin, Pfarrer an der Deutschen Gemeinde in Brüssel, der schon seit vielen Jahren mit Firmlingen in unser Kloster kommt. Wir danken ihm ganz herzlich für seine Worte, die wir im folgenden dokumentieren:
Ich weiß nicht, wie Sie ihn sich vorstellen, Ihren letzten Atemzug auf dieser Erde.
In einem Krankenhaus oder im Altersheim? Alleine oder von Ihren Liebsten umgeben? Bewusst oder unbemerkt im Schlaf? Geplant von einer Sterbehilfeorganisation mit einer letzten Fahrt in die Schweiz und mit Ihrer Lieblingsmusik oder ohne jede Vorbereitung bei einem Unfall von einem Auto überfahren oder bei einem Flugzeugabsturz?
Oder vielleicht haben Sie es sich noch gar nicht vorgestellt oder, sobald der Gedanke dazu kam, ihn schnell weggedrückt: Steht noch nicht an, erst morgen oder übermorgen oder wenn es so weit ist, dann ist es noch früh genug.
Wie auch immer Sie es sich vorstellen, die wenigsten werden es sich so wünschen, wie es vom Hl. Benedikt berichtet wird.
Als er bemerkte, dass es auf das eigene Sterben zuging, so erzählt es die Heiligenlegende, ließ er sechs Tage vor seinem Tod sein Grab ausheben und bat am siebten Tag seine Mitbrüder, ihn in die Kapelle zu führen;
dort stand er, gestützt von ihnen mit einem letzten Gebet auf den Lippen, den Weg zum Himmel offen sehend, um dann seinen letzten Atemzug zu tun und hinüberzugehen in das Reich des Lichtes.
Als Pfarrer führe ich des Öfteren Gespräche über das Sterben, aber diese Version steht nie auf der Liste der Menschen. In der Regel wünschen wir uns, dass es schnell und für uns selbst möglichst unbemerkt gehen möge, einfach einschlafen und nicht wieder wach werden – so erhoffen es die Allermeisten.
Und verstehen Sie mich richtig:
Das ist ja auch nachvollziehbar.
Das Unangenehme möchten wir zur Seite schieben, es möglichst in den hintersten Winkel unseres Bewusstseins verstecken und dabei hoffend, dass, wenn es schon sein muss, es hoffentlich schnell vorübergeht – und was gibt es schon Unangenehmeres als den Tod. Wenn er schon unausweichlich ist, dann möge er es bitte kurz machen. Und er möge sich bitte nicht von weitem ankündigen, sondern lieber schnell und überraschend aus der Hecke springen.
Und doch: Sie werden es zugeben müssen. Unabhängig ob es beim Hl. Benedikt so war, wie es erzählt wird oder nicht, so hat diese Geschichte seines Todes doch etwas Faszinierendes an sich. Es fasziniert, dass dort offenbar jemand KEINE Angst vor dem da Kommenden hat, es fasziniert, dass der Heilige Schritt für Schritt seines Sterbens bewusst gehen konnte, nahezu planen konnte, es fasziniert, dass er dabei nicht in Trauer und Selbstmitleid verfiel, sondern zuversichtlich und hoffnungsvoll, voller Erwartung war.
Der Tod kontrollierte nicht ihn, sondern umgekehrt: Benedikt nahm ihm seine bedrohliche Kraft, indem er ihn annahm, gestaltete und als das sah, was er für ihn als tiefgläubiger Mensch war: Durchgang zu seiner Bestimmung, Übergang zur wahren Heimat, Vereinigung mit Gott.
Nun, werden Sie sagen, der war ja auch ein Heiliger. Da muss das so sein.
So ist das wohl.
Und dennoch wünschen wir uns doch selbst, etwas von dieser Lebens- und Todeseinstellung zu haben. Wir wünschten uns doch für uns selbst, nicht vor lauter Angst vor dem Tod ihn ständig zu verdrängen, um ihn am Ende doch siegen zu sehen, sondern ihm aufrecht und mit geradem Blick ins Auge zu sehen. Wir möchten menschenwürdig sterben, so sagen wir – und meinen damit, nicht einsam und alleine an einer Vielzahl von Schläuchen und piependen Maschinen angeschlossen, sondern der Würde eines Menschen entsprechend, menschenwürdig eben.
Was heißt das? Was ist eines Menschen würdig? Welches Sterben, welcher Tod, welches Leben?
Wir feiern ja in der Regel einen Heiligen nicht an seinem Geburtstag, sondern meistens an seinem Todestag, so auch heute hier, Jahr für Jahr. Wir feiern den Todestag des Hl. Benedikt, nicht seinen Geburtstag, nicht den Tag der Klostergründung in Montecassino, sondern den Tag seines Sterbens. Der Todestag ist der Dreh- und Angelpunkt, von dem aus wir die Vergangenheit eines Menschen, sein Leben also, betrachten und seine Zukunft, das also, was wir für ihn NACH seinem Tod erwarten.
Wir sagen, dass es neben ein paar anderen Dingen das Bewusstsein ist, dass uns als Menschen von den Tieren unterscheidet. Auch wenn man inzwischen feststellen konnte, dass auch manche Tierart eine Art von Bewusstsein hat, so wird es sich doch graduell von dem des Menschen unterscheiden. Auch wenn ein Tier sich – und damit wird untersucht, ob ein Tier ein Bewusstsein von sich selbst hat – in einem Spiegel erkennt, dann heißt das noch lange nicht, dass ein Schimpanse, ein Delphin oder ein Elefant sich des eigenen Sterbens bewusst ist.
Gegenwärtig sieht es so aus, als wäre das nach wie vor dem Menschen vorbehalten.
Ein Wissen zwar, auf das wir allermeistens verzichten möchten, aber es macht uns offenbar zum Menschen. Es entspricht der Würde des Menschen, von seinem Tod zu wissen. Es ist des Menschen würdig, diesem Wissen entsprechend zu leben und zu sterben, menschenwürdig eben.
Warum das so ist?
Vermutlich weil das ein in Kauf zu nehmendes Nebenprodukt menschlichen Bewusstseins ist.
Das Bewusstsein ist naturwissenschaftlich nach wie vor ein großes Rätsel.
Wir wissen zwar, dass wir es haben, es gibt Thesen darüber, wie es in unserem Gehirn entsteht, aber keine endgültige Sicherheit über seine Entstehung.
Religiös gesprochen aber könnte die Tatsache, dass wir von unserem Tod wissen, ein Fingerzeig Gottes sein, ein Fingerzeig auf ihn hin. Mal angenommen es wäre wirklich wahr, was wir als Christen glauben, nämlich dass nach dem Tod nicht das Nichts kommt, sondern das Leben in Gemeinschaft mit Gott, wenn das Leben nicht durch den Tod begrenzt wäre, sondern ewig wäre. Nur mal angenommen es wäre wirklich wahr, dass wir in Ewigkeit gar nicht sterben können, sondern der Tod nur vermeintlich wäre, nur ein Übergang in eine andere Form des Lebens, wäre es dann nicht sinnvoll, dass Gott uns daran erinnert?
Wir wissen vom Tod, weil er uns daran erinnert, dass wir nicht für das Leben auf der Erde bestimmt sind, sondern für das ewige bei Gott.
Wenn wir vom Tod nicht wüssten, wüssten wir nicht von Gott, wenn wir uns unseres Sterbens nicht bewusst wären, wären wir uns nicht des ewigen Lebens bewusst.
Der hl. Benedikt ist auch deswegen ein Heiliger geworden, weil er nicht nur vom Wesen des Lebens wusste, sondern auch vom Wesen des Todes.
Er erzählt uns mit seinem Leben UND seinem Sterben bis heute vom Sinn menschlicher Existenz. Er bezeugt, dass wir von Gott kommen und zu Gott gehen. Christen erahnen, dürfen glauben, dass sie aus der Ewigkeit in diese Welt geboren werden und mit dem Tod in die Ewigkeit zurückkehren, heimkehren.
In Todesanzeigen findet es sich leider nicht mehr sehr oft, aber früher war es gang und gäbe. Da hieß es immer:
Am soundsovielten ging der und der HEIM zu Gott. Man sprach von Heimkehr, vom Heimgang eines Menschen. Daraus sprach das Bewusstsein, dass die wahre Heimat des Menschen die ewige ist, nicht die vergängliche, nicht die Erde, sondern der Himmel.
Wenn das aber so ist, stellt sich doch automatisch die Frage, warum wir überhaupt hier sind? Warum leben wir? Warum nehmen wir nicht die Abkürzung und bleiben gleich in der Ewigkeit ohne Umweg über das doch oft beschwerliche Leben auf diesem Planeten? Warum?
Warum die Schmerzen der Geburt, das Auf und Ab der vielen Lebensstationen mit Glück und Unglück, mit Gesundheit und Krankheit, mit Liebe und mit Hass, mit Krieg und Frieden?
Genau darum! Wir sind in der Welt, um in der Welt zu sein. Wir sind in der Welt, um in der Welt zu sein.
Wir alle wissen Dinge erst dann richtig zu schätzen, wenn sie vergangen sind. Erst wenn uns eine Krankheit erwischt, wissen wir unsere Gesundheit zu schätzen. Erst wenn eine Freundschaft aus irgendwelchen Gründen beendet wurde, wissen wir diese Freundschaft erst wirklich zu schätzen.
Erst wenn Krieg in der Welt ist, wissen wir den Frieden erst wirklich zu schätzen.
Und: Vielleicht lernen wir den Himmel erst richtig zu schätzen, wenn wir mal auf der Erde gelebt haben.
Gott ist die Liebe – so sagt es uns der 1. Johannesbrief. Gott ist die Liebe. Wenn wir also glauben können, von Gott zu kommen, dann kommen wir aus der Liebe, aus der tiefen Verbundenheit von allem, aus einer unbeschreiblich tiefen Einheit – und wenn wir glauben können, nach dem Tod wieder zu Gott zu gehen, dann glauben wir, wieder in diese tiefe Verbundenheit zurückzugehen.
Und dazwischen liegt das Leben hier, auf dieser Erde, hier in dieser Welt. Dazwischen liegen die Erfahrungen von Gesundheit und Krankheit, von Wut und Freude, von Trauer und Glück, von Hass und Liebe. Hier auf dieser Erde erleben wir, wie es ist, NICHT ständig in Liebe und in Verbundenheit mit Gott zu leben. Wir sind getrennt, voneinander und von ihm.
Aber das ist nicht die ganze Wahrheit des Menschen, der menschlichen Existenz: Innerlich sind wir immer noch miteinander und mit Gott verbunden- mit dem unzerstörbaren Band der Liebe.
Jesus sagt in einem Gebet in seinen Abschiedsreden im Johannesevangelium: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein; ich in ihnen und du in mir. Was für ein Satz: Ich in ihnen, Du in mir. Alle eins.
Hier beschreibt Jesus die Wirklichkeit der Existenz des Menschen.
In dieser Welt nur vergessen wir das viel zu oft – wir kommen ohne dieses Wissen, ohne diese Gewissheit der Einheit mit der ewigen Liebe auf diese Welt.
Unsere Aufgabe ist es, in diesem Leben Spuren dieser Einheit wiederzuentdecken. Uns daran zu erinnern, wer wir wirklich sind. Dabei hilft uns die Liebe.
Wenn Gott wirklich die Liebe ist, dann ist jede Erfahrung von Liebe eine Gotteserfahrung. Wenn Gott die Liebe ist, dann ist die Liebe Gott. Überall wo mir wirkliche Liebe begegnet, begegnet mir der wirkliche Gott.
Und wenn ich diese Spuren der ewigen Liebe entdeckt habe, entbrennt in mir die Sehnsucht nach dieser ewigen Liebe umso stärker.
Das ist es, was den Hl. Benedikt bewegt hat. Er hatte die Spuren Gottes in der Welt wiederentdeckt. Er ahnte und war gewiss, dass er aus der ewigen Liebe kam und wieder dorthin gehen würde. So wurde der Tod für ihn das Tor zum Leben. Er wusste, dass es unsere Aufgabe ist, uns gegenseitig zurück in die ewige Liebe, zu Gott hinzuführen.
Deswegen spricht mich das Bild vom aufrechtstehenden sterbenden Benedikt so an, aufrecht dem Licht entgegen, gestützt von seinen Brüdern, die ihrer Aufgabe entsprechend ihren Bruder Benedikt ins Licht führen.
Wir sind alle ohne jede Ausnahme in dieser Welt, um uns gegenseitig wieder ins Licht zu führen, uns auf die Spuren der Liebe aufmerksam zu machen, uns gegenseitig zu helfen, darin Gott zu erkennen und damit unser aller Existenz sinnvoll zu machen und zum Ziel zu führen.
Und Sie als Benediktinerkonvent sind und können uns allen damit besonders hilfreich sein. Sie haben Ihre Existenz so offensichtlich für uns alle an diesen Gott gehängt. Natürlich sind auch Sie nur Menschen, nicht heiliger als wir alle – das werden Sie mir hoffentlich verzeihen – aber sie ermöglichen uns mit Ihrer Existenz und Lebensweise einen Hinweis auf diesen Gott, der nicht so leicht zu übersehen ist. Sie teilen miteinander, versuchen sich gegenseitig mit Respekt und Liebe zu begegnen und vereinen sich im regelmäßigen Gebet mit Gott und heben Ihre Gemeinschaft auf eine andere Ebene – nämlich auf die unserer aller wahren Existenz. Und ob sie leben oder schon verstorben sind, Sie nehmen niemanden davon aus.
Mich beeindruckt vieles an der Symbolsprache Ihrer Kirche, aber eines im Hinblick auf Tod und Leben immer besonders – dass Sie als Konvent hier keinen Kreis, sondern einen Halbkreis bilden und der Halbkreis zum vollen Kreis durch die Gräber der Mitbrüder vollendet wird, die auf der anderen Seite der Apsis zu finden sind. Niemand ist ausgeschlossen, alle gehören zusammen, vereint durch den, der hier in unserer Mitte über unseren Köpfen hängt, der Auferstandene, der beide Ebenen, horizontale und vertikale, Erde und Himmel miteinander verbindet.
Was für ein Zeichen, was Sie hier verwalten und leben dürfen – und uns damit alle in dieser Stadt Meschede und darüber hinaus immer wieder daran erinnern, woher wir kommen und wohin wir gehen: aus der Ewigkeit und in die Ewigkeit. Davor muss niemandem angst und bange sein, aufrecht wie der Hl. Benedikt, gestützt von allen, die uns Brüder und Schwestern sind, können wir dem Ewigen entgegen gehen.
Danke für Ihr Zeugnis, liebe Brüder von Königsmünster.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/04/Friedhof.jpg6811024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-03-22 09:33:022023-03-22 09:33:02Predigt am Hochfest des Heimgangs unseres Ordensvaters Benedikt (21.3.2023)
die tollen Tage des Karnevals – so man sie angesichts der weltpolitischen Lage überhaupt zu feiern gewillt war – liegen gerade erst hinter uns, da konfrontiert uns das heutige Evangelium ausgerechnet mit dem Thema Versuchung. Irgendwie ein sperriges Wort: Versuchung.
Im Rückblick auf die hinter uns liegenden Tage des Frohsinns könnte man Versuchung als das Streben nach Vergnügen und Lust, Ausgelassenheit und Unbefangenheit verstehen, wobei die Frage nach der Verantwortung gerne ausgeblendet wird. Aber Versuchung und die Konsequenz daraus meint noch mehr: Es meint das eigene Selbst, die Verwirklichung des eigenen Willens und der eigenen Wünsche in den Mittelpunkt zu stellen. Einer derartigen Versuchung erliegt, wer Gott fern meint und zugleich glaubt, sich sein Glück selbst schaffen zu müssen oder eben ‚seines eigenen Glückes Schmied zu sein‘.
Die kleinen Versuchungen des Alltags kennen wir alle und auch ihnen konnten wir in den vergangenen Tagen wieder leicht erliegen. Es sind Versuchungen, die sehr unterschiedlich sind und jeder von uns kennt da seine eigenen Schwächen am besten. Aber es gibt noch eine andere, gefährlichere Qualität von Versuchung, um den eigenen Willen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen in den Mittelpunkt zu stellen: Das Bloßstellen und Fertigmachen anderer, das vermeintliche Verschaffen von wie auch immer gearteter Macht durch üble Nachrede und Mobbing und schließlich sogar das Durchsetzenwollen des eigenen Denkens und der eigenen Weltanschauung durch den zerstörerischen und vernichtenden Akt von Terror, Gewalt und Krieg. Der Jahrestag des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine führt uns dies leider nur allzu brutal vor Augen.
Wir Menschen sind manipulierbar und verführbar. Immer wieder verraten wir unsere Prinzipien oder Ziele, wir laden Schuld auf uns. Ja, wir Menschen wären gerne mächtig wie Gott. Das ist so seit Anbeginn der Welt – wir hörten davon in der Lesung. Das ist so, seit Adam und Eva durch Versuchung und Verführung das Paradies und damit die ungetrübte Gottesnähe verloren haben.
Das heutige Evangelium berichtet uns dagegen von einem Menschen, der diese ursprünglich in uns angelegte Gottesnähe dauerhaft für uns zurückgewonnen hat: Jesus von Nazareth.
Wir hörten von der Versuchung Jesu, die damit beginnt, dass der Geist ihn in die Wüste treibt. Unmittelbar zuvor wird bei Matthäus geschildert, wie sich der Himmel über der Taufstelle am Jordan öffnet und der Geist Gottes auf Jesus herabkommt. Zugleich erklärt eine Stimme: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Hier also geht mit der Versuchung um, der gerade zuvor zum Kind Gottes erklärt worden ist. Und als dieses vom Geist erfüllte Kind Gottes gewinnt Jesus nun jene Gottesnähe zurück, die die Menschen durch die Verführbarkeit von Adam und Eva einst verloren haben. Er bewährt sich da, wo jene scheiterten. Die Scheidewand zwischen Gott und Mensch ist überwunden, der Zugang zum Paradies nicht länger verschlossen. Es ist der Geist des Vaters, seine unsichtbare, wirkmächtige Gegenwart, die Jesus in der Versuchung standhalten lässt.
Wir hörten, dass der Geist Jesus in die Wüste treibt. Die Wüste: Ein symbolträchtiger, religiös bedeutsamer Ort; Ort des Rückzugs, der Sammlung und des Neuanfangs, Ort besonderer Gottesnähe und Gotteserfahrung, Ort aber auch der Versuchung, Erprobung und Gefährdung. Und die Zeitangabe von 40 Tagen ruft unweigerlich alttestamentliche Bilder in Erinnerung. Mose verweilt 40 Tage und 40 Nächte fastend bei Gott auf dem Sinai. Der Prophet Elija wandert, gestärkt durch die Speise des Engels, vierzig Tage und Nächte zum Gottesberg Horeb, wo ihm die besondere Gottesbegegnung widerfährt. Vierzig Jahre lang dauert die Wüstenwanderung des Volkes Israel. Jesus wiederholt hier also Geschichte, er nimmt die Geschichte seines Volkes wieder auf. Er geht in die Wüste und Gott lässt zu, dass dieser eine Erwählte auf die Probe gestellt, in Versuchung geführt wird – so wie sein erwähltes Volk 40 Generationen zuvor. Auch hier geschieht etwas wie Erziehung, eine innere Klärung. Jesus wird sich bewusst, wohin sein Lebensweg führen soll, wohin er unweigerlich führen wird. Entscheidend ist: Jesus hält in der Versuchung stand, er bewahrt sich seine in Gott geschenkte Freiheit, er gerät nicht in die Abhängigkeit des Teufels.
Freiheit. Es lohnt sich, über diese in Gott geschenkte und an ihn gebundene Freiheit nachzudenken. Freiheit ist für uns Menschen niemals absolut, Freiheit hat Grenzen. Spätestens dort, wo die eigene Freiheit mit der Freiheit des anderen in Konflikt gerät, werden diese Grenzen sehr deutlich. Wahre Freiheit – und das ist das Paradoxe – gibt es nur in Begrenzung, in Bindung. Aber gerade in der Abhängigkeit, in der Bindung an Gott, ist uns erst wahre Freiheit möglich. Es ist eine Freiheit von den Vernichtungsmächten dieser Welt, Freiheit von der Gier, von der Zerstreuungssucht, Freiheit von dem Wunsch, sich an Gottes Stelle setzen zu wollen. Denn gerade in diesem zerstörerischen Wunsch liegt die größte Versuchung, das größte Unheil. Die Aggressoren und Kriegstreiber unserer Tage sind die traurigen Fratzen dieses teuflischen Wunsches der Vernichtung jeder Freiheit.
Tröstlich ist: Die von Gott geschenkte Freiheit kann man nicht vernichten. Gott zieht mit uns durch die Wüsten unseres Alltags. Er wird den mühsamen, langen Weg mit uns gehen – bis zum Ende, bis ins gelobte Land. Das Evangelium ist deshalb „Frohe Botschaft“, weil es die Linie zieht von dem einen, der in die Wüste gegangen ist, über die vielen, die ihm durch zwanzig Jahrhunderte darin nachgefolgt sind. Nutzen wir das Geschenk dieser 40 Tage, um umzukehren, unser Versagen in den Blick zu nehmen und uns in aller Freiheit neu an Gott zu binden. Dann dürfen wir für uns und alle Menschen, auch für die vielen Opfer sinnloser Kriege hoffen, dass unsere Geschichte der Freiheit, unsere Geschichte mit Gott weitergeht, über den Tod hinaus weitergeht und sich österlich vollendet.
Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/02/hd-wallpaper-g5b70b9b8a_1920.jpg7421920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-02-26 14:59:582023-02-26 14:59:58Predigt am Ersten Fastensonntag (26.02.2023)
auch in diesem Winter gab es wieder ein paar Momente, wo schon eine ganz leichte Ahnung von Frühling in der Luft lag. Diese schönen Momente, wenn die Luft mehr frisch als kalt ist und die Sonne zwar tief steht, aber doch ein kräftiges Licht durch die klare Atmosphäre sendet. Dieses Empfinden habe ich auch bei den heutigen Lesungen: Da ist viel von Licht die Rede, aber so richtig hell ist es noch nicht geworden. Immerhin genug Licht, um den weiteren Weg zu sehen, und genügend Helligkeit, um zu wissen, dass bessere, schönere Tage kommen werden.
„Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg“ – diesen Anfang der Bergpredigt haben wir letzte Woche gehört, gefolgt von den Seligpreisungen: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ war eine davon. Tatsächlich kann man das Gefühl haben, Gott zu schauen, wenn man an einem schönen, lichterfüllten Tag von einem Berg in die Täler hinabschaut. Die Schönheit und das Licht sind aber nicht die einzigen Gründe, warum der Evangelist Matthäus Jesus seine große Rede auf einem Berg halten lässt. Ganz bewusst will er seine Leserinnen daran erinnern, dass auch Mose auf einen Berg gestiegen ist, den Berg Sinai, wo er das Gesetz mit den Zehn Geboten empfangen hat. Jesus ist der neue Gesetzgeber, dessen Gesetz wie eine Leuchte ist, die man eben nicht unter den berühmten Scheffel – gemeint ist eine Art Eimer für Getreide – stellen soll.
Die Leseordnung gibt uns einen näheren Hinweis darauf, wie dieses Licht aussehen soll, indem sie uns das 58. Kapitel des Propheten Jesaja anbietet. Es lohnt sich, hier noch einmal den größeren Zusammenhang anzuschauen: Es geht darum, dass die Israeliten sich bei Gott beschwert haben: Sie haben gefastet, und trotzdem hat Gott ihre Gebete nicht erhört. Der Prophet antwortet, dass Gott die Gebete nicht erhört, solange die Beter ihre Mitmenschen unterdrücken und Gewalt gegen sie anwenden: „Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und treibt alle eure Arbeiter zur Arbeit an. Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank, und ihr schlagt zu mit roher Gewalt.“ Danach setzt dann die Lesung ein:
Praktische Taten der Hilfe für die Bedrängten, die sind es, die dein Licht hervorbrechen lassen wie das Morgenrot.
Ist das die Situation unserer Kirche? Das Licht ist sicherlich da – die katholische Caritas und die evangelische Diakonie sind in unserem Land die größten Anlaufstellen für Menschen in Not. Oft sind es die Kirchen, die sich als erste um Flüchtlinge kümmern, die den Kontakt zu den so oft vergessenen Ländern in Afrika halten. Gerade jetzt ist der Papst gemeinsam mit den höchsten Repräsentanten der Anglikanischen Kirche und der schottischen Presbyterianer auf einer Friedensmission im Südsudan unterwegs.
So richtig hervorbrechen will das Licht der Kirche im Moment allerdings nicht – ob das auch bei uns daran liegen könnte, dass wir die „Unterjochung“ noch nicht aus der Mitte unserer Kirche entfernt haben?
„Unterjochung“ ist ein hartes Wort, in der früheren Einheitsübersetzung hieß es noch „Unterdrückung“. Diese Frage geht vor allem an die Herren Bischöfe, nämlich, ob sie bereit sind, ihre Macht kontrollieren zu lassen, ob sie bereit sind, niemanden mehr wegen seiner sexuellen Orientierung oder wegen ihres Geschlechts zu diskriminieren. Bevor wir aber zu sehr über andere schimpfen, sollten wir uns auch fragen, ob wir nicht vielleicht die kommenden Generationen „unterjochen“, ihnen Gerechtigkeit verweigern, indem wir ihnen eine beschädigte Erde hinterlassen.
Beide Lesungen, die aus Jesaja, und das Stück aus der Bergpredigt, wollen nicht den Zeigefinger erheben, sondern uns Mut machen, wollen uns an das Licht erinnern, das schon da ist, das nur noch hervorbrechen muss. Im Johannesevangelium sagt Jesus, „Ich bin das Licht der Welt“.
Heute haben wir gehört, „Ihr seid das Licht der Welt“. Dieses Licht soll nicht unter dem „Scheffel“ bleiben, sondern es gehört auf den Leuchter, damit es allen im Haus leuchtet, und damit die Menschen unseren Vater im Himmel preisen. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2023/02/sunset-g7f5142bca_1920.jpg14401920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2023-02-05 14:01:232023-02-05 14:01:23Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (05.02.2023)
Heute ist der Gaudete-Sonntag. Im Introitus ruft der Apostel Paulus auf: Freuet euch, wiederum sage ich: Freuet euch! Diese Freude ist eine Vorfreude, denn wir haben bald Weihnachtsfest und feiern die Menschwerdung Jesu Christi.
Die Freude ist eine Frucht der Hoffnung auf Jesu Ankunft in dieser Welt und das Kommen des Gottesreiches.
Wenn ich gefragt werde, was für mich Hoffnung ist, dann erzähle ich gerne von den Wallfahrten mit Studierenden nach Chartres. Mit einer Gruppe der Mescheder Hochschulgemeinde nahmen wir daran fast jährlich als Gäste der Pariser Katholischen Studentengemeinden teil. Die Wallfahrt fand meistens am Wochenende um Palmsonntag statt. Die äußeren Umstände waren spartanisch einfach. Es kam in erster Linie darauf an, sich in Gesprächen und Gesängen auf die Mitpilger, überwiegend französische Studentinnen und Studenten, einzulassen, vor allem aber, die ca. 30 km lange Strecke zu Fuß, mit dem Gepäck im Rucksack, zu bewältigen, nur unterbrochen durch die Übernachtung auf dem Boden einer Scheune. Am nächsten Morgen ging es weiter, bis wir schließlich an der Kathedrale in Chartres ankamen und darin die Eucharistie feierten, jedes Mal ein unvergessliches Erlebnis.
Ein Eindruck während dieser Wallfahrten kehrte immer wieder und hat sich mir tief eingeprägt. Er hilft mir, zu verstehen, was Hoffnung ist: Wir werden mit Bussen bis zum Startpunkt gefahren. Dann gehen wir los und auf Chartres zu, unser Ziel, ohne es vor Augen zu haben. Dann steigt das Gelände an, wir kommen auf einen erhöhten Punkt der weiten Ebene und sehen auf einmal, ganz weit entfernt und wegen der Dunstschleier an der Horizontlinie klein und nur schwach erkennbar, eine Andeutung von den beiden Türmen der Kathedrale. Wir weisen uns gegenseitig auf diesen Punkt hin. Aha, wir sind auf dem richtigen Weg. Doch dann senkt sich die Landschaft wieder, wir gehen durch eine Bodenwelle, das Blickfeld engt sich ein, Aber nach einer Reihe von Kilometern können wir wieder in die Ferne schauen, und siehe da: die Kathedrale ist ein bisschen näher gerückt.
Nicht immer sehen wir unterwegs die Erfüllung unserer Sehnsucht so nahe vor uns wie auf dieser Pilgerroute. Es gibt Zeiten, da sehen wir nicht weit, sondern tasten uns mühsam Schritt für Schritt weiter, umgeben von Steilwänden wie in einer finsteren Schlucht. Im Römerbrief sagt Paulus zu Recht: Hoffnung, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung (8,24). Gerade deswegen kommt es ihm auf die Geduld in unsicheren Zeiten an, darum ruft er die Gemeinde in Rom auf: Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig und beharrlich im Gebet!
Wenn die Hoffnung nicht erlahmen soll, braucht sie Ermutigungen, Bestätigungen, eine innere Verbindung mit der Aussicht auf das verheißene Erbe.
Sie fasst ja Möglichkeiten ins Auge, die in der harten Alltagswirklichkeit mit ihren Sachzwängen unterzugehen drohen.
Sie reißt gegen alle Erfahrung Grenzen nieder, überwindet Vorbehalte, Bedenken und Niederlagen,
und gibt den Glauben an ein gelingendes Leben in Gerechtigkeit und Freiheit nicht auf.
In der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja öffnet sich eine hoffnungsfrohe Aussicht. In ihr findet die Schöpfung zurück zu ihrer ursprünglichen Schönheit, die Wüste blüht auf und fängt an zu jubeln. Der Mensch wird wieder ganz heil und unversehrt. Blinde erhalten ihr Augenlicht zurück und Lahme springen wie ein Hirsch. Die Gefangenschaft eines unterdrückten und dem Tode verfallenen Daseins nimmt ein Ende, ein neuer Exodus steht bevor. Jesaja erinnert an die Urerfahrung Israels, den Auszug aus der Sklaverei Ägyptens, das unbeschreibliche Geschenk, frei zu werden für den kostbaren Reichtum des göttlichen Lebens und nicht mehr der Willkür fremder Mächte ausgesetzt zu sein.
Johannes der Täufer war davon überzeugt, dass noch in seiner Zeit der Messias kommen wird, und mit ihm das lang erwartete Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Um das Gottesvolk darauf vorzubereiten, predigte er die Umkehr. Denn ohne innere Wandlung würde stattdessen das Zorngericht Gottes über sein Volk hinwegfegen. Dann wurde er von den Mächtigen aus Angst vor einem Aufruhr gefangengesetzt. Seine Gefangennahme aber machte ihn unsicher, ob seine Predigt aufs Ganze gesehen trotz vieler Bekehrungen wirkungslos blieb. Darum sein Frage an Jesus: Bist Du der von Gott versprochene Retter?
Oder sollen wir auf einen anderen warten?
In seiner Antwort sagt Jesus weder Ja noch Nein. Aber er weist darauf hin, was sich jetzt in der Gegenwart ereignet: Die Botschaft des Jesaja erfüllt sich:
Menschen werden geheilt.
Jesus zeigt nicht auf sich, sondern auf die Tiefendimension der Umwandlung von Menschen, die von der Frohen Botschaft sichtbar erfasst, berührt, verwandelt werden. Was geschieht, sind Zeichenhandlungen, Anzeichen, Momente des Aufatmens, zu-sich-selber-kommens. Er selbst ist ein lebendiges Zeichen der Gottesnähe, auch dann, wenn er für seinen Einsatz leiden muss. Ein Zeichen der Hoffnung wie die Kathedrale von Chartres auf unserem Pilgerweg.
In Jesu Worten und Taten wird das Futur ins Präsens gebracht, kommt die ferne Zukunft ins Jetzt, an diesen Ort, hier. Auch in unsre Zeit. Die engen Grenzen der Zeiten werden aufgebrochen. Das kommende Gericht wird von der Barmherzigkeit unterlaufen. Wer sich auf sie einlässt, ist schon gerichtet. Sie ist es, an der sich der Glaube des Menschen entscheidet. Wer in ihr den barmherzigen Gott in dieser Welt wirken lässt, wird gerettet. Selig sind die Armen vor Gott, verkündet Jesus, der Christus. In den Hoffenden lässt sich die Herrlichkeit Gottes nieder. Deswegen kann er auch sagen: Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Liebe Schwestern und Brüder, wie kann die Freude des Advents bei uns einziehen? Indem wir die Hoffnungsbilder und -zeichen in uns wirken lassen, hinein in unser Dunkel, sie miteinander teilen und Gottes Willen tun.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/12/chartres-cathedral-gafc5e2644_1280.jpg9601280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-12-11 13:25:482022-12-11 13:25:48Predigt am Dritten Adventssonntag (11.12.2022)
Er war oberster Zollpächter, Kollaborateur mit den römischen Besatzern, denen er eine Steuerpacht zahlte, um als Zöllner seine Landsleute steuerlich auspressen zu können. So galt er den Frommen als unrein, den Patrioten als Verräter und allen als ein Gauner, der sich seinen Reichtum zusammen ergaunert hat.
Er war ein kleiner Mann mit großem Reichtum. Vielleicht besteht zwischen seiner geringen Körpergröße und seiner beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang, denn zum einen kann er in seiner Tätigkeit großes Geld machen, um selber groß dastehen zu können, zum anderen kann er in seiner Position als oberster Zollpächter andere klein machen, um sich groß fühlen zu können.
Leider aber hilft das nicht wirklich, sondern führt ganz im Gegenteil dazu, dass die anderen ihn immer mehr ablehnen und verachten.
Doch interessiert sich Zachäus nicht nur für Geld, sondern auch für das, was so passiert in Jericho und im Umland. So hat auch er schon von diesem Jesus gehört und verlangt danach, diesen Menschen mal mit eigenen Augen zu sehen.
Aber auch hier macht ihm seine kleine Körpergröße einen Strich durch die Rechnung, da er wegen der Menge nichts sehen kann.
Zachäus aber ist hartnäckig und beweglich, so läuft er der Menge voraus und klettert geschickt auf einen am Straßenrand stehenden Maulbeerfeigenbaum.
Diese Bäume sind nicht sehr hoch und haben weit auslandende Äste, auf die sich auch ein kleiner Mann gut heraufschwingen kann. Zudem ermöglicht ihm das dichte Laub des Baumes, gut verborgen alles bestens überschauen zu können – ideal für jemanden, der es gewohnt ist, andere zu kontrollieren und dabei selbst auf der sicheren Seite zu sein. Günstig aber auch für jemanden, der nicht gern gesehen ist und sich selbst auch lieber vor jenen verbirgt, die ihn keines Blickes würdigen oder mit bösem Blick hinter ihm herschauen.
So schwebt er nun auf einem weiten Zweig zwischen Himmel und Erde und verfolgt genau das weitere Geschehen, als plötzlich das Unvorhersehbare geschieht: Jesus sieht ihn. Genauer gesagt: Jesus blickt zu ihm herauf, schaut zu ihm auf! Eine ungewohnte Perspektive für jemanden, auf den sonst alle herabschauen oder vorbeisehen.
Was die anderen ihm verweigern, schenkt Jesus ihm nun: Ansehen.
Dann spricht ihn Jesus auch noch an. Er nennt ihn bei seinem Namen „Zachäus“.
Hier ist es gut zu wissen, dass der Name Zachäus sich vom griechischen Namen Zakchaios ableitet und meistens als Variante des hebräischen Namens Zakkaj gedeutet wird, der abgeleitet ist von der Wurzel זכך zkhkh „rein, hell, lauter sein“.
Mit dieser direkten und persönlichen Anrede mit seinem Namen vermittelt Jesus ihm, das er in ihm nicht den obersten Zollpächter sieht, sondern einen Menschen, der hell sein möchte, wahrgenommen und gesehen werden will.
Vielleicht verwandelt sich in der Folge das Gesicht des Zachäus, der nun Ansehen findet. Sein Züge lösen sich, sein Gesicht klärt auf, wird hell, und er beginnt zu strahlen.
Und dann wird es noch verrückter. Jesus sagt zu ihm: „Komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben“, d.h. bei Dir einkehren und übernachten. Jesus der Jude, der Rabbi, will mit ihm, den unreinen Zöllner gemeinsam essen und sogar in seinem Haus übernachten.
Zachäus soll vom Geldnehmer zum Gastgeber werden:
von einem, der bisher immer genommen hat, vor allem viel genommen hat, zu einem, dem zugetraut wird, dass er gibt und schenkt,
was er dann auch in großem Maße tut: die Hälfte seines Vermögens gibt er den Armen, und jenen, von denen er zu viel gefordert hat, gibt er das Vierfache zurück.
In der Weise, in der Jesus Zachäus anschaut und ihm Ansehen gibt, zeigt er: Was ich im anderen sehe, das erkenne oder entdecke ich in ihm. Wenn ich von anderen und vermutlich auch von mir selbst nur klein denke, wird mir nur Kleinheit begegnen. Wenn ich größer von anderen und mir denke, weitet sich der Blick und wird Wachstum möglich.
Der Psychoanalytiker Heinz Kohut machte darauf aufmerksam, dass Kinder es wollen und brauchen, sich im Glanz der Augen der Mutter und ihrer primären Bezugspersonen zu spiegeln.
In der Gegenwart ihrer Mutter spielende Kinder vergewissern sich immer wieder des Augenblicks der Mutter und werden so ermutigt, sich und die Welt im Spiel zu entdecken, innerlich zu wachsen.
Jesu Zuwendung hat das Leben des Zachäus verwandelt.
Jesu Zutrauen hat in ihm geweckt, was er in der Tiefe seines Herzens bereits ist, denn so sagt Jesus hier selbst: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. D.h. ein Mensch, der glauben und vertrauen kann, der sich anderen öffnen und zuwenden kann.
In diesem barmherzigen Handeln Jesu erfüllt sich, was in der Lesung aus dem Buch der Weisheit gesagt wird:
„Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst,
und siehst über die Sünden der Menschen hinweg,
damit sie umkehren.
Herr, du Freund des Lebens.“
Darum ist Gott Mensch geworden, hat sich zu uns auf Augenhöhe gestellt, uns Ansehen gegeben.
Darum ist der Menschensohn gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Doch wie ist es eigentlich mit Zachäus weitergegangen?
Tomás Halík, ein tschechischer Soziologe, Religionsphilosoph und Autor vieler geistlicher Schriften, hat die Erzählung von Zachäus ein wenig weitergesponnen und gibt damit auch schon einen Ausblick auf das kommende Allerheiligenfest. Denn Halík zufolge setzt Zachäus all seine guten Vorsätze in die Tat um und stirbt zufrieden in einem hohen Alter und gelangt in Abrahams Schoß. Und „obwohl er aufgrund ernster bürokratischer Hürden (er ist nämlich nicht getauft) durch die zuständige Vatikanische Kongregation nicht heiliggesprochen werden konnte, versagt ihm Jesus nicht nur nicht den Heiligenschein, sondern betraute ihn sogar mit einer Sonderaufgabe im Bereich Kommunikation zwischen Himmel und Erde: Der heilige Zachäus wird zum Schutzpatron der Ewig-Suchenden, all jener, die ‚Ausschau halten‘.“ (Tomás Halík, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute, Freiburg 2010, 229)
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/10/Maulbeerfeigenbaum.jpg536858Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-10-30 16:40:502022-10-30 16:40:50Predigt am 31. Sonntag im Jahreskreis (30.10.2022)
ich möchte Ihre Aufmerksamkeit heute Morgen auf die Lesung aus dem Buch Exodus (Ex 32,7-14) lenken.
Das ist eine ungewöhnliche und unglaubliche Geschichte, die Geschichte vom „Goldenen Kalb“ und von der Auseinandersetzung zwischen Mose und Jahwe. Vielleicht fühlen wir uns durch sie befremdet und peinlich berührt, denn hier tritt uns nicht die vertraute, schon fast zum Klischee erstarrte Gestalt eines liebenden, sondern eines aufbrausenden Gottes entgegen, der sein Volk vernichten will.
Nicht weniger ungewöhnlich ist die Rolle, die Mose in dieser Geschichte spielt. Sein leidenschaftlicher Einspruch klingt nicht wie die Bitte eines Geschöpfes, das ergeben Gottes Ratschluss akzeptiert, sondern eher wie das Plädoyer eines Rechtsanwalts, der den wütenden Richter zu beruhigen sucht und mahnt, nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Mehr noch, Mose erdreistet sich, mit göttlichen Worten Gott gegen Gott auszuspielen, wenn er ihn an die früher gewährte Hilfe und an das Versprechen erinnert, das er schon den Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte. Mose erinnert Gott nachdrücklich und entschieden an seine eigenen Zusagen. Soll das alles hinfällig sein?
Kurz vor dem Beginn der Lesung lesen wir im Buch Exodus, dass Mose einige Zeit bei Gott auf dem Berge weilte, um das Bundesangebot Gottes zu erhalten und die Weisungen, die das Leben vor Gott regeln sollen (32,1). Dort erfährt Mose vom Herrn selbst, was am Fuße des Berges während seiner Abwesenheit geschehen ist. Ihn selbst ist das wohl entgangen. Das Volk hatte sich „ein goldenes Kalb“ gegossen, das als Gottesbild dienen sollte; es hatte sich vor diesem niedergeworfen und ihm Schlachtopfer dargebracht und diesem Machwerk von Menschenhand sogar die Rettung aus Ägypten zugeschrieben. Das Volk hat sein Gottesbild, von dem es sich Rettung und ein gelungenes Leben erwartet, selbst fabriziert und zwar just in dem Moment als Mose auf dem Berg von Gott selbst erfährt, wie er sich das Leben mit seinem Volke vorstellt. – Ein Gott nach „Hausmacherart“. Menschen legen sich ihr Gottesbild selbst zurecht, anstatt sich sagen zu lassen, wer er ist: Glaube an Gott als Projektion irgendeines diffusen Bauchgefühls und Bedürfnisses von irgendwem von irgendwoher
Und gerade mit diesem dummen Kalb, werden die Israeliten bei ihren Zeitgenossen gut angekommen sein. Der Applaus und die Zustimmung der umgebenden Gesellschaften waren bestimmt gesichert, denn Stierbilder und Stierkulte waren in den Hochkulturen des Alten Orients weit verbreitet. Dass der biblische Autor nicht von einem Stier spricht, sondern von einem Kalb, zeigt nur seinen ätzenden Spott gegenüber dem orientalischen Stierkult. Der Stier verkörperte je nach Kontext Zeugungskraft, Fruchtbarkeit, Vitalität, Kampfkraft, Überlegenheit, Macht und Stärke – alles gesellschaftsfähige Qualitäten. Man durfte sich akzeptiert fühlen von den Zeitgenossen. Der Glaube an Jahwe, einen persönlichen Gott, der selbst sein Volk führt und sagt, wie es Volk sein soll, ist zu banaler Religiosität verkommen, ganz auf der Linie der Erwartungen der Zeitgenossen. Für den Verfasser des Exodus-Buches steht fest: Dieses Verhalten bedeutet Abfall, der ins Verderben führt. Was hier geschehen ist, kann nicht bloß als Ergebnis einer „schwachen Stunde“ entschuldigt oder als Folge von Ahnungslosigkeit oder Dummheit gedeutet werden. Sich ein Gottesbild oder die Botschaft des Glaubens selbst so zurechtzulegen, dass sie möglichst gleichgeschaltet ist mit gesellschaftlichen Idealen und opportunistisch an sie angepasst ist, das ist der Kern von Götzendienst. Das ist eine Urversuchung für den Glauben, auch unter uns Christen, auch in der Kirche! Heute mehr denn je! – Anlass genug, uns zu fragen, wie unsere „Golden Kälber“ aussehen, um die wir aufgeregt unsere Tänze aufführen und offensichtlich auch aufführen sollen. Ich muss hier nicht ins Detail gehen. Christus hat uns aufgefordert, Salz der Erde zu sein, nicht der fromme Zuckerguss auf dem Einheits-Keks gesellschaftlicher Mehrheitsmeinungen, der nur fett macht und dumm.
Noch einmal zurück zur Lesung. Mit ihrem schändlichen Treuebruch fordern die Israeliten selbst Gottes Urteil heraus.
Die Rede vom „lieben Gott“ und vom „guten Vater“, wie sie im Evangelium anklingt und wie sie uns allzu leicht über die Lippen geht, kann dazu führen, die Tatsache der Sünde zu verharmlosen, die sich „Götzendienst“ nennt und gewissenmaßen die Ursünde ist, dass nämlich der Mensch sein will wie Gott und die die Kontrolle darüber haben will, wie Gott ist. Gott nimmt diese Sünde ernst wie seine Auseinandersetzung mit Mose zeigt. Nein, dieses Streitgespräch beinhaltet nicht ein vermenschlichtes Gottesbild, in dem Gott mit einem Menschen feilscht, wie ein orientalischer Händler auf einem Basar. Es ist letztlich nur eine literarische Einkleidung. Gerade die literarische Form des dramatischen Streit-Dialogs will deutlich machen, wie schwer die Sünde des Götzendienstes wiegt, die darin besteht, sich sein Gottesbild, sein Kirchenbild und seine Beziehung zu Gott nach dem Kriterium gesellschaftlicher Opportunität zurechtzulegen und an den Obsessionen gesellschaftlicher Meinungsmacher auszurichten. Wider Erwarten verzehrt Gott sein Volk nicht, er gibt ihm die Möglichkeit, zu ihm zurückzukehren, immer wieder, in unfassbarer Geduld. Gott ist eben viel größer und barmherziger als das, was wir Menschen uns über ihn ausdenken können. – Um welche blökenden Kälber wir auch tanzen. Wir Christen und wir Katholiken im Besonderen sollten das gesunde Selbstbewusstsein haben, den goldenen Kälbern unserer Zeit entgegenzutreten und nicht um sie herumzutanzen. Wer sonst soll das heute noch tun? Haben wir also den Mut zu einer intelligenten Form des „unmodisch“-Seins: nicht „altmodisch“, nicht „neumodisch“, sondern „un-modisch“, weil gesellschaftliche Moden und Obsessionen für das Bild, das wir von Gott und seiner Kirche haben, letztlich kein Maßstab sind. Die Heilige Schrift weiß das noch und die junge Kirche der ersten Jahrhunderte wusste das ebenfalls. Haben wir das vergessen?
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/09/church-window-gbb4f7e77f_1280.jpg11461280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-09-12 06:18:242022-09-12 07:57:50Predigt am 24. Sonntag im Jahreskreis (11.09.2022)
Das Evangelium lässt mir heute nichts anderes übrig, als eine Höllenpredigt zu halten.
Schließlich hieß es dort: „Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Ísaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid.“
Um etwas anschaulicher zu machen, worum es geht, möchte ich mit einer kleinen Geschichte beginnen, die vermutlich viele von Ihnen kennen: Ein Rabbi, so wird erzählt, habe Gott gebeten, ihm einmal den Himmel zu zeigen. Da er im Gebet nicht nachließ, sandte ihm Gott einen Propheten, der ihn zu einem kleinen Ausflug ins Jenseits mitnehmen sollte. Dabei kamen sie in einen großen Saal, angefüllt vom Geschrei und Fluchen ausgehungerter Menschen, die um große Kessel mit wohlschmeckender Speise saßen. Vergeblich versuchten sie, mit langen Löffeln, die man nur am Stielende anfassen konnte, die Speise zum Munde zu führen. Ihr erfolgloses Unternehmen brachte sie zu Raserei und Verzweiflung. „Was ist das hier“, fragte der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, antwortete dieser. Bald darauf betraten sie einen zweiten großen Raum. Auch hier saßen Menschen um Kessel mit angenehm duftender Speise; sie waren wohlgenährt und vergnügt und unterhielten sich in fröhlicher Weise. Auch sie hatten nur lange Löffel, um die Speise zum Munde zu führen. Sie hatten das Problem aber dahingehend gelöst, dass jeder seinem Nachbar gegenüber das Essen reichte. „Was ist das“, fragte der Rabbi. “Der Himmel“ antwortete der Prophet.
Die Geschichte will auf die Frage hinaus, was der Unterschied zwischen Himmel und Hölle ist – und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass es keinen gibt. Die Bilder für den Himmel und die Hölle sind genau gleich: Ein Saal, in dem, so heißt es in der Bildsprache des Erzählers, „Kessel mit wohlriechender Speise“ bereit stehen, die darauf wartet genossen zu werden.
Der Unterschied zwischen Himmel und Hölle sind die Menschen. Es gibt Menschen, die vollenden ihr Leben als solche, die die wunderbarste Begabung des Menschen gepflegt und geübt haben, nämlich die Begabung „himmlisch“ zu leben; und es gibt Menschen, deren schreckliches Lebensergebnis besteht in der Fähigkeit, sich und anderen den Himmel zur „Hölle“ zu machen.
Ich glaube, die Vorstellungswelt dieser Geschichte trifft das mit „Himmel“ und „Hölle“ Gemeinte entschieden besser als ein idyllischer „Himmel“ mit Barockengelchen oder eine als Drohmittel benutzte „Hölle“ mit kleinen Teufelchen. Der Himmel ist nicht die Belohnungsanstalt für die Braven und die Hölle ist nicht die Strafanstalt für diejenigen, die zu viele Fehlerpunkte auf dem Konto haben.
II.
Leider ist eine Jahrhunderte lang übliche Art, „Himmel“ und „Hölle“ als Einrichtungen zur Belohnung und Bestrafung darzustellen, mitschuldig daran, dass das eigentlich Gemeinte kaum ernst genommen wird, – mit der fatalen Folge, dass wir eine entscheidende Dimension des Menschseins ausblenden, obwohl wir zugleich merken, dass wir sie nicht loswerden. Es ist die Tatsache, dass unsere Art zu leben nicht folgenlos ist, dass wir tatsächlich eine letztgültige Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen unserer Existenz haben und nicht einfach nur das Produkt zufällig glücklicher oder schwieriger Lebensumstände sind.
Noch einmal in der Bildsprache der Geschichte gesagt: Entweder bleibe ich gegen meine Mitmenschen hungrig und gierig oder ich kann mit ihnen gesättigt und zufrieden sein. Entweder nütze ich meine Lebenszeit, um für den Himmel zu trainieren und „kann Himmel“, wenn ich dort ankomme, oder ich gewöhne mich so an die Hölle, dass ich nur „Hölle kann“, und deshalb im Himmel lebensunfähig bin.
Was ist die entscheidende Lebensregel des Himmels?
Ich bin nicht selbst meines Glückes Schmied, sondern ich bin da wirklich Mensch nach Gottes Vorstellung, wo ich im Wechselspiel von beschenkt Werden und Schenken mitmache und dieses Wechselspiel Tag um Tag, Situation für Situation einübe und trainiere. In der Bildlichkeit der Geschichte: Wo ich mir das, was ich zum Leben brauche, selber zusammenraffe, werde ich zur wild um mich schlagenden Furie, zum leibhaftigen „Teufel“. Doch da, wo ich es schaffe, mich anzuvertrauen und für andere zu sorgen, da bin ich im besten Sinn des Wortes ein „Engel“.
Sie merken: So zu leben ist in der Tat etwas völlig anderes als das, was wir für normal halten, die wir doch alle mehr oder weniger ausgeprägt nach der Devise leben: „Der einzige, auf den ich mich verlasse, bin ich selbst.“ Deshalb ganz nüchtern meine These: Vom Himmel sind wir alle noch ziemlich weit entfernt. Oder anders gewendet: Eigentlich haben wir erst einen kleinen Bruchteil dessen, was Jesus wirklich will, tatsächlich verinnerlicht und realisiert.
III.
Wie kann das gehen, für den Himmel zu trainieren, durch die „enge Tür“ zu kommen? Das Bild enthält eigentlich schon die Antwort. Jeder weiß: Wenn ein Loch für mich zu klein ist, werde ich nie durchkommen, sondern trotz noch so großer Anstrengung früher oder später hoffnungslos festsitzen. Der einzige Weg ist: Ballast abladen.
Dazu einige ganz direkte „Testfragen“ für jede und jeden persönlich:
Wo habe ich mich so mit Sicherheit, mit Macht und Geld, mit Erwartungen und Ansprüchen bepackt, dass darüber meine innere Freiheit verloren gegangen ist?
Wo machen mich starre Ansichten so unbeweglich, dass ich nicht mehr die Wirklichkeit und das Mögliche sehe, sondern nur noch meine Angst- oder Machtphantasien?
Wo habe ich mich so sehr verbissen in den Wahn, ich müsste alles selber machen, dass niemand mir helfen kann, – selbst wenn ich buchstäblich umstellt bin von Menschen, die auf nichts sehnlicher warten als auf die Gelegenheit mir Gutes zu tun?
Wo habe ich mich derartig auf meine eigenen Nöte und Ängste fixiert, dass ich überhaupt nicht mehr mitbekomme, wie vielen es mindestens ebenso schlecht oder noch viel schlechter geht?
Finde ich, dass nur das etwas wert ist, was ich selbst geleistet habe, oder kann ich genießen, was mir andere „einfach so“ zukommen lassen?
Ich könnte jetzt noch lange fortfahren mit Beispielen für Situationen, die zur Hölle werden, wenn ich mit aller Gewalt meine eigene Haut retten will. Dabei könnte jeder Augenblick meines Lebens, sogar jede Durststrecke, der Himmel sein, wenn sie mich ganz schlicht dazu brächten, den Kreislauf der Liebe in Gang zu setzen, das wunderbare Wechselspiel von Empfangen und Geben, – als Kontrast zum eiskalten „Ich will auf niemanden angewiesen sein“.
Zusammengefasst: So lange wir von der fixen Idee besessen sind, uns den Himmel selbst zu machen, hat Gott keine Chance, – und wo Gott keine Chance hat, da ist die Hölle – und das nicht erst im Jenseits, sondern hier und jetzt.
Gott wartet auf Menschen, die sich von ihm den Himmel schenken lassen können und ihn weiterschenken. Dann ist das Evangelium Wirklichkeit: „Man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/08/hands-g994cb7df5_1920.jpg12801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-08-21 10:43:252022-08-21 10:43:25Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (21.08.2022)
„Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“ (zu Gal 5,1.13-18 und Lk 9,51-62)
Kaum ein Wort hat in Geschichte und Gegenwart mehr Wirkung als das Wort „Freiheit“. Da wo Freiheit lockt, sind Menschen fasziniert, wo Freiheit in Gefahr gerät, herrscht Alarmzustand. Die Ansage dass der Mensch „zur Freiheit berufen“ ist, ist eine der segensreichsten Spuren der biblischen Religionen – des Judentums und des Christentums – in der Weltgeschichte. Für das Volk Israel war die Erfahrung, dass Gott da ist, wo der Mensch frei ist von der Beherrschung durch Menschen der schlechthinnige Grundimpuls, – beginnend mit dem Auszug aus der Knechtschaft des Pharao in die Freiheit Gottes. Jesus hat diesen Grundimpuls seiner jüdischen Wurzeln verkörpert: Nicht einmal Kreuz und Tod setzen der Freiheit eine Grenze, weil die Grenze des Daseins in Raum und Zeit nicht das Ende, sondern der Übergang in die Vollendung ist.
Doch spätestens seit der Europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts hat sich die Christenheit den Kampf um die Freiheit aus der Hand nehmen lassen, – weil sie zu sehr verstrickt war in den Kampf um die Macht: Statt zur Freiheit zu befähigen, hat man kirchlicherseits Freiheit zur Bedrohung erklärt, – vor der man die Menschen meinte schützen zu müssen. Christ zu sein reduzierte sich in der Erfahrung vieler auf ein System kaum verständlicher und mit äußerem Druck durchgesetzter Regulierungen. Das fatale Ergebnis sehen wir heute: Immer mehr Menschen halten Religion für etwas Überflüssiges oder sogar Schädliches. Die Kirchen ihrerseits sind so sehr damit beschäftigt, sich selbst am Laufen zu halten, dass sie kaum noch Kraft haben, ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, – nämlich, den Menschen den Zugang zu einer im Gottvertrauen gründenden Freiheit zu ermöglichen. Die Kirche ist dazu da, für Gott den Platz zu schaffen, der seiner unendlichen Größe entspricht. Wo sie den Verengungen des Daseins nur eine weitere hinzufügt, stellt sie sich tatsächlich selbst infrage.
Dabei ist aus Gottvertrauen gelebte Freiheit dasjenige, was die Welt in der vielfach verfahrenen Gegenwartssituation so dringend brauchen würde, – angesichts der allgegenwärtigen Bedrohungen der Freiheit und angesichts der missbräuchlichen Verwechselung von Freiheit entweder mit verantwortungsloser Beliebigkeit oder mit schrankenloser Selbstüberhöhung. Wie wichtig und zugleich wie gefährdet dieser Freiheitsauftrag der Kirche ist, wusste schon Paulus, als er an die Galater schrieb: „Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“
Freiheit im biblischen Sinn hat zum Ziel, dass die Menschen unbelastet sind von allem, was nicht menschlich ist, damit sie die Menschen sein können, die die sie eigentlich sind, – ohne all die unnötigen und zerstörerischen Zwänge, die sie sich selbst auferlegen oder von anderen aufgedrückt bekommen. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild“ weiß die Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27). „Ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde“, sagt Jesus (Jo 15,15)
„Abbild Gottes“ ist ein Mensch da, wo er nicht von der Angst getrieben wird zu kurz zu kommen. „Freund Jesu“ ist ein Mensch da, wo in ihm das Vertrauen lebendig ist, dass er nicht leben muss, um zu sterben, sondern dass er sterben wird um zu leben.
Solche Freiheit entsteht weder durch am Schreibtisch konstruierte Freiheitstheorien noch durch aggressive Befreiungsschläge; Solche Freiheit wächst in alltäglichen Situationen, wie sie das heutige Evangelium an einer ganzen Kette von Beispielen vorführt:
„Man nahm Jesus nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht.“ Ein freier Mensch kann akzeptieren, auf Ablehnung zu stoßen, ohne sich selbst untreu zu werden und ohne sich mit Zwang und Gewalt durchzusetzen.
„Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ Ein freier Mensch kommt ohne ichbezogene Absicherungen und ohne blockierende Panzerungen aus, weil Gott Sicherheit genug ist.
„Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“ Momentum der Freiheit ist der jeweilige Augenblick. Ihn kann ich in Freiheit annehmen, oder ich kann ihn – gelähmt durch die Verstrickung in Vergangenes oder die Angst vor dem Kommenden – dumpf verstreichen lassen und damit wertlos machen.
„Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ Die Vergangenheit kann das Fundament sein, auf dem wir auf- und weiterbauen, – sie wird jedoch zum Fluch, wo sie uns fesselt, indem wir uns an sie klammern, um das Voranschreiten zu vermeiden.
Kurz: Jeder Mensch hat als wichtigsten Lebensauftrag, das kleine Stückchen Zeit und Welt, das jetzt und hier ist, für Gott frei zu halten, damit der Mensch nicht Knecht von irgendwem oder irgendwas ist sondern Abbild Gottes. –
Wo immer das gelingt, da hat der Zuspruch des Paulus an die Galater zu wirken begonnen: „Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/06/road-gac1396c8d_1920.jpg10801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-06-27 08:46:122022-06-30 08:48:28Predigt am 13. Sonntag im Jahreskreis (26.06.2022)
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich? – Petrus antwortete: Für den Christus Gottes.“ – Diese Antwort klingt nicht oberflächlich oder angelernt. Da ist einer von jemandem überzeugt. Vielleicht sogar begeistert? Petrus bekennt klar und mutig in kürzester Form seinen Glauben: Jesus ist der Christus – also der Gesalbte, der Messias und Sohn Gottes. Für ihn ist Christus der Erlöser aller Menschen. – Jesus lässt das Bekenntnis so stehen, keine Korrektur oder Ergänzung – es gilt. Doch anstatt Petrus und die anderen Jünger zu ermutigen, diese Wahrheit zu verbreiten, hörten wir Erstaunliches: „Er befahl ihnen und wies sie an, es niemandem zu sagen.“
Warum weist Jesus sie an, das nicht zu tun? Es wäre doch im Sinne der Verbreitung der Sache Jesu, seines Evangeliums, seiner frohen Botschaft von der Erlösung.
Zudem war es bisher in ihrer Bewegung gut gelaufen: Direkt vor dem gehörten Abschnitt aus dem Lukasevangelium wird von der wundersamen Speisung der Fünftausend berichtet – das wird für Furore und ein positives Image gesorgt haben. Und davor hatten die Jünger – erstmals von Jesus ausgesandt – das Evangelium verkündet und überall geheilt. Die Kunde ihrer Erfolge drang bis in höchste Kreise vor: Sogar der Herrscher Herodes hat den Wunsch, Jesus zu sehen. – Alle Signale stehen also eigentlich auf Grün: Ihre Bewegung könnte weiter an Fahrt gewinnen.
Warum also verbietet Jesus, das Christusbekenntnis von Petrus zu verbreiten? Versteht Jesus darunter etwas Anderes? Vielleicht ahnt Jesus eine Gefahr: Wollen Petrus und die Jünger mit ihm, dem ersehnten Christus-Messias, groß rauskommen – vielleicht unbewusst? Erfolge können berauschen und übermütig machen. Das kann dann auf Kosten anderer gehen: Sie werden klein gemacht, um selbst noch größer zu erscheinen.
Und hat sich diese Gefahr nicht bestätigt? Bei allem segensreichem Engagement – zweifellos – aller Hingabe bis ins Martyrium: In der Welt- und Kirchengeschichte wurde auch klein gemacht, ausgegrenzt, nach Macht gegiert, von oben herab abgekanzelt und im Geist und in der Tat gemordet, um selbst groß rauszukommen. Bis heute zeigt sich, wie brutal Menschen werden können, wenn sie „groß“ geworden sind und wie viele ihnen dabei – oft um der eigenen Vorteile willen – folgen.
Dahinter steckt letztlich die Angst, selbst nicht genug zu sein. Die Erfahrung der eigenen Grenzen und der Unvollkommenheit ist ja real und treibt uns um – auch ins Negative. Menschen tun – neben allem Guten – auch Böses und unterlassen das Gute. Jesus ist Realist, deshalb weiß er, dass die Boshaftigkeit Teil menschlicher Freiheit ist und dass besonders diejenigen, die groß rausgekommen sind brutale Täter auch an ihm werden: „Und er sagte: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden.“ – Offensichtlich ahnt er auch aus tiefster Nacht den aufgehenden Morgen, der ihm geschenkt wird…
Worauf gründet Jesu Hoffnung? Ein Blick zurück hilft weiter: Bei seiner Taufe hatte sich der Himmel geöffnet und er hörte: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Jesus erfährt Gott als absolute Liebeszusage. Im Tod wird sie endgültig bestätigt und ihn auferwecken. Gottes Gegenwart beruhigt schon in diesem Leben existenziell und setzt Liebesenergie frei. Dieser Jesus lebt und liebt intensiv! Davon haben die Leute und seine Jünger mittlerweile erfahren: Einige durch Heilungen, und bei der Speisung der Fünftausend haben viele davon – wortwörtlich – etwas abgekriegt. Vielleicht erinnerte sich Jesus im Gebet – damit begann unser Abschnitt – an diese absolute und unzerstörbare Liebesverbundenheit mit Gott. Dies ist die innere Qualität des Selbstverständnisses Jesu. Sie ist das Fundament seines Christus-Seins. Sie braucht nicht von oben herab auf Kosten anderer zu leben, sondern geht nach unten, zu den Menschen, so wie sie sind, um ihnen die unzerstörbare göttliche Liebesverbundenheit anzubieten – an sie zu erinnern, weil sie im Grunde schon in ihnen ist und immer war.
Schritte auf dem Erlösungsweg dahin bietet Jesus allen an. Seinen Jüngern – auch uns – lädt er ein ihm zu folgen. Dabei werden wir einzeln angesprochen – Jesus will keine Meute, die willenlos hinter ihm herläuft: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“ Es kommt darauf an, mit Jesus, dem Christus, verbunden zu bleiben und auf diesem Grund ins Vertrauen zu gehen. „Sich verleugnen“ könnte dann heißen: Weniger dem eigenen Ego folgen, sondern mal was Anderes – möglichst Liebevolleres – ausprobieren, sein Leben ändern und auch ändern lassen. „Das tägliche Kreuz aufzunehmen“ könnte bedeuten die Last des Lebens anzunehmen, weil wir nur so erfahren, dass wir auch in der Schwere Getragene sind, so, wie der Erdboden uns bei jedem Schritt von Neuem trägt. „Das Leben um seinetwillen verlieren“ kann uns ahnen lassen, dass wir mehr erhalten, wenn wir teilen: „Geben ist seliger denn nehmen.“ Das können wir tun. Auch das weiß der Volksmund: „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/05/cross-1772560_1920.jpg12801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-06-21 09:07:282022-06-21 09:07:28Predigt am 12. Sonntag im Jahreskreis (19.06.2022)
Als der 1996 verstorbene Pastoralpsychologe Henry Nouwen, ein angesehener Professor und international äußerst erfolgreicher geistlicher Autor in eine tiefe Sinnkrise geriet, zog er sich für 7 Monate in ein Trappistenkloster zurück. Als er den Abt nach einem Rat fragte, der ihm in dieser schwierigen Situation helfen könnte, sagte der: „Machen Sie zum Mittelpunkt Ihres Meditierens das Wort: Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“ Henry Nouwen stutzte, denn herrlich fühlte er sich zu dem Zeitpunkt natürlich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich leer, ausgepowert, niedergeschlagen.
Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben Sie gerade auch gestutzt, vielleicht aus einem ähnlichen Grund, weil sie sich auch nicht herrlich fühlen. Vielleicht aber auch, weil Sie meinen, dass das doch sehr vermessen und anmaßend ist. Nun, der Trappistenabt war ein großer geistlicher Meister. Als solcher kannte er sicherlich das oft zitierte Wort des Irenäus von Lyon, eines Kirchenvaters aus dem 2. Jahrhundert: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch.“ Ein wahrhaft gewaltiges Wort, das sicherlich auch uns guttäte, wenn wir es meditieren würden. Natürlich hat Irenäus von Lyon das nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern auf dem Fundament biblischer Offenbarung eine Wahrheit pointiert formuliert.
In unserem heutigen Evangelium klingt etwas sehr Ähnliches an, wenn Jesus zu seinem Vater betet: „Ich habe ihnen [gemeint sind die Jünger] die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast.“ Doch was meint eigentlich der Begriff „Herrlichkeit“? Wenn die Bibel von der Herrlichkeit Gottes spricht, meint sie damit die unfassbare, wunderbare, lebendige Ausstrahlung Gottes, seine Schönheit, seine gewaltige Größe und Kraft, sein erhabenes majestätisches göttliches Wesen, dass sich oft in einem strahlend hellen Lichtglanz äußert, wie zum Beispiel bei der Verklärung Jesu auf dem Tabor. Auch Jesus Christus, der „vor aller Zeit aus dem Vater geboren“ ist, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, ist diese Herrlichkeit zu eigen. Er selbst spricht ein paar Verse vor unserem heutigen Abschnitt davon: „Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war!“ (Joh 17,5) Und aus lauter Liebe zu uns Menschen, weil er uns ganz nahe sein wollte, hat er auf diese Herrlichkeit verzichtet und ist Mensch geworden. „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ So formuliert es der Philipperbrief (2,6f.).
Er ist Mensch geworden, weil er uns so sehr liebt, dass er ganz eins sein möchte mit uns und uns an seinem göttlichen Leben, an seiner Herrlichkeit Anteil geben will. „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ So haben wir es gerade im Evangelium gehört. Wenn man das recht bedenkt, ist das schon wirklich gewaltig. Die christliche Tradition spricht hier von einem „wunderbaren Tausch“. Der Schöpfer des Menschen, Gott, wird selbst ein Mensch und schenkt uns Menschen seine Gottheit. Ja, Gott gibt sich in Jesus uns Menschen ganz und gar hin, behält nichts für sich zurück, auch nicht seine göttliche Herrlichkeit.
Der große Mystiker Johannes vom Kreuz sagt: „Was Gott beansprucht, ist, uns zu Göttern durch Teilhabe zu machen, wie er es von Natur aus ist, so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“ Ja, indem wir ganz eins mit Gott werden, werden wir immer mehr in ihn verwandelt, „so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“
Das ist die große Sehnsucht Gottes, seine herzliche Einladung an uns: in Liebe ganz eins zu sein, immer mehr eins zu werden mit ihm, wir in ihm und Er in uns. Das gilt nicht nur „spirituellen Überfliegern“, nicht nur besonders „frommen“ Menschen, Ordensleuten oder Priestern, sondern allen. Weil er uns alle unendlich liebt. Hier geht es um nicht weniger als um das Fundament unseres christlichen Glaubens!
An uns liegt es, mit unserem Glauben wirklich ernst zu machen, diese Einladung anzunehmen, mit Gott in einem Beziehungsverhältnis zu leben, in einer tiefen Lebens- und Liebesgemeinschaft. Und was kann schöner und beglückender sein als mit jemanden ganz eins zu sein, von dem man weiß, dass er mich bedingungslos und unermesslich liebt?
Von Gott her ist das Eins-sein immer schon da. Das muss ich mir nicht erst verdienen, erwerben, weil Gott „in jeglicher Menschenseele, und sei es die des größten Sünders der Welt, wesenhaft wohnt und gegenwärtig ist”, wie Johannes vom Kreuz sagt. Vielmehr geht es darum, wach zu werden für diese tiefste Wahrheit unseres Wesens, und dann daraus mein Leben zu gestalten, mich der Liebe Gottes hinzugeben und mich von ihm verwandeln zu lassen, damit seine göttliche Herrlichkeit immer mehr Raum greift in mir, immer mehr durch mich hindurch scheint und strahlt. Damit ich spüre, dass das Wort wahr ist: Ich bin die Herrlichkeit Gottes!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/05/sunset-g9213e9573_1920.jpg12801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-05-29 16:49:282022-05-29 16:49:28Predigt am 7. Ostersonntag (29.05.2022)
Ich muss gestehen, dass ich mit dem heutigen Hochfest „Christi Himmelfahrt“ als Kind nie so richtig etwas anfangen konnte. Es war zwar schön, einen zusätzlichen Ferientag zu haben (ein Luxus, der Menschen aus Italien oder Spanien nicht vergönnt ist, denn hier fällt Christi Himmelfahrt wie auch das Fronleichnamsfest auf einen Sonntag), doch die Botschaft hinter dem Fest war mir nie so ganz eingängig. „Himmelfahrt“ – das klingt mehr nach Science Fiction und göttlicher Hebebühne als nach etwas, das mir in diesem Leben weiterhilft, das mir zeigt, wie ich im Alltag leben soll.
Später habe ich dann im Theologiestudium gelernt, dass Himmel nicht unbedingt der physische Ort am Himmelsgewölbe ist, sondern eher ein Zustand der Verbundenheit und Gemeinschaft. Das Englische kennt hierfür zwei unterschiedliche Wörter: „sky“ für den physischen Himmel über mir mit Sonne, Mond und Sternen, und „heaven“ für all das, was wir theologisch-spirituell unter Himmel verstehen.
Doch trotzdem stellt sich angesichts der Lage unserer Welt und Kirche für mich die drängende Frage: Wie kann ich den offenen Himmel feiern, in den Jesus eingegangen ist, wenn der Himmel für so viele Menschen weltweit nicht von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus, sondern vom Artilleriefeuer der Kriegsmaschinen erleuchtet wird?
Wie kann ich den Himmel feiern, wenn dieser Himmel für unzählige Menschen verdunkelt wird, weil sie im Raum der Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben?
Wie kann ich an einen offenen Himmel über uns glauben, wenn so vielen Menschen, und zwar nicht den Gleichgültigen, sondern den Engagierten dieser Himmel durch die Kirche so sehr verdunkelt wird, dass sie ihn in dieser Kirche nicht mehr zu sehen vermögen und diese Kirche verlassen, auf allen Ebenen? Und wenn die einzige Reaktion vieler nicht konsequentes Handeln ist, ein Ändern des Systems, das offensichtlich Missbrauch begünstigt, sondern Floskeln der Betroffenheit, eine regelrechte „Betroffenheitslyrik“ und „Erschütterungserschütterung“, wie es die Journalistin Christiane Florin auf den Punkt bringt?
Mitten in meine Zweifel hinein höre ich den Satz aus der Himmelfahrtserzählung der Apostelgeschichte, den wir zu Beginn im Introitus gesungen haben, der also sozusagen als Leitmotiv, als Grundton über diesem Tag steht: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11) Und ich lese die kraftvollen Sätze aus beiden Lesungen, die die Jünger zur Zeugenschaft, zur Verkündigung, zum Handeln aufrufen: „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samárien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) – „Angefangen in Jerusalem, seid ihr Zeugen dafür. Und siehe, ich werde die Verheißung meines Vaters auf euch herabsenden.“ (Lk 24,48-49)
Also: Nicht ein ängstliches In-den-Himmel-Starren, das Lösungen von oben, in einer fernen Zukunft erwartet, sondern ein kraftvolles Einstehen für die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth mitten in dieser Welt – als Geist-Begabte, von ihm gesegnete Menschen.
Keine Betroffenheitslyrik, die in offiziellen Statements oder ellenlangen Facebook-Postings sagt, man habe verstanden und werde sich ändern, Schritte der Veränderung einleiten, sondern jetzt das tun, was mir möglich ist, um die befreiende Botschaft Jesu zu verkünden – mag es auch den Widerspruch derer hervorrufen, die schon immer zu wissen glaubten, was katholisch ist und was nicht.
Was wäre aus dem Christentum geworden, wenn die ersten Jünger ängstlich im Obergemach geblieben wären und nicht hinausgegangen wären auf die Straßen und Marktplätze der Welt? Ihre Kleider wären vielleicht sauberer geblieben, und ihre Herzen unverwundeter, aber um welchen Preis? Die Apostelgeschichte, die wir in dieser Osterzeit wieder gehört haben, zeigt doch ganz deutlich den großen Freimut der Jünger, die Wahrheit Jesu Christi zu verkünden, auch gegen den Widerstand der Herrschenden. Sie zeigt den Mut der ersten Christen, mehr sein zu wollen als eine jüdische Splittergruppe, sondern sich bewusst fremden Kulturen auszusetzen und sich in dieser Auseinander-setzung neu zu finden.
Das Fest Christi Himmelfahrt führt mich nicht in einen fernen Himmel über mir, der nichts mitbekommt vom Leid dieser Welt. Sondern es stellt mich in die Verantwortung, mich hier und jetzt dafür einzusetzen, dass dieser Himmel sichtbar ist und bleibt für die Menschen, dass niemandem dieser Himmel verdunkelt wird. Jesus mag zwar physisch nicht mehr anwesend sein in dieser Welt – er bleibt aber anwesend überall da, wo Menschen seine Botschaft zu leben versuchen, sei es innerhalb, sei es außerhalb der Kirche. In diesem Sinne gibt es dann doch viele Erfahrungen des Himmels mitten in dieser Welt – da wo Menschen ganz unkompliziert geholfen wird, wo ihnen zugehört wird, wo sie ihre Geschichte, auch ihre Leid-Geschichte in dieser Kirche erzählen können.
Ja, wir werden dabei nicht mit heiler Haut davonkommen, nicht als Einzelne und nicht als Kirche. So manche Wunde wird bleiben, und wir werden sie mit uns tragen. Wir werden, wie es Hilde Domin in einem Gedicht schreibt, „eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.“ „Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.“ Dieser Wunsch ähnelt ein wenig den Betroffenheitsrhetorikern unserer Tage, die meinen, es wäre mit ein paar salbungsvollen Worten getan. Auch Jesus ist nicht einfach so in den Himmel aufgenommen worden, sondern durch das Kreuz hindurch, als Verwundeter. Er ist und bleibt der verwundete Gekreuzigte, auch in der sprichwörtlichen Herrlichkeit. Allein diese Bitte taugt nach Hilde Domin: „Dass wir aus der Flut, dass wir aus der Löwengrube und aus dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.“ Das wäre dann auch eine Himmelfahrt, die so ganz anders ist als die im Triumphwagen hinauf – weil der Himmel nicht weit weg ist, sondern uns ganz nah, innerlicher als unser Innerstes. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/05/landscape-gfd6491d68_1280.jpg7191280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-05-26 11:22:332022-05-26 11:22:33Predigt an Christi Himmelfahrt (26.05.2022)
Vor knapp zwei Wochen, mitten in der Karwoche, fand ein großes „Live-Event“ auf dem Burgplatz in Essen vor der Kulisse des Essener Domes statt, das ein großer privater Fernsehsender ausgerichtet hat. Es wurde mit vielen mehr oder weniger bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern, mit Einspielern und Livemusik und Thomas Gottschalk als Erzähler eine Geschichte aufgeführt, die viele Menschen berührt, ja zu Tränen gerührt hat. Das Event trug den Namen „Die Passion – die größte Geschichte aller Zeiten“ – und es handelte sich tatsächlich um die Passionsgeschichte von Jesus Christus, die wir in derselben Woche in den Kirchen gehört haben. Die Worte waren wörtlich den Evangelien entnommen, die Geschichte selber ist so übersetzt worden, als geschehe sie in der Gegenwart mitten in der säkularen Großstadt Essen. So fand das Messiasbekenntnis des Petrus im größten Essener Einkaufszentrum statt, die Lebensmittel für das Letzte Abendmahl wurden an einer Imbissbude gekauft, und die Ölbergszene wurde auf das Gelände der Zeche Zollverein verlagert. Manches daran war für christliche Augen sicherlich zunächst verstörend, doch ich finde, dass gerade in solcher Verstörung und Irritation auch etwas Heilsames liegen kann – denn haben wir uns nicht so sehr an die Passionsgeschichte gewöhnt, dass wir gar nicht mehr das Herausfordernde, Provozierende, Berührbare daran erleben? Da hilft so manche Störung, neu auf die zeitlos aktuelle Botschaft dieser Story hinzuhören. Das moderne Passionsspiel, das übrigens völlig auf brutale Bilder der Kreuzigung verzichtete, wurde immer wieder durch deutsche Popsongs unterbrochen, moderne Passionslieder sozusagen, deren Text erstaunlich gut zur Geschichte passten. Parallel zur Geschichte, die auf dem Burgplatz erzählt wurde, trugen ganz unterschiedliche Menschen in einer Prozession ein großes Lichtkreuz durch die Essener Innenstadt und berichteten dabei von ihren Erfahrungen und Lebensschicksalen – berührende Glaubenszeugnisse, die vielleicht nicht immer klassische Kirchenbiographien waren, aber nicht weniger authentisch und echt.
Mich hat dieses moderne Passionsspiel seltsam berührt. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass ein Privatsender, der sonst nicht unbedingt für christliche Botschaften bekannt ist, etwas schafft, wozu wir in unseren Kirchen immer weniger in der Lage zu sein scheinen: viele Menschen zusammenzubringen, die innerlich angerührt, ja auch ehrfürchtig, an dieser Geschichte teilnehmen – und vielleicht sogar am Ende verändert zurück in ihren Alltag gehen; am Ende stand der Appell zu Solidarität und Nächstenliebe, auch im Angesicht der vielen modernen Passionsgeschichten von Menschen heute, in der Ukraine, Russland, im Heiligen Land und anderswo.
Als Leitmotiv über dieser Veranstaltung stand ein Satz, der einem Lied der Gruppe Revolverheld entnommen ist, das am Ende der Jesus-Darsteller über den Dächern der Stadt Essen gesungen hat: „Halt dich an mir fest, wenn dein Leben dich zerreißt. Halt dich an mir fest, wenn du nicht mehr weiterweißt. Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt.“
Was hat das nun alles mit dem heutigen Oktavtag von Ostern zu tun und mit dem Evangelium der Begegnung des Auferstandenen mit Thomas, das wir gerade gehört haben?
Wir stehen am Ende der Osteroktav. Morgen geht nach den Osterferien für viele von uns das Alltagsleben weiter. Die Frage, die über diesem Tag steht, lautet: Was bleibt? Was bleibt von der Feier der Kar- und Ostertage der letzten Wochen, von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi? Was bleibt von der österlichen Hoffnungsbotschaft in einer Zeit, die ganz und gar nicht zur Hoffnung einlädt? Was bleibt, „wenn das Leben uns zerreißt und wenn wir nicht mehr weiterwissen“?
An diesem Übergang begegnet uns der Apostel Thomas. Er war bei der ersten Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Jesus nicht dabei. Er weigert sich zu glauben, wenn er nicht die Wunden berühren kann, wenn er es nicht mit allen Sinnen fühlen kann, wenn er sich ganz wörtlich an den Wunden Jesu festhalten kann. Und Jesus geht auf seinen Wunsch ein. Er sagt zu ihm: „Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite! Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt!“
„Berühre die Wunden!“ So lautet ein Buchtitel des tschechischen Priesters und Theologen Tomás Halík. Jesus ist nicht als strahlender Sieger auferstanden – auch wenn wir ihn gerne so besingen. Er ist mit seinen Wundmalen auferstanden. Und er lädt uns ein, seine Wunden zu berühren, uns berühren zu lassen von seinen Wundmalen, die uns in den Wunden unserer Welt und der vielen Menschen in ihr entgegenkommen. „Lass dich berühren von meiner Passion, wo auch immer sie erlebt und durchlitten wird – innerhalb und außerhalb unserer Kirchen, auf den Schlachtfeldern der Welt, in den großen und kleinen menschlichen Dramen von Schuld, Verrat, Verleugnung, Gewalt.“
Unsere Osterkerze bringt in diesem Jahr diese Botschaft eindrücklich ins Bild. An der Stelle der fünf klassischen Wundmale finden sich Friedenstauben, Boten des Friedens. Sie scheinen aus diesen Wundmalen hervorzufliegen, um den Frieden, den der Auferstandene seinen Jüngern zuspricht, in die Welt hinaus zu tragen: „Friede sei mit euch!“ Kein triumphaler Frieden, sondern ein verwundeter Friede, der sich nicht an den Wunden der Menschen vorbei, sondern durch diese Wunden hindurch seinen Weg bahnt. Das ist die Hoffnungsbotschaft von Ostern, die bleibt und die wir auch weiter verkünden müssen – als Protest gegen die Diktatoren dieser Welt! AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/04/Osterkerze-2022-Ausschnitt-scaled.jpg16312560Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-04-24 11:00:122022-04-23 09:01:19Predigt am 2. Ostersonntag (24.04.2022)
ich finde es jedes Jahr wieder berührend den Introitus also den Eingangsgesang von Ostern zu singen. Er ist für mich eine gute Möglichkeit Auferstehung zu deuten. Es ist dieses intime Gespräch des Sohnes mit dem Vater, der den Introitus so besonders macht. Es ist kein Triumphgesang mit Pauken und Trompeten, sondern es ist die Begegnung des Sohnes, der vom Vater gerettet, ja aufgefangen wurde.
Ich bin auferstanden und bin immer bei dir. Halleluja.
Du hast deine Hand auf mich gelegt. Halleluja.
Wie wunderbar wurde dein Wissen um mich.
Jesus ist Gott, aber er ist auch Mensch. Er hat Todesangst gehabt. Er musste den Tod am Kreuz sterben. Er musste sich fallen lassen am Kreuz, in den Tod hinein. Sich fallen lassen in diesen grausamen Erstickungstod. Er musste dies als Mensch, mit diesem letzten Zweifel, der den Glauben vom Wissen trennt, tun. Ohne Netz und doppelten Boden sich fallen lassen allein im Vertrauen, dass der Vater seinen Sohn nicht allein lässt.
Diesen intimen Moment des Sohnes mit dem Vater – die Erleichterung, das nicht enttäuschte Vertrauen in den Vater, wird uns am Anfang dieses Gottesdienstes vor Augen geführt. Kein Triumph und Herrlichkeit sondern Berührung und Liebe. Dieser Glaube und das Vertrauen des Menschen Jesu zu seinem Vater.
Ein Zweiter Mensch, der mich jedes Jahr berührt ist Maria Magdalena, diese Apostolin der Apostel. Sie läuft zum Grab und sieht, der Stein ist weg. Sie läuft zurück um Hilfe zu holen. Mit den zwei Jüngern kehrt sie verunsichert wieder. Doch sie lassen sie alleine am Grab zurück. Erst als sie alleine zur Ruhe kommt spricht Jesus sie an. Und auch dann muss sie sich ganz zu ihm wenden um ihn zu erkennen. Welches Gefühlschaos in ihr geherrscht haben muss. Erst der Tod, dann die vermeindliche Grabschändung und dann die Erkenntnis: Er lebt.
Dieses Gefühlschaos kann ich in der heutigen Zeit gut nachvollziehen. Erst über zwei Jahre Pandemie, in der wir alle nur mühsam tastend die nächsten Schritte gemacht haben, immer in der Angst sich und Andere anzustecken. Aber auch immer die Hoffnung, dass es Schritte zur Normalität gibt. Vorsichtige Schritte zu Normalisierung des Lebens künden sich an.
Dann geschieht Ende Februar, das Unfassbare, welches wir eigentlich überwunden zu haben glaubten. Ein Staat in Europa greift einen anderen Staat mit Waffengewalt an. Krieg in Europa. Wieder ein Rückschlag, Ohnmacht und Sorgen. Helfen wollen und gleichzeitig nicht in einen Krieg hineingezogen werden wollen.
Die Jüngerinnen und Jünger damals hätten sich auch lieber einen Messias gewünscht, der mit Macht kommt. Als triumphaler Held, der das jüdische Volk von seinen römischen Besatzern befreit und in Jerusalem einzieht. Aber so kommt Gott nicht in diese Welt.
Er kommt ganz leise. Er kommt nur zu denen, die an ihn glauben. Er kommt, wenn sie nicht damit rechnen. Er kommt, wenn sie zusammensitzen und die Türen verschlossen sind. Er bleibt nicht weg. Dies im Einzelnen zu deuten überlasse ich in den nächsten 50 Tagen meinen Brüdern.
Ein Wort des auferstandenen Christus an seine Jünger taucht dabei aber immer wieder auf. Es ist auf der diesjährigen Osterkerze: Friede sei mit euch! Wir bekommen vom Auferstandenen den Frieden zugesprochen, den wir nicht nur in Europa, gerade mehr als dringend brauchen.
Das jüdische Schalom meint aber mehr als Frieden. Es meint zunächst Unversehrtheit und Heil. Doch es ist nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit, Frieden und Ruhe. Im Alten Testament wird Schalom als „Zustand, der keine unerfüllten Wünsche offen lässt“ beschrieben.
Oder um es mit dem jüdischen Gelehrten Montefiori zu sagen:
„… der Friede, der allein versöhnt und stärkt, der uns beruhigt und unser Gesichtsbild aufhellt, uns von Unrast und von der Knechtung durch unbefriedigte Gelüste frei macht, uns das Bewusstsein des Erreichten gibt, das Bewusstsein der Dauer, inmitten unserer eigenen Vergänglichkeit und der aller Äußerlichkeiten.“
Dies alles zu begreifen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dauert für die Jüngerinnen und Jünger 50 Tage. Es braucht Zeit dies alles zu Verstehen und zu Verinnerlichen.
Haben wir das Vertrauen, dass Jesus in seinen Vater gesetzt hat.
Haben wir die Offenheit, von der Pater Matthias heute Nacht gesprochen hat, um Christus zu erkennen, wenn er uns begegnen will.
Lassen wir uns diesen Frieden Gottes in dieser Osterzeit immer wieder zusprechen, damit er in uns wirken kann. Damit er durch uns in diese Welt kommen kann. Damit auch wir Pfingsten davon erzählen können.
Schalom Alechem!
Friede sei mit euch!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/04/Osterkerze-2022.jpg7561008Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2022-04-17 14:00:502022-04-17 14:00:50Predigt an Ostern (17.4.2022)
Als ich ein Student im ersten Semester war, erhielten wir einmal als Hausaufgabe den Auftrag, einen Aufsatz eines berühmten deutschen Philosophen zu lesen, der um 1800 in Berlin lebte: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Titel des Aufsatzes lautete: „Wer denkt abstrakt?“. Wer denkt wohl schon abstrakt? Besonders die Philosophen selbst, Mathematiker, Physiker, Astronomen, Informatiker. Das dachte ich mir. Falsch gedacht! Hegel dachte an geistig ziemlich schlicht gestrickte Leute im Kleinbürgertum Berlins zu seiner Zeit, also an Leute, denen man spontan eine Abstraktionsleistung eigentlich nicht zutrauen würde. Wie das? Was er als Abstraktion bezeichnet, meint „übertriebene Vereinfachung“, Denken in Schablonen und Klischees, Absehen von der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit. Komplexe Wirklichkeit, handlich abgefüllt auf kleine Flaschen. Sprachlich drücke sich das aus in Formulierungen wie: „Das ist doch nichts anderes als…“ Einmal ehrlich: Wie häufig kommt uns das oder Ähnliches über die Lippen oder mindestens in den Sinn? Die Sichtweisen, das Verhalten eines anderen Menschen sind doch nichts anderes als dumm, gefährlich, hinterweltlerisch usw. Ähnlich schablonenhaft sagen wir: die Lehrer, die da oben auf dem Klosterberg, die Kirche, die Priester, die Wissenschaftler, die Politiker, das fehlerhafte Gesamtsystem „Katholische Kirche“, wie sich kürzlich ein typischer „Systemvertreter“ weit aus dem Fenster lehnte. Wenn wir heute häufig von angeblich „alternativlosen“ Entscheidungen, „alternativlosen“ Standpunkten, Forderungen oder Konsequenzen hören, die wir akzeptieren sollen, ist das eine moderne Version der gleichen geistigen Schlichtheit, die da sagt: „Das ist doch nichts anderes als…“ Je schlichter gedacht, desto lauter geäußert. Für das Osterevangelium gibt es diese billige Eindeutigkeit nicht, als ob es nur eine alternativlose Schlussfolgerung gäbe: Jesus ist nichts anderes als auferstanden, beziehungsweise: Jesus ist nichts anderes als tot.
Aber schauen wir genauer hin. Die Frauen also gehen nach dem Tod Jesu zur Beerdigungsroutine über und wollen den Leichnam salben, wie es üblich war. Da passiert etwas, was die Routine durchbricht. Das Grab ist offen, der Leichnam verschwunden; sie sind ratlos. Der Leichnam ist nicht mehr da, und von einem Auferstandenen ist weit und breit nichts zu sehen. Da zeigen sich unbekannte Männer in leuchtenden Gewändern und deuten die Abwesenheit Jesu als Zeichen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Der Menschensohn ist auferstanden wie er selbst gesagt hat“; und wer ihn jetzt noch im Grab sucht, sucht das Leben am falschen Ort. Dass diese Frauen mit einem Schlag zum Osterglauben gekommen wären, davon lesen wir nichts. Ein erster Hinweis: Ostern feiern, heißt: Nicht zu vorschnellen Urteilen kommen, Deutungen offenlassen, die Ambivalenz der Situation und die Ratlosigkeit aushalten, und einen Rat annehmen: Suchen wir den Lebenden und das Leben nicht bei den Toten!
Was die Frauen berichten, nehmen die Apostel nicht ernst: Das kann doch gar nicht sein! Das hat es ja noch nie gegeben! Was die wohl gesehen haben? Besser sich nicht bewegen und erst einmal weitermachen wie immer. Wir kennen diese Form vom Behäbigkeit und Bräsigkeit, die sich nicht in Bewegung setzen will, auch wenn klar ist, dass man gescheitert ist: vor die Wand gelaufen, mit seinem Latein am Ende, abgewirtschaftet und ohne Zukunft. Den Lebenden bei den Toten suchen? Nur Petrus will das nicht, ausgerechnet Petrus. Er steht auf, geht zum Grab, sieht die Leinenbinden da liegen, nicht aber den Leichnam und geht erstaunt nach Hause. – Und immer noch keine Eindeutigkeit, noch immer kein Osteralleluja. Das ist der zweite Hinweis: Ostern feiern heißt: aufstehen, hinschauen, staunen können – und noch einmal: keine voreiligen Schlüsse ziehen. Am Ende zeigte sich der Auferstandene selbst, wo und wie er es wollte.
Das Evangelium verkündet uns die Osterbotschaft still, suchend und auch zweifelnd; es lässt ehrlichen Dialog zu. Es polarisiert nicht, schlägt keine Türen zu. Es drängt sich nicht auf. Es steht in wohltuendem Kontrast zu forsch und lauthals vorgetragenen alternativlosen Erklärungen, Folgerungen und Forderungen. Die Präsenz des Auferstanden geht den Jüngern erst nach und nach im Zeichen seiner Nicht-Präsenz auf.
Ich meine, auf die Rhetorik alternativloser Standpunkte zu verzichten, ist auch eine kluge Entscheidung, wenn es darum geht, Debatten und Auseinandersetzungen zu gestalten. Und davon gibt es zur Zeit viele. Wir sind in unserer Gesellschaft in der Gefahr, dass diese Debatten bei aller Scheinliberalität immer hysterischer, immer unduldsamer, immer manipulativer geführt werden. Uns wird über Medien und Netzwerke massiv und sehr effektiv eingetrichtert, was wir zu denken und zu wollen haben. Das gilt bisweilen auch für die Reformdiskussionen, die wir innerhalb der kath. Kirche führen – ganz egal, wie man persönlich nun zu einzelnen Inhalten steht. Nichts ist alternativlos. Leise Töne sind immer hilfreich, lautstarke Patentrezepte nie. Ich arbeite seit fast 20 Jahren als Theologieprofessor an einer Universität im europäischen Ausland, mit Studenten aus aller Herren Länder: meistens aufgeschlossenen, intelligenten, engagierten und aufrichtigen jungen Christinnen und Christen. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Wenn mir in dieser Zeit eines klar geworden ist über unsere Katholische Kirche, dann das: Wir sind als Katholiken nicht Teil irgendwelcher lokaler Kirchentümer, sondern immer verwiesen auf die eine Weltkirche — mit ihren ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Mentalitäten, die nicht einfach nur deshalb dumm, veraltet oder unreif sind, weil sie vielleicht von unseren Lieblingsideen und speziellen deutschen Befindlichkeiten abweichen. Die Weltkirche ist das Korrektiv, das uns geschenkt ist, damit unser Denken nicht einseitg, selbstverliebt und provinziell wird. Hören wir also hin, was sie uns zu sagen hat, die Weltkirche! Wir selbst und unsere Positionen sind alles andere als alternativlos.
Wir lernen vom Osterevangelium auch, wo der richtige Ort ist, an dem jeder Einzelne von uns in dem, was ihn / sie bewegt, das Leben und den Lebenden suchen und finden kann: Hinhören auf andere und ihre Worte ernstnehmen, den geistigen Horizont erweitern, uns vortasten statt mit Patentlösungen aufwarten, leise Töne anschlagen, Türen offenhalten, selbst genau hinschauen wie Petrus und sich ein eigenes Bild machen, notfalls eingestehen, dass man nicht imstande ist, sich ein ernsthaftes eigenes Bild zu machen, und dann erst einmal schweigen und schließlich die Offenheit, die Anwesenheit des Auferstandenen im Zeichen seiner Abwesenheit zu suchen.
Das ist eine Frage der Einübung in die österliche Sichtweise des Lebens. Und wenn wir diese Haltungen unser ganzes Leben eingeübt haben, werden wir uns irgendwann vor dem Auferstandenen selbst einfinden, der am Ufer steht und uns zuruft: „Ich bin es, fürchtet Euch nicht!“. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/04/6.jpg480640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-04-17 00:00:482022-04-20 14:56:03Predigt in der Osternacht (17.04.2022)
Keiner kann Lebensglück erzwingen, – weder durch Leistung noch durch perfekt geplante Karriere- und Lebensstrategien.
Von daher versteht sich, dass jede und jeder von uns manchmal dasteht wie der ältere Sohn: Wir haben alles richtig gemacht, aber sehen nicht den erwarteten Ertrag, weil das Leben eben kein Lohnbüro ist, weil das Schicksal keine Tarifverträge kennt, die man bei Arbeitsgericht einklagen kann.
Manchmal läuft es aber – Gott sei Dank – auch andersherum: Wir stehen da wie der jüngere Sohn, der beschenkt und gefeiert wird, – obwohl er weiß, dass er das alles andere als „verdient“ hat.
Was im Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ geschieht, ist unverdient. Das erleben die beiden Brüder auf ihre je eigene, völlig gegensätzliche Art und Weise. Und auf ihre Art haben auch beide Recht: Der jüngere Sohn konnte nicht mit Großzügigkeit rechnen, weil er sich völlig verrannt hatte. Und der ältere Sohn meint, er sei nicht auf Großzügigkeit angewiesen, weil er Leistung erbracht hatte und sich berechtigt sieht, dem Vater mangelnde Lohngerechtigkeit vorzuwerfen.
Beide Brüder erleben, dass ihre eigenen Möglichkeiten und Denkmuster ausgereizt sind und nichts bringen. – Doch jetzt kommt der gewichtige Unterschied, auf den Jesus mit dem Gleichnis hinauswill. Beide gehen mit diesem entscheidenden Augenblick grundverschieden um:
Der Ältere sucht den Fehler beim Vater, der nicht seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit entspricht. Nicht die Beziehung zum Vater ist ihm wichtig, sondern dass der Vater seine Forderung erfüllt. Er will den Vater nicht als Vater, sondern als Chef mit Lohnbüro.
Genauso hatte der jüngere Sohn angefangen, als er sich das ihm erbrechtlich zustehende Geld beim Vater abholt, um es dann durchzubringen. Nur hat er, im Unterschied zum älteren Bruder, dazugelernt: Geld bringt spätestens dann nichts mehr, wenn es ausgegeben ist. Aber, o wirkliches Wunder! Er erlebt: Mit leeren Händen dastehen heißt nicht, ins Leere greifen, sondern mit leeren Händen dastehen macht die Hände, den Geist, das Herz frei, um sich vom Vater umarmen zu lassen. Endlich darf der Vater Vater sein und muss sich nicht mehr als Lohnauszahler missbrauchen lassen. Deshalb ist das unsägliche Glück dieser Situation beidseitig und deshalb ein wirklicher Grund zum Feiern: Der jüngere Sohn ist erlöst aus seiner selbstverschuldeten Verstrickung und der Vater darf sein, wer er wirklich ist
Der Vater steht dafür, dass das „Ende des Lateins“, nicht das Ende aller Dinge ist. Vorbei ist zwar der Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Aber etwas anderes, bisher Unmögliches fängt neu an: Zu empfangen – statt „nimm was du kriegen kannst“, Beschenkt Werden – statt Verdienen: Zuneigung, Vertrauen, Schenken, Beschenkt Werden, Feiern, Da-Sein-Dürfen ohne Berechnung, – kurz all das, was in klassischer Kirchensprache den „Himmel“ ausmacht. –
Der Himmel fängt an, wo einer davon ablässt, das Paradies auf Erden zu erzwingen: An dieser Stelle ist der jüngere Bruder dem älteren um einen entscheidenden Schritt voraus.
Den Himmel kann man sich nicht verdienen; wer seine Schultern bepackt mit seinen Leistungsansprüchen an sich selbst und an die anderen, bleibt Buchstäblich „in der Himmelstür hängen“, wie der ältere Sohn, – so wie der jüngere Sohn die Tür nicht gefunden hat, solange er meinte, den Himmel mit seinem Jet-Set-Leben auf eigene Faust organisieren und kaufen zu können.
Himmel ist da, wo Menschen Gott eine Chance lassen, so wie der jüngere Sohn dem Vater die Chance ließ, einfach gut und großzügig zu sein. Wer den Himmel sucht, braucht nichts anderes tun, als den Menschen und Gott die Gelegenheit zu geben, großzügig zu sein. Großzügigkeit annehmen, ohne sich zu schämen und sich zu freuen, wenn anderen Großzügigkeit erwiesen wird: Das ist der Himmel, für den wir Menschen bestimmt sind und außerhalb dessen wir unter unseren Möglichkeiten bleiben.
So lange einer den Großmotz gibt, der Großzügigkeit weder annehmen noch schenken kann, sondern sie als schwächlich verachtet oder plump ausnutzt, so lange hat niemand – kein Mensch und kein Gott – die Chance, ihm gegenüber großzügig zu sein, solange ist buchstäblich „Hölle“ angesagt.
Hier liegt die Frage, vor die uns das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ stellt: Auf welcher Seite finde ich mich wieder?
– Auf der Seite des älteren Sohnes, der Gott nicht Gott sein lässt, weil er alles selber macht, so als wäre er selber Gott?
– Oder sehe ich mich auf der Seite des jüngeren Sohnes, der die Großzügigkeit des Vaters annimmt, weil er Gott seinen Gott und seinen Vater sein lässt?
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/03/DSC003851.jpg6821024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-03-28 14:32:362022-03-28 14:32:36Predigt am 4. Fastensonntag „Laetare“ (28.03.2022)
vor vielen Jahren, als man noch ohne Maske dicht an dicht im Zug saß, sprach mich meine Sitznachbarin, eine ältere Dame, an. Wir kamen in ein längeres Gespräch, und nach einiger Zeit zeigte sie mir, dass sie gerade ein Buch über Brustkrebs las. Natürlich wollte ich nicht indiskret sein, und gleich zu Beginn nach ihren Krankheiten fragen. Deshalb fragte ich: „Sind Sie Ärztin oder Krankenschwester?“ Ihre Antwort war direkt: „Nein, ich bin selbst an Brustkrebs erkrankt, und ich bin froh darüber.“ Sie teilte mir mit, dass sie erfolgreich operiert worden war, aber natürlich könne sie nicht sicher sein, dass der Krebs nicht doch irgendwann zurückkehre. Dadurch habe sie gelernt, das Leben mehr zu schätzen und jeden Tag bewusster zu genießen. Wir tauschten unsere Adressen aus und blieben viele Jahre in Kontakt. Sie hatte als Krankenschwester und Reiseleiterin gearbeitet, ihr Mann war aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückgekommen und die einzige Tochter hatte den Kontakt mit ihr abgebrochen. Neben einem – nicht aufdringlichen – Glauben an Gott wurde sie von ihrem Sinn für Kunst durch das Leben getragen. „Ich habe so viel Schönes sehen dürfen“, schrieb sie mir einmal.
Wo finden wir Orientierung angesichts der vielen Katastrophennachrichten? Auf den Gedanken, bei den Bischöfen oder im Hirtenbrief nach Orientierung zu suchen, wird in diesen Tagen wohl niemand kommen. Aber die Leseordnung der Kirche bietet uns heute einen der schönsten und wichtigsten Texte der Bibel. Mose, ein Flüchtling aus Ägypten, hat beim Hirtenvolk der Midianiter Obdach gefunden und ist jetzt der arme Schwiegersohn eines Priesters und Herdenbesitzers. Mitten in seinem banalen, langweiligen Alltag macht er eine Gotteserfahrung und bekommt einen Auftrag, der seine Langeweile vertreibt, aber auch seine Sicherheit für immer beendet: „Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus.“ Es ist der Auftrag, das unterdrückte Volk zu befreien. Der Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus dem Sklavenhaus, wird das Urerlebnis des Volkes Israel werden, und auch wir werden in vier Wochen, in jener wunderbaren Osternacht, wieder die Lesung vom Durchzug durch das Rote Meer in die Freiheit hören. Gott sagt, „Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie zu befreien.“ Gott kennt das Leid der Männer, Frauen und Kinder, die zu Opfern von brutalen Diktatoren geworden sind, er kennt das Leid der Flüchtlinge, der Kranken und Einsamen, er kennt das Leid der Schöpfung, und er kennt auch unser Leid. Wir dürfen bei der Aussage, „Ich bin herabgestiegen“, durchaus daran denken, dass Gott Mensch geworden ist, dass er am Kreuz gestorben ist. Nicht umsonst empfinden so viele Menschen das Bild von Jesus am Kreuz oder das Bild von Maria mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß als so tröstlich.
Aber das ist immer noch nicht der Höhepunkt der heutigen Lesung: Gott hat einen Namen, einen unaussprechlichen, einen geheimnisvollen Namen. Für die Juden wurde der Name so heilig, dass nur noch der Hohepriester ihn aussprechen durfte, wenn er einmal im Jahr am höchsten Festtag das Allerheiligste des Tempels betrat. Seit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.Chr. weiß niemand mehr mit Sicherheit, wie der Name Gottes auszusprechen ist, zumal im hebräischen Urtext der Bibel nur die Konsonanten J – H – W – H überliefert sind. Nach alter Tradition steht an den fast 7000 Stellen, wo der Gottesname im Alten Testament vorkommt, die Übersetzung „der Herr“.
Die Deutung, die unser Text uns gibt, ist eher ein Rätsel als eine Erklärung: „Ich bin der ich bin“. Die ältere Einheitsübersetzung hat an die Erfahrung gedacht, dass Gott uns immer begleitet, auch im Leid, und deshalb übersetzt: „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘.“
„So viel Schönes“ hat meine alte Freundin in ihrem Leben erfahren dürfen. Auch wir machen in diesen Tagen viele schöne, tröstliche Erfahrungen: All die vielen Menschen, die sich jetzt in ihrem Alltag, in ihrer Langeweile und in ihrer Sicherheit stören lassen, die Platz für Flüchtlinge bereit stellen, die Spenden geben, die sich auf Schulhöfen in Blau und Gelb gekleidet aufstellen, um die ukrainische Fahne nachzubilden, all die vielen kleinen und großen Zeichen der Solidarität. Unserer Abtei sind in der vergangenen Woche fast die Kerzen ausgegangen, weil so unerwartet viele Menschen eine Kerze in der Marienkapelle angezündet haben. Viele von uns sind in den vergangenen Wochen und Monaten an Corona erkrankt – und genesen. Wir können froh und dankbar sein, dass es eine Impfung gibt und gute – leider schlecht bezahlte – Krankenpfleger, gute Forscherinnen und Ärzte in unserem Land. Sogar – das ist leider etwas untergegangen angesichts der vielen schlechten Nachrichten – in unserer Kirche scheint sich durch das unaufhörliche Engagement von Christen und besonders Christinnen etwas zu bewegen. Zumindest stimmen die Beschlüsse des Synodalen Weges von Anfang Februar hoffnungsvoll.
Auch wenn wir nicht wie Mose ein ganzes Volk befreien können – und das auch nicht müssen –, so können wir doch unseren kleinen Beitrag leisten. Es ist schön, dass Energiesparen jetzt gegen den Klimawandel und auch gegen Diktatoren hilft. Gott sagt uns zu, dass er uns in unserem Leben begleitet: „Ich bin da, ich kenne euer Leid, ich bin herabgestiegen, um euch zu befreien.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/03/DSC003851.jpg6821024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-03-20 16:40:512022-03-20 16:40:51Predigt am 3. Fastensonntag (20.03.2022)
dieser Jesus muss schon eine gewisse Faszination auf Petrus und seine Fischerkollegen ausgeübt haben. Sonst wären sie wohl nicht seiner Aufforderung gefolgt und wären ein weiteres Mal zum Fischen auf den See hinausgefahren. Immerhin hatten sie sich die ganze Nacht völlig umsonst abgemüht und nichts gefangen. Und Jesus war kein Fachmann in Sachen Fischerei. Und trotzdem haben sie auf ihn gehört. Vielleicht waren sie von dem Wort Gottes, dass er gerade den Menschen verkündet hatte, so tief berührt. Vielleicht haben sie es aus Dankbarkeit getan, weil Jesus zuvor schon die Schwiegermutter des Petrus geheilt hatte. Jedenfalls machen sie nun den Fang ihres Lebens. Die Netze, die in der Nacht gähnend leer geblieben waren, sind nun über und über voll mit Fischen, so dass sie zu reißen drohen. Und da schwant es wohl dem Petrus: hier muss Gott selbst seine Hand im Spiel haben. Hier steht ihm in Jesus der Heilige Gottes gegenüber. Und da bekommt er es mit der Angst zu tun. Er hat Angst, dass er vor Gott nicht bestehen kann. „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr“, platzt es aus ihm heraus. Im Angesicht des Heiligen und Reinen schlechthin fühlt er sich „schmutzig“, sündig, unrein und unwürdig.
Ähnlich ergeht es Jesaja, von dem wir in der Lesung gehört haben. Als er Gott zu Gesicht bekommt ruft er aus: „Weh mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich.“
Angst vor Gott, Angst, vor ihm nicht bestehen zu können: ich glaube, dass es das bei vielen Gläubigen heute immer noch gibt, auch wenn das manchen vielleicht gar nicht so bewusst ist. Die Älteren von uns sind vielleicht noch von einer schwarzen Pädagogik geprägt, in der den Kindern Angst vor Gott gemacht wurde, um sie gefügig zu machen. „Ein Auge ist, das alles sieht, selbst was in dunkler Nacht geschieht!“
Auch manches Kirchenlied vermittelte ein angstmachendes Gottesbild, wie z.B. „Strenger Richter aller Sünder, treuer Vater deiner Kinder, der du in dem Himmel wohnst, drohest, strafest und belohnst.“
Gott als strenger und strafender Richter, als akribischer Buchhalter, der Zeit meines Lebens jede noch so kleinste Sünde unerbittlich notiert, solche angstmachenden Gottesbilder sitzen oft sehr tief, oft in unserem Unbewussten und gerade deshalb werden sie gar nicht so selten an nachfolgende Generationen
weitergegeben, auch das oft unbewusst.
Letztlich sind das dämonische Gottesbilder, denn sie führen uns von Gott weg. Denn wie soll ich jemanden lieben, vor dem ich in meinem tiefsten Innern Angst habe. Den werde ich mir doch vielmehr weit vom Leib halten. Und so lebe ich in einem ständigen Zwiespalt.
Das Ermutigende an dem heutigen Evangelium ist, dass es Jesus gar nicht stört, dass Petrus ein Sünder ist. Das wusste er ja sicherlich schon, bevor Petrus es bekannt hat. Vielmehr sagt er zu ihm: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“
Ja, vor Gott müssen wir uns nicht fürchten, weil wir unvollkommen sind, manchmal Böses denken oder tun, versagen, weil wir Sünder sind. Das ist zutiefst menschlich. Das ist unsere Wahrheit. Doch Gott liebt uns so, wie wir sind, bedingungslos. Und so, wie wir sind, mit unseren Grenzen und Schwächen, will er auch uns in seinen Dienst nehmen. So wie den Petrus, der ihn dreimal verleugnet hat, und der trotzdem der Apostelfürst geworden ist und gemeinhin als erster Papst gilt. So wie Jesaja. So wie viele andere „Helden“, die uns in der Bibel begegnen und die oft gar nicht heldenhaft daherkamen. Der folgende Text bringt es auf den Punkt:
Jakob war ein Betrüger, Petrus war impulsiv, David hatte eine Affäre, Noah betrank sich, Jonah lief von Gott weg, Paulus war ein Mörder, Miriam war eine Tratschtante, Martha machte sich viele Sorgen, Gideon war unsicher, Thomas war ein Zweifler, Sarah war ungeduldig, Elijah war depressiv, Moses stotterte, Zachäus war klein, Abraham war steinalt und Lazarus war tot. Gott ruft nicht die Qualifizierten. Er qualifiziert die Berufenen.
Einer, der das begriffen hat und es auch lebt, ist unser Papst Franziskus. Wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst hat er in einem Interview gesagt: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Papstes hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Jesuiten – und das ist Franziskus durch und durch – ist aber gar nicht so verwunderlich. Denn am Anfang der großen ignatianischen Exerzitien, die jeder Jesuit zu Beginn seines Ordenslebens macht, steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Sündhaftigkeit, der Verstrickung in den Strukturen des Bösen – und das begegnet uns schon auf den ersten Seiten der Bibel. Das heißt, man stellt sich seinen eigenen Abgründen, seinen Schattenseiten, seiner eigenen Wahrheit, ungeschminkt. Doch dann geht es in den Exerzitien weiter und der Exerzitant richtet seinen Blick auf Jesus, wie er aus lauter Liebe zu uns Menschen vom Himmel herabsteigt und Mensch wird, wie er uns sündige Menschen in seine Nachfolge ruft und wie er in seiner großen Liebe bis zum Letzten geht und für uns sein Leben hingibt. In den Exerzitien erkenne ich also nicht nur, dass ich ein Sünder bin, sondern zugleich, dass ich als Sünder in unvorstellbarem Maße von Gott geliebt bin – und von ihm berufen bin. Und das ermöglicht mir, mich selbst anzunehmen, zu meinen Schwächen, meinem Versagen, zu meinen Schattenseiten zu stehen. Und das gibt mir eine große innere Freiheit, die es mir ermöglicht, der Liebe in meinem Leben mehr Raum zu geben, das Böse durch das Gute zu besiegen – mit Gottes Hilfe.
Ja, vor Gott brauche ich keine Angst zu haben. Er liebt mich so wie ich bin. Und so wie ich bin, will er mich als Mitarbeiter an seinem Reich des Friedens.
Und so möchte ich schließen mit Worten eines unbekannten Verfassers, die mit „Ermutigende Worte Jesu an Dich!“ überschrieben sind:
„Ich kenne dein Elend, die Kämpfe, die Drangsale deiner Seele, die Schwächen deines Leibes. Ich weiß auch um deine Feigheit, deine Sünden, und trotzdem sage ich dir: ‚Gib mir dein Herz, liebe mich, so wie du bist!‘ Wenn du darauf wartest, ein Engel zu werden, um dich der Liebe hinzugeben, wirst du mich nie lieben. Wenn du auch feige bist in der Erfüllung deiner Pflichten und in der Übung der Tugenden, wenn du auch oft in jene Sünden zurückfällst, die du nicht mehr begehen möchtest, liebe mich, so wie du bist! In jedem Augenblick und in welcher Situation du dich auch befindest, im Eifer oder in der Trockenheit, in der Treue oder Untreue, liebe mich, so wie du bist! Ich will die Liebe deines armen Herzens; denn wenn du wartest, bis du vollkommen bist, wirst du mich nie lieben! Wenn du mir deine Liebe schenkst, werde ich dir so viel geben, dass du zu lieben verstehst, weit mehr als du dir erträumen kannst. Denke jedoch daran, mich zu lieben, so wie du bist!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/02/fishing-net-g2945b4e0b_1280.jpg7171280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-02-08 09:02:382022-02-08 09:02:38Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (06.02.2022)
„Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage! Erschrick nicht vor ihnen – denn ich bin mit dir, um dich zu retten – Spruch des Herrn.“
Worte aus der heutigen Lesung.
„Nach 2000 Jahren steckt die Kirche Roms
in den Schuhen des Fischers fest im Sumpf.
Eine Hand mit dem Fischerring
will sich flehentlich zum Himmel erheben.
Doch der Himmel brennt,
die Engel fliehen
und überall sind dunkle Wolken.“
Worte aus einem Leserbrief der WP vom Freitag.
Und dazwischen feiern wir Gottesdienst.
„Ihr müsst bitte ganz dringend damit aufhören“, sagt Gott im gerade neu erschienen Buch von Annette Jantzen:
„Wenn Gott zum Kaffee kommt“.
„Womit?“ frage ich. „Ruft mich nicht weiter in Eure Kirchen und Gebete, als wäre nichts gewesen.“
Ein Outing im Ersten Programm
von über 120 Mitarbeitenden der Kirche,
die sich als homosexuell und queer bekennen,
zu ihrer Liebe und zu ihrer Lebensform stehen.
Ein Gutachten,
das Missbrauch an Kindern und Jugendlichen
und deren Vertuschung
wieder einmal bloßlegt.
Und gerade vor drei Tagen
wurde die KPE, eine sehr fundamentalistische
Pfadfindergruppierung
von der Bischofskonferenz anerkannt.
Menschen aus meinem engsten Freundeskreis
treten aus der Institution Kirche aus.
Menschen, von denen ich weiß,
wie wichtig ihnen ihr Glaube ist.
Dass es „nicht mehr so weiter geht“,
dass sich etwas ändern muss in der Kirche,
das haben in den letzten Tagen
etliche Bischöfe und Generalvikare gesagt.
Der „Synodale Weg“
mag ein Hoffnungszeichen sein.
Aber torpedieren ihn nicht schon viel zu viele
Bischöfe, Menschen unter uns?
Braucht es wirklich erst
den totalen Zusammenbruch?!
Weit davon entfernt sind wir nicht mehr,
auch wenn manche es immer noch
nicht verstehen wollen.
Der Prophet Jeremia erfährt,
wie Gott ihm den Rücken stärkt für seine Botschaft.
Sogar gegen die „Könige und Priester und die Bürger des Landes.“
Propheten sind keine Weissager
oder Kaffeesatzleser Gottes.
Sie sollen die Worte Gottes verkünden,
sollen eintreten für seine Botschaft der Liebe und Freiheit.
Gelegen oder ungelegen.
In der Taufe wurde es auch uns
bei der Salbung mit dem Chrisam zugesagt:
Als Glied Christi
sind wir „Priester, König und Prophet in Ewigkeit.“
Und was heißt das?
Es macht wohl wenig Sinn,
immer nur und immer wieder
auf Missbrauchsgutachten, Aktionen
und Hashtags zu schauen.
So grundlegend wichtig sie sind!
Aber: müssen wir nicht erst einmal auf uns selbst schauen?
Mich wird Gott einmal fragen:
„Was hast du getan?“
Vieles habe ich getan
in meinem Leben.
Viele Versagen gab es.
Für manche konnte ich um Verzeihung bitten.
Bei manchen hatte ich noch nicht den Mut.
Das trifft uns als Gemeinschaft.
Stehen wir zur Schuld des Einzelnen,
zu unserer gemeinsamen Schuld?
Das trifft jeden Einzelnen, jede Einzelne von uns
– uns alle, die wir hier zusammen sind.
Wir haben nicht die Unschuld Jesu,
der „mitten durch sie hindurch schritt
und wegging.“
Wir haben Schuld.
Auch wenn wir sie gerne verdrängen.
Ist es nicht an uns,
sie einzugestehen,
auf den oder die andere zuzugehen
und um Verzeihung zu bitten?
Pfarrer Andreas Fink
fragt in einem Video-Clip sehr eindringlich:
„Wo sind wir denn daran beteiligt,
dass Verbrechen geschehen konnten,
dass Verbrechen verdeckt wurden,
dass Menschen auch ob ihrer sexuellen Identität
ausgegrenzt, kirchlich ausgeschlossen wurden?“
Ich kann mich da nicht freisprechen.
Doch die Botschaft Jesu ist klar.
Unser Evangelium von heute ist eine Fortsetzung
des Evangeliums des vergangenen Sonntags.
Da sagt Jesus: „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht.“
Wenn wir die frohe Botschaft wieder verstehen,
wenn wir uns aus unserer Gefangenschaft
in das oft so Enge und Traditionelle befreien lassen,
wenn wir uns die Augen öffnen lassen
und wieder neu sehen
– ob wir dann nicht endlich wieder
zu Prophetinnen und Propheten werden?!
„Alle sollen es hören und sich freuen.“ Diese leicht abgewandelten Worte aus dem Psalm 34
sind für mich seit langem
Richtschnur und Weisung.
Ja, alle sollen die frohe Botschaft hören,
sollen sich endlich wieder freuen können.
Mich treffen die Worte von Annette Jantzen,
wenn sie Gott antwortet,
warum sie denn trotzdem weiter macht
und Gottesdienst feiert.
„Weil ich mich daran festhalten will, dass du trotzdem noch da bist“, heißt es im Buch. „Und ich nicht weiß, wohin sonst.“
Und weiter: „Und weil ich mich vor dem Moment fürchte, wo ich merke, dass ich das alles nicht mehr kann.“
Vielleicht ist es eine gute Aufgabe in die neue Woche hinein,
einmal zu überlegen,
wem ich die gute Botschaft verkünden möchte?!
Wo ich Gewalt und Machtmissbrauch,
wo ich Ohnmacht, Scham und Wut
ein Positives entgegen setze.
„Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage! Erschrick nicht vor ihnen – denn ich bin mit dir, um dich zu retten – Spruch des Herrn.“
Annette Jantzen, Wenn Gott zum Kaffee kommt, Echter Verlag Würzburg, 2022
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/01/cloudy-g74ab76236_1920.jpg12801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-01-30 13:52:262022-01-30 13:52:26Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis (30.01.2022)
Lesejahr C
Lesung: 1 Kor 12,12-31a
Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21
Das antike Korinth war eine Metropole des Handels, eine Weltstadt, in der Menschen verschiedener Völker, Kulturen und Religionen lebten.
Teil dieser bunten Gesellschaft war auch die christliche Gemeinde von Korinth. Paulus selbst hat sie im Jahr 50 gegründet und war aufgrund seines anderthalbjährigen dortigen Aufenthalts gut mit ihr vertraut.
Die meisten der ca. hundert Gemeindemitglieder stammten aus heidnischen Traditionen, doch gab es auch einen bedeutenden judenchristlichen Anteil. Die Mehrheit bildeten Sklaven, Freigelassene, Hafen- und Lohnarbeiter, Matrosen und Handwerker, dazu kamen einige wenige begüterte und angesehene Leute.
Diese Vielfalt sozialer und religiöser Prägungen forderte die Gemeinde heraus und führte zu vielfältigen Spannungen und Spaltungen in theologischen, ethischen und sozialen Fragen. Diese Streitigkeiten veranlassten Paulus schließlich, der Gemeinde von Korinth einen Brief zu schreiben.
In den Spannungen der Gemeinde von Korinth zeigt sich ein Thema, dass die Kirche Jesu Christi bis heute begleitet: Die Verbindung von Einheit und Verschiedenheit.
Wie aktuell dieses Thema bis heute ist, zeigt sich nicht zuletzt an der am vergangenen Mittwoch begonnenen diesjährigen Weltgebetswoche für die Einheit der Christen (18. – 25.01.2022).
Um die notwendige Verbindung von Einheit und Vielfalt in Kirche und Gemeinde zu illustrieren, nimmt Paulus in seinem Brief das in der Antike populäre Bild des menschlichen Organismus auf: Wie der Leib nur einer ist und trotzdem viele Glieder hat, so hat die Gemeinde viele Glieder, ist aber nur ein Leib.
Paulus weist darauf hin, dass die Gemeinde nicht nur in irgendeiner Beziehung zum Leib Christi steht, sondern der Leib Christi ist: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm“ (12,27). Denn „durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (12,13).
D.h., die Gemeinde muss sich nicht erst durch ihr Verhalten zum Leib Christi entwickeln, sondern an ihrem Leben soll erkennbar werden, was alle durch die Taufe schon sind: Leib Christi.
So verdeutlicht Paulus mit dem Bild vom Organismus des Leibes Christi sowohl das Verhältnis der Gemeinde zu Christus, als auch die Beziehungen der einzelnen Glieder untereinander. Sie sind aufgrund ihrer Verschiedenheit zwar nicht gleichartig, wohl aber gleichwertig. Alle Glieder des Leibes sind gleich wichtig und gleich nötig, sie sind aufeinander abgestimmt und voneinander abhängig.
Wenn Einheit nicht mit Einheitlichkeit verwechselt wird, können Vielfalt und Verschiedenheit als ein Reichtum erfahren werden, der allen dient.
Dann gilt: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit.“ (12,26)
Der Theologe Gotthard Fuchs nimmt dieses Bild auf und denkt es systemisch weiter. Dabei knüpft er an die Methode der Fußreflexzonenmassage an: „Jeder Massagedruck an Fersen, Sohle, Zehen schickt energetische Grüße an das entsprechende Organ und kann über gesund und krank informieren. … Schon der kleine Zeh kann seismographisch auf Störungen im Gesamtsystem aufmerksam machen.“ Übertragen auf den Leib Christi bedeutet das: „Jeder einzelne Christ zum Beispiel kann für den kirchlichen Gesamtkörper … von größter Signalwirkung sein, mindestens in diagnostischer Sicht. … Vermutlich würde man bei einem der Organe, die sich gern für besonders zentral halten, erhebliche Infektionen oder gar Krankheiten feststellen, die bis zum kleinen Zeh durchschlagen: in Gestalt zum Beispiel eines klerikalistischen Amtsverständnisses oder einer obrigkeitlichen Kirchenauffassung. Womöglich müsste am Gesamtkörper eine Immunschwäche diagnostiziert werden: Glaubensmüdigkeit, Mittelmaß, mangelnde Leidenschaft“ (CiG Jg. 69 (2017), 459).
Diese Diagnose des kirchlichen Gesamtkörpers ist uns schon seit einigen Jahren bekannt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat sich Papst Franziskus z.B. gegen den Klerikalismus und den mangelnden Kontakt vieler kirchlicher Amts- und Würdenträger zu den Menschen und ihren Lebenswelten gewandt.
Aktuell präsent wurde dies am vergangenen Donnerstag in München, als die Gutachter einer Kanzlei das mehrbändige Ergebnis ihrer Arbeit als „Bilanz des Schreckens“ vorstellten, was die Öffentlichkeit erneut erschütterte und weiterhin bewegt.
Viele haben mittlerweile das Vertrauen in die Kirche verloren, für manche bleibt nur noch der Kirchenaustritt.
Angesichts dieser Situation betont Bischof Overbeck von Essen die Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen und die Ursachen des Missbrauchs-Skandals zu erkennen und zu überwinden, zudem sagt er: „Wir müssen uns als katholische Kirche erneuern; gerade bei den großen Fragen der Machtkontrolle, der Geschlechtergerechtigkeit und der Sexualmoral, um nur einige Themen zu nennen, die beim Synodalen Weg kontrovers diskutiert werden. … Das wird nur gelingen, wenn wir keine Kirche des Stillstands sind, sondern eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns“ (WP 22.1.22, PPL2).
Für eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns bietet das heutige Evangelium programmatische Orientierungspunkte, denn hier stellt Jesus zu Beginn seines Wirkens in Nazareth mit den Worten des Propheten Jesaja fünf Kernpunkte seiner Verkündigung vor:
Den Armen eine frohe Botschaft bringen, d.h. Zuwendung zu den Armen und Benachteiligten, sich von ihrer Not berühren lassen, ihnen eine Stimme geben und Wege zum Leben zeigen.
Den Gefangenen die Entlassung verkünden, d.h. Menschen von Regeln, Strukturen und Haltungen befreien, die Leben verhindern, und sie dafür stärken, den Weg in die Freiheit zu wagen.
Den Blinden das Augenlicht geben, d.h. Menschen ermutigen, ihren Blick zu heben, auf- und hinzuschauen, einander Ansehen zu geben und die Augen für die eigene Wahrheit zu öffnen.
Die Zerschlagenen in Freiheit setzen, d.h. sich jenen zuwenden, die unter der Last bedrückender Erfahrungen leiden, die von den Erwartungen anderer erdrückt oder von äußeren oder inneren Konflikten zerrieben werden.
Ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen, d.h. Versöhnung suchen mit sich und den anderen und gemeinsam neue Wege wagen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/01/physical-therapy-gce98335c0_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-01-23 15:23:102022-01-23 15:23:10Predigt am 3. Sonntag im Jahreskreis (23.01.2022)
Mit dem heutigen Fest „Taufe des Herrn“ begehen wir im Verlauf des noch jungen Kirchenjahres einen ersten Zeiten-Übergang. Heute endet die Zeit des Weihnachtsfestkreises und gleichzeitig beginnt die Zeit im Jahreskreis – das Fest „Taufe des Herrn“ ist auch der 1. Sonntag im Jahreskreis. Wir feiern noch Weihnachten und sind schon im Anfang des Alltags. Dieses einzigartige Doppel-Phänomen weist darauf hin: Was wir Weihnachten feiern, die Geburt Jesu – die Menschwerdung Gottes – verwirklicht sich im Alltag.
Miteinander verbunden sind auch die Berichte von Johannes und Jesus in den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums, die unserem heutigen Abschnitt vorausgehen. Die Verwobenheit der beiden endet mit der Taufe Jesu. Kurz und knapp: Johannes tritt ab – Jesus tritt auf.
Von Johannes‘ brutalem Abgang erfahren wir im Evangelium, doch hat die kirchliche Leseordnung diese Verse, die direkt vor der Taufe Jesu stehen, leider weggekürzt. Dort heißt es: „Johannes tadelte auch den Tetrarchen Herodes wegen Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen aller Schandtaten, die er verübt hatte. Herodes fügte zu allem noch dies hinzu, dass er Johannes ins Gefängnis werfen ließ.“
Johannes, der Täufer und mahnende Rufer in der Wüste, spitzt seine geradlinige Botschaft der Umkehr und Buße zu: Er konfrontiert auch den Repräsentanten der verhassten römischen Besatzungsmacht mit dessen eigensüchtigen Machtspiel. Später wird Johannes seinen Mut mit dem Leben bezahlen müssen.
Damit spannt Lukas noch vor dem Beginn des öffentlichen Wirken Jesu einen inhaltlichen Bogen ans Ende des Evangeliums: Auch Jesus wird man gefangen nehmen, ihn töten und sogar noch sein Grab zu einem Gefängnis machen. Denn: Seine Botschaft ist nicht harmlos! – Gegen alle menschliche Erfahrung wird dieses Grab sich öffnen, leer sein. Gott verwandelt Tod in Leben – das feiern wir Ostern.
Der Grund für diesen finalen Wandel wird uns schon heute bei der Taufe Jesu vorgestellt. Hier öffnet sich der Himmel und der Mensch Jesus wird angesprochen: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Diese Formulierung entwickelt ihren Gehalt auch vor dem Hintergrund der antiken Abstammungslehre. Nach der war ein Sohn ausschließlich der Abkömmling seines biologischen menschlichen Vaters. Die Stimme aus dem Himmel macht deutlich, dass dieser Mensch Jesus seinem Wesen nach von himmlischem, also göttlichem Ursprung ist. Die Dogmatik sagt: Er ist eines Wesens mit dem Vater. – In ihm hat Gott sich unüberbietbar offenbart. Er hat sich der ganzen Welt hingegeben und diese Liebesquelle fließt immer, sie ist unzerstörbar, sie wird nie versiegen – sie wird auch den irdischen Tod in göttliches Leben verwandeln.
Die Möglichkeit einer Verwandlung können auch wir uns schenken lassen. Voraussetzung dafür ist, dass wir uns für das Geschenk der Liebe Gottes öffnen, dass wir uns lieben lassen. Jesus tut das bei seiner Taufe: Er betet und das ist für mich eher ein waches Hören als ein selber Sprechen. Gott offenbart sich als Mitteilender und Jesus wird ein durch und durch Empfangender. Später wird er sagen: „Was macht ihr viele Worte beim Beten? Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht, bevor ihr darum bittet.“ Sein Hören gründet tief in seinem Menschsein. Dieser Tiefe entspricht auch die Lage des Taufortes: Johannes tauft Jesus am Jordan, der durch ein Grabensystem fließt, das weit unter dem Meeresspiegel liegt. Diese geografische Tiefe entstand durch einen Aufbruch der Erde, der Erdplatten. Hier, ganz unten, wo – wortwörtlich – Irdisches zerbrochen und sonst nur Wüste ist, öffnet sich der Himmel und die Gnade fließt wie der Jordanfluss. Dieser Ort passt zum Menschsein wie es von Natur aus ist und wie es zum Menschwerden aus Gnade werden kann. In seinem Leben wird Jesus nach unten gehen, zu den Ausgegrenzten, den Verachteten, den Gescheiterten – ihnen schenkt er ihre göttliche Würde und menschlichen Selbst-Wert zurück.
Auch diese Kirche hat so einen tiefsten Ort. Er ist hier vorn – ganz nah am Altar – dort legen wir Brüder unsere Gelübde ab.
Johannes tauft nur mit Wasser und verheißt, dass Jesus mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen wird. Wieder wird ein großer Bogen über das Leben Jesu gespannt: Aus dem endgültigen österlichen Aufbruch wird Jesus den Jüngern seinen Heiligen Geist senden und der wird sie entflammen. Jetzt erfahren sie endgültig, was Jesus schon bei seiner Taufe vernahm: Alle sind geliebte Söhne und Töchter Gottes.
Jedes Leben ist heilig. Und es ist nicht egal, was wir tun und lassen in der kleinen und großen ganzen Welt. Denn heilig ist das Gegenteil von egal.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2022/01/church-window-g77bbf61dd_640.jpg426640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2022-01-09 17:04:332022-01-09 17:04:33Predigt am Fest Taufe des Herrn (9.1.2022)
Nun ist es endlich wieder soweit, liebe Schwestern und Brüder! Die Zeit des Advents, die Zeit des Wartens und der vielen Vorbereitungen, die oft stressige, mit vielen Terminen vollgepackte Zeit ist vorbei: Die Heilige Nacht ist da. Weih-Nacht!
Wir feiern Weihnachten. Das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Alles ist schön rausgeputzt. Die Tannenbäume sind aufgestellt und liebevoll dekoriert mit roten und goldenen Kugeln, silbernem Lametta, bunten Lichtern und vielem mehr. Viele haben zuhause ihre Weihnachtskrippe mit wunderschönen, ja vielleicht sogar kostbaren Figuren aufgestellt. Das Festessen ist vorbereitet. Die ein oder andere Flasche mit köstlichen Tropfen liegt kalt und wartet darauf, von uns entkorkt und genossen zu werden. Wir machen es uns gemütlich bei Kerzenschein, tauschen Geschenke aus und feiern im Kreis der Familie, im Kreis unserer Lieben. Und wir lassen uns anrühren von gefühlsbeladenen Liedern, die vom „trauten hochheiligen Paar“ und dem „holden Knaben im lockigen Haar“ singen. Idylle pur!
Das alles ist gut und schön! Aber das allein ist noch nicht Weihnachten. Weihnachten ist mehr! Bei aller Idylle übersehen wir oft, dass das „erste Weihnachten“ alles andere als idyllisch, gemütlich oder gar behaglich war.
Da sind Maria und Josef aus Nazareth, einem damals völlig unbekannten und unbedeutenden kleinen Kaff am Rande der Welt. Sie sind notgedrungen auf dem Weg nach Bethlehem, einer Kleinstadt, dessen alter Glanz als Stadt Davids, des berühmten und großen Königs Israels, längst verblasst ist. Maria ist hochschwanger und leidet unten den Strapazen der Reise, dem langen Fußmarsch, vielleicht etwas erleichtert durch einen Esel. Als sie in Bethlehem ankommen, bleiben sie zunächst obdachlos und nehmen schließlich Zuflucht zu einem Stall. Und hier, in diesem Dreck bringt Maria ihr Kind zur Welt. Viele unserer heutigen Krippendarstellungen täuschen darüber hinweg, dass es im Stall von Bethlehem schmutzig war, dass es dort gestunken hat, dass die Krippe oder der Futtertrog, in dem Jesus gebettet wurde, kalt und hart war und dass die Windeln des „holden Knaben im lockigen Haar“ sicher nicht das einzige war, was im wörtlichen oder auch übertragenen Sinne „beschissen“ war.
Und was auch oft übersehen wird: Es war Nacht! Und diese stille Nacht, heilige Nacht war sicher nicht romantisch. Die Lesung aus dem Propheten Jesaja bringt hier die Stichworte „Finsternis“ und „Todesschatten“ und macht damit deutlich, wofür die Nacht auch steht, symbolisch. Und schon hier am Beginn des irdischen Weges Jesu scheint die Nacht an seinem Ende auf: die Nacht, in der er verraten wurde und in die Judas Iskariot hinausging. Ja, Krippe und Kreuz sind miteinander verbunden. Krippe und Kreuz sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. So haben es schon die Kirchenväter gesehen. Diesen Gedanken greift auch ein Weihnachtslied von Jochen Klepper auf, das Eingang in das neue Gotteslob gefunden hat. Da heißt es:
Du Kind, zu dieser heilgen Zeit gedenken wir auch an dein Leid, das wir zu dieser späten Nacht durch unsre Schuld auf dich gebracht.
Die Welt ist heut voll Freudenhall. Du aber liegst im armen Stall. Dein Urteilsspruch ist längst gefällt, das Kreuz ist dir schon aufgestellt.
Warum, liebe Schwestern und Brüder, erzähle ich Ihnen all dieses Schwere und Negative? Sicher nicht, um Ihnen die Weihnachtsstimmung zu vermiesen. Ich glaube vielmehr, dass Weihnachten und seine Botschaft, wenn wir sie tiefer verstehen und nicht an der romantischen und manchmal auch kitschigen Oberfläche bleiben, uns wertvolle Impulse und Hilfen geben kann über Weihnachten hinaus, für unser ganz alltägliches Leben, für die restlichen 364 Tage des Jahres, insbesondere dann, wenn uns nicht nach Feiern zumute ist.
Unser Leben ist ja nicht immer so wie heute. Da gibt es nicht nur Feierstimmung und Idylle. Da gibt es doch auch all das Schwere, Dunkle und Beschissene. Da gibt es Dinge, die uns stinken. Da gibt es Dinge, die uns das Leben schwermachen. Da gibt es Enttäuschungen, Frust, Scheitern, Scham, Schuld, Mutlosigkeit, Resignation und nicht zuletzt die Corona-Pandemie, mit allen Einschränkungen, Lasten und Leid, die sie mit sich bringt.
Natürlich kann ich das auch mal ausblenden, all meine Sorgen für einen Augenblick vergessen und einfach feiern. Aber danach hat mich der Alltag ganz schnell wieder.
Weihnachten will uns sagen: Du musst vor deiner Nacht, vor den Dunkelheiten deines Lebens nicht weglaufen. Du musst sie nicht verdrängen. Du kannst dich ihnen stellen, weil mitten in deine Nacht der hereingeboren wurde, der das „wahre Licht“ ist (Joh 1,9), das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) und von dem unser Glaubensbekenntnis als „Licht vom Licht“ spricht. Er ist in unsere Nacht des Todesschattens gekommen, damit auch über uns ein helles Licht aufleuchtet. Ja, seit Gott Mensch geworden ist, ist keine Nacht mehr so finster, dass sie nicht den Keim und die Verheißung eines neuen Lichtes, eines kommenden Tages in sich birgt. Und deshalb kann jede Nacht heilige Nacht, Weihnacht werden, weil Gott in ihr wohnt. Mit der Geburt Jesu, mit dem Kind in der Krippe, beginnt das Werk unserer Erlösung, das sich am Kreuz, das aus demselben Holz geschnitzt ist, vollendet. Hier hat Jesus die Macht des Todes gebrochen, die Nacht des Todesschattens erleuchtet. Und so wurde das Kreuz, an dem Christus gestorben ist, zur Wiege neuen Lebens.
Von Weihnachten her strahlt uns ein neues Licht auf. Von Weihnachten her erscheint alles in einem neuen Licht. Weihnachten will uns die Angst vor dem Dunkel dieser Welt, vor unserem eigenen Dunkel nehmen. Denn von nun an geht der Immanuel, der Gott mit uns, gemeinsam durch jede Nacht, und sei sie noch so finster.
Und deshalb können wir die Nacht loben und besingen: Stille Nacht. Heilige Nacht. Ja, auch mit diesem Lied, auch wenn es für einige zu gefühlsselig und zu wenig gehaltvoll ist. Vielleicht geht dieses Lied ja deshalb vielen so zu Herzen, weil sie dabei zumindest dunkel und unbewusst erahnen, auch wenn sie es nicht benennen können, dass sie hier mit dem Geheimnis ihrer eigenen Nacht mit inbegriffen sind und weil sie damit zugleich ihrer Sehnsucht oder auch ihrem Glauben Ausdruck verleihen, dass Christ, der Retter, wirklich da ist und sie von allem Dunkel erlöst. Und dann gewinnt dieses Lied an Tiefe und kann zu einem beeindruckenden und starken Zeugnis des eigenen Glaubens werden. Und wenn wir so die Botschaft von Weihnachten immer mehr verinnerlichen und davon unser Leben verändern lassen, dann können wir auch in der dunkelsten Nacht mit den Augen des Glaubens das strahlende göttliche Licht sehen und mit den Ohren den himmlischen Lobgesang der Engel hören: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden, und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/12/Weihnachten-2021.jpg9601280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-12-26 15:39:312021-12-26 15:39:31Predigt in der Christmette (24.12.2021)
Es ist die geballte Macht der Weltgeschichte, die uns da in den ersten Zeilen des heutigen Evangeliums begegnet: der Kaiser Tiberius in Rom, sein Statthalter Pontius Pilatus in Judäa, die Führer der verschiedenen Provinzen, die Hohepriester als religiöse Führer. Sie alle sind vielfältig miteinander verwoben, bestimmen über Wohl und Wehe der einfachen Leute, sagen, wo es langgeht, sitzen in den Städten, den Zentren und Schalthebeln der Macht. Sozusagen eine antike Ministerpräsidentenkonferenz.
Dann aber ein Perspektivwechsel. Aus den Städten werden wir in die Wüste geführt, und hier ereignet sich Entscheidendes: „Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.“ Kein Herrschertitel wird genannt, kein Zentrum der Macht, dieser Johannes ist nur der unbedeutende Sohn eines einfachen Priesters im Tempel. Und doch hat Gott mit ihm Großes vor, ereignet sich an ihm und mit ihm Heilsgeschichte, Verbindung von Altem und Neuem.
Wüste, das ist zunächst einmal ein lebensfeindlicher Raum, ein Ort, wo ich um mein Überleben kämpfen muss, wo ich in die Entscheidung geführt werde, was wirklich zählt im Leben. Wüste – das ist der Ort der Dämonen, der Lebensfeinde meines eigenen Inneren, der „logismoi“, wie es die Väter nennen, der „Gedanken“, die mich hin- und herziehen, so dass ich innerlich und äußerlich keine Ruhe finde, ein Getriebener bin. Sie kennen sicher die bekannte Darstellung des hl. Antonius im Dämonenkampf auf dem Isenheimer Altar. Wüstenzeiten sind immer auch wüste Zeiten.
Wüstenzeiten – wüste Zeiten – die erleben wir auch heute, bei uns. Die Corona-Pandemie, die noch lange nicht überstanden ist, hat uns und unser Selbstverständnis, auch unser kirchliches Selbstverständnis erschüttert. Es geht um Leben und Tod, und es kommt dabei auf das Verhalten jedes Einzelnen an. In Wüstenzeiten klärt sich so einiges, da scheidet sich Richtiges vom Falschen, und Unwichtiges entlarvt sich als das, was es ist: eben nicht überlebenswichtig. Und Menschen, von denen wir meinen, dass wir sie gut kennen, offenbaren auf einmal ganz andere Seiten. Werden sich unsere Kirchen einmal als überlebenswichtig, als „systemrelevant“, erweisen? Bei so manchen innerkirchlichen Diskussionen habe ich da so meine Zweifel.
Und mitten in diese Wüstenzeit ruft uns Johannes, die „Stimme aus der Wüste“, entgegen: „Bereitet den Weg des Herrn!“ Und er verkündet „die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“. Es ist ein durch und durch adventlicher Ruf, der viel mehr mit dem eigentlichen Advent, dem Kommen Gottes in unsere Welt, zu tun hat als Lichterglanz und Glühweinduft. Umkehr – das griechische „Metanoia“ – meint keine bloß moralische Umkehr, sondern eine Kehrtwende, einen Wechsel der Perspektive, der mir zeigt, was wirklich wichtig ist. So wie Baruch in der Lesung das Volk Israel auffordert, die Perspektive zu wechseln: „Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe.“ Umkehr, die Änderung der Perspektive, hat also etwas mit Bewegung zu tun. Ich muss mich auf den Weg machen, einen manchmal anstrengenden Aufstieg hinter mich bringen. Jeder, der wie ich gerne wandert, weiß, dass so ein Aufstieg ziemlich schweißtreibend sein kann. Man kommt leicht außer Atem, muss sein Tempo anpassen, auch mal Pause machen, aufatmen. Aber wenn ich dann meinen Atemrhythmus und mein individuelles Tempo gefunden habe, dann geht es sich gleich viel einfacher. Bei Wanderexerzitien pflegen wir oft zu sagen: „Jeder geht sein Tempo!“ Wandern ist in diesem Sinne kein Marschieren im Gleichschritt, sondern ein sehr individuelles Geschehen, bei dem jede und jeder den eigenen Rhythmus finden muss. Und doch ist es bei aller Individualität wichtig, aufeinander Rücksicht zu nehmen – so ist es wichtig, dass die, die ein schnelleres Tempo gehen, bei Weggabelungen warten und dann nicht sofort wieder weitergehen, wenn alle da sind, sondern den Langsamsten der Gruppe bestimmen lassen, wann es weitergeht.
Nur so werden, wie die Verheißung am Ende unseres Evangeliums lautet, wirklich „alle Menschen das Heil Gottes schauen“, oder, um im Bild des Wanderns zu bleiben, auf dem Gipfel ankommen – jeder in seinem Tempo, aber doch in gegenseitiger Rücksicht und Hilfestellung. Vielleicht auch ein hilfreiches Bild in unserer derzeitigen gesellschaftlichen Situation.
In diesem Sinne wünsche ich uns einen Advent, in dem wir unseren je eigenen Rhythmus finden, um dem Herrn, der uns entgegenkommt, den Weg zu bereiten. Und in dem die Schnelleren auf die Langsameren warten, die Langsameren aber auch ihre Schwäche nicht ausnutzen. Nur gemeinsam kommen wir zum Ziel, auf das wir zugehen. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/12/desert-gead423ed0_1920.jpg12811920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-12-05 11:00:192021-12-06 08:40:17Predigt am Zweiten Adventssonntag (5.12.2021)
Die heutige Lesung aus dem Johannesevangelium (18,33-37) ist nicht nur – wie alle biblischen Texte in der Liturgie – ein Fragment, sondern eher ein Torso. Ein wesentliches Detail fehlt, nämlich die sprichwörtlich gewordene Pilatusfrage.
Sie erinnern sich: Als Pontius Pilatus Jesus verhört, will er zunächst nur eines wissen: „Bist du der König der Juden?“ Jesus erklärt, kein König mit weltlicher Macht zu sein. Aber damit gibt sich Pilatus nicht zufrieden und hakt nach: „Also bist du doch ein König!?“ Darauf Jesu Antwort: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Damit nun kann Pilatus anscheinend nicht viel anfangen und stellt die berühmte Pilatusfrage: „Was ist Wahrheit?!“
Dieser Satz nun hat für meine Ohren einen ganz eigenen Klang, als würde hinter ihm gleichzeitig ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen stehen. Also: Wahrheit – was soll das schon sein!? Die Reaktion des Pilatus auf die klare Selbstaussage Jesu changiert zwischen ratlos, gleichgültig, aber auch irgendwie erleichtert. Mit einem Achselzucken geht er irritiert weg. Immerhin: Die offenkundig religiöse Angelegenheit scheint ihm ohne jede politische Bedeutung zu sein – und das ist für ihn, den Repräsentanten der Macht, einzig von Belang.
In diesem kurzen Dialog spiegeln sich zwei Haltungen, die konsequent säkular eingestellte Menschen der organisierten Religion gegenüber zumeist einnehmen. Da ist zum einen die Angst vor dem Machtanspruch der Religion, eine Angst, die Pilatus fragen lässt: Bist du der König der Juden? Diese durchaus begründete Angst kleidet sich heute in die Vorsicht und Abwehr gegenüber jedwedem Fundamentalismus. Zum anderen ist da die weitverbreitete achselzuckende oder naserümpfende Gleichgültigkeit, mit der religiöse Themen einfach abgetan werden: Was ist schon Wahrheit? Was soll das?
Angst vor Fundamentalismus oder Indifferentismus als Option – werden diese beiden Reaktionen der christlichen Botschaft gerecht? Was ist die Wahrheit, die sie bezeugen soll und will – in einer pluralistischen, multireligiösen oder areligiösen Gesellschaft?
Im Erzählverlauf des Prozesses Jesu bleibt die Frage des Pilatus nach der Wahrheit zunächst unbeantwortet im Raum stehen. Das ist auch gut so. Die Pilatusfrage, beim Wort genommen, gehört zu den Fragen, die so gut sind, dass es schade wäre, sie mit einer voreiligen oder wohlfeilen Antwort zu erledigen. Es gilt, sie offen zu halten – jedoch wie Fenster, um immer wieder hindurchzuschauen.
Zwischen den Zeilen der Passionsgeschichte gibt der Evangelist Johannes allerdings zu verstehen, wie die Antwort für ihn lautet: Die Wahrheit ist ein Mensch. Sie begegnet in dem Menschen Jesus. Und: Sie ereignet sich als Geschichte – als seine Lebensgeschichte und als die Lebensgeschichten aller, die ihm begegnen.
Davon ist in einer anderen bekannten Selbstaussage Jesu die Rede: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Viele sehen darin den Absolutheitsanspruch des Christentums begründet. Jahrhundertelang wurde dieses Jesuswort zu Machtzwecken missbraucht. Aus der Verheißung, an der Wahrheit teilzuhaben, wurde die Behauptung, sie selbst zu haben und das ausschließlich.
Doch die Wahrheit bleibt unverfügbar – vielgestaltig und vielschichtig, wie sie erscheint: im Menschen und in der gesamten Schöpfung. Es gilt, sie im je eigenen Leben wahrzunehmen und zu bezeugen. Dazu ist ein jeder und eine jede von uns geboren und in die Welt gekommen. Das ist der Weg – und das sollte der Weg der Kirche sein, von dem Papst Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikats gesagt hat: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Mich hat das damals stark beeindruckt.
Um im Sinne dieses Papstvotums heute am Christkönigsfest eine besondere Facette der Wahrheit des Menschen hervorzuheben, möchte ich einen schönen Gedanken Martin Bubers zitieren, den er der Tradition des Chassidismus verdankt: „Es gibt nur eine wirkliche Sünde, nämlich zu vergessen, dass jeder Mensch ein Königskind ist.“
Wenn es um Könige oder Königinnen geht, ist manchmal auch die Rede von gekrönten Häuptern. Wer eine Krone trägt, geht wie von selbst aufrecht, sonst könnte die Krone zu Boden fallen. Die Krone verhilft also zum aufrechten Gang, in dem sich die Wahrheit des Menschen offenbart und der ein Zeichen der Würde des Menschen ist. Die Würde des Menschen ist eine königliche und sie ist sein Geburtsrecht, denn jeder Mensch ist zum aufrechten Gang geschaffen. Der aber meint nicht unversehrtes Leben, sondern eine innere Haltung. Zur Wahrheit des Menschen gehört auch seine Wunde.
In diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, dass man mit Krone nicht nur das äußere Machtsymbol bezeichnet, sondern auch den Scheitelpunkt der Schädeldecke, so dass jeder Mensch – ob äußerlich gekrönt oder nicht – eine Krone trägt.
Zu den Weisheitsüberlieferungen der Menschheit gehört weiterhin die Vorstellung, durch die leibhaftige Krone komme am Lebensbeginn die Seele in den Körper des Menschen und verlasse ihn dort auch wieder im Tod. Deshalb bildet in der Leibsymbolik das Kronenchakra, wie man es nennt, die Verbindung des Menschen nach oben – zum Himmel, unserer ursprünglichen Heimat. In dieser Zugehörigkeit gründet die Menschenwürde. Wer das erkennt, dem geht buchstäblich ein Licht auf, an das er sich halten kann – als aufrichtende, ausrichtende Lebensorientierung.
Letztlich ist es diese erleuchtete Erkenntnis, die den Menschen krönt, und diese Krone fällt nicht, wenn er sein Haupt demütig neigt, um im Mitmenschen die Würde zu ehren, die auch seine eigene ist. So neigten sich die Magier vor dem Kind im Stall und offenbarten dadurch dessen königliche Würde, ohne ihre eigene zu verlieren.
Eins ist mir noch wichtig, was ich mir selbst immer wieder hinter die Ohren schreiben muss: In den Klageliedern des Jeremia wird in prophetischem Realismus von der bedrohten Krone gesungen. „Dahin ist unseres Herzens Freude, in Trauer gewandelt unser Reigen. Zu Boden rollte unseres Hauptes Krone. Wehe, wehe wir sind Sünder. Unser Herz ist krank und darum voll Traurigkeit. Dunkel sind unsere Augen.“ Wenn die Kronen unserer müden, manchmal gedeckelten oder ängstlich verwirrten Häupter zu Boden rollen, lasst sie uns nicht auch noch gegeneinander in den Schmutz treten. Lasst sie uns vielmehr gegenseitig aufheben und füreinander hüten. Allesamt sind wir doch Königskinder, gottgewollte Menschen …
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/11/IMG_20211121_085743_369-e1637569260837.jpg426685Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-11-22 09:21:242021-11-22 09:21:24Predigt am Christkönigssonntag (21.11.2021)
„Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es“ – so ruft uns am heutigen Allerheiligenfest die Lesung aus dem Johannesbrief zu!
Und genau in diesem Geheimnis – nämlich, dass wir nach Jesu Lehre Gott unseren Vater nennen – darf ich Sie heute hier in der Kirche und am Livestream begrüßen mit den Worten:
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Wenn wir im apostolischen Glaubensbekenntnis miteinander sprechen „ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen!“ – „sanctorum communionem“ – so bezieht sich das auf das heutige Fest.
Allgemein assoziiert man mit der gängigen Übersetzung, dass es sich nur um eine Gemeinschaft der Heiliggesprochenen handele – also um jene Menschen, die durch Gerichtsverfahren der katholischen Kirche zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Wir haben in den Heiligen große Vorbilder, die wir in der Herrlichkeit Gottes glauben und die unserem Leben und Ringen Ziel und Richtung geben können. Das heutige Fest aber spannt den Bogen weiter, umfassender, eben katholischer: Wir gedenken heute der vielen Heiligen, die unerkannt blieben. Heiligkeit hat also nicht nur etwas mit den Heiligsprechungsverfahren der kirchlichen Behörden zu tun, sondern vielmehr mit einem Leben, das sich zutiefst auf das Heilige oder auf den Heiligen bezieht.
Wir sind und wir werden also nicht durch uns selbst oder gar durch Leistungen, durch viele Gebete oder herausragende Taten zu Heiligen, sondern Gott allein ist es, von dem her wir heilig sein können. Er – der Heilige schlechthin – hat uns Menschen gewollt und geschaffen. Damit hat er seinem Ebenbild Anteil an seiner Heiligkeit gegeben. Heiligkeit ist ein Geschenk, das Gott gibt und uns zuspricht. Menschen, die damit in Resonanz gehen, werden zu Heiligen. Menschen, die im Geiste Gottes zusammenkommen, werden zu einer Gemeinschaft der Heiligen, weil sie Gemeinschaft und Anteil am Heiligen haben und sich darin gegenseitig bestärken.
Das gilt auch für uns hier und heute. Als Getaufte kommen wir am Heiligen zusammen. Das ist eine große Würde, die wir als Kinder Gottes mit der Taufe empfangen haben. Das ist aber auch eine Aufgabe: wenn wir uns wirklich zu Herzen nehmen, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, dann müssen wir unser Leben und Handeln ändern. Es kann nicht mehr so weitergehen wie bisher. Gott ist der, der sich mitteilt, Gott ist der, der sich mit uns teilt. Er wird darin keineswegs weniger, sondern seine Anwesenheit in dieser Welt wächst mit jedem Menschen, der erkennt, dass Gott da ist und dass er teilende Liebe ist. Wo sich die Liebe mehrt, da reichert sich Gottes erfahrbare Anwesenheit in der Welt an.
Hierin sehen wir die Gemeinschaft am Heiligen in der Welt: dass die Liebe mehr wiegt als der Hass, dass Ländereien und aller Besitz nicht erobert, erstritten werden muss, sondern dass wir erben. Wir sind Beschenkte von Gott aus und haben daher keine Angst vor Verlust, weil in diesem Sinn nichts Eigentum ist, sondern das, was wir übergangsweise besitzen dürfen, ist ein unverdientes Geschenk. Das fängt mit unserem Leben an, das wir nicht aus uns selber zeugen, sondern das Gott uns schenkt.
Teilen macht das Leben nicht dunkler. Im Gegenteil: Alles Licht, das wir miteinander teilen, vermehrt die Helligkeit. Wo die Liebe ist, da schwindet die Angst und das Leben wächst. Es ist das Merkmal unseres Gottes, dass er sich teilt. Das Herz des Gekreuzigten steht offen für alle und er teilt sein göttliches Leben mit uns Menschen. Auch in den dunkelsten Stunden wendet sich Gott nicht ab, sondern er teilt unsere Not, unsere Sorgen, alle Ängste, allen Schmerz. Das ist das Geheimnis in Jesus Christus. Er ist der Emmanuel, der Gott mit uns.
Das wäre dann auch Hierarchie – ein Wort, das in unserer Kirche derzeit oft ausgesprochen wird. Aber welcher Sinn steht dahinter? Bedeutet Hierarchie, dass eine Ordnung heilig sei, vielleicht deshalb sogar unveränderbar? Ich glaube, dass das eine Verweltlichung der Theologie der Hierarchie ist. Der Begriff bezieht sich wohl stärker auf eine Ordnung des Heiligen. Also Gott, der Heilige ordnet oder auch das Heilige wird geordnet. So kann man den Genitiv am besten übersetzen.
Der theologische Fachbegriff bezieht sich spezifisch auf das Weiheamt der Kirche und er hat in diesem Sinne eine wunderbare Bedeutung: Wer geweiht ist, ist beauftragt zu teilen. Daher gibt es nur drei Weihen in der Kirche: die zum Diakon, der beauftragt ist, die Gaben des Glaubens vom Altar zu den Rändern zu bringen und Sakramente, die sich die Getauften spenden, zu bezeugen. Er ist die Nahtstelle zwischen Gottes Dienst und den Menschen, weil er die Gnade, das Geschenk weitergibt. Die weitere Weihe ist die zum Priester. Er steht an dem Ort, an dem das Brot und der Kelch geteilt werden. Es ist die Stelle Jesu, der sich uns schenkt, der sich teilt und mit jedem Brotbrechen, mit jeder Eucharistie mehr wird im Herzen der Welt und in der Mitte der Menschen. Und dann ist da der Bischof. Seine Beauftragung ist es, Priester zu weihen. Damit ist er in der Lage und beauftragt, die Kirche zu vermehren, indem er seine Aufgabe mit den Priestern teilt. Von Jesus aus erging eine ununterbrochene Reihe der Handauflegungen, die sich immer wieder geteilt hat und inzwischen ein Netz des Teilens geworden ist. Bischöfe sind Keimzellen einer Beauftragungslinie, in deren Teilung sich die Kirche vermehrt.
Hierarchie ist die Ordnung des Heiligen, aller Heiligen und alles Heiligen. Sie bezieht sich auf einen Gott, der nichts für sich behält, sondern alles mitteilt. Hierarchie ist kein Besitz, sondern selber Geschenk mit dem Auftrag, zu vervielfältigen, weiter zu geben und immer und immer und immer wieder zu teilen, weil nur so vermehrt werden kann. An dieser Essenz des Weiheamtes wird deutlich, dass Teilen nicht arm macht. Wir brauchen also nichts festzuhalten, keinen Besitz zu verwalten und schon gar keine Besitzstandswahrung zu betreiben.
So eröffnen auch die Seligpreisungen des Evangeliums eine neue Dimension: Die Seligen sind jene, die auf Gott vertrauen und das Teilen erfahren, das aus seinem Auftrag an die Welt und das aus seinem Dasein in der Welt erwächst: Heilige haben teil an einer Welt, in der alles allen gehört, weil Gott schon immer alles in allem ist. Dazu sind wir in diesem Erdental berufen, damit wir „durch Gottes Gnad und Wahl zum Himmel kommen allzumal“. (GL 542)
Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/11/all-saints-g6474431d6_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-11-01 11:00:402021-11-02 06:02:04Predigt am Hochfest Allerheiligen (01.11.2021)
In den letzten Tagen war in der politischen Diskussion rund um die Regierungsbildung in unserem Land viel von einer verbindenden Vision die Rede, die es braucht, um gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Wenn die fehlt, dann verliert man sich schnell im Kleinklein des Alltags und im Geschacher um Posten und Ämter, und die verschiedenen Parteien versuchen, sich gegenseitig auszuspielen – daran sind die Koalitionsverhandlungen 2017 letztlich gescheitert. Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass zunächst miteinander gesprochen wird, um solch eine Vision auszuloten, ohne dass Inhalte direkt an die Öffentlichkeit weitergegeben werden.
Wenn wir uns die heutigen Lesungen, vor allem das Evangelium, anschauen, dann kann zunächst der Eindruck entstehen, dass wir es hier mit vielen Regelungen rund um Ehe und Scheidungsrecht zu tun haben, die allein für sich genommen einer legalistischen Praxis Vorschub leisten, die wenig hilfreich in der heutigen Vielfalt und Buntheit unserer Lebenswelt ist, ja, die auf viele Menschen verletzend gewirkt hat. Die Vision, das verbindende Element scheint da zu fehlen.
Im ersten Satz der Lesung entdecke ich ein Vorzeichen, unter dem die einzelnen Regeln und Vorschriften gelesen werden können und das uns zeigt, wo die größere Richtung ist, die Vision, die Gott mit seiner Schöpfung hat: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.“
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“ Der Mensch ist von Natur aus ein Wesen, das auf Gemeinschaft hin angelegt ist. Experimente zeigen, dass Kinder, denen am Anfang ihres Lebens diese Dimension vorenthalten ist, in ihrer späteren Entwicklung schwere Defizite aufweisen. Vielleicht stellt Jesus im Evangelium auch deshalb ein Kind in die Mitte der Jünger, um auf diesen Aspekt aufmerksam zu machen. Denn Kinder sind ja in vielem, was Gemeinschaft und das Zusammensein mit anderen angeht, noch unbefangener als wir Erwachsenen. Wenn wir die Vorschriften zur Ehe und das Verbot der Scheidung unter diesem Vorzeichen der Gemeinschaft und der Ebenbürtigkeit lesen, bekommen sie gleich einen ganz anderen Klang – nämlich Leben, Beziehung auf Augenhöhe zu ermöglichen und Einsamkeit zu bekämpfen.
Im Oktober begeht die Kirche den Monat der Weltmission. Sie nimmt einen Aspekt von Gemeinschaft in den Blick, der in ihrem Wirken und in ihrem Sein fundamental ist: eine weltweit vertretene Gemeinschaft von Gemeinschaften zu sein, die in einer gemeinsamen Vision – Jesus würde vom „Reich Gottes“ sprechen – miteinander verbunden sind. Es ist eine Gemeinschaft, die nicht gleichmacherisch ist, sondern die Vielfalt der Menschen und Kulturen anerkennt. Jeder, der schon einmal an einem Gottesdienst in Afrika teilgenommen hat, wird wissen, wovon ich spreche. Unsere Kongregation der Missionsbenediktiner wollte von Anfang an Gemeinschaften – Klöster – gründen, in denen gemeinsam das Lob Gottes gefeiert wird und die gerade so durch ihre Präsenz unter den Menschen missionarisch wirken und Glauben verkünden. In einer Programmschrift von Andreas Amrhein, dem Gründer der Missionsbenediktiner, heißt es dazu: „Heller und höher und wärmer loht das Feuer der Andacht, wenn viele Flammen vereint brennen als ein einzelnes Flämmchen. Feierlicher strahlt der Altar im Lichtglanz vieler Kerzen, als im Scheine einer Lampe oder Kerze.“ Das gilt übrigens nicht nur im kirchlichen Kontext: gerade heute, am „Tag der deutschen Einheit“, erinnern wir uns an die vielen Menschen, die friedlich, mit brennenden Kerzen in ihren Händen, vor 30 Jahren für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind.
Aber auch der zweite Satz aus der Vision Gottes mit seiner Schöpfung vom Anfang der Lesung ist wichtig: „Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.“ Gemeinschaft wird immer dann scheitern, wenn diese Ebenbürtigkeit der Menschen, ihre fundamentale Gleichheit, ihre gemeinsame Würde als Ebenbilder Gottes nicht geachtet wird. Da mag sie noch so oft eingefordert werden, es werden hohle Phrasen bleiben, die nicht mit Leben gefüllt sind. An dieser fehlenden Ebenbürtigkeit sind die ersten Koalitionsverhandlungen 2017 gescheitert. Und die Folgen davon, wenn Menschen sich abgehängt fühlen, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen, spüren wir 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands sehr genau. Auch auf der Missionsgeschichte der Kirche liegt ein Schatten, wenn ganze Völker in ihrer Kultur nicht geachtet wurden, wenn ihnen in imperialistischer Manier ein europäisches Christentum aufgezwungen werden sollte, wenn selbst Missionare, die doch die Liebe Gottes verkünden sollten, nicht frei waren von rassistischen Ressentiments anderen Menschen gegenüber. Rassismus ist nicht nur ein Problem bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sondern offenbart sich oft erschreckend banal in meinem eigenen Denken und Handeln, in meiner Sprache. Und dass wir generell in unserer Kirche in puncto Ebenbürtigkeit noch einen weiten Weg vor uns haben, zeigen die Diskussionen um den Synodalen Weg: wenn eine Gruppe qua Amt ein Vetorecht hat und alles sofort blockieren kann, und sei es nur mit dem Verweis auf Rom, dann kann man zu Recht das dahinterliegende System in Frage stellen.
Diese realen Bruchstellen von Gemeinschaft können uns in die Resignation führen oder zynisch werden lassen. Sie können aber auch Antrieb sein, sich jetzt erst recht für eine Gesellschaft und Kirche zu engagieren, wo Menschen ebenbürtig miteinander umgehen. Und so möchte ich am Ende Amanda Gorman zu Wort kommen lassen, die junge Lyrikerin, die bei der Amtseinführung von Joe Biden Anfang des Jahres ihrer Nation, ja der ganzen Menschheit eine Vision aufgezeigt hat, die uns leiten kann, wenn wir vor lauter Legalismus und Resignation den Weg nicht mehr sehen. Sie schreibt:
Wir sind alles andere als lupenrein, alles andere als makellos, aber das bedeutet nicht, dass wir danach streben, eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist. Wir streben danach, gezielt eine Gemeinschaft zu schmieden. Ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt. Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht, sondern auf das, was vor uns steht. Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen, zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen. Wir legen unsere Waffen nieder, damit wir unsere Arme nach einander ausstrecken können. Wir wollen Schaden für keinen und Harmonie für alle. Lasst die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, dass dies wahr ist: Dass wir, selbst als wir trauerten, wuchsen Dass wir, selbst als wir Schmerzen litten, hofften Dass wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versucht haben Dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden, sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.
[…]
Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus, entflammt und ohne Angst. Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien. Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.
Es gehört zu den wirklich schönen Seiten meines Lehrerberufs, manchmal miterleben zu dürfen, wie jemand von Taubheit und Stummheit geheilt wird. Fast in jeder Lerngruppe stößt man auf den einen oder anderen Schüler, der offenkundig „nichts mitbekommt“ und, sauerländisch gesprochen, „die Zähne nicht auseinanderkriegt“. Jeder Versuch, daran durch gutes Zureden oder durch mehr oder weniger starken Druck etwas zu ändern, läuft monate-, manchmal jahrelang ins Leere. Garantiert völlig fruchtlos bleibt der berüchtigte Elternsprechtagssatz: „Er/sie muss mündlich besser werden.“ Im Gegenteil: Je verbissener man als Lehrer versucht, auf jemanden einzureden, desto verschlossener wird er.
Denn: Wer nicht hören und sprechen kann, hat Angst und hat das Vertrauen verloren.
Da braucht es Zuwendung und den langen Atem, der sich auch dann nicht entmutigen lässt, wenn nichts zu helfen scheint. Helfen wird da nur eins: Daran glauben, dass jemand mehr ist und kann, als er sich zu zeigen traut. Und oft, völlig überraschend und meist in einem Zusammenhang, in dem man nicht damit gerechnet hätte, sieht man einer solchen Schülerin, einem solchen Schüler auf einmal an, dass er/sie zuhört, dass er/sie aufnimmt, was sich abspielt. Und schließlich, im nächsten Schritt, redet sie/er mit, macht sein/ihr Wort. Auf einmal sitzt da nicht mehr ein Menschlein, das herumsitzt wie ein geprügelter Hund, sondern da steht jemand, der einem in die Augen schaut und ein wirkliches Gegenüber ist. Es ist buchstäblich „wunder“bar, wenn man so etwas erleben darf und vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat.
Wie Jesus ein solches Wunder bewirkt, davon erzählt der gerade gelesene Abschnitt aus dem Markusevangelium. Ganz sicher verfügte Jesus über so etwas wie eine „therapeutische Naturbegabung“. Aber das wirkliche Geheimnis hinter dem Gelingen dieser Heilung liegt darin, dass Jesus diesem Menschen die Angst nahm, nur Unerträgliches zu hören zu bekommen und sowieso von niemandem gehört zu werden. Jesus gab ihm die Er-innerung daran zurück, dass der allererste Satz, der ihm gesagt worden ist ein bedingungsloses „JA“ gewesen ist: Ja, ich, Gott, will dass es dich gibt, dich, so wie du bist. Und: Ich, Gott, warte seitdem darauf, dass du endlich antwortest. Egal wie lange es dauert, ich lasse mich von meinem Vertrauen zu dir nicht abbringen, auch wenn Du dich bis zur Verstocktheit betäubst und meinst, du könntest nur stumm und stotternd am Rand des Geschehens herumsitzen.
Taubheit und Stummheit zu heilen, setzt voraus, ohne Wenn und Aber daran festzuhalten, dass der innerste Kern meiner selbst und jedes Menschen in diesem einen besteht: Ich bin, du bist von Gott gewollt und dazu ins Leben gekommen, dass sich deine Begabung zum Lieben, zum Hören, zum Sprechen und zum Handeln entfaltet. Ja, es stimmt, dass ich mir selbst und meinen Menschenschwestern und –brüdern geschenkt bin, um mit ihnen in lebendiger und liebender Beziehung, im Wechselspiel von Hören und Antworten zu leben.
Die gegenwärtige Weltlage, die gesellschaftliche und nicht zuletzt unsere kirchliche Situation kann einen stumm machen, kann einen dazu treiben sich so zu betäuben, dass man nichts mehr mitbekommt. Auch hier merken wir: Den Druck und die Betriebsamkeit immer mehr erhöhen, macht nur noch tauber und stummer. Immer schmerzhafter wird dann, dass wir vor lauter Tumult in uns und um uns einander nicht hören können und wollen und dass das Durcheinander einem die Sprache verschlägt.
Hier ist gefragt, sich an dem zu orientieren, was Jesus für den Taubstummen tut: Beiseite gehen, um sich dem Bann des „Drunter und Drüber“ zu entziehen. Einen Menschen so berühren, dass er seine Angst hinter sich lassen kann, um den Blick auf Gott zu richten, der in seinem Innersten auf ihn wartet und ihm so vermitteln, dass in dem Wort „Effata“: – „Öffne dich“ – nicht Bedrohung und Überforderung stecken, sondern Erlösung und Befreiung.
So kann geschehen, was wir in der gegenwärtigen Drucksituation grundlegend brauchen: Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.
Diese Dimension unseres Glaubens ist jeder und jedem von uns in der Taufe zugesprochen. Zur Feier der Taufe gehört unter anderem der „Effata-Ritus“, der offensichtlich dem heutigen Evangelium nachgebildet ist: Der Taufende berührt den Täufling am Ohr und am Mund und sagt dazu: „Effata, Mensch, tu dich auf!“
Das ist der Zuspruch und Anspruch der Taufgnade, in deren Kraft jede Christin und jeder Christ den Weg durchs Leben gehen darf: Mensch, öffne dich und höre mit dem Ohr deines Herzens, dass Gott vor allem anderen „JA“ zu dir gesagt hat. – Mensch, öffne dich und sag‘ deinen Menschenschwestern und –brüdern dieses göttliche Grundwort, aus dem du selber lebst: JA, es ist gut, dass es dich gibt.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/09/students-395568_1280.jpg8501280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-09-07 08:47:362021-09-07 08:47:36Predigt am 23. Sonntag im Jahreskreis (05.09.2021)
Spätestens seit der nun allgemein bekannten AHA-Regel und den an allen öffentlichen Orten bereitstehenden Spendern von Desinfektionsmitteln ist der Begriff Hygiene ein sehr alltäglicher geworden.
Das Wort „Hygiene“ leitet sich vom griechischen Wort für Gesundheit hygíeia ab, das zugleich der Name der für die Gesundheit zuständigen Göttin ist.
Die identische Bezeichnung von Göttin und Zuständigkeitsbereich macht deutlich, wie eng der Zusammenhang von hygienischen Maßnahmen und religiösen Geboten und Verboten in den großen antiken Kulturen gewesen ist.
Im Wissen darum, dass der Mensch bei all seinen Bemühungen und Sorgen um Gesundheit und Wohlergehen diese letztlich nicht mit seinen Mitteln völlig sichern kann, sondern des Beistands höherer Mächte bedarf, wurden Regeln und Maßnahmen zur Gewährleistung von Gesundheit und Wohlergehen des Volkes religiös sanktioniert, um ihre Einhaltung zu sichern.
So finden sich in den religiösen Traditionen vieler Völker und Kulturen, vor allem im Kontext von Gottesdienst, Essen und Trinken, Reinigungsgebote und -riten, die nicht nur als Teil des religiösen Lebens beachtet werden, sondern auch als Ausdruck der eigenen Kultur, der Zivilisation überhaupt gelten und die Identität und das Selbstwertgefühl dieser Völker prägen.
Wie in der heutigen Lesung aus dem Buch Deuteronomium deutlich wird, gilt das auch vom Volk Israel, wenn es heißt: „Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. … welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?“
Israels Auszeichnung vor allen Völkern ist seine Erwählung durch Gott, der ihm seine Weisung, die Tora, gegeben hat, damit es so das Leben hat.
Um zu verhindern, dass die göttlich Weisung übertreten wird, kam es in der Folge zu Ausführungsbestimmungen, d.h. zu konkreten Regeln, die das Gesetz auf alltägliche Situationen anwendeten. Später nannte man dies „den Zaun des Gesetzes“, denn so wie der Zaun um einen Garten diesen schützen soll, sollen diese Regeln die Einhaltung des Gesetzes garantieren.
Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass dann mehr auf die äußerliche Einhaltung der menschlichen Regeln geachtet wird, als auf das eigentliche Anliegen. Dass es zu einer Veräußerlichung kommt, die das alltägliche Leben einschnürt und den inneren Sinn der Weisungen aus dem Blick verliert.
Genau diese Entwicklung kritisieren schon die Propheten Israels, so heißt es im Buch des Propheten Jesaja: „Dieses Volk ehrt mich mit seinen Lippen, sein Herz aber ist fern von mir. Ihre Furcht vor mir wurde zu einem angelernten menschlichen Gebot“ (vgl. Jes 29,13; Mk 7,6b-7).
Diese Kritik nimmt Jesus im heutigen Evangelium auf und erinnert daran, dass es bei aller Achtsamkeit für die äußere Reinheit, letztlich auf die Reinheit des Herzens ankommt.
Jesus lehnt Reinheit und Hygiene nicht ab, doch ihm geht es zuerst um die Hygiene des Herzens, in der die Reinheit von Gedanken, Worten und Werken gründet, denn „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7,20-23).
Während Jesus hier betont, dass aus dem Inneren, dem Herzen das Böse hervorgeht, sagt er in der Bergpredigt, dass die Folge eines reinen Herzen die Schau Gottes ist: „Selig die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Das Herz hier als Quelle des Guten.
Doch was macht das Herz rein? Wie wird es rein? Wer sind die Menschen mit reinem Herzen, die im Geist der Bergpredigt Gott schauen können? Wer oder was kann das Herz reinigen und wie kann es rein bewahrt werden? Und woran erkennt man ein reines Herz?
Diese Fragen beschäftigten vor allem das frühe Mönchtum, dessen erklärtes Ziel die contemplatio Dei[1]die möglichst beständige Betrachtung Gottes, die andauernde Ausrichtung auf ihn war.
Dabei verglichen sie das reine Herz in seiner Ruhe mit der Oberfläche eines spiegelglatten Sees, in dem sich der Himmel spiegelt. Doch die Wirklichkeit des menschlichen Herzens ist eher von unruhigem Wogen und Tosen geprägt. Gedanken, Gefühle, Impulse treiben ihn um und das Licht des Himmels wird in unzähligen Wellen und Wogen gebrochen.
Um das Herz zur Ruhe zu bringen, empfehlen die Mönchsväter und –mütter, die Stille zu suchen, sich an Christus, am Wort Gottes festzumachen, das unruhige Herz immer wieder in die heilende Gegenwart Gottes zu bringen.
Der heilige Benedikt ermutigt dazu, den Weg der Gebote Gottes zu gehen und im Glauben voranzuschreiten, damit der Geist Gottes das Herz berühren, es weiten und rein machen kann, und das unsagbare Glück der Liebe in ihm weckt.
Denn das ist ein reines Herz, das nicht in sich verschlossen ist, sondern aus der lebendigen Beziehung zu Gott, zu sich und zum Nächsten lebt.
Wenn wir uns wirklich und ernsthaft um die Gottes- und Nächstenliebe mühen und so unsere Herzen von allem reinigen, was uns voneinander und von Gott trennt, dann werden wir selbst Formen finden, uns in Liebe mit Gott und den Menschen zu verbinden. Wir werden uns als Erstes fragen, ob wir die Liebe leben und nicht, ob wir die Vorschriften auch peinlich eingehalten haben.
Der Prüfstein für die Reinheit des Herzens ist somit das Verhältnis zum Nächsten, vor allem die Wahrnehmung des anderen, der Umgang mit ihm und das Denken über ihn.
Sehr schön bringt das ein Wort des Mönchsvater Isaak von Ninive (+ um 700) zum Ausdruck:
„Ein junger Mann fragte: „Wie kann einer wissen, ob sein Herz rein ist?“
Der Lehrer antwortete: „Vollkommene Reinheit hat der erlangt, der alle Menschen in einem guten Licht sieht und von niemanden den Eindruck hat, er wäre unrein oder verdorben. Ein solcher Mensch hat vollkommene Reinheit erlangt.“
Das eigentliche und auch erste Meisterwerk von Egid Quirin Asam ist der 1722–1723 erstellte szenische Hochaltar, der den Kirchenraum der Benediktinerabtei Rohr in Niederbayern dominiert, «eine mit allen rhetorischen, perspektivisch-illusionistischen und theatralischen Kunstgriffen visualisierte plastische Darstellung der Himmelfahrt Mariens».
Die Ausmaße dieser raumbeherrschenden Altarinstallation sind eindrücklich und haben mich beim Betrachten überwältigt.
Der offene Sarkophag steht weit über dem Chorboden. Die beiden Altarbauten sind sieben Meter tief und deren Säulen fast 8 Meter hoch, bilden aber für den Betrachter eine einzige Schauwand. Für dieses eindrückliche «Theatrum sacrum» setzten die Asam ihre Kenntnisse aus dem Studium der Lichtinszenierungen Berninis genial um.
Eine mächtige goldene Krone von 5 Metern Durchmesser schließt die Giebelstücke des Alters zusammen. Auf der Monumentalbühne erscheint als lebendes Bild die Himmelfahrt Mariens. Über drei Stufen steht der Sarkophag. Von allen Seiten eilen die Apostel in erregter Bewegung herbei. Sie finden das Grab leer, der Deckel lehnt an der Rückwand. Maria aber schwebt, von Engeln getragen in die übergroße Krone hinein und zum Himmel empor, wo sie von der Hl. Dreifaltigkeit und Engelschören erwartet wird. Ein gelbes Fenster an der Rückwand wirft goldenes Licht auf die himmlische Szenerie.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir feiern heute das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. feierlich das Dogma verkündet, die Gottesmutter Maria sei nach Vollendung ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden. Das heutige Fest hat seinen wahren Ursprung jedoch nicht in diesem Dogma; der Glaubenssatz hält auf feierliche Weise fest, was seit dem 4. Jahrhundert aus der Volksfrömmigkeit (vor allem der Ostkirche) in das Glaubensbewusstsein der Kirche gelangt ist und dort seit anderthalb Jahrtausenden seinen festen Platz hat.
Und genau dieses Glaubensbewusstsein hat die Künstler aller Epochen inspiriert, die Himmelfahrt Mariens darzustellen. Ein Beispiel dafür ist das eingangs beschriebene Kunstwerk der Asam in Rohr.
Genau 300 Jahre später wurde hier im Sauerland für die Gemeinde St. Clemens in Drolshagen ein Flügelaltar in Auftrag gegeben. Schon die Tatsache, dass eine Gemeinde im 21. Jahrhundert einen Hochaltar in Auftrag gibt ist ungewöhnlich, noch ungewöhnlicher aber ist die dortige Darstellung der Himmelfahrt Mariens.
Das Altarbild des Künstlers Thomas Jessen aus Eslohe zeigt im Zentrum die Gottesmutter Maria auf einer Klappleiter stehend. Die fotorealistisch gemalten, lebensgroßen Figuren wirken dabei auf den ersten Blick eher wie Gemeindemitglieder oder Handwerker, die dabei sind, den im Hintergrund erkennbaren Altarraum neu zu gestalten. Das am Pfingstmontag dieses Jahres zur Altarweihe enthüllte Bild soll die Himmelfahrt Mariens in einer modernen Version zeigen. Die Mutter Jesu trägt dabei Jeans und Rollkragenpullover und steht auf einer Trittleiter unter dem Kreuz. Neben Maria stehen die heilige Veronika als Handwerkerin, ebenfalls in moderner Alltagskleidung und ohne Heiligenschein, sowie der ungläubige Thomas in Jeans und mit freiem Oberkörper – ein Selbstbildnis des Künstlers. Im Sauerland und gerade in Drolshagen erregt dieser Altar nun seit Wochen die Gemüter. Darf man die Gottesmutter und die anderen Heiligen so darstellen?
Während Maria im barocken Rohr von Engeln getragen in die Glorie des Himmels entschwebt, muss die Gottesmutter in Drolshagen in Arbeitskleidung selbst die Holzleiter erklimmen, um in den Bereich ihres am Kreuz dargestellten Sohnes zu gelangen. Die Leiter ist hier das verbindende Moment, denn während der Körper Mariens noch vor dem Rot irdischen Liebens und Leidens dargestellt ist, reicht ihr Kopf schon in die Kreuzigungsszene des Himmels hinein, in der das kräftige Blau dominiert.
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen zum heutigen Hochfest diese Kunstpredigt halte. Ich meine, dass die beiden beschriebenen Darstellungen uns gut an das Festgeheimnis heranführen können. Wenn mich persönlich – und meine Brüder kennen mich – die barocke Szenerie letztlich mehr bewegt und meine Seele anrührt, so vermag die moderne Darstellung eine intensivere Auseinandersetzung mit deren Inhalt zu entfachen.
Fragen wir uns angesichts der Aufnahme Mariens in den Himmel doch einmal, wie wir uns den Himmel eigentlich vorstellen. Ist es der Garten Eden, ein Paradies, eine Art Schlaraffenland, ein Ort des Friedens und der Gerechtigkeit oder die Begegnung mit allen schon Verstorbenen?
Der Himmel – jeder hat vermutlich seine ganz eigene Vorstellung davon.
Wenn wir im biblisch-christlichen Sinn von Himmel sprechen, meinen wir das uns von Gott zugedachte Ziel der persönlichen und universalen Geschichte; also das endgültige, rundum beseligende „Aufgehobensein“ in der Gemeinschaft mit Gott. Himmel so verstanden ist ein anderes Wort für Vollendung.
„Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“, hörten wir in der Lesung aus dem Korintherbrief. Quelle und Mitte aller Vollendung ist Gottes versöhnende Liebe, die uns in Christus bereits innergeschichtlich erschienen ist und im Himmel in ihrer ungehinderten Wirksamkeit offenbar wird. Der Seher Johannes nennt sie die Hochzeit des Lammes, die Gott mit seiner Schöpfung im himmlischen Jerusalem feiern will. „In dieses Fest wird all das mit einbezogen, was uns auch jetzt schon in unserem irdischen Leben mit dankbarer Freude erfüllt, was unsere mitlachende und mitweinende Sympathie weckt, ja, was uns einfach zutiefst menschlich sein lässt“, wie es Medard Kehl formuliert.
In unserer eigenen Vollendung sollen wir endgültig Ja sagen können, auch zu all dem Schmerzlichen, das erst im Licht der versöhnenden Liebe Gottes ganz und heil werden kann. Diesen Prozess der je eigenen Vollendung meinen wir im christlichen Glauben, wenn wir vom Himmel sprechen.
Was wir in der Lesung vom Hl. Paulus über die Vollendung aller Menschen hörten, sagt die Kirche in ihrem Lehramt nun eigens von Maria: „Die Gottesmutter ist derart in das Geheimnis Christi eingeschrieben, dass sie der Auferstehung ihres Sohnes mit ihrem ganzen Sein bereits am Ende ihres irdischen Lebens teilhaftig wird; sie lebt das, was wir alle am Ende der Zeiten erwarten, wenn der »letzte Feind«, der Tod, entmachtet werden wird.“
Die Begründung für die unmittelbare Aufnahme Mariens in den Himmel liefert uns der Lobgesang der Gottesmutter im Evangelium. Das Magnifikat ist eine einzige große Zustimmung zu Gottes Plan mit ihr. Maria spricht – schon während sie Christus in sich trägt – das endgültige Ja ihrer zukünftigen Vollendung und kann daher nach ihrem irdischen Leben unmittelbar am großen Fest der kommenden Welt teilnehmen. Durch all die Erfahrungen der Verlassenheit, in Schmerz und unsagbarem Leid, hat sie dieses einmal gegebene Ja nie zurückgenommen.
So ist die Gottesmutter uns Vorbild im täglichen Durchhalten, in der Treue und schließlich auch in der himmlischen Vollendung.
Das Leben der Gottesmutter, ihre alltäglichen Mühen und Sorgen, ihren Schmerz und ihr Leid bringt das Kunstwerk von Thomas Jessen in Drolshagen besser zum Ausdruck, zeigt es uns Maria doch als Menschen aus Fleisch und Blut, der an Christi Vollendung Anteil nehmen darf.
Die Treue der Gottesmutter, das ein Leben lang durchgehaltene, unbedingte Ja zu Gott, vermag dagegen den barocken Glanz der Asam-Szenerie zu erklären, wenn in dieser golden-lichtvollen Darstellung eine Ahnung unserer je eigenen österlichen Vollendung aufleuchtet.
Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/08/the-assumption-of-virgin-mary-2191751_1280.jpg9591280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-08-16 08:40:382021-08-16 08:40:38Predigt am Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel (15.08.2021)
Auch wenn Jesus heute im Evangelium auf den tieferen Sinn von Sättigung hinweist, hat er doch zunächst den leiblichen Hunger in der Brotvermehrung gestillt. Davon wurde uns letzten Sonntag berichtet. Das ist wichtig, denn Hungernden eine wie auch immer gestaltete Religiosität mit auf den Weg geben zu wollen, ohne vorher das Grundbedürfnis nach Nahrung, Gesundheit, Wohnung gestillt zu haben, macht keinen Sinn. Daher ist eine Evangelisation in Gegenden der Not ohne begleitende Hilfe undenkbar. So gibt es auch in unseren Missionsgebieten immer auch die konkrete Linderung von Notlagen. Es gibt Krankenhäuser, Brunnenbau und Schulen wie auch Ausbildungsstätten, um an einer Gerechtigkeit mitzubauen.
Gleichzeitig aber gibt es ja auch einen Hunger, der nicht durch Nahrungsaufnahme gestillt wird. Ich denke, wir alle kennen diesen Hunger. Es ist der Hunger nach Anerkennung, der Hunger nach Liebe, der Hunger nach Sinn und der Hunger nach Ewigkeit. Wir kennen die Sehnsucht nach unendlicher Liebe. Wir kennen das Sehnen, das zur Sucht werden kann, wenn es keine Erfüllung findet. Wir kennen die Werbestrategien, die auf subtile Weise versuchen, uns Ersatz anzubieten. Diese Formen des Konsumierens wirken zumindest nur sehr kurz. Wahre Erfüllung unserer Sehnsüchte ist nicht zu kaufen. Das wissen wir eigentlich alles.
Und nun bietet sich Jesus im heutigen Evangelium selbst als das „wahre Brot“ an. Mit der Verheißung, dass wir danach nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten werden. Ich muss schon sagen: Das ist ja eine steile These. Natürlich ist damit nicht gemeint, dass wir einfach aufhören zu essen und zu trinken. Aber auch die Vorstellung, dass unsere Sehnsucht durch Jesus gänzlich gestillt werden kann, wird doch augenscheinlich durch die Erfahrungen des Alltags widerlegt. Hatte es zu Beginn der Pandemie noch die Meinung gegeben, dass sich das Konsumverhalten verändern könnte, so ist dies inzwischen durch die Zahlen der Wirtschaft widerlegt.
War da Jesus von Menschen ausgegangen, die es so eben nicht gibt? Ich glaube tatsächlich, dass wir uns immer wieder auf den Weg machen dürfen und müssen, uns neu die „Nahrungsquelle Jesus“ zu erschließen.
Welche Nahrung bietet uns Jesus an? Da ist die Nahrung des tiefen Verstehens und des Verständnisses für jeden Menschen, gerade auch in der Schwachheit. Sei es Zachäus auf dem Baum, sei es die Ehebrecherin, seien es die Aussätzigen oder die Kranken. Ich darf mich so in meiner Gebrochenheit angenommen wissen, wie es Jesus in den Begegnungen gelebt hat und immer wieder auch bei jedem von uns tut. Wir alle sind von Gott Angenommene. Da ist die Nahrung der sich selbst verschenkenden Liebe, die an keine Bedingung geknüpft ist. Diese Liebe zu den Menschen, aber auch zu jedem Einzelnen von uns, ist grenzenlos. Bedingungslos bis hin zum Kreuz. Es gibt also jemanden, ein wirkliches Gegenüber, das mich so liebt, wie ich bin und nicht Bedingungen an die Liebe formuliert. Ich darf mich also geliebt und verstanden fühlen, ohne in Vorleistungen treten zu müssen. Da ist die Nahrung der Vergebung, die nicht verurteilt, sondern heilt. In allem, was mir nicht gelungen ist, in allem, wo mir Fehler unterlaufen sind, werde ich nicht verurteilt, sondern von göttlicher Vergebung umfangen. Denken Sie an das Gleichnis des verlorenen Sohnes oder besser des barmherzigen Vaters. So in den Arm genommen zu werden und liebkost zu werden, obwohl wir Schuld tragen, ist wahrlich ein lebenswichtiges und heilendes Lebensmittel. Gottes Vergebung ist grenzenlos. Und da ist noch die Nahrungsquelle der Ewigkeit. Alles Sehnen will Erfüllung und Ewigkeit. Durch Jesu Tod und Auferstehung ist uns die Perspektive auf Ewigkeit hin eröffnet.
Schauen wir jetzt auf unsere Praxis.
Gibt es denn Menschen, die aufgrund dieser göttlichen Nahrung ihren Hunger und ihren Durst so gestillt haben, dass sie es fruchtbar machen können für sich und andere – in der konkreten Nachfolge Jesu?
Ich habe über die Medien in den letzten 14 Tagen mitbekommen, wieviel Kraft Menschen zukommt, egal ob sie sich als religiös bezeichnen würden oder nicht, und die diese Kraft für andere zum Einsatz gebracht haben. Ich meine die Helfer und Helferinnen in den überflutenden Hochwasser-Gegenden, hier vor unserer Haustür. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, um anderen in existentieller Not beizustehen. Da sind Feuerwehrangehörige, die ihr Leben, um anderen zu helfen, gefährdet haben. Soviel an praktisch gelebter Religiosität. Über 60 Millionen Euro sind von Menschen gespendet worden. Ich glaube, dass diese Bereitschaft zur Hilfe den Helfern selbst wirklich Sättigung für Ihr eigenes Leben verschafft hat. Es klingt paradox. Wer sich hingibt, empfängt und wird gesättigt!
Wenn wir gleich vom Tisch des Herrn Christus empfangen, dann wird uns in diesem Brot auch seine Botschaft der sich hingebenden Liebe und Güte ausgeteilt. Durch das geschwisterliche Mahl sind wir zur Hingabe befähigt. Geben wir das Empfangene an unsere nächsten Schwestern und Brüder weiter.
Ich möchte schließen mit einem Gebet:
„ Der du der Erde Brot gegessen,
mit Sündern hast zu Tisch gesessen,
Herr Jesu, komm und mach uns satt,
dass Leib und Seel Genüge hat.
Amen.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/08/bread-399286_1920.jpg12801920Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-08-01 17:12:342021-08-01 17:12:34Predigt am 18. Sonntag im Jahreskreis (01.08.2021)
„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!“
Liebe Schwestern und Brüder, ich könnte mir vorstellen, dass eine ganze Reihe von uns sich von diesen Worten Jesu angesprochen fühlen und innerlich seufzen: Ja, das wäre schön. Einmal so richtig entspannen und ausruhen, durchatmen und wieder aufatmen.
Viele tun auch genau das jetzt in der Ferienzeit und sind im Urlaub, in dem sie hoffentlich auch Erholung finden. Doch viele fühlen sich sicher urlaubsreif und haben keine Möglichkeit, Ferien zu machen.
Ruhe haben wir alle nötig. Gerade unsere Zeit ist so voller Stress, Hektik, Lärm und Unruhe wie wohl kaum eine Zeit zuvor. Und Corona und der Lockdown haben vieles noch einmal verschärft. Home Office und Home Schooling haben vielfach für Konflikte in den Familien gesorgt, und ein Ausgleich dazu wurde durch Kontaktbeschränkungen und viele andere Einschränkungen sehr erschwert. Dass da so mancher am Ende seiner Kräfte ist und dringend Ruhe und Erholung braucht, ist nur allzu verständlich.
Ja, es ist wichtig, dass wir uns immer wieder Zeiten der Ruhe nehmen und uns Orte suchen, an denen wir uns erholen und auftanken können. So wie die Apostel nach ihrer Missionsreise Ruhe brauchten, um neue Kräfte sammeln zu können, so brauchen auch wir immer wieder Ruhe und Erholung, Zeiten, in denen wir nichts leisten müssen, wo wir tun und lassen können, was uns gerade Spaß macht, wo wir ganz zweckfrei sein, da sein können und das Leben genießen können.
Mein Eindruck ist aber, dass das Abschalten und Ausruhen vielen zunehmend schwer fällt. Wir stehen ständig unter Druck, sind ständig erreichbar, die Welt um uns herum wird immer schneller, komplexer und verwirrender, und da ist es oft gar nicht so leicht, aus diesem Hamsterrad auszusteigen, abzuschalten und dann die Ruhe auszuhalten. Vielleicht hatten es Jesus und seine Apostel da grundsätzlich leichter. Natürlich, das heutige Evangelium erzählt uns davon, dass es auch für sie schwierig war, Ruhe zu finden, weil Tausende von Leuten hinter ihnen her waren. Aber als gläubige Juden waren sie es gewohnt, regelmäßig auszuruhen, nämlich am Sabbat. Das hatten sie von Kindes Beinen an „gelernt“.
Am Sabbat darf ein Jude sich nicht nur ganz offiziell ausruhen und das Leben genießen, er soll es sogar und ist ausdrücklich dazu verpflichtet. Es ist eine heilige Pflicht. Ein Jude genießt am Sabbat die Zeit mit Familie und Freunden, genießt festliches Essen. Es wird erzählt, gespielt, gesungen und gelacht. Es werden die Schöpfung und der Schöpfer gefeiert, auch durch Gebet und Gottesdienst. Und jüdische Ehepaare kommen ihren „ehelichen Pflichten“ nach. Am Sabbat muss man sich für das Nichtstun nicht rechtfertigen, sondern ganz im Gegenteil, das Arbeiten bedarf einer Rechtfertigung. Ich glaube, dass wir davon eine Menge lernen können. Denn manchmal habe ich den Eindruck, dass wir das wahre Ausruhen verlernt haben, dass wir oft gar nicht mehr wissen, was uns wirklich gut tut und Erholung verschafft. Da wird die Freizeit vollgepackt mit vielen Dingen, die uns letztlich nicht nur keine Erholung bringen, sondern uns zusätzlich ermüden und entkräften. Oder die Zeit wird sinnlos verdaddelt mit Dingen, die unserer Seele keine Erholung bringen, sondern sie mit einem Gefühl der Leere zurücklassen.
Im Talmud, eine der bedeutendsten Schriften des Judentums, heißt es, dass der Sabbat nicht deshalb geschaffen wurde, weil Gott Ruhe gebraucht hätte, sondern Gott wollte, dass die Ruhe geheiligt werde. Die Ruhe ist also etwas Göttliches. Ohne Frage, schaffen und erschaffen, dass was Gott an den ersten sechs Tagen seiner Schöpfung getan hat, ist auch etwas Göttliches. Aber mit der Ruhe „krönt“ Gott seine Schöpfung. Wenn wir uns also Zeiten der Ruhe nehmen und gönnen, heiligen wir uns selbst und unsere Zeit, und im „Heiligen“ geschieht Heilung. Wenn wir uns in der Mühe des Alltags immer wieder Zeiten der Ruhe nehmen, dann kommen wir, die wir Abbilder Gottes sind, zu uns selbst. Und da muss jede und jeder für sich selbst schauen, was wahre Ruhe und Erholung bringt. Ein Weg ist sicherlich die Einladung Jesu anzunehmen und zu ihm zu kommen mit all dem, was uns belastet. „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, sagt Jesus zu uns. „Ich will euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28) Ja, Jesus verheißt uns Ruhe für die Seele. (11,29)
Schließen möchte ich mit Gedanken der kleinen Anna aus dem Buch „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“, denn die sind bedenkenswert:
Anna fragte: „Was ist wohl das Größte, was Gott gemacht hat?“ Fynn überlegte und sagte: „Das Größte ist die Erschaffung des Menschen.“ Sie schüttelte den Kopf und war nicht einverstanden. Fynn rätselte herum: „Vielleicht die Tiere, die Blumen oder das Weltall?“ Er fragte sich durch die sechstägige Schöpfungsgeschichte hindurch, erntete aber nichts als weiteres Kopfschütteln. Mehr fiel ihm nicht ein. Plötzlich legte Anna ihre Hände vor sich auf den Tisch und stand auf. Auf ihrem Gesicht malte sich Freude und Erstaunen über sich selbst. Sie holte tief Luft und sagte: „Das größte ist der siebte Tag.“ „Das kapier ich nicht“, sagte Fynn. „Da hat er nun alle seine Wunder in sechs Tagen fertiggekriegt. Und dann ruht er sich aus am siebten Tag. Was ist da so Besonderes dran?“ „Warum hat er sich denn am siebten Tag ausgeruht?“ fragte Anna. „Na, das Ganze war doch ’ne hübsche Menge Arbeit. Da braucht man dann mal ’ne Pause.“ „Er hat sich aber nicht ausgeruht, weil er müde war. Er nicht. Er war nicht müde.“ „Bestimmt nicht?“ „Am siebten Tag hat er die Ruhe geschaffen, und das ist das wirkliche Wunder. Er hat sich die Ruhe ausgedacht und sie dann gemacht. Wie, glaubst du, war das alles, bevor er am ersten Tag angefangen hat mit der Arbeit?“ „Ein ziemlich schauerliches Durcheinander, nehme ich an.“ „Ja, und du kannst dich doch nirgendwo ausruhen, wenn alles so’n Riesendurcheinander ist, oder?“ „Wahrscheinlich nicht. Und dann?“ „Siehst du, als er dann angefangen hat, alle Sachen zu machen, da war es schon gleich ein bisschen weniger unordentlich. Und als er mit allem fertig war, hatte er die ganze Unordnung in Ordnung gebracht. Und erst jetzt konnte er sich die Ruhe ausdenken. Und darum ist die Ruhe das allerallergrößte Wunder.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/07/IMG_9732.jpg6821024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-07-18 15:03:152021-07-18 15:03:15Predigt am 16. Sonntag im Jahreskreis (18.07.2021)
Opa Bär und der kleine Bär saßen vor dem Haus und betrachteten den Abendstern. Es war ziemlich kühl und Opa Bär hatte seinen Schal um. Der kleine Bär strich sanft mit der Pfote darüber. „Ich mag deinen Schal“, sagte er. „Er ist so lang und kuschelig.“ „Ja, er ist ein Teil von mir“, sagte Opa Bär. „Er wird immer länger – genau wie mein Leben immer länger wird, je älter ich werde. Als ich angefangen habe, ihn zu weben, war ich so alt wie du.“
So beginnt ein wunderbares Kinderbuch: „Opa Bär und sein langer bunter Schal“, in dem Opa Bär von seinem Lebens-Schal erzählt.
„Wenn du dir meinen Schal genau anschaust, siehst du zwei Arten von Fäden, Die einen gehen rauf und runter, die anderen kreuz und quer. Die langen Rauf-und-runter-Fäden halten meinen Schal zusammen und geben ihm seine Form – so wie die Eigenheiten, die du von Mama und Papa geerbt hast oder sogar von mir – zum Beispiel, dass du gern Beeren isst oder Angst vor Bienen hast oder große Pfoten …“ „Ich habe Papas Nase“, rief der kleine Bär aufgeregt. „Alle sagen das!“
Erben wir Nasen?
Bestimmte Charaktereigenschaften vermutlich schon.
Und selbst solche Dinge wie unsere Namen.
In einer Supervision oder Fortbildung
hätten Sie jetzt eine halbe Stunde Zeit,
Ihre Rauf-und-runter-Fäden,
das Ihnen Mitgegebene, Geerbte,
das was Ihr Leben hält, aufzuschreiben.
Würden Ihnen dabei auch Dinge einfallen,
die „göttlich“ geerbt sind?
Wir haben es doch gerade in der Lesung gehört.
Paulus schreibt es an die Gemeinde in Rom:
Wir sind Kinder Gottes, Erben Gottes.
Das geht weit über das Biologische hinaus.
Von Gott her erben wir unsere Einmaligkeit,
unsere Ebenbildlichkeit mit IHM.
Gott vererbt sich selbst in uns …
Wenn wir in der Dreifaltigkeit feiern,
dass Gott kein einsamer Einzelkämpfer ist,
und die „Dreifaltigkeit“ nicht nur ein theologisches Konstrukt ist,
dann ist Gott in sich selber Lebendigkeit und Beziehung,
ist Geber und Empfänger,
Wort und Antwort.
Und ER zeigt sich als ein großmütiger,
freigiebiger Gott, der sich mitteilt,
der uns Menschen nahe kommt,
der uns erfüllen und das Leben mit uns teilen will.
Der für uns Vater und Bruder ist.
Und uns sein Erbe vermacht.
Allerdings:
Erben heißt auch, Verantwortung zu übernehmen.
Wir sind keine Alleinerben.
Wir sind – im wahrsten Sinne des Wortes –
eine weltweite Erbengemeinschaft.
Und wie so oft, wenn es um das Erbe geht,
bringt das Konflikte mit sich.
Das fängt schon bei der Deutungshoheit an.
Zwar haben wir sogar zwei „Testamente“
und die Weisung Jesu im Evangelium ist klar: „Lehrt sie alles zu befolgen, was ich Euch geboten habe.“
Dass das längst nicht so klar und einfach ist,
zeigt uns der Blick in die Kirchengeschichte
oder schlichtweg in so manche Diskussionen unserer Tage.
Was ist Gottes Wille?
Wer darf was entscheiden,
wer ist Verwalter und Vollstrecker des Erbes?
Schwarz-weiß oder grau oder bunt?
Und wie so manche Erbengemeinschaft
geraten wir in Streit und Krieg.
Nichts von Geschwisterlichkeit.
Nichts vom Blick auf den gemeinsamen Vater.
Wenn nicht einmal wir Christen,
nicht einmal in einer Gemeinde und Gemeinschaft
es hinbekommen,
uns in aller Buntheit und Verschiedenartigkeit
als „Sein Volk“ zu sehen:
wie sollte es Frieden geben in dieser Welt?
Wir machen uns doch selbst das Leben schwer.
Wir sprechen uns gegenseitig ab,
die gegebenen Fähigkeiten, unser Erbe gut einzusetzen.
Ich kann doch besser entscheiden,
was dem anderen gut tut …
Ja, und noch ein Blick weiter:
Und wie gehen wir denn mit dem uns gegebenen Erbe um?
Es ist ja nicht nur das ganz persönliche.
Das fängt beim ganz kleinen an:
bin ich der bevorzugte Erbe, der als erstes eine Impfung braucht?
Und endet längst nicht beim Weltweiten:
Dürfen wir mit dem Erbe von Schöpfung und Natur so umgehen,
dass andere Miterben in die Röhre schauen?
Wenn wir Gott „Abba, Vater!“ nennen,
muss das Folgen haben.
Wenn wir in Jesus Christus unseren Bruder und Herrn erkennen,
muss das Folgen haben.
Wenn wir auf den Heiligen Geist, der Kraft gibt und Mut macht, vertrauen, muss das Folgen haben.
Wie können diese Folgen anders sein
als geprägt von der Botschaft der Liebe
und dem Geschenk der Freiheit?
Ich müsste sie halt auch den anderen zugestehen
– und nicht glauben, ich könnte über das Erbe entscheiden.
Ich müsste mich selber in der Freiheit sehen,
die Gottes Geist mir schenkt.
Und diese Freiheit dem anderen zutrauen.
In unserer Kirche,
ja auch in unseren Gemeinschaften
ist das leider oft nicht der Fall.
Unter Verboten, Unterstellungen, Verleumdungen
leiden viele von uns.
Und doch gilt:
Ich habe den Geist der Kindschaft empfangen,
in der Einmaligkeit meines Lebens will Gott aufscheinen,
macht ER mir Mut, mich selber anzusehen
und den langen bunten Schal meines Lebens.
„Es ist wichtig, dass du dir die Farben deines Schals und seiner Fäden ab und zu ganz genau ansiehst“, sagt Opa Bär. „Vielleicht hat dir irgendjemand ein paar trübe, langweilige Fäden gegeben. Fäden die aussehen wie die Tage, an denen man am besten gleich im Bett bleibt. Willst du die wirklich in deinem Schal haben? Du kannst sie natürlich nicht aus dem Stück nehmen, das schon gewebt ist, aber du kannst sie durch neue Fäden ersetzen, wenn du weiterwebst.“
Entdecken wir die goldenen Fäden der Kinder Gottes,
die Fäden der Liebe und des Mutes.
Und weben wir in sie die bunten Fäden unseres Lebens!
Denn die Verheißung gilt: „Siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/05/CCI07042016_0001.jpg6741024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-05-31 09:22:162021-05-31 09:22:16Predigt am Dreifaltigkeitssonntag (30.05.2021)
wie gut können wir mit den Aposteln fühlen. Jesus, ihr Lehrer und Freund war mit ihnen zusammen. Sie teilten mit IHM ihr Leben. Seine Nähe war wohltuend und sinnstiftend. Vieles lernten sie mit neuen Augen sehen. Neues hat sich ihnen eröffnet.
Dann der grausame Tod. Ein Nicht-Verstehen der Situation. All ihre Hoffnungen sind zerstört. War alles eine Illusion?
Aber dann die glücklich machende Erfahrung: Jesus lebt, er ist nicht tot. Sie dürfen IHN berühren, damit sie die Wirklichkeit seiner Auferstehung im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen können.
Und dann noch ein Abschied. Jesus wird vor ihren Augen emporgehoben und entschwindet ihren Blicken. Wehmütig schauen sie IHM nach. Ihre Augen kleben am Himmel. Nun scheint Jesus endgültig gegangen zu sein.
Zwei Männer in weißen Gewändern holen die Jünger wieder zurück auf den Boden. – Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmelempor? –
Als wollten sie sagen: Wenn ihr weiter nach oben schaut, dann kommt ihr hier nicht mehr weiter, dann seht ihr ja hier unten nichts mehr. Ihr steht da wie angewurzelt. Schaut wieder nach unten und bewegt euch! Hier findet euer Leben statt. Ihr habt doch seinen Auftrag gehört, dass ihr sein Wort verkünden sollt an alle Menschen.
Schwestern und Brüder,
das Fest Christi Himmelfahrt wird zum Fest der ganzen Welt, zum Fest unserer Erde, zum Fest des Glaubens, der die Erde lieben darf, weil diese Erde nun in Christus eine Mitte, einen Sinn und ihr großes Geheimnis gefunden hat. Das Fest des Himmels wird zum Fest der Erde, des Jenseits zum Fest des Diesseits, denn nun ist dieses unser Diesseits Raum Gottes geworden, da der ferne Gott durch Jesus und durch seinen Geist, „der in uns ausgegossen ist“, zum nahen Gott und zum Gott unseres Herzens geworden ist.
Angelus Silesius formuliert: Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für.
Für Angelus Silesius ist also der Himmel in mir selbst schon gegenwärtig. Ich muss ihn nur in mir suchen. Ja, näher als in mir selbst kann mir der Himmel nicht mehr kommen.
Und sicher stimmt es: Wenn wir nur nach oben schauen und von weit her auf den Himmel warten, sehen wir wirklich nicht mehr das, was dicht vor unseren Füßen liegt: Das Naheliegende, das, was unser Handeln erfordert, unser lebendiges Zeugnis als Christen, die mit beiden Beinen in dieser Welt stehen und leben.
Schwestern und Brüder,
Christsein heißt Hoffnung haben. Immer war Hoffnung zugleich Wagnis,
Wagnis inmitten vielfältiger Gefahren und Unsicherheiten.
Immer war Hoffen ein Hoffen trotz allem – und zu allen Zeiten gab es Krisen, aber zu allen Zeiten gab es auch, wenn auch manchmal nur wie eine kleine Flamme, die Hoffnung, die auf das Versprechen des Herrn gründete: „Seht, ich bin bei euch bis zur Vollendung der Welt“.
Eine Hoffnung also, die aus der Gegenwart des Herrn lebt!
Deshalb gilt: Nicht auf die Krise starren, sondern immer wieder neu Chancen wahrnehmen, neue Ausblicke wagen, auf Zukunft hin leben.
Vielleicht ist es wieder an der Zeit, einem Wort von Ida Friederike Görres Beachtung zu schenken:
Die Weltgeschichte ist voller Überraschungen und Gott ist nicht bei den stärkeren Kanonen. Was an die Zukunft der Kirche glauben lässt, ist nicht zuletzt das unermessliche Leid ihrer Glieder.
Nun bleibt die Frage, die jede und jeden von uns selbst betrifft:
Was bin ich für ein Christ?
Eine / Einer, der ängstlich auf all das Beunruhigende unserer Zeit starrt und daher keine Kraft hat für die Zukunft des Reiches Gottes in dieser Welt, oder der neue Chancen sieht und wahrnimmt?
Was bin ich für ein Christ? Eine / einer, der ängstlich nach Halt sucht oder der anderen durch seine Zuversicht zu neuer Hoffnung verhilft?
Wer in Gefahr ist, zum Pessimisten zu werden, der sollte einmal auf all das Hoffnungsvolle schauen, das sich um uns ereignet.
Mit dem heutigen Fest treten wir in die große Pfingstnovene ein. Er, Jesus verspricht uns allen den Heiligen Geist. Er ist der Geist, mit dem wir gefirmt worden sind. Er gibt uns die Kraft zum Leben, den Mut zur Nachfolge. Er bewirkt in uns, dass wir Gott in unserem Leben entdecken können und dass wir Jesus in dieser Welt erkennen, ja IHM lebendig begegnen. Er treibt uns an, dass wir nicht nachlassen, uns in dieser Welt, in unseren Gemeinschaften, Gemeinden und Familien für das Gute, für Gerechtigkeit und Frieden, für die Liebe unter den Menschen, also für den Himmel einsetzen.
Wenn wir immer wieder um die Entfaltung des uns geschenkten Heiligen Geistes beten, dann kann er bewirken, dass wir nicht lau werden, sondern dass in all unserem Tun Feuer steckt, dass wir zu feurigen, begeisterten Christen werden. Dann sind wir alles andere als Träumer und Utopisten, sondern Menschen, die Zeugnis geben, nicht abgehoben, sondern mitten drin.
Ja, dann sind wir wie Leuchttürme. Dann werden sicher – und das bewirkt auch Gottes Geist – andere Menschen erkennen und erfahren dürfen: Ja, der Herr lebt. Der Himmel hat jetzt schon hier unter uns Menschen, ja sogar in mir selbst, begonnen.
Ich möchte schließen mit Worten von Wilhelm Willms:
Gott, lass uns nicht ins Leere schauen.
Lass uns nicht in falsche Richtungen schauen.
Lass uns nicht Zeit verlieren.
Gib, dass wir uns nicht vertrösten lassen auf später.
Denn der Himmel ist an Ort und Stelle.
Der Himmel ist zwischen uns.
Der Himmel ist in uns und unter uns.
Der Himmel ist heute und war gestern schon.
Der Himmel wird morgen sein und übermorgen.
Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/05/ascension-4770112_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-05-13 13:51:102021-05-13 13:51:10Predigt an Christi Himmelfahrt (13.05.2021)
vielleicht kennen sie ja auch diese berühmte Filmszene.
Ein Mann, gerade frisch verliebt, tanzt vor Glück durch das nächtliche Hollywood, und das auch noch bei starkem Regen. Der Himmel weint, aber er ist glücklich und verschenkt seinen Regenschirm.
Sie stammt, vielleicht haben Sie es ja schon erraten, aus dem Musical-Klassiker „Singing in the Rain“ aus dem Jahr 1952.
Ein liebenswertes Musical mit beschwingten Songs, voller Witz und Charme und Hoffnung. Wunderbarstes Technicolor-Kino. Wir sehen Gene Kelly, wie er im strömenden Regen singt und steppt und tanzt, und dabei immer leichter wird.
I am singing in the Rain Ich singe im Regen
Singe einfach nur im Regen
Was für ein wundervolles Gefühl
Ich bin wieder glücklich
Ich lache die Wolken aus
So dunkel und drohend dort oben über mir
Die Sonne ist in meinem Herzen
Und ich bin bereit für die Liebe
Die Zeit, in der der Film in Amerika in die Kinos kam, war keine leichte Zeit. Es herrschte der kalte Krieg, die USA waren im Korea-Krieg, und die Welt stand mal wieder am Abgrund.
Und auch im Film selbst geht es um eine Krise. Er spielt in den Jahren des frühen Hollywood. Das Kino steht vor einem großen Umbruch, und niemand weiß so recht, wie es weitergehen wird. Der Stummfilm wird durch den Tonfilm verdrängt, und viele Menschen in der Filmbranche müssen um ihre Existenz bangen.
Auch das heutige Evangelium handelt von einer Umbruchszeit.
Es ist eine Abschiedsrede von Jesus an seine Jünger und Jüngerinnen.
In mehreren Abschnitten teilt er ihnen sein Vermächtnis mit, für die Zeit, wenn er nicht mehr bei ihnen sein wird.
Der Abschied liegt in der Luft, aber für die Jünger ist er noch nicht begreifbar. Auch hier ist die Unsicherheit zu spüren.
Im heutigen Teil des Evangeliums steht die Liebe im Mittelpunkt und wird von Jesus als das wesentlichste Gebot benannt, an das man sich halten soll.
Ein Freund verabschiedet sich von seinen Freunden und gibt ihnen das mit: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe!“
In den vergangenen Monaten haben viele von uns erleben müssen, wie es sich anfühlt, wenn wir von einem Menschen auf Zeit oder sogar für immer Abschied nehmen müssen. Eigentlich kurze Entfernungen wurden durch Kontaktbeschränkungen zu unüberwindbaren Mauern, Menschen sind gestorben, ohne dass wir sie noch einmal sehen konnten. Über drei Millionen Menschen sind bisher weltweit an Covid19 verstorben, unzählige erkrankt.
Wir alle haben erlebt, wie wichtig uns die Nähe, der Kontakt zu anderen Menschen ist, besonders zu denen, die wir lieben. Wir haben gemerkt, wie uns Nähe oder Geselligkeit fehlen. Auch hier eine Zeit mit vielen Brüchen und Umbrüchen, Abgründen und Ängsten. Eine Zeit, in der wir viel über unser Lieben erfahren haben.
Wir wünschen uns alle so sehr, dass diese unsichere Zeit bald zu Ende sein wird. Jeder hat einen Traum vom Ende dieser Pandemie, und was er dann machen wird.
Trotz so mancher dunklen Wolke am Himmel macht uns gerade jetzt der Frühling wieder Hoffnung.
Denn da wo dunkle Wolken zu sehen sind, da kann es auch regnen, und dieser Regen kann neues Leben bringen.
Ein englisches Sprichwort sagt: No rain, no rainbow. Wo kein Regen ist, da gibt es keinen Regenbogen.
Tränen können heilsam sein, und der Regenbogen ist das Zeichen des Neuanfangs und der Verbundenheit.
Der Monat Mai steht besonders für dieses Aufblühen des neuen Lebens und für die Hoffnung des sichtbaren Neubeginns, und er wird nicht ohne Grund auch als der Monat der Liebenden bezeichnet. Erich Kästner nannte ihn einmal den Mozart der Monate.
Gerade jetzt im Monat Marias können wir besonders erleben, wie groß die Kraft des Neuerblühens ist.
Über Nacht ist alles grün und blüht. Die Natur tanzt, oder wie es der Mystiker Thomas Merton sagt: Der Kosmos
tanzt.
Das Leben wird in der Natur überall sichtbar, und in seiner Schönheit erfahren auch wir, dass unser Ursprung aus der gleichen göttlichen Kraft stammt. Wir alle sind eine Schöpfung aus Liebe, und dieser Ursprung ist unser Anfang und Ende. Wenn wir den Kosmos tanzen sehen, dann sehen wir Gott tanzen.
Wir wissen nicht, warum es die Abgründe im Leben gibt, die schmerzlichen Umbrüche, aber wir haben in den Wochen seit Ostern erlebt, dass es die Gewissheit gibt, dass Jesus sich für uns hingeben hat und in unsere Abgründe hinabgestiegen ist, und dass aus dem Abgrund des Todes seine Auferstehung gewachsen ist.
Wir durften glauben lernen, indem er uns in seine Wunden fassen ließ.
Das Geschenk seiner Liebe, das Geschenk seiner Freundschaft ist zum lebenspendenden Regen, zum Segen für uns alle geworden.
Für die, die gegangen sind, für die Hiergebliebenen, und für die, die kommen werden.
„Nicht ihr habt mich erwählt,
sondern ich habe euch erwählt
und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt
und dass eure Frucht bleibt.“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/05/rainbow-1149610_1280.jpg6611280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-05-09 16:49:072021-05-09 16:49:07Predigt am 6. Ostersonntag (09.05.2021)
eben noch in Emmaus begegnet Jesus, der Auferstandene den Jüngern beim Brotbrechen, und sogleich entschwand er ihren Blicken. Jetzt in Jerusalem tritt er in ihre Mitte und sagt ihnen: Friede sei mit euch. Sie aber glaubten, es wäre ein Geist. Und dann die dringende Bitte Jesu, ihn als leibhaftig zu begreifen, ihm sogar Fisch zu essen zu geben. Warum ist das dem Auferstandenen so wichtig? Jesus geht es nicht darum zu demonstrieren, dass er wirklich auferstanden ist, sondern dass eben der geschichtliche, konkrete Jesus aus Nazareth erstanden ist.
Ich glaube, dass die Kontinuität von Leben, Leiden und Auferstehen seiner Person wichtig ist. Ein Geist ist nicht leidensfähig. Ein Geist trägt keine Wundmale. Ein Geist erscheint und entschwindet und ist eben nicht radikal herabgestiegen aus den Himmeln und geblieben, um zu leben, um zu leiden und um auferweckt zu werden.
Der Auferstandene ist zugleich auch der historische Jesus von Nazareth. Untrennbar. Warum ist das so wichtig? Weil der Auferstandene und in den Himmel hinaufgestiegene und der als Richter wiederkommende Christus auch der historische Jesus von Nazareth ist. Und da ist es noch einmal hilfreich, sich zu erinnern, was diesen historischen Jesus ausmacht. Es ist der, der auf die Aussätzigen zugeht und sie heilt. Es ist der, der uns aufruft zur Feindesliebe und zum Verzicht auf Verurteilung. Es ist der, der uns ermahnt zur wahren Frömmigkeit, die nicht den Splitter im Auge seines Bruders, seiner Schwester sieht, sondern den Balken im eigenen Auge wahrnimmt und so der Selbstgerechtigkeit entflieht. Es ist der, der uns aufruft, Früchte zu bringen. Es ist der, der sich von der Sünderin salben lässt, es ist der, der uns die Angst nehmen möchte in den Stürmen unseres Lebens. Es ist der, der am Sabbat heilt und so die Liebe über das Gesetz stellt und nicht zuletzt der, der dem Verlorenen nachgeht, bis er es findet.
Der Auferstandene ist eben auch der Leidende und damit fähig zum Mitleiden. Daher sind die Wundmale so wichtig – sei es bei Thomas, sei es in der heutigen Perikope.
Und Jesus, der Auferstandene hat Anliegen an die Jünger damals und auch an uns heute. Da ist zuerst das Anliegen: Friede sei mit Euch. Nun, das kennen wir ja aus der Liturgie. Der Friede sei mit Euch. Aber ich muss gestehen, dass ich es manchmal einfach überhöre. Und worin soll dieser Friede bestehen? Was macht einen befriedeten Menschen aus? Ich glaube, dass es der Mensch ist, der eben in der Nachfolge auch des historischen Jesus steht. Der nicht auf Vergeltung aus ist, der nicht der Selbstgerechtigkeit nachgibt, der in der Hoffnung auf die Liebe Gottes die Angst im Leben zurückstellen kann in der Hoffnung auf die eigene Auferstehung.
Das zweite Anliegen ist es, den Jüngern den Sinn der Schrift zu eröffnen. Die Botschaft Jesu ist nicht am Kreuz gestorben und begraben worden, sondern die Botschaft Jesu ist nach seinem Leiden am dritten Tage auferstanden, und so lebt sie bis heute.
Das dritte Anliegen ist die Umkehr. Liebe Schwestern, liebe Brüder, nicht stehenbleiben, sondern sich in Bewegung setzen. Nicht resignieren, sondern ändern, was zu ändern ist. Umkehr ist, bei mir selbst zu beginnen und nicht auf die anderen zu warten. Auf unseren Wegen gibt es Umwege, auch Sackgassen. Das ist alles nicht tragisch. Wir müssen nur umkehren und dann weitergehen. Wir dürfen Jesus auf unseren Wegen nicht aus dem Blick verlieren.
Das letzte Anliegen an die Jünger lautet: Damit ihre Sünden vergeben werden. Wenn wir Jesu Leben, Leiden und Auferstehen in den Blick nehmen, dann werden uns die Sünden vergeben werden. Dann ist unsere Schuld getilgt. Dann können wir sagen:
Die Erlösten des Herrn werden wiederkehren und gen Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Diese Verheißung des Jesaja ist mit der Auferstehung Jesu erfüllt. Zugleich aber haben wir nicht einen Hohepriester, der nicht mit unseren Schwächen mitfühlen könnte, sondern der in allem versucht ist in ähnlicher Weise, doch ohne Sünde – so heißt es im Hebräerbrief.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Manchmal mutet uns die Zeit viel zu. Manchmal habe ich das Gefühl, es bewegt sich nichts. Nicht einmal in der Natur. Nicht in der Pandemiebekämpfung, nicht in der Kirche, nicht in Gesellschaft und Politik. Was bleibt uns?
Die Hoffnung, dass der Auferstandene, der zugleich gelitten hat, mit uns fühlt und uns auf unseren Wegen begleitet.
Der Glaube, dass alles Leiden und Sterben in die Auferstehung Jesu münden wird.
Die Liebe, die uns Jesus Christus erwiesen hat, durch sein Leiden und seinen Tod, also durch seine Hingabe an uns Menschen, und der daraus folgende Auftrag an uns, einander auch die Liebe zu erweisen. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/03/jesus-christ-898330_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-04-18 16:49:472021-04-18 16:49:47Predigt am 3. Ostersonntag (18.04.2021)
„Unserm Herzen soll die Stunde ewig unvergesslich sein. Mit dem Herzen, mit dem Munde schwören wir Gott treu zu sein. Dieses Tages, dieser Pflicht wollen wir vergessen nicht…“
Viele von uns – liebe Schwestern, liebe Brüder – kennen diesen Satz.
Als ich vor 47 Jahren selber in einem wunderschönen Samtanzug mit Rüschenhemd – es waren die 1970er Jahre – gemeinsam mit über 40 Erstkommunionkindern die Altarstufen hinaufschritt, da sangen wir genau dieses Lied und waren sehr im Herzen berührt davon.
Der „Weiße Sonntag“ trägt diesen Namen vermutlich, weil die an Ostern Neugetauften eine Woche lang die weißen Taufgewänder trugen und auf diese Weise verinnerlichen konnten, welchen Weg sie an Ostern eingeschlagen hatten. So kann auch uns, die wir als Kinder zur Erstkommunion gingen, dieser Name an unseren Glaubensweg erinnern. Wir könnten diese Erinnerungen und ihre in der Tat unvergessliche emotionale Tiefe nutzen, um innezuhalten und um über den Stand der Dinge nachzudenken.
Denn Erinnerung vertut eine große Chance, wenn sie nur als Vergangenheit wahrgenommen wird. Das ist Nostalgie. Letztendlich sind große Teile unserer Psyche nichts anderes als gespeicherte Erinnerungen, die uns – mit Gefühlen verknüpft – motivieren und begeistern oder auch hemmen und bremsen. Das sind die großen Leistungen der Psychoanalyse, dass sie den Menschen aus seiner ureigenen persönlichen Biographie wahrnimmt und deren positive wie leider auch negative Auswirkungen auf die Gegenwart verstehen lehrt.
Erinnern oder präziser verlebendigen ist der Grundzug allen Glaubens. Weil Religion an sich umfassend – also wahrlich katholisch – ist, kann man diesen Zug in fast allen Religionen finden. Die Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam überliefern Texte und vor allem Geschichten, wie Menschen in der Vergangenheit ihren Glaubensweg gegangen sind. Sie teilen mit, was Menschen vorderer Generationen bewegt hat, wie sie Leben bewältigen konnten, wie sie Freude veränderte und wie sie durch Leid und Endlichkeitserfahrung geprägt immer wieder Schritte zum Leben fanden. Die Geschichten Gottes mit den Menschen und die Erzählung über Jesus den Christus bewegen nach wie vor viele suchende Menschen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, historische Fakten zu tradieren, sondern es geht eher darum, Zeugnisse und persönliche Erfahrungen für andere fruchtbar zu machen. Religion kann nicht objektiv sein sondern sie ist immer ein persönlicher Weg.
Es geht im Glauben nicht mehr nur um ein Erinnern persönlicher Erfahrungen, sondern vielmehr um ein kollektives Gedächtnis menschlichen Lebens und Ringens. Sie befördert Menschheitserinnerung. Unzählige Erfahrungen von Menschen bilden sozusagen das Menschsein an sich ab und wir einzelne können daraus wieder Wege für das eigene Leben finden, wie auch eigene Erfahrungen deuten und umfassender verstehen.
Der Glaubensweg des Thomas wird uns im heutigen Evangelium erzählt. Der Inhalt ist schlicht und schnell begriffen: Die Jünger machen eine außergewöhnliche spirituelle Erfahrung: Sie begegnen dem totgeglaubten Jesus. Er kommt durch verschlossene Türen und erreicht die erstarrten Herzen der Jünger. Durch diese Erfahrung – was immer das auch war – kommen sie in neues Leben und erfahren, dass Tod und Leben durch eine Glaubensbrücke verbunden sind. Die Jünger bestellt Jesus zu Brückenbauern – zu Pontifices. Thomas verpasst das – aus welchem Grund auch immer. Als die anderen ihm berichten, weigert er sich, ihnen zu glauben. Erst als er dieselbe Erfahrung macht wie die anderen, kann er seine Vorstellungen ändern: Sein Todesglaube wird zum Lebensvertrauen!
Es gibt Dinge, die uns zu Ohren kommen und die einfach unfassbar bleiben. Das kennen wir aus der eigenen Erfahrung. Dann besteht die Herausforderung darin, jenen zu glauben, die die Zusammenhänge berichten. Im Gericht spricht man von Zeugen, die einen Tathergang schildern und dem Richter Rede und Antwort zu stehen haben.
Das ist keinem Menschen fremd: wir kennen das aus unseren inneren Gerichtsdialogen, die wir führen. Da gibt es immer viele Stimmen und Aspekte. Manchmal wird es daher schwer, sich zum Tun durchzuringen.
Thomas‘ Einwände spiegeln unsere Seele wieder! Er ist ein Beispiel für unsere eigene Suche, für unser Ringen um Vertrauen. Thomas ist – wie übrigens alle Jünger und Apostel – gerade in seiner Gebrochenheit – ein Bild des Menschen, wie er nun einmal ist. Immer wieder verpasst er wichtige Situationen und braucht seinen persönlichen Weg der Vergewisserung. Die Geschichte mit den Wundmalen wiederholt sich bei der Aufnahme Mariens in den Himmel. Er ist nicht dabei und soll den Jüngern glauben. Erst als Maria ihm erscheint und ihm als materiales Zeichen ihren Gürtel zuwirft, glaubt er. Die wunderschöne spätromanische Skulptur des Thomas in unserem Kapellenkranz bildet das ab.
Und Gott? Was macht Gott mit den Thomasmenschen? Wir Menschen verzweifeln immer wieder an den Grüblern. Sie scheinen permanent zu bremsen und haben auch immer etwas Urtrauriges an sich. Nicht selten stehen sie eher außerhalb der Gemeinschaft.
Das ist der Trost: Gott reagiert nicht menschlich, sondern wahrlich göttlich, indem er sich selber treu bleibt und sich damit als der höchste Vertrauenswürdige zeigt. Das wird in Jesu Tun deutlich. Er verbirgt sich nicht etwa vor Thomas, sondern er zeigt sich Thomas und erfüllt ihm sogar den Wunsch, sich von ihm berühren zu lassen. Es wird an keiner Stelle der Schrift berichtet, dass der Auferstandene angefasst wird – nur in den Thomasgeschichten. Zur weinenden Maria Magdalena sagt er „noli me tangere“ – fass mich nicht an – halte mich nicht fest. Thomas wird diese Bitte erfüllt, nicht nur weil er dadurch zum Glauben kommt, sondern weil er anscheinend einer ist, der einmal Erkanntes nicht mehr festhalten muss. Er ist ein Handfester. Sein Glaube ist am Schluss tief und stark und er wird zu einem großen Zeugen des Glaubens an den lebensspendenden Gott. Er hat andere begeistert und es wird ihm zugeschrieben, den indischen Kontinent mit der Botschaft der Auferstehung in einer sehr eigenen Art missioniert zu haben. Wie alle Apostel – gebrochene, endliche Menschen – ist er am Ende für die Botschaft gestorben.
Glaube erwächst eher nicht aus uns selbst, sondern wir werden angesteckt – in diesen Tagen der Pandemie ein zwielichtiges Wort, ich weiß – aber wir werden angesteckt von Menschen, die Glauben authentisch leben. Es beginnt ein Weg. Und oft glimmt das Feuer nur schwach… wir können aber zu einem Oster-Feuer werden, dass die Nacht erhellt. Amen. Halleluja!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/04/Thomas-e1618139461823.jpg5921008Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-04-11 13:11:242021-04-11 13:11:24Predigt am Zweiten Ostersonntag (11.04.2021)
„Stell dir vor, es ist Ostern, und keiner geht hin. Weil uns keiner mehr glaubt, dass wir der Fülle des Lebens verschrieben sind. Weil wir zwar das Leben schon vor der Geburt und am Ende mit Pathos verteidigen, aber zu wenig leidenschaftlich das lieben, was dazwischen – und zwar ziemlich bunt – ist, lebt und leben dürfen will.“
So schreibt es Markus Nolte, Chefredakteur der Münsteraner Kirchenzeitung Kirche+Leben und in unserer Abtei kein Unbekannter, in einem sorgenvoll-frommen Zwischenruf zur Karwoche. Und bringt damit ziemlich genau das auf den Punkt, was mich schon seit Wochen beschäftigt.
Wie können wir Ostern feiern, wenn die Zustände in Welt, Gesellschaft und Kirche der „Fülle des Lebens“ diametral entgegengesetzt sind?
Wie können wir vom Segen Gottes sprechen, der an Ostern so machtvoll erneuert wurde, wenn ein gefühlloser Machtapparat diesen Segen, diese Gutheißung der Schöpfung durch Gott selbst, an Bedingungen knüpfen will und ihn – welche Anmaßung – Menschen, die sich aufrichtig lieben, verweigert?
Wie können wir das Leben feiern, wenn unzähligen Menschen, die in der Kirche Opfer sexualisierter Gewalt wurden, so lange nicht zugehört wurde und ihnen damit zum wiederholten Mal das Leben verweigert wurde?
Wie können wir das Halleluja singen, wenn unzählige Menschen auf der ganzen Welt erkranken, oft mit immensen Spätfolgen, ja sogar sterben und der Politik anscheinend das wirtschaftliche Funktionieren wichtiger ist als die Sorge um die Schwachen?
Können wir angesichts dieser Ereignisse überhaupt ruhigen Gewissens Ostern feiern, das Wunder der Auferstehung, das Fest des Lebens? Ist es nicht ein Hohn, angesichts solcher Ereignisse von der Liebe zu sprechen, die den Tod besiegt hat? Müssen wir nicht vielmehr beim Karfreitag bleiben, beim Tod am Kreuz, beim Leiden so vieler unschuldiger Menschen? Oder einfach den Karsamstag aushalten, den Tag der Grabesruhe, des Schweigens? Ist nicht jedes Wort ein Wort zu viel?
Je lauter diese Gedanken in mir wurden, desto mehr drängte sich ein anderer Gedanke auf, der sich nicht zum Schweigen bringen ließ: Nein, gerade TROTZ der scheinbar aussichtslosen Lage der Kirche, TROTZ des unermesslichen Leids und TROTZ des katastrophalen Zustands unserer Welt dürfen wir gerade nicht verstummen. Noch nie war es wichtiger, die Botschaft des Lebens und der Auferstehung zu verkünden als heute. Nicht am Karfreitag und am Leid der Menschen vorbei. Auch Jesus ist mit den Wundmalen, den Zeichen seines Leidens, auferstanden. Er ist nicht als strahlender Held in die Wirklichkeit Gottes eingegangen, sondern als vermeintlich Gescheiterter am Kreuz. Wenn wir angesichts des Zustands unserer Welt und unserer Kirche schweigen würden, dann hätten die triumphiert, die alles beim Alten lassen möchten, ja dann hätten sie noch einmal über die Opfer von Gewalt und Tod triumphiert. Wir dürfen uns unsere Botschaft der Hoffnung nicht nehmen lassen.
Das Osterevangelium zeigt, dass die Botschaft der Auferstehung nicht plump und triumphalistisch daherkommt, sondern mitten durch das Leid der Menschen hindurchgeht und dabei die leisen Töne bevorzugt. Jesus ist nicht am Tod vorbei auferstanden, sondern mitten durch den Tod hindurch. Seine Wundmale bleiben. Maria von Magdala ist frühmorgens zum Grab gekommen, „als es noch dunkel war“. Sie ist nicht gekommen, um einem Lebenden zu begegnen, sondern um einen Toten zu salben. Petrus und Johannes haben nur die Zeichen des Todes gesehen, die Leinenbinden und das Schweißtuch – sie kehrten nach Hause zurück, ohne den Lebenden gesehen zu haben.
Und: es fließen Tränen. Maria darf weinen, sie darf all ihre Trauer herauslassen, muss sie nicht herunterschlucken. Die Trauer um den Verstorbenen, um all das Unrecht auf dieser Welt darf sein. Und in diese Trauer hinein geschieht Begegnung. Mitten in die Tränen, in das Leid hinein ruft Jesus sie beim Namen. Und er gibt Maria den Auftrag, die Botschaft des Lebens weiterzusagen, TROTZ des Leids Botin der Hoffnung zu sein. Maria schweigt nicht, sie leistet dem Unrecht und dem Leid Widerstand.
Ja, wir dürfen heute Ostern feiern. All dem Leid auf der Welt, all der physischen und psychischen Gewalt dürfen, ja müssen wir unser HALLELUJA entgegensingen. Den Geschichten des Todes und der Verzweiflung zum Trotz müssen wir die Geschichten des Lebens und der Hoffnung erzählen. Das HALLELUJA mag in diesem Jahr leiser erklingen, stiller – aber es wird erklingen.
Markus Nolte schreibt am Ende seines Zwischenrufs: „Diese Woche könnte alles ändern. Sie hat es schon einmal geschafft, mindestens. Stell dir vor.“
Die Kölner Rockband Brings hat in der letzten Karnevalssession ein Lied geschrieben, das für mich den Nerv dieser Zeit trifft. Sie ermutigt uns dazu, das ALAAF, den Kölschen Karnevalsruf, auch in diesem Jahr zu singen, „vielleicht ein bisschen stiller“. Sie ermutigt uns dazu, gegen die Verzweiflung anzusingen, „denn sonst sind wir verloren“. Sie ermutigt uns dazu, ein Licht anzuzünden gegen die Hoffnungslosigkeit und Angst unserer Zeit, so wie wir gestern die Osterkerze entzündet haben, die unser Bruder Justus in den Farben des Regenbogens gestaltet hat, DES Symbols der christlichen Hoffnung. Ich erlaube mir, den kölschen Ruf der Freude, das Alaaf (beim Helau wird es noch deutlicher) mit dem österlichen Ruf der Freude HALLELUJA zu übersetzen:
Sieht es auch so aus, als ginge die Welt gerade unter
Mach ein Licht an
Nichts bleibt, wie es war, alles drunter und drüber
Mach ein Licht an
Ein Licht für die Stadt
Und ein Licht für die Menschen
Denn wir glauben daran
Das Leben kehrt zurück
Und wir singen Halleluja, vielleicht ein wenig stiller
Und das, was mal war, kommt ganz bestimmt bald wieder
Komm, wir singen Halleluja, denn sonst sind wir verloren
Und wir singen ganz zart für ein besseres Morgen
Wie ein kleines Kind, das im Keller Angst hat
Mach ein Licht an
Doch wir kommen da durch, schau, es wird schon heller
Mach ein Licht an
Ein Licht für die Guten
Und ein Licht für die Schlechten
Ein Licht für die Krummen
Und für die Gerechten
Und ich singe Halleluja, vielleicht ein bisschen stiller
Und das, was mal war, kommt ganz bestimmt bald wieder…
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„Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ – Die gerade gehörten Verse bildeten ursprünglich den Schluss des Markusevangeliums. Erst deutlich nach der Erstverfassung fügten andere Autoren noch einige Verse an – sie berichten von verschiedenen Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus.
Ursprünglich also am Ende: Schrecken, Entsetzen und eine Flucht – keine Freude über den auferstandenen Jesus, kein Alleluja und kein Osterjubel. Noch dazu erfüllen die drei Frauen nicht den Auftrag, den sie im Grab erhalten haben: Sie gehen nicht zu den Jüngern und Petrus und berichten ihnen nicht – schlimmer noch: „Sie sagten niemandem etwas davon.“
Dieses Ende ist ein unerwarteter Paukenschlag, den man später – wie erwähnt – dämpfte. Das lässt aufhorchen: Endet so ein Evangelium, eine frohe Botschaft? Das Evangelium von Markus ist das älteste – es steht Jesus am nächsten – das verleiht ihm besondere Qualität. Warum gibt Markus sein Evangelium so aus der Hand?
Wer als Leser oder Hörer am Ende des Evangeliums angekommen ist, hat erfahren wie dieser Jesus von Nazareth gelebt hat, was er getan hat, was ihm wichtig war, was er verkündete. Und er steht noch ganz unter dem Eindruck der brutalen Hinrichtung am Kreuz und der Grablegung – davon wurde direkt vorher berichtet.
Dieses mörderische Ende hatte Jesus selbst mehrfach angekündigt, was seine Jüngerschaft ignorierte – besonders Petrus hatte es heftig bestritten. Da überrascht es auch nicht, dass in der Katastrophe der Kreuzigung alle Jünger geflohen sind. Nur die drei Frauen aus seiner Bewegung – (Wo sind eigentlich die Männer?) – nur sie hatten zumindest aus der Ferne das furchtbare Geschehen beobachtet – sie stehen am Ende des Evangeliums im Mittelpunkt.
So tapfer die Drei auch sind, als sie in aller Frühe zum Grab Jesu aufbrechen – so liegen sie doch mehrfach daneben: Sie wollen den toten Jesus salben – doch dafür sind sie zu spät – Jesus ist schon begraben. Zudem hatte eine Frau ihn kurz zuvor bereits mit kostbarem Nardenöl gesalbt. — Dann der ausdrücklich sehr große Stein vor dem Grab – für die drei Frauen allein ein unverrückbares Hindernis. — Und schließlich suchen sie einen Toten – auch sie hatten der Ankündigung seiner Auferstehung keinen Glauben geschenkt. Ihre Realität wird vom offenen und leeren Grab mit dem jungen Mann darin zerstört. Und sein Auftrag, die Jünger zu Jesus nach Galiläa zu schicken, überfordert sie vollkommen, damit können sie überhaupt nicht umgehen.
An dieser Stelle legte Markus das Evangelium aus seiner Hand und lässt uns damit weiterleben – er legt es in unsere Hände. Sein markanter Schlusspunkt kann für uns ein weiterführender Doppelpunkt werden: Wenn die Frauen den Auftrag, den sie im Grab erhalten haben, nicht erfüllen, dann – so will er uns anbieten – ist es an uns, das zu tun. Wir sind dazu berufen, den Auftrag zu erfüllen, wir sollen nach Galiläa aufzubrechen, wir sollen Menschen von der Auferstehung Jesu, seinem Vorausgehen und seiner neuen Gegenwart berichten.
In Galiläa hatte alles mit Jesus begonnen, von dort waren sie mit ihm nach Jerusalem gezogen, dort war ihre Heimat und ihr Alltag. Dahin geht er ihnen – und uns – voraus, nicht nur geografisch geht es wieder dorthin hinab. Weil Jesus vorausgeht, bleiben alle in der Nachfolge. Galiläa steht für den Grund des Lebens, für Existentielles – so wie das Leben nun mal ist. Hier wird Jesus gegenwärtig, wenn Menschen in seinem Sinn leben – und was das bedeutet, ist am Ende des Evangeliums allen gesagt. Besonders den Gescheiterten gilt diese Zusage – ausdrücklich wird Petrus erwähnt, der mit der Verleugnung Jesu kürzlich vor der Kreuzigung so versagt hatte.
In einer Nacht haben auch wir uns hier versammelt. Ihr Dunkel steht auch für unser Inneres, das – einem Grab gleich – schon physisch dunkel ist. Unsere Seele kann sich verdunkeln, sie kann sich anfühlen wie ein Grab – mit schwerstem Stein verschlossen. Zweifel oder gar Verzweiflung bohren dann schmerzhaft in uns. Die Nacht ist auch bevorzugte Zeit des Bösen: Jesus war in einer Nacht verraten worden. Sie ist Raum entlarvender Nacktheit des Menschen – da hilft es nicht mehr, etwas zu machen oder gar sich vorzumachen. In diese existentielle Grabesnacht steigt Jesus hinab und Gott ganz in ihm um sie von innen her zu erleuchten. Auch wir können in uns einen Raum des Vertrauens, sogar persönlichster Intimität öffnen – Gottes Gegenwart will in uns aufgehen wie ein neuer Morgen. Das kann ganz zaghaft beginnen – so wie die eine kleine Flamme, die wir zu Beginn dieser Feier in die Kirche getragen haben. Sie ist auch ein Symbol der Verletzbarkeit des Menschen und seiner Rechte: Ein kleiner Stoß – und schon ist das Lebenslicht dahin. Enge und Angst treiben kleine und große Diktatoren – mitunter auch uns – sie urteilen und verurteilen, grenzen und löschen Leben aus – auch jetzt in dieser Nacht.
Das menschlich-göttliche Licht, das mit Jesus in diese Welt gekommen ist, wirbt – zart und schwach – um uns. Es will uns gewinnen und zeigt äußerlich, was wir alle im Innersten sind: Kinder und Geschwister des Lichtes. Diese kleine Flamme hat den ganzen Raum erfüllt! Als wir sie hereintrugen, war sie schon von überall her sichtbar. Schon physikalisch gilt: Nie löscht Dunkelheit das Licht – immer erhellt Licht die Dunkelheit – vielleicht schwach oder nur glimmend – aber doch existent. Es ist an uns, das Licht durch miteinander Teilen zu vermehren in eine ernsthaft gefährdete Welt.
Wie kraftvoll konkret und positiv verwandelnd das wirken kann, zeigt ein Rückblick in den Herbst 1989. Da standen unsere ostdeutschen Landsleute auf und protestierten für Reformen, Freiheit und Demokratie. Die Staatsmacht verweigerte den Dialog und ließ Polizei und Militär zur gewaltsamen Unterdrückung auffahren. Aus Kirchen heraus zogen die Menschen mit Kerzen in den Händen auf Straßen und Plätze. Kleine Kerzen dämpften die Wut, stärkten die Solidarität und stützten die Friedfertigkeit der Menschen. Sie selbst strahlten ruhige Souveränität aus und entspannten die aufgeheizte Lage, die zu einem Blutbad eskalieren konnte. – Später äußerte sich ein ehemaliger Staatsfunktionär dazu so: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen.“
Die frohe Botschaft aus dieser Nacht ist: Tote Sackgassen können zu Lebenswegen aufbrechen – trotz allem. Sogar der Tod wird – von Gott her – zu einer Lebensgeburt. Dieses Wunder aller Wunder wurde in Jesu Auferweckung unüberbietbar offenbart – und sehr konkret kann dieses Wunder weitergehen. Das ist eine echte Zu-Mutung – wachsender Mut ist möglich, das ist auch ein Gebot unserer Würde. Jeder Mensch ist frei und deshalb verantwortlich – jeder Mensch kann anfangen, Teil der Wandlungsbewegung vom Tod zum Leben zu werden. Es beginnt mit ersten Schritten, so begann auch der Weg mit Jesus.
Der Auftrag aus dem Grab lautete: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Dieser Auftrag ist jetzt an uns gerichtet! Kurz und gut: Selbst aufbrechen, losgehen, auf Menschen zugehen, mit ihnen kommunizieren und offen sein für himmlische Überraschungen. Dann bietet uns das Leben irdische Lösungen an, die wir nicht für möglich hielten.
Das ist ein Grund zum Feiern in ein glänzendes Morgen hinein – bei Nacht fangen wir damit an – und alle sind eingeladen! Es wird – nein, es ist schon eine Freude – unbeschreiblich …
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/04/Osternacht-2020.jpg6491024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-04-03 23:00:312021-04-03 15:43:47Predigt in der Osternacht (03.04.2021)
Das Kreuz auf Golgota ist erhöht. Vollbracht ist, was befohlen war. Der Verurteilte, der Geschundene, der Gestrafte hängt am Holz.
Er haucht seinen Geist aus: „Es ist vollbracht!“
Schwestern und Brüder,
die Passionserzählung des Evangelisten Johannes wiegt schwer.
Alle Gefühlslagen werden sichtbar, zu denen der Mensch fähig ist: Neid und Eifersucht, Verachtung und Spott, Mitleid und Trauer, Macht und Ohnmacht.
Am eindrücklichsten sind zwei Gegensätze: abgrundtiefer Hass und unzerstörbare Liebe.
Da ist zunächst der Hass, dieses innerste Gefühl, das wir alle kennen dürften. Bei den Menschen damals hat es sich aufgestaut. Vor allem die religiösen Führer sind im Innersten aufgebracht gegen jenen Mann aus Nazareth, dem die Massen nachlaufen und der eine Botschaft verkündet, die alles auf den Kopf stellt. Er predigt von der Freiheit der Kinder Gottes und überschreitet dabei alle Grenzen der Gesetze. – Er wendet sich den Kranken zu und macht sie heil im Tiefsten ihrer Seele. – Er hält sich an keine Rangordnung und stellt die Hierarchie der Gelehrten infrage.
Die religiösen Führer des Volkes Israel sind voller Groll. Dieser Jesus schadet ihnen zutiefst. In ihnen wächst der Hass, ein Hass, in dem sich so vieles bündelt, was auch uns vertraut ist: Angst um die eigene Stellung und Machtversessenheit. – Wo immer Menschen von diesen Gefühlen regiert werden, da ist das Urteil über andere schnell gesprochen.
Für die Führer des Volkes ist es nicht schwer, das Volk für ihre eigenen Zwecke aufzuwiegeln. Jesus muss sterben. Er hat sie getäuscht, das verzeihen sie ihm nie. Und so sammeln sich am Ende alle negativen Gefühle der Hohenpriester und des Volkes in dem einen Ruf, der bis heute durch Mark und Bein geht:
„Ans Kreuz mit ihm!“
Schließlich gibt es noch den, der über Recht und Unrecht entscheiden könnte: Pilatus. Er könnte dem Hass der Menschen sein gerechtes Urteil entgegensetzen. Er könnte die Unschuld Jesu amtlich machen. Aber er weiß, dass der Hass der Meute dann ihm selbst gilt. Auch das dürften wir kennen: Wie viel Standhaftigkeit es braucht, um für das Recht einzustehen gegen den Hass der Menschen. Pilatus knickt ein. Und so nimmt der Kreuzweg seinen Lauf, weil keiner ihm Einhalt gebietet.
Rudolf Otto Wiemer schreibt:
Der den Wein austeilt, muss Essig trinken,
der die Hand nicht hebt zur Abwehr, wird geschlagen.
Der den Verlassenen sucht, wird verlassen,
der nicht schreien macht, schreit überlaut.
Der die Wunde heilt, wird durchbohrt,
der den Wurm rettet, wird zertreten.
Der nicht verfolgt, nicht verrät, wird ausgeliefert,
der nicht schuld ist, der Unschuldige wird gequält.
Der lebendig macht, wird geschlachtet,
der die Henker begnadet, stirbt gnadenlos.
Und Jesus? Er liebt!
Er liebt einfach weiter, egal, was geschieht.
Er ließ sich auch nicht von Anfeindung, Verleumdung, Unverständnis und Todesdrohung davon abbringen. Er antwortete der Unmenschlichkeit mit Liebe, in der Mitgefühl, Verstehen und Vergebung zum Tragen kommen.
Was er immer gelebt hat, das verrät er auch im Sterben nicht. Er lässt sich nicht hinreißen, Gewalt mit Gegengewalt zu vergelten, nicht einmal in der Stunde größter Schmach und Verletzung. Jesus schlägt nicht zurück, auch nicht mit Worten. Er lässt das Unrecht an sich geschehen, das Menschen in ihrem bodenlosen Hass ihm antun.
Sein Weg der Passion war ein Weg der Liebe.
Wie groß ist so eine Liebe!
Wie groß ist der Mensch, der so lieben kann!
Doch diese Erkenntnis ruft oft noch mehr Hass hervor. Aus unserem Sprachgebrauch kennen wir den Ausspruch: Dafür dass ich sie liebe, hassen siemich.
Wir Menschen wollen oft nicht, dass jemand den Kreislauf des Hasses durchbricht. Wir rechnen mit Gegenwehr und fühlen uns entlarvt, wenn sie nicht eintritt. Wir spüren: Die eigentlich Ohnmächtigen sind wir, weil wir nichts haben als unsere Gewalt.
So war es auch damals. Die Menschen erleben eindrücklich, dass Hass nie siegen kann. Sie können Jesus töten, aber seine Liebe töten, das können sie nicht! Die Liebe wird bleiben, sie wird leben.
Schwestern und Brüder,
schauen wir auf zum Kreuz. Im gemarterten Mann am Kreuz dürfen wir den sehen, der liebt: der seine Peiniger liebt bis zum Schluss; der das aufgehetzte Volk in seine Liebe einschließt und ihm vergibt; der seine Freunde liebt, die ihn verraten oder einfach feige weggelaufen sind. Und Jesus liebt uns. Trotz unserer Hartherzigkeit, mit der wir einander verletzen, trotz unserer Schuld, wenn wir einander Gewalt antun, trotz unserer Missgunst, dem Neid und dem Machtstreben, durch die wir die Lebensmöglichkeiten anderer zerstören. Wir alle sind eingeschlossen in die Liebe Jesu am Kreuz, die uns verwandeln und heilen und erlösen möchte.
Schauen wir auf zum Kreuz, auf die unzerstörbare Liebe unseres Gottes. Sie will uns Mut machen, selbst immer mehr zu Liebenden zu werden. Vergeben, statt aufzurechnen. Freizulassen, statt festzunageln. Gnädig zu sein, statt zu verurteilen. Geduld zu haben, statt kurzen Prozess zu machen.
Schauen wir auf zum Kreuz. Schauen wir auf den Gekreuzigten, er selbst ist unsere Hoffnung, dass Hass und Tod eines Tages vergehen, dass die Liebe aber bleibt.
Lassen wir uns von Jesus mitnehmen auf den Weg der Liebe. Lassen wir immer wieder die Liebe auferstehen zum Leben. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/04/Karfreitag2021-e1617376022414.jpg6771008Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-04-02 17:07:362021-04-02 17:07:36Predigt an Karfreitag (02.04.2021)
in einer bedrückenden, verwirrenden und bedrohlichen Zeit feiern wir Gottesdienst, heute am Gründonnerstag. Politische Skandale, Korruption, Gewalt und Elend in vielen Teilen unserer Welt. Die Kirche wie gelähmt angesichts mancher Unglaubwürdigkeit, mancher ungelöster Fragen und mancher interner Erschütterungen, und das begleitet von vielen Menschen, die sich von ihr verabschieden.
Und die Corona-Pandemie, die nun schon lange dauert und wohl noch dauern wird, der Druck der steigenden Zahlen, die Unsicherheit, wie es weiter geht, und all das, was uns im Alltag ganz nah und persönlich berührt. Eine Fülle von Nachrichten stürzt auf uns ein, oft widersprüchlich, oft im nächsten Augenblick von einer neuen Meldung überholt. Oft ist es schwer, sich ein Bild zu machen und eine verlässliche Orientierung zu finden. Eine verwirrende Zeit.
Wenn ich mit Freunden spreche, oder mit meinen Brüdern, spüre ich, wie die Pandemie auch unsere Gespräche begleitet. Durchaus einsichtig ist vieles, was geregelt werden muss, aber auch mancher Unmut und manches Unverständnis ist nicht zu überhören.
Für viele ist es eine schwere Zeit, wenn im nächsten Umfeld jemand „coronabedingt“ erkrankt, wenn es im Beruf nicht läuft, oder in der Ausbildung, in der Schule, im Studium, wenn diese Zeit mir manche Einschränkung zumutet, wenn Reisen nicht möglich sind oder kulturelle Ereignisse oder Familienfeste.
Ganz direkt spüren wir es, wenn alltägliche Kontakte nicht sein können, und Distanzregelungen selbstverständliche Nähe verbieten, wenn man sich nicht treffen, nicht besuchen kann und gemeinsame Unternehmungen gestrichen werden.
Viele sind allein. Viele sind müde, verdrossen und gereizt. Viele sind einsam.
Wir, meine Brüder und Sie, die Sie uns im Internet begleiten, feiern heute Gründonnerstag. Wir feiern in einer leeren Kirche. Das ist für mich kein schöner Anblick, der verlassene große Raum und die leeren Bänke.
Und traurig erinnere ich mich an die früheren Jahre, in denen wir gerade in den Kar- und Ostertagen mit vielen Menschen zusammen sein und feiern konnten, darunter auch die, die immer wieder kamen und für uns ein vertrauter Teil von Ostern waren.
Meine Schwestern, meine Brüder,
Sie, die Sie jetzt über das Internet dabei sind, möchte ich ganz herzlich auch im Namen meiner Brüder begrüßen. Ich möchte uns allen wünschen, dass wir trotz der Distanz etwas von dem Gemeinsamen erfahren dürfen, was uns gerade heute, am Gründonnerstag, miteinander verbindet. Fühlen sie sich in den Kreis unserer Gemeinschaft hineingenommen, so gut es geht.
Ein Mahl feiern wir heute.
Der Apostel Paulus hat uns gerade im ersten Brief an die Korinther daran erinnert, und der Evangelist Johannes. Kurze Texte sind es, aber sehr eindringlich und denen, die sich Christen nennen, vertraut wie kaum andere Worte der Heiligen Schrift.
Johannes erinnert kurz und bündig: „Es fand ein Mahl statt.“
Ein Mahl, das ist Alltag, die Mitte des Alltags. Der Ort, sich zu treffen, sich zu stärken, zu erzählen, gemeinsam zu überlegen und zu planen, zu genießen und zu spüren, wir gehören zusammen.
„Es fand ein Mahl statt.“
Und es war ein besonderes Mahl. Paulus hat es uns gerade erklärt, wenn er sagt:
„Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Tut dies, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.“
Wenn ich in der Bibel lese, sind oft gerade die kurzen Worte, die von Jesus erzählen, auch die, die mich am meisten bewegen und in der Erinnerung lebendig bleiben.
Und noch etwas:
Wir wissen auch, wie oft die Stunden vor wichtigen Ereignissen eine besondere Bedeutung bekommen. Vielleicht erschließt es sich erst im Rückblick. Auch hier wissen wir um die dunklen Tage, die kommen werden: Die Verurteilung Jesu, sein Leiden, sein Tod, und: das Unglaubliche seiner Auferstehung.
Und die Aufforderung „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ fordert unsere Antwort und nimmt uns in die Verantwortung, bis heute. Das letzte Abendmahl Jesu feiern wir als sein Vermächtnis, jetzt, in dieser Stunde, wie so oft.
Gott selbst wählt das Mahl als Zeichen seiner Fürsorge. So kümmert er sich um uns Menschen. Er will uns nah sein und uns stärken. Er lässt uns nicht im Stich
Es geht um die verborgene Gegenwart Jesu in unserer Mitte Nicht umsonst sprechen wir vom Geheimnis unseres Glaubens, um dann zu bestätigen:
„Deinen Tod , o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit.“
Wie gesagt: „Wir“.
Es geht nicht nur um Erinnerung, heute am Gründonnerstag. Erinnerung wird Gegenwart.
Und wenn wir, die Gemeinschaft der Mönche, gleich einen großen Kreis um den Altar, den Ort des Abendmahls, bilden, spüren wir, wie sehr es hier um die Mitte unseres Glaubens geht und uns diese Mitte zusammen bindet. So sehr mich auch unsere leere Kirche in diesem Jahr traurig stimmt, im Wechselspiel der Steinmauern und der Lichtöffnungen erlebe ich ganz neu und klar, wie sehr alles auf den Altar hin ausgerichtet ist, wie unsere Kirche um diesen Altar herum gebaut ist und den Blick frei gibt auf das, was wir heute feiern. Gemeinschaft in Gottes Gegenwart.
„Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Das fordert unsere Antwort.
Und wenn der Evangelist Johannes menschlich anrührend davon erzählt, dass Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht und sie so einlädt, einander zu dienen, unterstreicht das für mich noch einmal, wie sehr Gottes Gegenwart seinen Ort in unserem Alltag hat, mit uns zu tun hat, und wie sehr wir in der Pflicht sind, diesen Alltag zu gestalten, durch unseren Dienst.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir feiern Gründonnerstag in der Zeit der Pandemie. Wir feiern in einer leeren Kirche. Wir feiern in einer schweren Zeit. Müde fühlen wir uns vielleicht, gereizt und einsam.
Andererseits feiern wir die bergende Gegenwart Gottes. Das hat mit Trost zu tun und mit der Ahnung, ja der Sehnsucht, was Alltag, was Leben in seinem Reichtum sein kann Und mit der Gelassenheit, daran mitwirken zu dürfen. Das Abendmahl Jesu mit den Jüngern, ein immer neuer Beginn zu einer gastlichen Welt.
In diesen Tagen werden es wahrscheinlich nur ganz kleine Schritte sein, die wir gehen können. Der aufmerksame Blick auf die, die einsam sind, und dankbar sind für einen Gruß, einen Besuch oder ein Gespräch, eine Ermunterung oder eine Hilfe im Alltag.
Und wenn Sie heute Abend in der kleinen Runde der Familie oder der Freunde Mahl halten, und wenn wir, die Mönche, uns in unserem Refektorium zu einem festlichen Abendessen und zu einem Glas Wein versammeln, erfahren wir mit aller Dankbarkeit, was wir aneinander haben. Und dass wir Kraft schöpfen dürfen, um aufzubrechen, in aller Gelassenheit, weil Gott dabei ist.
Zum Schluss nur noch dieses kurze Wort an die Freunde unserer Gemeinschaft, die sonst ganz selbstverständlich hier mit uns Ostern gefeiert haben. Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr wieder gemeinsam diese Tage begehen können und im wirklich großen Kreis Gründonnerstag Abendmahl halten können, um danach in vertrauter Runde zusammen zu sein. Ich freue mich darauf, dass wir uns wiedersehen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/04/Gruendonnerstag.jpg7561008Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-04-01 19:00:422021-04-02 09:52:15Predigt an Gründonnerstag (01.04.2021)
Eine sehr bewegte Woche liegt hinter uns: Nicht nur, dass uns nun schon seit einem Jahr die Pandemie begleitet und wir mehrere Lockdowns durchgemacht haben und der nächste wohl bevorsteht, sondern Anfang der vergangenen Woche wurde auch noch ein Impfstoff aufgrund von Nebenwirkungen ausgesetzt, was die schon bestehende Unruhe und Verunsicherung noch verstärkte.
Auf die so schon angespannte Stimmungslage trafen dann am Montag noch höchst irritierende Weisungen aus Rom zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und am Donnerstag wurde das Kölner Gutachten veröffentlicht, dessen Zweitvergabe schon im Vorfeld für Spannungen und eine Kirchenaustrittswelle gesorgt hat.
Wo führt all das noch hin? Wie geht es weiter? Wie mit all dem umgehen? Wie kommen wir durch diese Zeit?
Diese Fragen sind nicht neu, denn ähnliches fragten sich die Menschen zur Zeit des Propheten Jeremia. Auch sie lebten in einer sehr bewegten Zeit. Die Bevölkerung des Nordreiches Israel war in assyrische Gefangenschaft geführt und fremde Bevölkerungsgruppen dort angesiedelt worden.
Dennoch wähnten sich die meisten Bewohner des Südreichs Juda, vor allem die politischen Eliten und religiösen Führer, in Sicherheit. Denn sie waren davon überzeugt, dass der Tempel in Jerusalems Mauern sie vor einem ähnlichen Schicksal bewahren würde. Dieses Vertrauen auf alte, nun aber falsche Sicherheiten kritisierte Jeremia und forderte das Volk zur Umkehr auf:
„Vertraut nicht auf die trügerischen Worte: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist dies! Denn nur, wenn ihr euer Verhalten und Tun von Grund auf bessert, …, wenn ihr die Fremden, die Waisen und Witwen nicht unterdrückt, dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort, in diesem Land…” (Jer 7,3-7a).
Dann kommt es schneller als erwartet zum Gau: Das Südreich Juda wird von den Babyloniern bedroht und 597 v. Chr. das erste Mal erobert. Ein Teil der Oberschicht wird nach Babylonien deportiert und Zidkija als König eingesetzt. Dieser wendet sich bald darauf, die Warnungen Jeremias in den Wind schlagend, gegen die Babylonier, so dass Jerusalem erneut erobert und schließlich auch samt Tempel zerstört wird. Der Rest der Oberschicht wird deportiert und ein verwüstetes Land bleibt zurück, in dem die Überlebenden sich fragen: Wie soll es weitergehen? Hat sich Gott ganz von uns abgewendet? – In diese Situation hinein sagt Jeremia seine Botschaft, die wir in der heutigen Lesung gehört haben. Mit der Zusage eines neuen Bundes will Jeremia den Überlebenden Mut machen.
Während im ersten Bund am Sinai dem Volk das Gesetz von Gott vorgelegt wurde, soll das Gesetz des neuen Bundes in das Herz des Menschen hineingeschrieben werden: „Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein.”
In dieser göttlichen Gegenwart im Herzen des Menschen zeigt sich die enge Verbindung zwischen Gott und seinem Volk.
Dieses Bild ist auch ein Hinweis darauf, dass wir Gott in unserem Herzen begegnen.
Damit ist uns eine erste Empfehlung im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen gegeben: Es braucht das Innehalten, das in sich hineinspüren, damit die tiefe Verbindung zu Gott spürbar und lebendig wird. So können wir bei uns und bei ihm ankommen, zur Ruhe kommen und Kraft schöpfen, um die Unsicherheiten aushalten und mit ihnen umgehen zu können.
Damit das Wort Gottes im Herzen des Menschen wohnen kann, muss es nach Ambrosius entsprechend genügend Raum haben und weit genug sein, so schreibt er: „Mag der Weg eng sein, das Herz sei weit, damit nicht das Wort Gottes kommt und anklopft und sieht, dass die Enge seines Herzens unfähig ist zu bewohnen“ (Ambrosius, Psalmkommentar Ps. 118,4,27).
Da wir heute am 21. März des Heimgangs des heiligen Benedikt gedenken, darf an dieser Stelle ein Hinweis auf seine Regel natürlich nicht fehlen. Zumal sich auch in ihr das Bild vom weiten Herzen findet. So bestärkt und ermutigt Benedikt am Ende des Prologs den Mönch, auf seinem Weg zu bleiben. Auf dem Weg, der eng werden kann, der mitunter schwer fällt, weil es darum geht, gemäß dem Evangelium den Willen Gottes zu tun und nicht dem Eigenwillen zu folgen. Es ist der Weg des Glaubens, der ein Prozess des Reifens, der Wandlung und immer wieder auch der Umkehr ist. Von diesem Weg schreibt Benedikt: „sollte es jedoch aus wohlüberlegtem Grund etwas strenger zugehen, um Fehler zu bessern und die Liebe zu bewahren, dann lass dich nicht sofort von Angst verwirren und fliehe nicht vom Weg des Heils; er kann am Anfang nicht anders sein als eng. Wer aber im klösterlichen Leben und dem Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit, und er läuft in unsagbaren Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes“ (RB Prol 47-49).
Johannes Cassian, auf dessen Schriften Benedikt am Ende seiner Regel ausdrücklich hinweist, empfiehlt die Weitung des Herzens als ein Mittel gegen Aufregung, aufbrausenden Zorn und heftige Empfindungen von Ärger und Wut.
Dabei folgt er den Weisungen des Mönchsvaters Joseph, der ihm und seinem Freund Germanus folgenden Rat gegeben hat: „euer Gemüth soll nicht so in der Engherzigkeit der Ungeduld und Kleinmuth zusammengeschrumpft sein, daß es den wilden Sturm der Aufregung, wenn er kommt, nicht aushalten kann; sondern erweitert euch im Herzen, indem ihr die feindlichen Fluthen des Zornes aufnehmt in den ausgedehnten Grenzen jener Liebe, die Alles erträgt, Alles aushält; und so möge euer Geist, ausgedehnt durch die Weite der Langmuth und Geduld, heilsame Zufluchtsstätten der Überlegung in sich haben, in welchen der häßliche Rauch des Zornes, sobald er gewissermaßen in sie aufgenommen und zerstreut ist, sogleich verschwindet.“ (Cassian, Collationes 16,27)
Dies ist eine weitere Empfehlung zum Umgang mit der aktuellen Situation der dauernden Anspannung und Dünnhäutigkeit, die sich schnell in Aufregung und Ärger entladen. Ein geweitetes Herz kann helfen, dass sich diese aufbrausenden Gefühle in weiten Räumen des Herzens verflüchtigen können.
Eine dritte Empfehlung finden wir am Beispiel Jesu im heutigen Evangelium. War im Johannesevangelium bis zu dieser Perikope immer die Rede davon, dass Jesu „Stunde“ noch nicht gekommen sei, heißt es jetzt: „Die Stunde ist gekommen.“ Dann sagt Jesus weiter: “Amen, Amen, ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Mit diesem Wort wird das Geschehen von Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu, dessen wir in den kommenden Tagen gedenken, gedeutet und erschlossen. Es entspricht Jesu Haltung des tiefen Vertrauens auf den Vater, der das Leben jener bewahrt, die ihm nachfolgen.
Angesichts dieser Situation ist es verständlich, dass Jesus sehr aufgewühlt ist und von sich sagt: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“
Jesus findet Halt, indem er seine Angst und Erschütterung wahrnimmt und sie in die Gegenwart des Vaters bringt. Diese Besinnung und Ausrichtung auf die Gegenwart des Vaters bestärkt ihn in seiner Sendung und vertieft seine Beziehung zum Vater. Dies wird dann im Bild einer Stimme vom Himmel ausgedrückt, die sagt: „Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.“
Franz von Sales hat das Bemühen um die stete Ausrichtung auf Gottes Gegenwart in ein anschauliches Bild vom Herzen gebracht:
„Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart Gottes.
Und selbst dann, wenn du nichts getan hast in deinem Leben, außer dein Herz zurückzubringen und wieder in die Gegenwart Gottes zu versetzen – obwohl es jedesmal wieder fortlief, wenn du es zurückgeholt hattest -, dann hat sich dein Leben wohl erfüllt.“
Die Schrifttexte und der Heilige des heutigen Sonntags geben uns drei Empfehlungen, wie wir Halt und Ruhe finden können angesichts unruhiger Zeiten und der weiterhin andauernden Herausforderungen dieser Tage:
– Innehalten und Einkehren im Herzen bei sich und bei Gott.
– Weitung des Herzens, damit sich Aufregung und Ärger beruhigen können.
– das wandernde oder leidende Herz sanft in Gottes Gegenwart versetzen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/03/the-alps-3549245_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-03-21 14:23:592021-03-21 14:23:59Predigt am 5. Fastensonntag (21.03.2021)
Als ich vor zehn Jahren meine ersten Osterkerzen für den Klosterberg gemacht habe, hatte ich eine ganz besondere Karwoche. Auf den Osterkerzen für Kirche, Refektorium und Oase waren Auszüge aus dem Exsultet, also aus dem Gesang zum Lobpreis der Osterkerze in der Osternacht. Ich habe diese Texte aus Folie ausschneiden lassen, dann die Buchstaben aus der Folie entfernt, sie auf die Kerzen geklebt und nach der Bemalung die Folie wieder entfernt. Ich bekam also selbst am Karfreitag immer wieder die Texte aus der Osternacht, Texte des Lichts und der Auferstehung, zu lesen. Dies hat meinen Blick auf die Kartage verändert und ich habe verstanden, dass wir sie im Blick auf Ostern feiern sollen. Die Fastenzeit läuft nicht auf den Karfreitag, nicht auf Verrat, Verurteilung und Tod hin, sondern das Ziel ist Ostern. Es ist das Licht und die Auferstehung. Heute, am Bergfest der Fastenzeit wagen wir einen Ausblick auf Ostern. Wir machen uns klar was das Ziel unseres Weges ist. Das Licht leuchtet in vielen Gemeinden durch das Violett des Messgewandes und es wird rosa. Wie auch hier die Blumen vor mir.
Vor allem die Gesänge, die der gregorianische Choral für heute vorsieht, drücken die Vorfreunde auf das Ziel aus. Im Introitus dem Eingangsgesang heißt es: „Sei fröhlich Jerusalem! Und alle, die ihr sie liebt macht eine Versammlung. Freut euch in Fröhlichkeit, die ihr in Traurigkeit gewesen seid. Auf dass ihr jubelt und euch satt trinkt an den Brüsten eurer Tröstung.“
Laetare Jerusalem – in der Vertonung klingt das Ende des Oster-Hallelujas mit, das hier im Laetare unverkennbar vertont ist. Dies ist eines der bekanntesten Beispiele der Verknüpfungen innerhalb des gregorianischen Repertoires.
Wenn wir in dieser Fastenzeit uns aufmachen zu ihm, brauchen wir nicht zerknirscht vor Gott treten, nicht den Karfreitag vor Augen. Sondern uns freuen, dass wir auf dem Weg zu ihm sind. Das positive Ziel, Ostern, in den Blick nehmen.
Die Israeliten haben dieses Ziel immer mit dem Idealbild ihres Sehnsuchtsortes Jerusalem – was übersetzt Stadt des Friedens heißt – gleichgesetzt.
Der gregorianische Gesang zur Kommunion, die Communio, drückt in der Vertonung sehr schön die Sehnsucht nach Jerusalem aus –
Aber nicht nur musikalisch auch inhaltlich sind die Verse aus Psalm 122, die wir jede zweite Woche beten spannend. In unserer Übersetzung heißen sie:
„Jerusalem, als Stadt erbaut, die fest in sich gefügt ist. Dort ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, den Namen des Herrn zu preisen, wie es Gebot ist für Israel“
Die Lutherbibel übersetzt den ersten Vers:
„Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll“
Und in der Übersetzung des Münsterschwarzacher Choralbuches heißt es:
„Jerusalem, das gebaut ist als Stadt, in der sich vereinen, die verbunden sind mit ihr.“
Je nach Deutung des Hebräischen sind die Worte also entweder ein bautechnischer Begriff für die Kompaktheit der Stadt oder eine Bezeichnung für die in der Stadt als Gemeinschaft zusammenkommenden bzw. zusammenlebenden Menschen verstanden werden.
Wir sind also auf den Weg nach Jerusalem auf dem Weg in die Gesellschaft, die perfekt in sich gefügt ist. Was für ein tolles Bild. Eine Gesellschaft in der jeder seinen Platz hat. In der keine Risse und Lücken klaffen. Die nicht droht auseinander zu brechen und instabil zu werden. Ein Ort der Sicherheit, der Geborgenheit und der Gerechtigkeit. Wir kommen zum Licht. Wir kommen zu Christus.
Der Komponist streicht aus den Versen das Gebot für Israel und ändert „den Namen des Herrn zu preisen“ in „deinen Namen Herr zu preisen“. „Dort ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, deinen Namen, Herr, zu preisen“ Wobei das Deinen (tuo) eine besondere Akzentuierung erfährt. Er ändert die Perspektive und spricht Gott direkt an. Wir sind auf dem Weg zu Dir, Herr. Wir steigen hinauf zu Dir. Wir folgen dem Ruf den du durch König Kyrus ausgerufen hast: „Jeder unter euch, der zu seinem Volk gehört— der Herr, sein Gott, sei mit ihm —,der soll hinaufziehen.“
Und wie funktioniert dieser Weg? Christus sagt im Evangelium, wir sollen zum Licht streben, wir sollen die Wahrheit tun, dann kommen wir zum Licht, dann sind unsere Taten in Gott vollbracht, in Gott getan. Jeder von uns weiß genau, wann er zum Licht strebt und wann zur Finsternis. Jeder urteilt somit über sich selber und muss mit den Konsequenzen leben. Last uns also danach streben, ins Licht zu kommen. Aufzusteigen zu unserem Sehnsuchtsort an dem jeder seinen Platz hat, auch wenn der Aufstieg manchmal schwer fällt und es Rückschläge gibt. Zum Jerusalem in dem sich die Gemeinschaft fest in sich zusammenfügt und unterstützen wir uns auf diesem Weg, damit wir das Ziel erreichen.
Jetzt, in dieser Zeit.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/03/jerusalem-108849_640.jpg480640Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2021-03-14 15:21:342021-03-14 15:21:34Predigt am 4. Fastensonntag (14.3.21)
Einmal eine Auszeit nehmen
raus aus der Pandemie,
raus aus allen Einschränkungen, Auflagen, Zwängen, Verboten.
Kein Homeoffice und kein Homeschooling mehr,
keine immer neu ausfallenden Termine …
Stattdessen an einen Sehnsuchtsort reisen,
Freundinnen und Freunde wieder treffen,
gemeinsam feiern,
das Leben genießen.
Gemeinschaft erfahren.
Austausch haben.
Ob sich für Petrus, Jakobus und Johannes
die Einladung Jesu ähnlich angefühlt hat?
Auch ohne die Erfahrung einer Pandemie
– sie ganz allein mit Jesus auf einem Berg?
Zeit, zur Ruhe zu kommen,
vielleicht über manches der vergangenen Wochen zu reden,
vielleicht manches neu zu verstehen.
Aber es kommt ganz anders.
Auf dem Berg mit der wunderbaren Aussicht
geschieht etwas ganz Merkwürdiges.
Strahlend weiß steht Jesus auf einmal da
und eine Stimme nennt ihn „mein geliebter Sohn“.
Zwei Menschen sind plötzlich da.
Mose und Elija.
Vertreter des Gesetzes und der Propheten im Glauben Israels.
So etwas wie eine Legitimation.
Einer der drei Freunde, Petrus, wird aktiv.
Vor Furcht angesichts des Geschehens
ist er ganz benommen, weiß nicht, was er sagen soll.
„Wir wollen drei Hütten bauen,“
schlägt er vor. Nur ein hilfloses Gestammel
– oder fast schon prophetisch?
Im griechischen Text ist die Rede von „skénas“, Zelten.
Das freut nicht nur den Pfadfinder.
Das freut auch den Bibelfesten.
In einem Zelt wollte JHWH leben,
in einem Zelt sollte die Bundeslade mit dem Volk Israel ziehen.
Gott will mit Seinem Volk unterwegs sein.
Will Petrus nur etwas festhalten, was nicht festzuhalten ist –
oder ein neues Zelt, ein neues Miteinander mit Gott knüpfen?
Was verbirgt sich für uns heute in diesem Evangelium
– viel Tieferes?
„Das Gesetz und die Propheten“ –
darauf beruft sich immer wieder der jüdische Glaube.
Im Christentum nennen wir es vielleicht anders.
Kirchenrecht und Tradition?
Ein: „Es war schon immer so“?
Jesus geht erst gar nicht auf die Idee des Petrus ein,
Hütten zu bauen, Zelte aufzuschlagen.
Die Stimme aus dem Himmel macht deutlich, worum es geht:
„Dieser ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“
In seiner ersten Predigt zur diesjährigen Fastenzeit
hat der Päpstliche Hausprediger Kardinal Cantalamessa
zu genau dieser Rückbesinnung auf Jesus gemahnt.
„Es ist notwendig, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen.
Stattdessen müssen wir uns wieder stärker auf Christus konzentrieren“, sagte Cantalamessa.
Es gehe darum, zu den Ursprüngen der Berufung zurückzukehren
– „ohne Anmaßung, ohne Titel, ohne Vergleiche untereinander“.
Wie die frühen Apostel müsse man
„als Gefährten in einem Abenteuer“ zusammenarbeiten.
Lassen wir uns auf dieses Abenteuer ein?
Sind oder werden wir Gefährten Jesu?
In „Lumen Gentium“,
der dogmatischen Konstitution über die Kirche,
greift das Zweite Vatikanische Konzil
das erstrahlende Gesicht Jesu auf:
„Christus ist das Licht der Völker.“
Und beschreibt:
Dieses Licht spiegelt sich auf dem Antlitz der Kirche wieder.
Ist das so?
Auch bei mir ganz persönlich?
Stecke ich nicht viel zu tief fest
in meinem Streben nach Anerkennung,
in dem Versuch, meinen Minderwertigkeitskomplex
durch immer mehr Aktivität zu übertünchen,
mich mit Titeln, Ämtern, Insignien und Gewändern zu schmücken?
Bei allen doch so oft tiefsitzenden Ängsten,
Sorgen und Unsicherheiten
könnte uns die Zusage aus dem Römerbrief helfen,
die wir gerade gehört haben:
„Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns“?
In diesem Vertrauen
kann Eingestehen von Schuld und Versagen gelingen.
Dazu müssen wir nicht nach Köln schauen
und auf ein Gutachten von Kardinal Woelki warten.
Schauen wir auf uns!
Wo bin ich,
wo sind wir – auch als Gemeinschaft – schuldig geworden?
Ist mir das überhaupt bewusst,
verdränge ich es, vertusche es sogar?
Wo stehe ich offen zu meiner Schuld
– gerade auch denen gegenüber, an denen ich schuldig geworden bin?
Was tue ich dem Menschen neben mir an?
Nehme ich es überhaupt wahr?
Vielleicht lässt die Verklärung Jesu
auch mein Tun in einem neuen Licht erscheinen.
Ein Licht,
das tief in das Innere meiner Seele leuchtet.
Ein Licht,
das auch das Dunkelste, das Schwerste
ans Tageslicht bringt.
Würde es offenbar werden
– es wäre wohl fürchterlich.
Aber Gott sieht es.
Kann ich damit stehen vor IHM?
Ich wünsche uns den Mut zur Offenheit
– auch wo es weh tut.
Den Mut, um echte Vergebung zu bitten.
Den Mut, neue Wege zu gehen.
Damit Gott neu sein Zelt unter uns aufschlagen kann.
Damit ich spüren darf,
dass die Botschaft Gottes auch mir gilt:
„Dieser ist mein geliebter Sohn.“
„Bei allem, was du bist und was du getan hast:
du bist mein geliebtes Kind!
Du bist meine geliebte Tochter,
du bist mein geliebter Sohn!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/03/people-2591874_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-02-28 10:15:302021-03-01 10:16:26Predigt am 2. Fastensonntag (28.02.2021)
Sicher kennen viele von uns diesen Werbespruch einer schwedischen Möbelfirma. Ein Einkauf in Schwedens „Möbelhaus“ ist mit einigen Mühen verbunden und kann leicht zur Geduldsprobe, wenn nicht gar zum Albtraum werden! Lange Anfahrten, überfüllte Hallen, entlegene Regalpositionen, schwere und sperrige Pakete, kaum unterzubringen im eigenen oder geliehenen Wagen, quengelnde Kinder, ungesunde Fleischklöße. Und dann erst der Aufbau zu Hause! „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ erscheint da als beinahe zynische Frage. Es ist der Versuch, das „Leben“ uns als mehr oder weniger erschwingliche Möbel zu verkaufen. Für diese „Lebens.Möbel“ nehmen wir einiges auf uns. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Natürlich brauchen wir solche und ähnliche Möbel, wenn wir einmal umziehen oder ins Kloster eintreten. Aber: Findet unser Leben in den Möbeln seinen wohnlichen Grund? Nun, unser heutiges Evangelium geht da weiter und setzt dort an, wo die IKEA-Werbung aufhört. Es fragt uns gleichsam: „Lebst du noch oder bleibst du schon – und wohnst?“
Die Berufungsgeschichte des Evangelisten Johannes ist eine Geschichte von Suchen und Finden und Bleiben. Der Ort der Geschichte: Bethanien jenseits des Jordan. „In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.“
Liebe Schwestern und Brüder! Das ist die Initialzündung für die ganze Geschichte. Am Anfang steht das Zeugnis Johannes des Täufers über Jesus: Das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Das ist eine Antwort auf die Frage danach, wie Menschsein wieder zurechtgebracht und aufgerichtet werden kann. Gottes Lamm, das ist der Gottesknecht, von dem der Prophet Jesaja erzählt. ER, der Gottesknecht, Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt. ER, der Gottesknecht, der so wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt.
„Siehe, das ist Gottes Lamm“ ist die Antwort auf unser Fragen danach, wie wir Vergebung erfahren, um heilzuwerden. Es ist das, was uns das Christkind an Weihnachten gebracht hat. Geschenkte Erlösung! Es ist ein Finden dessen, wonach wir gesucht haben. Andreas wird danach zu seinem Bruder Simon sagen: „Wir haben den Messias gefunden.“
Das Rufen Jesu bleibt bei Johannes aus! Der HERR ruft nicht. Im Gegenteil. Als er sieht, dass die zwei Johannesjünger ihm nachfolgen, da FRAGT er: „Was sucht ihr?“ Sie antworten: „Wo wohnst du?“ Nun LÄDT er ein: „Kommt und seht!“ Und sie kommen und sehen, wo er bleibt – wo er wohnt. Und dann bleiben auch sie. Sie bleiben für den Rest des Tages und die Nacht bei Jesus. Vielleicht sind in diesem Moment ihre Herzenslampen wie die Lampen der klugen Jungfrauen mit Öl gefüllt und leuchten, auch wenn kein Wächter in der Wüste sie gerufen hat. Aber: Der Lichttag geht zu Ende. Die Sonne geht unter. Die Dämmerung zieht herauf. Irgendwann gehen die Öllampen vielleicht aus, es wird dunkel. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Es wird nicht dunkel bleiben, wenn Christi Licht in uns brennend leuchtet. Die Jünger sind gekommen um zu bleiben. Sie bleiben bei dem, den sie schon immer gesucht haben, zu dem sie schon immer gehört haben. Zwischen Jesus und den Jüngern besteht eine Verbindung. Dies wird deutlich in der Begegnung Jesu mit Petrus. „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels. Petrus.“ Auf diesem Felsen baut Jesus seine Kirche. Auf einem Felsen lässt es sich gut und sicher bauen, so hören wir es ja auch in der Geschichte „Vom Haus auf dem Felsen“. Jesus ist unser Fels, auf den wir bauen – unser Fels, auf dem wir wohnen. Mit Christus werden wir Felsen.Stark. Wie die Jünger, sind auch wir eingeladen, zu kommen um zu bleiben. Auch uns sah Jesus bereits unter dem Feigenbaum sitzen. „Lebst du noch,“ so lautet die Frage auch an uns in dieser Stunde. „Lebst du noch“ in deiner Rastlosigkeit, in deiner Suche nach Sinn, in deiner Orientierung an vorläufigen Zielen „oder bleibst du schon?“ Bist du angekommen auf dem Felsen, der DICH trägt?
Das heutige Evangelium verändert unsere Perspektive. Leben ist gut, auch Möbel sind gut, aber wohnen ist etwas Anderes. Wohnen heißt bleiben. „Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben.“ Bei Jesus haben wir eine ewige Bleibe, auch wenn uns das Leben übel mitspielt, auch wenn Möbel zu Bruch gehen.
„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“. Heute empfinden viele dieses alte Kindergebet vielleicht als problematisch, dabei drückt es einen wunderbaren Glaubenskern aus. Denn Jüngerschaft Jesu heißt: Wohnen. Christus will in mir Wohnung nehmen. Dafür muss ich die Enge meines Herzens weit machen, damit der König der Herrlichkeit einziehe. Wenn man ein möbliertes Zimmer bezieht, dann dauert es nicht lange, und das Zimmer sieht ganz anders aus. Das Bett steht woanders, die Stühle und der Tisch kommen in eine andere Ecke, neue Bilder werden aufgehangen und manches andere verschwindet ganz – das Zimmer verändert sich. Der Apostel Paulus schreibt im Epheser-Brief: „Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet.“ Wenn Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt, dann wird sich unser Leben spürbar verändern. Wenn Christus in unser Herz „einzieht“, dann kann unser Herz nicht so bleiben, wie es war. Dann kann es nicht mehr kalt, hart und lieblos bleiben, dann wird es warm. Jesus ist der Rhythmus im Puls unseres Herzensklangs. Er will nicht machtvoll in uns hausen, sondern in Liebe wohnen.
Im 27. Psalm heißt es: „Mein Herz denkt an dein Wort: Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz, o HERR, will ich suchen!“ Jüngerschaft heißt: Suchen und Finden. Das ist sicher die große Aufgabe für uns Missionsbenediktiner! Andere finden und suchen, damit sie wohnen können. Wie kann das bei uns in Königsmünster aussehen? Wie und wo halten wir auf dem Klosterberg die Frage nach dem tiefsten Grund unserer Existenz offen und zwar so, dass sich inmitten des vielfältigen Lebens, das wir ringsum sehen, auch hier die Möglichkeit zum Bleiben in Christus eröffnet? Bringen wir das Wort vom Lamm Gottes zu den Menschen oder hausen wir in unserem Kämmerlein und entziehen uns den nach Gottes Liebe suchenden Menschen? Wo ergibt sich für uns die Gelegenheit, wie Jesus andere mit den Worten „Kommt und seht und bleibt“ anzusprechen? Und zwar mit liebender Offenheit, wachsamer Achtsamkeit, bejahender Ehrlichkeit, fragender Neugier und barmherziger Liebe?
Vielleicht gelingt es uns dann, wenn wir in unserem eigenen Herzens.Gebet Gott immer wieder bitten: „Die Enge meines Herzens mach weit“! Dann kann der König der Herrlichkeit ins uns einziehen und uns verwandeln in der Liebe. Denn Jüngerschaft heißt: Kommt und seht – sucht und findet – bleibt und wohnt und liebt einander. Dann wird unser bereites Herz fühlen, dass ER in uns angekommen und gegenwärtig ist und in uns Wohnung genommen hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/01/interior-1961070_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-01-18 09:40:432021-02-18 16:07:48Predigt am 2. Sonntag im Jahreskreis (17.01.2021)
Während einer zurückliegenden Exerzitienwoche ging Prof. Peter Knauer auf die Frage ein, ob nur die Menschen von Gott geliebt seien, die getauft sind. Er hat damals ein Bild genutzt, das ich auch heute noch ansprechend finde. Die Taufe ist wie eine Fahne, und die Liebe Gottes ist wie der Wind. Durch die Fahne wird der Wind sichtbar, und in der Taufe wird die Liebe Gottes für den Menschen sichtbar und im Zuspruch zugesagt. Als sich heute für Jesus der Himmel in der Taufe geöffnet hat und Gott zu ihm sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen gefunden habe!“, hat sich in gleicher Weise für uns dieser Himmel geöffnet, und Gott spricht zu uns: „Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn!“ Uns allen, die wir hier versammelt sind oder uns an anderen Orten befinden, gilt dieser Zuspruch. Das ist wesentlich.
Vor allem öffentlichen Wirken Jesu kommt zuerst der Zuspruch des Vaters. Vor aller Arbeit, vor allem Erfolg, vor allem Verdienst kommt der Zuspruch des Vaters zu uns. Du bist geliebt, weil du bist. Lieber Emmanuel, Dir ist den Jahren Graf Dürckheim zu einer zentralen Person geworden. Er ist ein Lehrer der Initiation. Die Taufe ist ein Initiationsmoment. Hier wird uns zugesagt, dass wir Kinder unserer Eltern und Kinder Gottes zugleich sind.
Während einer Führung mit Familien fragte mich ein Kind. Warum müssen die Mönche so viel beten? Kinder stellen ja häufig die besten Fragen. Ich musste ein wenig überlegen, und dann antwortete ich: Damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Mit dieser Antwort war das Kind zufrieden. Wenn wir uns hier, wie in der Profess versprochen, zum Gebet versammeln, dann eben auch, damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Im Mönchtum gibt es den Begriff der „Ruminatio“, des Durchkauens der heiligen Schriften. Damit ist gemeint, dass wir nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern dass sie uns in Fleisch und Blut übergeht. Dass wir also nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern auch in unserem Leib abbilden. Die Botschaft Jesu, die im Wesentlichen aussagt: „Liebt einander, wie ich euch geliebt.“
Urteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.
Vergebt einander, dann wird auch euch vergeben werden.
Habt Erbarmen mit den am Rande Stehenden, den Armen und Verzweifelten, und euch wird Erbarmen zuteil.
Das ist dann gelebte Nachfolge. Dann lebt das in mir, was in einem Gebet Christian de Chergé, der ermordete Prior der Trappisten von Tibhirine, so ausgedrückt hat: Ich in Ihm, Er in mir. (Bruder Emmanuel hat dieses Gebet auf der Einladung zu seiner Silberprofess abdrucken lassen.)
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Begegnung. Wir können es auch als Dreifaltigkeitsfest feiern. Die Begegnung Gottes mit seinem geliebten Sohn im heiligen Geist am Fluss Jordan. Martin Buber schreibt: Alles Wesentliche ist Begegnung. Gott ist Bezogenheit im dreifaltigen Sinne untereinander, aber eben auch in der Hinwendung zu uns Menschen. Und so leben wir unsere Nachfolge nicht in sterilen Räumen frömmelnder Ichbezogenheit, sondern in der konkreten Zuwendung zum Nächsten. Das meint der heilige Benedikt, wenn er im Gast, aber auch im Kranken Christus begegnet. Und vielleicht gelingen uns manche Begegnungen, und manche misslingen, aber all das ist besser als ein abgeschottetes, reines und steriles Christentum. Vorausgesetzt, die Begegnungen finden auf Augenhöhe statt, weil ja der Nächste genauso ein geliebter Sohn, eine geliebte Tochter ist wie ich.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Schwellenfest. Es schließt den Weihnachtfestkreis ab. Ab morgen ist wieder Alltag. Aber heute, lieber Emmanuel, feiern wir Deine Silberprofess. Bei einer unserer Wanderungen hast Du mir erzählt, dass Du ein weihnachtlicher Typ bist. Das drückt sich ja auch in Deinem Namen aus, der Dir überaus wichtig ist. Die Menschwerdung Gottes, damit alles auf dieser Erde geheiligt sei. Das ist Dir wichtig. Schwellenfest heißt aber auch: Übergang in den Alltag. Die Treue zu halten, manchmal auch auszuhalten, wie in der Profess versprochen. In guten wie in bösen Tagen. Auszuhalten, wenn das Gebet oder die Arbeit gerade nicht eine Aufeinanderfolge von Höhepunkten sind. Die Mühen der Ebene weitergehen. Das ist gelebte benediktinische Stabilitas.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest, welches das Leid nicht ausschließt. Denn die gleichen Worte, die wir eben gehört haben, hören wir am Berg der Verklärung wieder. Diesmal unmittelbar vor dem Leiden Jesu. Dieses Leiden führt zu Tod und Auferstehung Jesu. Und auch hier sind wir hineingenommen. Unser Leid ist nicht grenzenlos. Es findet sein Ende in der Auferstehung.
Zuletzt: Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Sinnstiftung. Ein jeder von uns hat seinen Ursprung aus Gott, von Ihm kommen wir. Wir sind, weil Gott möchte, dass wir sind. Das ist der Sinn unseres Lebens. Und in der Auferstehung ist das Ziel unseres Lebens vorgezeichnet. Unsere endgültige Heimat ist im Himmel. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/01/Weihnachten.jpg6821024Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-01-10 14:03:072021-02-18 16:07:12Predigt am Fest der Taufe des Herrn (Silberprofess Br. Emmanuel – 10.01.2021)
„Passwort vergessen?“ – Ärgerlich ist das, wenn ich beim Arbeiten am Rechner den Zugang zu einem Programm oder einer Homepage brauche; schnell habe ich eingetippt, was mir als das zugehörige Passwort in Erinnerung ist und dann poppt auf: „Passwort vergessen?“. Meist war es nur ein leicht zu korrigierender Flüchtigkeitsfehler, manchmal ist aber auch ein lästiges Herumsuchen fällig, bis ich schließlich weiterkomme. Es fehlt das richtige, entscheidende Wort, damit etwas passiert, – das Passwort eben. Übrigens kein Phänomen, das erst mit der Digitalisierung aufgetaucht ist. Schon der alte Goethe kannte das, als er 1797 die Ballade vom Zauberlehrling schrieb: Immerhin kennt der Zauberlehrling das Passwort, um in Gang zu bringen, was er vorhat. Viele werden die Verse noch aus der Schulzeit kennen:
Walle! walle Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Damit wird der Besen zum Hausknecht, der das Wasser aus dem Brunnen holt, um das Bad für den ebenso vorwitzigen wie bequemen Herrn Zauberlehrling zu füllen. – Aber dann, oh Schreck: es fehlt das Wort, um das Ganze zu beenden, bevor das Haus völlig unter Wasser steht.
Stehe! stehe! Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
In dieser humorigen Szene aus Goethezeiten spiegelt sich etwas, was mir in ziemlich ernsthafter Version in unserer augenblicklichen Corona-Bedrückung durch den Kopf geht. Es fühlt sich an wie „Passwort vergessen?“ oder Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen!
Neben der konkreten Bedrohung für Leib und Leben durch das Corona-Virus zerrt an den Nerven, dass im Augenblick kein Mensch wirklich weiß, wann und wie das Ganze zu stoppen ist. Wir meinten, alles im Griff zu haben und jetzt haben wir die Kontrolle verloren! Unsere Gedanken und Gespräche, unzählige Äußerungen von Experten und Politikern behaupten alles Mögliche, aber bis jetzt hat keiner das Wort gefunden, mit dem wir Corona loswerden; wir stehen da wie Zauberlehrlinge: Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.
Liebe Schwestern und Brüder,
Angesichts dieser, so möchte ich es einmal nennen, allumfassenden Wortfindungsstörung wirken die großen, souveränen Worte des Johannesprologs, die wir gerade als Evangelium gehört haben, wie aus der Zeit gefallen:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Man ahnt: Diese Sätze hätten die Kraft zu wirken, wenn es gelänge, sich von ihnen ergreifen zu lassen. Doch klingen sie angesichts des Wortgedröhns um die Corona-Pandemie nicht „wie ein Märchen aus uralten Zeiten“? Das tut umso mehr weh, je mehr wir merken, wie sehr es gerade hier und jetzt auf solche „wirkenden Worte“ ankäme.
Wie Zugang finden zu einem Wort, das nicht ins Leere geht, sondern etwas „werden“ lässt.
Wie Zugang finden zu einem Wort, das nicht runterzieht und verdunkelt, sondern in dem „Licht und Leben“ steckt?
Wie Zugang finden zu einem Wort, das nicht „von der Finsternis verschluckt wird“, sondern in der Dunkelheit leuchtet?
Die Antwort auf solche Fragen wird nicht so einfach zu finden sein wie ein Zauberspruch oder wie ein Computerpasswort. – Doch, warum sich nicht zumindest auf die Suche machen? Ist es nicht eine grundlegende Lebenserfahrung, dass sich die wirklich wichtigen Dinge Schritt um Schritt erschließen, wenn man mit ihnen lebt, statt nur über sie zu grübeln und zu reden? – Deshalb: Was wären nächste Schritte, um das Wort zum Wirken zu bringen, das uns aus dem lähmenden Gerede befreit und einen Weg weist, der weiterführt?
Ich schlage die Schrittfolge der „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ vor, die Dietrich Bonhoeffer Ende Juli 1944 aufschrieb, als ihm klar vor Augen stand, dass seine persönliche Situation in der Nazi-Gefangenschaft aussichtslos war. Ich glaube, diese Sätze haben wirklich die Kraft, als Widerhall des „Licht und Leben“ bringenden „Wortes“ zu wirken, von dem das Evangelium spricht. Bonhoeffer sieht vier Stationen auf dem Weg, der das „Wort, das am Anfang war“, Wirklichkeit werden lässt bringt. Er spricht von der „Zucht“, von der „Tat“, vom „Leiden“ und schließlich vom „Tod“:
Zucht. Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem Zucht der Sinne und deiner Seele, dass die Begierden und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
Tat. Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.
Leiden. Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Tod. Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2021/01/subscribe-3534409_640.jpg412640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2021-01-03 20:14:092021-02-18 16:07:13Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten (3.1.2021)
Die Kirche feiert heute das Fest der Heiligen Familie. Es soll die Familie als Keimzelle von Kirche und Gesellschaft wertschätzen und fördern. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung tiefgreifende Umbrüche in der Gesellschaft verursachte, wurde es eingeführt. Seitdem hat sich die Welt beschleunigt weiter verändert – besonders erkennbar in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft. Familien gibt es weiterhin – auch sie haben sich entwickelt. Es ist ein Kennzeichen unserer Zeit, dass ständig Umbruch ist – oder sanfter ausgedrückt: steter Wandel. Die Corona-Pandemie macht das noch deutlicher.
Kann das Fest uns inspirieren, den Wandel zu gestalten, um mehr zu leben – vielleicht sogar um zu überleben?
Von Jesu Familie – der Heiligen Familie – hörten wir gerade. Ort des Geschehens ist ein doppeltes Zentrum: Jerusalem – politisch, der Tempel – religiös. Das kündigt Bedeutendes an. Höhepunkt ist die Fokussierung auf das Kind Jesus – mehr Aufmerksamkeit und Mittelpunkt in der Öffentlichkeit geht nicht! Diese Präsentation wirkt: Die außerfamiliären fremden Menschen Simeon und Hanna öffnen sich für eine Begegnung – sie werden die zentralen aktiven Figuren der Erzählung – Maria und Josef als Eltern bleiben in Nebenrollen eher passiv – fast treten sie sogar in den Hintergrund. Auch der ursprüngliche Reiseanlass – das vom jüdischen Gesetz vorgeschriebene Ritual im Tempel – bildet nur noch den Rahmen der Begegnung mit Simeon und Hanna. Direkt nach dem Besuch der Hirten platziert der Evangelist Lukas dieses Ereignis in seine Kindheitsgeschichte, um die öffentliche Wirkung des folgenden Lebens Jesu von Anfang an zu zeigen. Simeon und Hanna sind so die beiden ersten namentlich genannten Menschen, denen Jesus begegnet – dieser Auftritt gehört ihnen. Eindrucksvoll weitet sich die Heilige Familie – Jesus wirkt über seine Kernfamilie hinaus – schon als Kleinkind.
Simeon empfängt das Kind Jesus in seinen Armen: Berührende Nähe, fast Intimität strahlt von Jesus aus – auch: schon jetzt. Weissagend erfasst und verkündet Simeon, was das nach der Kindheit anschließende Leben, Sterben und Auferstehen Jesu bedeutet: Heil, Licht und Herrlichkeit. Diese Erkenntnis setzt er gleich um: Mit Jesus wird er ein Segnender – er gibt von der Gnade, die er empfangen hat. Der Segen soll stärken, denn Simeon prophezeit Maria: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, …“ Das Leben dieses Menschen hat Konsequenzen – es wird nicht harmlos sein. Ein Hinweis auf die finale Katastrophe der Hinrichtung am Kreuz fehlt nicht: „… und deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“
Simeon spürt, dass Gott als Kind – schwach und ohnmächtig – in diese Welt gekommen ist und sich ihr am Kreuz letztendlich ganz hingibt. Deshalb ist er schon jetzt in seinem Leben gegenwärtig – so konkret wie das Kind in seinem Arm. Die äußere Szenerie offenbart eine existentielle Wahrheit: Simeon und – ihm gleich Hanna – erfahren ihre eigene göttliche Kindschaft, die Gott mit diesem Jesus endgültig und unzerstörbar schenkt. Ihr langes Leben verlief nicht ohne Brüche und ihre Präsenz im Tempel verweist auch auf ihre innere Not. Hat die Lebenswirklichkeit sie für diese Begegnung vorbereitet – geöffnet? Von diesem armen und ohnmächtigen Kind lassen sie sich beschenken und nehmen die heilende Gegenwart Gottes als eine eigene innere personale Geburt wahr. Wenn Gott selbst sich in dieser Weise als Gabe für die ganze Welt offenbart, dann ist auch ihr Leben gutgeheißen, in Liebe geborgen, geheiligt und erleuchtet. Simeon und Hanna wandeln sich – als längst Erwachsene – zu Kindern Gottes. Ihre Antwort darauf kann nur der Lobpreis sein – am Ende ihres Lebens bricht der Jubel durch. Er ist äußeres Zeugnis ihres Aufbruchs in ein erlöstes Leben mit und in Gott – schon jetzt und durch den nahenden Tod hindurch. — Und Maria und Josef? Man hat den Eindruck, den jungen Eltern ist das alles ein bisschen viel: Die geheimnisvolle Schwangerschaft, die herausfordernde Geburt im Stall, der überraschende Besuch der Hirten und jetzt Simeon und Hanna – ihnen bleibt das Staunen.
Schon das eine frohe Botschaft zum Fest der Heiligen Familie.
Von der erfahren wir später noch einmal. Weil sie Mühe hat, zu Jesus zu gelangen, macht sie ihm den Vorwurf, dass seine Jüngerschaft ihm mehr bedeute. Jesu Antwort: Entgrenzung! Er weitet den Rahmen der Familie über die biologisch bestimmte Zugehörigkeit hinaus. Zu seiner Familie gehören alle, die den Willen Gottes suchen und erfüllen. Diese Zugehörigkeit wurzelt in existentieller gemeinsamer Gotteskindschaft. In Jesus, seinem Leben und seiner Botschaft, verkörpert sich der Wille Gottes als allumfassendes Angebot. Überängstliche verkürzen es zu einer ausgrenzend zerstörenden Doktrin. Die anderen suchen im allfältigen Angebot und wählen daraus – einzeln und gemeinsam – frei und verantwortlich – mitunter im fairen gewaltfreien Streit, denn manche Lösung wird nur durch ihn geboren. Diese Würde – manchmal auch Bürde – verbindet uns zu einer globalen heiligen Familie.
Sie kann die Aufgaben einer Welt im Wandel lösen – in froher Gelassenheit und mutigem Engagement. Das ist eine ziemlich aktuelle Botschaft – an Weihnachten und weit darüber hinaus.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/12/trim-4116133_640.jpg426640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-27 11:00:372021-02-18 16:06:52Predigt am Fest der hl. Familie zu Lk 2,22-40 (27.12.2020)
Ende November zeigte die ARD das verfilmte Kammerspiel „GOTT“ von Ferdinand von Schirach. Einige von ihnen werden die Diskussion des fiktiven Ethikrates verfolgt haben. Es ging um die Frage „Wem gehört unser Leben?“, also letztlich um die Frage der Würde des Menschen.
Bereits vier Jahre zuvor wurde die Verfilmung „Terror – ihr Urteil“ des gleichen Autors gezeigt und hat mit der Frage, ob man wenige Menschen opfern darf, um viele zu retten, ebenso zum Nachdenken angeregt. Mehrmals habe ich diesen Film in der Oberstufe gezeigt und interessante Diskussionen mit und zwischen unseren Schülerinnen und Schülern entfachen können. Auch in diesem Stück rückt die Frage der Menschenwürde in den Mittelpunkt. Für mich als Juristen ist die eindrücklichste und rhetorisch wie inhaltlich beste Szene das Plädoyer der Staatsanwältin, wenn sie bekennt: „Wir brauchen etwas Verlässliches, etwas, woran wir uns immer halten können, etwas, das uns Klarheit im Chaos verschafft. Wir brauchen Prinzipien! Und diese Prinzipien haben wir in unserer Verfassung. Unsere Verfassung ist eine Sammlung von Prinzipien und sie hat ein oberstes Prinzip: Das ist die Würde des Menschen. Das Grundgesetz beginnt mit dem Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und dieser Satz steht nicht zufällig am Anfang, er ist seine wichtigste Aussage. […] Der Mensch ist zu jedem Zeitpunkt Subjekt dieser Würde und er darf niemals zu deren bloßem Objekt werden.“
Warum nun wurde die Menschenwürde vor gut 70 Jahren als alles überragendes Grundprinzip ausgerufen? Vermutlich, weil die unantastbare Würde angetastet worden war! Weil erlebt worden war, wie im Nationalsozialismus unzählige Menschen ihrer Würde beraubt wurden. Menschenwürde: Unantastbar – und doch bis heute immer wieder angetastet.
Obwohl eine „Menschenwürde“ sich aus keinem Gesetz herleiten lässt und somit aus staatlicher Sicht eine reine Idee ist, gilt sie zum Glück in vielen Ländern der Erde als oberstes Prinzip von Verfassungen. Es gibt verschiedene Versuche – politische und philosophische – sie innerweltlich zu deuten und zu erklären. Die vielleicht älteste Begründung steht im Tagesgebet vom heutigen Weihnachtstag. Dort heißt es:
„Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“ Der Mensch ist also wunderbar geschaffen. In der Genesis heißt es zu Beginn: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ Größer geht es doch wohl nicht. Der Mensch ist gottähnlich. An Weihnachten feiern wir nun genau die umgekehrte Angleichung: Gott wird menschähnlich, ja, mehr noch: Gott wird Mensch. Und genau hier erhält der Mensch eine Würde, die unantastbar, die heilig ist.
Wenn wir die Weihnachtsgeschichte, die Lebensgeschichte unseres menschgewordenen Gottes unter dieser Überschrift lesen, wird uns schnell auffallen, dass sie eine einzige Verkettung von Menschenrechtsverletzungen ist. Gott erleidet, was auch heute, was auch am heutigen Weihnachtsmorgen Menschen ertragen müssen: Geburt unter politischer Fremdherrschaft, Flucht, Vertreibung, Verleumdung, menschenunwürdige Folter und Todesstrafe.
Selbst im Johannesprolog, den wir eben hörten, klingt der Rechtsbruch an: „Er kam in sein Eigentum, aber die seinen nahmen ihn nicht auf.“
Jesus von Nazareth ist das Ebenbild all der Menschen, deren Würde angetastet wurde und bis heute angetastet wird. In Jesus Christus identifiziert sich Gott so sehr mit dem Menschen, dass er sich als neugeborenes Kind schutzlos ausliefert, sich berührbar und angreifbar macht und – wer es fassen kann, der fasse es – gerade dadurch die Würde des Menschen wiederherstellt. Das erklärt, warum die heutige Oration es als das Weihnachtsgeheimnis formuliert: „… du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“
Ein weiterer Gedanke. Schauen wir noch einmal auf den Johannesprolog. Wie die Ouvertüre zu einer großen Oper jede Melodie, jede Stimmung, ja, die gesamte Dramaturgie schon anklingen lässt, so ist auch die Ouvertüre bei Johannes, der Prolog, ein Schlüssel zum Ganzen des Evangeliums. Ein hochreflektierter und inhaltsschwerer Text. Gleich zu Beginn aber wird das Wesentliche gesagt: Jesus, Gottes menschgewordenes Wort, ist Offenbarer des Vaters. In immer neuen Wendungen wird diese Glaubensüberzeugung beleuchtet und erzählt. Der präexistente Logos wurde ein Mensch. Aus der Prae-Existenz als „Wort“ bei Gott ist er herausgetreten, „vom Himmel herabgestiegen“ und als Gesandter in die Welt gekommen. Oder wie wir es hörten: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“. Um Erleuchtung durch das von Gott in die Welt gesandte, fleischgewordene Wort geht es also. Der Hebräerbrief bekannte in der heutigen Lesung Gottes Sohn als den „Abglanz seiner Herrlichkeit“. Jesus Christus das wahre, erleuchtende, alles erhellende Licht. Licht hat zugleich immer mit Hoffnung und Zuversicht zu tun. Unzählige Menschen – und ich kann sie tatsächlich nicht zählen – haben mir in den vergangenen Wochen mündlich oder über die Kommunikationsplattformen gesagt, wie sehr sie sich über die schöne Beleuchtung unserer Abteikirche freuen. Der Blick auf den Klosterberg, das warme Licht, macht ihnen Hoffnung in dieser dunklen und oft einsamen Zeit der Pandemie. Licht der Hoffnung. Wir haben es an den Adventssonntagen zum Glockengeläut in unseren Fenstern aufgestellt und wollen es auch heute Abend zum weihnachtlichen Stadtgeläut um halb acht noch einmal tun. Wer Licht sieht – denken Sie an ein fernes, aus einem Fenster scheinendes Licht in kalter, vielleicht schneebedeckter Winterlandschaft – sieht nicht nur den Schein seiner Quelle, sondern kann innerlich sogar schon die Wärme empfinden, die es verströmt. Ein Hoffnungslicht. Jesus Christus aber ist weit mehr als ein Hoffnungslicht, weit mehr als eine Kerze, die wir aufstellen oder ein Gebäude, das wir illuminieren. In ihm ist die Hoffnung bereits erfüllt, denn ER ist der Abglanz des Vaters. ER ist das wahre, alles erleuchtende Licht. Und dieses Licht verändert alles oder in Abwandlung eines Sprichwortes: Seine Gegenwart wird alles ans Licht bringen. Das wahre Licht ist also das Licht der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. In seinem Licht, wird alles erleuchtet, muss jedes Dunkel, jede Sünde und Gottesferne weichen, wird jede Ungerechtigkeit aufgedeckt, weil sie von ihm überführt und in die Wahrhaftigkeit geführt wird.
Liebe Schwestern und Brüder,
der heilige Franz von Assisi hat nicht nur die erste Krippenfeier inszeniert, sondern auch über das Weihnachtsgeheimnis meditiert und schreibt staunend:
„Beachte, o Mensch, in welch erhabene Würde Gott der Herr dich eingesetzt hat, da er dich dem Leibe nach zum Bild seines geliebten Sohnes und dem Geiste nach zu seiner Ähnlichkeit erschaffen und gestaltet hat.“
Die Würde des Menschen und das menschgewordene Wort, das alles ans Licht bringt – diese beiden Aspekte biete ich ihnen als Festgeheimnis an.
Oder anders gesagt und im weihnachtlich vertrauten Bild gesprochen:
Die Menschenwürde ist die Krippe –
die alles ans Licht bringende Wahrhaftigkeit das Kind darin…
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/11/IMG-20201128-WA0007.jpg12001600Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-25 09:30:402021-02-18 16:06:52Predigt am Ersten Weihnachtstag (25.12.2020, 9.30 Uhr)
Wie sehr hat sich unser Leben nun schon über Monate verändert! Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, die Kinder wochenlang zu Hause betreuen, bittere Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dazu Abstand, Hygienevorschriften, Mund und Nasenschutz, und und und…
Es gibt niemanden, dessen Leben von den Auswirkungen der Pandemie nicht verändert worden wäre in diesem Jahr. So unterschiedlich die Auswirkungen waren und sind, für uns alle heißt das: vertraute Gewohnheiten aufgeben, neue Wege ausprobieren, Distanz halten, Ungewissheit ertragen lernen. Und nun feiern wir Weihnachten am Ende dieses so ganz anderen Jahres 2020.
ABER
Erinnern wir uns, Jesus ist auch mitten im Chaos zur Welt gekommen. Für Maria und Josef war alles Vertraute, alle Sicherheit, alle menschliche Nähe weggefallen. Mitten in der Nacht, in Kälte und Einsamkeit ist Jesus zur Welt gekommen.
ALSO
Beinhaltet sich doch auch für uns heute eine Chance in der Feier der Geburt des Gotteskindes!
Viele große Dinge beginnen ganz klein. –
genau das feiern wir heute Nacht: Den kleinen Anfang einer großen Liebe.
Ein Kind wird geboren, ärmlich, am Rande einer unbedeutenden Stadt…
Der kleine Anfang eines Lebens, so klein, wie unsere menschlichen Dinge ihren Anfang nehmen: Genauso klein haben auch wir unser Leben einst begonnen.
Klein jeder Anfang von Freundschaft und Liebe, klein der erste Funke von Hoffnung in schweren Zeiten. Klein der erste Schritt zu Versöhnung und Frieden nach langem Streit.
Anfänge sind zerbrechlich, bedroht wie dieses kleine Kind in der Krippe im Stall zu Betlehem.
Und genau das ist die Botschaft der Weihnacht: Gott fängt seine Geschichte mit uns Menschen an: klein, zerbrechlich, unauffällig, und vor allem: zutiefst menschlich. Gott wird Kind!
Indem sich das Kind in der Krippe von Anfang an auf Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit einlässt, weist es auf eine Alternative im Umgang mit Verletzlichkeit. Mit dieser Art und Weise, wie die Menschwerdung Jesu beginnt, antwortet Gott auf die Wunden der Welt, nicht indem er sich unverwundbar macht, sondern indem er das Wagnis eingeht, verwundbar zu werden. Bereits die Menschwerdung in Jesus ist ein Akt der Selbsthingabe Gottes, in der sich Gott selbst schutzbedürftig und absolut solidarisch mit den Kleinsten zeigt.
In der Hingabe steckt Lebenskraft.
Wir feiern Heilige Nacht und jede und jeder von uns sollte sich fragen: Was verbinde ich damit?
Ein frommes Spiel der Liturgie? Kerzenschein und Krippenidylle?
Oder bringe ich den Mut auf, mich den Nachtseiten und Tiefen meines Lebens zu stellen? IHM die „Ställe“ meiner Armseligkeit und Müdigkeit, der Resignation und Enttäuschung zu öffnen?
Denn gerade in sie hinein ist ER geboren! Er ist in den Abgründen, in den Finsternissen bei uns, heißt es in der Schrift: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.
Schwestern und Brüder,
es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall – am Schluss der Galgen.
In dieser Nacht hat es begonnen, ganz klein und zugleich kraftvoll. Er, der menschgewordene Gottessohn sagt: ICH BIN DA! ICH BIN BEI DIR! ICH BIN DEIN LEBEN!
Kann Gott näher an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann ER ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als ER es getan hat in dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?
Karl Rahner bekennt: …sein letztes, tiefstes und schönstes Wort hat Gott gesprochen, das Wort, das er nie mehr rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus…
Zu dieser Weihnachtsbotschaft gehört aber noch ein Zweites: Weihnachten braucht Menschen, die Gottes Anfängen trauen.
Natürlich: Das Risiko bleibt. Nicht jeder Anfang gelingt. Nicht jede Hoffnung findet Erfüllung. Manche ausgestreckte Hand wird zurückgewiesen. Und wer weiß, ob das verliebte Ehepaar seinen Weg wirklich bis zum Ende gemeinsam gehen kann? Ob der junge Mönch seinem Professversprechen treu bleibt?
Gott lässt sich nicht festlegen. Und er lässt die Menschen ihren Weg gehen.
Ja: Ein Risiko bleibt, trotz Weihnachten, und deshalb braucht es Menschen. Menschen, die diesen Glauben miteinander teilen und einander ermutigen. Braucht es Menschen wie Maria und Josef, die einem Traum gefolgt sind und einem Gott, der sie ganz andere Wege geführt hat. Denen wir trauen dürfen, wenn sie uns sagen: FANG AN, brich auf, es lohnt sich!
Es braucht Menschen wie die Hirten damals, die einander zurufen: Lasst uns nach Betlehem gehen! Kommt, wir wollen Gottes Wort und Gottes Anfang trauen. Und die so die Verzagten und Erschöpften mitnehmen, die Mut machen zum Aufstehen, zum ersten Schritt.
Es braucht Menschen, die heute Weihnachten feiern, die sich berühren lassen durch dieses Kind. Die deshalb morgen wagen, den Anfängen in ihrem Leben zu trauen. Und dann die Botschaft weitertragen: Es lohnt sich.
Schwestern und Brüder,
Beten wir DEN an, der in dieser Heiligen Nacht in unsere Welt, in unser Leben gekommen ist. Bekennen wir mit dankbarem Herzen unseren Glauben: Für uns und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.
Vergessen wir nicht – angesichts der Liebe Gottes – selber die Liebe zu üben und – angesichts des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein. Liebe will Gegenliebe. Liebe will Antwort.
Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die Höchstform das Verzeihen.
Ich wünsche uns allen, dass uns, in dieser Heiligen Nacht, die Erkenntnis aufleuchtet: Heute öffnet sich auch für mich ein wenig der Himmel, weil Gott mir ganz nahe ist, weil seine Gegenwart wie ein Lichtstrahl sogar in die dunklen Winkel meines Herzens hineinleuchtet.
Trauen wir auch mit mancher Träne in den Augen den kleinen Anfängen, denn in der Krippe beginnt neues Leben – ein Neuanfang. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/12/Weihnachten-2020.jpg15362048Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-25 07:57:402021-02-18 16:06:52Predigt in der Christmette (24.12.2020)
Wer in den augenblicklichen Lebensumständen zurechtzukommen sucht und sich umschaut, ob es früher schon einmal ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat, und wie man die Krise damals überstanden hat, und dann auf die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja stößt, findet eine bemerkenswerte Weise vor, wie einer der größten Tiefpunkte in der Geschichte des Volkes Israel, die Zeit des babylonischen Exils, bewältigt worden ist.
Den Hintergrund dieses Textes, so ahnt der Leser, bildet die seelische Krise, die durch die Vertreibung ins Exil entstanden war. Der Verlust ihrer Heimat setzte den Menschen zu, sie drohten, ihre Identität zu verlieren. Das stürzte sie in tiefe Trauer, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Irgendwann müssen sie so weit gekommen sein, dass sie sich gesagt haben: Es wird sich nichts mehr ändern. Wir sitzen hier in der Fremde fest, entrechtet, unterdrückt, ohnmächtig, unserer Feste und Lieder beraubt, ohne die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Unser Volk und alles, was uns heilig und kostbar war, unser geistiges Erbe werden bald aus der Geschichte ausgelöscht sein, vergangen und vergessen.
Was hat der Prophet einem da noch zu sagen? Durchhalteparolen einhämmern? Appelle verkünden, Vorhaltungen machen? Nichts von dem macht der Prophet. Er sammelt eine Gruppe wacher Menschen um sich, die noch nicht aufgegeben haben, und ruft ihnen zu: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Diese Worte hat er sich nicht selbst ausgedacht, denn er hat die Stimme Gottes gehört, sie durch die Trauer hindurch, über alle Hoffnungslosigkeit hinweg, erlauscht. Was diese Stimme ihm sagt, kommt unerwartet, denn sie klingt ganz anders, als die Leute sicher angenommen hätten. Trösten, das ist jetzt die Hauptsache. Trösten, das heißt: Gut zureden, zu verstehen geben, dass da einer ist, der um die Nöte und Ängste der Menschen weiß, dass Gott selbst es ist, der mit euch fühlt. Gott rechnet nicht die Sünden vergangener Zeiten auf, macht den ins Elend Geratenen keinen Vorwurf, lehnt sie nicht ab. Ganz eindringlich ist der Auftrag gesagt: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Und das meint: Sagt etwas, das wirklich zu Herzen geht und dort ankommt, wo die Trauer sich eingenistet hat – und das ist etwas anderes, als bloß „husch-husch“ eine optimistische Stimmung zu verbreiten.
Was der Trost bewirken soll, ist ein Mentalitätswandel, und der kommt nur zustande, wenn eine neue Überzeugung entsteht. Die Überzeugung muss sich von innen her bilden, sonst verfliegt der Trost wieder.
Zu einem echten Trost gehört mehr als Empathie, nämlich eine neue Perspektive. Was aber ist in der Lage, Mut zu machen? Nach rein menschlichem Ermessen ist zwar die Lage hoffnungslos, aber die Initiative geht ja von Gott aus, von seinen Möglichkeiten.
Der entscheidende Satz lautet: „Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht.“ Das ist der Fixpunkt der Perspektive.
Das ist nicht abstrakt-fromm daher gesagt, sondern soll heißen: Gott kommt und macht dem Exil ein Ende. Wir wissen im Nachhinein aus dem Verlauf der Geschichte Israels, dass es politische Vorgänge in Mesopotamien waren, die die Voraussetzungen dafür waren, dass die Verschleppten wieder nach Hause ziehen konnten. Als das Reich Babylon am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts zerfiel, übernahm die persische Großmacht die Vormacht-stellung in dieser Gegend. Sie war es auch, die den Juden die Rückkehr ins Stammland gestattete. Aber vom biblischen Glauben her war es Gott selbst, der die Geschicke lenkte und in seiner Bundestreue dem Volk ermöglichte, mit ihm eine neue Zukunft zu beginnen. Er sammelte es um sich und führte es weiter.
Damit hat der Prophet den Zielpunkt genannt, die Wendung zum Guten. Doch ist seine eigentliche Botschaft noch nicht an ihr Ende gekommen. Es geht ihm um mehr. Nämlich das, worauf es jetzt ankommt. Weil Gott kommt und seine Herrlichkeit sichtbar machen will, gilt es, sich jetzt darauf einzustellen. Jetzt ist es vor allem wichtig, die Hindernisse zu beseitigen, die Gottes Kommen im Wege stehen. Diese Hindernisbeseitigung macht der Prophet mit einem anschaulichen Bild klar: dem Bild des Landschaftsumbaus. „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße1“ Das sind die horizontalen Umbaumaßnahmen. Dann nennt er die vertikalen: „Was krumm ist, soll gerade werden, was hügelig ist, werde eben!“
Wenn wir in einer Landschaft vorwärts kommen wollen, werden wir manchmal durch schwieriges Gelände aufgehalten. Es zu überwinden, kostet Zeit und Mühe. Ähnlich ist es, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unzugänglich sind. Sie lassen einen nicht an sich herankommen. Es kostet viel Geduld, um Ärger zu vermeiden und sich zu verständigen. Auch Gott hat es nicht leicht, uns zu erreichen, bei uns mit seinen guten Absichten anzukommen, etwa um uns zu heilen, zu trösten oder neuen Schwung zu verleihen. Wir machen es ihm mit unseren Eigenwilligkeiten, unseren Fixierungen auf Lieblingsideen und selbstbezogenen Wünschen nicht leicht, uns zu erreichen und wirklich heranzulassen. Wir haben uns vielleicht schon so sehr an unsere Fehler gewöhnt, an gewisse Schwächen und sogenannte „Sachzwänge“, dass wir gar nicht mehr damit rechnen, uns in diesen Punkten ändern zu können. Das gilt nicht nur für den jeweils Einzelnen, sondern ist bei Institutionen, Gruppierungen, bei gesellschaftlichen Unternehmen und Staaten zu beobachten. Es kann sogar die Strukturen der Staaten untereinander bestimmen, mit schwerwiegenden Folgen.
Wenn wir nun auf Weihnachten zugehen, dann haben wir eine gute Gelegenheit, das Kommen Gottes in der Menschwerdung Christi anzubahnen. Denn er will uns ja dort treffen, wo wir uns befinden und ihn benötigen. Wenn er sich uns in seiner Herrlichkeit zeigt, dann schenkt er uns auch Kraft und Mut, dann verleiht er uns eine von innen kommende Überzeugung, die durch Hindernisse und Unwegsamkeiten hindurch in der Lage ist, seine Gegenwart, seine liebende Nähe zu erfahren. Das ist eine Zusage, die uns in dieser Krise helfen wird.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/12/forest-166733_640.jpg414640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-09 16:16:082021-02-18 16:06:39Predigt am 2. Adventssonntag 2020 zu Jesaja 40,1-5.9-11
wir hier in der Abteikirche sind eine kleine Schar. Und wahrscheinlich nicht alle in einer freudigen Erwartung, wie sie zum Advent gehört. Eher nachdenklich mag sich der eine oder andere fühlen, nicht frei von Sorgen und Unsicherheit.
Und draußen vor der Kirche. Es gibt keinen Adventsmarkt. Da gehen die Gedanken zurück in die vergangenen Jahre. Viele Menschen waren unsere Gäste, bekannte Gesichter, und solche, die voller Erwartung zum ersten Mal kamen. Sie kamen, um all das anzuschauen, was über lange Wochen von vielen hilfreichen Händen vorbereitet worden war, um zu probieren, das Gebäck, den Stollen, den Glühwein, die Gerichte aus unsere Küche, oder um schon etwas für das Weihnachtsfest zu kaufen. Um zusammen zu sitzen und zu sprechen, in der Oase, im Forum, vor der Kirche, im Laden. Und in den Einstimmungen in der Kirche zu spüren, wie schön diese Zeit sein kann, die auf das Fest der Menschwerdung führt. Eine Zeit der Begegnung, der Nähe, der Vorfreude.
Der erste Advent in diesem Jahr, er ist anders.
Die Pandemie hat die Vorzeichen gesetzt. Angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit macht es Sinn, Regeln aufzustellen, Selbstverständliches einzuschränken, Abstand zu halten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und manches zu streichen, was mit festlicher Nähe zu tun hat. Eine Situation, wie sie so für uns alle neu ist.
Und verständlich ist es, wenn viele in Sorge sind und Fragen haben: Wie wird es Weihnachten? Die Familie? Die Reisen? Wie lange geht das noch? Und wann wird die Möglichkeit bestehen, durch eine Impfung geschützt zu werden? Fragen, die uns auch heute Morgen umtreiben. Und wie feiern wir Gottesdienst angesichts dieser Fragen? Gottesdienst im Advent, dieser Zeit, die von Hoffnung und Erwartung geprägt ist und ja den Blick auf Weihnachten öffnen will, dieses Fest, das wie kein anderes mit gelungenem Leben zu tun hat.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir sollten es auf jeden Fall jetzt gemeinsam versuchen. Und es liegt nahe, die Texte zu befragen, die uns heute dabei begleiten. Am meisten berührt haben mich die Sätze aus dem Markus-Evangelium, kurz und einprägsam. Jesus im Gespräch mit seinen engsten Vertrauten, mit Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas. Und dann, als er von dem Türhüter erzählt und dessen Sorge, wenn der Hausherr auf Reisen ist, eine kurze Forderung, die an Intensität noch gewinnt, weil sie zweimal wiederholt wird: Gebt Acht und bleibt wach! Und dann: Seid wachsam! Und: Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam.
Beim ersten Hören wirkt es wie die Einladung zu einer eigenen Pandemie-Predigt.
„Seid wachsam“, das ist die sinnvolle und verständliche Ermahnung der politisch Verantwortlichen. „Seid wachsam“: Das ist sicher auch das Wort derer, die den wissenschaftlichen Hintergrund erforschen und erklären und auf die Folgen des Corona-Virus verweisen. Eine solche „Pandemie-Predigt“ allerdings möchte ich nicht halten. Erst recht nicht, wenn ich daran denke, welche Fülle von Nachrichten uns täglich begleitet und uns auch wegen mancher Widersprüchlichkeit, Falschinformation und Polemik oft ratlos, verwirrt, auch hin und wieder aggressiv zurück lässt.
Eher bescheiden möchte ich fragen: Wie könnte unser Advent in diesem Jahr aussehen angesichts der Fakten, die unsere Zurückhaltung, unsere Ernsthaftigkeit und manche Einschränkung fordern. Manches ist anders. Und für manche ist es eine schwere Zeit.
Das Wort Jesu von der Wachsamkeit ist ja, wie wir eben gehört haben, an alle gerichtet, also auch an uns, die wir jetzt hier zusammen sind.
„Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“
„Das sage ich allen.“ Eine Aufforderung, die alle erreichen will und die auch alle mittragen und weitertragen sollen. Und wenn ich zwischen den Zeilen lese und es richtig heraushöre, ist hier von einer Wachsamkeit die Rede, die nicht voller Angst erstarrt und nur die Vorschrift kennt und dass ich alles richtig mache. Nein, sie ist offen für Neues, für Überraschungen. Sie schaut voller Achtsamkeit hin und nimmt wahr, was alles möglich ist. Und sie ist aktiv. Sie ist eben voller Erwartung.
Also: Sei wachsam.
Wie kann das sein, in diesem Advent? Die Einschränkungen unseres Alltags schenken uns Zeit. Für manche ist es die Einladung, auszuruhen, durchzuatmen,
Kraft zu schöpfen. Das tut gut. Für andere ist es vielleicht die Einladung, zuhause aufzuräumen. Eine Sache, die noch so sinnvoll sein mag, aber in der Regel in der Begeisterung nicht von Dauer ist und oft von sehr beschränktem Erfolg. Oder es wird berichtet, dass Baumärkte ein unverhofftes Umsatzplus verzeichnen. Das deutet auf erheblichen Reparaturbedarf in den eigenen vier Wänden. Sicher, es wird auch manche geben, die sich langweilen, herumhängen und die Tage vertrödeln. Aber ich spüre, es bringt mich meiner Frage nicht näher, wie Wachsamkeit in diesem Advent Gestalt finden kann.
Es geht ja um Advent, übersetzt also um „Ankunft“. Advent, sprachlich ist das Wort verwandt mit dem englischen „Adventure“, was ja „Abenteuer“ meint. Advent hat mit Warten und Erwartung zu tun und damit mit Zukunft.
Und es geht um eine Ankunft besonderer Art. Es geht um die Gegenwart Gottes unter uns. Jetzt schon, in unserem Alltag. Menschwerdung Gottes… Das ist auf Aufbruch gestimmt, auf Neubeginn, auf Zukunft. Das hat mit unseren Tagen zu tun, mit unserem Leben. Und wenn ich das, was mich Weihnachten erwartet,
in aller Kürze umreißen soll, dann ist es dies: Das Staunen über diesen Gott, der sich um uns Menschen sorgt. Über diesen Gott, der uns nachgeht bis zur Menschwerdung. Über diesen Gott, der trotz aller Probleme und Katastrophen in unserer Welt, trotz manchen Leids vielleicht ganz in meiner Nähe, uns immer wieder deutlich macht, dass er uns nicht allein lässt. Sich von diesem Gott anrühren lassen, das ist Weihnachten. Und ihn zu erwarten, das ist Advent, ihn zu entdecken in meinen Tagen.
Es geht um diesen Jesus, der uns allen unsere Einmaligkeit und Würde zeigt und es ein Leben lang nicht lassen kann, von diesem neuen Leben zu erzählen und es zu teilen, und uns an unsere Möglichkeiten in der Kraft des Geistes Gottes zu erinnern.
Wenn ich auf diesen Advent schaue, der so anders ist, stiller als sonst und nachdenklicher, frage ich mich, ob das nicht auch eine Einladung sein kann, neu und einmal ganz anders über mein Leben nachzudenken. Wie könnte dieser Advent im Alltag für mich aussehen? Nicht, dass ich Ihnen Rezepte an die Hand geben möchte. Das würde mich überfordern. Und mit Sicherheit würde ich Dinge sagen, die sie nur langweilen. Noch dazu würde es Ihre Entdeckerfreude einschränken. Und das möchte ich nicht.
Ich möchte Sie nur einladen, Ihren Alltag neu in den Blick zu nehmen, unter adventlichen Vorzeichen. Vielleicht ist manches Gewohnte und Selbstverständliche einer neuen Aufmerksamkeit wert. Vielleicht hat manches mit dem Leben zu tun, das auf der Strecke geblieben ist.
Advent, geschenkte Zeit, um neu nachzudenken, über mich, ganz persönlich, mich zu erinnern an Dinge, die ich einmal begonnen und gern getan hätte, die aber im Alltagstrott untergegangen sind. Mal wieder mit Menschen, denen ich vertraue, in Ruhe zu sprechen, und mit solchen, mit denen es Streit gab, Versöhnung zu suchen. Schöne Dinge im Alltag neu zu entdecken, Musik, Bücher, das Erlebnis in der Natur. Neues auszuprobieren, schöpferische Begabungen zuzulassen oder ganz neu zu entdecken. Vielleicht wird es dann wirklich abenteuerlich.´Das alles hat mit meinem Leben zu tun.
Und vielleicht entdecke ich dann tief in meinem Herzen Spuren, die mit dem Advent, der Ankunft, der Ankunft Gottes in meinem Alltag zu tun haben. Advent mitten in meinem Alltag, mitten in meinem Leben, dass Gott dabei ist, schon jetzt. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen ich mich schwer tue, weil manches nicht geht, oder wenn ich mich erschöpft fühle und getrieben, wenn ich mir selbst im Weg stehe und mich selbst nicht leiden kann, kann der Advent neu den Blick freigeben und schärfen und Neues möglich machen, was mit meinem Leben zu tun hat.
Mein Wunsch für uns an diesem ersten Advent ist, dass wir erfahren dürfen, dass Gott jetzt schon dabei ist, in unseren Herzen, damit das Unerwartete geschehen kann, und uns eine neue befreiende Sicht auf unseren Lebensweg geschenkt ist und von da auch ein offener Blick auf die Menschen, die mit uns leben, besonders für die, die es in diesen Tagen schwer haben, weil sie krank sind oder hilflos oder einsam sind und vielleicht ausgerechnet auf mich warten.
Vielleicht ist es auch ein Weg, neu Mut zu schöpfen in einer Welt, die ja in mancher Hinsicht bedroht ist, und Mut zu finden zum kritischen Blick und zu Schritten, die mit Frieden zu tun haben.
Meine Schwestern, meine Brüder,
ich wünsche Ihnen die Gegenwart Gottes in diesem Advent. Und erinnere noch einmal an das Wort des Apostels Markus von der Wachsamkeit. Vielleicht gibt es manches zu entdecken, was mit unserem Leben zu tun hat. Vielleicht können wir neu spüren, dass wir von Gott getragen sind.
„Habt acht! Bleibt wach! Seid wachsam!“
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/02/NIK0018_3.jpg569845Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-12-01 09:45:032021-02-18 16:06:39Predigt am Ersten Adventssonntag (29.11.2020)
Das Christkönigsfest ist ein Fest des Lobpreises. Gott gebührt Lob und Ehre, weil er uns im Leben und Sterben und in der Auferweckung seines Sohnes gezeigt hat: Jesus Christus ist Alpha und Omega, ist Anfang und Ende. Jesus Christus und die Liebe werden das letzte Wort haben.
Und somit fragt Jesus im gehörten Evangelium nicht nach dem Glauben, sondern nach der Liebe.
Vielleicht sind wir und unsere Kirche viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir Gottes Wort und den Glauben in die Sprache des modernen Menschen übersetzen können, während wir uns auf die einzige Sprache, die alle Menschen sprechen, auf die Sprache der Liebe, zu wenig verstehen.
In diesem Sinn finde ich ein Wort der Dichterin Hilde Domin anregend und hilfreich. Sie schrieb: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zum letzten Atemzug.“
Schwestern und Brüder,
ich denke, das könnte ein Weg für uns alle sein!
NICHT IM STICH LASSEN –SICH NICHT UND ANDERE AUCH NICHT.
Hören wir unter diesem Vorzeichen noch einmal die Worte des Evangeliums:
„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben… ich war krank und ihr habt mich besucht…“
Eindringliche Worte. Manchmal sind wir selbst die Bedürftigen und wünschen uns sehnlichst, dass uns einer hilft, uns stärkt, uns besucht, zumindest uns mit einem Wort, mit einer Geste nahe ist. Die Rollen und die Lagen, in denen wir sind, wechseln im Lauf unseres Lebens immer wieder: Wir sind stark, um für andere da zu sein, wir sind schwach und auf andere angewiesen. Beides sind wir.
Ja, nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht-.
Wo Menschen am Mitmenschen so handeln, dort ereignet sich das, was Jesus Reich Gottes nennt: Dort sind Frieden, Gerechtigkeit und Liebe möglich.
Gerade hier in unserer Friedenskirche, im Blick auf unser Christ-Königs-Kreuz, wird es mir immer wieder bewusst:
Lass dich lieben, denn nur in der Liebe wirst du dich selber aushalten können. Du wirst Dich bekehren können, Dich zuwenden können und dann sehen, dass Du die Liebe brauchst, die du aus dir selber nicht hast, die Liebe, die dich heil machen kann. Lass mich an dich heran, damit Du liebend wirst.
Wo Menschen hingegen ihre Freiheit dazu nutzen, auf Kosten anderer zu leben, wachsen Unrecht, Neid, Gewalt und Krieg.
Eine Mysteriengeschichte
Da ist eine kleine französische Stadt, verschlafen, festgelegt, beengend, versunken in Grabesruh. Die Bewohner dieser Stadt: kleinbürgerlich, sittenstreng, ängstlich, irgendwie „gefesselt“. Keiner tanzt aus der Reihe. Sonntags geht man zur Kirche. Der Bürgermeister regiert und korrigiert dem Pfarrer auch die Sonntagspredigt. Ausgerechnet in der Fastenzeit nimmt eine Frau in dieser Stadt Wohnung. Und eröffnet – in der Fastenzeit – eine Chocolaterie! Dort dreht sich alles um Pralinen, köstliche Dinge aus Schokolade, vielfältig und wohlschmeckend. Und diese Frau versteht zu verkaufen. Energisch, charmant, einfühlsam und liebenswürdig. Sie bezaubert die Menschen in der kleinen Stadt. Manchmal ist sie allerdings auch traurig und unsicher und bedrückt. Ein Mensch eben und keine Ikone! Dieser Laden, die Frau und die Schokolade stören die Leute auf, stören den Lebenslauf in der Stadt. Etwas Neues und Ungeahntes kommt in Gang. Es entsteht Bewegung. Die Frau und ihre Schokolade gewinnen die Menschen. Der Laden wird zum Treffpunkt all derer, die der Kleinkariertheit ihrer Umgebung entfliehen wollen. Begegnungen, Freundschaften, Gespräche wachsen. Es gibt aber auch heftigen Widerstand, Feindschaft, Verleumdung, ja Todesgefahr. Soll die Frau ihren Laden zumachen? Doch der Strom der Offenheit, des neu erwachten Vertrauens, der Hoffnung ist nicht zu stoppen. Lösung, Lockerung, Aufbruch, Heiterkeit, Fröhlichkeit, Lachen. Eine neue Zeit in dieser kleinen Stadt.
Mir scheint, diese Geschichte hat eine tiefe Symbolik. Diese Frau und das Medium „Schokolade“ stehen für Heil und Glück, für Verwandlung und Neugeburt, für Auferstehung, für Erlösung. Alles verändert sich. Es wächst eine neue Stadt, eine neue Welt.
Bei den Menschen dieser Geschichte findet sich das, was Kennzeichen jeder christlichen Gemeinde und Gemeinschaft sein sollte:
Annahme des anderen
Offen für Freunde, Pilger und Fremde
Teilnehmen und teilgeben
Ein neuer kommunikativer Umgang miteinander
Dankbarkeit als Antwort auf das Geschenk des Lebens und der Gemeinsamkeit.
Die Geschichte hat mir wieder einmal die Augen geöffnet. Sie ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, eine Ostergeschichte, eine Erlösungsgeschichte unseres Alltags. Der tiefste Sinn menschlichen Lebens und christlichen Glaubens bricht hier auf.
Meine Schwestern und Brüder,
uns bedrücken oft genug Sorgen und Ängste. Viele von uns kennen Einsamkeit, Armut und Leid. In der Welt, in der wir leben, verdüstert sich oft der Horizont.
Da hinein nun kommt die Botschaft dieses Sonntags, des Christkönigsfestes. Die liturgischen Texte sprechen von „Herrschaft Gottes über allen und allem“, vom „Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit“, von der Gegenwart Christi in den Hungrigen und Durstigen, den Obdachlosen, Nackten und Kranken, sprechen vom Geschenk „ewigen Lebens“.
Der Christkönigssonntag ist eine Oster-Erinnerung. Ein Sonntag, der von der Nähe und Freundschaft Gottes berichtet; der uns an das tiefste Geheimnis unseres Lebens erinnern möchte: Du wirst geliebt und kannst lieben. Du bist in einer Gemeinschaft und kannst Gemeinschaft gewähren. Du bist erlöst und kannst andere erlösen. Mitten im Alltag treffen wir auf den gegenwärtigen Herrn und Bruder Jesus Christus, wenn wir nur die Augen des Glaubens öffnen.
Und am Ende unseres Lebens steht nicht die Dunkelheit des Grabes, sondern die Einladung zu einem großen Fest, zu neuem Leben!
Die Frohe Botschaft des heutigen Festes will Ermutigung sein, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Es geht um eine nüchterne, alltägliche und unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Im Sinn Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen.
Wir vergegenwärtigen in dieser Eucharistiefeier und darüber hinaus Jesus als einen Menschen, der in wehrloser Liebe die Mächte und Gewalten erleidet, der sich hingibt in den Tod, der sich auf den Willen Gottes horchend der Gefahr des Scheiterns und der Vernichtung aussetzt und die Lebensbedrohung auf diese Weise entmachtet.
Es liegt an jeder und jedem von uns persönlich, ob ich mich von dieser Liebe prägen lasse.
Wenn wir es wagen, dann werden wir spüren, was die heutige Präfation so schön ausdrückt: Das Reich der Wahrheit, in dem es nicht um Rechthaben geht; das des Lebens, in dem Menschen befreit und angstfrei aufatmen können; das Reich der Heiligkeit, dass mich einlädt, ganz der zu sein, der ich bin; ein Reich der Gnade, da wir alle begreifen, dass wir das Wesentliche im Leben eh nur geschenkt bekommen können; ein Reich der Gerechtigkeit, die mehr meint, als Recht zu bekommen; ein Reich der Liebe, die unser Markenzeichen sein sollte und dann auch das Reich des Friedens, das dort einzieht, wo der Mensch Gott und den Nächsten wie sich selbst liebt.
Schwestern und Brüder,
wir sind eingeladen, uns vom auferstandenen Herrn berühren und von seiner Kraft verwandeln zu lassen. Um dann andere zu verwandeln. Wir sind eingeladen, an diesem Christkönigsfest noch einmal Ostern zu erfahren und weiterzugeben. Geschieht das, dann wird sich leise auch unser Lebensraum verändern, ja, liebevoll das Antlitz der Erde erneuern. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/11/Schokolade.jpg400660Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-11-22 11:32:052021-02-18 16:06:23Predigt am Christkönigssonntag (22.11.2020)
Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.
Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.
Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.
Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.
Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!
Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.
Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.
In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:
„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein? Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen. Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“
Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/11/bulletin-board-3127287_640.jpg301640Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-11-15 16:21:372021-02-18 16:06:23Predigt am 33. Sonntag im Jahreskreis (15.11.2020)
Laut orientalischem Brauch haben die Freundinnen der Braut bei einer Hochzeit den Auftrag, den Bräutigam mit Lampen – die Exegeten sprechen von ölgetauchten Lichtfackeln – zu empfangen und ihn in den Hochzeitssaal zur Braut zu geleiten. Es sind zehn an der Zahl. Der Bräutigam kommt in der Nacht – verspätet. Die fünf klugen haben vorgesorgt, sie haben Ölvorräte; die törichten bzw. die dummen haben kein Öl mehr. Sie müssen zum Krämer, um neues Öl zu besorgen. Diese kommen dann zu spät zum Hochzeitssaal. Die Tür ist bereits verschlossen. Sie rufen: „Herr, mach uns auf!“ Darauf die Stimme des Bräutigams: „Ich kenne euch nicht“. Die genug Öl dabei hatten, können zum Feiern in den Hochzeitssaal, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Unser gerade gehörtes Gleichnis, das für das Himmelreich, die gerechte Welt Gottes, steht, befindet sich in der großen Endzeitrede des 24. und des 25. Kapitels des Matthäusevangeliums. Eingerahmt ist es in die Beschreibung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Schilderung der Wiederkunft Christi. Bedeutend ist die Aussage, dass niemand die Stunde kennt, wann der Menschensohn kommen wird, nicht die Engel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Der Rahmen am Ende: Das große Weltgericht mit der Scheidung der Schafe von den Böcken. Dann folgt die Aussage des Weltenherrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dazwischen zeichnet Matthäus vier Gleichnisse. Das heutige ist das dritte. Die jeweilige Hauptintention ist es, jetzt Christus zu begegnen. Wir werden aufgefordert, wie die klugen Jungfrauen wachsam zu sein, um dem Bräutigam zu begegnen. Der Bräutigam ist Christus. Dieser Christus kommt jetzt und überraschend.
Beim Lesen des Gleichnisses stellten sich bei mir auch Widerstände ein. Diese Widerstände waren auch mit Verstörung gepaart. Die klugen Frauen teilen nicht ihr Öl. Werden wir uns nicht gerade diese Woche, am Martinsfest, der christlichen Haltung des Teilens erinnern? So wie Martin von Tours seinen Mantel mit dem Bettler teilt, so sind wir als Christen eingeladen zu teilen. Das Öl möchte ich deuten als die Bereitschaft, dem kommenden Bräutigam entgegen zu gehen, den gegenwärtigen Christus zu empfangen. Diese sehnsuchtsvolle Offenheit und Bereitschaft, den gegenwärtigen Christus zu empfangen, kann nur eine innere Haltung sein. Diese innere Haltung will ein Leben lang in einem spirituellen Prozess eingeübt werden. Diese innere Haltung kann ich nicht an einen anderen Menschen weitergeben. Ich kann diese Haltung auch nicht dem Anderen überstülpen. Ebenso kann ich diese spirituelle Haltung nicht einfach beim Händler besorgen. Auf mich kommt es an.
So möchte ich heute das Gleichnis verstehen: Eine Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit wird gefordert in meiner persönlichen Nachfolge. Auf das Heute und auf das Jetzt kommt es an. Es ist eine klare Absage bezüglich all unserer Aufschiebetaktiken: demnächst irgendwann einmal. Wir wissen es ja alle schon, dass es auf das Jetzt ankommt. Das ist unsere innere Wachsamkeit. So beten wir jeden Dienstag im Morgengebet: „Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wann das sein wird, weiß keiner von uns. Uns bleibt heute allein der Schluss des Gleichnisses: „Seid also wachsam. Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Mein zweiter Widerstand beim Lesen: Die Tür wird vor der Nase zugesperrt. Es gleicht einem kalten Fallen der Tür ins Schloss. Heißt es nicht bei Lukas: „Klopft an, und es wird euch geöffnet“? Und heißt es nicht in der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“? Wenn wir ehrlich auf unser Leben schauen, kennen wir das Phänomen der vertanen Chancen. Es ist das Unwiederbringliche, das nicht mehr Nachzuholende. Wir alle kennen das Zuwenig und das Zuspät. Das, was wir noch gerne gesagt oder getan hätten: Ein Wort der Liebe, eine Bitte um Vergebung. Ein Letztes: Es ist alles gut jetzt. Töricht sind wir alle. Wir kennen doch unsere ablaufende Frist. Der November mit seiner vergänglichen Stimmung erinnert uns daran. Wir können in unserem Leben nichts verschieben. Unsere Zeit steht nicht in unseren Händen. Und es bleibt ernst: Es gibt die Wahrheit des vertanen Lebens. Welche Lebensschule ergibt sich daraus? Wir müssen gegenwärtig sein und dem gegenwärtigen Christus begegnen. Gott selbst ist Gegenwart. Es bedarf unserer inneren Aufmerksamkeit und unserer Achtsamkeit und einer Beachtung unserer Innerlichkeit, um dem Göttlichen in unserem Leben zu begegnen. Eine Möglichkeit ist in unserer mönchischen Tradition die Vertiefung in das Wort Gottes. Der Christ wie der geistliche Mensch übt. Es genügt aber nicht nur, innerlich zu sein und „Herr, Herr“ zu sagen, sondern der lautere Ausdruck der spirituellen Haltung ist der Blich auf die Ränder des Lebens. Den gegenwärtigen Christus erkennen wir im Armen, im Entrechteten, im Kranken und im Fremden.
Ein dritter Widerstand: Die Stimme des Bräutigams: „ Ich kenne Euch nicht!“ Eines der unheimlichsten Worte der Evangelien, wie ich finde. Warum erkennt der Bräutigam sie nicht?
Ein wesentlicher Punkt im Gleichnis ist die Erwartung des Bräutigams. Kluge wie Dumme wollen den Bräutigam sehen. Das Erwarten meint doch die Hoffnung. Existentielle Hoffnung meint im Christlichen immer, dass uns über unseren Tod hinaus Heil geschenkt wird. Göttliches Heil steht jenseits unserer Todesgrenze. Der Hochzeitssaal steht ja für unser seelisches Erlösungsbild. Im Fest werden wir jenseits unseres Todes Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Heil will uns allen von Gott her geschenkt werden. Diese Zuwendung Gottes haben wir nicht in der Hand. Wir haben es nicht im Griff. Wir Menschen bleiben Empfangende. Wir dürfen Hoffnung haben. Diese Hoffnungsperspektive ist das Erkennungsmerkmal derer, die mit der Sache Jesu, seinem Reich, ernst machen. Und wenn nicht? Wenn wir diese Hoffnung nicht in uns schüren, dann verändern wir uns bis zur Unkenntlichkeit. Wir werden nicht erkannt! Auch im geistlichen Leben können wir uns bis zur Unkenntlichkeit verändern.
In Hinblick auf unsere Sterblichkeit möge unser Hoffnungsbild von Folgendem geprägt sein:
Das Lebenslicht unserer Lebenslampe wird einmal ausgelöscht, da die göttliche Sonne, die keinen Untergang mehr kennt, über unserer Existenz aufgegangen ist. Möge dieses Hoffnungsbild mich, uns alle hier trösten. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/11/lamp-639489_1280.jpg11891280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-11-09 17:38:412021-02-18 16:06:23Predigt am 32. Sonntag im Jahreskreis (08.11.2020)
Die Frage, die hinter dem Fest Allerheiligen, das wir heute feiern, steht, könnte so lauten: Was ist das Ziel unseres Lebens? Woraufhin sind wir unterwegs?
Gerade in der momentanen Jahreszeit, in der sich die Natur mehr und mehr in den winterlichen Ruhezustand zurückzieht, wo vieles abstirbt und zu Ende geht und wo vielleicht auch wir selber uns mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert sehen oder sie uns neu bewusst wird, erinnert uns das Fest Allerheiligen an unsere christliche Berufung und Hoffnung.
Berufung und Hoffnung:
Beides nämlich, der Ruf Jesu in die Nachfolge, der an uns in der Taufe ergangen ist, aber auch die in der Auferstehung Jesu begründete Hoffnung im Tod und über den Tod hinaus, machen deutlich, dass es sich beim Fest Allerheiligen um ein Fest des Lebens, um ein im wahrsten Sinne des Wortes lebendiges Fest, ein freudiges, hoffnungsvolles und Hoffnung machendes Fest handelt.
Das die Liturgie einleitende Tagesgebet hielt uns vor Augen, dass wir heute eingeladen sind, „die Verdienste aller Heiligen zu feiern.“
Einige dieser Heiligen sind uns von Kindheit an wohl vertraut, wie zum Beispiel St. Martin, der heilige Nikolaus oder die heilige Barbara, deren Lebensgeschichten wir nicht zuletzt in liebgewordenen Traditionen alljährlich erinnern. Andere Heiligengestalten wiederum sind uns im Gegensatz dazu selbst vom Namen her weniger oder gar nicht bekannt.
Doch wer die Heiligenlisten zu Rate zieht, wird sehr schnell feststellen, dass hier Frauen und Männer aus ganz verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Alter und Wesen verzeichnet sind.
Aber all diese Heiligen haben gemeinsam, dass sie sich von der Botschaft Jesu haben ansprechen und treffen lassen, und dass sie Jesus nachgefolgt sind und in ihrer Betroffenheit die Seligpreisungen, die wir im heutigen Evangelium gehört haben, zum Maßstab ihres Lebens gemacht haben.
Diese Menschen haben sich auf Jesu Botschaft eingelassen und sie zu ihrer Lebensmitte gemacht, haben ihr mit ihren je eigenen, von Gott geschenkten Talenten und Möglichkeiten eine Gestalt gegeben und auf diese Weise die Botschaft vom Reich Gottes schon in dieser Welt Wirklichkeit werden lassen.
Sie haben eine oder mehrere dieser Verheißungen des heutigen Evangeliums lebendig werden lassen und damit gezeigt, dass es sich bei den Seligpreisungen nicht um eine bloße Traumwelt, eine Vision oder Utopie handelt. Ihre Lebensgeschichten lehren uns vielmehr, dass die Botschaft Jesu lebbar und verwirklichbar ist.
Grundlage dafür war, dass sich die Heiligen vor Gott arm gemacht und arm gewusst haben. Sie sind mit offenen, leeren Händen vor Gott gestanden, einerseits im Wissen, dass sie von seiner Zuwendung abhängig sind und andererseits mit dem Vertrauen, dass Gott es ist, der ihre leeren Hände mit seiner Nähe, mit seinem Frieden, mit seiner Kraft füllen kann.
Diese empfangende Haltung hat die Heiligen die Welt mit den Augen Gottes anschauen lassen. Und das hat sie zu jenen Akzentsetzungen in ihrem Leben, zu jenen Taten, Entscheidungen oder Haltungen verholfen, auf die wir, wenn wir ihr Leben betrachten, manchmal mit Bewunderung, manchmal auch mit Verwunderung, manchmal vielleicht auch mit Entsetzen und dann auch wieder mit großem Staunen blicken.
Das Fest Allerheiligen nimmt also alle Menschen in den Blick, die den Weg der Nachfolge Jesu gegangen sind und seine Botschaft in ihrem Umfeld, in ihrer Zeit, in ihrer Situation und mit ihren Möglichkeiten gelebt haben.
Und dazu zählen nicht nur jene Menschen, die wir als Heilige verehren.
Dazu zählen auch all jene stillen, unbekannten, zum Teil längst vergessenen Menschen, die dem Glauben Gestalt gegeben haben und die bei Gott zur Vollendung gelangt sind.
Sie alle sind die „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, von denen Johannes im Buch der Geheimen Offenbarung im 7. Kapitel, Vers 9 sagt, dass „sie niemand zählen konnte“.
In der Präfation des heutigen Festtages heißt es:
„Heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Schwestern und Brüder, die schon zur Vollendung gelangt sind.“
Es sind unsere Schwestern und Brüder, nicht irgendwelche Übermenschen, die das heutige Fest in den Blick nimmt.
Dieser Lobpreis ist bemerkenswert, denn er schlägt förmlich eine Brücke zwischen denen, die bei Gott schon vollendet sind und uns, die wir noch auf dem Weg zum Ziel unseres Lebens sind.
Als Christen wissen wir um die Vorläufigkeit dieses Lebens und richten unseren Blick nach vorne, wo uns ein Leben über den Tod hinaus verheißen ist.
Die Heiligen, auf die wir heute blicken, halten uns diesen Blick und die Hoffnung auf den Himmel offen.
Ihr Leben, ihre Verdienste sollen uns nicht frustrieren oder demotivieren, weil wir meinen, sie kopieren zu müssen und gleichzeitig spüren, dass uns manche ihrer Taten zu groß, zu heroisch, zu unerreichbar erscheinen.
Was unsere Schwestern und Brüder in der Vollendung in ihrem Leben auf Erden ausgezeichnet hat, ist, dass sie der Verheißung gefolgt sind, die Jesus mit den Seligpreisungen seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben hat.
Die große Anzahl der Heiligen zeigt, wie vielfältig diese Nachfolge aussehen kann und wie vielfältig daher auch Heiligkeit gelebt, erkennbar und spürbar werden kann.
Das heutige Fest Allerheiligen macht uns deshalb Mut, wie viele Menschen vor uns auf dem Weg der Nachfolge Jesu zu gehen und dabei heilig zu werden. Denn dazu sind wir berufen: Heilige zu sein! Jetzt schon! Wir wissen es bloß noch nicht – oder schon nicht mehr…
Und es ist ein Weg, der uns zum Leben führt: zum Leben Gottes und seiner Heiligen, unserer Schwestern und Brüder. Amen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/11/all-saints-2887463_1280.jpg8531280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-11-04 16:43:522021-02-18 16:06:23Predigt an Allerheiligen (1.11.2020)
„Gönne dich dir selbst! An der Lust des Tages, die dir zusteht, geh nicht achtlos vorbei!“
Liebe Schwestern und Brüder,
was klingt wie Zeilen aus einem Ratgeber zur Selbstfindung
oder einer Anleitung zum Glücklichsein,
sind tatsächlich Worte aus der Bibel,
aus dem Buch Jesus Sirach im 14. Kapitel.
Gönne Dich dir selbst!
Sei dir selber wertvoll!
Weil du Gott wertvoll bist.
Achte auf Dich, nimm dich selber ernst,
schau auf das, was dir gut tut
– es ist dir geschenkt!
Und dann – so heißt es weiter bei Jesus Sirach: „Wer sich selbst nichts Gutes gönnt, wem kann der Gutes tun?!“
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“ benennt es Jesus im Evangelium.
Das „Liebe deinen Nächsten“ hat uns unsere christliche Prägung
gut anerzogen.
Und es ist ja auch wichtig – gerade in Zeiten wie dieser.
Den Anderen sehen,
auf den Anderen Rücksicht nehmen,
für den Anderen da sein.
Und trotzdem: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Das „wie dich selbst“ gehört sich nicht bei uns
– egoistisch sein gehört sich nicht.
In Supervisionen und Beratungen sage ich immer wieder:
der Mensch muss egoistisch sein, muss sich um sich selbst sorgen.
Wenn nicht gerade in sozialen Berufen
am Ende nicht immer öfter der Burn-out stehen soll.
Ich kann nicht mehr… !!!
Er darf nur nicht egozentrisch werden
– mich selber immer in den Mittelpunkt stellen
und ständig um mich kreisen.
Aber wie will ich andere lieben, für andere da sein,
wenn ich mich selbst nicht liebe,
nicht für mich da bin?
Und andere lieben – gelingt uns das?!
Für andere da sein?
Andere akzeptieren, mich selber zurücknehmen,
den anderen wertschätzen, ihm Chancen geben?
Überlegen Sie einmal, ob und wie Sie das
in der letzten Woche getan haben.
War es nicht oft eher das Gegenteil?
Kommen wir nicht viel zu oft an unsere Grenzen?
Es gibt doch so viele Gründe:
Wenn ich mich vom anderen bedrängt fühle,
wenn ich den anderen nicht verstehe,
wenn ich mich selber beweisen muss,
weil ich mich minderwertig fühle.
Den Menschen am Rande
lasse ich gerne am Rande stehen.
Wer meine Hilfe braucht
– bekommt er oder sie diese?
Wohl niemand von uns kann sich da ausnehmen.
Wir spüren es immer wieder:
wir verletzen und sind verletzt,
Eifersucht und Machtgelüste lodern in uns.
Der oder die neben mir:
Wie oft gönne ich ihm oder ihr nichts.
Weil ich mir selbst nichts gönne?
Weil ich nicht spüren kann,
dass ich Gottes geliebtes Kind bin
und auch im Anderen Gottes geliebtes Kind sehe?
Die anderen als meine Geschwister annehmen,
und mit Gottes Augen sehen kann?!
Die Lesung des heutigen Tages aus dem Buch Exodus
geht weit darüber hinaus.
„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten.“ „Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen …“
In mir höre ich das Geschrei von Menschen,
die ungerecht behandelt und versklavt werden,
die für sich und ihre Kinder ein besseres Leben wünschen,
und elendig ertrinken,
den stummen Ruf der Armen auch in unseren Orten,
die sich nicht wagen, herauszutreten.
Die gerade in dieser Zeit Vereinsamten und Verzweifelten.
„Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.“
Haben wir Mitleid?
Oder ist es uns nicht eigentlich egal?!
Uns geht es ja gut.
Noch einmal zurück zum ganz Konkreten.
Was gönne ich denn dem Bruder, der Schwester neben mir?
Auch das, was mir vielleicht etwas „wegnimmt“,
was mich einschränkt, mich begrenzt?
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ heißt eben auch: gönne auch dem anderen das,
von dem du meinst, dass es nur für ich ist.
Und bei allem: „An der Lust des Tages, die dir zusteht, geh nicht achtlos vorbei.“
Die Lust, die dir zusteht.
Du musst sie dir nicht erwerben, erkaufen, erschleichen.
Sie steht dir zu!
Also: geh nicht achtlos vorbei.
Ist das nicht die große Sünde:
dass wir Gottes Geschenk für uns – und für die anderen! –
nicht annehmen?!
Es achtlos liegen lassen?
„Den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“
Mein ganzes Leben soll ER prägen.
Sein Geschenk – mich selbst –
und die „Lust des Tages“ darf ich annehmen.
Lassen wir es uns ruhig von einem Heiligen sagen:
Aus einem Brief von Bernhard von Clairvaux
an Papst Gregor III.:
Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst. Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/10/Herbst.jpg768576Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-10-26 09:10:272021-02-18 16:06:23Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (25.10.2020)
„ ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‘ Die Münze trägt sein Bild. Dadurch gehört sie ihm. Wem gehören wir? Doch wohl kaum dem Staat. Zwar sind wir auch geprägt, gleichsam als eine lebendige Münze. Wir tragen das Bild Gottes. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Diese Prägung besiegelt unsere Verpflichtung Gott gegenüber. Das Siegel fordert uns mehr als das Siegel des Kaisers. Alle Menschen tragen das Bild Gottes in sich, alle gehören ihm. Und deswegen sind wir alle Gott verpflichtet: ‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“
Dies sind nicht meine Worte, sondern Franz Kamphaus hat sich so zu diesem Evangelium geäußert. Mir sind die Worte des Geprägt seins nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Prägen kann man von der Handwerklichen Seite sehen oder von der Menschlichen. Was hat uns geprägt? Was hat sich uns eingeprägt? Was heißt es geprägt zu sein?
Ich erinnere mich noch als ich als Kind bei einem Ausflug zum Marine-Ehrenmal Laboe zum ersten Mal vor einem Automaten in dem man Münzen umprägen konnte stand. Man musste eine Münze hineinwerfen und eine Gebühr bezahlen um dann mit der eigenen Kraft einen großen Hebel zu drehen und so die Münze umzuprägen, so dass sie kein Geldstück mehr war, sondern das Ehrenmal zeigte. Als Kind war es unglaublich, dass so etwas möglich ist.
Lassen Sie uns heute auf beide Seiten schauen. Auf den handwerklichen Vorgang und die menschliche Prägung.
Schaut man sich an was beim Prägen passiert, fällt auf, dass der Rohling in seiner Masse bestehen bleibt. Es wird nichts hinzugefügt wie beim Modellieren und nichts Weggenommen wie beim sägen, gravieren, schleifen oder schnitzen. Es werden durch die Prägung nur Flächen hervorgehoben und andere treten in den Hintergrund um so ein Bild erstehen zu lassen.
Auch in uns ist Gottes Antlitz schon vorhanden. Es muss nichts hinzugefügt werden zu meiner Persönlichkeit und es muss auch nichts weggenommen werden von meiner Persönlichkeit um Gottes Antlitz auf mir erscheinen zu lassen, um Gott durch mich sichtbar zu machen. Ich bin schon vollkommen so wie ich bin. Ich bin ganz. Es ist alles in mir angelegt. Ich muss mich nur von ihm prägen lassen um sein Antlitz auf mir zum Vorschein zu bringen. Ich muss zulassen, dass Er durch mich sichtbar wird.
Zum Prägen braucht es Energie. Es braucht Kraft. Viel Kraft. Zum Handprägen einer Münze sind mehrere Schläge nötig. Gott hat diese Kraft, wie wir es in der Lesung gehört haben. Das Evangelium kam nicht nur im Wort, sondern mit Kraft und heiligem Geist. Er will, dass wir uns von ihm prägen lassen.
Nur nützt der beste Prägestempel nichts wenn er ins Leere haut. Zum Prägen braucht es nicht nur Prägestempel und Hammer, sondern auch ein Fundament das auf der Erde steht, das die Kraft aufnimmt und so das prägen erst möglich macht. Das sich zum Prägestempel hin ausrichtet um die Kraft aufzunehmen.
Bin ich bereit mich von Gott prägen zu lassen. Mich und meine Kraft auf ihn hin auszurichten. Seine Kraft an mir wirken zu lassen. Mich von ihm Formen zu lassen. Meine Kraft einzubringen, fest auf der Erde stehend. Paulus schreibt im Brief an die Gemeinde in Thessalonich von Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus und von der Mühe der Liebe die wir haben.
Oder lasse ich mich von anderen Dingen umprägen die nach Aufmerksamkeit schreien, die meine Kraft und Energie beanspruchen wollen. Wir kennen Sie: Hass, Neid, Angst, Vorurteile und Schubladen, Unsicherheiten, Wut, Unbarmherzigkeit,
in der Welt,
in unserer Gesellschaft aber auch
in unserem persönlichen Umfeld.
Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir unsere Energie auf sie richten und uns so von Ihnen umprägen lassen.
Jesus lässt sich im heutigen Evangelium nicht darauf ein. Er lässt die Pharisäer auflaufen. Er lässt sich nicht provozieren. Er bleibt auf Gott ausgerichtet. Standhaft in seiner Kraft. Er lässt ihren Prägestempel quasi ins Leere schlagen.
Bleiben auch wir auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Kraft ausgerichtet und lassen wir die anderen Prägestempel, die uns umprägen wollen ins Leere schlagen.
„‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“ So haben wir am Anfang von Franz Kamphaus gehört.
Lassen wir uns immer weiter von Gott prägen mit aller Kraft, damit sein Antlitz auf und durch uns immer stärker zu sehen ist. Damit er in dieser Welt durch uns sichtbar wird.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/10/coins-3891268_640.jpg426640Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2020-10-18 14:01:322021-02-18 16:06:12Predigt am 29. Sonntag im Jahreskreis (18.10.2020)
der Text des heutigen Evangeliums (Mt 22,1-14) wird besonders herausfordernd vom Ende her. Dort, wo der Mensch, der kein Hochzeitsgewand trägt, hinausgeworfen wird an den Ort der äußersten Finsternis. Und ganz am Ende des Evangeliums der Satz: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Was ist damit gemeint? Das lässt mich zunächst einmal ratlos zurück.
Gehen wir dennoch erst einmal an den Beginn des Evangeliums zurück.
Da lädt Gott in der Person des Königs die eingeladenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein. Ein Bild für die Gottesschau. Die Gäste haben aber andere Dinge zu tun. Und natürlich ist der Mensch frei, die Einladung abzulehnen. Dann aber werden die Diener getötet, und der König reagiert, indem er sein Heer schickt und die Stadt in Schutt und Asche legen lässt. Müssen wir nun unsere Vorstellung eines liebenden Gottes korrigieren? Nein, denn hier lässt sich die konkrete geschichtliche Erfahrung ablesen, dass die Menschen des ersten Bundes in Israel sich nicht alle der Jesusbewegung anschließen, also die Einladung aus der Sicht der Christen nicht angenommen haben. Die Stadt, die in Schutt und Asche liegt. ist Jerusalem, die 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde, nicht von Gott.
Dennoch stellt sich uns heute die Frage: Lasse ich mich von Gott stören in meinem Alltag? Ist er für mich präsent? Oder lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe?
Lasse ich mich von der Botschaft Jesu aufstören, gar aufschrecke? Oder hat sie längst keine Bedeutung mehr in meinem Leben? Höre ich „mit aufgeschrecktem Ohr“, wie es Benedikt im Prolog seiner Regel schreibt?
Die Botschaft Jesu, dass ein jeder Kind Gottes ist, wertvoll und geliebt;
die Botschaft Jesu: „Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“;
die Botschaft Jesu der Hinwendung zu den Bedürftigen, die uns auch heute fordert.
Dann erfolgt die zweite Einladung Gottes an den Menschen, und dieses Mal füllt sich der Festsaal. Die Botschaft Gottes durch Jesus richtet sich an alle. Ausnahmslos alle. Juden wie Heiden, Griechen wie Römer, und sogar an Böse und Gute. Alle sind gerufen. Auch die Bösen, und diese sogar als Erstes. Das war auch für die Christen, an die sich Matthäus richtet, verstörend. Damals wie heute gibt es in der Kirche, in den Gemeinden, in den Gemeinschaften die Selbstgerechten, die entscheiden wollen: Du gehörst dazu – und Du nicht. Matthäus warnt auch uns, nicht eine Kirche ohne Sünder zu bilden, sondern, wie es Papst Franziskus ausdrückt, eine verbeulte Kirche, eine verbeulte Gemeinde, ja, liebe Schwestern und Brüder, eine verbeulte Gemeinschaft, in der der Sünder seinen festen Platz hat.
Aber nun zum Schluss, zum Menschen, der ohne Hochzeitsgewand kam und stumm blieb. Bei den Begriffen Hochzeit und Mahl wussten die Christen des Matthäus, dass es ums Ganze geht. Um die Gottesbegegnung, um den wiederkehrenden Christus, der uns begegnen will. Da müssen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, wachsam sein wie der Diener, der auf den Hausherrn wartet. Wir Christen sollen wachsam sein, kein verschnarchter und verschlafener müder Haufen.
Beim Hochzeitsgewand geht es nicht um den richtigen Dresscode. Wir Mönche nennen unser Gewand Habit. Daraus ableiten lässt sich der Begriff Habitus. Und dem schließt sich die Frage an: Habe ich den Habitus der Erwartung und der Sehnsucht?
Gott fragt uns: Was erwarten wir? Wonach sehnen wir uns? Hören wir die liebende, werbende Stimme Gottes noch? Die Frage Gottes lautet nicht: Was hast du erreicht? Was hast Du getan? Wieviel hast Du gebetet?
Gott fragt mich: Was bewegt mich? Was trägt mich? Was lässt mich hoffen?
Gott fragt mich: Wonach sehnst Du dich? Damit ich nicht stumm bleibe, kann ich mich vielleicht der Sehnsucht des Jesaja anschließen und antworten wie er:
Meine Sehnsucht ist:
Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen, und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde. Und weiter: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. (Jes 25,8-9)
Wenn wir uns dieser Verheißung anschließen können, sind auch wir berufen und auserwählt.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/10/table-decoration-1632127_1280.jpg5631280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-10-15 08:57:422021-02-18 16:06:12Predigt am 28. Sonntag im Jahreskreis (11.10.2020)
„Theologie ist Biografie“ – dieser kleine Satz, der auch der Titel der Lebenserinnerungen des 2014 verstorbenen Theologen Herbert Vorgrimler ist, klingt zunächst nach einer Binsenweisheit. Jedes theologische (und auch nichttheologische) Denken ist von biografischen Voraussetzungen des Denkenden abhängig. Es ist für meine Theologie nicht unerheblich, ob ich in den Slums von Manila, in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet oder in einem kleinen Dorf in Niederbayern geboren wurde. Jedes menschliche Denken und Handeln entsteht auch aus biografischen Prägungen, die zu entdecken zur Lebensaufgabe werden kann.
„Theologie ist Biografie“ – den Satz kann man aber auch in umgekehrter Perspektive verstehen, dass theologisches Denken rückgebunden sein muss an die eigene Biografie, den persönlichen Lebensvollzug. Lehre und Leben müssen im Einklang miteinander sein. Wer in seinem Denken ständig die Barmherzigkeit Gottes verkündet, in seinem Leben diese Barmherzigkeit aber oft genug vermissen lässt, der macht sich im Reden und Handeln unglaubwürdig, dem nimmt man die Botschaft irgendwann nicht mehr ab, die er in wohlfeilen Worten verkündet. Auch das kann zur Lebensaufgabe jedes mündigen Christen werden, hinter der wohl viele von uns manches Mal zurückbleiben.
Wohl kein anderer hat den Zusammenhang von Theologie und Biografie, von Lehre und Leben, so erfahren, ja erleiden müssen wie Paulus, der große Völkermissionar, der die christliche Botschaft der Erlösung bis an die Grenzen der damaligen Welt brachte. Besonders deutlich und berührend wird das für mich in den Kapiteln 9 bis 11 seines Römerbriefes, in denen er sein Ringen um seinen Weg eindrücklich beschreibt – als jemand, der einerseits Jesus Christus und seine Botschaft persönlich erfahren hat, der aber andererseits die Beziehung zu dem Volk, dem er sich biografisch immer noch zugehörig weiß, nicht kappen will. Den Anfang haben wir heute in der Lesung gehört (Röm 9,1-5).
Dieser Saulus-Paulus ist Jude und hat als Jude mit seinen Glaubensgeschwistern leidenschaftlich die Anhänger des „neuen Weges“ des Jesus Christus verfolgt. In einem für ihn überwältigenden und umstürzenden Bekehrungserlebnis wandelt er sich zum treuen und ebenso leidenschaftlichen Jünger Jesu – ohne seine biografischen Wurzeln und die Menschen, denen er sich auch weiterhin verbunden fühlt, zu verraten. Und er entgeht dabei der Gefahr vieler Neubekehrter heute, die von ihrem früheren Leben nichts mehr wissen wollen und die Menschen, die einmal ihre engsten Freunde und Gefährten waren, verdammen – nur weil sie einem anderen Glauben anhängen. Nein, Saulus-Paulus leidet darunter, dass so viele seiner früheren Weggefährten seinen Weg, den er doch als richtig und heilbringend erkannt hat, nicht mitgehen können. Er „möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein“ um seiner Brüder willen, „die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“ Er weigert sich, seine jüdischen Glaubensgeschwister einfach zu verdammen, sondern möchte in seinem theologischen Denken einen Weg finden, ihnen Erlösung und Heil nicht abzusprechen. Er möchte die Wurzel seines Lebens nicht abschneiden, sondern ist davon überzeugt, dass seine jüdischen Wurzeln auch den Christen Paulus tragen und bereichern können – „Theologie ist Biografie“.
Am 9. August gedenkt die Kirche der hl. Edith Stein (durch den Sonntag wird in diesem Jahr ihr Festtag liturgisch verdrängt). Auch sie ist eine Frau, deren theologisches Denken zutiefst geprägt ist von ihrer Biografie. Als geborene Jüdin, promovierte Philosophin und konvertierte Christin, die dann als Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel eingetreten ist, wird ihr das Suchen und Fragen des Paulus nicht unbekannt gewesen sein. In Solidarität mit ihren jüdischen Geschwistern ist sie nach Auschwitz deportiert worden, wo sie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Bei ihrem Abtransport in das Vernichtungslager soll sie zu ihrer leiblichen Schwester Rosa gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Stellvertretung bis zur letzten Konsequenz.
Stellvertretung – mit diesem kühnen Gedanken versucht auch Paulus, sein Dilemma zu lösen. Im Bild von dem Ölbaum und seinen Zweigen sieht er sich selbst, den gebürtigen Juden und neuen Christen, als „wilden Zweig“, der zeitweilig die Stelle der „edlen Zweige“, seiner jüdischen Geschwister, einnimmt, bis irgendwann einmal alle Zweige am Ölbaum vereint sein werden. Das ist für ihn kein Grund, überheblich auf seine jüdischen Glaubensgeschwister herabzuschauen, sondern bewusst an dieser Stelle, stellvertretend für sein Volk diesen Platz einzunehmen.
Wie Gott einmal die Erlösungsgemeinschaft zwischen Juden und Christen vollenden wird, das ist seine Sache, bleibt Geheimnis. Klar ist nur: „Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Gott kündigt seinen einmal geschlossenen Bund mit dem Volk Israel nicht auf. So ruft es Paulus am Ende seines theologischen Ringens um die bleibende Erwählung und Rettung Israels aus,wie es uns in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefes überliefert ist. Und am Ende überlässt er die Lösung seines existentiellen Dilemmas dem Gott, der immer größer ist als unsere theologischen Begriffe und zu dem Juden und Christen gleichermaßen beten: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! … Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 11,33.36)
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/08/root-276636_1280.jpg7961280Bruder Maurushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Maurus2020-08-09 13:15:482021-02-18 16:06:12Predigt am 19. Sonntag im Jahreskreis (09.08.2020)
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ –
So, liebe Schwestern und Brüder, lautet ein Buchtitel des Philosophen und Publizisten Richard David Precht. In 54 Kapiteln geht Precht den Fragen nach: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?, und meint, in der Beantwortung dieser Fragen komme man der eigenen Identität auf die Spur.
Auch uns Christen beschäftigt immer wieder die Suche nach unserer Identität. Ein Christ fragt: Was macht mich aus? Hat meine Identität mit meiner Gottesbeziehung zu tun? Und wo ist der Ort, diese Identität zu leben: in der Familie, in einer Gemeinschaft oder allein?
Zunächst gründet für Christen ihre Identität in der Beziehung zu Gott. Gott verspricht, dass wir seine Kinder sind, geliebte Söhne und Töchter. Er spricht uns bedingungslos als seine „geliebten Kinder“ an.
Gleichzeitig haben wir als Christen die überkommene Aufgabe, Gottsucher im konkreten Alltag und Nachfolger Jesu im Heute zu sein.
Dabei stellen sich weitere Fragen ein: was macht mich aus? Wie definiere ich mich? Wie viel Individualität ist gesund und wo ist es besser, sich anzupassen? Man muss sich ja irgendwie definieren, sonst ist man ein Niemand, oder?
Lieber Br. Vincent, solche Fragen sind Dir sicher nicht fremd. In den vergangenen Jahren als Student in Paderborn, als Novize und Zeitlicher Professe in unserer Abtei, in den Monaten des Pastoralkurses hast Du vermutlich immer wieder die Identitätsfrage gestellt und nach Antworten gesucht. Antworten, die zu Dir und Deinen Lebensvorstellungen passen, die Dich so sein lassen, wie Du bist und nicht verbiegen.
Du hast immer wieder die Frage gestellt, wer bin ich vor Gott und vor den Menschen, mit denen ich den Alltag teile.
Diese Pfingstwoche 2020 ist gleichsam Deine ganz persönliche Identitätswoche, in der sich alles Fragen nach Deiner Identität nochmals verdichtet.
Während am Pfingstsonntag der Mönch und seine Lebensweise im Mittelpunkt des Suchens und Fragens standen, ist es heute der Dienst des Diakons.
In einer einzigen Woche bist Du aufgerufen, den Mönch und den Diakon in Dir Gestalt zu geben. Du, Bruder Vincent bist aufgerufen, als Mönch und Diakon Gestalt zu sein, dem Mönch- und Diakonsein Gestalt zu geben. Was heißt das?
Gestalt sein
Es mag einigen von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder verwundern, dass ich von der Gestalt des Mönches und des Diakons spreche. Eine Gestalt ist eine Form, ein Umriss oder eine Erscheinungsbild, also etwas Äußerliches. Müsste es aber bei beiden Lebensidentitäten nicht eher um Innerlichkeit gehen?
Von Äußerlichkeit sprechen wir in der Kirche nur ungern. Denn schnell verbinden wir äußere Gestalt oder Form mit Schein und Eitelkeiten. Muss das so sein? Es gibt ja nun mal sowohl für den Mönch als auch den Diakon äußere Zeichen seiner Lebensgestalt.
Ist es die Kukulle als Zeichen der mönchischen Lebensweise, ist es beim Diakon die Dalmatik und die gekreuzte Stola. Diese äußeren Zeichen sind prägend für den Träger, und für die, die ihn anschauen, vermitteln sie einen Eindruck.
Mönchsgewand und Dalmatik sind in Form des Kreuzes geschnitten und weisen so auf den, der menschliche Gestalt annahm, sich den Menschen zuneigte, um uns schließlich am Kreuz zu erlösen: Jesus Christus.
Ja, man kann sich allein durch das Äußere, den mönchischen Habitus, definieren, sich ergehen in liturgischen Handlungen und diakonalen Riten, aber werden diese Äußerlichkeiten reichen, um die Lebens-Gestalt eines Mönches und eines Diakons ein Leben lang zu verwirklichen?
Mönch und Diakon sind unterwegs mit Gott auf der Basis ihrer Spiritualität im Dialog mit ihm. Im alltäglichen Handeln lassen sie sich von Gottes schöpferischen Geist durchdringen und formen. Dabei können sich immer wieder neue und unerwartete Wege auftun und Herausforderungen zeigen, auf die beide sich einzulassen haben. Je mehr sie Gott in ihrem Leben Raum geben und sich auf ihn einlassen, desto mehr werden sie selbst zu einer menschlichen Gestalt Gottes und können in einer glaubhaft gelebten Spiritualität als Mönch und Diakon gestaltend wirken.
Gestalt geben
In den letzten Jahren konntest Du, lieber Br. Vincent, dem Mönch in Dir eine Gestalt geben. Die Zeiten von Noviziat und zeitlicher Profess waren Zeiten des Erlernens, des sich Vergewisserns – Zeiten der Gestaltgebung.
Weil Du diese Lebensweise angenommen hast und Dich in sie hineingegeben hast, gestaltetest Du sie mit. Du konntest dem Mönch in Dir eine bestimmte Form geben. Bündelnder Ausdruck Deiner Gestaltungsjahre war das am vergangenen Sonntag im Kreis Deiner Brüder vertrauensvoll gesungenen „Suscipe me, Dominie“ auf dem Professpflaster unser Abteikirche.
Gleich wirst Du wieder an dieser Alltags-Stelle stehen und Deine Bereitschaft erklären, als Diakon in dieser Gemeinschaft zu leben und für diese Deine Brüder zu wirken.
Da wird es wieder um Form und Formung gehen, d.h. um den Gestaltungwillen, dem Evangelium Jesu Raum und Zeit zu geben, nicht nur im inneren Ringen um die eigene Identität, sondern im diakonalen Handeln unter den Menschen.
So wirst Du sicher nicht von ungefähr für diesen Gottesdienst die Berichte von der Fußwaschung Jesu im Abendmahlssaal und der Taufe des Äthiopiers gewählt haben. Aus beiden Perikopen spiegelt uns die diakonale Haltung des Dienens, der Wertschätzung und der Ehrfurcht vor dem Leben des anderen entgegen, einem von Gott geschenkten und gestalteten Leben.
Als Diakon gibst Du in der Gemeinschaft und an Deinen Einsatzorten diesem Gott eine Gestalt und ein menschliches Antlitz.
Das ist ab heute Deine Mission! Ich möchte es mit den Worten von Papst Franziskus formulieren:
„Ich bin immer eine Mission; du bist immer eine Mission; jede Getaufte und jeder Getaufte ist eine Mission. Wer liebt, setzt sich in Bewegung, es treibt ihn von sich selbst hinaus, er wird angezogen und zieht an, er schenkt sich dem anderen und knüpft Beziehungen, die Leben spenden“ – so Papst Franziskus.
Lieber Br. Vincent, ich wünsche Dir von Herzen, dass Du in den kommenden Jahren dieser Mission Gestalt geben und eine Gestalt dieser Mission sein kannst.
Ich wünsche Dir, dass Du den Mönch und den Diakon in Dir nicht als zwei unvereinbare Identitäten wahrnimmst, sondern als Deine Identität in zwei Gestalten zu leben vermagst.
Ich wünsche Dir, dass Du mit Gottes Hilfe erkennst, dass Du in den unterschiedlichen Aufgaben und Diensten ein- und derselbe bist:
Vincent, ein von Gott geliebter und von den Menschen geschätzter Bruder!
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/06/IMG_8377a.jpg321845Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2020-06-08 15:26:172021-02-18 16:05:59Predigt zur Diakonenweihe Br. Vincent (06.06.2020)
was für eine Gefühlsachterbahn, die die Jünger Jesu gefahren sind. Erst die Wunder und Reden, das Vertrauen und die Hoffnung das Jesus der Messias ist. Der begeisternde Einzug nach Jerusalem, die Huldigung der Menschen, Freude und Jubel. Dann das Letzte Abendmahl, wo der Meister ihnen die Füße wäscht und Verwunderung stiftet.
Auf dem Ölberg die Angst des Meisters zu spüren.
Der Verrat durch den Bruder aus den eigenen Reihen, der Jesus ausliefert und sich anschließend das Leben nimmt. Petrus der sich seine eigene Schwäche eingestehen muss, indem er Jesus dreimal Verleugnet.
Die Verurteilung, Demütigung und Hinrichtung dessen an den man geglaubt hat. Für den man alles stehen und liegen hat lassen und ihm nachgefolgt ist.
Verwirrung, Angst, Flucht und Verstecken.
Nur drei Tage später, die Auferstehung, die erst ankommen muss. An der Einige erst zweifeln. Vierzig Tage lang erscheint Jesus in den unterschiedlichsten Situationen.
Wieder Freude und Jubel doch an den Richtigen geglaubt zu haben. Doch die Hoffnung auf die Erlösung durch den Messias.
Und dann die Himmelfahrt. Jesus ist wieder weg. Empor gehoben in den Himmel. Aber wie lange kann das jetzt schon noch dauern bis er wiederkommt mit all seinen Engeln. Letztes Mal waren es ja auch nur drei Tage, die er fort war. Es kann also nicht lange dauern bis etwas passiert.
Diesmal keine Angst, sondern Vorfreude auf das was da kommt. Zusammensitzen und beten. Jetzt ist Zeit die Dinge zu reflektieren. Sich zu erinnern, was Jesus vor seinem Tod gesagt hat. Die Hoffnung zu nähren. Zu Warten.
Warten. Dieser seltsame Zustand zwischen Hoffen und Bangen. Zwischen Angst und Vorfreude. Zwischen Unsicherheit und Zuversicht. Zwischen Zögern und Ungeduld. Zwischen Spannung und Entspannung.
Warten. Erwarten. Diese urchristliche Haltung.
Traditioneller Weise ist der Advent die Zeit in der wir uns dieser Spannung gewiss werden. In der wir uns wieder Bewusst machen sollten, die Wiederkunft Christi zu erwarten. Leider ist diese Zeit heutzutage so vollgepackt mit den eigentlich für Weihnachten vorbehaltenen Feiern und Genüssen, dass das Gefühl des Wartens schwerlich aufkommt.
Vielleicht können wir ja dieses Jahr die jetzige außergewöhnliche Zeit nutzen uns des Gefühls des Wartens als urchristlichem Gefühl wieder zu nähern. In der Zeit des Verzichtes durch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronaviruses merke ich bei mir diese Spannungen des Wartens, des Erwartens, der Angst und der Vorfreude, des Zögerns und der Ungeduld, des Hoffens und Bangens. Des Ausschau Haltens. Was wird? Wann enden die Maßnahmen? Wie kommen wir aus dieser Zeit? Welche Wunden bleiben? Wann kann ich mich wieder ruhigen Gewissens mit Freunden treffen? Wann wieder Menschen ohne Beeinträchtigungen begegnen? Wird sich unser Sozialverhalten verändern? Die Angst mich oder andere Leute anzustecken und den Drang nach Freiheit mit anderen wieder mehr in Kontakt zu kommen
Sich diesen Zustand des Wartens zu eigen zu machen. Sich des Namens Jesu – Also Gott rettet – bewusst zu werden und zu wachen, zu beten, zu Hoffen und zu erwarten wie die Jünger nach der Himmelfahrt, kann helfen diese Zeit zu überstehen. Aus Ihr etwas Positives mitzunehmen. Einen richtigen Advent zu begehen.
Kraft dazu kommt von Gott. Er, Christus ist in UNS verherrlicht.
Einen dezenten Hinweis wie wir beten können gibt uns der Komponist des Gregorianischen Chorales. Er fasst in der heutigen Communio, – also des Gesanges, den wir gleich nach dem Kommunionempfang singen – die Verse aus dem Johannesevangelium, die der Stelle, die wir gerade gehört haben unmittelbar folgen zusammen. Er komponiert: Vater, solange ich war bei ihnen, ich bewahrte sie, die du gegeben hast mir. Jetzt aber: zu dir komme ich. Nicht bitte ich, dass du nimmst sie aus der Welt, sondern dass du bewahrst Sie vor dem Bösen.
Er kürzt damit nicht nur 3 Bibelverse auf das Wesentliche zusammen und hebt so den Kern des Hohepriesterlichen Gebetes Jesu, von dem wir heute die erste Hälfte gehört haben, hervor.
Er bietet auch uns einen Hinweis wie wir beten können. Das erste Wort ist „Pater“ also „Vater“ und die letzten Wörter sind „a malo“ also „vor dem Bösen“. Dies sind auch die ersten und letzten Worte des lateinischen Vaterunsers, welches die Mönche damals und auch wir Mönche heute mindestens dreimal am Tag beten. Auch die Vertonung von a malo erinnert an den Schluss des gesungenen Vaterunsers.
Das Vaterunser, dieses Urgebet der Christenheit, das uns von Jesus selbst geschenkt wurde. Dass die Bitte im Hohepriesterlichen Gebet Jesu wiederholt. Bewahre uns vor dem Bösen.
Es kann unsere Antwort, unsere Bekräftigung des Hohepriesterlichen Gebetes sein.
Es kann uns begleiten in der Zeit des Wartens, des Ausschau haltens. Wir können unsere Hoffnung hineinlegen.
Und wir können uns des Namens, den Gott seinem Sohn gegeben hat, bewusstwerden: Jesus (Gott rettet)
Nutzen wir diese Zeit das Warten, das Erwarten neu zu lernen auf den, der da kommt, der Herr ist und lebendig macht.
https://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2020/05/blur-1867402_640.jpg427640Bruder Justushttps://koenigsmuenster.de/wp-content/uploads/2019/12/abtei_logo_weiss_Homepage.pngBruder Justus2020-05-24 15:12:412021-02-18 16:05:59Predigt am 7. Ostersonntag (24.05.2020)
Auch an diesem Wochenende demonstrieren Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie. Dabei fällt die bunte Mischung der Teilnehmenden auf. Neben denen, die berechtigter Weise gegen die Einschränkungen einiger Grundfreiheiten protestieren, finden sich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, zudem versuchen Rechtspopulisten diese Proteste für ihr Interesse an Verunsicherung und Destabilisierung zu nutzen.
In der Folge kommt es zu Polarisierungen, Verteufelung der anderen, Hass, Wut und Aggression, die sich in Angriffen auf Polizisten und auch auf Journalisten entladen.
Die Reaktionen seitens der Politik sind gemischt, einerseits eine gewisse Fassungslosigkeit angesichts der teilweisen Verweigerung notwendiger Verhaltensregeln, kruder Verschwörungsphantasien und aufgeheizter Stimmungen, andererseits die ausdrückliche Bestätigung des Rechts auf Meinungsfreiheit verbunden mit der Bitte, diese in angemessener und gewaltloser Weise zu nutzen.
In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.
Dieses Recht ist zum einen Ausdruck der in Artikel 1 Absatz 1 gemachten Aussage und Forderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zum anderen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen wichtig, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, um so in der gemeinsamen Auseinandersetzung dieses Gemeinwesen zum Wohle aller zu gestalten.
Dahinter steht die Einsicht, dass jede und jeder vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte und dem eigenen Kontext eine je eigene Weise der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Keiner sieht alles, aber gemeinsam sieht man mehr und kann so der Wirklichkeit näher auf die Spur kommen und entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen treffen. Die Vielfalt der Meinungen somit als eine Ressource gemeinsamer Weltverantwortung und Lebensgestaltung.
Eine Ressource, die Benedikt in seiner Regel ausdrücklich zu nutzen empfiehlt, wenn er fordert, dass vor wichtigen Entscheidungen alle Brüder gehört werden sollen.
Doch die Vielfalt der Meinungen kann auch eine Herausforderung sein, die verunsichert und bedrohlich wirkt:
Predigt am 31. Sonntag im Jahreskreis (3.11.2024)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
„Welches Gebot ist das erste von allen?“ Die Frage des Schriftgelehrten an Jesus ist durchaus berechtigt – und bleibend aktuell. Welches Gebot in dieser Vielzahl an Geboten der Tora ist die innerste Mitte, an der ich mich orientieren kann? Welches Gebot gibt den anderen Sinn? Woran soll ich mich halten in dieser Vielzahl von Worten?
Und Jesus antwortet aus der Mitte der jüdischen Tradition heraus, mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis (Schema Israel), das jeder gläubige Jude täglich betet: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“
Scheinbar ganz einfach – und doch beginnen die Fragen und Missverständnisse hier erst. Das zeigt sich deutlich, als vor einigen Monaten der Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg, der sich selbst als katholisch bezeichnet, gefragt wurde, was für ihn Nächstenliebe bedeute. Seine Antwort: „Da ich katholisch bin, bedeutet Nächstenliebe für mich, sich um die Angehörigen des eigenen Volkes zu kümmern.“ Das Konzept der Nächstenliebe wird also schamlos missbraucht für das völkisch-nationalistische Programm dieser Partei, missbraucht dazu, Fremde auszuschließen, auszugrenzen, letztlich abzuschieben. Nächstenliebe als Ausschließungsprogramm. Gut, dass Erzbischof Koch, sein zuständiger Bischof, dieser Aussage sofort widersprochen hat und klarstellte, dass christliche Nächstenliebe auch dem gelte, „der eine andere Meinung, eine andere Überzeugung, einen anderen Pass hat. Nächstenliebe kennt keine Fremden.“
Anders ausgedrückt: Auch der Fremde wird mir zum Nächsten, „denn er ist wie du“. So übersetzt Martin Buber das „wie dich selbst“: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Er ist Mensch wie du – mit allen Stärken und Schwächen, mit allen Gaben und Talenten.
Übrigens sagt das auch schon die jüdische Tradition, die für uns Christen ebenfalls Heilige Schrift ist. Im Buch Leviticus heißt es: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ (vgl. Lev 19,34) Und in der Parallelstelle zu unserem heutigen Evangelium erzählt Lukas auf die Frage des Schriftgelehrten, wer denn sein Nächster sei, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das schon hier die eigenen Stammesgrenzen sprengt und im Samariter, der dem Verletzten zum Nächsten wird, die Nächstenliebe sozusagen universalisiert.
Die Weiterführung der markinischen Episode bei Lukas zeigt etwas Wichtiges: Liebe ist nicht etwas Abstraktes, keine Theorie, die in schönen Worten beschreibt, was es mit der Liebe auf sich hat. Nein, Liebe ist immer konkret, sie drängt mich zur oft unspektakulären Tat, spornt mich an, dem anderen zu helfen, macht sich die Hände schmutzig und verbindet Wunden. Eine so verstandene Nächstenliebe hat dann wiederum mit Gott zu tun, denn in dem Menschen, der mich jetzt gerade braucht, der mir zum Nächsten wird, begegnet mir Gott, wird Gott aufs Neue Mensch. Menschwerdung setzt sich bis heute fort.
Einer, der diese Liebe ganz konkret gelebt hat, ist der in der vergangenen Woche verstorbene Altbischof von Limburg, Franz Kamphaus. „Den Armen das Evangelium verkünden“ – sein bischöflicher Wahlspruch war für ihn keine leere Floskel, sondern ist in seinem Leben konkret geworden: in seiner Einfachheit und Bescheidenheit. In seinem kompromisslosen Eintreten für die Armen von heute – da hat er auch keine Konflikte gescheut, wenn er etwas als richtig erkannt hat, wie es sein Einsatz für einen Verbleib der Kirche in der staatlichen Schwangerschaftsberatung zeigte. Gerade so wollte er dem Leben dienen auf allen Ebenen. Und seine langjährige Aufgabe als Weltkirchenbischof hat ihn über den Tellerrand des eigenen Landes schauen lassen, damit die Nächstenliebe eben nicht eng verstanden wird, sondern sich ausweitet auf alle Menschen. Nach seiner Emeritierung als Bischof hat er als einfacher Mensch und Seelsorger unter geistig behinderten Menschen gelebt. Dort ist er auch gestorben.
„Mach‘s wie Gott – werde Mensch!“ Der Titel eines seiner Bücher kann uns in dieser Woche Richtschnur sein in unserem Bemühen, Gott und den Nächsten – auch den Fernsten, der mir zum Nächsten werden kann – zu lieben. Es in unserer Menschwerdung Gott gleich zu tun und es mit der Liebe einfach mal zu versuchen. Oder um es mit einem anderen Wort von Franz Kamphaus zu sagen: „Den Diktatoren gleitet der Erdball aus der Hand, und er zerbricht – die Liebe hält ihn zusammen.“
Predigt an Allerheiligen (1.11.2024)
Predigtvon P. Marian Reke OSB
Es knospt
unter den Blättern
das nennen sie Herbst.
Hilde Domin
Im Frühherbst gibt es Tage, die uns mit einem unverhofft heiteren Leuchten beschenken. Noch vor einer Woche machte der Gingko-Baum an der Klosterpforte vor dem strahlend blauen Himmel die Rede vom goldenen Oktober unmittelbar anschaulich. Das in der Natur anhebende jahreszeitliche Sterben war zumindest für Stunden zu glühendem Leben gelichtet. Doch wer wollte sich davon täuschen lassen?! Nur zu gut wissen wir, wie bald schon die steigenden Nebel alles rundum verdüstern. Die lautlos fallenden Blätter im Park erinnern als wortloser Kommentar zum andauernden Lärm der Katastrophennachrichten in den Medien, was scheint’s die Stunde geschlagen hat.
Die sprichwörtliche Novemberstimmung nimmt derzeit für meine Wahrnehmung eine apokalyptische Färbung an! Vielen geht sie ans Gemüt.
Da erinnert uns gleich zu Beginn des dunklen Monats die Liturgie der Kirche – sozusagen als Gegenanzeige – an die Vision einer neuen Welt, an die Vision vom Menschen im Glanz seiner Ganzheit, an die Vision vom Einssein der Menschheit und der gesamten Schöpfung, an die Vision vom Heil, von Heilung und Heiligung. Wir feiern Allerheiligen. Wir feiern die Berufung und die Befähigung aller Menschen, einer jeden, eines jeden von uns, sich von all den Todesschatten ringsum nicht verwirren zu lassen, sondern den Schleier herbstlichen Trübsinns, der sich über die Dinge breitet, zu durchschauen. Mit den Augen eines vertrauensvollen Herzens können und dürfen wir entdecken, dass – um im Bild der Natur zu bleiben – die Blätter nur deshalb fallen, weil das Wachstum des Baumes bereits kleinste Knospen treibt, obschon es noch einen Winter lang Kraft zu neuem Aufbrechen sammeln muss.
Immer wenn eine bisher gültige und deshalb in sich bewegliche Gestalt des Lebens kraftlos wird und schlaff oder in Enge erstarrt, dann gilt es zu erkennen und mehr noch zu erspüren, dass das Leben selbst sich neu und womöglich ganz anders ausdrücken will. Dann gilt es zu lassen, sich im Lassen zu üben. Lass es sein – das Leben, wie es ist oder wie es eben geschieht. „Let it be“ – sangen in unseren jungen Jahren die Beatles, und wir haben unbeschwerten Herzens mitgesungen, weil das Leben mit seinen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten noch vor uns lag. Let it be! Im Alter kommt uns das nicht mehr so leicht über die Lippen, wenn wir die Vergänglichkeit immer bedrängender wahrnehmen – unsere Endlichkeit.
Man ahnt: bald werden wir uns lassen, loslassen müssen. Die üblichen Vorstellungen, die wir damit verbinden, können uns ängstigen, die Vorstellung: was losgelassen wird, fallt, fällt hin und dahin.
Allmählicher Verfall – diese uns zugewandte Seite des Alterns könnte jedoch eine Kehrseite haben. Unsere je eigene irdische Gestalt vermag anscheinend das Leben nicht mehr zu fassen und zu halten, ist für das Leben in seiner Fülle nicht weit und offen genug. Ich ahne durch alle Ängste und Zweifel, durch Auflehnung und Trotz, durch alle Trauer hindurch, dass auch das Sterben ein Ausdruck des einen Lebens ist. „Es knospt unter den Blättern …“ – deshalb welken und fallen sie. Ein ungewohnter Gedanke, ich weiß, ein Trostgedanke – und im Glauben müsste er keine bloße Vertröstung bleiben.
Früher trugen wir in Königsmünster am Vorabend von Allerheiligen zur Vigil das Reliquiar aus der Krypta zur Verehrung in den Mönchschor der Abteikirche – ein Ritual, mit dem ich auch meine Schwierigkeiten hatte. Irgendwann aber ging mir durch den Sinn: diese Gebeine kanonisierter Heiliger sind wie die Leichen in den Särgen oder die Asche in der Urne buchstäblich „Re-liquien“, das Zurückgelassene der Gestalt der einen Lebensfülle, wie sie sich in jedem, in je-dem(!) unverwechselbaren und unwiederholbaren Menschen ausgeprägt und gezeigt hat. Der Glaube bezeugt, dass dieser einzigartige schöpferische Ausdruck des Lebens zu jener unerschöpflichen Fülle gehört, in der jeder Mensch ewig aufgehoben ist. Seine zurückgelassene, zerfallende Gestalt – die Reliquien – ehren wir wie die Gräber also zu Recht.
Reliquienkult – so verstanden und in diskreter Weise geübt – kann sinnvoll sein, ein Zeichen menschlicher Würde. Doch verlangt dieser Kult, damit er nicht zu kurz gerät, nach einer entsprechenden Kultur, nach der Kultur des Leibes und des leibhaftigen Daseins überhaupt – aus Ehrfurcht vor der lebendigen Gestalt des Lebens. Gerade wenn wir Reliquien in kostbaren Schmuck fassen und bisweilen in einem goldenen Schrein bergen, der einem edlen Haus gleicht, müssen wir uns umso mehr darum kümmern, dass jeder Mensch zu Lebzeiten seinen Leib umsorgen und in ihm auf dieser Erde ein Haus bewohnen kann. Das gilt für die alltägliche Sorge um uns selbst und umeinander – bis hin zur Hospiz- und Palliativpflege.
Ich weiß, dass wir mit unserem Totenkult immer auch zu spät kommen, weil uns die Lebenskultur – zumal im Blick auf andere, gerade auch auf uns nahe Menschen – nie ganz gelingt. Vielleicht liegt genau darin ein Grund aller Trauer. Dennoch: es gilt, sich darin nicht resignativ zu verfangen, sondern Tritt zu fassen, um in großen und kleinen Alltagsschritten gegenwärtiger Lebenskultur einzuholen, was in den Ritualen des Reliquienkultes einst in festlichem Ernst begangen wurde und heutzutage mehr oder weniger bloß Folklore ist.
Letztendlich kommt es darauf an, in das CREDO des Allerheiligenfestes einzustimmen. Es kündet vom Vertrauen zum Gott des Lebens, das uns alle gewiss sein lassen kann:
Ich bin eine Gestalt der unerschöpflich schöpferischen Liebe – unverwechselbar und unwiederholbar. Ich bin diese einzigartige und doch mit allen und allem verbundene menschliche Gestalt des einen Lebens: erfahrbar, hörbar und sichtbar für den mir zugemessenen Zeit-Raum des Daseins und zugleich verborgen und geborgen im Geheimnis der Ewigkeit, aus der ich stamme, in die ich zurückkehre, die unser aller Heimat ist.
Predigt bei der Primiz von P. Victor Chambi OSB (29.09.2024)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Les.: Num11,25-29 – Ev.: Mk 9,38-43.45.47-48
Wozu gibt es Priester? Diese Frage stellt sich vielen Menschen heute in einer Zeit vielfältiger Krisen und hausgemachter Skandale, die das Wesen des Priestertums weltweit betreffen. Wir könnten es uns jetzt einfach machen und diese Frage als eine rein europäische oder sogar deutsche abtun, aber ein genauer Blick auf die Dokumente der in dieser Woche beginnenden Weltsynode in Rom zeigt, dass viele Probleme die Kirche und auch das Priestertum in vielen Ländern unserer Weltkirche betreffen. Und auch der hl. Benedikt ist in seiner Regel ja äußerst skeptisch, Mönche seiner Klöster zu Priestern zu weihen und tut das nur nach reiflicher Überlegung.
Nichtsdestotrotz haben wir vor zwei Monaten Deine Priesterweihe, lieber P. Victor, gemeinsam mit fünf Seminaristen der Diözese Sumbawanga in Tansania als großes Fest gefeiert, wo die Freude und Begeisterung so vieler Menschen über eure Berufung spürbar war. Wie kann also das Priestertum heute als glaubwürdiger Dienst vor Gott und für die Menschen gelebt werden?
Die heutige Lesung aus dem Buch Numeri gibt uns da einige gute Anhaltspunkte. Sie führt uns in die Zeit der Wüstenwanderung Israels, sozusagen an den Anfang der Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk, dieser so einzigartigen Liebesgeschichte. Mose, der Prophet und Führer seines Volkes, hat alle Hände voll zu tun und sehnt sich nach Entlastung – und er bekommt sie auch. Der Herr „nahm etwas von dem Geist, der auf Mose ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten.“ Mose merkt, dass er nicht alles allein bewerkstelligen kann, und er sucht sich Hilfe in erfahrenen Menschen.
Und dann passiert das Unglaubliche: zwei Männer, Eldad und Medad, treten auf, „auch sie redeten prophetisch im Lager“. Sie scheinen aber nicht ganz dazuzugehören, stehen eher am Rande, in der Sprache des Textes: „Sie waren nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen.“ Da bekommen es die etablierten Mitglieder der Gemeinschaft mit der Angst zu tun, und Josua macht sich zum Sprecher dieser Ängste und bittet den Mose, sie am Reden zu hindern. Und es zeugt von der Größe des Mose, dass er auf solche Ängste nicht eingeht, sondern im Gegenteil ausruft: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“
Scheinbar sind wir nun wieder an unserem Ausgangspunkt – denn wenn alle Menschen zu Propheten würden, wenn wir wirklich daran glauben, dass alle Menschen geistbegabt sind, wozu braucht es dann noch eine besondere Gruppe?
Eine Antwort könnte sein: Es braucht Menschen wie Mose, die genau das ihren Mitmenschen zusagen: Ihr alle seid mit Heiligem Geist begabt, ihr alle habt Anteil an der königlichen, priesterlichen und prophetischen Würde Jesu, ihr alle seid berufen von Gott!
Es braucht Menschen, die das ihren Mitmenschen zusagen im Sakrament der Versöhnung und Krankensalbung, wenn sie selbst nicht mehr daran glauben, oder die Menschen im Sakrament der Eucharistie in Verbindung bringen mit dem Gott, der sich an uns austeilt!
Und es braucht Menschen, die anderen Menschen den Segen Gottes vermitteln, die Gutheißung des Menschen durch Gott – nichts anderes meint das lateinische „benedicere“ als das, anderen Gutes zu sagen! In der Abtei Mvimwa, der Heimatabtei von P. Victor, gibt es eine schöne Zeichnung auf einem Felsen, die darstellt, wie ein Mönch einen Besucher segnet – ein wahrhaft benediktinischer Dienst.
Genau zu diesem Dienst, lieber P. Victor, bist Du geweiht worden – anderen Menschen ihre gottgeschenkte Würde zuzusagen und ihnen dabei zu helfen, ihre Berufung zu entdecken.
In der Lesung und auch im Evangelium treffen wir auf Menschen, die genau das tun und die damit Überraschung im schon bestehenden Jüngerkreis auslösen. Es sind sog. „Fremdpropheten“, die vielleicht einen anderen Blick für die Dinge haben, die „immer schon“ so laufen, wie sie laufen, getreu dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Menschen, die uns, die wir oft betriebsblind geworden sind, durchaus etwas zu sagen haben. Grenzgänger, die herkömmliche Grenzen überschreiten und gerade so dabei helfen, dass Menschen zueinander finden können.
Lieber P. Victor, wer hätte vor sechs Jahren gedacht, als Du hier in Deutschland ankamst, dass Du an diesem Tag bei uns Primiz feiern kannst? Du hast auf Deinem Weg immer wieder Grenzen überschritten: Matanga, dein Heimatort – Mvimwa, die Abtei, in der du deinen Weg als Missionsbenediktiner begonnen hast – Meschede, wo Du schnell eine zweite Heimat gefunden hast – Hannover, wo Du in unserer Cella mitgelebt und die Feinheiten und Tücken der deutschen Sprache erlernt hast – Salzburg, wo du Theologie studierst – und wer weiß, welche Grenzen du in Zukunft noch überschreiten wirst? Eine neue Umschreibung von Mission meint genau das: Grenzen zu überschreiten auf andere Menschen hin. In diesem Sinne bist Du ein wahrer Missionsbenediktiner.
Und besonders danke ich Dir, dass Du uns hier in Deutschland allein durch deine Präsenz daran erinnerst, dass die deutsche Kirche nicht das Maß aller Dinge ist, sondern dass wir eingebunden sind in eine Weltkirche unterschiedlichster Kulturen und Menschen. In diesem Sinne bist Du ein Fremdprophet, der uns auf Dinge aufmerksam machen kann, für die wir betriebsblind geworden sind. Und der das nicht mit der Brechstange macht, sondern mit einem feinen, oft hintergründigen Humor, der sich auch selbst nicht zu wichtig nimmt. So wünsche ich Dir viele gesegnete Jahre priesterlichen Wirkens für Gott und die Menschen. Mögest Du auch weiterhin immer wieder Grenzen überschreiten und so verbindend wirken!
Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (25.8.2024)
Predigt„Du wirst des Weges geführt, den du gehst.“
Predigt zu Joh 6,60-69 am 25.08.2024
von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Jede Beziehung, jede Gruppe kennt diese Erfahrung: Irgendwann ist mir der andere, den ich so gut zu kennen glaubte, total fremd und eine Riesenenttäuschung. Bleischwere Enttäuschung hat die Leichtigkeit der Anfangsbegeisterung verschluckt. Auch ich selbst kann auf einmal dastehen und mich selbst nicht mehr wiedererkennen. …
So eine Situation nennen wir dann Krise: Sinnkrise, Beziehungskrise, Lebenskrise. Es ist ein nahezu allgemeingültiger Grundsatz, fast nichts schlimmer zu finden als eine Krise. Dann geht es oft so: Je heftiger wir eine Krise vermeiden wollen, desto schneller ist die nächste da! – Warum eigentlich diese Krisenpanik? Im Griechischen heißt „KRISIS“ Entscheidung. Das rückt unsere ganzen Krisenvermeidungsstrategien in ein sehr seltsames Licht. Ist unsere Angst vor einer Krise in Wirklichkeit die Angst, uns zu entscheiden?
Das Evangelium heute beschreibt die große Krise in der Jüngerschaft Jesu. Vielen wird mulmig, weil Jesus mit seinem Anspruch zu weit geht. Man muss sich entscheiden: Die meisten gehen, einige bleiben – klarer, in anderer Weise, entschiedener als vorher.
So bitter es ist, eine Krise durchstehen zu müssen: Wenn ich mich ihr stelle, hat sie im Rückblick meist heilsame Folgen: Sie zwingt zu Entscheidungen, – und die getroffen zu haben, wirkt entlastend. Nur: Oft verwenden wir unendlich viel Energie darauf, eine Krise „im Keim zu ersticken“, so als wäre es etwas Ungehöriges, Fragen und Probleme mit sich selbst, mit einem Lebenspartner, mit der Politik, mit der Gesellschaft, mit der Kirche, mit meinem Orden oder auch mit seinem Gott zu haben. Eine Krise, ein „Nicht-mehr-Können“ ist wahrlich nichts Ungehöriges. Ungehörig ist, den falschen Anschein zu erwecken, als sei alles in Ordnung. Irgendwann ist es Zeit, Fragen in den Raum zu stellen; denn nur gestellte Fragen können eine Antwort finden. Nicht gestellte Fragen treiben einen bald hierhin, bald dorthin, immer schneller, immer weiter, immer planloser.
Wann endlich gebe ich dem, was mich selbst andauernd umtreibt, die Möglichkeit, sich von einem nagenden Unbehagen in eine vernehmbare und klare Frage zu verwandeln? Welche Frage treibt mich um, wenn ich nicht mehr bereit und in der Lage bin, andere zu verstehen, sondern nach allen Seiten urteile und verurteile? Was steckt dahinter, wenn ich Menschen, Zeit und Dinge in unglaublich großen Mengen verbrauche, weil ich nirgendwo zufrieden sein kann? Was steckt dahinter, wenn sich um mich herum Unsicherheit und Angst verbreiten? Sind nicht all das Methoden, die Fragen zu überspielen, die eigentlich fällig sind: Wo ist der Weg – und was ist das Ziel?
Denn: Den Weg findet nur der, der ihn geht: Und: Wer geht, der wird eine Erfahrung machen, die ihm verschlossen war, solange er der Frage nach dem Weg und dem Ziel ausgewichen ist. Wer geht, der wird – staunend möglicherweise – wahrnehmen: „Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße“ (Johannes Bours). Das, was man vor lauter Krisenpanik für unmöglich gehalten hatte, wird möglich, wenn man ins Leben hineingeht.
Dieser Augenblick, in dem einer über seinen eigenen Schatten springt, ist es, in dem wir mit unserem ganzen Leben, mit Verstand, Leib und Seele an etwas rühren, was sich mit Worten nicht klarmachen lässt, dass nämlich Christus der Weg mitgeht: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Oder übersetzt: Die Lebensstrecke, die mir zugemutet ist, ist kein blindes Schicksal ohne Richtung und Ziel. Mein Lebensweg, so wie er ist, und wie immer er aussehen mag, ist der Ort, an dem die Menschenfreundlichkeit Gottes auf mich wartet, – wenn ich nur gehe!
Wenn du nur endlich die Fragen, die dich umtreiben, stelltest, würde dich die Antwort auf den richtigen Weg bringen.
Wenn du nur endlich losgingest, würdest du merken, dass es nicht nötig ist, aufzubegehren oder sich zu verweigern.
Wenn du nur endlich das Kreuz der Krise riskiertest, wäre es dir möglich, dem zu begegnen, der durch den Tod hindurch ins wirkliche Leben gelangt ist.
Predigt am 15. Sonntag im Jahreskreis (14.07.2024)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Beim heutigen Abschnitt aus dem Markusevangelium (Mk 6,7-13) ist es sinnvoll, den Textzusammenhang, das Davor und Danach, zu beachten: Davor steht die Erzählung von der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt und durch seine Familie mit der Konsequenz, dass Jesus in die benachbarten Dörfer auszog, um dort zu lehren – wir hörten davon am letzten Sonntag. – Danach folgt der ausführliche Bericht von der Enthauptung des Täufers Johannes.
Unser heutiger Abschnitt, die Aussendung der Zwölf, ist von den Themen Ablehnung und Mord umgeben. Das ist schon ein Hinweis, wie das Leben Jesu weitergeht und wie es enden wird: Mit der Katastrophe eines Mordes am Kreuz. Doch Gott lässt sich von der Ignoranz und Bosheit der Menschen nicht aufhalten, das wird die Auferstehung Jesu und die österliche Aussendung der Jünger endgültig bestätigen. Die Aussendung der Zwölf schon jetzt, inmitten von Ablehnung und Mord, zielt in diese österliche Richtung: Gott geht weiter – und die Zwölf sollen ihre Aussendung in dieser Welt ein- und ausüben.
Die vorhergehende familiäre Ablehnung – gerade durch seine Nächsten – dürfte Jesus besonders getroffen haben. Doch lässt er sich davon nicht stoppen – im Gegenteil – es zieht ihn lehrend in die weite Nachbarschaft. Jesus lebt aus Gottesliebe selbstbestimmt, nicht fremd- oder familienbestimmt. Nun ruft er die Zwölf zu sich – es sieht so aus, dass auch sie seine Familie sind. Er löst biologische Familiengrenzen auf, weil alle Menschen existenziell zu seiner universalen Familie gehören sollen, denn alle stammen aus der Liebe des einen Gottes. Will er deshalb den Zwölfen vor der Aussendung nochmal besonders nahe sein? Gestärkt durch diese Intimität sendet er sie aus. Zu zweit sollen sie gehen, denn die Sache Jesu ist keine Solonummer – für Jesus ist das Ich immer in ein geschwisterliches Wir eingebunden – Selbst- und Nächstenliebe ist das Gebot.
Ausdrücklich gibt Jesus ihnen eine Vollmacht – das heißt: Sie sollen nicht im eigenen Sinne, sondern für ihn handeln. Sie sollen an seiner Stelle weiter tun, was sie nun schon eine Weile mit ihm unterwegs erfahren hatten: Aus und mit der Liebeskraft Gottes Menschen heilen und zu ihrer ureigenen Gotteskindschaft befreien. Denn die „unreinen Geister“ gehen der Menschheit nie aus: Sie zeigen sich in tötendem Ungeist kleiner und großer Ideologien, in jeder Form von Gewalt.
Nach der Vollmacht gibt Jesus ihnen zusätzlich ein detailliertes Gebot mit auf den Weg: Außer einem Wanderstab und Sandalen sollen sie nichts mitnehmen. Mit einer detaillierten Aufzählung verstärkt Jesus seine klare Entschiedenheit: „Kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd.“ Es ist eindeutig: Mit nichts meint Jesus auch nichts. Das ist schlicht und einfach radikal – eine echte Herausforderung – auch für uns, die wir mit allen möglichen Mitteln versuchen, der Sache Jesu zu dienen.
Da darf man fragen: Wie soll das gehen? Warum schickt er sie so unversorgt arm los? Von den Zwölfen erfahren wir nichts: keine Fragen, auch kein Protest oder Widerstand. Vielleicht gründet ihre Bereitschaft, so zu gehen, in den guten Erfahrungen, die sie bisher auf ihrem Weg mit Jesus gemacht hatten. Das Leben Jesu ist vor allem einfaches Da-Sein, gegenwärtig Sein – Leben aus der Liebes-Gegenwart Gottes, aus ihr wirken und sie bezeugen. Nur die beruhigt die existentielle Not, nicht genug zu sein; mit den Dingen dieser Welt können wir sie nicht stillen. Und konkret für den Lebensweg gilt: Ohne Gepäck geht es sich leichter. Jesus selbst ist arm unterwegs – wir erfahren nichts von irgendeiner Ausstattung. Auf seinem Weg vertraute er auf Gastfreundschaft und genoss sie – gerade erst war er im Haus des Synagogenvorstehers eingekehrt und hatte dessen Tochter geheilt. Aus dieser positiven Erfahrung gibt Jesus den Zwölfen die Empfehlung: „Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst.“ Er lässt sie – buchstäblich – nicht im Regen stehen. Er vertraut auf die Güte und Gastfreundschaft der Menschen, denn auch darin verwirklicht sich seine frohe Botschaft: Der Mensch ist im Grunde gut und es tut ihm gut, gastfreundlich zu sein – mit Menschen zu teilen und Fremdheit in Vertrauen oder gar Freundschaft zu wandeln.
Doch Jesus ist Realist und weiß, dass es auch anders kommen kann: Die Türen der Häuser, mehr noch die Ohren und Herzen der Menschen, bleiben verschlossen. Was tun? Jesus empfiehlt: „… dann geht weiter …“. Er respektiert die Freiheit der Menschen, zu der auch das Nein-Sagen gehört, auch wenn sie sich damit Lebensmöglichkeiten vergeben. Wir hören kein Wort von „dranbleiben müssen“ oder „da muss man mal Druck machen“ – daraus spräche der Ungeist zwanghafter Gewalt und die Geschichte zeigt, dass es oft so gelaufen ist. Wie Jesus sollen die Zwölf ein Angebot machen und ein Angebot kann man annehmen oder ablehnen. Seine frohe Botschaft der Gottes- und Menschenliebe ist absolut gewaltfrei und deshalb kann sie auch nur so verkündet werden – Inhalt und Methode stimmen überein – anders wäre es unglaubwürdig.
Schlussendlich gibt Jesus ihnen noch ein beachtenswertes Detail mit auf den Weg: „… und schüttelt den Staub von euren Füßen, …“. Die Ablehnung, der Misserfolg ihrer Sendung, könnte sie frustrieren – Jesus kennt seine Zwölf. Menschen fixieren sich und andere in Erwartungen und die sind ein Konfliktprogramm. Darum der ausdrückliche Rat an die Zwölf, den drohenden Frust innerlich abzuschütteln wie den äußerlichen Staub von ihren Füßen. Auch unsere Sprache bestätigt das: Wer nach-tragend lebt, geht schwerer. Die Zwölf – und wir – sollen unbeschwert unterwegs sein, denn Jesu Botschaft ist leicht und will Leben erleichtern.
Mit diesen Empfehlungen gut ausgestattet, ziehen die Zwölf dann aus und verkündigen die Umkehr, wie es auch Johannes getan hatte. Der wird – wie erwähnt – direkt anschließend ermordet und das zeigt, wie böse Menschen sein können – da ist Umkehr bitternötig. Jesu Botschaft zielt auf konkretes Verhalten, auf konkrete Verhaltensänderung, wo es notwendig ist. Umkehr soll und kann die Not wenden und das will auch konkret eingefordert sein. Seine Botschaft ist nicht harmlos – an anderer Stelle sagt er: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein.“ Es ist ein Ja zu lebendigem Lieben und ein Nein zur Gewalt – in all ihren Formen.
In dieser Spur setzen die Zwölf das Werk Jesu wirksam fort: Sie treiben viele Dämonen aus, salben viele Kranke und heilen sie. Das ist eine Vorschau auf die endgültige Sendung aller Jünger nach Jesu Tod und Auferstehung. Zu dieser Sendung sind auch wir eingeladen und berufen – darum heißt es am Ende dieser und jeder Messe: „Gehet hin! – In Frieden.“ Was kann uns besseres geschenkt sein, denn es geht um die spannendste Botschaft überhaupt.
Predigt am Dreifaltigkeitssonntag (26.5.2024)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Was ist Gott für MICH?
Am Dreifaltigkeitssonntag lohnt es über diese Frage nachzudenken.
Für mich ist Gott nicht der alte Mann mit Bart der im Fernen Himmel sitzt.
Gott ist für mich Kreativität. Er ist der Schöpfer aller Dinge. Er durchdringt die ganze Schöpfung. Und sie ist sehr gut, wie wir es im Schöpfungsbericht hören können. Gott hat uns als seine Abbilder geschaffen. Wir alle sind Abbild Gottes.
Er ist ein Gott, der uns auf Augenhöhe begegnen will.
Wenn wir uns Gott öffnen kann er uns ganz durchdringen. Dann kann er sich in unsere DNA schreiben, wie es dieser Kirchenraum so wundervoll darstellt. Das Fünfeck des Menschen öffnet sich zur göttlichen Parabel hin. Es strebt auseinander, dass die Parabel – das Gott – es durchdringen kann und die unendliche Gotteskraft bis in die DNA-Stränge in den Schöpfungsfenstern dringt.
Für mich ist Gott die Weisheit. Die Klugheit. Er ist die Wahrheit und das Leben. Er ist Stärke und Kraft, die er uns weitergibt.
Er ist das Gute in dieser Welt. In unserer Ordensregel finden wir bei den Werken der geistlichen Kunst die Sätze:
Sieht man Gutes bei sich, es Gott zuschreiben, nicht sich selbst. Das Böse aber immer als eigenes Werk erkennen, sich selbst zuschreiben.
Ich habe das als Novize immer als Ungerecht empfunden. Wieso kann ich nichts Gutes selber tun, sondern nur Böses? Doch so sind diese Sätze nicht gemeint. Heute freue ich mich, dass wenn ich etwas Gutes getan habe, Gott in dieser Welt durch mich etwas sichtbar gemacht wurde. Das er durch mich in diese Welt kommen durfte. Das Böse tut aber weder mir noch der Welt gut.
Gott ist für mich die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Die Hoffnung auf ein ewiges Leben in Freude. Die Hoffnung geliebte Menschen wiederzusehen. Die Hoffnung, die im Schmerz und Angst, in Trauer und Not Trost spenden kann. An der ich mich festhalten kann. Die mich niemals im Stich lässt. Er ist die Zuversicht
Gott ist für mich die Liebe, in all ihren Formen. Ob es die Liebe des Vaters, die Liebe der Mutter, die geschwisterliche Liebe, die kindliche Liebe oder die Liebe zur Partnerin oder zum Partner ist. Ob es die Liebe zu Mitbrüdern, zu Freunden, die Nächstenliebe, die Akzeptanz oder die Hilfsbereitschaft ist. Oder ob es die Liebe zu Gott oder Von Gott ist. Ja und auch die Liebe zu uns selbst. In allen diesen Formen ist Gott präsent. In all diesen Formen können wir Gott erfahren – ihm begegnen im Andern und in mir.
Für mich ist Gott Barmherzigkeit. Einer der stärksten Sätze unserer Ordensregel ist für mich:
Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln.
Gott ist erbarmungslos Barmherzig. Er vergibt uns. Er bleibt bei uns. Er ist der Ich-bin-da, wie er es Mose im Dornbusch zugesagt hat und wie Christus es uns am Ende des heutigen Evangeliums zugesagt hat:
„Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Er ist das Licht in dieser Welt, dass uns leuchtet und uns Orientierung geben will.
Er ist Frieden in all seinen Formen. Frieden im Kleinen und im Großen, mit mir selbst, mit anderen und in der Welt.
Und Gott ist für mich Beziehung. Was heute am Dreifaltigkeitssonntag besonders zum Ausdruck kommt. Er ist dreifaltig einer. Er ist in sich Gemeinschaft. Also ist auch unsere Gemeinschaft jetzt und hier Abbild Gottes. Wir sind sein Leib als Christinnen und Christen. Wir sind seine Hände und Füße, durch die er in die Welt kommt.
Gott ist für mich das Positive in dieser Welt. Und dies haben wir mit der Taufe als unauslöschliches Mahl aufgeprägt bekommen. Was für eine Zusage an uns.
Seine Gebote wollen uns nicht einengen, sondern ihn in uns und in diese Welt bringen. Sie wollen das Positive in dieser Welt und in uns zum Leuchten bringen.
Um diesen Reichtum wieder mehr Menschen zugänglich zu machen merke ich, dass ich anscheinend neue Sprachen lernen muss. Das wir neue Worte finden müssen, die die Menschen auf der Such verstehen. Um diese Froh und freimachende Botschaft in der Welt strahlen zu lassen. Um sie Wirklichkeit werden zu lassen, so dass immer wieder eine Ahnung vom Himmel in dieser Zeit aufblitzen kann.
Das ist Gott für mich. Dass ist meine Hoffnung.
Aber was ist mit DIR? Was ist Gott für DICH?
Predigt an Christi Himmelfahrt (09.05.2024)
Predigtvon P. Abraham Fischer OSB
Es bleibt Abschied – auch Christi Himmelfahrt ist ein Fest des Lassens, des Loslassens.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Zwar ist der Abschied von „Himmelfahrt“ ein anderer als der damals an Karfreitag, als der Meister, der Rabbi und Lehrer Israels am Kreuz verendete, als sich die Resignation breit machte und nur noch das Gefühl des Scheiterns wichtig war – das war der erste Abschied: Trostlos, schmerzhaft, von der Ausweglosigkeit und von der Sinnlosigkeit geleitet. Ein menschlicher Abschied, wie er auch uns heutigen in jedem Moment bevorstehen kann. Karfreitag ist ein Abschied in das Dunkel, in das Sterben aller Hoffnung. Karfreitag – ein abgrundtiefes Scheiden ins Nichts.
Aber bleibt nicht auch an Himmelfahrt letztlich Abschied?
Meiner Empfindung nach wird den Jüngern an Himmelfahrt ein zweiter Abschied zugemutet. Wohl anders als der auf Golgatha. Vielleicht heller, lichter. Nicht das bittere Getrennte, das allen Menschen im Tod begegnet, sondern ein getröstetes Zurückbleiben scheint diesen Abschied, den wir im heutigen Fest meditieren, einzufärben.
Was die Jünger an Ostern zurückgesehen bekamen, all das Leben und diese wirkliche Gemeinschaft mit Jesus – sie können es nicht halten. Damals wie heute gilt: Es geht alles weiter. Neues will wachsen und sich entwickeln – auch in Jerusalem war das so. Dass dieses so lichte und helle, ja dieses begeisternde und glaubensfeste Ostergefühl endlich ist, dass der Alltag und das Leben es verändern und neu gestalten, das hatte ja schon der Auferstandene in der ersten Ostererfahrung der Maria von Magdala kundgetan: Dieser starken Frau wird schon am Ostermorgen selbst der Abschied von Himmelfahrt zugemutet. In der Theologie des Johannes fallen all die Feste, die wir nacheinander feiern, um die Geheimnisse wenigstens ein wenig fassen und verinnerlichen zu können, in der Theologie des Johannes fallen Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt in eins. „Noli me tangere“ so spricht der Auferstandene zu Maria – Noli me tangere – Klammere nicht, erstarre nicht; noli me tangere: lass mich in dir wachsen, mache keine endgültigen Bilder von mir, habe Mut, mich jeden Tag neu zu sehen, anderes zu erfahren; noli me tangere: lass mich sein, so wie ich bin, bleibe offen für all mein Sein, für all meine Wahrheit und für die vielen verschiedenen Formen der Liebe. Noli me tangere! Halt mich nicht fest.
Abschied und Trennung sind auch Gefühle von Himmelfahrt. Geduld und Hoffnung aber unterschieden diesen Abschied von Karfreitag. Der heilige Geist – der ja mit Recht „der Tröster“ genannt wird – er ist das eine Abschiedsgeschenk, er ist die Erinnerung an Jesus, die alle Menschen verbinden kann.
Wer aber im Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit… So der hl. Benedikt.
Oder mit den Worten der großen Theresa:
O Seele, suche dich in mir
und, Seele, suche mich in dir
Die Liebe hat in meinem Wesen
dich abgebildet treu und klar:
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren
als meines Herzens schönste Zier:
bist Du verirrt, bist du verloren,
o Seele, suche dich in mir!
In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such‘ nicht dort und such‘ nicht hier:
gedenk‘, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche mich in dir!
Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für:
Ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier,
dann ruf‘ mich und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen,
und, Seele, suche mich in dir!
Teresa von Avila
Und es bleibt ein zweites Abschiedsgeschenk. Von ihm spricht das Evangelium und schlägt damit die Brücke von damals zu heute. Dieses zweite Abschiedsgeschenk wird nicht unbedingt auf den ersten Blick als Gabe und Geschenk deutlich. Und trotzdem ist es eine Hilfe – vielleicht die einzige echte und wirkungsvolle – gerade in Trauer und Abschied. Dieses zweite Vermächtnis Jesu ist ein ganz einfaches, ein völlig alltägliches: Es ist sinnvolle Arbeit. Das mag nun für jeden und jede verschieden aussehen, liebe Schwestern, liebe Brüder. Im weitesten Sinn ist es die Arbeit im Weinberg des Herrn, im Reiche Gottes. Das meint die Liebe zu allen und allem.
Der Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ – er hat ganz viel Alltägliches an sich. Er fordert uns auf, gerade im Alltag und im Kleinen treu zu bleiben. Das Vermächtnis Jesu bedeutet uns allen viel alltägliche Kleinarbeit – manchmal fordert es nur jene, dass wir dem eigenen Leben treu und liebevoll auf der Spur bleiben und nicht in Tod und Trauer, im ständigen Abschied, den das Leben täglich fordert, verhaften. Wer seine Arbeit liebt – und ich meine hier nicht nur die spezifisch kirchlich seelsorgerische – wer seine Arbeit liebt, der weiß um das Geheimnis, das jedem sinnvollen Tun innewohnt.
Wer langsam und geduldig seine Schwimmbewegungen im Meer des Alltags macht, den trägt das Wasser. Wer in Beharrlichkeit und innerem Glauben sein alltägliches Tun beginnt, der wird mit der Zeit vielleicht wirklich Berge versetzen. Und nur wer ausharrt im Guten – auch wenn alles dunkel wird – kann die Welt verändern und – was mir wichtiger scheint – sich selbst.
Himmelfahrt bleibt somit ein Fest. Diese Feiertage spenden in der Erinnerung des Geistes Jesu Trost und Zuversicht. Solche Feste sind Haltepunkte, an denen Gewesenes sich wieder neu verwirklicht und an dem wir Kraft und Mut schöpfen für das alltägliche Tun.
Im Alltag selber jedoch, im Segen sinnvoller Arbeit, in Mühe und Beharrlichkeit erfüllt sich das Geheimnis eines solchen Festes. Dort erprobt sich die Lebendigkeit der Verheißung: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Amen.
Predigt am 5. Ostersonntag (28.04.2024)
Predigtvon P. Guido Hügen OSB
Viola Kohlberger.
Eine junge Frau aus Augsburg, 32 Jahre alt.
Ewig engagiert bei den Pfadfinderinnen und Pfadfindern
und seit 2021 Kuratin,
sprich: Geistliche Leiterin des Diözesanverbandes dort.
Angestellt vom Bistum,
im Moment promoviert sie in Kirchengeschichte.
Gerade für die Anliegen der Jugend
engagierte sie sich beim „Synodalen Weg“.
Setzte sich kritisch auseinander
vor allem mit einigen Bischöfen und deren Verhalten.
Sie kandidiert zur Bundeskuratin,
eine Aufgabe, die ich selber von 2001 bis 2010 erfüllt habe.
Seit Wochen tourt sie durch Deutschland,
um sich den Diözesen und Gremien vorzustellen.
Am letzten Montag wurde ihre Kandidatur
vom Ständigen Rat der Bischofskonferenz abgelehnt.
Natürlich werden keine Informationen gegeben,
wer und überhaupt.
Keine Gründe benannt.
Doch schon der Vorgang an sich ist ein Skandal.
Darf ein Jugendverband nicht selber entscheiden,
wer in ihm Verantwortung übernimmt?
Wäre es nicht mindestens ein Ansatz von Transparenz,
die doch auch von den Bischöfen so groß geschrieben wird,
Gründe zu benennen?
Und dann höre ich die Lesung des heutigen Tages
aus der Apostelgeschichte.
Da hatte die Gemeinde in Jerusalem
Angst vor Saulus,
dem jetzt bekehrten Paulus.
Was steckt denn hinter und in ihm?
Kann man ihm vertrauen?
Ist er wirklich der Bekehrte?
Ist er nicht der Feind?
Will er nicht das, was wir nicht wollen?
Barnabas setzte sich für ihn ein.
Machte deutlich,
wie Paulus sich für das Evangelium einsetzt.
Bis sich auch die anderen „Brüder“
(Schwestern werden nicht genannt …) für Paulus einsetzten
und dann – so sagt es die Apostelgeschichte –
„die ganze Kirche in Judäa, Galiläa und Samarien
nun Frieden hatte.“
Wie schön wäre es,
wenn auch wir das heute sagen könnten …
Dass es nicht so ist,
nicht einmal in unserer deutschen Kirche,
ist traurig genug.
Was sind denn die Ängste,
die uns und die Entscheidungsträger erfüllen?
Ja, und ich frage mich noch mehr:
sind wir uns denn noch des Verbindenden
hinter allem bewusst?
„Ich bin der Weinstock.
Ihr seid die Rebzweige.“
Viele sind gern selber der Weinstock
und geben vor, was denn die Reben sollen.
Sie wissen ja,
wo es lang geht,
was unsere Kirche rettet,
was „dran“ ist.
Wer nimmt das nicht alles für sich in Anspruch.
Gerade auf sogenannten konservativen Seiten.
Verlieren wir dabei nicht zu oft
die frohe Botschaft Jesu aus dem Blick?
Viola Kohlberger darf nicht kandidieren.
Und wie viele schließen wir aus
– ob bei der Kommunion
oder von geistlichen Ämtern?
Wie viele schließen wir aus
wegen ihres Geschlechts,
ihrer sexuellen Orientierung?
Die Liste lässt sich fortsetzen …
Und es meint nicht nur „die Kirche“,
sondern jeden und jede von uns.
Auch mich.
Und das, obwohl das Evangelium heute
uns wieder einmal so deutlich macht,
dass wir doch gemeinsam Reben sind
am Weinstock Gottes?
Glauben bedeutet,
auf den zu vertrauen,
der sich selbst offenbart hat als der ICH BIN DER ICH BIN DA.
Der da ist für alle.
Für seine geliebten Kinder.
Und das muss Folgen haben,
soll es nicht bei einer versunkenen Innerlichkeit bleiben.
Unser Glaube soll Frucht bringen
wie die Reben am Weinstock.
Unser Glaube soll uns offen machen
für die Menschen um uns herum.
Er soll uns bereit machen,
auf sie zuzugehen,
zu helfen, zu unterstützen,
vielleicht einfach einmal einander zuzuhören.
Glauben heißt zu lieben,
wie Jesus geliebt hat und liebt.
Ohne Voraussetzungen.
Obwohl wir, wie ich es gestern las,
so „vollkommen unvollkommen“ sind.
Ob wir es nicht einfach einmal wieder versuchen
– gerade mit denen, die uns nicht so liegen …?
Ob nicht doch wieder etwas von der Geistkraft Gottes
in unserer Kirche lebendig wird,
wir nicht doch irgendwann den Streit sein lassen,
damit „Frieden“ wird?
Ein Text von Adalbert Ludwig Balling:
Ein bisschen Christ sein,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen lieben,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen Solidarität,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen Mitleid,
aber nur ein bisschen.
Ein bisschen von allem,
aber ja kein bisschen zuviel!
Du Bisschen-Mensch!
Wehe,
würde Gott
dich nur bisschen-weise
lieben!
Predigt am 4. Ostersonntag (21.04.2024)
Predigtvon P. Abraham Fischer OSB
Ich kann mit dieser Kreuzigung nichts anfangen, sagte mir ein Freund, das Leben Jesu sei doch aussagekräftig und der Wanderrabbi Joshua sei auch ein beeindruckender Prediger gewesen. Aber dass Jesus sterben musste und dann noch diesen Tod, das entzog sich seiner Vorstellung. Und dass er das freiwillig getan habe, ohne Kampf, ohne Widerspruch, das befremde ihn. Ostern würde er auch gerne feiern, aber Karfreitag?
In der Rede vom guten Hirten geht es genau darum: Leben hinzugeben und das freiwillig.
Die Frage berührt die Menschen nicht nur im Bedauern um den Tod Jesu. Warum musste der Gottessohn sterben? Und warum musste er am Kreuz hingerichtet werden?
Sie berührt auch unser eigenes Leben. Früher betete man um einen guten Tod und nahm damit die Sterblichkeit des Lebens bewusst in den Blick. Und wir ahnen: Sterben ist loslassen, ausatmen, sein lassen. Für manche gehört ein Aufbäumen, ein Kampf dazu, andere willigen still ein und gehen hinüber. Das Geheimnis ist, dass Tod uns nicht einfach geschieht und wir eine Art Opfer sind, sondern dass jeder Mensch seinen Tod stirbt. Einzig die Tatsache, dass das Schicksal des sicheren Todes uns allen dräut, verbindet alle Menschen.
Welche Rolle nun spielt die Hingabe des Hirten Jesu in diesem Zusammenhang?
Was will uns Gott sagen?
Die alte Theologie schon hat sich diese Fragen gestellt und ihre Antwort versucht: Damit die Menschen gerettet werden, musste Gottes Sohn sterben. Es brauchte ein Opfer, das uns loskauft. Blut gegen Blut – Auge um Auge – Zahn um Zahn. Der Gedanke des Opfers, das sich freiwillig gibt, klingt auch in der Rede Jesu über den guten Hirten an. Er gibt das Leben für die Schafe. Und er gibt es freiwillig.
Das ist erst einmal ein starker Gedanke. Etwas nicht notgedrungen, nicht erzwungen tun, und dann gegen unser Wirtschaftsdenken: Er gibt sein Leben, ohne etwas dafür zu bekommen. Eine Nuance an dem Gedanken ist sehr wichtig: Jesus schenkt sich – opfert sich. Er wird nicht geopfert. Das ist passiv, wenn das Leben geraubt wird. Jesus bleibt aktiv. Er willigt innerlich ein – wenn auch in Angst, Zweifel und Einsamkeit.
Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin.
Unser Verhältnis zum Leben ist ein anderes. Wir vertrauen dem evolutionären Lebenstrieb und gehen davon aus, dass wir unser Leben selber gestalten, dass wir unser Überleben sichern. Wir erleben uns als Besitzende des Lebens, wollen aktiv sein, was meint, dass wir das Leben festhalten und meinen, es zu bewahren.
Und im innersten Herzen wissen wir, dass wir es nicht verhindern können, das Sterben – unser Sterben. Wir tragen das Todesleiden an unserem Leib – sind und bleiben Kreaturen – Geschaffene, Abhängige, Sterbliche.
Es ist nicht zu verschweigen, dass wir Verlängerung und Hinauszögerung erforschen und organisieren.
Eine berechtigte Reaktion ist unser Forscherdrang, der Kampf um das Leben, alle Strategie, den Tod wenn schon nicht zu besiegen so doch hinauszuschieben oder gar auszublenden.
Jesus aber verdrängt nichts. Er sieht den Tatsachen ins Auge. Er ist eben ganz Mensch geworden, der einzig wirklich göttliche. Er begreift, wer er ist und was sein Auftrag wird: Hirte sein, der sein Leben hingibt. So sehr der Tod erschüttern mag, er ist ja doch nicht sinnlos. So sehr unser Tod uns auch verängstigen mag, ist er sinnlos?
Jesus musste sterben, weil der Tod zum Menschsein gehört. Der Schandtod am Kreuz, das ungerechte Urteil, all das vertieft seinen Tod. Er stirbt den sozialen Tod, indem er als Verbrecher hingerichtet wird, er stirbt den rechtlichen Tod, indem er verurteilt wird, und er stirbt den emotionalen Tod in der Angst am Ölberg, dem Verlassensein von den schlafenden Gefährten, und dann stirbt er auch den Tod allen Lebens.
Jesus stirbt alle Tode. Alle unsere Tode. Er ist wirklich Mensch geworden.
Jesus ist als Lebender schon in den Abgrund des Todes hinabgestiegen. Und sein Schicksal, mit der Menschwerdung auch dem Tode verfallen zu sein, trägt er durch bis ans Ende.
Zwei Kräfte nun setzt Jesus seiner Sterblichkeit entgegen: die erste ist die Hoffnung. Leben folgt einer andersartigen Logik, als der menschengemachte Individualismus. Leben ist Kollektiv.
Es gibt nicht das Einzelne, sondern nur das Größere, die Gattung, die Spezies. Dafür lohnt es sich zu leben und dafür lohnt sich auch die Hingabe des Lebens an die Nachkommen. Ein archaischer Gedanke, dass wir in unseren Kindern weiterleben. Wir sollten das nicht unterschätzen. Unser gesamtes soziales System beruht darauf. Der Generationenvertrag, die Fürsorge, der Stolz und die Freude, wenn das Leben in den Nachkommen wächst.
Und die zweite Kraft gegen die Sterblichkeit ist die Freiheit. Solange wir den Tod einfach ignorieren, verschaffen wir uns eine Fristverlängerung – ja.
Aber wir verknüpfen unser Dasein auch mit einer Angst, die im Dunkel lauert. Dumpf kann sie uns beherrschen, die Lebenshektik, nicht genug zu bekommen, raubt den Atem und macht das Herz eng.
Wir können uns von der Angst zum Tode nur befreien, wenn wir so frei werden, dass wir sie annehmen. – Ein großes Wort, ich weiß, und so schwer zu leben. Solange wir jung sind, scheint es leichter, wenn eben noch so viele Jahre vor uns liegen. Beginnt der Zeitvorrat aber zu schwinden, dann erwachen wir in einer verstörenden Realität.
Wenn wir Menschen also am Ende vor einer solchen Herausforderung stehen, dann macht es Sinn, sich bestens vorzubereiten und ganz schlicht und einfach zu üben.
In vielen alltäglichen Zusammenhängen erleben wir Endlichkeit und so etwas wie Tod. Wir können das annehmen als Übung für das große Loslassen. Wenn etwas nicht gleich klappt, wenn etwas so völlig quer läuft, das sind die Widerwärtigkeiten.
Das Hirtenamt – auch in der Kirche sollten wir uns diese Zusammenhänge immer wieder verdeutlichen, erklären und mit dem Lebensbeispiel nahebringen.
Jesus, der wahre Hirt der Kirche aber sagt uns:
Verbinden sich die beiden Kräfte Hoffnung und Freiheit, dann geschieht das Wunder, zu dem nur Menschen fähig sind: Wir teilen und spüren, dass wir reicher werden. Wir sterben füreinander, werden Brot für das Leben der Welt. Amen, seien wir es!
Predigt am 2. Ostersonntag (07.04.2024)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
„Was du auch sagst, ich fall dir ins Wort!
Wohin du auch gehst, ich bin immer schon dort!
Nimm’s einfach hin! Es gibt vor mir kein Entrinnen.
Versuch’s gar nicht erst, es hat keinen Sinn.
Du kannst dir noch so schöne Luftschlösser zimmern,
ich werde sie doch immer wieder zertrümmern!
Jeden Hoffnungsschimmer werd ich im Keim ersticken
und jeden Strohhalm, nach dem du greifst, einfach zerknicken!
Ich such dich heim, und das nicht zu knapp!
Und du kannst dir sicher sein, du schüttelst mich nicht ab.
All deine Bemühungen laufen ins Leere,
denn ich komm mit Vergnügen dir zuhauf in die Quere!
Und welch ein Pech! Niemand rettet dich!
Ich mach dir durch die Rechnung einen fetten Strich.
Da hilft dir auch kein Urvertrauen.
Ich werd tagaus und tagein dir die Tour versauen
mit meinem Gift, das ich dir ins Bewusstsein träufel,
ich listiger, illustrer Teufel!
Ich weiß, du kennst mich gut:
Ich bin der Zweifel!“
So besingt der Liedermacher Bodo Wartke in seinem Lied „Zweifel und Zuversicht“ den Zweifel. In einem fiktiven Dialog, der sich in jedem Menschen abspielt, lässt er Zweifel und Zuversicht zu Wort kommen und miteinander um die Deutungshoheit im Menschen wetteifern. Gerade in den Auferstehungserzählungen der Evangelien, besonders im heutigen Evangelium, hat der Zweifel seinen Platz – und darf, ja muss seinen Platz haben. Denn die Auferstehung Jesu war etwas so Neues, vorher noch nicht Dagewesenes, im wahrsten Sinn des Wortes Un-Glaubliches, dass der Zweifel darin vorkommen muss. Und der Zweifel ist nicht nur auf Thomas beschränkt, der dem Evangelium nach bei der ersten Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen nicht dabei war und nun das Ereignis bezweifelt, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen und seinen Finger in die Seitenwunde Jesu gelegt hat. Ja, vor dem Zweifel gibt es kein Entrinnen, wie Bodo Wartke singt. Wohin wir auch gehen, wie im alten Spiel vom Hasen und vom Igel ist er „immer schon da“ – auch heute noch. Ein Glaube ohne Zweifel, ein Glaube, der nicht durch die Not des Zweifels hindurchgegangen ist, droht ins Fundamentalistische zu kippen.
Der Auferstehungsglaube der ersten Jünger ist kein triumphalistischer Glaube, sondern ein trotziger Glaube, der sich immer wieder vom Zweifel anfragen lässt, der das Verstehen sucht, der sich nicht zufriedengibt mit billigen Erklärungen. Er ist ein Glaube, der auch nicht hinter das zurückfallen will, was Jesus in seinem Leben verkündet hat: eine Gerechtigkeit, die vor Leid und Tod nicht haltmacht, die den Finger in die Wunde legt und nicht vorschnell bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“
Und doch kann der Zweifel, wenn er für sich bleibt, lähmend sein und in die Verzweiflung führen, gerade wenn wir uns die heutige Welt- und Kirchenlage ansehen. Sensiblere Gemüter, die sich vom Leid der Welt anfragen und betreffen lassen, spüren genau, was im Lied als Selbstaussage des Zweifels besungen wird: „Welch ein Pech! Niemand rettet dich! Ich mach dir durch die Rechnung einen fetten Strich!“
Aber da gibt es ja auch noch die zweite Stimme in unserem Innern, die Bodo Wartke besingt. Er nennt sie Zuversicht und meint damit keine billige Vertröstung, der das Leid und die Verzweiflung fremd sind. Hören wir nun auch die Zuversicht sprechen:
„Was du auch tust, hab keine Angst zu versagen!
Wohin du auch gehst, ich werde dich tragen!
Wir kriegen das hin! Es kann dir gelingen!
Erst recht dann, wenn ich bei dir bin.
Ich werd vorbehaltlos dir den Rücken stärken,
und schon sehr bald wirst du verzückt bemerken:
Das Leben steckt schier voller Möglichkeiten!
Und ich werde dir dafür den Weg bereiten!
Hab Vertrauen! Auf mich kannst du bauen!
Und mit staunenden Augen in die Zukunft schauen!
Es wird Zeit, dass wir dir die Flügel entstauben
und von nun an dir an dich zu glauben erlauben.
Zeit zu handeln! Hab Mut!
Und glaub mir: der Wandel tut dir ganz gut!
Ab jetzt ist Schluss mit dem bekloppten Zynismus!
Wie wär’s mit ’nem Schuss Optimismus?
Ich bin die, die, wenn der Vesuv ausbricht,
dich noch ans rettende Ufer kriegt.
Ich weiß, du kennst auch mich:
Ich bin die Zuversicht.“
„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus zu Thomas und zu uns allen, die wir Jüngerinnen und Jünger zweiter Hand sind, die wir also den Auferstandenen nicht physisch gesehen haben, die wir aber doch unsere Erfahrungen mit ihm machen können. Selig sind die, die zuversichtlich sind durch den Zweifel hindurch, die sich getragen fühlen, auch wenn nichts zu gelingen scheint, die immer noch das Leben mit den unendlich vielen Möglichkeiten sehen.
„Es wird Zeit, Gesicht zu zeigen! Das heißt, du musst dich entscheiden. Wen wählst du von uns beiden?“ So die Frage am Ende des Liedes. Auch von uns ist immer neu die Entscheidung gefordert, und vermutlich wird sie von Tag zu Tag unterschiedlich aussehen. Manchmal überwiegt der Zweifel, manchmal die Zuversicht. Aber vielleicht ist der Osterglaube genau dies: ein zweifelnder Glaube, ein Glaube mit Zweifel UND Zuversicht. AMEN.
Copyright des Liedtextes: https://www.bodowartke.de/medien/775
Predigt an Ostersonntag (31.03.2024)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Eine kaiserliche Botschaft
Vom berühmten Schriftsteller Franz Kafka, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt, ist eine kurze Geschichte überliefert, weniger als eine halbe Seite lang, die von einem Kaiser erzählt, der auf dem Sterbebett einem Boten eine wichtige Botschaft anvertraut – „eine kaiserliche Botschaft“. „So sehr war ihm an ihr gelegen, dass er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ“. Und der Bote macht sich auch gleich voller Elan auf den Weg, aber dann – typisch Kafka – wird es unheimlich und dunkel; die Literaturwissenschaft hat für diesen Stil ein eigenes Wort erfunden: „kafkaesk“. Der Bote kommt nicht so recht vorwärts, zu viele Menschen stehen ihm im Weg, zu viele Häuser, „wie nutzlos müht er sich ab“, und es scheint, als könnte er den riesigen Palast niemals durchqueren. Und selbst wenn er aus dem Palast herauskäme, und gleich heißt es wieder einschränkend: „aber niemals, niemals kann es geschehen“, so lautet das Fazit der kurzen Erzählung: „Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“
„Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten.“ Ist das nicht eine treffende Beschreibung dessen, wie es uns heute in der Kirche oft zu ergehen scheint? Auch uns ist ja eine wahrhaft kaiserliche Botschaft anvertraut, eine Botschaft des Lebens, wie sie der ersten Zeugin Maria von Magdala anvertraut wurde. Aber oft scheint es doch eher so zu sein, dass wir eher mit der Botschaft eines Toten unterwegs sind, sei es, dass für die, die sie hören, diese Botschaft nichts mit ihrem Leben zu tun hat, sei es, dass die, die diese Botschaft überbringen sollen, unglaubwürdig geworden sind, weil sie sich in Streitigkeiten über den Inhalt dieser Botschaft verlieren oder darüber, wer würdig ist, diese Botschaft zu hören. Die Boten – wir – dringen mit unserer Botschaft nicht mehr durch zu den Menschen, weil der Palast so hoch und unüberwindlich geworden ist, dass er den Weg versperrt. Oder wir stolpern über unsere feinen Gewänder und stehen uns letztlich selbst im Weg. Oder wir versuchen, den festzuhalten, den wir verkünden wollen, und stutzen ihn so auf unser Maß zurecht. Ist also diese ganze Sache mit Ostern nur ein Traum, ein subjektives Hirngespinst derer, die Zeit genug haben, am Fenster zu sitzen und vor sich hinzuträumen?
„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ Ich lese diesen letzten Satz aus Kafkas Erzählung gar nicht so negativ. Für mich atmet dieser Satz tatsächlich etwas von der leisen, zarten, österlichen Hoffnung, die Menschen immer wieder hinausgetrieben hat, sie anderen Menschen weiterzusagen. Denn was gibt uns eigentlich das Recht, so abfällig über Träume zu reden? Sind Träume wirklich nur sprichwörtliche Schäume, sind sie nur Hirngespinste, die in unserer hochrationalen Welt nichts zu suchen haben? Wer so denkt, für den ist Religion tatsächlich nur Opium für Menschen, die mit dieser harten Realität nicht zurechtkommen. Wer so denkt, der denkt allerdings auch sehr europäisch, andere würden sagen: kolonialistisch, weil er mit einem Handstreich das hinwegfegt, was für den größten Teil der Menschheit durchaus eine Erkenntnisquelle sein kann: Träume, Visionen, Phantasie. Wer so denkt, der denkt auch sehr unbiblisch, denn in der Bibel sind es oft Menschen, die träumen, die auf einmal die Kreativität zu ganz anderen Lösungen entdecken, ja, die manches Mal auch Lösungen träumen. Es heißt dann lapidar, dass ein Engel zu ihnen im Traum spreche. Und die sich dann auf den Weg machen, ihre Träume in die Tat umzusetzen. Maria Magdalena bleibt nicht weinend am Grab stehen, sondern sie macht sich auf den Weg, wird zur ersten Predigerin der Auferstehung und verändert so die Wirklichkeit.
„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ Und dann kann es vielleicht passieren, dass ich in diesem Traum auf einmal die Mauern meines Palastes, der oft mehr ein Gefängnis als ein Palast ist, überwinde. Und ich werde entdecken, was für unendliche Möglichkeiten diese kaiserliche Botschaft beinhaltet, die mir anvertraut ist, mir schwachen Menschen voller Tränen und Selbstzweifel – und doch angesprochen und beim Namen gerufen. Und ich werde diese frei machende Botschaft allen Menschen weitersagen müssen, ohne Angst vor dem, was „man“ tut oder besser unterlässt. Wie gut, dass es Menschen gibt, die am Fenster sitzen und träumen. Wie gut, dass es Menschen gibt, die den Mut zu träumen nicht aufgegeben haben – und die darüber die Kraft zu kämpfen gewonnen haben – für eine bessere Welt, eine bessere Kirche, eine bessere Gesellschaft.
Mögen wir die kaiserliche Botschaft des Lebens, die uns anvertraut ist, in uns hineinträumen, und mögen wir den Mut finden, diesen Traum vom Leben, das keinen Tod mehr kennt, mit unseren Mitmenschen zu teilen. AMEN.
Predigt in der Osternacht (30.03.2024)
Predigtvon Abt Cosmas Hoffmann OSB
„Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Kirche.
Sie werden antworten: Die Messe.
Frag hundert Katholiken, was das wichtigste ist in der Messe.
Sie werden antworten: Die Wandlung.
Sag hundert Katholiken, dass das wichtigste in der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein: Nein, alles soll so bleiben, wie es ist.“
Dieser pointierte Gedankengang von Lothar Zenetti entlarvt die uns zur Selbstverständlichkeit gewordene Spaltung zwischen dem, was wir in Gebet, Kult und Ritus vollziehen, und dem was unser Lebensgefühl prägt.
Zugleich weist er hintergründig auf die große Bedeutung von Wandlung, wenn Kirche, Glaube und Spiritualität lebendig und belebend sein sollen.
Die Bedeutung der Wandlung in der Messe wird darin deutlich, dass wir gleich nach der Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi, angesichts der gewandelten Gaben dazu aufgefordert werden, das Geheimnis des Glaubens, das mysterium fidei, zu bekennen:
„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit“
Dieses mysterium fidei ist letztlich eine Bekenntnisformel des mysterium paschale, des Paschamysteriums, mit dem der Benediktiner und Liturgiewissenschaftler Odo Casel sowohl die liturgische Feier als auch ihren Inhalt bezeichnete.
„Pascha“ , der Übergang Christi von Leiden und Tod zum Leben, ist für den Laacher Mönch der grundlegende Gehalt des Christentums, des Osterfestes und jeder liturgischen Feier. Am Christen soll sich durch die Feier der Liturgie schon in diesem Leben vollziehen, was sich an Christus vollzogen hat: Der Übergang in das neue Leben mit Christus beim Vater.
Hier ist die Spaltung zwischen Liturgie und Gottesdienst einerseits und dem persönlichen Leben andererseits überwunden. Dieses Denken ist keinesfalls neu, sondern gründet in der Theologie des frühen Christentums und der alten Kirche, mit deren Quellen sich Odo Casel zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts intensiv beschäftigt hat.
Auf diese Weise hat er mit anderen Theologen die Grundlagen für die Entwicklung einer neuen Theologie gelegt, die sich dann im II. Vatikanischen Konzil Bahn brach und in wichtigen Konzilsdokumenten ihren Ausdruck findet .
Von besonderer Bedeutung ist in dieser Theologie der Heilige Geist, so dass manche Kommentatoren des Konzils auch von einer Wiederentdeckung des Heiligen Geistes sprechen.
Dieser Geist ist es, der uns mit Christus verbindet, uns wandelt, um so Christus gleichförmig zu werden. So schreibt Paulus im 1. Korintherbrief: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: … wir werden alle verwandelt werden“ (15,51).
Durch den Geist des Auferstandenen, der uns zuerst durch Taufe und Firmung geschenkt wird, werden wir zu einer neuen Schöpfung, zu neuen Menschen, werden wir, paulinisch gesprochen, von „fleischlichen“ Menschen zu geistlichen Menschen.
Durch den Geist des Auferstandenen wohnt Gott in unseren Seelen, denn so verheißt Jesus seinen Jüngern beim letzten Abendmahl: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Jo 14,23).
Oder in den Worten Gregors des Großen: Gott wohnt durch den Geist „in der Herberge unserer Herzen“ (Homilie 30 zu den Evangelien).
Dieser Geist muss in uns wachsen und sich auswirken, bis der innere, himmlische Mensch zum Vollalter Christi heranreift Christ-sein ist also ein Prozess, ein Christ-werden. Um diesen Prozess in Bewegung zu halten, feiern wir einmal jährlich in der Feier der Kar- und Ostertage das Pascha Christi in entfalteter Form. Doch auch alle übrigen liturgischen Feiern verbinden uns in besonderer Weise mit Christus.
Der Geist Gottes, dessen Wirken wir in den heutigen Lesungen, wie uns zu Beginn des Wortgottesdienstes gesagt wurde, verfolgt haben, kann uns angesichts der Bedrohungen und Herausforderungen unserer Zeit, Beistand, Trost und Stärkung sein. Er ist es, der lebendig macht und aufrichtet.
Darum hat Jesus im Rahmen des letzten Abendmahles seinen Jüngern zugesagt: „ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit“ (Jo 14,16f).
Und als der Auferstandene am Abend des ersten Tages, an dem die Frauen den Jüngern vom leeren Grab erzählt hatten, durch die ängstlich verschlossenen Türen in ihre Mitte trat, „hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Jo 20,22). – Der Heilige Geist als erste Gabe des Auferstandenen.
Von dieser Gabe soll auch die diesjährige Osterkerze künden, bei der Br. Justus die Struktur des großen Fensters hier in der Apsis aufgenommen hat. Morgen, wenn das Licht hindurchfällt, ist dann gut zu erkennen, dass hier der Heilige Geist als Feuer dargestellt ist, das vom Himmel herabfällt. Dahinter steht die Prophezeiung aus dem Buch Joel (3,1): „Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, / eure Alten werden Träume haben / und eure jungen Männer haben Visionen.“
Wagen wir, bewegt vom Geist des Auferstandenen, zu träumen, entwickeln wir Visionen, und haben wir den Mut, uns immer tiefer mit Christus zu verbinden und von seinem Geist beleben, bewegen und wandeln zu lassen.
Die Gedanken zum Wirken des Heiligen Geistes verdanken sich dem Kapitel „Pfingsten“ der Schrift Odo Casels „Das christliche Festmysterium“ (Paderborn 1941), 76-83.
Predigt zum Karfreitag (29.03.2024)
Predigtvon P. Marian Reke OSB
“Es war Nacht.” (Joh 13,30) Der Satz wird schnell überlesen in der Passage, mit der das Johannesevangelium vom Vorabend der Passion Jesu berichtet: von seinem Abschiedsmahl mit den Jüngern, bei dem er ihnen – als sein Vermächtnis – die Füße wäscht. Die Liturgie des Gründonnerstags setzt es Jahr für Jahr in Szene. Ein ambivalenter Moment! In der Predigt der Abendmahlsfeier gestern erfuhr er vorweg eine erhellende Deutung. Was liturgisch nicht gezeigt wird, beschreibt umso eindringlicher Johannes in seinem Evangelium (Joh 13,21ff.): die Geste des Brotteilens, mit der Jesus den Verrat – seine bevorstehende Auslieferung – durch Judas nicht nur aufdeckt, sondern geradezu provoziert.
“Als Judas den Bissen Brot, den Jesus ihm gab, gegessen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht.” Auch wenn es so klingt, ist dieser Hinweis für den Verfasser des 4. Evangeliums keine Randbemerkung. „Draußen und Nacht“ – das ist mehr als eine bloße Orts- und Zeitangabe, da verdichten sich innere Erfahrungen. Draußen und Nacht sind Bilder des Menschen und seiner Welt. Zunächst dieses Menschen namens Judas und seiner Welt – in der Nachkommenschaft des Kain gewissermaßen, der verräterischen Gegenwelt des Brudermordes. Doch steht Judas auch für die Versuchbarkeit des Menschen überhaupt.
Draußen und Nacht. Dahinein bricht nach dem Abendmahl auch Jesus auf – mit seinen Gefährten. Doch nie und nirgends war er so einsam wie hier und jetzt. In ihm selbst ist Nacht, seit Judas ging. Er selbst ist innerlich draußen. So lässt er seine Gefährten auch bald zurück. Drei nimmt er noch mit – wie in einer letzten Anklammerung, dann trennt er sich auch von ihnen.
Einen Steinwurf weit, schreibt Johannes. Einen Steinwurf weit?! Das heißt doch: Jesus geht an den Ort der Sünder, wo man sie steinigt, wo man die Schuldigen mit dem Stein gerade noch treffen kann. Kennen wir das nicht?! Aus der Distanz der Selbstgerechtigkeit Urteile schleudernd – wie Steine.
Draußen inmitten der Nacht will Jesus sich finden lassen – von Judas, und er wird ihn Freund nennen. Dieses Weggehen Jesu von seinen Gefährten – Schritt für Schritt – bis ans Kreuz, wo er schreien wird, dieses Weggehen nach draußen in die Nacht, das zeigt Jesus noch einmal als den, der gekommen ist, das Verlorene zu suchen (vgl. Lk 19,9). Das zeigt ihn als den, der in den Bannkreis der Sünde hineingeht, an den Ort der Steinigung, um den Sünder Freund zu nennen. Er tut es um den Preis der Einsamkeit. Es kostet ihn die Gemeinschaft der Menschen und es wird ihn die Erfahrung der Nähe Gottes kosten, ihre Vertrautheit: Mein Gott, mein Gott – auch Du!?
In jener äußersten Stunde, an jenem äußersten Ort wird Jesu Einsamkeit, seine Verlassenheit am Kreuz, durchscheinend für den Blick des Glaubens. Das gottmenschliche Geheimnis schimmert auf: der Mensch in Gott und Gott im Menschen. Sie lassen einander nicht außen vor. Ent-äußerung im Wortsinn! In Jesus Christus hat Gott sich selbst verlassen – auf den Menschen zu, ohne jeden Vorbehalt, wie es der Philipperhymnus (Phil 2,5ff.) besingt. Und: In Jesus Christus ist der Mensch vorbehaltlos zu Gott hin aufgebrochen, wovon das „Halt mich nicht fest!“ (Joh 20,17) am Ostermorgen spricht.
Jesus am Kreuz – die Karfreitagsikone der Passion! Gleich wird sie uns vor Augen gestellt. Ostern aber müsste das Kreuz wie am Karsamstag eigentlich leer bleiben, weil die Passion der Liebe Pascha ist, ein Übergang – der Weg, der über alle Wege hinausführt in die Weite Gottes (vgl. 1 Kor 12,31 ff.). Das leere Kreuz zeigt als Wegweiser der Liebe über sich hinaus – auf Himmel und Erde, die oft in „Nacht“ getaucht sind, und zu den Menschen, vor allem zu denen, die „draußen“, die außen vor sind.
Draußen inmitten der Nacht – da irrt Judas umher, da flieht immer noch Kain. Draußen inmitten der Nacht ‑ da kann ich auf das Kreuz stoßen, mich an seinem Fuß niederlassen und ruhig werden. Ich und du – mit Spuren vom Kainsmal, mit Judasschatten in der Seele wie jeder Mensch. Vielleicht werden wir hören, was nach dem Schrei sein Schweigen jedem und jeder von uns sagen will:
Freund, wozu bist du gekommen?
Mir bricht das Herz.
Jene Zwiespältigkeit, die dich sündigen lässt,
zieht sich auch mitten durch mich.
Gott hat mich zur Sünde gemacht,
damit alle in mir Gerechtigkeit Gottes werden (vgl. 2 Kor 5,21).
Sieh mich an! Wer mich sieht, sieht Gott.
Gott reißt den Riss durch die Schöpfung
in sich hinein und das zerreißt auch mir das Herz.
In mir bricht ihm das Herz,
bricht auf in grenzenlose Weite.
Du zweifelst?
Stoß zu mit der Lanze des Zweifels,
wenn du Gewissheit willst!
Mein gebrochenes Herz
– die offene Wunde –
soll dir ein Zeichen sein, ein zuverlässiges Zeugnis,
damit du glauben kannst:
Mitten in Gott ist der Ort der Sünder,
wo sie kein Stein mehr tödlich treffen kann.
Kein steinharter Vorwurf,
nicht einmal der Steinwurf der Selbstverurteilung.
Kain muss nicht länger fliehen,
Judas muss nicht mehr verzweifeln.
Und du – auf deinen Irrwegen zweifelnden Fliehens
willst du nicht umkehren, willst du nicht heimkehren
– ins Vertrauen?!
Predigt zum Gründonnerstag (28.03.2024)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Der Liebe bedürftig und zur Liebe fähig
I.
„In jeder Generation ist jedermann verpflichtet, sich selbst so anzusehen, als wäre er dabei gewesen.“ Dieser Satz stammt aus der jüdischen Tradition; er macht deutlich, wie ein glaubender Mensch mit der überlieferten Tradition umgehen soll: Mach dir zu eigen, was vergangene Generationen erfahren und gelernt haben. Sei dir darüber im Klaren, dass es dabei nicht um einen sentimentalen Ausflug in die „gute alte Zeit“ geht, sondern um dich, um uns – hier und jetzt.
„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“
lässt Goethe seinen Faust sagen, als der nach einem Ausweg aus der Enge seiner einsamen Selbstbezogenheit sucht.
Die Tage von Gründonnerstag bis Ostersonntag sind der Erinnerung, besser der Verinnerlichung, des Lebens, Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu gewidmet; sie bieten eine überaus intensive Verdichtung von Lebens- und Glaubenserfahrungen, die es zu „erwerben“ gilt, damit sie uns für den aufgegebenen Augenblick nicht „belasten“ sondern „nützen“.
II.
Unter der Perspektive der Bedeutung für uns möchte ich heute Abend die Person des Petrus in den Blick nehmen, um mit ihm und von ihm zu lernen, wie Leben und Glauben zueinander finden.
In dem Abschnitt aus dem Johannesevangelium (Joh 13,1-15), den wir gerade gehört haben, sieht Petrus Jesus auf sich zukommen, sein Idol, in dessen Windschatten er groß herauskommen will. Ausgerechnet der möchte ihm die Füße waschen. Mehr an Zuneigung, an Wertschätzung, an Liebe als dieses Angebot der Fußwaschung ist kaum vorstellbar. Das irritiert Petrus zutiefst.
Unsäglich ist deshalb die Verdrehtheit und Verstocktheit, mit der er auf dieses Angebot reagiert: „Du Herr, willst mir die Füße waschen? … Niemals sollst Du mir die Füße waschen“ schleudert Petrus Jesus ins Gesicht. – Jesus muss sich gefühlt haben wie einer, dem man mit lautem Getöse die Tür vor der Nase zudonnert: „Niemals sollst Du mir die Füße waschen.“ Das bedeutet: Ich lasse dich nicht an mich heran, untersteh‘ dich, mir zu nahe zu kommen. Mehr Misstrauen geht nicht.
Gott sei Dank reagiert Jesus auf diese brutale Zurückweisung nicht so, wie das vermutlich in den meisten Beziehungssituationen passieren würde: Er dreht sich nicht um und zieht nicht beleidigt und wutschnaubend ab. Vielmehr unternimmt er mit größtmöglicher Deutlichkeit einen neuen Anlauf: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ Das bedeutet: Petrus, ist dir wirklich klar, was du da gerade tust? Du schneidest dich von dem ab, was dir doch als Grund und Kraft und Ziel deines Lebens aufgegangen ist. Willst du das wirklich? Das endlich sitzt bei Petrus – so massiv, dass er schlagartig aufs komplette Gegenteil umschaltet: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt.“ Petrus hat verstanden – zumindest für diesen Augenblick: Gott ernst zu nehmen als Grund und Weg und Ziel des Lebens bedeutet, sich von ihm die Füße waschen zu lassen, ihn als Diener – nicht als Machthaber – an sich anzunehmen. Gott zu verehren heißt, sich nicht vor ihm zu schämen, keine Angst vor ihm zu haben. Gottes-dienst ist nicht verhuschte Unterwürfigkeit sondern grenzenloses Vertrauen!
Das ist im Kern anders als alles bisher Dagewesene – damals und heute immer noch. Hier unterscheidet sich der Glaube an Jesus Christus wirklich und grundlegend von allem, was es sonst im Bereich der Religionen gab und gibt. So mit Gott in Beziehung zu sein, war für die meisten Menschen im Umfeld Jesu noch viel unfassbarer als für Petrus. Sie geraten aufgrund seiner Art Gott zu verkörpern in blinde Aggression und nageln ihn ans Kreuz. Aus ihrer Machthabersicht ist das absolut folgerichtig: Wo kämen wir denn hin, wenn plötzlich Dienen und Vertrauen wirkungsvoller wären als Befehlen und Kontrollieren?
III.
Soweit, was uns in der Szene der Fußwaschung als „Erbe“ hinterlassen ist. Wie können wir es im Sinne Goethes „erwerben“? – Ich schlage vor, uns auf den Augenblick zu konzentrieren, in dem die Haltung des Petrus umschlägt, weil er glasklar spürt, was auf dem Spiel steht; als er innehält und sich dazu durchringt, Jesus an sich heranzulassen. Es muss ein atemberaubender Moment gewesen sein!
In dem Maß, wie wir dieses „Erbe“ des Petrus „erwerben“, dürfte es auch für uns atemberaubend werden! Haben wir doch ganz anderes mit der Muttermilch aufgesogen:
– dass keiner besser für uns sorgen kann als wir selbst.
– dass es „peinlich“ ist, Zuwendung annehmen zu „müssen“, ohne zu bezahlen.
– dass es darauf ankommt, oben zu sein und oben zu bleiben.
– dass die Mitgeschöpfe und die Mitmenschen mir als „Untergeschöpfe“ und „Untermenschen“ zur beliebigen Verfügung zu stehen haben, weil meine Selbstbezogenheit mich zwingt, den „Obermenschen“ zu spielen.
Mit Petrus innezuhalten bedeutet, die Einsicht an mich heranzulassen, dass da wo ich mich gegenüber der Zuwendung durch Mensch und Gott erhaben und unerreichbar mache, dass da die Welt aus den Fugen gerät und eine zerstörte Schöpfung, eine nicht zu unterbrechende Spirale von Missbrauch, Gewalt und Krieg die zwangsläufige Folge ist. Die dramatische Weltlage dieser Tage lässt uns das mit aller erdenklichen Deutlichkeit spüren und erleiden.
Zu „erwerben“, was wir in der atemberaubenden Begegnung zwischen Petrus und Jesus bei der Fußwaschung „ererbt“ haben, heißt:
Mensch, gib den Widerstand auf gegen das, was Gott eigentlich gewollt hat, als er seine Schöpfung und dich als sein Geschöpf ins Dasein gestellt hat.
Fang an, deine Bestimmung darin zu sehen, dich von Gott und den Menschen so lieben zu lassen, dass du eine Liebende, ein Liebender wirst.
Dein Dasein hat nicht dann sein Ziel erreicht, wenn du andere zwingen kannst, dir die Füße zu waschen. Dein Dasein ist vielmehr da am Ziel, wo Gott dir die Füße waschen darf und du deshalb nicht dein Gesicht verlierst, wenn du deinen Menschengeschwistern die Füße wäschst. –
Kurz: Mensch „erwirb“ endlich, was du „ererbt“ hast: Der Liebe bedürftig und zur Liebe fähig zu sein!
Predigt am Benediktsfest (21.03.2024)
Predigtvon Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz, Paderborn
Liebe Schwestern und Brüder,
in den vergangenen Tagen habe ich unzähligen Menschen die Hand geschüttelt. Sie haben sich bei mir mit Namen vorgestellt. Unmöglich, sich die Namen zu merken. Das hat auch niemand erwartet – erst recht nicht im Trubel rund um meine Amtseinführung. Dann waren aber auch noch intensivere Begegnungen dabei – im Bischofshaus, in kleineren Kreisen im Generalvikariat oder bei sonstigen Gelegenheiten – auch da das gleiche Bild: Ich schüttele Hände. Man stellt sich mit Namen vor. Bei solchen Gelegenheiten müsste ich mir die Namen merken. Aber das ist eine Schwäche: Es fällt mir nicht leicht, mir Namen zu merken. Ich höre den Namen. Ich habe ihn auch verstanden. Aber er ist gleich wieder weg. Ich höre und höre dennoch nicht. Vielleicht kennen Sie eine ähnliche Erfahrung aus anderen Zusammenhängen: Wenn man als Familie zusammen bei Tisch sitzt, es wird erzählt. Man selbst ist aber mit den Gedanken ganz woanders und erschrickt, wenn man plötzlich hört: „Du hörst mir ja gar nicht zu!“ Ich höre und höre dennoch nicht. Und wie nervig sind diejenigen Gesprächspartner, die einem ins Wort fallen, nicht zuhören, sondern sofort beginnen von sich zu erzählen. Die fragen, wie es einem geht und die Antwort gar nicht abwarten. Auch sie hören und hören dennoch nicht.
Mit dem richtigen Hören scheint das so eine Sache zu sein. Wir hören, was wir hören wollen. Wir überhören, was wir nicht hören wollen. Wir hören. Und das Gehörte verflüchtigt sich. Da hat es das Bild einfacher: Man sieht etwas vor Augen. Der Schall, den wir hören, verflüchtigt sich. Das Bild, das wir sehen, bleibt. Das heißt, die Sichtbarkeit eines Gegenstands verleitet immer ziemlich dazu, ihn als gegeben und fassbar hinzunehmen. Der Philosoph Hans Blumenberg hat einmal gesagt, dass mit der Aufklärung die optischen Metaphern immer weiter an Bedeutung gewonnen haben. Gleichzeitig hat dann ein Begriff wie Evidenz, also der Sichtbarkeit, für die Bestimmung des Wahrheitsbegriffs an Bedeutung gewonnen. Die Wahrheit ist das, was ich klar vor Augen habe. Aber das Ohr neigt schon aufgrund der Flüchtigkeit des „nur“ Gehörten dazu, das Wahrgenommene auch stärker zu hinterfragen und hat damit ein vielleicht kritischeres Potenzial als das Auge. Dennoch – in unserer Geistes- und Kulturgeschichte fristet das Hören als Weg der Erkenntnis und der Lebensbewältigung eine eher kümmerliche Existenz. Das Hören wurde zumindest lange unterschätzt.
In der jüdischen und christlichen Überlieferung stand aber eigentlich das gesprochene Wort an erster Stelle. Das Verbot bildlicher Darstellungen Gottes bei den Juden richtete sich gerade gegen den Götzendienst, dem das Bild Vorschub leisten würde. Glaube kommt eben vom Hören und nicht vom Sehen oder vom Festhaltenwollen oder Ergreifenkönnen.
Nicht von ungefähr hat der heilige Benedikt in seiner Ordensregel an den Beginn als Prolog einen entscheidenden Satz gestellt, der wie eine Überschrift gelten kann für den, der Gott sucht. Benedikt sagt: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens!“ Es ist quasi eine „Kurzformel“ des benediktinischen Lebens. Höre – neige das Ohr! – wie viel Respekt für mein Gegenüber ist in diesem Wort enthalten – das heißt: mit sensibler Aufmerksamkeit sich respektvoll dem anderen zuzuwenden.
Benedikt geht es darum, das Hören zu einer Grundhaltung des Miteinanders, des gemeinsamen Lebens zu machen. Deshalb geht es nicht um ein einfaches akustisches Hören. Es geht um Verinnerlichung. Darum sagt Benedikt: Neige das Ohr deines Herzens! Das bloße Ohr reicht nicht, wenn das Herz weit weg ist. Ein Hörender werden, das heißt: von Grund auf bereit zu sein, sich auch belehren, sich auch beschenken zu lassen, sich nicht taub zu stellen und nur das eigene gelten lassen. Mit der Option, dass der andere mit dem Gesagten im Recht sein könnte. Nur so können wir im Hören einander die Wahrheit hinüberreichen! Wie es bei Hölderlin heißt: „Viel hat erfahren / seit ein Gespräch wir sind / der Mensch“.
Diese geistliche Tugend des Hörens mit dem Herzen verändert unsere Art, aufeinander zu- und miteinander umzugehen. Man hat doch den Eindruck, dass es derzeit im gesellschaftlichen Diskurs – und auch innerhalb unsrer Kirche – zu einer Grundhaltung geworden ist, dass man meint: Ich muss möglichst zugespitzt meine eigene Position zu Gehör bringen, damit ich überhaupt gehört werde. So entsteht der Eindruck, dass wir mehr damit beschäftigt sind, uns zu „positionieren“ als wirklich auf den anderen hinzuhören. Man bekommt leicht das Gefühl wie bei einem Gespräch, bei dem alle gleichzeitig sprechen, keiner aber dem anderen wirklich zuhört. Ist es das, was uns so frustriert und weshalb wir nicht weiterkommen?
Richtiges Hören fordert mich heraus, beim Hören nicht sofort damit beschäftigt zu sein, wie kompatibel das Gesagte mit meiner eigenen Position ist. Hören können heißt, meine Aufmerksamkeit von mir selbst weg auf den anderen hin zu lenken. Es ist eine radikale Wertschätzung des Menschen, mit dem ich jetzt gerade zu tun habe. Ihm das erste Wort zu überlassen, zeigt, dass ich ihn achte und respektiere. Nur wo ich versuche, mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen, werde ich wirklich zuhören können, werde ich vor allen Dingen eine Sensibilität auch dafür bekommen, was „zwischen den Zeilen“ oder auch nicht gesagt wird. Der gute Zuhörer ist fähig, auch das Unausgesprochene mitzuhören! Erst das führt dazu, dass der andere sich verstanden fühlt. Erst dann kann das Gespräch sich weiterentwickeln. Deswegen gehört die Fähigkeit, still sein zu können, zum Hören mit dazu. Stille und Hören sind Tugenden des Gebets!
Mit dieser geistlichen Grundhaltung beschreibt Papst Franziskus immer wieder Synodalität als „Stil der Kirche“. Ein synodaler Stil der Kirche, wie Papst Franziskus ihn versteht, verwirklicht sich für ihn in drei Schritten, nämlich: „… in der Begegnung, im Einander-Zuhören und in der Unterscheidung.“ Papst Franziskus sagt: „Synodalität setzt das Zuhören voraus: Wir müssen das Zuhören in der Kirche entwickeln. Auf diese Weise zeigt Gott uns den Weg, dem wir folgen sollen, indem er uns aus unseren Gewohnheiten herausführt und uns auffordert, neue Wege zu gehen wie Abraham. Wir müssen Gott zuhören, wenn er zu uns spricht, und dürfen ihn nicht nur abgelenkt hören. (…) Es ist das Hören auf sein Wort, das uns zur Unterscheidung befähigt und uns erleuchtet. (…) Es ist diese Veränderung der Herzen, die es uns ermöglichen wird, die Welt zu verändern und das Gesicht der Kirche zu erneuern.“
Das erinnert mich auch an die Bitte des Königs Salomo an Gott, als er seine Verantwortung als König übernimmt. In diesem Augenblick hat er nämlich gerade nicht um Macht und Einfluss, Durchsetzungskraft oder etwas anderes gebetet, sondern er bat Gott „um ein hörendes Herz“ – die Fähigkeit hinhören zu können, ist in den biblischen Schriften von jeher eine Quelle der Weisheit für die Mächtigen.
Auch in der Regel des Heiligen Benedikt kehrt dieser Gedanke wieder, dass sich mit der Bereitschaft und Fähigkeit eines hörenden Herzens verbinden muss, will sie geistliche Autorität sein: Die jungen Mönche sollen auf die Stimme der Älteren hören, die Älteren auf die Stimme der Jüngeren, gemeinsam auf die Stimme des Herrn – nur so gelingt das gemeinschaftliche Leben. Nur so werden eine Gemeinschaft und der Einzelne in ihr zu Gottsuchern. Und allein darauf kommt es an. Eine der großen Weisheiten der Kirchenväter war, niemals etwas anzufangen, ohne vorher den Rat eines anderen gehört zu haben!
Vielleicht verstehen wir jetzt etwas besser, was der Heilige Benedikt meint, wenn er den Mönchen zuruft: „Höre … und neige das Ohr deines Herzens!“
Diese geistliche Tugend ist der Dreh- und Angelpunkt. Sie hält uns in der Einheit zusammen: eine monastische Gemeinschaft wie hier in der Abtei Königsmünster, eine Kirche wie die Kirche in Deutschland mit ihrer synodalen Dynamik und eine Weltkirche, die lernen muss, aufeinander zu hören, um Unterschiede in Einheit leben zu können.
Das gilt aber in gleicher Weise für unser Erzbistum und für mich persönlich auf dem gemeinsamen Weg, der nun begonnen hat: Höre … und neige das Ohr deines Herzens! Das soll auch meine geistliche Haltung, mit der ich mich mit Ihnen auf den Weg machen möchte und um die ich immer wieder im Gebet bitten möchte. Benedikt inspiriert uns, diesen Weg von nun an gemeinsam zu gehen.
Predigt am 1. Fastensonntag (18.02.2024)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Predigttext: Mk 1,12-15
Das Markusevangelium berichtet direkt vor den gerade gehörten Versen von der Taufe Jesu – und die endet so: „Als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“
Im fließenden Originaltext schließen unsere Verse nicht mit dem gehörten schlichten „In jener Zeit …“ an, sondern: „Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste.“ Man kann auch übersetzen: „Und sofort warf ihn der Geist in die Wüste hinaus.“ – Das klingt nach aufbrechender Energie, der Geist treibt buchstäblich kraftvoll zu einem abrupten Wechsel der Szenerie: Der Liebeserklärung des himmlischen Vaters am Jordan folgt unmittelbar der Rauswurf in die Wüste mit der Versuchung des Satans. Diese Dynamik lässt aufhorchen.
Die bei der Taufe offenbarte himmlische Liebeserklärung beschert Jesus von Anfang an kein simples Komfortleben und führt auch nicht direkt zum öffentlichen Wirken Jesu in Galiläa. Der Umweg in und durch die Wüste muss sein, Jesus hat gar keine Wahl, der Geist treibt ihn dorthin – noch scheint er ganz passiv zu sein und wir erfahren auch kein Wort von ihm.
Die Wüste wird für Jesus ein Lernort in einer Welt, wie sie ist – in der auch wir leben. Da gibt es satanisch Böses und alle sind versucht dem nachzugeben und wie Treibgut in diesem üblen Strom mit zu schwimmen oder sogar davon zu profitieren. Aggressive Gewalt – in all ihren Formen – ist die Methode des Bösen. Jesus – und wir – sind herausgefordert, dem zu widerstehen. Viele Menschen taten und tun das und bezahlen es womöglich mit ihrem Leben. Die Kirche nennt solche Menschen Märtyrer und verehrt sie und ihre Gesinnung zu Recht. Der Volksmund hat dafür ein Sprichwort: „Die toten Fische schwimmen mit dem Strom, die Lebendigen dagegen.“
Im Fortgang des Evangeliums erfahren wir, wie es Jesus in der Wüste ergeht: „Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ Wilde Tiere und Engel: Ein Gegensatz? – Oder nur scheinbar? Wilde Tiere versinnbildlichen Kraft und Schönheit der irdischen Natur. Entdeckt Jesus das hier? Auch die ursprüngliche Kraft und natürliche Schönheit seines Menschseins mit allen Sinnen? Wilde Tiere und Engel sind Ausdruck einer im Grunde göttlichen-menschlichen Energie-Einheit. Engel können Jesus dienen, weil Jesus sich irdisch-natürlich ganz für Gott öffnet, nachdem der Himmel sich bei der Taufe ihm geöffnet hat. Da wächst eine intime wechselseitige Beziehung. Der Engeldienst setzt fort, was Jesus schon zuvor bei seiner Taufe grundlegend erfuhr: „Du bist mein geliebter Sohn.“ In Jesus wird das Menschsein in seiner göttlichen Qualität ganz ausgeprägt. Jesus lässt sich ganz lieben – dadurch gereift besteht er die Versuchung des Bösen. Jesus erfährt schon jetzt, lange vor seiner Hinrichtung, sein Leben als unsterbliches, als ewiges, nur in und aus Gott begründetes Leben.
Das wird dann auch sogleich auf die Probe gestellt: Johannes, der ihn gerade noch getauft hatte, wird ausgeliefert – später ermordet – es ist schon ein Vorschein auf Jesu eigene Hinrichtung. Johannes wird ein Opfer willkürlicher Gewalt, er ist der erste Märtyrer. Diesem Bösen begegnet Jesus nicht mit Gegengewalt, sondern es bringt ihn buchstäblich in Bewegung: Er geht nach Galiläa. Jetzt wird er aktiv und teilt sich öffentlich mit: Er verkündet das Evangelium Gottes. Galiläa steht für das konkrete alltägliche Leben der Menschen. Folgerichtig folgt unseren Versen direkt die Berufung der ersten Jünger, die er mitten in ihrer Arbeit als Fischer in seine Nachfolge ruft.
Von hier aus spannt sich ein Bogen bis ans Ende des Markusevangeliums. Dort, im leeren Grab Jesu, werden die Frauen beauftragt zu gehen und zu verkünden: „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Am Ende des Evangeliums angekommen, hat der Leser umfassend gelernt, was es bedeutet, dem vorausgehenden Jesus nachzufolgen.
Nun, aus dem leeren Grab heraus, ist endgültig und für alle bestätigt, was Jesus am Anfang sagt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“
Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (04.02.2024)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
Liebe Schwestern und Brüder, vermutlich kennen Sie alle die berühmte Darstellung der Erschaffung des Adam von Michelangelo, ein Ausschnitt aus dem großen Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Links ist Adam zu sehen, der – salopp gesagt – wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängt und den Zeigefinger seiner linken Hand Gott träge und schlaff entgegenstreckt. Von rechts kommt ihm Gottvater kraftvoll entgegen, ebenfalls mit ausgestrecktem Zeigefinger, um auf Adam den Lebensfunken überspringen zu lassen. Das Fresko zeigt den Moment unmittelbar davor. Zwischen den Zeigefingern ist noch eine kleine Lücke. Sie berühren sich noch nicht. Der göttliche Lebensfunke ist noch nicht übergesprungen. Deshalb wirkt Adam noch schlaff und kraftlos. Erst die Kraft Gottes belebt ihn.
Dieses Bild kam mir in den Sinn bei dem heutigen Evangelium, in dem von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus berichtet wird. Da heißt es nämlich: er „fasste sie an der Hand und richtete sie auf.“ (Mk 1,31) Ähnlich wie bei der Erschaffung des Adam scheint auch hier eine Übertragung göttlicher Kraft über die Hände stattgefunden zu haben, die Petri Schwiegermutter aufrichtet, stärkt, mit neuem Leben erfüllt, ja sogar heilt. Und auch das ist ein Anfang. Im Markus-Evangelium ist es die erste Heilung, die Jesus vollzieht. Es folgen viele weitere und auch viele Dämonenaustreibungen. In Jesu Wirken wird deutlich, dass hier Gott selbst am Werk ist, und dass Gott für uns das Leben will, das Leben in Fülle. So war es von Anfang an gedacht. So hatte Gott seine Schöpfung erdacht und geschaffen. Der Mensch in liebevoller, inniger Verbindung mit seinem Schöpfer, der ihn als sein geliebtes Gegenüber, sein Ebenbild geschaffen hat. Doch wie uns die Bibel bildhaft berichtet, kam es zum Bruch zwischen Gott und Mensch. Die Brüchigkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens wurde offenbar. Jesus setzt hier einen neuen Anfang, indem er das, was zerbrochen ist, heilt, wiederherstellt. Und weil der Mensch nicht nur sein irdischer, vergänglicher Leib ist, sondern auch unsterblicher Geist und Seele, heilt Jesus nicht nur die Krankheiten des Leibes, sondern verkündet zudem auch Gottes frohmachende Botschaft, damit sie tief in Geist und Seele des Menschen eindringt und auch hier ihre heilsame Wirkung entfaltet, die wesentlich existentieller sein kann als eine rein leibliche Heilung.
Ich habe oft den Eindruck, dass wir vielfach diese frohe Botschaft noch nicht wirklich verstanden haben, dass sie noch nicht vom Kopf in unser Herz gerutscht ist. Denn erst dann entfaltet sie ihre volle, heilsame Wirkung. Allein mit dem Verstand können wir sie nicht fassen, bleibt sie äußerlich. Erst wenn wir sie nach und nach verinnerlichen, kann sie uns von innen her prägen, verwandeln, ja heilen.
Und diese Botschaft könnte man mit den Worten von Johannes Duns Scotus, einem mittelalterlichen schottischen Theologen, so formulieren: amo: volo ut sis. Auf Deutsch übersetzt: ich liebe, das heißt: ich will, dass du seist.
Stellen Sie sich einmal ganz konkret vor, wie Gott diese Worte zu Ihnen spricht, zu Ihnen ganz persönlich. Wenn Sie möchten, schließen sie dazu kurz die Augen. Und dann hören Sie Gott innerlich zu Ihnen sprechen: „Ich liebe dich. Ich will, dass du seist. Ich will, dass Du teilhast an meinem göttlichen, ewigen Sein. Das ist der Grund, warum es Dich gibt. Allein aus Liebe habe ich Dich erschaffen, mit meiner Liebe begleite ich Dich in jedem Moment Deines Lebens, meine Liebe ist es, die Dich am Leben hält. Wäre es nicht so, gäbe es Dich nicht, und ich könnte Dir nicht meine Liebe zeigen. Ich liebe Dich, so wie Du bist, um Deiner selbst willen, bedingungslos, mit einer
Liebe, die alles menschliche Verstehen übersteigt und selbst im Tod nicht endet. Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du bist!“
Ja, das ist die frohe und heilsame Botschaft, die Jesus verkündet. Dass Gottes Liebe eben nicht an Leistungen gebunden oder an Bedingungen geknüpft ist. Wir müssen keine Gebote erfüllen, keine Opfer bringen, damit Gott uns liebt. Seine Liebe ist reines Geschenk, theologisch gesprochen: Gnade. Auf Lateinisch: gratia. Da steckt das Wort „gratis“ drin. Die Liebe Gottes ist kostenlos. Doch diese frohe Botschaft wurde immer wieder von Menschen missverstanden, verzerrt, verdunkelt,
missbraucht, und wird es heute noch. Und dann ist sie nicht mehr heilsam, sondern ganz im Gegenteil: dann kann sie uns krankmachen, dämonisch wirken.
Damit die frohe Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes zu uns ihre heilsame Wirkung in mir entfalten kann, braucht es immer wieder Zeiten der Stille und des Gebetes, in denen ich mir diese Botschaft, dieses unbedingte „Ja“ zu mir immer wieder von Gott zusagen lasse. „Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du bist!“ Es braucht regelmäßige Zeiten, diese Botschaft zu verinnerlichen, damit sie mich von innen her prägen und verwandeln kann. Damit ich sie immer mehr wirklich
glauben kann. Damit sie vom Kopf ins Herz rutscht. Und je mehr ich mich auf Gott hin ausrichte und mit ihm in Liebe verbunden bin, desto mehr komme ich zu mir selbst, weil er mich ja als sein Abbild geschaffen hat. Und dann wird mich mein Glaube an Gottes Liebe auch in schweren Zeiten tragen.
Dann werde ich auch angesichts von Leid, Krankheit und Tod nicht an Gott verzweifeln. Dann weiß ich ihn gerade auch in diesen Zeiten an meiner Seite, mir in Liebe zugewandt. Auch Jesus hat sich immer wieder zurückgezogen, um in Stille zu beten, um sich wieder ganz bewusst mit seinem Vater zu verbinden und auf seine Stimme zu hören. Das heutige Evangelium erzählt uns davon. Und aus diesem Gebet hat er Kraft geschöpft. Es hat ihm wieder Orientierung gegeben und den für ihn „richtigen“ Weg erkennen lassen. Es hat ihn frei gemacht von den Erwartungen anderer. „Alle suchen dich“, heißt es, als sie ihn gefunden haben. Und darin schwingt die Erwartung mit, dass er zurückkehrt und weiter Kranke heilt. Doch Jesus ist innerlich frei und ganz in Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters und sagt: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen.“ (Mk 1,38) Ja, er ist nicht bloß ein
Wunderheiler, sondern Gottes Sohn, der so unendlich viel mehr geben will: Gott will das umfassende Heil aller Menschen zu allen Zeiten. Und je mehr ich ihm diese Botschaft wirklich
glaube und sie verinnerliche, desto mehr wird sie ihre heilsame Wirkung in mir entfalten, mich innerlich freimachen, mich mit Kraft erfüllen, mir Orientierung geben. Und dann werde ich selber zu einem glaubwürdigen Zeugen dieser frohen Botschaft: „Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du seist!“ Amen!
Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis (28.01.2024)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Lesung: Dtn 18,15-20 – Evangelium: Mk 1,21-28
„Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
werd ich nun nicht los.“
So lauten die zum geflügelten Wort gewordenen Verse des Zauberlehrlings im Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe, in denen deutlich wird, dass ihm die von ihm selbst entfesselte Macht über den Kopf gewachsen ist. Erst der Spruch des Meisters bannt die Gefahr, und alles ist wieder gut.
Die Rede von Geistern und Dämonen ist uns heute fremd, und wenn jemand zu oft den Teufel bemüht, werden wir skeptisch. Im Evangelium hingegen ist wie selbstverständlich von Besessenheit die Rede, und ein vornehmliches Zeichen für das in Jesus anbrechende Reich Gottes sind die Dämonenaustreibungen, die Heilung sog. besessener Menschen, die er im Namen Gottes vornimmt. Die Vollmacht Jesu, von der im heutigen Evangelium die Rede ist, äußert sich nicht nur in seinen Worten, seiner Lehre, sondern auch in ganz konkreten Zeichen. Nichtsdestotrotz bleiben uns solche Dämonenaustreibungen erst einmal fremd, gerade wenn wir bedenken, wie viel an Missbrauch in der Vergangenheit damit betrieben wurde und wie vorschnell gesagt wurde, jemand sei „vom Teufel besessen“, wenn seine Meinung den Mächtigen in Kirche und Welt nicht passte. Heute lässt sich das, was damals „Besessenheit“ genannt wurde, oftmals medizinisch erklären, und es gibt gute und erfolgversprechende Therapien, die wissenschaftlich erwiesen sind.
Wie aber können wir dann die Rede von Geistern und Dämonen heute verstehen, wenn wir sie nicht vorschnell beiseiteschieben wollen? Welcher Kern lässt sich im heutigen Evangelium für unser Leben heute herauslesen?
Denn ich bin der festen Überzeugung, dass das, was im Evangelium umschrieben ist mit einem „unreinen Geist“, auch heute existiert – wir nennen es nur anders. Auch heute gibt es Dinge, die einen Menschen langsam, aber sicher von innen zerstören können. Gedanken, die das Miteinander vergiften und wie Säure von innen her auffressen und zersetzen. Systemische, ja dämonische Strukturen, die einen Menschen krank machen können. Verschwörungstheorien, die wie „Schwurbelgeister“ daherkommen und ganz subtil Hass und Egoismus aussäen. Wenn wir an bestimmte „Geheimtreffen“ denken, merken wir, wie hochaktuell und brandgefährlich das alles ist. Gut, dass so viele Menschen endlich dagegen aufstehen und ihre Stimme erheben.
Denn genau das tut Jesus ja auch. Seine Reaktion auf den „unreinen Geist“, der den Menschen im Evangelium innerlich gefangen hält, könnte nicht klarer sein: „Schweig und verlass ihn!“ Jesus spricht deutlich aus, was Menschen krank macht, was sie innerlich und äußerlich zerreißt. Und er ermutigt uns dazu, dasselbe zu tun – immer da, wo wir krank machende Strukturen in unserer Welt, in unserer Gesellschaft, ja auch in unserer Kirche erleben. Laut die Stimme dagegen zu erheben. Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zur eigenen Freiheit zu befähigen.
Die Lesung spricht vom Dienst des Propheten, der genau das tut. Der nicht im eigenen Namen spricht, der nicht die eigenen „unreinen Geister“ bestätigt, sondern der im Namen Gottes spricht, der den Willen Gottes verkündet. Und dieser Wille Gottes hat immer mit dem Leben des Menschen zu tun. Gott will, dass wir Menschen in Freiheit leben – diese Botschaft zieht sich wie ein Refrain durch die Seiten der gesamten Heiligen Schrift. Das Tagesgebet fasst gut zusammen, worum es geht: „Gib, dass wir dich mit ungeteiltem Herzen anbeten und die Menschen lieben, wie du sie liebst.“ Gottesliebe und Menschenliebe sind nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zusammenzusehen. Denn nur zusammen können wir die Geister, die wir selbst gerufen haben, auch wieder loswerden. AMEN.
Predigt am 2. Sonntag im Jahreskreis (14.01.2024)
PredigtHören und Handeln
Predigt anlässlich der Silberprofess von P. Maurus Runge OSB am 14.01.2024
(Lesungstext: 1 Sam 3,3b-10.19)
von Br. Ansgar Stüfe OSB, Abtei Münsterschwarzach
Höre mein Sohn, sind die ersten Worte der Regel des Heiligen Benedikt. Da die Regel drei Mal im Jahr in unseren Klöstern vorgelesen wird, bekommen die Mönche drei Mal im Jahr genau diesen Satz zu hören, falls sie zuhören.
Um das Hören geht es auch in der Lesung aus dem Buch Samuel. Samuel hört eine Stimme, ebenfalls drei Mal, und kann sie nicht zuordnen. Seinem erfahrenen Lehrer Eli erst fällt auf, dass dieser Ruf woanders herkommt. Samuel brauchte also die Hilfe eines in geistlichen Erfahrungen geübten Menschen, um seine eigene Berufung zu erkennen. Was war nun seine Berufung? Nachdem er erkannt hatte, wer ihn ruft, antwortete er: Rede, denn Dein Diener hört.
Also darum geht es bei der Berufung, dem Sprechen Gottes zuzuhören.
Jetzt wird es richtig spannend. Die Lesung hört nämlich gerade nach diesem Satz auf. Geht es also einfach ausschließlich darum, zu hören und darüber zu meditieren? Auf diese Frage antwortet Benedikt in unerwarteter Weise.
Wenn der Mönch also bereit ist zu hören, sagt er ihm: Nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat. Im ersten Satz der Regel wird also in dichtester Sprache das benediktinische Leben zusammengefasst. Es geht um das Hören und Erkennen der Sprache Gottes und das Handeln. Kontemplatives Leben besteht also nach Benedikt nicht nur in der Kontemplation, der Betrachtung, sondern auch in der Tat.
So beginnt auch das Leben des Mönchs durch eine Tat, nämlich dem Eintritt in das Kloster. Bei Dir, Maurus, ist das jetzt 25 Jahre her. Vor dem Eintritt aber stand die Bereitschaft zum Hören. Erst als Du Dich berufen fühltest, warst Du zum Schritt ins Kloster fähig geworden. Hören und Handeln gehört also zusammen. Trotzdem ist damit ein Problem verbunden. Viele Menschen fühlen, dass sie zu einem Lebensstil berufen sind, können sich aber nicht zur Tat entscheiden. Dafür gibt es viele Gründe. Manche fühlen sich unsicher, welcher Weg wirklich für sie geeignet ist.
Andere fürchten sich einfach davor, sich festzulegen und meinen, sowieso noch viel Zeit vor sich zu haben. Insgesamt fehlt es den meisten an Erfahrungen, Entscheidungen zu treffen, wenn der Ausgang nicht sicher vorhergesagt werden kann. Das ist ein Zeichen unserer Zeit. In meinem ärztlichen Beruf klagen ältere Kollegen, dass junge Ärzte und Ärztinnen sich vor Entscheidungen fürchten. Auch Ehen werden weniger geschlossen, weil es eben keine sichere Vorhersage für das Gelingen der Beziehung geben kann.
Diese Unsicherheit bleibt und muss ausgehalten werden, egal was wir in unserem Leben anpacken.
Daher folgt nach dem Eintritt auch das Versprechen, durchzuhalten. In der Sprache Benedikts ist es die Stabilität, das Bleiben. Es geht also darum, bei der gewählten Lebensform zu bleiben, auch wenn immer wieder Zweifel auftauchen, ob ich Gottes Stimme richtig interpretiert habe. In meiner eigenen Erfahrung, es sind jetzt 45 Jahre, wurde die Stabilität der wichtigste Faktor im geistlichen Leben. Als ich in der Abtei Peramiho in Tansania 1987 ankam, war ich noch recht jung. Die Umgebung war völlig fremd. Auch meine europäischen Mitbrüder lebten in einer Mentalität der Vergangenheit, die ich nicht verstand. In dieser Situation ergab sich die Notwendigkeit, die Leitung des Krankenhauses zu übernehmen. Für eine gewisse Zeit war ich davon überzeugt, dass ich das nie schaffen werde. Zum Glück waren zwei Ordensschwestern im Krankenhaus tätig, die mir Mut zusprachen. So sagte ich mir, wenigstens versuchen kann ich es ja. Aus diesem Versuch wurden 36 Jahre. Der Entschluss zum Durchhalten hat mir gezeigt, dass ich es wirklich schaffen kann und Eigenschaften in mir habe, von denen ich keine Ahnung hatte. Diese Art von Stabilität hat es mir ermöglicht, Wirkungen zu erzielen und Strukturen zu gestalten, wie ich sie mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hätte. Wenn ich mir Dein monastisches Leben, lieber Maurus, anschaue, ist es Dir durchaus ähnlich ergangen. Du hast enorm viele Tätigkeiten übernommen, von denen Du früher nicht geahnt hast, dass Du sie mal ausüben wirst. Wir zwei haben sogar einmal zusammen den Reinigungsdienst in den Büros der Kongregation übernommen. Das können nur wenige Mönche von sich sagen.
Dem Hören folgt also die Tat. Dieser Satz mag manche überraschen, wenn diese Grundsätze als Kennzeichen kontemplativen Lebens genannt werden. Auch bei manchen Mönchen herrscht der Irrtum vor, dass klösterliches Leben ausschließlich im Meditieren besteht. Ja, das gehört dazu, es ist aber nicht alles. Das gehörte bzw. betrachtete Wort muss in die Tat umgesetzt werden.
Benediktiner haben nun sehr unterschiedliche Schwerpunkte, wenn diese Regelgrundsätze in das wirkliche Leben umgesetzt werden sollen. Da gibt es Klöster, die in Landwirtschaft und Handwerk arbeiten, aber keine Seelsorge oder Schulen unterhalten. Es gibt Klöster, die in Jahrhunderte alter Tradition Kunst und Schulen weitertragen oder auch unsere Kongregation, die Klöster in Afrika und Asien gegründet hat, um den Glauben zu verbreiten. Wir leben jetzt in einer Zeit, in der christlicher Glaube, besonders in katholischer Ausprägung, große Rückschläge zu erleiden hat und oft rundheraus abgelehnt wird. Nun meine ich, dass gerade hier die Stunde der Benediktiner geschlagen hat. Zwar predigen auch wir, manchmal sogar ich, aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist viel mehr unsere Lebensform. Frauen und Männer leben in Klöstern und teilen gemeinsam ihr Leben. Wir alle sind ja sehr unterschiedlichen Charakters, wir teilen nicht oft dieselbe Meinung und manchmal können wir uns überhaupt nicht leiden. Trotzdem leben wir in Frieden zusammen und bringen es sogar fertig, Entscheidungen zu treffen. Wir zeigen unsere Lebensform auch in der Öffentlichkeit. Kürzlich beschwerte sich jemand, dass wir im Livestream von unseren Gottesdiensten auch zeigen, wenn ein Mönch gähnt, einschläft und der Organist sogar ein Schluck Wasser trinkt. Aber genau das ist unsere Botschaft. Wir sind Menschen!! Nichts Menschliches ist uns fremd. Trotzdem leben wir zusammen, trotzdem halten wir durch und laufen nicht weg. Viele meiner Mitbrüder hätte ich mir nicht zu meinem Bekanntenkreis ausgesucht. Aber eben diese Menschen bereichern mich um Erfahrungen, die ich sonst ohne sie nicht gemacht hätte.
In neuerer Zeit ist es gelungen, unsere Lebensform auch einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch daran bist Du, Maurus, beteiligt.
Die modernen Medien und der schon erwähnte Livestream erlauben ganz neue Wege, mit Menschen aus allen Schichten in Kontakt zu treten. Dabei hilft es, dass heutzutage keine theologischen Abhandlungen erwartet werden, sondern einfach das Alltagsleben der Benediktiner sichtbar wird. Es scheint ja so zu sein, dass Glaubensverkündigung heute nur durch glaubwürdig gelebtes Leben gelingen kann. So schreibt Benedikt im Kapitel über den Abt: „Er mache alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch Reden sichtbar.“ Dies gilt für alle Mönche, ja eigentlich für alle Christen. Wenn uns dann jemand fragt, was es denn mit dem Christentum auf sich hat, können wir antworten: Kommt und seht. Amen.
Predigt zu Mk 1,7-11 am Fest der Taufe des Herrn (07.01.2024)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Ich will, dass Du bist.
I.
Jemand fühlt sich wie versteinert, mutlos, ohne Orientierung, kraftlos. Da hinein sagt ihm einer ein Wort der Zuneigung und Sympathie. Dann kann es geschehen, dass beinahe im Handumdrehen aus dem versteinerten Herzen ein Herz aus Fleisch wird, eines das lebt und pocht und springen möchte vor Erleichterung und Freude. Einen solchen lebenswendenden und Leben spendenden Satz haben wir gerade im Evangelium gehört. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“- Im Augenblick seiner Taufe hört Jesus diesen Satz und wird von ihm so gepackt, dass er davon im Leben und durchs Sterben hindurch getragen ist. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Das verinnerlicht Jesus so sehr, dass er ganz und gar verkörpert wer und wie Gott ist.
II.
Wenn ich in mich selbst hineinschaue und deute, was ich immer wieder mit Menschen erlebe, ist das eine der größten Sehnsüchte, die wir alle in uns haben: Ich möchte wer sein. Darum ist es auch wohl so unbeschreiblich bitter, wenn jemand glaubt von sich sagen zu müssen: Ich habe es zu nichts gebracht, niemand findet Gefallen an mir.
Weil ganz viele Menschen es zu möglichst viel bringen wollen, geschieht unendlich viel: Schauen Sie sich Ihre Schul- und Ausbildungszeugnisse, Ihre Gehaltskonten, Ihre Titel, den Komfort Ihrer Häuser, die Autos und Urlaubsreisen … an: Dazu haben wir es gebracht.
Zugleich Sie wissen alle aus Ihrer Lebenserfahrung: Früher oder später wirken Menschen einfach nur komisch oder tragisch in ihrem Versuch, koste es was es wolle, wer zu sein. Kurz: Wer meint, er wäre schon wer, wenn er es zu etwas gebracht hat, liegt irgendwann auf der Nase.
Denn der Satz: „Ich bin wer“ oder „Ich gefalle mir“ geht nicht; er hört sich entweder schrecklich einsam oder lächerlich naiv an. Es geht nur: „Du bist wer.“ „Du gefällst mir.“ Alles andere ist Krampf, – so wie der Versuch, sich selbst zu umarmen. Es gibt Dinge, die kann ich mir nicht selber sagen, die sind nur gültig, wenn ich sie gesagt bekomme – aus freien Stücken, von Herzen, kurz aus Liebe. Denn Liebe bedeutet: „Ich will, dass du bist“, so der heilige Augustinus
Wir Menschen leben nicht von dem, was wir bringen, sondern von dem, was uns gebracht wird, nicht von dem, was wir machen, sondern von dem, was uns geschenkt ist. Das gilt umso mehr, je hartnäckiger behauptet wird, dass es anders sei.
III.
Wenn ich persönlich ausdrücke, was es heißt an Gott zu glauben, dann ist es ganz einfach dies: Was ich bin, ist mir von Gott geschenkt. Und Unglaube ist aus dieser Perspektive: Ich muss selbst das bringen, was ich sein will. Der entscheidende Satz des Glaubens lautet: Gott, ich glaube dir, dass du an mich glaubst und deshalb Mensch geworden bist.
So an Gott glauben zu können, ist eine unglaublich schöne Sache, weil es mich von diesem Krampf entlastet, mir selber sagen zu müssen, dass ich wer bin – und immer wieder und wieder zu leiden, dass das nun einmal nicht geht, selbst wenn ich mich dabei bis zum Umfallen anstrenge.
An Gott zu glauben ist zugleich eine unglaublich schwere Sache, weil wir bis in innerste Tiefen meinen, wir seien nur das, was wir aus uns machen: Eine Wahnvorstellung, die deshalb so wirksam ist, weil so viele behaupten, das sei doch normal. Sich nicht vorstellen können und erst recht nicht glauben können, dass vor allen anderen, sogar vor mir selbst, Gott an mich glaubt, – das ist die eigentliche Wurzel des Unglaubens, – auch der Glaubens- und Kirchenkrise hier und heute.
IV.
Weil glauben so schön und so schwer zugleich ist, deshalb können wir es nicht allein. Deshalb gibt es Kirche in Gemeinden, Klöstern, Gruppen. All das ist zu nichts anderem da, als das Menschen im Namen Gottes einander sagen und darin bestärken: Du bist wer, weil Gott dein Vater ist und Jesus Christus dein Bruder wurde, du bist Kind Gottes. Die einfache Tatsache, dass du da bist, ist genug, damit es gut ist. Kurz und noch einmal: „Ich will, dass du bist.“
Jede Begegnung, die einem Menschen das vermittelt, ist ein Augenblick, in dem sich der Himmel öffnet. Jede Situation ohne Tuchfühlung mit diesem Himmel ist ein Vorgeschmack der Hölle.
Damit sich der Himmel öffnet und offen bleibt, gibt es die Taufe: Der Mensch bekommt – theologisch ausgedrückt – als „unauslöschliches Siegel“ eingebrannt: Du bist schon wer, bevor Du es zu etwas gebracht hast. Wer das in sich aufnimmt und in sich wirken lässt, der bekommt ein „neues Herz“, einen „neuen Geist“.
Wenn wir diesen „neuen Geist“ aus den Weihnachtstagen mitnehmen könnten in den „Jahreskreis“, – dann wäre der kein Hamsterrad, in dem wir uns totlaufen, sondern eine Etappe auf dem Weg zum Himmel!
Predigt am Dritten Adventssonntag „Gaudete“ (17.12.2023)
Predigtvon P. Marian Reke OSB
Aus einer unbegrenzbaren kosmischen Dunkelwolke schimmert schwach ein einziger Stern; das muss uns genug sein; mehr ist nicht geoffenbart. – Reinhold Schneider im „Winter in Wien“
Meine Schwestern, meine Brüder – es ist bemerkenswert und keineswegs selbstverständlich, dass wir Menschen sind. Ein Liedermacher aus meinen jungen Jahren sang mit Recht: Was wir sind, sind wir nur, wenn wir es auch werden.
Menschwerdung! Das Stichwort dieser adventlich-weihnachtlichen Tage klagt Jahr für Jahr die entscheidende Notwendigkeit ein: dass die Menschen auf dieser Erde endlich für sich und für einander Mensch werden.
Konstantin Wecker, der Liedermacher, hatte vermutlich seine liebe Not damit. Immer wieder stand damals sein Name in den Schlagzeilen: eine aus gutbürgerlicher Sicht nicht gerade rühmenswerten Künstlerkarriere. Inzwischen hat sich das Blatt der öffentlichen Meinung gewendet. Ich habe ihn schon damals geschätzt.
Kürzlich blätterte ich abends wieder einmal in einem seiner frühen Bücher. Der Titel lautet: „Und die Seele nach außen kehren.“ Da sprangen mir wie neu einige Sätze ins Auge, Worte, die ich längst kannte, aber vergessen hatte. Sie passen zum Stichwort Menschwerdung und lauten: In einer Gesellschaft der Starken / wird es einem nun mal schwer gemacht / sein Irren und Taumeln / sein Schwanken und Schwachsein / unverschämt zu zeigen.
Das trifft mitten ins Schwarze, in den wunden Punkt unseres Miteinanders – in Familie und Partnerschaft, in Gesellschaft und Kirche, auch im Kloster. Immer und überall muss man stark sein, meint wenigstens, es sein zu müssen. Oft muss man so tun „als ob“. Wer aber dabei nicht mitkommt und das nicht „unverschämt zu zeigen“ weiß, verzieht sich aus lauter Scham – vielleicht ins dichte Gestrüpp einer Sucht wie seinerzeit Konstantin Wecker oder hinter wohlanständige, aber hohle Fassaden …
Nur: Menschlichkeit beweist man zuerst mal durch die Hingabe seiner ganzen fehlerhaften Persönlichkeit an seine Mitmenschen.
Auch das ist ein Wort des Liedermachers, das mir unter die Haut gegangen ist, als ich es las. Nach diesen wenigen Sätzen habe ich an jenem Abend das Buch geschlossen und die Lampe gelöscht. Ich erinnere mich genau. Durch das offene Fenster leuchtete ein Stern am Himmel. Er stand hell und klar im dunklen Fensterrahmen. Ein tröstendes Bild. Es ließ mich noch an ein weiteres Wecker-Wort denken, das mich zunächst in den Schlaf begleitet und dann am andern Morgen geweckt hat: Dies nur kann uns nach Hause führen: / Liebe und eines Größeren Barmherzigkeit.
Da kündigte sich schon die Kehre an, die Konstantin Wecker später zu einem beachtlichen spirituellen Autor werden ließ.
Der Stern – ein tröstendes Bild! Ein Bild, das aufrichten und Richtung geben kann. Eine weihnachtliche Orientierung! Darum geht es ja: den Orient des eigenen Lebens zu sichten, den Punkt also, an dem uns wie den drei königlichen Weisen ein Licht aufgeht – über Gott und Mensch. Das Licht der Welt! Von ihm spricht auch das heutige Sonntagsevangelium (vgl. Joh 1,6-8) für das Johannes der Täufer Zeugnis ablegt.
Der Stern – eine weihnachtliche Orientierung! Der erste Akzent bedeutet: Wir müssen das Dunkel unseres Lebens nicht fliehen, wir können, wir sollten darin aushalten. Nur wenn wir unsere inneren Nächte nicht künstlich zum Tag machen oder sonst wie umbiegen, kann uns überhaupt eine Weihnacht geschenkt werden. Der zweite Akzent deutet hin auf den Segen, dass uns der Sinn des Lebens einleuchtet wie eine Lichtspur, an die wir uns halten dürfen – auf den Wegen unserer Menschwerdung, die auch Wirrwarr-Strecken kennen.
Käme es da nicht auf eine adventlich-weihnachtliche Sorge um den Menschen an, die wir einander schulden? Dass wir einem in Verwirrung geratenen Menschen nicht mit klugen Ratschlägen zu helfen versuchen, sondern ihm achtsam und einfühlend, in einer eher fragenden als wissenden Haltung zur Seite stehen und gehen, damit er seiner eigenen Lebenslinie wieder trauen lernt. So könnte ihm ein Licht über sich selbst aufgehen – wie ein Stern, an den er sich halten kann und soll. Wer aber auf solche Weise einem anderen Menschen helfen will, müsste der sich nicht auch selbst auf seinen eigenen Stern verlassen? Ein guter Helfer, eine gute Helferin ist erfahrungsgemäß, wer am schwindenden Stern des eigenen Lebens gelitten und ihn in großer Sorge gesucht und wieder gefunden hat.
Uns allen soll ein Licht aufgehen: dass ein jeder, eine jede von Gott gutgeheißen ist. Sonst gäbe es uns nicht. Allein aus diesem Grund sind wir da. Wir verdanken uns dem Ja Gottes, seinem schöpferischen und erlösenden Ja. Daran erinnert uns der Stern und will unsere Sehnsucht wieder wecken, ganz in dieser Gewissheit leben zu können.
Wie bekommt mein Leben Glanz? Das ist die oft verschämte Frage vieler Menschen. Manche meinen, sie müssten deshalb etwas Glänzendes zustande bringen. Aber das zählt nichts gegen das eine: geliebt zu werden und zu lieben. Das ist der Glanz des Lebens – unser je eigener und gemeinsamer Stern der Menschwerdung.
Nüchtern formuliert heißt das: unter uns immer wieder neu dem gegenseitigen Ja zueinander Raum zu geben und eine konkrete Gestalt – auch und gerade, wenn es gilt, untereinander den schwierigen Umgang mit dem Nein zu lernen, wodurch das Ja Kontur bekommt. Das Zeugnis Johannes des Täufers äußert sich, wie wir im Evangelium gehört haben, zunächst durch ein mehrfaches Nein. Das jedoch steht im Dienst des größeren Ja und darauf kommt es an (vgl. Joh 1,19-28).
Dom Helder Camara, der nach einer Umkehr befreiungstheologisch orientierte Erzbischof aus Lateinamerika, hat uns in seinen „Mitternächtlichen Meditationen“ aus der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils ein wunderbares Gebet der Orientierung hinterlassen:
Herr, lehre mich, ein Nein zu sagen, das den Geschmack des Ja hat, und niemals ein Ja, das den Geschmack des Nein hat.
Predigt bei der Abtsbenediktion von Abt Cosmas (18.11.2023)
Abtei, Predigtvon Msgr. Dr. Michael Bredeck, Diözesanadministrator des Erzbistums Paderborn
Lieber Abt Cosmas, liebe Altäbte Aloysius, Dominicus und Stephan,
herzlichen Dank für die Einladung, heute hier als Administrator unseres Erzbistums Paderborn die Predigt zu halten. Es ist mir eine Freude und Ehre, dies anlässlich der Benediktion von Abt Cosmas zu tun.
Zwei Monate vor der Wahl von Pater Cosmas Hoffmann zum fünften Abt von Königsmünster am 18. August habe ich am 12. Juni den Konvent besucht und ein Gespräch mit euch, dem Konvent von Königsmünster, geführt. Es war schon ein erster Schritt auf dem Weg zur Abtswahl, den ihr als Gemeinschaft ganz bewusst und mit verschiedenen Etappen gegangen seid. Bei unserem Gespräch im Juni haben wir uns einerseits darüber ausgetauscht, wie wichtig das Zusammenspiel von Abtei und Erzbistum eigentlich ist und wie es derzeit darum bestellt ist. Wir haben auch etwas darüber gesprochen, wie groß und vielfältig diese Verbundenheit und auch Freundschaft sich seit der Gründung eurer Abtei ist und wie sie sich immer wieder neu zeigt. Wir als Erzbistum und die Abtei sind vielfältig miteinander verflochten, und wir stehen einander im Wort, erneuert um Juni, dass wir wo und wie immer möglich einander unter die Arme greifen und dieses Miteinander auch jetzt in schwieriger und weiter herausfordernder Zeit weiter ausbauen werden.
Und dann hatten wir einen zweiten Schwerpunkt in unserem Gespräch, als wir uns über Führen und Leiten heute in der Kirche, über meine Erfahrungen als Administrator und über die Aussagen des Zukunftsbildes zu diesem Thema austauschten und das auch etwas versucht haben, auf euren Konvent zu beziehen. Mir ist sehr in Erinnerung, wie dem neuen Abt der Aspekt des gemeinsamen Weges, sowohl zwischen dem Erzbistum und Königsmünster, als auch des Konventes, der ja aus vielen Einzelnen besteht, besonders wichtig ist. Ich glaube deshalb, es ist mehr als nur eine zeitliche Zufälligkeit, dass Cosmas zum Abt gewählt wurde, als die Kirche sich mitten in der Erfahrung eines synodalen Weges befindet, eines Weges hin zu einer synodaleren Kirche, sowohl in unserem Bistum, wie in Deutschland wie als katholische Weltkirche.
Das Kloster hier ist seit langem ein spiritueller Sehnsuchtsort für viele Menschen aus unserem Erzbistum. Auch für viele diejenigen, die heute hier versammelt sind. Königsmünster ist ein besonderer Ort des Gebetes, der Ruhe und des Wesentlichen. Viele junge Männer, nicht nur aus unserer Diözese, haben sich vor allem in den 1980er und 1990er Jahren dem Konvent angeschlossen. Über den Studienorte Padernborn und über weitere Bezüge gibt es auch viele persönliche Kontakte.
Im Jugendhaus, in der „Oase“, haben Hunderte junger Leute in den Jahrzehnten prägende Erfahrungen des Glaubens und des Lebens gemacht. Viele Männer und Frauen kommen als Gäste hierher, um einige Tage in Stille zu verbringen oder Einzelgespräche mit den Mönchen zu führen. Auch der „Geistliche Rat“ – das Beratungsgremium des Erzbischofs – tut das schon seit vielen Jahren und im nächsten April auch wieder. Erzbischof Becker hatte diese sogenannten „Wüstentage“ eingeführt, die Cosmas so gut und einfühlsam begleitet hat.
Die Liste der Begegnungen und Gemeinsamkeiten könnte ich noch weiterführen, aber hier ist dazu nicht der Ort. Was ich sagen möchte ist: Für uns als Verantwortliche im Erzbistum, aber auch für viele Menschen im Erzbistum, ist sehr deutlich spürbar: Die Mönche von Königsmünster vertrauen der Lebens- und Hoffnungsbotschaft des Evangeliums und machen sie für uns auf ihre Weise erfahrbar – in der benediktinischen Tradition der Gastfreundschaft, in ihrer Spiritualität und nicht zuletzt in der Glaubens- und Lebens-Bildung am Gymnasium, in der Jugendarbeit und der Begleitung. Auch ihr werdet in den kommenden Jahren, in der Amtszeit des Abtes Cosmas, euch gut überlegen müssen, mit wieviel Kräften ihr welche Aufgaben oder Schwerpunkte weiterführen könnt. Ich möchte euch heute darum bitten, das erfahrbare Zeugnis der Lebens- und Hoffnungsbotschaft für Menschen, die nach hier kommen, hierbei stark zu berücksichtigen.
Aber lassen Sie mich in meiner Predigt noch etwas zu Abt Cosmas sagen. Zu dem Theologen Cosmas Hoffmann. Abt Cosmas stammt, wie ich, aus dem Ruhrgebiet, aus Dortmund. Das macht ihn schon mal sympathisch und unkompliziert. Etwas zeitversetzt haben wir nach dem Abitur Theologie an der Fakultät in Paderborn studiert. Bevor er dann aber in das Kloster eintrat, lebte Stefan Hoffmann noch eine Zeit lang in einem Ashram in Indien mit. Sein Interesse am Hinduismus und am Zen-Buddhismus ist seitdem geblieben und weitete sich zu einem intensiven interreligiösen Dialog mit Mönchen anderer Weltreligionen. Ich glaube, dass das sehr entscheidend für ihn war und für die Art seines Glaubens, für sein Verständnis einer missionarischen und diakonischen Pastoral. Und nicht zuletzt für sein Verständnis von Leitung und Weggemeinschaft heute. Niemals von oben herab, niemals nur der Herde voraus, sondern, wie Papst Franziskus es sagt, mal vorweg gehend, mal in der Mitte, mal hinter der Herde. Lernbereit und gesprächsbereit und bereit zum Hören.
Unser gemeinsames theologisches Fach, wenn ich so sagen darf, ist die Fundamentaltheologie. Fundamentaltheologie ist „Theologische Grundlagenarbeit“. Sie will über den Grund des christlichen Glaubens Rechenschaft ablegen, vor der Vernunft und vor dem Leben selbst. In Aufnbahme der großen Überschrift unseres diözesanen Zukunftsbildes von 2014 darf ich es mal so formulieren: Ein fundamentaltheologisch grundierter Abt oder Administrator geht immer wieder aus von der Frage: Wozu bist du da, christlicher Glaube, heute, in einer Welt, die plural, ausdifferenziert, säkular, vieldeutig und vieles mehr ist?
Mit größter Wucht trifft ja der Glaube an Jesus Christus und an den Dreifaltigkeit Gott heute auf die Frage, welche Bedeutung er in dieser säkular verworfenen Welt noch haben kann. Der christliche Glaube steht – noch radikaler gesagt – heute bis hinein in die innersten Kreise der Kirche selbst vor der Frage, ob und was er Menschen in ihrer normalen Lebenswelt noch etwas zu sagen hat. Mittlerweile ist vom Phänomen des „Apatheismus“ die Rede, wie es Tomáš Halík formuliert, von einer religiösen Gleichgültigkeit, in die hinein die überlieferten Wege „ins Leere“ laufen.
Vor ein paar Wochen fand in Hannover der „dennoch“-Kongress statt, den Bischof Wilmer und das Bistum Hildesheim gemeinsam mit dem Bonifatiuswerk veranstaltet haben. In der eröffnenden Keynote dort wurde es wie folgt auf den Punkt gebracht „Unsere bewährten Strategien werden nicht mehr funktionieren. Zuversicht ohne Gott ist denkbar. Und sie wird für immer mehr Menschen denkbar.“
Das ist unsere Situation, in der sich das Erzbistum, die Abtei Königsmünster und alle anderen Gemeinden und Einrichtungen heute und künftig noch stärker vorfinden. Ich glaube, es versagen jetzt all die Antworten, dass ja doch jeder und jede „irgendwie“ religiös ist und dass wir nur einfach mehr Fachstellen und weitere Einrichtungen brauchen, damit die Inkulturation des Christlichen wieder gelingt. Und da können die heute gehörten biblischen Erzählungen vom „guten Hirten“ oder auch vom „verlorenen Schaf“ durchaus helfen, denn sie sprechen ja letztlich genau davon. Und ich finde, auch das von Papst Franziskus initiierte Stichwort einer Kirche im Zeichen der „Synodalität“, einer Kirche mit Synodalität als Lebensprinzip, ist hier sehr hilfteich. Denn es beschreibt die Kirche Jesu Christi als Gemeinschaft vieler Menschen, die mit dem göttlichen Hirten gemeinsam unterwegs sind und wo niemand verloren geht. Eine Gemeinschaft innerhalb der großen Menschheitsfamilie, für die sie Sakrament, Zeichen der Liebe Gottes zu allen Menschen, sein will. Das immer wieder konkret auf ein Bistum, einen Konvent, auf eine Einrichtung anzuwenden, ist heute sicher eine zentrale Leitungsaufgabe überall in der Kirche.
Die Benediktiner haben eine lange Tradition von Synodalität. Wesentlich ist dabei, einander ohne Vorurteil und ohne vorgefertigtes Konzept zu begegnen. Offene Gespräche sind hierzu wichtig, wirkliche Begegnungen. Die synodale Art ist den Benediktinern quasi schon mit der Ordensregel des hl. Benedikt eingeschrieben. Gleich am Anfang schreibt Benedikt ja, man soll bei wichtigen Fragen alle hören, weil Gott oft den Jüngsten das Richtige eingibt. Wenn es um grundlegende Entscheidungen geht, möchte er also, dass alle angehört werden. So gibt es bei den Benediktinern sehr ausgeprägt das synodale Prinzip, die Beratung, das Hören, das Zuhören. Das ist Voraussetzung für den Oberen und seine Entscheidungen. Auch in diesem „benediktinischen“ Sinn geht es Papst Franziskus um eine Kirche, die es ernst meint mit dem Weg und Dialog miteinander und die auf diese Weise in unserer Zeit und Kultur weiterbestehen kann, geleitet vom guten Hirten, geführt vom Geist und darin Licht der Welt und Salz der Erde ist.
Auch die jüngst veröffentlichte Kirchenmitgliedschaftsstudie zeigt wieder: Menschen wollen und suchen auch weiterhin Gespräche über relevante Fragen ihres Lebens. Darin liegt die Chance und die Herausforderung für uns als Kirche, als Kirche im Erzbistum Paderborn, als Abtei Königsmünster. Dass wir versuchen, relevant zu sein und uns deshalb „auf den Weg zu den Menschen machen und jedem und jeder nachgehen“. Nur direkte Kontakte binden Menschen auf Dauer und lassen sie umdenken. Wir folgen Jesus, der als der gute Hirte die Menschen auf den Wegen ihrer Zeit begleitet ihren Fragen zuhört, auf das schaut, was ihr Herz berührt, in den Sorgen des Alltags den verlorenen Schafen nachgeht. Auch und gerade an den Rändern, in der Diaspora. Die Abtei Königsmünster hat hier in meinen Augen ein sehr deutliches missionarisches Zeichen gesetzt mit der Gründung der Cella schon vor 35 Jahren in einer so säkularen Großstadt wie Hannover.
Lieber Abt Cosmas! Dieses jesuanische Prinzip gilt für Menschen, die in der Kirche Leitung innehaben, nach innen wie nach außen. Es ist durchaus herausfordernd und sicher auch anstrengend, aber trägt Früchte. Davon bin ich fest überzeugt. Lass dich auf diesem Weg nie entmutigen! Sichere dir die manchmal kleinen, aber sicher täglichen Hinweise, dass dieser Weg der richtige ist.
Erlauben Sie mir einen letzten Gedanken: Hinter dem Versuch des Guten Hirten, den Menschen nahe zu sein, steht die Überzeugung, dass in der Auseinandersetzung mit den anderen Religionen, dem Zen-Buddhismus zum Beispiel im Fall von Abt Cosmas, der Philosophie, der Literatur, der Kunst, der Musik, auch mit den Nichtglaubenden, ein schöneres, deutlicheres Verständnis von Christus entstehen kann, etwas, das so vorher vielleicht nicht da war. Das schützt vor Fundamentalismus. Das hat auch wahrhaft theologische Gründe, denn, wie das Konzil sagt: In Jesus Christus hat sich Gott gewissermaßen mit jedem Menschen verbunden. Für diese Glaubensüberzeugung können wir durch Freundschaft Zeugnis ablegen. „Das Wesen der Freundschaft ist die Freundlichkeit“, hat einmal Martin Heidegger gesagt. Mit Freundlichkeit den Menschen begegnen. Ich weiß: Das ist anspruchsvoll und vielleicht auch anstrengend. Freundlich und zugleich verbindlich. Wir wollen das Gespräch suchen, auch mit denen, die nicht unserer Meinung sind, gerade mit denen, mit allen, die einen guten Weg gehen wollen. Und wir wollen offen sein auch für ihre Argumente.
„Bitte: Öffnen wir die Türen!“, sagt Papst Franziskus. „Versuchen auch wir, wie Jesus, der gute Hirte, zu sein – in unseren Worten, Gesten und täglichen Aktivitäten: eine offene Tür, eine Tür, die niemandem vor der Nase zugeschlagen wird.“
In diesem Sinn wünsche ich dem neuen Abt von Königsmünster und der Abtei gute, gesegnete und erfolgreiche Jahre, Gottes Geleit, die Freude und Wirksamkeit, einen guten Weg der offenen Türen in der Freundschaft mit Gott und den Menschen. Zum Wohl aller, für die wir gemeinsam da sind.
Predigt am 32. Sonntag im Jahreskreis (12.11.2023)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Nein! Niemals! Nimmermehr! Ein Wort das dies ausdrückt steht im griechischen Urtext an erster Stelle der Antwort der klugen Jungfrauen. Die Einheitsübersetztung übersetzt es leider nicht. Das Evangelium ist also eigentlich gefühlt noch unchristlicher als es sich für uns mit der schroffen Zurückweisung des Bräutigams eh anhört.
Hätte es da nicht bessere Versionen gegeben. Hätte der Bräutigam nicht barmherzig sein können. Hätte er seinen Dienern nicht sagen können: „Öffnet das Tor, dies ist eine Hochzeit, alle sollen essen und trinken und fröhlich sein! Lasst die gedankenlosen Jungfrauen hereinkommen und sich die Füße waschen, denn sie sind weit gelaufen!“
Wie gefällt Ihnen dieser Schluss?
Mir ausgesprochen gut! Er bestätigt das Bild eines gütigen Gottes, den Jesus uns immer wieder vor Augen stellt:
wenn er die Geschichte vom barmherzigen Vater erzählt, der dem verlorenen Sohn alle Türen öffnet und ihn wieder in sein Haus aufnimmt;
wenn er mehrmals das Wort des Propheten Hosea aufgreift: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“,
wenn er uns den Rat gibt: „Bittet, dann wird euch gegeben, klopft an, dann wird euch geöffnet.“
Ich fände diesen Schluss außerordentlich sympathisch.
Nur leider steht er nicht in der Bibel.
Ich möchte einen zweiten Versuch machen, das Gleichnis zu Ende zu erzählen:
Als der Bräutigam das Klopfen hört, ließ er sich berichten, was geschehen war. Dann zog er die Brautjungfern mit dem Reserveöl zur Rechenschaft und sagte: „Warum habt ihr euer Öl nicht mit den anderen geteilt?“
„Es hätte weder ihnen noch uns gereicht“, antworteten sie.
Darauf entgegnete der Bräutigam: „Ist nicht das Teilen viel wichtiger als das Licht selbst?“
Und er öffnete die Tür, schickte die Brautjungfern weg, die nicht bereit waren, ihr Öl zu teilen, und lud die anderen zu seiner Hochzeitsfeier ein.
Auch diese Variante finde ich sehr gelungen.
Das ist der Jesus, den wir kennen. Das entspricht dem, was Jesus den Menschen immer wieder ans Herz legt:
wenn er die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt und zur Hilfsbereitschaft auffordert;
wenn er sagt: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab“;
wenn er deutlich macht, dass unsere Barmherzigkeit der einzige Maßstab ist, an dem unser Leben gemessen wird:
„Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben… Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Ein Jesus, der Solidarität predigt und vor Egoismus warnt – das passt. Nur leider finden sich diese Schlusssätze auch nicht im Evangelium.
Das echte Ende der Geschichte ist hart und wenig herzlich:
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: „Herr, mach uns auf!“ Er aber antwortete „Amen, ich sage euch: „Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Diese Version ist unbequem und provozierend.
Und sie gibt uns, gerade vor dem Hintergrund der beiden anderen Versionen, zwei wichtige Impulse.
Der Erste: Vertrau auf einen gütigen Gott, aber bleibe wach für seinen Anspruch!
Er ist nicht nur der liebe und barmherzige, der verzeiht und ein Auge zudrückt, sondern immer auch der fordernde und aufrüttelnde Gott, der ernstgenommen und gehört werden will; der uns fragt, was wir aus unseren Möglichkeiten gemacht haben; der uns stört in unserer Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit.
Und der zweite Impuls: Teile, so viel du kannst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben!
Für deinen Ölvorrat – um im Bild zu bleiben – bist du ganz allein verantwortlich. Die Grundausrichtung deines Lebens, deinen persönlichen Lebensentwurf, deine Ziele, deine Werte kannst du nicht borgen und ausleihen.
Verhindern, dass du die Ölkrise kriegst und dein geistliches Leben langsam ausbrennt, dass dein Christsein nur noch auf Sparflamme brennt – das kannst nur du allein.
Zeigen, dass du Feuer gefangen hast und dich für die Sache Jesu begeisterst, dass das Licht deines Glaubens leuchtet – das kann dir niemand abnehmen.
Ob du die Öl-Tankstellen Gottesdienst, Gebet oder gute Gespräche über Bibel und Glauben nützt, ob du deinen Ölstand regelmäßig prüfst und Reserven anlegst – das liegt allein an dir.
Gott – der die Weisheit ist – lässt sich leicht finden. Wir hörten es in der ersten Lesung.
Such Ihn und finde ihn und füll deinen Ölvorrat auf, damit er die Mitte deines Lebens ist und bleibt.
Inspiriert von Wolfgang Raible
Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (29.10.2023)
PredigtIch will, dass du bist.
Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (A) zu Ex 22, 20 -26 und Mt 22,34-40
von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
I.
Das Judentum kennt das Fest „Simchat Tora“ – das Fest der Gesetzesfreude[1]. Die Buchrollen mit dem Gesetz Gottes, der Tora werden in feierlicher Prozession, mit Musik und Tanz durch die Synagoge getragen; für die Kinder gibt es, ähnlich wie bei uns an Nikolaus, Süßigkeiten und kleine Geschenke.
Aus Freude über Gesetze und Gebote ein Fest feiern? Spätestens wenn die Steuererklärung fällig ist oder das Knöllchen für falsches Parken zu bezahlen ist, wird sich jeder von uns kopfschüttelnd abwenden.
Trotzdem lohnt es sich, ein paar Augenblicke bei dieser uns recht fremden Sicht zu verweilen. Gesetz und Gebot sind ganz fest mit der Kerngeschichte des Judentums verbunden, der Erzählung von der Befreiung der Israeliten aus der Knechtschaft des Pharao, dem mühsamen Zug durch die Wüste und der Ankunft im „gelobten Land“. In diesem Zusammenhang bringt Mose dem Volk die Tafeln mit den Zehn Geboten, die er von Gott empfangen hat. Die Menschen erkennen: Dieses Gesetz ist Hilfe, nicht Zwang. Das Gesetz Gottes dient nicht dazu, einem Pharao oder sonstigen Gewaltherrscher Macht und Reichtum zu sichern. Sein Zweck ist es vielmehr, den Menschen zu ermöglichen, so befreit und erlöst zu bleiben, wie sie waren, als sie die ägyptische Sklaverei, die Truppen des Pharao und das Rote Meer hinter sich hatten, – und unter den Füßen die Wüste, in der es galt, Etappe um Etappe voranzukommen in das Land, das „von Milch und Honig“ fließt. Erlöste Menschen, die wissen wo es lang geht, auch wenn der Weg mühsam und unübersichtlich wird, hat Gott vor Augen, wenn er „Gesetzgeber“ ist. In genau dieser Tradition sahen sich übrigens auch die Väter des Mönchtums wie der heilige Benedikt, als sie ihre Klosterregeln schrieben.
Einer meiner Schüler kam vor diesem Hintergrund auf die Formulierung „Die Zehn Gebote sind das Navigationssystem Gottes“. Ich finde, die in diesem Vergleich steckende Analogie mit der beharrlichen Stimme, die dem Autofahrer sagt, wo er herfahren muss, trifft ziemlich genau. Mit dem Fest „Simchat Tora“ bringt das Judentum diese Sichtweise auf das göttliche Gesetz zum Leuchten: Gott lässt uns nicht im Stich, wenn es kritisch wird, wenn sich das Leben anfühlt wie ein Wüstenzug, in dem uns verloren zu gehen droht, dass wir erlöste und befreite Menschen sind. Die biblischen Gebote – ein Beispiel haben wir gerade in der ersten Lesung gehört – meinen: Mensch, erhalte dir und deinen Nächsten den Zustand, befreit und erlöst zu sein, – damit du dich nicht auf einmal in der Versklavung und Unfreiheit wiederfindest, in die du zwischendurch hineingeraten warst:
II.
Mit seinen Geboten zeigt Gott den Menschen:
Du bist einer, der mit beiden Beinen auf der Erde steht, aber mit dem Scheitel an den Himmel rührt.
Du bist eine, die sich unter Wert verkauft, wenn sie Gott und dem Nächsten die Liebe verweigert.
Du bist einer, der zu klein von sich denkt, wenn er verdrängt, dass er mehr ist, als die Erde ihm geben kann.
Kurz: Das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe erinnert mich daran, wer ich eigentlich bin: Der Gottesliebe bedürftig, zur Menschenliebe begabt.
III.
Vom heiligen Augustinus stammt die markante Formulierung: Wer liebt, der sagt: Ich will, dass Du bist. Wie erlösend und motivierend dieser Satz wirkt, wenn er mir aufrichtig und glaubwürdig gesagt wird, hat hoffentlich jede und jeder irgendwann erlebt. Nichts ist aufbauender, als wenn mir jemand zu wissen und vor allem zu spüren gibt: Ich will, dass du bist, dass es dich gibt.
Das Gegenteil von Liebe wäre dann: Ich will, dass Du so wirst, wie ich meine, dass du sein müsstest. Menschliches Miteinander wird zur Hölle, wo Menschen andere Menschen zwingen, so zu sein, wie sie selber sind. Kein Mensch kann es bei sich selbst aushalten, wenn er meint er müsse ein anderer sein, als er ist.
Nichts und niemand kann sein und leben, wenn es nicht diesen Satz gäbe: Ich will, dass du bist. Deshalb ist die Liebe das wichtigste Gebot: An der Gottes- und Nächstenliebe entscheidet sich, ob das Leben oder der Tod die Oberhand bekommt.
IV.
Obwohl von seinem ausdrücklichen Selbstverständnis her nicht religiös, war es dem Dichter Max Frisch gegeben, in Wort und Gleichnis zu veranschaulichen, worauf es in der Begegnung mit diesem tiefsten Grund unseres Lebens ankommt: Auf das Hineinwachsen in Gottes bedingungslose Liebe, die immer weiter und tiefer ist als alle Konstruktionen, die der Kopf des Menschen produziert.
Er schreibt in seinen Tagebüchern:
„Es ist bemerkenswert, dass wir von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Mal. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solang wir sie lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der, den man liebt.“[2]
Das ist es, woran uns Gottes Gebot Augenblick für Augenblick erinnert und weswegen es eigentlich Augenblick für Augenblick ein Freudenfest wert ist:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
[1] Nach der Predigt wurde ich auf einen schrecklichen Zusammenhang aufmerksam gemacht, der mir bei der Vorbereitung entgangen war: In diesem Jahr ist das Fest Simchat Tora von der Terrororganisation Hamas ausgenutzt worden, um Israel zu überfallen, viele Menschen zu ermorden und Israelis und Palästinenser in den Krieg zu zwingen.
[2] Max Frisch, Tagebuch 1946 – 1949, Frankfurt 1978, 31
Predigt am 28. Sonntag im Jahreskreis (15.10.2023)
Predigtvon P. Marian Reke OSB zu Phil 4,12-14.19-20
Auch wenn es als Anrede gestelzt klingen mag, sage ich heute bewusst: Meine Mitmenschen!
Als Lesung war vorhin der Schluss des Briefes zu hören, den der Völkerapostel an die Gemeinde in Philippi gerichtet hat, die er während seiner zweiten Missionsreise in Europa gründete. Vielleicht haben Sie die Worte des Paulus noch im Ohr: „Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht: in Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. Alles vermag ich durch den, der mich stärkt. Doch ihr habt recht daran getan, an meiner Bedrängnis Anteil zu nehmen …“.
Der eher kurze Brief ist nach allem, was sich zwischen seinen Zeilen lesen lässt, im Gefängnis geschrieben, wohin es Paulus durch sein Apostolat verschlagen hat. In dieser „Bedrängnis“, wie er es nennt, hat er – auch sich selbst als ermutigenden Trost – im zweiten Briefkapitel den bekannten Philipper-Hymnus (Phil 2,5-11) verfasst: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen.“ Auf der Basis eines schon vorliegenden Liedes bringt dieser Hymnus das christliche Gottgeheimnis auf den Punkt: dass nämlich Gottes Größe sich darin erweist, sich um der Menschen willen in Christus klein zu machen oder dass Gottes Macht sich in der Passion Jesu als Machtverzicht erweist.
Auf diese unbedingte Entschiedenheit Gottes für den Menschen kann nur eine unbedingte Entschiedenheit des Menschen für Gott die angemessene Antwort sein.
Das ist die herausfordernde Botschaft des Paulus nicht nur im Philipperbrief, sondern überall, wo er sie verkündet und wo immer sie gehört wird. Und sie wird gehört bis in unsere Zeit und das besonders außerhalb angestammter kirchlicher Hörerkreise. Es ist fast wie damals, als der Missionar Paulus nicht nur in den Synagogen der jüdischen Diaspora unter Seinesgleichen predigte, sondern auf dem berühmten Areopag, dem Marktplatz der griechischen Metropole, auch das Gespräch mit den philosophisch bewanderten Athenern suchte, um ihnen das Geheimnis des unbekannten Gottes zu erschließen – durch Worte, die noch heute Herzen berühren und öffnen können. Er sagte:
„Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. ( ) Gerade diese euch unbekannte Gottheit verkünde ich euch. ( ) Mit allem, was Gott tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Er ist ja für keinen von uns in unerreichbarer Ferne. Denn in ihm, dessen Gegenwart alles durchdringt, leben wir, bestehen wir und sind wir. Oder, wie es einige eurer eigenen Dichter ausgedrückt haben: Er ist es, von dem wir abstammen.“ (Apg, 17,22-23.27f. NGÜ)
Die provokative Sicht von der Entschiedenheit des gegenseitigen Für-ein-anders von Gott und Mensch hat auch in unserer Zeit dazu geführt, dass Paulus zum Gesprächspartner einer ganzen Reihe von Philosophen geworden ist, die bemerkenswerter Weise gesellschaftlich fast alle dem linken Spektrum zuzuordnen sind und sich teils als Atheisten verstehen. Als Gottlose und als Unruhestifter wurden auch die ersten Christen im religiösen und politischen Umfeld ihrer Zeit gesehen, bevor das Christentum zur Staatsreligion mutierte, um es neutral zu formulieren. Es dürfte also nicht ganz so verwunderlich sein, dass linksorientiert kritische Geister heutzutage im Apostel Paulus einen Gesinnungsgenossen finden. Er war jedenfalls zutiefst überzeugt, dass alle Grenzen und Unterschiede zwischen Menschen – Rang, Hautfarbe, Geschlecht, Religion – zweitrangig sind angesichts dessen, dass Gott selber Mensch wurde, um das gottgewollte Menschsein an sich frei- und in sein gottverbürgtes Recht einzusetzen. So deckt er den tiefsten Grund einer universalen Humanität auf.
Paulus nennt sie (theologisch)„Sein in Christus“, durch das in aller Vielfalt „alle zusammen ein neuer Mensch geworden“ (Gal 3,28) sind. So steht es im Galaterbrief. Übrigens auch das Leitwort unseres Gymnasiums nebenan meint und will dasselbe: „Dilatato corde humanitas exhibeatur: Mit weitem Herzen Menschsein ermöglichen“ – Menschenfreundlichkeit und Menschenwürde verwirklichen!
Der inzwischen 90jährige Fulbert Steffensky, ein ehemaliger Benediktiner aus Maria Laach, der sich selbst als katholisch fromm und protestantisch denkend beschreibt, war öfter mit seiner Frau Dorothee Sölle hier auf dem Klosterberg zu Gast. Bei einem ihrer Besuche sagte er mir in seiner nachdenklich ruhigen Art: „Wenn ein Kloster lebendig bleiben will, muss es ein Thema haben.“
Ich meine, das wäre eins und nicht nur für ein Kloster: „Mit weitem Herzen Menschsein ermöglichen!“ – in Gottes Namen. So könnte die gottmenschliche Wahrheit der unbedingten Entschiedenheit füreinander immer wieder im Sinne Bert Brechts konkret werden.
Eine Provokation, eine Herausforderung bleibt sie allemal – in einer Welt, in der Menschen das eine einigende Menschsein vergessen oder verraten und sich auf Gott berufen, um Gewalt gegen Menschen auszuüben: sei es mit dem zum Schlachtruf pervertierten islamischen Glaubensbekenntnis „Allahu akbar“ (Gott ist größer.) wie derzeit in Israel-Palästina oder mit dem irregeleitet gläubigen Schlachtruf „Deus lo vult“ (Gott will es.), mit dem zur Zeit der Kreuzzüge Christen ins Heilige Land einfielen.
Die Predigt verdankt sich einer Anregung durch Überlegungen von Prof. Klaus Müller zur paulinischen Kenosis(Entäußerung)-Theologie.
Predigt am 26. Sonntag im Jahreskreis (1.10.2023)
Abtei, Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Dem heutigen Abschnitt des Evangeliums gehen wichtige Ereignisse voraus: Ein neuer Abschnitt im Leben Jesu hatte begonnen – er war aus der Provinz imposant in die Hauptstadt Jerusalem eingezogen. Dann steigerte sich die öffentliche Aufmerksamkeit weiter: Es gab Aufruhr, als er Händler und Käufer aus dem Tempel trieb und die Tische der Geldwechsler umstieß. Er heilte dort Menschen und Kinder jubelten ihm zu. Das verärgerte religionsamtliche Führungspersonal – Hohepriester und Schriftgelehrte – sprach darauf Jesus an und nach einem kurzen Disput ließ Jesus sie einfach stehen und ging weg. Am nächsten Tag verschärfte sich die Konfrontation weiter – jetzt vereint mit der politischen Führung, den Volksältesten: Ihre Frage nach seiner Handlungsvollmacht konterte Jesus mit einer Gegenfrage, in der sie sich so spekulativ verhedderten, dass Jesus sie ohne Antwort wiederum einfach stehen ließ.
Es ist eine spannungsgeladene Lage, in die Matthäus das heutige Evangelium platziert. Kontroversen, ja heftiger Streit liegen in der Luft. Eines wird damit schon jetzt klar: Jesus ist nicht harmlos – er stellt Fragen, seine Botschaft regt an, seine Lebensart mischt auf. – Soweit eine erste Einordnung.
Jesus ist schon länger mit seinen Jüngern verkündend und heilend unterwegs, doch das religiöse und politische Establishment erkennt darin nichts Positives, keine Chance für sich – im Gegenteil: Mit „Was meint ihr?“ stellt Jesus ihr Leben buchstäblich in Frage, mehr noch: Sie erleben ihn als einen fortwährenden Angriff auf ihre elitäre Lebensweise. Und es wird noch schärfer: Ein ganzes folgendes Kapitel lang schüttet Jesus einen Wehe-Ruf nach dem anderen aus – eine Kostprobe: „Weh Euch, ihr Schriftgelehrten (…), ihr Heuchler, ihr verschließt den Menschen das Himmelreich! … Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut!“ Auch wenn die Bibelwissenschaft heute weiß, dass Matthäus diese Konfrontation nachträglich literarisch ausgebaut hat, sind wir Zeugen eines massiven Konfliktes, der ein wesentlicher Grund für die bald folgende Hinrichtung Jesu am Kreuz wurde.
Worin bestand dieser Grundkonflikt? Kann der auch etwas mit uns zu tun haben? Können wir daraus lernen? – Er hat mit uns zu tun, wenn wir die Figuren des Gleichnisses als typische Charaktere verstehen, die immer und überall existieren. Sie halten uns in vielfältiger Weise vor Augen, wie unterschiedlich Menschen mit dem Lebensangebot Jesu umgehen.
Offensichtlich ist es eine Gefahr, wie diese Schriftgelehrten zu leben: Man hat es zu etwas gebracht und weiß ziemlich genau, wo es langgehen soll. Gern diktiert man anderen, wie man zu leben hat, man hat eben seine Erfahrung. Und wenn die nicht ausreicht, dann wird irgendeine Schrift zitiert – gerne die Stellen, die einem selbst in den Kram passen. Mangels innerer personaler Charakterklarheit soll eine äußere Quelle die innere Leere füllen. Solche Schriftgelehrte setzen ihre Interpretation der Schrift als selbstschützenden Panzer und aggressive Waffe ein. Sie agieren Angst getrieben, haben sich Privilegien erobert und verteidigen diese gewalttätig – es geht um Besitz-Stands-Wahrung in einem festgefahrenen Leben. Tatsächlich werden sie bald, dann total-final – man beachte die Sprache – fest–stellen: „Wir haben ein Gesetz und demnach muss er sterben!“ – Lebendigkeit, Lieben im Leben, das hört sich anders an. Kurz und gut: „Der Buchstabe tötet – der Geist macht lebendig.“ – Hat Jesus auch deshalb nichts aufgeschrieben? Seine mündliche Rede, seine Gleichnisse sind offen, sie sind ein Angebot an jeden einzelnen von uns, aus ihnen zu leben und sie weiter zu verkünden.
Zurück zu unserem Gleichnis: Jesus gibt seine Kontrahenten noch nicht auf – ein neuer Kontakt mit ihnen ist ihm wichtig. Mit der Frage „Was meint ihr?“ bietet er wieder ein Gespräch an. Jesus entlarvt ihre blockierte Lebensweise mit dem Gleichnis von den zwei Söhnen. Der eine lehnt die Bitte des Vaters zunächst ab und geht schließlich doch zur Arbeit in den Weinberg. Der andere entpuppt sich als glatter Lügner: Er sagt zu und geht dennoch nicht. Der erste erweist sich als ein Mensch, der seine ursprüngliche Ablehnung bereut. Eigene Einsicht überzeugt ihn, sein Leben zu verändern, sich weiter zu entwickeln. Dabei hilft, dass der Vater den äußerlich schon Erwachsenen „mein Kind“ nennt: Innen ist er noch unreif, die Ansprache des Vaters klingt wie eine liebevolle Zuwendung, die dem Sohn weiteres Wachstum ermöglichen will. Dieser erkennt die Notwendigkeit der Arbeit im Weinberg und vielleicht freut er sich auch auf den Genuss des guten Weines, der nur aus einem durch Arbeit gepflegten Weinberg gewonnen wird. Er entdeckt in der Bitte des Vaters das Angebot, selbst wie ein guter Wein zu reifen. Die auch mühsame Arbeit im Weinberg ist der Weg dahin – Selbstentwicklung ist keine Hängematte!
Der zweite versucht‘s mit einer Lüge. Sein „Ja“ ist nur Schein, es ist eine leere Worthülse, Sagen und Tun fallen auseinander, er füllt sein „Ja“ nicht durch sein Tun. Sein leeres Ja zeigt: Sein Leben hat keine innere Substanz, sein Inneres entspricht nicht seinem Äußeren. Er versucht mit einer Lüge durchzukommen – vielleicht steht sie für eine grundlegende Lebenslüge. Er bricht nicht auf, sondern bleibt in seiner Verweigerung zu Hause sitzen.
Jesu Frage: „Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?“ beantworten die Schriftgelehrten formal richtig, doch ihre Antwort ist nur ein Lippenbekenntnis. Sie erkennen nicht, dass Jesus mit dem Gleichnis ihnen den Spiegel vorhält: Sie leben wie der zweite Sohn, der die Bitte des Vaters äußerlich formal annimmt und bejaht, dann aber nicht danach handelt. Sie leben äußerlich ein Ja und innerlich ein Nein und bleiben dabei. Sie verweigern sich dauerhaft der Bitte des Vaters, sie wollen sich nicht bewegen und engagieren, nicht im Weinberg an der Basis arbeiten. Bei ihnen können keine Lebensfrüchte wachsen und reifen. An anderer Stelle sagt Jesus: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Auch wenn diese Schriftgelehrten äußerlich so tun, gehen sie nicht in den Weinberg, sie gehen nicht ins Reich Gottes.
Eine Alternative ihrer Verweigerungshaltung präsentiert Jesus ihnen sogleich: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Während Schriftgelehrte und Ältesten zur obersten zentralen Gesellschaftsschicht gehörten, waren Zöllner und Dirnen am anderen Ende – ausgegrenzt und ganz unten. Zöllner galten als hemmungslos raffgierige Betrüger, Dirnen als gescheiterter moralischer Abschaum. Doch gerade sie sind offen für das Reich Gottes. Sie wissen um ihre Fehler, ihre Schwäche – auch ihr moralisches Versagen. An anderer Stelle sagt Jesus: „Ich bin gekommen, die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten.“ Menschen wie ihnen hat Jesus ihre ursprüngliche unzerstörbar göttliche Würde wieder vermittelt. Das hatte schon Johannes ermöglicht, der – so Jesus ausdrücklich – auf dem „Weg der Gerechtigkeit“ war. Das klingt nach einem aus- und aufrichtenden Weg in eine personale Richtigkeit, nach Veränderungsbereitschaft zu einem stimmigeren Leben. Die Schriftgelehrten dagegen haben sich in ihrer Selbstgerechtigkeit der Botschaft des Johannes verweigert. Und wenn sie schon von Johannes nichts angenommen und umgesetzt haben, dann haben sie Jesu Botschaft von Anfang an nicht kapiert. Sie haben nur gesehen, ihre Wahrnehmung ist nur äußerlich – zu innerer Umkehr, Reue, wie beim ersten Sohn, waren und sind sie nicht fähig und bereit.
Und doch bleibt Hoffnung – auch für sie. Jesus sagt: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Irgendwann wird also auch ihnen aufgehen, dass ihr Lebensmodell einem leeren Palast gleicht – außen glanzvoll, innerlich tot. Das Angebot göttlichen Liebens, seine unzerstörbare Gegenwart in allen und allem braucht bei Menschen wie ihnen länger bis zu einer Auferstehung mitten im und ins Leben.
Diese Hoffnung gilt auch uns, die wir uns selbst und andere oft abwerten, ausgrenzen und fixieren. Gott lädt immer wieder neu ein – jeden von uns – dem Leben zu trauen und Neues zu wagen, gerade auch aus Scheitern und Versagen heraus in eine neue Auferstehung. Gott schenkt uns immer bedingungslos neues Leben. Diese Erlösung löst Fixierungen und ermöglicht Liebe, Leben – und Lösungen, mitten im Alltag.
Predigt am 25. Sonntag im Jahreskreis (24.09.2023)
Abtei, Predigtvon P. Maurus Runge OSB
In seinen Gleichnissen durchbricht Jesus immer wieder unsere Erwartungen, indem er uns Menschen vor Augen führt, die ganz anders handeln, als wir es uns vorstellen. Da ist der Vater, der dem heimkehrenden Sohn keine Vorwürfe macht, sondern ihm zu Ehren ein Fest feiert – die Frau, die wegen einer verlorenen Münze das ganze Haus auf den Kopf stellt – der Sämann, der drei Viertel des Saatgutes auf unbrauchbaren Boden sät und damit verschwendet. Und heute hören wir von einem Weinbergbesitzer, der all seinen Arbeitern den gleichen Lohn ausbezahlt, egal ob sie nur eine Stunde gearbeitet oder den ganzen Tag in der Hitze geschuftet haben.
Beim Gleichnis heute kommt noch dazu, dass wir uns in unserem Gerechtigkeitsempfinden verletzt fühlen, wenn der Verwalter jeden Menschen unabhängig von seiner Leistung gleich behandelt. Rein juristisch ist er im Recht, denn er hält sich genau an die Absprachen, wonach er jedem Arbeiter einen Denar ausbezahlt. Aber zwischen Recht und Gerechtigkeit scheint manchmal ein großer Unterschied zu liegen. „Leistung muss sich wieder lohnen“ – das scheint hier nicht zu gelten, und überhaupt, wo kämen wir da hin, wenn jeder Unternehmer heute so handelt? Mit der Bibel lässt sich nun mal kein Staat machen und kein Bruttoinlandsprodukt vergrößern.
Mal abgesehen davon, dass ich davon überzeugt bin, dass im Reich Gottes, von dem die Gleichnisse Jesu handeln, tatsächlich andere Maßstäbe gelten als in unserer an Leistung und Profitmaximierung orientierten Welt, ist für mich die Reaktion des Weinbergbesitzers auf die Kritik der Arbeiter der ersten Stunde entscheidend für das, was wir für unser Leben heute aus dieser Geschichte lernen können. Er betont, dass keinem ein Unrecht geschieht, dass jeder den lebensnotwendigen, vereinbarten Lohn erhalten hat, und stellt dann eine Frage, die den Kern der Kritik ins Schwarze trifft und entlarvend ist: „Ist dein Auge böse, weil ich gut bin?“ Martin Luther übersetzt noch sprachgewaltiger: „Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?“
Mit dieser Frage wird die Perspektive geändert: es geht hier nicht vornehmlich um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, sondern um meinen Blick, meine Perspektive, die ich einnehme – und ob es nicht manchmal für mich persönlich wie auch fürs gesellschaftliche Klima gut sein kann, diese Perspektive zu wechseln. Warum kann ich mich nicht an dem freuen, was mir positiv geschehen ist? Dass ich eine gute Arbeit gefunden habe, dafür einen gerechten Lohn bekomme, der mein Überleben und das Überleben meiner Familie sichert? Warum wandert mein Blick scheel zum anderen, dem, der erst so spät zur Arbeit gekommen ist, und warum fühle ich mich benachteiligt, wenn auch dieser den lebensnotwendigen Lohn erhält? Warum kann ich die Güte eines Menschen nicht aushalten, wenn sie anderen gilt? Was weiß ich denn von den Gründen und Motiven des anderen, der doch genau so wie ich auf Arbeit gewartet hat, den aber keiner angeworben hat?
Es geht für mich im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg um die Prüfung meiner Erwartungen, um Erwartungsmanagement. Es geht darum, auf das zu schauen, was mir geschenkt ist, und nicht neidvoll darauf zu schauen, was der Mitmensch neben mir erhält und wo er vermeintlich übervorteilt wird. Und es geht darum, meine Perspektive vielleicht einmal zu hinterfragen und demjenigen, der dem Anschein nach weniger leistet oder andere Ansichten hat als ich, nicht etwas zu unterstellen, was in Wirklichkeit ganz anders ist. Und hier entfaltet das Gleichnis seine ganze Sprengkraft in Kirche und Gesellschaft heute.
In der Kirche erwarten die einen das Heil von Reformen, die anderen von der Beibehaltung des Status Quo. Und die einen unterstellen den jeweils anderen unlautere Absichten, wenn sie ihnen nicht ganz das Katholischsein absprechen.
Wir erwarten von Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, dass sie sich integrieren und uns nicht die Arbeitsplätze wegnehmen, beschimpfen sie andererseits als Sozialschmarotzer, die uns nicht auf der Tasche liegen sollen – ohne je mit diesen Menschen über das gesprochen zu haben, was sie bewegt und belastet.
Und wir erwarten einfache Lösungen für komplexe Probleme und wundern uns hinterher, wenn wir populistischen Rattenfängern auf den Leim gegangen sind, die nicht das Wohl der Gesellschaft, sondern nur ihr eigenes kleines Wohl im Sinn haben.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg lehrt mich, mich an dem zu freuen, was ich geschafft habe, und nicht mit bösem Blick nur das zu sehen, was andere bekommen haben. Es lehrt mich, meine Erwartungen und Motive zu hinterfragen und das Beste von meinen Mitmenschen anzunehmen, nicht das Schlechteste. Das ist nicht einfach und verlangt immer neu eine innere Umkehr. Aber so können wir mitten in dieser Welt dem Reich Gottes schon etwas näher kommen, das jenseits von Leistungs- und Konkurrenzdenken sich entfaltet. AMEN.
Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (29.08.2023)
Abtei, Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Predigt zu Mt 16, 13-20
„Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen
und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“
Angesichts der gegenwärtigen Kirchensituation geht der Satz über Petrus als „Fels“ schwer durch du Ohren und noch schwerer über die Lippen. Man möchte loslegen mit lauter Klage und gerechtem Zorn. – Dieser Versuchung möchte ich heute Morgen nicht erliegen, denn – so finde ich – eine Predigt ist dazu da, auf das hinzuweisen, was weiterführt und aufbaut, was nicht im Hin und Her der Gründe und Gegengründe hängenbleibt, sondern auf den Grund verweist, der Stand gibt.
Einen lohnenden Hinweis dazu habe ich in einem Buch gefunden, das den anschaulichen Titel trägt „Der singende Stotterer“. Es ist die Autobiografie von Walter Dirks. Walter Dirks, geb. 1901, war in seinen Zwanzigern und Dreißigern, also in den Jahren zwischen den zwei Weltkriegen, als Assistent von Romano Guardini Teil des katholischen Aufbruchs dieser Jahre, in dem sich die Konturen dessen entwickelten, was dann im Zweiten Vatikanischen Konzil für die ganze Kirche in Gang gesetzt wurde. Sein ganzes Leben hat er diesem Aufbruch gewidmet, – auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Kulturchef des WDR.
Dieser Walter Dirks schreibt im Rückblick auf sein Leben:
„Die Kirche, so belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist, hat mir doch den Glauben vermittelt und dadurch das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen. Ich hätte diese Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, wäre sie mir nicht durch die Kirche vermittelt worden. Deshalb ist sie, die mich in vielem ärgert, plagt, mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“
Dirks‘ Erfahrungsbilanz scheint mir nahezu prophetisch im Blick auf die Lage unserer Kirche hier und heute: „Belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist.“
Das ist die eine Seite, die sich durch nichts beschönigen lässt. Doch zugleich gilt genauso klar: Eben diese Kirche, die oft so unsäglich stottert, ist unverzichtbar, weil sie von dem zu singen vermag, was den Menschen den tragenden Grund ihres Lebens zu vermittelt. „Sie ist das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen.“
Mit Christus an Gott zu glauben, auf ihn zu bauen, ist tragender Grund des Lebens. Das verkörpert Petrus: Auch er eine in vielerlei Hinsicht belastete Existenz, auch er ein „Singender Stotterer“: Man denke nur daran, wie er in der Passionsnacht erst einschläft und dann Jesus dreimal verleugnet. Und zugleich – oder vielleicht gerade deshalb? – ist Petrus der, der Jesus Christus als den zum Leuchten bringt, der es ist: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Auf diesen zwiespältigen Petrus setzt Jesus, er wird der „Fels“ – nicht weil er über die „Unterwelt“ erhaben ist, sondern weil er sich von ihr nicht „überwältigen“ lässt.
Der unendlich große Gott hat sich darauf angewiesen gemacht, dass Menschen in all ihrer Gebrochenheit den Mut haben, ihn weiterzusagen, – wenn es sein muss mehr stotternd als singend, nicht als strahlende Siegertypen, sondern als solche, die sich durchs Hinfallen nicht entmutigen lassen wieder aufzustehen. Denn ohne Menschen, die Gott weitersagen, wäre er zwar da, aber nicht als Gott für die Menschen, sondern als unzugängliche, Angst einflößende Schicksalsmacht. Hier unterscheidet sich Christsein sich von all den anderen Wegen zu Gott: Gott ist nicht ohne die Menschen zu haben und umgekehrt auch: Es gibt keinen Menschen, der nicht Abbild Gottes wäre, egal wie entstellt er auf den ersten Blick wirkt.
Darin ist der Petrus des heutigen Evangeliums Fels, Grund der Kirche. Er verkörpert das Prinzip unseres Christseins: Der Mensch – sowohl in seiner Größe als auch in seinen Grenzen – ist Abbild Gottes. Ob und wie Gott die Menschen erreicht, hängt daran, dass es Menschen gibt, die Gottes Unendlichkeit in ihrer Endlichkeit gegenwärtig werden zu lassen.
Das gilt zunächst für den, der den Dienst des Petrus versieht. Und gleichzeitig steckt darin ein Zuspruch und Anspruch an jede und jeden von uns: Fühl dich nicht zu klein, zu unbedeutend zu schwach, zu wenig intelligent oder begabt, um den Menschen um dich herum Gott zu bringen. Und umgekehrt gilt auch: Auf dem Antlitz des Menschen, so elend begrenzt er dir manchmal vorkommen mag, begegnet dir ein Wink Gottes.
Durch jeden Menschen und an jedem Menschen das Antlitz Gottes zum Leuchten zu bringen, das ist die Aufgabe der Kirche, darin ist sie mit Petrus Fels und Fundament, der Grund, der Stand verleiht.
Oder, mit Walter Dirks:
„Wir hätten die Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, würde sie uns nicht durch die Kirche vermittelt. Deshalb ist sie, die in vielem ärgert, die plagt, die mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“
Bild: Friedbert Simon In: Pfarrbriefservice.de
Predigt am Fest der Verklärung des Herrn (6.8.2023)
Predigtvon P. Abraham Fischer OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir feiern heute ein Fest mit dem rätselhaften Titel „Verklärung des Herrn“. Das Fest bezieht sich auf eine Überlieferung, die sich in allen drei Evangelien der Synoptiker Lukas, Matthäus und Markus findet. Darin zeigt sich, dass es sich sozusagen um einen Urstein der Geschichte von Jesus dem Christus handelt.
In den Evangelien selbst kommt der deutsche Titel des Festes „Verklärung“ nicht vor. Dort wird von Licht gesprochen, das aus Jesu Antlitz erstrahlt und von weißen Kleidern, so weiß wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Dieses Licht und dieses Weiß hat etwas mit „Überirdischem“ zu tun. Erinnern wir uns: Das Gesicht Moses strahlt so ein Licht aus, als er nach der Gottesbegegnung mit den Gesetzestafeln vom Sinai zurückkommt. Die Engel im österlich leeren Grab tragen leuchtende Gewänder des himmlischen Glanzes.
Der Text selbst spricht von Verwandlung. „Transfiguratio Domini“. Das sagt, dass etwas gleichbleibt und sich doch auch ändert. Es ist nicht ein anderer, ein fremder Jesus, sondern die Offenbarung einer „erweiterten Figur Jesu“ – so möchte ich es umschreiben. Das Bekannte und Gewohnte wird über sich hinausgehoben, erweitert. Es scheint etwas durch, das im Grunde schon immer da ist, und in diesem Augenblick strahlt es so mächtig auf, dass alles andere davon überzeichnet und folglich sogar in seinem Gehalt verändert wird. Danach sehen wir Menschen uns im Innersten: dass etwas durchscheinen möge vom Weltenlicht, vom Gottesstern, vom Seelenglanz.
Die Verklärung Jesu beginnt innen – im Seelenkern. Er zieht sich auf den Berg zurück, um zu beten. Da geschieht Verklärung. Jesu Gestalt wird so transparent, dass die andere Seite der Welt durchscheint: seine himmlische Herkunft: Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen. Es klingt die Geschichte Israels an. Mose, der Gesetzesträger und Elija, der größte der Propheten erscheinen – jene also, die Gott schauten, ohne zu sterben.
Und dann stahlt eine Wolke auf, die für sich spricht. Die Szene wird unwirklich, denn es wird eigenartigerweise von einem Schatten gesprochen, in dem Jesu Licht erscheint. Das kennen wir aus der Erzählung von der Wüstenwanderung des Volkes Israel. Die Wolke, in der Gott nahe ist. Hier strahlt denn auch eine Transfiguration auf – eine Bedeutungsverschiebung: Der Schatten verdeckt nicht das Licht, wie wir es aus der Natur kennen. Dunkelheit Gottes wirkt gegenteilig: Gottes Schatten verdeckt nicht Licht, sondern Gottes Schatten bestätigt Licht. In unserem Weltbild ein Paradox, trotzdem finden wir es in den Überlieferungen: Gottes Schatten erleuchtet.
Nehmen wir die Wüstenwanderung Israels. Gottes dunkle Wolke begleitet das Volk auf einer Wanderung, die durch Wüste und Steppe, auf Irr- und Umwegen, durch Sünde und Tod, dann erst in das gelobte Land führt.
Von Maria wird gesagt, dass die Kraft des Höchsten sie „überschattet“. Der Herr ist mit dir – sagt ihr der Engel zu. Und das meint eben nicht, dass sie verschont bleiben wird. Ihr wird Unendliches zugemutet: das uneheliche Kind, die gesellschaftliche Schande, der rätselhafte Knabe im Tempel, die Einsamkeit mit dem Geheimnis und das Ausharren auf Golgatha – das ist ihr Weg, an dessen Ende erst der Himmel wartet.
Auch der Schatten Gottes auf Jesu Leben ist unübersehbar: Die Geburt in der Unbehaustheit des Stalles, die Flucht nach Ägypten, das Unverständnis der Menschen, die Ablehnung, die Verleumdungen, das Scheitern der Mission, die Zerstreuung der Jünger, der Weg hinauf zur Schädelhöhe, der bittere Tod zwischen den Verbrechern. Erst dann erhebt sich der Sieg von Ostern.
Wir finden das heutige Evangelium eingebettet zwischen zwei Leidensankündigungen Jesu. „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst. Er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Und Lukas überliefert in seinem Bericht der Verklärung, dass auch hier die Jünger eingeschlafen waren, während Jesus betete. Die ergreifende Szene vom Ölberg klingt an.
Vielleicht ist das Verklärung: Innerlich glänzendes Leben im Schatten göttlicher Wirklichkeit. Gott ist in der Dunkelheit nahe – was denn nicht unbedingt meint, dass wir sein Dasein wahrnehmen. Er drängt sich nie auf und zeigt seine Göttlichkeit einzig im Licht der Liebe, die erst in der Spannung vergänglichen und verletzlichen Lebens sich auftut. Es bleibt uns Glaube: in Licht und Freude dankbar geübt, in Dunkelheit und Leiden schmerzhaft geläutert und verwirklicht.
In Verklärung und Herrlichkeit sind wir Menschen Abbilder Gottes. Manchmal kann man sie bei einigen Menschen durchleuchten sehen. Die Wolke ist dann mitunter der Grund eines Lichtes, das von innen kommt. Ostern ist in diesem Zusammenhang wirklich Pascha, das heißt Vorübergang des Herrn, Hindurchgehen in die Liebe.
Amen.
Predigt am 17. Sonntag im Jahreskreis (30.07.2023)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Träume haben Menschen seit jeher fasziniert, da sie so schwer fassbar sind. Einerseits haben sie zu viel mit der erlebten Tageswirklichkeit gemein, als dass man sie als bloße Einbildung abtun könnte, andererseits wirken sie zu fremd und unwirklich, um als Teil der Tageswirklichkeit gesehen zu werden.
Bereits in den Dokumenten der ältesten Schriftkulturen, wie z.B. vom Ende des 3. Jahrtausends vor Christus in Ägypten, sind Träume und Traumdeutungen überliefert. Auch das Alte Testament, in dem rund 20 Träume enthalten sind, bildet hier keine Ausnahme. Bekannt sind den meisten der Traum Jakobs von der Himmelsleiter (Gen 28,12) und die Deutung der Träume des Pharaos durch Josef, einen Sohn Jakobs (Gen 40-41).
Auch der neutestamentliche Namensvetter, Josef, der Vater Jesu, ließ sich, wie auch die Sterndeuter aus dem Osten, dem Matthäusevangelium zufolge von Träumen bewegen.
In dieser biblischen Tradition steht auch König Salomo, der zu Beginn seiner Amtszeit altem Brauch gemäß nach Gibeon, einem ursprünglich kanaanäischen Heiligtum, pilgert und dort 1000 Brandopfer darbringt (1 Kö 3,4). In der folgenden Nacht „erscheint ihm Gott im Traum und fordert ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll!“ (ebd. 3,5). Salomo wählt weder Reichtum noch Macht, sondern wünscht sich ein „ein hörendes Herz“ (ebd. 3,9).
Das „hörende Herz“ ist die große Sehnsucht, der Schatz, für den Salomo, wie der Bauer und der Kaufmann im Evangelium, alles andere stehen und liegen lässt, und in der Folge überreich beschenkt wird.
In einer jiddischen Geschichte sind diese beiden Elemente der heutigen Lesungen von Traum und Schatz in besonderer Weise miteinander verwoben. Vermutlich ahnen einige schon, welche Geschichte ich meine, da sie sehr bekannt ist. Dennoch möchte ich sie kurz skizzieren:
Vor mehr als hundert Jahren lebte in einem Dorf bei Krakau ein armer Jude, der Flickschuster Eisik, Sohn des Jekel. Er ist sehr gläubig und hat Gott schon oft gebeten, ihn aus seiner Armut zu befreien.
Eines Nachts träumt er von einer großen Stadt mit einer Königsburg oberhalb der Stadt und einem großen Fluss, über den eine Brücke hinauf zur Königsburg führte. Eine Stimme sagt ihm im Traum: Das ist Prag. Dort, unter der Brücke ist am Ufer ein Schatz vergraben. Geh hin, grab ihn aus, er gehört dir!
Nach dem Erwachen denkt Eisik: „Träume sind Schäume“. Doch in den beiden folgenden Nächten hat er den selben Traum, so dass er sich schließlich auf den Weg, das sind gut 500 km, macht und nach einigen Tagen müde und ausgehungert in Prag ankommt. Er sieht die Burg, den Fluss, die Brücke, die Stelle, wo der Schatz liegen soll. Doch die Brücke ist von Soldaten bewacht. So streift Eisik um die Stelle herum, wo der Schatz liegen soll, bis er auffällt, man ihn packt und zum Hauptmann der Wache führt, der ihn zunächst für einen Spion hält.
Nachdem Eisik dem Hauptmann von seinem Traum erzählt hat, lacht der laut los und erwidert ihm: Auch ich träume seit einigen Tagen einen Traum, der mich in ein Dorf nach Krakau schickt, wo unter dem Herd eines Juden, Eisik, Sohn des Jekel, soll er heißen, ein Schatz vergraben sein soll. Aber was denkst du: Träume sind Schäume! Bei Krakau gibt es viele Juden, die eine Hälfte heißt Eisik, die andere Jekel. Da hätte ich was zu tun, in all den Hütten den Herd wegzuräumen und nach einem Schatz zu graben. Du verrückter Kerl, mach, dass du nach Hause kommst!
Und Eisik macht sich auf den Weg nach Hause, räumt den Herd in seiner Hütte weg, gräbt den Schatz aus und lebt fortan, befreit von seiner Armut, glücklich mit seinem Schatz.
Viele Zeitgenossen reagieren dem Hauptmann ähnlich, wenn ihnen der Schatz, das Reich Gottes, angeboten wird: „Da hätte ich aber viel zu tun, mich noch mit diesen alten Kamellen von Jesus abzugeben.“ Andere sind verbittert von Leid, von Misserfolgen, wiederholten Enttäuschungen, schwerer Krankheit oder vom Tod eines lieben Menschen, so dass sie alle Sehnsucht verloren haben. Wieder andere haben mit Christen oder Kirchenvertretern negative Erfahrungen gemacht und wollen sich auf eine unsichere Schatzsuche nicht mehr einlassen. Und dann gibt es jene, die das Reich Gottes in die Ewigkeit abschieben, es für einen Traum halten und nicht merken, dass dieser Schatz hier auf Erden auffind- und erfahrbar ist.
Sie alle verschließen sich ‑ wie der Hauptmann ‑ der möglichen Freude über den Besitz des Schatzes.
Dem gegenüber steht Eisik. Sein Traum lässt ihn nicht los. Er macht es wie der Perlenkaufmann im Evangelium: Er geht ein Risiko ein, nimmt viele Mühen und Gefahren auf sich, um den Schatz zu finden.
So entdecken auch heute noch Menschen die Botschaft Jesu als einen Schatz, der ihr Leben prägt und sie auch durch Not, Leid und Mühe trägt. Solche Menschen haben die Maßstäbe ihres Lebens „verrückt“, so dass nicht mehr Geld und Karriere die entscheidende Rolle spielen, sondern Jesus Christus und seine Zuwendung zu den Menschen. Da stört es sie gar nicht, wenn sie von anderen ausgelacht oder für dumm verkauft werden.
Der Auslöser für eine Schatzsuche kann ein Traum, eine Sehnsucht nach Leben, eine tiefe Erfahrung, ein persönliches Erlebnis sein. Auf jeden Fall etwas, was mich bewegt, was ich letztlich nicht erklären kann, was mich im Herzen berührt.
Voraussetzung dafür ist ein Herz, das sich berühren lässt, oder mit den Worten Salomos: ein hörendes Herz. Dieses Bild steht für ein Herz, das wahrnimmt, fühlt und Fragen nachspürt wie: Welche Erfahrungen, Erinnerungen gehen mir seit langem nach? Was berührt, fasziniert mich in dem, was ich erlebe? Was macht mein Herz warm, hell und weit?
Eine solche Erfahrung kann mich zum Aufbruch ermutigen, einen Prozess des Suchens und Findens eröffnen. Jeder muss sich selbst auf diesen Weg machen, der ein lebenslanger sein kann.
Dieser Weg ist und bleibt ein Wagnis, denn die Zufälligkeit des Findens ist nicht in den Griff zu bekommen. Es gibt hier keine Geling-Garantie, denn finden kann ich nicht machen. Doch je ernsthafter die Suche, desto wahrscheinlicher auch das Finden. Diese Erfahrung kann aber nur jemand machen, der etwas wagt und ein Risiko eingeht.
Schließlich gilt, dass der Schatz oft gar nicht fern sein muss, sondern in meinem eigenen Leben verborgen ist und ich ihn nur noch zu entdecken brauche, so wie der Kaufmann auf seiner beruflichen Suche nach Perlen, plötzlich und zufällig auf die Perle trifft, und so wie der Bauer mitten in seiner alltäglichen Arbeit beim Pflügen des gewohnten Ackers auf einen Schatz trifft.
Gerade im Alltag, den wir oft routinemäßig durchpflügen und nicht mehr genau hinsehen oder hinhören, ist darum ein hörendes und sehendes Herz hilfreich, das wach und achtsam im Gewohnten Neues, Überraschendes entdeckt.
Das hörende Herz ist das Kennzeichen des Glaubenden, der in allem und durch alles, was ihm begegnet und was er erlebt, Gottes leise Stimme vernimmt.
Nehmen wir die Einladung des Evangeliums zur Schatzsuche an. Fassen wir Mut, unseren Träumen und Sehnsüchten zu folgen.
Bitten wir Gott wie Salomo um ein hörendes Herz, damit wir den Schatz im Acker unseres Lebens entdecken und von ihm her leben.
Predigt am 15. Sonntag im Jahreskreis (16.07.2023)
Abtei, Predigtvon P. Marian Reke OSB
Römerbrief 8, 18ff. und Matthäusevangelium 13,1ff.
Das heutige Sonntagsevangelium gehört zu den längsten im Kirchenjahr. Es hat zwei Teile: das bekannte Gleichnis der Aussaat des Wortes vom Reich, das Jesus vor einer großen Menschenmenge erzählt, und die Deutung dieses Gleichnisses über die „Geheimnisse des Himmelreichs“ im kleinen Kreis seiner Jünger. Beides wird berichtet und erübrigt eigentlich eine zusätzliche Predigt. Die steht aber nun einmal an. Deshalb liegt es nahe, sich auch der Lesung aus dem Römerbrief zuzuwenden.
Der Ton, den Paulus im gesamten Römerbrief anschlägt, ist von existenzieller Wucht – wie in der Passage, die vorhin zu hören war. Ich nehme nochmals einige Worte auf, die das spürbar machen können. Er spricht von den Leiden der gegenwärtigen Zeit und von der Knechtschaft der Vergänglichkeit. Doch er tut es in der Perspektive der Hoffnung mit ähnlich starken Wortbildern: sehnsüchtiges Warten, Seufzen und in Geburtswehen liegen.
Kann uns das kalt lassen, was Paulus da aufdeckt: diese tiefe Solidarität in der Passion des Daseins? Seiner Einsicht nach teilen sie alle Geschöpfe, nicht nur die Menschen, auch Tiere und Pflanzen, alles was atmet – und atmet nicht alles, schwingt in unterschiedlicher Dichte wie die sogenannte leblose Materie?!
Passion des Daseins! – Passion meint zweierlei: Leidenschaft und Leidensgeschichte. Das bedeutet: beides hängt zusammen. Leidenschaft kann eine Leidensgeschichte zur Folge haben.
Weil die Liebe zum Leben seine Leidenschaft war, gestaltete sich der Weg Jesu nach und nach zu seiner Leidensgeschichte. In der öffentlichen Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Dirnen, indem er Kranke auch am Sabbat heilte, Sündern bedingungslos vergab und gegen die religiösen Machthaber seiner Zeit für die Freiheit der Kinder Gottes eintrat, in alldem lebte er diese Liebe – bis zum Kreuz.
Jesus am Kreuz: das ist die Ikone der Passion des Daseins. Jahr für Jahr steht sie nach der Karfreitagsliturgie in der leeren Dämmerung der Apsis – ungewohnt schlicht, sehr still, ein einprägsamer Augenblick.
Auf der Höhe des Jahres können wir heute mit einem sonntäglichen Aufblick zur gewohnten, ganz anders gearteten Kreuzikone dieser Kirche den Alltag mit seinem oft irritierenden Themengestöber unterbrechen. Wir dürfen uns der Weite jenes Horizontes vergewissern, den Jesus von Nazareth mit seiner Reich-Gottes-Botschaft im Sinn hatte, wenn er wie im heutigen Evangelium von den „Geheimnissen des Himmelreichs“ sprach.
Die üblichen Assoziationen zum „Wort vom Reich“, wie Matthäus es nüchtern nennt, gehen jedoch fehl in der Annahme, damit sei vor allem eine Art Herrschaftsgebiet gemeint, das ein- und ausgrenzt. Machtkategorien verraten bis heute das Herzstück dieser Botschaft.
Reich im Sinne Jesu meint einfach Reichweite – eine Reichweite, die Horizonte eröffnet und keine Grenzen schließt. Ein Horizont ist ja eine buchstäblich vorläufige Grenze, die vor denen, die auf ihn zugehen, zurückweicht und so über sich hinaus weiterführt. Weiter – nicht nur linear verstanden, sondern räumlich.
Der offene Himmel über dem See Genezareth, unter dem Jesus Menschen sammelt, atmet diese Weite und hat ihn im Wortsinn „inspiriert“ als ein Gleichnis für den Atemraum einer je größeren Liebe. In ihr kann die menschliche Haltung des Liebens ihren inneren Halt finden, um sich im liebenden Verhalten zu äußern. Diese Inspiration bildet das Herzstück der Verkündigung Jesu, die von dort ihren Ausgang nimmt, um die Vielen aufzuerwecken – zur Solidarität in der Passion des Daseins, nicht nur der Menschen, sondern der gesamten Schöpfung!
Was will und soll sie das für uns bedeuten? Wir können annehmen, dass unsere doppeldeutige Lebenspassion in dem Erlebnis der Trennung von der Mutter wurzelt, mit dem wir zur Welt kommen. Die biologische Geburt – ihr Trauma – weist in Bedeutung und Wirkung über das körperliche Geschehen hinaus auf die seelische und geistige Ebene. Der Mensch erlebt sich nicht nur am Anfang, sondern immer wieder als getrennt: getrennt von seinen Mitmenschen und seiner Umwelt, getrennt von den Sinnquellen des Daseins, von Gott und wie in einem inneren Zwiespalt irgendwie getrennt auch von sich selbst.
Diesem Erleben des Getrenntseins liegt jedoch etwas zugrunde – die Erinnerung an eine Einheit, ohne die Trennung gar nicht als solche denkbar und erfahrbar wäre. Wir verdanken unser Dasein auch einem Bruch, weshalb zeitgenössische Theologie von der „Gnade des Bruchs“ sprechen kann.
Wie lässt sich das verstehen? – Ich spreche einfach von mir selbst, denn ich kenne das Gefühl der Bruchstückhaftigkeit in vielerlei Hinsicht: immer wieder reibe ich mich an meinen Ecken und Kanten wund oder verletze damit andere. Ich denke, das gilt auch gegenseitig. Aber ist das schon alles? Gerade über die Bruchkanten könnten wir doch auch wahrnehmen, dass wir als Menschen zueinander gehören und darüber hinaus zu etwas, das mehr ist als wir alle zusammen – ein nicht mehr und noch nicht gegebenes Ganzes, dessen Teile wir sind.
Das ist doppelt zu spüren – als Verlust von Einheit und als Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Gilt das nicht auch in Gegenseitigkeit?! Führen uns dieser Verlust und diese Sehnsucht nicht in die vielfältigen Lebensweisen des Mit-ein-anders – wie anschaulich doch die Sprache ist! – des Mit-ein-anders von Partnerschaften, Familienformen, auch klösterlichen Gemeinschaften und was es sonst noch gibt. In all diesen oft mühsamen Lebensweisen könnte sich unsere Bruchstückhaftigkeit als die Chance zu gegenseitiger Ergänzung erweisen – einer Ergänzung, deren ein jeder, eine jede von uns zugleich bedürftig und fähig ist.
Ein Letztes: Unsere Bruchkanten passen allerdings nicht nahtlos zu- oder gar ineinander. Es bleiben Lücken und sie sollten auch bleiben – als stete Herausforderung, diese Lücken in liebender Haltung und liebendem Verhalten zu überbrücken. Doch nicht nur das, sondern auch und mehr noch sollten die Lücken bleiben, weil sie den Grund durchschimmern lassen, auf den alles ankommt – nämlich jene göttliche Liebe, die unser menschliches Lieben erst möglich macht, es in Gelingen und Scheitern trägt und es vollendet. Diesem Grund dürfen wir vertrauen. Wir können uns auf ihn verlassen und müssten nicht immerzu an uns festhalten. Warum nur fällt das so schwer?!
Das Jahr steht auf der Höhe – so singen wir zum Schluss (GL 465). Der evangelische Pfarrer Detlev Block, der ein Dichter war, hat dieses Mittsommerlied 1978 geschrieben. Ihn bewegte die Frage: „Welchen Trost, welche Ermutigung gibt es für uns, wenn der Schatten des Wechsels und der Vergänglichkeit auf uns fällt?“ Der Kreislauf der Jahreszeiten spiegelt für ihn gleichsam, was auch unserem Leben insgesamt beschieden ist. Auf Blüte und Reife folgt die Ernte, dann setzt in der Natur das herbstliche Sterben ein und bisweilen liegt über Winterlandschaften eine Art Totenstille. Sonntag für Sonntag sind wir eingeladen, im Hören des Wortes und im Brotbrechen den Glauben zu nähren, dass unsere Lebenszeit aufgehoben ist in Gottes Ewigkeit, aus der wir stammen und in die wir heimkehren. Darauf dürfen wir vertrauen – mit anderen Worten: darauf können wir uns verlassen und müssen nicht an uns festhalten.
Predigt an Pfingsten (28.05.2023)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
Wer, liebe Schwestern und Brüder, hätte wohl damals vor rund 2000 Jahren gedacht, dass aus diesem kleinen, völlig verängstigten Kreis von Fischern und anderen meist einfachen, ungebildeten Männern, die wir Apostel nennen, eine Bewegung hervorgeht, die sich von Jerusalem quasi lawinenartig über die ganze Erde ausbreitet, die Milliarden von Menschen begeistert, die die Welt verändert und bis heute Bestand hat? Wer das einem damaligen Zeitgenossen erzählt hätte, dem hätte dieser vermutlich einen Vogel gezeigt. Dieser armselige Haufen von Jüngern, die sich aus Furcht hinter verschlossenen Türen verstecken, soll die ganze Welt verändern und solch eine immense Wirkung haben? Unmöglich! Wenn wir damals gelebt hätten, hätten wir vermutlich ähnlich gedacht. Denn nach menschlichen Maßstäben war das unmöglich.
Nun, wir wissen, dass es – wider aller Erwartung – doch möglich war. Dass genau das passiert ist. Das alles Entscheidende dabei, der Grund, warum von diesem kleinen Kreis eine solch ungeheure Dynamik ausging, war Gottes Heiliger Geist. Der hat alles verändert. Der hat aus den verängstigten, mutlosen Jüngern unerschrockene, kraftvolle und zutiefst überzeugende Boten des Evangeliums gemacht. Hätten sie das alles aus eigener, menschlicher Kraft bewirken müssen, hätten sie dabei allein auf ihre eigene Kraft vertraut, wäre es nicht zu dieser Dynamik gekommen. Dann gäbe es heute keine Kirche. Dann säßen wir heute Morgen nicht hier. Dann sähe die Welt heute anders aus.
Das Evangelium erzählt uns, dass Jesus trotz verschlossener Türen zu seinen Jüngern vordringt und ihnen den Heiligen Geist einhaucht. Doch durch die verschlossenen Türen ihrer Herzen scheint er zunächst noch nicht vordringen zu können. Die Einhauchung des Heiligen Geistes scheint noch keine Wirkung zu entfalten. Denn wie uns das Johannesevangelium ein paar Verse nach unserem heutigen Abschnitt berichtet, sind die Jünger acht Tage später wieder hinter verschlossenen Türen zusammen. Erst als sie am Pfingstfest der Heilige Geist wie ein heftiger Sturm überkommt und sie mit seinem Feuer entflammt, beginnen sie mutig in aller Öffentlichkeit aufzutreten und das Evangelium zu verkünden. Und damit nahm eine gewaltige Entwicklung ihren Lauf.
Doch wo ist diese Dynamik heute zu spüren? Wo ist der Heilige Geist mit seiner gewaltigen Kraft heute am Werk? Wenn ich die große Verunsicherung bei vielen Menschen aufgrund der vielen Krisen in den letzten Jahren wahrnehme – ich denke da vor allem an Corona, den Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation, den Klimawandel, – wenn ich auf die krisenhafte Situation unserer Kirche heute schaue – ich sage nur Missbrauch, innere Zerrissenheit, Mitgliederschwund, – wenn ich sehe, dass viele noch zusätzlich individuell ganz unterschiedlich durch Schwierigkeiten oder Herausforderungen belastet sind, sei es in den Familien oder auch in unserer Gemeinschaft, im Beruf oder im Freundeskreis, dann habe ich den Eindruck, dass wir eher den verängstigten, mutlosen Jüngern vor der Geistsendung gleichen. Dann ist für mich von Dynamik, von Aufbruch, von Zuversicht wenig spürbar. Dann habe ich den Eindruck, wir brauchen Gottes Heiligen Geist mehr denn je!
Doch vertrauen wir überhaupt noch auf ihn? Rechnen wir noch mit ihm oder leben wir nicht allzu oft so, als ob es Gott nicht gäbe? Meinen wir nicht allzu oft, wir könnten oder müssten gar alles aus eigener Kraft schaffen?
Dass wäre nicht allzu verwunderlich. Denn der ungeheure technische Fortschritt unserer Zeit verleitet uns oft zu der Vorstellung, wir könnten alles selber machen. Und unsere Gesellschaft impft uns ein, dass wir nur dann etwas zählen, wenn wir etwas leisten. Doch damit kommen wir nicht weit. Alles selbst in der Hand zu haben und machen zu können, ist eine Illusion! Und es kann sehr befreiend sein, sich von dieser Illusion zu verabschieden, wenn ich darauf vertraue, dass jemand anders mein Leben in der Hand hält, jemand, der es restlos gut mit mir meint und der mich rückhaltlos liebt. Es kann sehr befreiend sein, zu erkennen: ich muss nicht alles aus eigener Kraft schaffen. Da ist jemand, der mir mit seiner Kraft zu Hilfe kommt, der ganz andere Möglichkeiten hat als ich.
Vielleicht macht uns der Heilige Geist auch ein wenig Angst. Er ist eben kein laues Lüftchen, sondern ein gewaltiger Sturm. Der weht, wo er will, nicht wo ich will. Der lässt sich nicht zähmen. Der kann mich gehörig durcheinanderschütteln und Veränderungen mit sich bringen, die ich nicht absehen kann. Dann müsste ich vielleicht aus meinem bisherigen Leben, in dem ich es mir bequem eingerichtet habe, heraus. Müsste vielleicht von vielen „Besitzständen“ loslassen, mich von liebgewordenen Gewohnheiten, auch Denkgewohnheiten verabschieden. Der Heilige Geist kann zu einem „Wind of Change“ werden, der uns nicht immer so angenehm ist, wie er in der erfolgreichen Rockballade der Scorpions, der „Hymne der Wende“, besungen wird. Vor allem dann nicht, wenn er in mein eigenes Leben bläst. Denn ich habe doch gerne alles unter Kontrolle. Veränderungen machen vielen Angst. Und Angst macht eng. Und dann steht der Heilige Geist vor den verschlossenen Türen meines Herzens und kann nicht rein. Aber Angst und Verunsicherung sind ja sowieso schon oft da, wie ich gerade beschrieben habe. Wäre es dann nicht viel sinnvoller, sich dem Wirken den Heiligen Geistes zu öffnen, ihm zu vertrauen, weil ich doch allein nicht weiterkomme, allein nicht aus meinen Ängsten herauskomme?
Ich bin gewiss und glaube fest daran, dass der Heilige Geist eine gewaltige Kraft ist, die uns selbst, unsere Familien, unsere Mönchsgemeinschaft, unsere Gesellschaft, ja die ganze Welt verändern kann. Dafür müssen wir uns ihm aber öffnen und zulassen, dass er uns bewegt, verändert, stört. Vergessen wir dabei nicht: er ist die Liebe selbst. Deshalb brauchen wir keine Angst vor ihm zu haben. Gerade von unserer Angst will er uns ja befreien – wie die Jünger. Da er die Liebe ist, kann er uns nichts Böses wollen, ganz im Gegenteil: er will uns in die Weite, in die Freiheit führen, er will das Beste für uns.
Da er aber die Liebe ist, will er uns ganz! So ist die Liebe eben. Die geht aufs Ganze. Er will uns mit seinem Feuer entflammen, eine Leidenschaft in uns entfachen, für die Liebe, das Leben, für Gott. Halbherzigkeit ist damit nicht vereinbar. Bloß daran wärmen geht nicht, sondern nur ganz und gar brennen, die Liebe weitergeben, andere damit anstecken.
Manches werden wir dafür loslassen müssen. Doch das, was wir dafür „quasi im Gegenzug“ bekommen, ist so unvergleichlich mehr, dass es den Verlust mehr als aufwiegt, wenn wir es dann überhaupt noch als Verlust empfinden, denn durch die Berührung mit Gott verschieben sich viele Werte, und vieles, was einem vorher wichtig war, wird auf einmal unwichtig.
Wenn wir den Heiligen Geist in unser Herz hineinlassen, dann kann ein neues Pfingsten geschehen, ein neuer Sturm der Begeisterung seinen Anfang nehmen, der uns von lähmender Angst befreit und ungeahnte Kräfte freisetzt. Lassen wir uns von ihm anstecken!
Predigt an Christi Himmelfahrt (18.05.2023)
Predigtvon P. Abraham Fischer OSB
Wie im Himmel so auf Erden,
liebe Schwestern, liebe Brüder,
das ist ein Satz, der in unseren Kirchen und Familien oder auch persönlich oft gebetet wird – gehört er doch zum Urgebet des Christentums, dem Vaterunser. Hier werden Grundsätze unseres Glaubens ausgesprochen. Es geht um den Lobpreis Gottes, den wir vertrauensvoll als Vater anreden. Es geht um unsere Bedürftigkeit nach Nahrung, es geht um die Tatsache, dass wir in unserem Leben nie ohne Fehler und Versagen sind, es geht um die Bitte, klare und menschenfreundliche Wege im Gewirr des Alltags zu finden. Das Gebet endet mit der Anerkennung von Gottes Macht und Herrlichkeit und es spricht aus, dass wir von der endlichen Welt mehr erwarten, wenn wir sprechen: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe – eben: wie im Himmel so auf Erden.
Im Zusammenhang mit dem heutigen Fest stellt sich dann mehr oder weniger intensiv die Frage, was das denn sein könnte der „Himmel“? Und manche von uns stellen die Frage konkreter: Wo ist er denn dieser Himmel?
Bohrend stellt sich diese Frage im Erleben unserer Vergänglichkeit: Wo sind sie, die Menschen, die gestorben sind? Und emotional noch intensiver: sehen wir uns wieder in diesem Himmel?
Fragt man die derzeit sehr diskutierte künstliche Intelligenz nach dem Himmel, so bekommt man folgende Antwort:
„Der Himmel wird im Allgemeinen als der Raum oberhalb der Erdoberfläche betrachtet. Es ist der Bereich, in dem sich die Atmosphäre erstreckt und in dem sich Wolken, Sterne, Planeten und andere Himmelskörper befinden. Der genaue Ort des Himmels wird jedoch oft als metaphysisches Konzept betrachtet und kann je nach religiösen oder spirituellen Überzeugungen unterschiedlich interpretiert werden. In verschiedenen Religionen und Kulturen gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, wo der Himmel liegt und wie er beschaffen ist. Es ist wichtig zu beachten, dass dies spekulative und subjektive Vorstellungen sind, die auf Glauben und Interpretation basieren, anstatt auf wissenschaftlicher Messung oder Beobachtung.“
Dieser Text wirft uns Fragende zurück auf die Erde und man könnte sagen: Typisch naturwissenschaftlich kaputt erklärt, rationalistisch aufgelöst und endgültig entmythologisiert.
In dem durchaus sauber argumentierenden Text stecken aber einige Voraussetzungen, die man hinterfragen könnte, wenn man denn den Himmel als Sehnsuchtsort nicht so ganz aufgeben mag. Es wird nämlich vorausgesetzt, dass wir die Erde begreifen könnten, wenn wir sie mittels Naturwissenschaft zergliedern, analysieren und damit greifbar machen. Vielleicht sollten wir, um den Himmel zu verstehen, erst mal mit der Erde anfangen. Und damit meine ich nicht nur unseren Planeten Erde, sondern das Universum und das gesamte erfahrbare Dasein. Hier gibt es nicht nur Fakten, die wir „noch nicht“ verstehen, weil wir sie noch nicht vermessen können, sondern hier gibt es auch Fragen, an denen Naturwissenschaft bisher grundsätzlich scheitert:
Denken wir uns tiefer in das Thema hinein, so bleibt uns nur unser Hier und Jetzt, um Spuren des Himmels zu suchen. Es bleibt das Wunder des Lebens an sich, das wir im Frühling jedes Jahr erleben, um zu ahnen, dass es Kräfte des Daseins gibt, die sich der Erklärung verschließen. Es bleiben diese Fragen, die Menschen immer wieder zu allen Zeiten in allen Regionen und Religionen stellen und die einfach nicht verstummen.
Indem wir den spirituellen Himmel unbewusst immer mehr mit dem materiellen Universum gleichgesetzt haben, sind wir einer Spur gefolgt, die einerseits unsere Sehnsucht nach Unbegrenztheit befriedigt. Dieser Himmel – auch spirituell vorgestellt – ist natürlich groß und monumental.
Das Konzept hat aber den Nachteil, dass wir uns im gekrümmten Raum wiederfinden, der sich im Grunde in sich selber dreht. Er ist unbegrenzt, aber endlich. Milliarden von Lichtjahren entfernt, darin aber schweigend zu den Fragen aus dem inneren Universum des Menschen. Das gilt es erst einmal auszuhalten, demütig zu werden, dass diese kleinen humanoiden Wesen auf einem winzigen Planeten sich soweit entwickeln konnten, das alles zu erforschen und zu begreifen.
Großartigkeit und Kleinheit liegen manchmal so eng zusammen. Kommen wir zurück ins Hier und Jetzt: Wie wäre es, wenn der Himmel gar nicht weit weg wäre, sondern ganz nah? Könnte er nicht im Grunde die „andere Seite der Wirklichkeit“ sein? Muss er getrennt gedacht werden und weit entfernt oder wäre es vorstellbar, dass der Himmel verwoben mit unserer Wirklichkeit immer und überall einfach dabei ist, dass er zum Dasein gehört, dass er einfach nur die andere Seite der Medaille ist?
Manchmal fragen die Menschen nach den Verstorbenen und wo sie sind. Wir wissen, dass wir die Körper bestatten und dass sie vergehen und doch spüren wir mitunter, dass etwas bleibt – und wenn es nur die Erinnerungen lebender Menschen sind. Vielleicht sind sie aber nur hinübergegangen auf die andere Seite der Wirklichkeit und können von dort aus weiter für uns da sein. Dann wäre der Himmel nicht etwa jenseits der Welt, sondern inmitten der Welt. Unser Erlebnishorizont wäre dann ein äußerer und die Hinübergegangenen hätten sich in die innere Dimension des Daseins zurückgezogen. Wir würden die Außenfläche einer Kugel erleben, deren Inneres eine ganz andere Dimension hat, in die wir aber eingeschrieben sind.
Wir würden dann nicht erst nach dem Tod in den Himmel „kommen“, sondern wären schon jetzt darauf. Und immer wenn wir wachsam das Dasein betrachten, könnten wir Funken dieses Inneren durchblitzen sehen.
In den Dialogen des heiligen Gregor finden wir dazu folgende Gedanken. Sie beschreiben den inneren Kontakt zum Innersten der Welt so:
Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng. Hat sie auch nur ein wenig vom Licht des Schöpfers erblickt, wird ihr alles Geschaffene verschwindend klein. Denn im Licht innerer Schau öffnet sich der Grund des Herzens, weitet sich in Gott und wird so über das Weltall erhoben. Die Seele des Schauenden wird über sich selbst hinausgehoben. Wenn das Licht Gottes sie über sich selbst hinausreißt, wird sie in ihrem Inneren ganz weit; wenn sie von oben hinabschaut, kann sie ermessen, wie klein das ist, was ihr unten unermesslich schien. (Dialoge II,35,6)
Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng, weil der Himmel ihre andere Seite ist, weil nichts getrennt ist, weil wir uns in Gott geborgen glauben dürfen. AMEN
Predigt am Vierten Ostersonntag (30.04.2023)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Predigttext: Joh 10,1-10
Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst!
I.
Dass Jesus das Motiv des Hirten nutzt, um seine Gottesbotschaft zu veranschaulichen, ist kein Zufall. Hirten waren in der Lebenswelt seiner Zuhörer allgegenwärtig. Die nomadische Lebensweise, in der man mit seinen Herden von Weideplatz zu Weideplatz zog, steht historisch am Anfang der biblischen Geschichte. Der bis heute vielleicht populärste Psalm, Ps 23, zeugt davon: „Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. … Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“
Uns Heutigen ist der „Hirt“ aus dem Blick geraten. Einen Schäfer, der – ein Pfeifchen schmauchend – mit seiner Herde übers Land zieht, trifft man höchst selten. Seine Aufgaben hat der hochprofessionelle „Tierwirt“ übernommen, der darin perfektioniert ist, zu möglichst geringen Kosten appetitlich abgepackte Grillsteaks für die Kühlregale der Lebensmitteldiscounter zu produzieren.
Und trotzdem: Der „Gute Hirt“ ist bis heute ein Sehnsuchtsbild: Die Vorstellung von jemandem der „grüne Auen“ verspricht, der mich zum „Ruheplatz am Wasser“ führt, ist das unausgesprochene Leitmotiv der Werbung jedes Reiseveranstalters. Und wer ist nicht immer wieder darauf angewiesen, dass er heil durchs „finstere Tal“ geleitet wird und jemanden findet, der „den Tisch deckt“, wenn „Feinde“ bedrohlich nahe rücken?
In unserem kirchlichen Kontext ist das Hirtenmotiv ziemlich verschlissen. Viele konventionelle Guter-Hirt-Bilder wirken kitschig oder gar peinlich. Mancher Hirte und „Ober-Hirte“ (welch paradoxer Begriff für ein Dienst-Amt!) taugt eher als Schauerbeispiel dafür, wie entsetzlich man ein „Hirtenamt“ missbrauchen kann.
II.
Vor diesem Hintergrund treffen wir heute auf Jesu Gleichnis vom „Guten Hirten“. Um es in seinem Sinn zu verstehen, ist eine Voraussetzung unabdingbar: Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst! Jeder der, mit welchem Motiv auch immer, sich selbst als „Hirt“ aufbaut, ist ein „Dieb“ und ein „Schlächter“. Der Jesus des heutigen Evangeliums ist da glasklar und unmissverständlich.
Wo immer ein Mensch einen „Hirtendienst“ übernimmt, kommt er an diesem Grundsatz nicht vorbei, – egal ob er ein kirchliches Amt innehat, Verantwortung in Wirtschaft oder Politik trägt oder in Familie, Schule oder einer sozialen Einrichtung für andere sorgt: Wenn Gott selbst der Hirt ist, setzt das jedem „Unterhirten“, jeder „Unterhirtin“ eine Grenze, klarer ausgedrückt: ein Tabu. Niemand darf sich zum Alleinherrscher über „dumme Schafe“ machen und niemand darf sich unter den Druck setzen oder setzen lassen, ein Schlaraffenland a lá Psalm 23 herbeizaubern zu müssen.
Was zu tun und zu lassen ist, wenn man, wo auch immer, in einem Hirtendienst steht, zeigt Jesus im Evangelium auf: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.“
Ein Hirt nimmt den Zugang und nicht die Hintertür, er mogelt sich nicht irgendwo herein, um Beute zu machen.
Wie klar und hilfreich könnten Beziehungen und auch die Ausübung von Verantwortung und Macht sein, wenn sie ohne Manipulationen und Tricks, ohne Angstverbreitung, ohne Verschleierung von Eigeninteressen und auf der Basis von Vertrauenswürdigkeit ausgeübt würden!
Gott als der „Gute Hirte“ wartet, „bis ihm geöffnet wird und bis er gehört“ wird: Nicht das große Gepränge und Getöse, sondern das Fingerspitzengefühl für den passenden Augenblick und das Gespür für den richtigen Ton zeichnen ihn aus.
„Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.“
In der Sicht Gottes hat jede und jeder einzelne einen Namen und damit die Würde der Einmaligkeit. Keiner ist anonymer Versorgungsfall oder beliebige Verfügungsmasse.
Und: Es geht ums „Hinausführen“ und nicht darum, Menschen mehr oder weniger lebensuntüchtig in irgendeinem „Stall“ festzuhalten.
Was wäre alles möglich, wenn Hirten das „Hinausführen“ zu ihrem Leitmotiv machen würden!
„Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.“
Ein weiteres Grundbild von ganz großer Bedeutung. Ein Hirte geht voraus – und fuhrwerkt nicht mit dem Knüppel des Treibers hinterher!
III.
Entscheidend für Jesus ist: Dieser „Gute Hirt“ muss nicht erfunden oder von jemandem in Szene gesetzt werden. Er ist schon da! Jesus selbst lebt auf dem Fundament, dass Gott sein Hirt ist. So kann er tatsächlich durchs tiefste Tal, durchs Tal des Todes gehen, ohne von Furcht überwältigt zu werden.
Im Grund des eigenen Daseins, im „Herzen“ zu wissen, dass ich geführt, geleitet und versorgt bin, das ist der Trost des Bildes vom „Guten Hirten“, den Jesus verkörpert. Jede und jeder ist eingeladen, diesen „Hirtentrost“ anzunehmen. Wo immer ein „Hirtendienst“ zu tun ist, geht es einzig und allein darum, diesen Trost vertrauens- und buchstäblich glaub-würdig zu vermitteln
Zu diesem „tröstenden Hirten“ können wir immer und immer wieder beten und dabei gewiss sein, dass er unsere Stimme hört:
Höchster, lichtvoller Gott,
erleuchte die Finsternis in meinem Herzen:
gib mir einen Glauben, der weiterführt,
eine Hoffnung, die durch alles trägt,
und eine Liebe, die auf jeden Menschen zugeht.
Lass mich spüren, wer du, Herr, bist,
und lass mich erkennen, wie ich deinen Auftrag erfülle.
Predigt am Dritten Ostersonntag (23.04.2023)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Was mir an den sog. Auferstehungserzählungen der Evangelien so gefällt, liebe Schwestern und Brüder, ist, dass sie nicht triumphalistisch-siegesgewiss daherkommen, sondern sehr leise. Es sind Geschichten, die durch den Zweifel hindurchgegangen sind, die den Zweifel, die Ängste und Sorgen der Jünger ernst nehmen und nicht vorschnell durch ein „ihr müsst nur mehr glauben“ zu überwinden versuchen. In allen Osterevangelien hat der Zweifel Raum, und der Auferstehungsglaube ist ein trotziger Glaube, ein Glaube, der trotz alledem, trotz des Zustands der Welt – und heute könnten wir ergänzen: trotz des Zustands der Kirche – die Hoffnung nicht aufgibt, dass es da noch mehr geben muss als Leid und Tod. Die Osterevangelien, die relativ spät entstanden sind und mehr die Erfahrungen der ersten Gemeinden widerspiegeln als dass sie historische Tatsachenberichte geben wollen, sagen nicht: „Genau so und nicht anders müsst ihr glauben“, sondern sie ermutigen uns: „Versuche, so zu glauben und zu leben, als ob es wahr wäre.“
Das 21. Kapitel des Johannesevangeliums, erst nachträglich dem Evangelium hinzugefügt, nimmt diesen leise-trotzigen Grundton des „als ob“ auf: „Es könnte trotz allem wahr sein.“ Da sind sieben der Jünger, angeführt von Simon Petrus, am See von Tiberias, die wieder ihrer gewohnten Arbeit als Fischer nachgehen. In dem kurzen Dialog zwischen Petrus und den Jüngern nehme ich einen resignativen Unterton wahr: „Ich gehe fischen.“ – „Wir kommen auch mit.“ Was sollen wir auch sonst tun? Das kleine Intermezzo mit diesem Jesus – es waren wohl doch nur verlorene Jahre. Nichts hat sich geändert, all unsere Hoffnung hat sich am Kreuz zerschlagen, ist durch-kreuzt worden. Solche Erfahrungen der alltäglichen Sinnlosigkeit – sie sind mir zumindest nicht fremd. Und im Geiste einer self fulfilling prophecy, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung heißt es dann weiter: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“
Dann heißt es: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“ Auch das ein wiederkehrendes Thema in den Auferstehungserzählungen. Die Jünger sind so gefangen in ihrer Resignation und Hoffnungslosigkeit, in ihrem Zweifel, dass sie nichts mehr wahrnehmen können, was neue Perspektiven eröffnet. Und doch versuchen sie es noch einmal auf das Wort Jesu, des für sie Fremden, hin, und werfen gegen den Augenschein noch einmal die Netze aus – und siehe da: „Sie konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.“ Für mich ist der entscheidende Moment in diesem Evangelium, dass die Jünger es noch einmal versuchen, dass sie nicht völlig die Hoffnung aufgeben, in Mutlosigkeit versinken, sondern das Unmögliche wagen. Und im Tun des scheinbar Unmöglichen öffnen sich ihnen neue Perspektiven, werden ihnen neue Bilder vor Augen gemalt: „Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr!“
Und dann kommt die seltsam anmutende Stelle, dass Petrus sich das Obergewand umgürtet, „weil er nackt war“, und in den See springt, um schneller bei Jesus am Ufer zu sein – Letzteres passt wieder zu diesem so ungestümen Mann, der so oft vorprescht und dann doch wieder jäh sich seiner Schwäche, ja auch seiner Schuld bewusst wird. Vielleicht können wir die Nacktheit des Petrus auch in diesem übertragenen Sinn verstehen – Petrus ist sich seiner Schuld bewusst, die er noch bei der Verleugnung Jesu auf sich geladen hat und die er nun mit dem Gewand zu bedecken sucht.. Für diese Deutung spricht auch das Kohlenfeuer, das am Ufer brennt – dasselbe griechische Wort kommt noch einmal im Johannesevangelium vor, und zwar genau bei der Szene der Verleugnung, als sich die Knechte und Mägde im Hof des Hohenpriesters ein Kohlenfeuer anzünden. Was mir diese kleine Episode zeigt: auch mit meinem Versagen, meiner Schwäche, meiner Schuld kann ich dem Auferstandenen begegnen – ja, gerade meine Schuld wird zum Einfallstor für die Gnade Gottes: „O felix culpa, o glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“ hieß es im Exsultet der Osternacht.
Und schließlich ist es das Mahl, das gemeinsame Essen, das die Erfahrung mit dem lebendigen Jesus besiegelt. Das, was sie schon zu Lebzeiten so oft miteinander getan haben, wird zum Erkennungszeichen des neuen Lebens. Nichts von dem, was wir in diesem Leben tun, keine menschliche Begegnung, keine Freundschaft, kein Liebeserweis ist verloren in der Ewigkeit. Genau das meinen wir, wenn wir von leiblicher Auferstehung, der Auferstehung des Leibes sprechen. Der Leib, das ist all das, was uns als Menschen in Beziehung ausmacht.
Und genau deswegen ist der Glaube an die Auferstehung kein Glaube, der mich auf ein besseres Jenseits vertröstet, weil das Diesseits kaum auszuhalten ist. Wenn ich an die leibliche Auferstehung glaube, dann verpflichtet mich dieser Glaube dazu, leidenschaftlich diese Erde zu lieben. Er verpflichtet mich dazu, dass ich trotz meines Versagens mich wie Petrus mit dem Obergewand umgürte, den Sprung wage und so lebe, als ob es wahr sein könnte. Und mich nicht zufriedengebe mit dem Zustand dieser Welt und dieser Kirche. In der trotzigen Hoffnung, dass es nicht umsonst ist, werfe ich die Netze meiner Sehnsucht noch einmal aus. AMEN.
Predigt am Zweiten Ostersonntag (16.4.2023)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
Liebe Schwestern und Brüder, bei dem Stichwort „Quasimodo“ denken vermutlich viele von Ihnen an den Glöckner von Notre Dame. Vermutlich denken Sie an die erfolgreiche Verfilmung des berühmten Romans von Victor Hugo mit Anthony Quinn in der Rolle des buckligen und völlig entstellten Glöckners – an der Seite von Gina Lollobrigida als schöne und verführerische Esmeralda. Seinen Namen verdankt der Glöckner dem Tag, an dem er als Findelkind vor der Kathedrale Notre Dame in Paris gefunden wurde: dem Sonntag Quasimodo. Damit ist der Sonntag nach Ostern gemeint, der nach seinem Introitus, also nach dem Eingangsgesang der Messe dieses Tages, benannt ist. Der beginnt mit den Worten „Quasi modo geniti infantes“. Auf Deutsch: „Gleichsam wie neugeborene Kinder“. Wir haben ihn zu Beginn der Messe gesungen. Der Sonntag Quasimodo ist also heute. Wir nennen ihn auch Weißen Sonntag.
Wenn man in die Zeit der frühen Kirche zurückgeht, erklärt sich, warum der heutige Sonntag „Weißer Sonntag“ heißt und warum wir genau diesen Introitus singen: Damals war der zentrale Termin für die Taufe die Osternacht. In einem zumeist dreijährigen sogenannten Katechumenat bereiteten sich die Taufbewerber auf die Taufe vor und wurden in den Glauben eingeführt. An der Heiligen Messe durften sie in dieser Zeit noch nicht teilnehmen. Da sie eben „heilig“ war, wollte man sie vor Nicht-Gläubigen schützen und gestattete nur Getauften die Teilnahme an der Messe. Die Einführung in die Eucharistiefeier und die theologisch-spirituelle Bedeutung ihrer Riten geschah also erst nach der Taufe, insbesondere in der Woche nach Ostern, und zwar während der Messe selbst. Vermutlich im 7. Jahrhundert entstand dann der Brauch, dass die Neugetauften zu den Messen an den Tagen der Osteroktav ihre weißen Taufgewänder anzogen und sie dann am Sonntag nach Ostern wieder ablegten. Daher also der Name „Weißer Sonntag“.
Der Introitus wiederum hat genau diese Neugetauften im Blick: Der Text lautet in deutscher Übersetzung: „Gleichsam wie neugeborene Kinder, vernünftig, ohne Hinterlist, verlangt nach Milch.“ Die Worte stammen aus dem 1. Petrusbrief (2,2) und machen bildhaft deutlich, dass die Neugetauften im Glauben weiter genährt werden müssen, damit sie im Glauben wachsen, so wie Säuglinge die Muttermilch für ein gesundes Wachstum brauchen. Aus dem Kontext des 1. Petrusbriefs geht hervor, was mit dieser „vernünftigen und unverfälschten Milch“, wie es dort wörtlich heißt, gemeint ist: nämlich das Wort Gottes, das lebt und bleibt (1,23). Das ist die Nahrung, die unseren Glauben wachsen lässt. Deshalb müssen wir dieses Wort immer wieder verkosten, betrachten, meditieren, wenn wir im Glauben wachsen wollen. Nach diesem Wort sollen wir verlangen, wie Säuglinge, die nach der Muttermilch schreien und nicht eher still werden, bis sie gestillt werden. Ja, wir sollen uns sehnen nach dem lebendigen Wort. Auch diese Bedeutung steckt in dem Verb des griechischen Urtexts, das hier mit „verlangen“ übersetzt wird. Denn die Sehnsucht treibt uns an, uns immer wieder nach diesem Wort auszustrecken, nach dem Wort, das in Christus Fleisch geworden ist, ja das Christus selbst ist. Und jetzt mal Hand aufs Herz, liebe Schwestern, liebe Brüder: Wie sieht es mit Ihrer Sehnsucht nach Gott und seinem Wort aus? Wie oft nähren Sie ihren Glauben damit?
Ich habe den Eindruck, dass viele Christen gar nicht nach diesem Wort verlangen, gar keine Sehnsucht mehr nach Christus in sich spüren und dem entsprechend im Glauben nicht wachsen, nicht erwachsen geworden sind. Das ist vielleicht ähnlich wie in der Gemeinde von Korinth, denen Paulus in seinem ersten Brief schreibt: „Vor euch, Brüder und Schwestern, konnte ich aber nicht wie vor Geisterfüllten reden; ihr wart noch irdisch eingestellt, unmündige Kinder in Christus. Milch gab ich euch zu trinken statt fester Speise; denn diese konntet ihr noch nicht vertragen. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht; denn ihr seid immer noch irdisch eingestellt.“ (1Kor 3,1-3)
Und deshalb macht es meines Erachtens auch nur begrenzt Sinn, wenn wir in Deutschland auf dem Synodalen Weg über kirchliche Strukturen diskutieren. Ich sage nicht, dass das unwichtig ist oder dass sie nicht reformbedürftig sind, aber was nützen uns neue Strukturen, wenn das Fundament fehlt oder brüchig ist? Das ist doch der Grund, warum so manches in unserer Kirche „schief“ ist. Und mit Fundament meine ich einen erwachsenen Glauben! Und das ist nichts Äußerliches, kein starres Befolgen von Regeln und Riten, keine Ideologie, keine bloße Weltanschauung, kein „Ich glaube an Gott“, sondern ein „Ich glaube Dir, Gott“, also eine tiefe Gottesbeziehung, aus der heraus ich lebe und meine Leben gestalte, die mir Kraft, Hoffnung, Sinn und Orientierung gibt. Eine Christusbeziehung, die ausstrahlt und mich zu einem überzeugenden Boten des Evangeliums macht. Das vermisse ich oft in unserer Kirche, auch bei vielen Hauptamtlichen – bis hinauf zu den Bischöfen und Kardinälen. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum immer weniger Menschen zu uns in die Kirche kommen, warum viele Menschen, die auf der Suche sind, die in eine Sinnkrise geraten, gar nicht erst auf die Idee kommen, bei uns Christen nachzufragen und nach Antworten zu suchen. Sicher spielen hierbei auch die Missbrauchsfälle und verkrustete, völlig veraltete kirchliche Strukturen eine Rolle. Aber vor allem liegt es aus meiner Sicht daran, dass wir es nicht schaffen, die frohe Botschaft überzeugend weiterzugeben, so dass sie die Menschen unserer Zeit erreicht, weil wir oft selbst die Botschaft nicht wirklich verinnerlicht haben und daraus leben, weil wir die Sehnsucht nach dem Wort Gottes mit anderen, vergänglichen Dingen versuchen zu stillen oder auch sie zu betäuben.
Der heutige Sonntag, der in besonderer Weise die Neugetauften im Blick hat, kann uns, die vermeintlich „alten Hasen“, ermutigen, uns wieder zurückzubesinnen auf unsere eigenen Glaubensanfänge, auf frühere Gotteserfahrungen, die uns bewegt oder angerührt haben, damit unsere Sehnsucht nach Gott wieder neu entfacht wird. Uns allen hat er eine Sehnsucht nach ihm ins Herz gelegt. Die ist vielleicht im Laufe der Zeit ein wenig heruntergebrannt und glimmt nur noch. Denn wer im Glauben voranschreitet, macht immer wieder auch die Erfahrung, dass Gott sich seinem Gespür entzieht. Der macht Erfahrungen geistlicher Trockenheit oder – wie Johannes vom Kreuz, ein großer Mystiker im 16 Jahrhundert, es nennt – Erfahrungen der „dunklen Nacht des Glaubens“. Und das lässt die Sehnsucht nach Gott schon mal erlahmen. Doch Johannes vom Kreuz sieht hierin Gott als Pädagogen am Werk, der uns immer wieder zu geistlichem Wachstum anregen will und herausfordert. Auch er benutzt das Bild des Säuglings, um es anschaulich zu machen. Er schreibt: „Wenn sich ein Mensch mit Entschiedenheit dem Leben mit Gott zuwendet, pflegt Gott ihn zumeist geistlich zu umsorgen wie eine liebende Mutter ihr neugeborenes Kind: Sie wärmt es an ihrer Brust, nährt es mit ihrer süßen Milch, trägt es auf den Armen und herzt es. In dem Maße aber, wie es heranwächst, entzieht ihm die Mutter solcher Art Zärtlichkeiten, sie bestreicht die bisher süße Brust mit Bitterem, lässt es von den Armen herab, damit es auf eigenen Füßen stehen lerne, die Art des Säuglings ablege und nach kernigerer Nahrung verlange. Nicht anders verhält sich die Gnade Gottes, diese liebende Mutter, sobald ein Mensch zu neuem Leben in Gott wiedergeboren wird.“
Doch nicht nur heute, auch zu Lebzeiten des Johannes sind viele im Glauben nicht gewachsen, sondern Kinder geblieben. Er schreibt: „Es ist beklagenswert, so viele Menschen sehen zu müssen, denen Gott alle Gaben und Gnaden verleiht, um voranzukommen, und würden sie Mut fassen, so könnten sie es. Sie aber bleiben bei ihrer niedrigen Art mit Gott umzugehen, weil sie es nicht anders wollen oder wissen oder niemand da ist, der sie aus den Kinderschuhen der Frömmigkeit herausführen könnte. Beschenkt sie unser Herr schließlich doch so reich, dass sie dennoch vorankommen, so gelangen sie doch wesentlich später, mühseliger … ans Ziel, weil sie sich Gott nicht überlassen haben. … Sie sind wie kleine Kinder: wenn ihre Mütter sie auf den Arm nehmen möchten, strampeln und schreien sie, weil sie unbedingt selber laufen wollen, obwohl sie es doch nicht können und wenn, dann nur mit Kleinkind-Schritten.“
Der heutige Sonntag lädt uns ein, im Glauben voranzuschreiten, zu wachsen, der Sehnsucht nach Gott wieder mehr Raum in unserem Leben, in unserem Herzen zu geben. Lassen wir sie von Gott wieder neu entfachen. Sein Wort will uns dabei Nahrung sein. Nehmen wir es immer wieder zu uns, vertiefen wir uns darin, „kauen“ wir es. Manchmal muss man länger kauen, wie beim Schwarzbrot, bis es seinen vollen Geschmack preisgibt. Nur Gott vermag unsere Sehnsucht wahrhaft zu stillen. Er selbst hat eine unendliche Sehnsucht nach uns und wartet nur darauf, dass wir uns ihm zuwenden. Oder noch einmal mit Johannes vom Kreuz: „Vor allem muss man wissen: Wenn der Mensch Gott sucht– viel früher schon sucht Gott den Menschen.“
Predigt am Ostersonntag (9.4.2023)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Ist Jesus auferstanden – oder ist er es nicht?
Oder ein Ereignis, das mein Leben begleitet und prägt?
Was bedeutet es für mich, dass Jesus auferstanden ist?
Die Frage nach der Auferstehung Jesu wird schnell existentiell, betrifft eine jede, einen jeden von uns persönlich, denn was genau die Jüngerinnen und Jünger Jesu nach dem Schock der Kreuzigung, die sie zum Abtauchen in Flucht oder Versteck führte, erfahren haben, wissen wir nicht. Tatsache aber ist, dass aus dem Sich-Verstecken Aufbruch wurde, aus Verzweiflung Hoffnung, aus Flucht Bekenntnis.
In den frühen Bekenntnisformeln und späteren Ostererzählungen finden sich verschiedene Bilder und Vorstellungen, um das Ereignis zu beschreiben, das die Jüngerinnen und Jünger Jesu von der Todesstarre zum Aufbruch ins Leben führte: Erscheinung, Wiederkunft, Auferweckung, Auferstehung, Neuschöpfung, Geistwirken.
Wir bleiben herausgefordert, die Leerstelle auszuhalten und Glauben zu wagen. Dabei können uns jene unterstützen, die, wie wir gerade im Evangelium gehört haben, ebenfalls mit einer Leerstelle konfrontiert worden sind, mit dem leeren Grab.
Während andere Jüngerinnen und Jünger auf Kreuzigung und Tod Jesu mit Lähmung oder Rückzug oder Flucht nach Galiläa reagieren, drängt es Maria von Magdala zum Grab Jesu.
Noch in der Dunkelheit vor Tagesanbruch geht sie zum Grab, wo sie sofort sieht, dass der Stein weggenommen ist. Schrecken, Empörung und Verzweiflung durchfahren sie und sogleich läuft sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagt: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“ (Jo 20,2).
Die beiden Jünger eilen dann gemeinsam mit ihr zum Grab. Der andere Jünger ist schneller als Petrus, kommt als Erster ans Grab, beugt sich vor, sieht die Leinenbinden, geht jedoch nicht hinein, sondern lässt Simon Petrus den Vortritt.
Der geht hinein, sieht die Leinenbinden und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte, zusammengebunden an einer besonderen Stelle.
Auch der andere Jünger geht hinein, sieht und glaubt. Während Petrus zuvor die Situation zur Kenntnis nimmt, blitzt beim Jünger, den Jesus liebte, der Glaube auf – Erkenntnis eines geliebten und liebenden Herzens? Allerdings ist es eher ein kurzes Aufblitzen des Glaubens, das letztlich ohne Folgen bleibt, denn beide Jünger kehren wieder nach Hause zurück. „Denn“, so heißt es, „sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse“ (Jo 20,9).
Maria aber bleibt zurück, harrt aus, will Abschied nehmen am Ort seiner letzten Gegenwart, am Ort, wo sich seine letzte Spur verliert. Sie hofft, diese Spur wieder zu finden, steht draußen vor dem Grab und weint.
In ihrer Trauer können ihr selbst die beiden Engelsgestalten, die sie beim Hineinbeugen in das Grab sieht, nicht weiterhelfen.
Vielmehr wendet sie sich zurück, will sich resigniert zurückziehen, in Trauer und Schmerz versinken. Doch im Umwenden sieht sie jemanden dastehen, den sie für den Gärtner hält, auch ihm klagt sie ihre Not, dass jemand den geliebten Verstorbenen weggebracht habe (vgl. 20,14f.).
Erst als er sie mit ihrem Namen anspricht, wendet sie sich ihm wirklich zu, erkennt ihn und antwortet mit einem Wort vertrauter Anrede: Rabbuni, mein Herr.
Diesen Moment der Begegnung verdichtet Susanne Ruschmann in ihrem Gedicht „Wendezeit“:
Wendezeit
in der Wende
zwischen Schmerz und Trost
zwischen Trauer und Freude
zwischen Ende und Neubeginn
zwischen Nacht und Tag
GOTTES BEGEGNUNG
beim Namen gerufen werden
die Stimme des Anfangs hören
umgekehrt werden
von der Suche nach dem Toten
zur Begegnung mit dem Leben
neu ausgerichtet sein
weil das Zwischen
mit meinem Namen gefüllt ist
weil in der Wende
Gott begegnet.
Maria hat Jesus erkannt und will, wie das vertraute „Rabbuni“ zeigt, sich ihm ganz hinwenden, es so werden lassen wie früher. Doch einem solch rückgreifenden Zugriff entzieht sich der Auferstandene.
Maria von Magdala muss lernen, dass Jesu Gegenwart nach seinem Tod eine andere ist als vorher. Entsprechend weist Jesus auch ihren spontanen Impuls, ihn zu berühren, anzufassen, zu begreifen – die zutiefst menschliche Form der Vergewisserung von ‚Wirklichkeit‘ – recht deutlich, fast scharf zurück: „Halt mich nicht fest!“ oder wie es manche Exegeten zugespitzt formulieren: „Lass mich los!“.
Maria und mit ihr alle, die dem Auferstandenen nachfolgen, müssen lernen, dass es angesichts des leeren Grabes nicht darum geht, das Andenken eines Toten zu pflegen oder Vergangenes zu beschwören, sondern darum, ihn als Lebenden zu erfahren.
Eine realistische Beziehung zum Auferweckten
kann nur Beziehung in Entzogenheit sein, die zugleich eine neue Weise der Gemeinschaft eines dauerhaften Beieinander-Bleibens mit ihm ist. Diese neue Weise setzt aber voraus, die frühere Art der Beziehung, des menschlichen Umgangs miteinander loszulassen.
Und Maria Magdalena lässt los, wendet sich vom Grab ab und geht den Weg in die Verkündigung, zu der er sie gesandt hat. „In dieser Wende vollzieht sie selbst eine Auferstehung von der trauernd Suchenden zur Verkünderin der Osterbotschaft“ (Susanne Ruschmann, Maria von Magdala, Münster 2002, 164).
Maria Magdalena ist somit in der Ostererzählung des Johannesevangeliums nicht nur die Erste am Grab, die Erste, die dem Auferstandenen begegnet, sondern auch die Erste, die ihn bezeugt: „Ich habe den Herrn gesehen.“
So wie Maria Magdalena sollen auch wir, Jesus als dem Auferstandenen begegnen, auf ihn hören und ihn bezeugen.
Damit ist eine jede, ein jeder von uns gefragt.
Kehren wir also noch einmal zur Ausgangsfrage zurück: Ist Jesus auferstanden – oder ist er es nicht?
Der frühere Bamberger Generalvikar Alois Albrecht antwortet auf diese Frage:
„Wenn Dich einer fragt: glaubst Du an das leere Grab,
glaubst Du an das Ostern Jesu, seine Auferstehung
und sein Leben, dann sag nicht sofort Nein oder Ja.
Mach dir bewusst, dass ein Nein Dein Leben in die Enge treibt,
deren Schluss der Tod ist.
Und mach dir umgekehrt bewusst, dass Dein Ja Dein Leben in die Weite führt, deren Endpunkt Gott ist.
Vor wem willst Du stehen und wofür kannst Du leben?
Du kannst Dich für ein Nein entscheiden und zittern. –
Ich habe mich für ein Ja entschieden – und singe!“
Predigt am Fünften Fastensonntag (26.3.2023)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Die Auferweckung des Lazarus leitet im Johannesevangelium zur Passion Jesu über. Das Abschiedsmahl mit seinen Jüngern, der Leidensweg, die Hinrichtung am Kreuz stehen bevor. Der Beschluss, Jesus zu töten, fällt gleich nach der Auferweckung des Lazarus – zuvor hatte man es schon einmal versucht – wir hörten davon. Die Auferweckung des Lazarus und Jesu eigene Auferstehung sind auch geografisch nah: Bethanien liegt bei Jerusalem. Die Auferweckung des Lazarus stimmt auf das kommende Geschehen um Jesus ein. Das zentrale Thema wird gesetzt: Das Leben ist stärker als der Tod – sogar im Tod ersteht das Leben neu. Damals wie heute – dort und überall.
Bald – an Ostern – feiern wir das. Dazu passt die Welt um uns: In diesen Frühlingstagen erwacht die im Winter scheinbar gestorbene Natur zu neuem Leben. Überall kann Leben neu erweckt werden, vielleicht nicht sofort sichtbar, vielleicht nur leise, klein und unscheinbar, vielleicht langsamer, als wir es ersehnen – und doch unzerstörbar. Der Grund ist: Gott ist auch im Tod – in all seinen Formen – als neues Leben gegenwärtig. Es will geboren werden, wachsen, reifen, aufblühen und Frucht bringen – auch durch uns – durch jeden einzelnen von uns. Gott ruft uns, er beruft jeden einzelnen. Es ist der göttliche Ruf aus Liebe, der uns zum Leben auferwecken will.
Die Auferweckung des Lazarus durch Jesus entfaltet beispielhaft diese Wahrheit. Da geht es von Anfang an menschlich zu: Maria, Marta und Lazarus leben als Geschwister in einem Dorf – ausdrücklich erfahren wir, dass Jesus die drei liebt. Maria hatte ihre Liebe zu Jesus öffentlich gezeigt, als sie ihm die Füße gesalbt und mit ihren Haaren getrocknet hatte.
Jetzt sind die beiden Schwestern in Sorge: Ihr Bruder Lazarus ist krank. Die beiden sind in Not – in den ersten Versen kommt dreimal das Wort ‚krank‘ vor – sie machen sich viel Sorge. Wie sehr sie auf die heilende Liebe Jesu bauen wird in der Nachricht deutlich, die sie Jesus senden: „Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank.“ Es heißt nicht: „Lazarus ist krank“, nein, es heißt: „Der, den du liebst, … “ – so hatten die Schwestern ihn erlebt. Jesu Lieben ist der Grund ihrer Hoffnung auf Heilung.
Jesus bricht nicht gleich zu ihnen auf, sondern weitet die Perspektive und bringt Gott ins Spiel, weil Gott die Quelle der Liebe ist. Er sagt: „Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes.“ Jesus verherrlicht Gott, indem er diesen Menschen liebt, das heißt: ihm neues Leben schenkt. Gott will nicht um seiner selbst willen verherrlicht werden – der Mensch ist das Ziel und die konkrete Verkörperung der Liebe Gottes. Wie ein bestätigendes Ausrufezeichen passt dazu der direkt folgende Vers: „Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus.“
Und diese Liebe nimmt sich Zeit, vielleicht braucht sie Zeit: Jesus bleibt noch zwei Tage – erst dann bricht er auf. Als er ankommt, ist Lazarus längst tot, schon vier Tage im Grab. Marta kommt Jesus allein entgegen – das Trösten der vielen Leute hatte ihr nicht geholfen, es war nur ein Vertrösten. Sie bricht aus der dörflichen Enge Bethaniens aus und spricht Jesus an. Im Dialog über Tod und Auferstehung schöpft sie Zuversicht und ihre neu gewonnene Festigkeit offenbart sie im Bekenntnis: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ Die Liebe Jesu hat Marta zum Vertrauen – das bedeutet Glauben – geführt.
Das gelingt ihrer Schwester Maria nicht. Sie bleibt im Haus sitzen und bricht erst auf, als ihre Schwester sie ruft. Sie fällt Jesus mit dem Satz „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“ vor die Füße – sie ist ganz Vorwurf. Sie öffnet sich nicht für Jesus, spricht nicht mit ihm, in ihr wächst kein neues Vertrauen, kein neuer Glaube – im Gegenteil: sie bleibt im Weinen stecken, wie die ganze Entourage der Juden.
Als Jesus das sieht, ist er „im Innersten erregt und erschüttert“. Jesus ruht nicht distanziert und unberührt verklärt in sich, nein: Er bebt. Seine Energie setzt er ein und geht alle an: „Wo habt ihr ihn bestattet?“ Jesus sucht den Menschen – sogar den toten Menschen. Sie wollten Lazarus schnell und endgültig loswerden, ihn beseitigen – die Fakten waren ja klar.
Diese kollektive hartherzige Kälte lässt Jesus nur noch eines tun: Er weint – in ihm kommt etwas in fließende Bewegung. Die Juden täuschen sich weiter: In ihrer Ignoranz meinen sie, sein Weinen sei Ausdruck seiner Liebe zu Lazarus. Ihr Irren gipfelt in der spekulativ-spitzen Frage: „ …, hätte er nicht verhindern können, dass dieser hier starb?“ Und wiederum bebt Jesus. Nun kommt er auch äußerlich in Bewegung: Er geht los, er kommt zum Grab, das – wie sein eigenes später – mit einem Stein verschlossen ist. Todsicher eben! Jesus lässt den Stein wegnehmen und auch Martas Einwand – „Herr, er riecht aber schon, …“ – hält ihn nicht auf – biologische Abläufe bremsen ihn nicht.
Die Kraft zur folgenden Auferweckung hat Jesus nicht aus sich selbst, sondern von seinem göttlichen Vater, zu dem er Augen und Seele erhebt und ihm dankt. Jesus macht sich durchlässig für Gott. Gottes Lieben wird jetzt durch Jesus menschlich wirksam, indem er ruft: „Lazarus, komm heraus!“ Jesus ruft Lazarus mit seinem Namen und der steht für diesen göttlich einmaligen konkreten Menschen. Am Anfang hieß es „Ein Mann war krank“ – jetzt würdigt Jesus ihn als eine Person mit eigenem Namen, als menschlich-göttliche Person, als ein Kind Gottes.
Der Ruf Jesu zielt auf einen, der im Leben krank, gestorben und begraben war. Die dörfliche Enge Bethaniens, die erstickende schwesterliche Übersorge und eine religiös bornierte Entourage, die das Evangelium einfach nur „die Juden“ nennt, hatten ihn ins Grab gebracht. Jesu Ruf „Lazarus, komm heraus!“ ist eine Berufung ins Leben – buchstäblich eine Heraus-Forderung, die Lazarus aktiv annimmt: Jesus holt ihn nicht aus dem Grab – Lazarus kommt selbst heraus: Auferweckung ist aktives Mittun! Lazarus geht selbst erste Schritte in sein auferwecktes Leben.
Der Ruf meint auch: „Lazarus, komm aus Dir heraus!“ – komm aus dem Grab, in das man einen Menschen schon in diesem Leben einschließen kann. So wird wahr, was Jesus von sich sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ – Er sagt nicht: „Ich werde die Auferstehung sein …“, er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Also: Jetzt und nicht erst irgendwann.
Die Umgebung kann dabei unterstützen. In diese Richtung gehen Jesu Aufforderungen: „Löst ihm die Binden …!“ Es klingt wie eine Ent-Bindung, eine neue Geburt in sein Leben hinein – jeder kann Geburtshelfer sein. Das Binden-Lösen ermöglicht buchstäblich Ent-Wicklung. Das verhüllte Gesicht wird frei – Lazarus zeigt sein Gesicht – es ist Abbild seiner Persönlichkeit und erinnert an die Uranfänge, als Gott den Menschen nach seinem Bild schuf. Und weiter: „ … lasst ihn weggehen!“ Niemand soll ihn aufhalten! „Weggehen“ kann auch als „Weg gehen“ gelesen werden: Es geht um selbstbestimmtes Suchen und Finden des eigenen Lebensweges – für Lazarus und jeden von uns. Die Auferweckung endet hoffnungsvoll – Jesu Wirken bleibt nicht folgenlos: „Viele der Juden, die (…) gesehen hatten, was er getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.“ Spät, aber nicht zu spät, möchte man ergänzen.
Und doch folgt der Beschluss, Jesus bald zu töten. Denn menschlich-göttliches Wirken ist als kreativer Störfaktor allen „Systemen“ verdächtig, weil es überholte Normen in Frage stellt und eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster erschüttert. Es entlarvt die Angst, die hinter Privilegien und Machtgehabe steckt. So gesehen ist es logisch, dass dieser Jesus, der zu einfacher und ursprünglicher Lebendigkeit auferweckt, auszugrenzen und letztendlich zu beseitigen ist. Und nach ihm viele, bis auf den heutigen Tag.
Befreiendes Sich-lieben-lassen geht weiter und es wächst – trotz allem. Es verwandelt die Anarchie tödlicher Gewalt in die Anarchie des Liebens. Die findet ihre Grenze an der Würde und Freiheit aller Kinder Gottes und der ganzen Schöpfung – bis dahin ist himmlisch viel Luft nach oben. Das können wir leben und feiern – besonders an Ostern. Alle sind eingeladen.
Predigt am Hochfest des Heimgangs unseres Ordensvaters Benedikt (21.3.2023)
PredigtAm 21. März feiern die Benediktinerklöster das Hochfest des Transitus ihres Ordensvaters Benedikt, also seines Übergangs von diesem Leben in die Welt Gottes. Es ist eine gute Tradition, dass wir dieses Fest gemeinsam mit unserem Freundeskreis feiern, der an diesem Tag auch seine Jahreshauptversammlung abhält. Gastprediger war Pfr. Wolfgang Severin, Pfarrer an der Deutschen Gemeinde in Brüssel, der schon seit vielen Jahren mit Firmlingen in unser Kloster kommt. Wir danken ihm ganz herzlich für seine Worte, die wir im folgenden dokumentieren:
Ich weiß nicht, wie Sie ihn sich vorstellen, Ihren letzten Atemzug auf dieser Erde.
In einem Krankenhaus oder im Altersheim? Alleine oder von Ihren Liebsten umgeben? Bewusst oder unbemerkt im Schlaf? Geplant von einer Sterbehilfeorganisation mit einer letzten Fahrt in die Schweiz und mit Ihrer Lieblingsmusik oder ohne jede Vorbereitung bei einem Unfall von einem Auto überfahren oder bei einem Flugzeugabsturz?
Oder vielleicht haben Sie es sich noch gar nicht vorgestellt oder, sobald der Gedanke dazu kam, ihn schnell weggedrückt: Steht noch nicht an, erst morgen oder übermorgen oder wenn es so weit ist, dann ist es noch früh genug.
Wie auch immer Sie es sich vorstellen, die wenigsten werden es sich so wünschen, wie es vom Hl. Benedikt berichtet wird.
Als er bemerkte, dass es auf das eigene Sterben zuging, so erzählt es die Heiligenlegende, ließ er sechs Tage vor seinem Tod sein Grab ausheben und bat am siebten Tag seine Mitbrüder, ihn in die Kapelle zu führen;
dort stand er, gestützt von ihnen mit einem letzten Gebet auf den Lippen, den Weg zum Himmel offen sehend, um dann seinen letzten Atemzug zu tun und hinüberzugehen in das Reich des Lichtes.
Als Pfarrer führe ich des Öfteren Gespräche über das Sterben, aber diese Version steht nie auf der Liste der Menschen. In der Regel wünschen wir uns, dass es schnell und für uns selbst möglichst unbemerkt gehen möge, einfach einschlafen und nicht wieder wach werden – so erhoffen es die Allermeisten.
Und verstehen Sie mich richtig:
Das ist ja auch nachvollziehbar.
Das Unangenehme möchten wir zur Seite schieben, es möglichst in den hintersten Winkel unseres Bewusstseins verstecken und dabei hoffend, dass, wenn es schon sein muss, es hoffentlich schnell vorübergeht – und was gibt es schon Unangenehmeres als den Tod. Wenn er schon unausweichlich ist, dann möge er es bitte kurz machen. Und er möge sich bitte nicht von weitem ankündigen, sondern lieber schnell und überraschend aus der Hecke springen.
Und doch: Sie werden es zugeben müssen. Unabhängig ob es beim Hl. Benedikt so war, wie es erzählt wird oder nicht, so hat diese Geschichte seines Todes doch etwas Faszinierendes an sich. Es fasziniert, dass dort offenbar jemand KEINE Angst vor dem da Kommenden hat, es fasziniert, dass der Heilige Schritt für Schritt seines Sterbens bewusst gehen konnte, nahezu planen konnte, es fasziniert, dass er dabei nicht in Trauer und Selbstmitleid verfiel, sondern zuversichtlich und hoffnungsvoll, voller Erwartung war.
Der Tod kontrollierte nicht ihn, sondern umgekehrt: Benedikt nahm ihm seine bedrohliche Kraft, indem er ihn annahm, gestaltete und als das sah, was er für ihn als tiefgläubiger Mensch war: Durchgang zu seiner Bestimmung, Übergang zur wahren Heimat, Vereinigung mit Gott.
Nun, werden Sie sagen, der war ja auch ein Heiliger. Da muss das so sein.
So ist das wohl.
Und dennoch wünschen wir uns doch selbst, etwas von dieser Lebens- und Todeseinstellung zu haben. Wir wünschten uns doch für uns selbst, nicht vor lauter Angst vor dem Tod ihn ständig zu verdrängen, um ihn am Ende doch siegen zu sehen, sondern ihm aufrecht und mit geradem Blick ins Auge zu sehen. Wir möchten menschenwürdig sterben, so sagen wir – und meinen damit, nicht einsam und alleine an einer Vielzahl von Schläuchen und piependen Maschinen angeschlossen, sondern der Würde eines Menschen entsprechend, menschenwürdig eben.
Was heißt das? Was ist eines Menschen würdig? Welches Sterben, welcher Tod, welches Leben?
Wir feiern ja in der Regel einen Heiligen nicht an seinem Geburtstag, sondern meistens an seinem Todestag, so auch heute hier, Jahr für Jahr. Wir feiern den Todestag des Hl. Benedikt, nicht seinen Geburtstag, nicht den Tag der Klostergründung in Montecassino, sondern den Tag seines Sterbens. Der Todestag ist der Dreh- und Angelpunkt, von dem aus wir die Vergangenheit eines Menschen, sein Leben also, betrachten und seine Zukunft, das also, was wir für ihn NACH seinem Tod erwarten.
Wir sagen, dass es neben ein paar anderen Dingen das Bewusstsein ist, dass uns als Menschen von den Tieren unterscheidet. Auch wenn man inzwischen feststellen konnte, dass auch manche Tierart eine Art von Bewusstsein hat, so wird es sich doch graduell von dem des Menschen unterscheiden. Auch wenn ein Tier sich – und damit wird untersucht, ob ein Tier ein Bewusstsein von sich selbst hat – in einem Spiegel erkennt, dann heißt das noch lange nicht, dass ein Schimpanse, ein Delphin oder ein Elefant sich des eigenen Sterbens bewusst ist.
Gegenwärtig sieht es so aus, als wäre das nach wie vor dem Menschen vorbehalten.
Ein Wissen zwar, auf das wir allermeistens verzichten möchten, aber es macht uns offenbar zum Menschen. Es entspricht der Würde des Menschen, von seinem Tod zu wissen. Es ist des Menschen würdig, diesem Wissen entsprechend zu leben und zu sterben, menschenwürdig eben.
Warum das so ist?
Vermutlich weil das ein in Kauf zu nehmendes Nebenprodukt menschlichen Bewusstseins ist.
Das Bewusstsein ist naturwissenschaftlich nach wie vor ein großes Rätsel.
Wir wissen zwar, dass wir es haben, es gibt Thesen darüber, wie es in unserem Gehirn entsteht, aber keine endgültige Sicherheit über seine Entstehung.
Religiös gesprochen aber könnte die Tatsache, dass wir von unserem Tod wissen, ein Fingerzeig Gottes sein, ein Fingerzeig auf ihn hin. Mal angenommen es wäre wirklich wahr, was wir als Christen glauben, nämlich dass nach dem Tod nicht das Nichts kommt, sondern das Leben in Gemeinschaft mit Gott, wenn das Leben nicht durch den Tod begrenzt wäre, sondern ewig wäre. Nur mal angenommen es wäre wirklich wahr, dass wir in Ewigkeit gar nicht sterben können, sondern der Tod nur vermeintlich wäre, nur ein Übergang in eine andere Form des Lebens, wäre es dann nicht sinnvoll, dass Gott uns daran erinnert?
Wir wissen vom Tod, weil er uns daran erinnert, dass wir nicht für das Leben auf der Erde bestimmt sind, sondern für das ewige bei Gott.
Wenn wir vom Tod nicht wüssten, wüssten wir nicht von Gott, wenn wir uns unseres Sterbens nicht bewusst wären, wären wir uns nicht des ewigen Lebens bewusst.
Der hl. Benedikt ist auch deswegen ein Heiliger geworden, weil er nicht nur vom Wesen des Lebens wusste, sondern auch vom Wesen des Todes.
Er erzählt uns mit seinem Leben UND seinem Sterben bis heute vom Sinn menschlicher Existenz. Er bezeugt, dass wir von Gott kommen und zu Gott gehen. Christen erahnen, dürfen glauben, dass sie aus der Ewigkeit in diese Welt geboren werden und mit dem Tod in die Ewigkeit zurückkehren, heimkehren.
In Todesanzeigen findet es sich leider nicht mehr sehr oft, aber früher war es gang und gäbe. Da hieß es immer:
Am soundsovielten ging der und der HEIM zu Gott. Man sprach von Heimkehr, vom Heimgang eines Menschen. Daraus sprach das Bewusstsein, dass die wahre Heimat des Menschen die ewige ist, nicht die vergängliche, nicht die Erde, sondern der Himmel.
Wenn das aber so ist, stellt sich doch automatisch die Frage, warum wir überhaupt hier sind? Warum leben wir? Warum nehmen wir nicht die Abkürzung und bleiben gleich in der Ewigkeit ohne Umweg über das doch oft beschwerliche Leben auf diesem Planeten? Warum?
Warum die Schmerzen der Geburt, das Auf und Ab der vielen Lebensstationen mit Glück und Unglück, mit Gesundheit und Krankheit, mit Liebe und mit Hass, mit Krieg und Frieden?
Genau darum! Wir sind in der Welt, um in der Welt zu sein. Wir sind in der Welt, um in der Welt zu sein.
Wir alle wissen Dinge erst dann richtig zu schätzen, wenn sie vergangen sind. Erst wenn uns eine Krankheit erwischt, wissen wir unsere Gesundheit zu schätzen. Erst wenn eine Freundschaft aus irgendwelchen Gründen beendet wurde, wissen wir diese Freundschaft erst wirklich zu schätzen.
Erst wenn Krieg in der Welt ist, wissen wir den Frieden erst wirklich zu schätzen.
Und: Vielleicht lernen wir den Himmel erst richtig zu schätzen, wenn wir mal auf der Erde gelebt haben.
Gott ist die Liebe – so sagt es uns der 1. Johannesbrief. Gott ist die Liebe. Wenn wir also glauben können, von Gott zu kommen, dann kommen wir aus der Liebe, aus der tiefen Verbundenheit von allem, aus einer unbeschreiblich tiefen Einheit – und wenn wir glauben können, nach dem Tod wieder zu Gott zu gehen, dann glauben wir, wieder in diese tiefe Verbundenheit zurückzugehen.
Und dazwischen liegt das Leben hier, auf dieser Erde, hier in dieser Welt. Dazwischen liegen die Erfahrungen von Gesundheit und Krankheit, von Wut und Freude, von Trauer und Glück, von Hass und Liebe. Hier auf dieser Erde erleben wir, wie es ist, NICHT ständig in Liebe und in Verbundenheit mit Gott zu leben. Wir sind getrennt, voneinander und von ihm.
Aber das ist nicht die ganze Wahrheit des Menschen, der menschlichen Existenz: Innerlich sind wir immer noch miteinander und mit Gott verbunden- mit dem unzerstörbaren Band der Liebe.
Jesus sagt in einem Gebet in seinen Abschiedsreden im Johannesevangelium: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein; ich in ihnen und du in mir. Was für ein Satz: Ich in ihnen, Du in mir. Alle eins.
Hier beschreibt Jesus die Wirklichkeit der Existenz des Menschen.
In dieser Welt nur vergessen wir das viel zu oft – wir kommen ohne dieses Wissen, ohne diese Gewissheit der Einheit mit der ewigen Liebe auf diese Welt.
Unsere Aufgabe ist es, in diesem Leben Spuren dieser Einheit wiederzuentdecken. Uns daran zu erinnern, wer wir wirklich sind. Dabei hilft uns die Liebe.
Wenn Gott wirklich die Liebe ist, dann ist jede Erfahrung von Liebe eine Gotteserfahrung. Wenn Gott die Liebe ist, dann ist die Liebe Gott. Überall wo mir wirkliche Liebe begegnet, begegnet mir der wirkliche Gott.
Und wenn ich diese Spuren der ewigen Liebe entdeckt habe, entbrennt in mir die Sehnsucht nach dieser ewigen Liebe umso stärker.
Das ist es, was den Hl. Benedikt bewegt hat. Er hatte die Spuren Gottes in der Welt wiederentdeckt. Er ahnte und war gewiss, dass er aus der ewigen Liebe kam und wieder dorthin gehen würde. So wurde der Tod für ihn das Tor zum Leben. Er wusste, dass es unsere Aufgabe ist, uns gegenseitig zurück in die ewige Liebe, zu Gott hinzuführen.
Deswegen spricht mich das Bild vom aufrechtstehenden sterbenden Benedikt so an, aufrecht dem Licht entgegen, gestützt von seinen Brüdern, die ihrer Aufgabe entsprechend ihren Bruder Benedikt ins Licht führen.
Wir sind alle ohne jede Ausnahme in dieser Welt, um uns gegenseitig wieder ins Licht zu führen, uns auf die Spuren der Liebe aufmerksam zu machen, uns gegenseitig zu helfen, darin Gott zu erkennen und damit unser aller Existenz sinnvoll zu machen und zum Ziel zu führen.
Und Sie als Benediktinerkonvent sind und können uns allen damit besonders hilfreich sein. Sie haben Ihre Existenz so offensichtlich für uns alle an diesen Gott gehängt. Natürlich sind auch Sie nur Menschen, nicht heiliger als wir alle – das werden Sie mir hoffentlich verzeihen – aber sie ermöglichen uns mit Ihrer Existenz und Lebensweise einen Hinweis auf diesen Gott, der nicht so leicht zu übersehen ist. Sie teilen miteinander, versuchen sich gegenseitig mit Respekt und Liebe zu begegnen und vereinen sich im regelmäßigen Gebet mit Gott und heben Ihre Gemeinschaft auf eine andere Ebene – nämlich auf die unserer aller wahren Existenz. Und ob sie leben oder schon verstorben sind, Sie nehmen niemanden davon aus.
Mich beeindruckt vieles an der Symbolsprache Ihrer Kirche, aber eines im Hinblick auf Tod und Leben immer besonders – dass Sie als Konvent hier keinen Kreis, sondern einen Halbkreis bilden und der Halbkreis zum vollen Kreis durch die Gräber der Mitbrüder vollendet wird, die auf der anderen Seite der Apsis zu finden sind. Niemand ist ausgeschlossen, alle gehören zusammen, vereint durch den, der hier in unserer Mitte über unseren Köpfen hängt, der Auferstandene, der beide Ebenen, horizontale und vertikale, Erde und Himmel miteinander verbindet.
Was für ein Zeichen, was Sie hier verwalten und leben dürfen – und uns damit alle in dieser Stadt Meschede und darüber hinaus immer wieder daran erinnern, woher wir kommen und wohin wir gehen: aus der Ewigkeit und in die Ewigkeit. Davor muss niemandem angst und bange sein, aufrecht wie der Hl. Benedikt, gestützt von allen, die uns Brüder und Schwestern sind, können wir dem Ewigen entgegen gehen.
Danke für Ihr Zeugnis, liebe Brüder von Königsmünster.
Predigt am Ersten Fastensonntag (26.02.2023)
Predigtvon P. Julian M. Schaumlöffel OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
die tollen Tage des Karnevals – so man sie angesichts der weltpolitischen Lage überhaupt zu feiern gewillt war – liegen gerade erst hinter uns, da konfrontiert uns das heutige Evangelium ausgerechnet mit dem Thema Versuchung. Irgendwie ein sperriges Wort: Versuchung.
Im Rückblick auf die hinter uns liegenden Tage des Frohsinns könnte man Versuchung als das Streben nach Vergnügen und Lust, Ausgelassenheit und Unbefangenheit verstehen, wobei die Frage nach der Verantwortung gerne ausgeblendet wird. Aber Versuchung und die Konsequenz daraus meint noch mehr: Es meint das eigene Selbst, die Verwirklichung des eigenen Willens und der eigenen Wünsche in den Mittelpunkt zu stellen. Einer derartigen Versuchung erliegt, wer Gott fern meint und zugleich glaubt, sich sein Glück selbst schaffen zu müssen oder eben ‚seines eigenen Glückes Schmied zu sein‘.
Die kleinen Versuchungen des Alltags kennen wir alle und auch ihnen konnten wir in den vergangenen Tagen wieder leicht erliegen. Es sind Versuchungen, die sehr unterschiedlich sind und jeder von uns kennt da seine eigenen Schwächen am besten. Aber es gibt noch eine andere, gefährlichere Qualität von Versuchung, um den eigenen Willen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen in den Mittelpunkt zu stellen: Das Bloßstellen und Fertigmachen anderer, das vermeintliche Verschaffen von wie auch immer gearteter Macht durch üble Nachrede und Mobbing und schließlich sogar das Durchsetzenwollen des eigenen Denkens und der eigenen Weltanschauung durch den zerstörerischen und vernichtenden Akt von Terror, Gewalt und Krieg. Der Jahrestag des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine führt uns dies leider nur allzu brutal vor Augen.
Wir Menschen sind manipulierbar und verführbar. Immer wieder verraten wir unsere Prinzipien oder Ziele, wir laden Schuld auf uns. Ja, wir Menschen wären gerne mächtig wie Gott. Das ist so seit Anbeginn der Welt – wir hörten davon in der Lesung. Das ist so, seit Adam und Eva durch Versuchung und Verführung das Paradies und damit die ungetrübte Gottesnähe verloren haben.
Das heutige Evangelium berichtet uns dagegen von einem Menschen, der diese ursprünglich in uns angelegte Gottesnähe dauerhaft für uns zurückgewonnen hat: Jesus von Nazareth.
Wir hörten von der Versuchung Jesu, die damit beginnt, dass der Geist ihn in die Wüste treibt. Unmittelbar zuvor wird bei Matthäus geschildert, wie sich der Himmel über der Taufstelle am Jordan öffnet und der Geist Gottes auf Jesus herabkommt. Zugleich erklärt eine Stimme: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Hier also geht mit der Versuchung um, der gerade zuvor zum Kind Gottes erklärt worden ist. Und als dieses vom Geist erfüllte Kind Gottes gewinnt Jesus nun jene Gottesnähe zurück, die die Menschen durch die Verführbarkeit von Adam und Eva einst verloren haben. Er bewährt sich da, wo jene scheiterten. Die Scheidewand zwischen Gott und Mensch ist überwunden, der Zugang zum Paradies nicht länger verschlossen. Es ist der Geist des Vaters, seine unsichtbare, wirkmächtige Gegenwart, die Jesus in der Versuchung standhalten lässt.
Wir hörten, dass der Geist Jesus in die Wüste treibt. Die Wüste: Ein symbolträchtiger, religiös bedeutsamer Ort; Ort des Rückzugs, der Sammlung und des Neuanfangs, Ort besonderer Gottesnähe und Gotteserfahrung, Ort aber auch der Versuchung, Erprobung und Gefährdung. Und die Zeitangabe von 40 Tagen ruft unweigerlich alttestamentliche Bilder in Erinnerung. Mose verweilt 40 Tage und 40 Nächte fastend bei Gott auf dem Sinai. Der Prophet Elija wandert, gestärkt durch die Speise des Engels, vierzig Tage und Nächte zum Gottesberg Horeb, wo ihm die besondere Gottesbegegnung widerfährt. Vierzig Jahre lang dauert die Wüstenwanderung des Volkes Israel. Jesus wiederholt hier also Geschichte, er nimmt die Geschichte seines Volkes wieder auf. Er geht in die Wüste und Gott lässt zu, dass dieser eine Erwählte auf die Probe gestellt, in Versuchung geführt wird – so wie sein erwähltes Volk 40 Generationen zuvor. Auch hier geschieht etwas wie Erziehung, eine innere Klärung. Jesus wird sich bewusst, wohin sein Lebensweg führen soll, wohin er unweigerlich führen wird. Entscheidend ist: Jesus hält in der Versuchung stand, er bewahrt sich seine in Gott geschenkte Freiheit, er gerät nicht in die Abhängigkeit des Teufels.
Freiheit. Es lohnt sich, über diese in Gott geschenkte und an ihn gebundene Freiheit nachzudenken. Freiheit ist für uns Menschen niemals absolut, Freiheit hat Grenzen. Spätestens dort, wo die eigene Freiheit mit der Freiheit des anderen in Konflikt gerät, werden diese Grenzen sehr deutlich. Wahre Freiheit – und das ist das Paradoxe – gibt es nur in Begrenzung, in Bindung. Aber gerade in der Abhängigkeit, in der Bindung an Gott, ist uns erst wahre Freiheit möglich. Es ist eine Freiheit von den Vernichtungsmächten dieser Welt, Freiheit von der Gier, von der Zerstreuungssucht, Freiheit von dem Wunsch, sich an Gottes Stelle setzen zu wollen. Denn gerade in diesem zerstörerischen Wunsch liegt die größte Versuchung, das größte Unheil. Die Aggressoren und Kriegstreiber unserer Tage sind die traurigen Fratzen dieses teuflischen Wunsches der Vernichtung jeder Freiheit.
Tröstlich ist: Die von Gott geschenkte Freiheit kann man nicht vernichten. Gott zieht mit uns durch die Wüsten unseres Alltags. Er wird den mühsamen, langen Weg mit uns gehen – bis zum Ende, bis ins gelobte Land. Das Evangelium ist deshalb „Frohe Botschaft“, weil es die Linie zieht von dem einen, der in die Wüste gegangen ist, über die vielen, die ihm durch zwanzig Jahrhunderte darin nachgefolgt sind. Nutzen wir das Geschenk dieser 40 Tage, um umzukehren, unser Versagen in den Blick zu nehmen und uns in aller Freiheit neu an Gott zu binden. Dann dürfen wir für uns und alle Menschen, auch für die vielen Opfer sinnloser Kriege hoffen, dass unsere Geschichte der Freiheit, unsere Geschichte mit Gott weitergeht, über den Tod hinaus weitergeht und sich österlich vollendet.
Amen.
Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (05.02.2023)
Abtei, Predigtvon Br. Robert Sandrock OSB
Lesung: Jes 58,6a.7-10
Evangelium: Mt 5,13-16
Liebe Schwestern und Brüder,
auch in diesem Winter gab es wieder ein paar Momente, wo schon eine ganz leichte Ahnung von Frühling in der Luft lag. Diese schönen Momente, wenn die Luft mehr frisch als kalt ist und die Sonne zwar tief steht, aber doch ein kräftiges Licht durch die klare Atmosphäre sendet. Dieses Empfinden habe ich auch bei den heutigen Lesungen: Da ist viel von Licht die Rede, aber so richtig hell ist es noch nicht geworden. Immerhin genug Licht, um den weiteren Weg zu sehen, und genügend Helligkeit, um zu wissen, dass bessere, schönere Tage kommen werden.
„Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg“ – diesen Anfang der Bergpredigt haben wir letzte Woche gehört, gefolgt von den Seligpreisungen: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ war eine davon. Tatsächlich kann man das Gefühl haben, Gott zu schauen, wenn man an einem schönen, lichterfüllten Tag von einem Berg in die Täler hinabschaut. Die Schönheit und das Licht sind aber nicht die einzigen Gründe, warum der Evangelist Matthäus Jesus seine große Rede auf einem Berg halten lässt. Ganz bewusst will er seine Leserinnen daran erinnern, dass auch Mose auf einen Berg gestiegen ist, den Berg Sinai, wo er das Gesetz mit den Zehn Geboten empfangen hat. Jesus ist der neue Gesetzgeber, dessen Gesetz wie eine Leuchte ist, die man eben nicht unter den berühmten Scheffel – gemeint ist eine Art Eimer für Getreide – stellen soll.
Die Leseordnung gibt uns einen näheren Hinweis darauf, wie dieses Licht aussehen soll, indem sie uns das 58. Kapitel des Propheten Jesaja anbietet. Es lohnt sich, hier noch einmal den größeren Zusammenhang anzuschauen: Es geht darum, dass die Israeliten sich bei Gott beschwert haben: Sie haben gefastet, und trotzdem hat Gott ihre Gebete nicht erhört. Der Prophet antwortet, dass Gott die Gebete nicht erhört, solange die Beter ihre Mitmenschen unterdrücken und Gewalt gegen sie anwenden: „Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und treibt alle eure Arbeiter zur Arbeit an. Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank, und ihr schlagt zu mit roher Gewalt.“ Danach setzt dann die Lesung ein:
Praktische Taten der Hilfe für die Bedrängten, die sind es, die dein Licht hervorbrechen lassen wie das Morgenrot.
Ist das die Situation unserer Kirche? Das Licht ist sicherlich da – die katholische Caritas und die evangelische Diakonie sind in unserem Land die größten Anlaufstellen für Menschen in Not. Oft sind es die Kirchen, die sich als erste um Flüchtlinge kümmern, die den Kontakt zu den so oft vergessenen Ländern in Afrika halten. Gerade jetzt ist der Papst gemeinsam mit den höchsten Repräsentanten der Anglikanischen Kirche und der schottischen Presbyterianer auf einer Friedensmission im Südsudan unterwegs.
So richtig hervorbrechen will das Licht der Kirche im Moment allerdings nicht – ob das auch bei uns daran liegen könnte, dass wir die „Unterjochung“ noch nicht aus der Mitte unserer Kirche entfernt haben?
„Unterjochung“ ist ein hartes Wort, in der früheren Einheitsübersetzung hieß es noch „Unterdrückung“. Diese Frage geht vor allem an die Herren Bischöfe, nämlich, ob sie bereit sind, ihre Macht kontrollieren zu lassen, ob sie bereit sind, niemanden mehr wegen seiner sexuellen Orientierung oder wegen ihres Geschlechts zu diskriminieren. Bevor wir aber zu sehr über andere schimpfen, sollten wir uns auch fragen, ob wir nicht vielleicht die kommenden Generationen „unterjochen“, ihnen Gerechtigkeit verweigern, indem wir ihnen eine beschädigte Erde hinterlassen.
Beide Lesungen, die aus Jesaja, und das Stück aus der Bergpredigt, wollen nicht den Zeigefinger erheben, sondern uns Mut machen, wollen uns an das Licht erinnern, das schon da ist, das nur noch hervorbrechen muss. Im Johannesevangelium sagt Jesus, „Ich bin das Licht der Welt“.
Heute haben wir gehört, „Ihr seid das Licht der Welt“. Dieses Licht soll nicht unter dem „Scheffel“ bleiben, sondern es gehört auf den Leuchter, damit es allen im Haus leuchtet, und damit die Menschen unseren Vater im Himmel preisen. Amen.
Predigt am Dritten Adventssonntag (11.12.2022)
Predigtvon P. Johannes Sauerwald OSB
Les: Jes 35,1-6b.10
Ev.: Mt 11,2-11
Heute ist der Gaudete-Sonntag. Im Introitus ruft der Apostel Paulus auf: Freuet euch, wiederum sage ich: Freuet euch! Diese Freude ist eine Vorfreude, denn wir haben bald Weihnachtsfest und feiern die Menschwerdung Jesu Christi.
Die Freude ist eine Frucht der Hoffnung auf Jesu Ankunft in dieser Welt und das Kommen des Gottesreiches.
Wenn ich gefragt werde, was für mich Hoffnung ist, dann erzähle ich gerne von den Wallfahrten mit Studierenden nach Chartres. Mit einer Gruppe der Mescheder Hochschulgemeinde nahmen wir daran fast jährlich als Gäste der Pariser Katholischen Studentengemeinden teil. Die Wallfahrt fand meistens am Wochenende um Palmsonntag statt. Die äußeren Umstände waren spartanisch einfach. Es kam in erster Linie darauf an, sich in Gesprächen und Gesängen auf die Mitpilger, überwiegend französische Studentinnen und Studenten, einzulassen, vor allem aber, die ca. 30 km lange Strecke zu Fuß, mit dem Gepäck im Rucksack, zu bewältigen, nur unterbrochen durch die Übernachtung auf dem Boden einer Scheune. Am nächsten Morgen ging es weiter, bis wir schließlich an der Kathedrale in Chartres ankamen und darin die Eucharistie feierten, jedes Mal ein unvergessliches Erlebnis.
Ein Eindruck während dieser Wallfahrten kehrte immer wieder und hat sich mir tief eingeprägt. Er hilft mir, zu verstehen, was Hoffnung ist: Wir werden mit Bussen bis zum Startpunkt gefahren. Dann gehen wir los und auf Chartres zu, unser Ziel, ohne es vor Augen zu haben. Dann steigt das Gelände an, wir kommen auf einen erhöhten Punkt der weiten Ebene und sehen auf einmal, ganz weit entfernt und wegen der Dunstschleier an der Horizontlinie klein und nur schwach erkennbar, eine Andeutung von den beiden Türmen der Kathedrale. Wir weisen uns gegenseitig auf diesen Punkt hin. Aha, wir sind auf dem richtigen Weg. Doch dann senkt sich die Landschaft wieder, wir gehen durch eine Bodenwelle, das Blickfeld engt sich ein, Aber nach einer Reihe von Kilometern können wir wieder in die Ferne schauen, und siehe da: die Kathedrale ist ein bisschen näher gerückt.
Nicht immer sehen wir unterwegs die Erfüllung unserer Sehnsucht so nahe vor uns wie auf dieser Pilgerroute. Es gibt Zeiten, da sehen wir nicht weit, sondern tasten uns mühsam Schritt für Schritt weiter, umgeben von Steilwänden wie in einer finsteren Schlucht. Im Römerbrief sagt Paulus zu Recht: Hoffnung, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung (8,24). Gerade deswegen kommt es ihm auf die Geduld in unsicheren Zeiten an, darum ruft er die Gemeinde in Rom auf: Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig und beharrlich im Gebet!
Wenn die Hoffnung nicht erlahmen soll, braucht sie Ermutigungen, Bestätigungen, eine innere Verbindung mit der Aussicht auf das verheißene Erbe.
Sie fasst ja Möglichkeiten ins Auge, die in der harten Alltagswirklichkeit mit ihren Sachzwängen unterzugehen drohen.
Sie reißt gegen alle Erfahrung Grenzen nieder, überwindet Vorbehalte, Bedenken und Niederlagen,
und gibt den Glauben an ein gelingendes Leben in Gerechtigkeit und Freiheit nicht auf.
In der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja öffnet sich eine hoffnungsfrohe Aussicht. In ihr findet die Schöpfung zurück zu ihrer ursprünglichen Schönheit, die Wüste blüht auf und fängt an zu jubeln. Der Mensch wird wieder ganz heil und unversehrt. Blinde erhalten ihr Augenlicht zurück und Lahme springen wie ein Hirsch. Die Gefangenschaft eines unterdrückten und dem Tode verfallenen Daseins nimmt ein Ende, ein neuer Exodus steht bevor. Jesaja erinnert an die Urerfahrung Israels, den Auszug aus der Sklaverei Ägyptens, das unbeschreibliche Geschenk, frei zu werden für den kostbaren Reichtum des göttlichen Lebens und nicht mehr der Willkür fremder Mächte ausgesetzt zu sein.
Johannes der Täufer war davon überzeugt, dass noch in seiner Zeit der Messias kommen wird, und mit ihm das lang erwartete Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Um das Gottesvolk darauf vorzubereiten, predigte er die Umkehr. Denn ohne innere Wandlung würde stattdessen das Zorngericht Gottes über sein Volk hinwegfegen. Dann wurde er von den Mächtigen aus Angst vor einem Aufruhr gefangengesetzt. Seine Gefangennahme aber machte ihn unsicher, ob seine Predigt aufs Ganze gesehen trotz vieler Bekehrungen wirkungslos blieb. Darum sein Frage an Jesus: Bist Du der von Gott versprochene Retter?
Oder sollen wir auf einen anderen warten?
In seiner Antwort sagt Jesus weder Ja noch Nein. Aber er weist darauf hin, was sich jetzt in der Gegenwart ereignet: Die Botschaft des Jesaja erfüllt sich:
Menschen werden geheilt.
Jesus zeigt nicht auf sich, sondern auf die Tiefendimension der Umwandlung von Menschen, die von der Frohen Botschaft sichtbar erfasst, berührt, verwandelt werden. Was geschieht, sind Zeichenhandlungen, Anzeichen, Momente des Aufatmens, zu-sich-selber-kommens. Er selbst ist ein lebendiges Zeichen der Gottesnähe, auch dann, wenn er für seinen Einsatz leiden muss. Ein Zeichen der Hoffnung wie die Kathedrale von Chartres auf unserem Pilgerweg.
In Jesu Worten und Taten wird das Futur ins Präsens gebracht, kommt die ferne Zukunft ins Jetzt, an diesen Ort, hier. Auch in unsre Zeit. Die engen Grenzen der Zeiten werden aufgebrochen. Das kommende Gericht wird von der Barmherzigkeit unterlaufen. Wer sich auf sie einlässt, ist schon gerichtet. Sie ist es, an der sich der Glaube des Menschen entscheidet. Wer in ihr den barmherzigen Gott in dieser Welt wirken lässt, wird gerettet. Selig sind die Armen vor Gott, verkündet Jesus, der Christus. In den Hoffenden lässt sich die Herrlichkeit Gottes nieder. Deswegen kann er auch sagen: Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Liebe Schwestern und Brüder, wie kann die Freude des Advents bei uns einziehen? Indem wir die Hoffnungsbilder und -zeichen in uns wirken lassen, hinein in unser Dunkel, sie miteinander teilen und Gottes Willen tun.
Predigt am 31. Sonntag im Jahreskreis (30.10.2022)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Les: Weish 11,22-12,2
Ev: Lk 19,1-10
Zuvor zwei Informationen zu Zachäus:
Leider aber hilft das nicht wirklich, sondern führt ganz im Gegenteil dazu, dass die anderen ihn immer mehr ablehnen und verachten.
Doch interessiert sich Zachäus nicht nur für Geld, sondern auch für das, was so passiert in Jericho und im Umland. So hat auch er schon von diesem Jesus gehört und verlangt danach, diesen Menschen mal mit eigenen Augen zu sehen.
Aber auch hier macht ihm seine kleine Körpergröße einen Strich durch die Rechnung, da er wegen der Menge nichts sehen kann.
Zachäus aber ist hartnäckig und beweglich, so läuft er der Menge voraus und klettert geschickt auf einen am Straßenrand stehenden Maulbeerfeigenbaum.
Diese Bäume sind nicht sehr hoch und haben weit auslandende Äste, auf die sich auch ein kleiner Mann gut heraufschwingen kann. Zudem ermöglicht ihm das dichte Laub des Baumes, gut verborgen alles bestens überschauen zu können – ideal für jemanden, der es gewohnt ist, andere zu kontrollieren und dabei selbst auf der sicheren Seite zu sein. Günstig aber auch für jemanden, der nicht gern gesehen ist und sich selbst auch lieber vor jenen verbirgt, die ihn keines Blickes würdigen oder mit bösem Blick hinter ihm herschauen.
So schwebt er nun auf einem weiten Zweig zwischen Himmel und Erde und verfolgt genau das weitere Geschehen, als plötzlich das Unvorhersehbare geschieht: Jesus sieht ihn. Genauer gesagt: Jesus blickt zu ihm herauf, schaut zu ihm auf! Eine ungewohnte Perspektive für jemanden, auf den sonst alle herabschauen oder vorbeisehen.
Was die anderen ihm verweigern, schenkt Jesus ihm nun: Ansehen.
Dann spricht ihn Jesus auch noch an. Er nennt ihn bei seinem Namen „Zachäus“.
Hier ist es gut zu wissen, dass der Name Zachäus sich vom griechischen Namen Zakchaios ableitet und meistens als Variante des hebräischen Namens Zakkaj gedeutet wird, der abgeleitet ist von der Wurzel זכך zkhkh „rein, hell, lauter sein“.
Mit dieser direkten und persönlichen Anrede mit seinem Namen vermittelt Jesus ihm, das er in ihm nicht den obersten Zollpächter sieht, sondern einen Menschen, der hell sein möchte, wahrgenommen und gesehen werden will.
Vielleicht verwandelt sich in der Folge das Gesicht des Zachäus, der nun Ansehen findet. Sein Züge lösen sich, sein Gesicht klärt auf, wird hell, und er beginnt zu strahlen.
Und dann wird es noch verrückter. Jesus sagt zu ihm: „Komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben“, d.h. bei Dir einkehren und übernachten. Jesus der Jude, der Rabbi, will mit ihm, den unreinen Zöllner gemeinsam essen und sogar in seinem Haus übernachten.
Zachäus soll vom Geldnehmer zum Gastgeber werden:
von einem, der bisher immer genommen hat, vor allem viel genommen hat, zu einem, dem zugetraut wird, dass er gibt und schenkt,
was er dann auch in großem Maße tut: die Hälfte seines Vermögens gibt er den Armen, und jenen, von denen er zu viel gefordert hat, gibt er das Vierfache zurück.
In der Weise, in der Jesus Zachäus anschaut und ihm Ansehen gibt, zeigt er: Was ich im anderen sehe, das erkenne oder entdecke ich in ihm. Wenn ich von anderen und vermutlich auch von mir selbst nur klein denke, wird mir nur Kleinheit begegnen. Wenn ich größer von anderen und mir denke, weitet sich der Blick und wird Wachstum möglich.
Der Psychoanalytiker Heinz Kohut machte darauf aufmerksam, dass Kinder es wollen und brauchen, sich im Glanz der Augen der Mutter und ihrer primären Bezugspersonen zu spiegeln.
In der Gegenwart ihrer Mutter spielende Kinder vergewissern sich immer wieder des Augenblicks der Mutter und werden so ermutigt, sich und die Welt im Spiel zu entdecken, innerlich zu wachsen.
Jesu Zuwendung hat das Leben des Zachäus verwandelt.
Jesu Zutrauen hat in ihm geweckt, was er in der Tiefe seines Herzens bereits ist, denn so sagt Jesus hier selbst: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. D.h. ein Mensch, der glauben und vertrauen kann, der sich anderen öffnen und zuwenden kann.
In diesem barmherzigen Handeln Jesu erfüllt sich, was in der Lesung aus dem Buch der Weisheit gesagt wird:
„Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst,
und siehst über die Sünden der Menschen hinweg,
damit sie umkehren.
Herr, du Freund des Lebens.“
Darum ist Gott Mensch geworden, hat sich zu uns auf Augenhöhe gestellt, uns Ansehen gegeben.
Darum ist der Menschensohn gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Doch wie ist es eigentlich mit Zachäus weitergegangen?
Tomás Halík, ein tschechischer Soziologe, Religionsphilosoph und Autor vieler geistlicher Schriften, hat die Erzählung von Zachäus ein wenig weitergesponnen und gibt damit auch schon einen Ausblick auf das kommende Allerheiligenfest. Denn Halík zufolge setzt Zachäus all seine guten Vorsätze in die Tat um und stirbt zufrieden in einem hohen Alter und gelangt in Abrahams Schoß. Und „obwohl er aufgrund ernster bürokratischer Hürden (er ist nämlich nicht getauft) durch die zuständige Vatikanische Kongregation nicht heiliggesprochen werden konnte, versagt ihm Jesus nicht nur nicht den Heiligenschein, sondern betraute ihn sogar mit einer Sonderaufgabe im Bereich Kommunikation zwischen Himmel und Erde: Der heilige Zachäus wird zum Schutzpatron der Ewig-Suchenden, all jener, die ‚Ausschau halten‘.“ (Tomás Halík, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute, Freiburg 2010, 229)
Predigt am 24. Sonntag im Jahreskreis (11.09.2022)
Predigtvon P. Matthias Skeb OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
ich möchte Ihre Aufmerksamkeit heute Morgen auf die Lesung aus dem Buch Exodus (Ex 32,7-14) lenken.
Das ist eine ungewöhnliche und unglaubliche Geschichte, die Geschichte vom „Goldenen Kalb“ und von der Auseinandersetzung zwischen Mose und Jahwe. Vielleicht fühlen wir uns durch sie befremdet und peinlich berührt, denn hier tritt uns nicht die vertraute, schon fast zum Klischee erstarrte Gestalt eines liebenden, sondern eines aufbrausenden Gottes entgegen, der sein Volk vernichten will.
Nicht weniger ungewöhnlich ist die Rolle, die Mose in dieser Geschichte spielt. Sein leidenschaftlicher Einspruch klingt nicht wie die Bitte eines Geschöpfes, das ergeben Gottes Ratschluss akzeptiert, sondern eher wie das Plädoyer eines Rechtsanwalts, der den wütenden Richter zu beruhigen sucht und mahnt, nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Mehr noch, Mose erdreistet sich, mit göttlichen Worten Gott gegen Gott auszuspielen, wenn er ihn an die früher gewährte Hilfe und an das Versprechen erinnert, das er schon den Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte. Mose erinnert Gott nachdrücklich und entschieden an seine eigenen Zusagen. Soll das alles hinfällig sein?
Kurz vor dem Beginn der Lesung lesen wir im Buch Exodus, dass Mose einige Zeit bei Gott auf dem Berge weilte, um das Bundesangebot Gottes zu erhalten und die Weisungen, die das Leben vor Gott regeln sollen (32,1). Dort erfährt Mose vom Herrn selbst, was am Fuße des Berges während seiner Abwesenheit geschehen ist. Ihn selbst ist das wohl entgangen. Das Volk hatte sich „ein goldenes Kalb“ gegossen, das als Gottesbild dienen sollte; es hatte sich vor diesem niedergeworfen und ihm Schlachtopfer dargebracht und diesem Machwerk von Menschenhand sogar die Rettung aus Ägypten zugeschrieben. Das Volk hat sein Gottesbild, von dem es sich Rettung und ein gelungenes Leben erwartet, selbst fabriziert und zwar just in dem Moment als Mose auf dem Berg von Gott selbst erfährt, wie er sich das Leben mit seinem Volke vorstellt. – Ein Gott nach „Hausmacherart“. Menschen legen sich ihr Gottesbild selbst zurecht, anstatt sich sagen zu lassen, wer er ist: Glaube an Gott als Projektion irgendeines diffusen Bauchgefühls und Bedürfnisses von irgendwem von irgendwoher
Und gerade mit diesem dummen Kalb, werden die Israeliten bei ihren Zeitgenossen gut angekommen sein. Der Applaus und die Zustimmung der umgebenden Gesellschaften waren bestimmt gesichert, denn Stierbilder und Stierkulte waren in den Hochkulturen des Alten Orients weit verbreitet. Dass der biblische Autor nicht von einem Stier spricht, sondern von einem Kalb, zeigt nur seinen ätzenden Spott gegenüber dem orientalischen Stierkult. Der Stier verkörperte je nach Kontext Zeugungskraft, Fruchtbarkeit, Vitalität, Kampfkraft, Überlegenheit, Macht und Stärke – alles gesellschaftsfähige Qualitäten. Man durfte sich akzeptiert fühlen von den Zeitgenossen. Der Glaube an Jahwe, einen persönlichen Gott, der selbst sein Volk führt und sagt, wie es Volk sein soll, ist zu banaler Religiosität verkommen, ganz auf der Linie der Erwartungen der Zeitgenossen. Für den Verfasser des Exodus-Buches steht fest: Dieses Verhalten bedeutet Abfall, der ins Verderben führt. Was hier geschehen ist, kann nicht bloß als Ergebnis einer „schwachen Stunde“ entschuldigt oder als Folge von Ahnungslosigkeit oder Dummheit gedeutet werden. Sich ein Gottesbild oder die Botschaft des Glaubens selbst so zurechtzulegen, dass sie möglichst gleichgeschaltet ist mit gesellschaftlichen Idealen und opportunistisch an sie angepasst ist, das ist der Kern von Götzendienst. Das ist eine Urversuchung für den Glauben, auch unter uns Christen, auch in der Kirche! Heute mehr denn je! – Anlass genug, uns zu fragen, wie unsere „Golden Kälber“ aussehen, um die wir aufgeregt unsere Tänze aufführen und offensichtlich auch aufführen sollen. Ich muss hier nicht ins Detail gehen. Christus hat uns aufgefordert, Salz der Erde zu sein, nicht der fromme Zuckerguss auf dem Einheits-Keks gesellschaftlicher Mehrheitsmeinungen, der nur fett macht und dumm.
Noch einmal zurück zur Lesung. Mit ihrem schändlichen Treuebruch fordern die Israeliten selbst Gottes Urteil heraus.
Die Rede vom „lieben Gott“ und vom „guten Vater“, wie sie im Evangelium anklingt und wie sie uns allzu leicht über die Lippen geht, kann dazu führen, die Tatsache der Sünde zu verharmlosen, die sich „Götzendienst“ nennt und gewissenmaßen die Ursünde ist, dass nämlich der Mensch sein will wie Gott und die die Kontrolle darüber haben will, wie Gott ist. Gott nimmt diese Sünde ernst wie seine Auseinandersetzung mit Mose zeigt. Nein, dieses Streitgespräch beinhaltet nicht ein vermenschlichtes Gottesbild, in dem Gott mit einem Menschen feilscht, wie ein orientalischer Händler auf einem Basar. Es ist letztlich nur eine literarische Einkleidung. Gerade die literarische Form des dramatischen Streit-Dialogs will deutlich machen, wie schwer die Sünde des Götzendienstes wiegt, die darin besteht, sich sein Gottesbild, sein Kirchenbild und seine Beziehung zu Gott nach dem Kriterium gesellschaftlicher Opportunität zurechtzulegen und an den Obsessionen gesellschaftlicher Meinungsmacher auszurichten. Wider Erwarten verzehrt Gott sein Volk nicht, er gibt ihm die Möglichkeit, zu ihm zurückzukehren, immer wieder, in unfassbarer Geduld. Gott ist eben viel größer und barmherziger als das, was wir Menschen uns über ihn ausdenken können. – Um welche blökenden Kälber wir auch tanzen. Wir Christen und wir Katholiken im Besonderen sollten das gesunde Selbstbewusstsein haben, den goldenen Kälbern unserer Zeit entgegenzutreten und nicht um sie herumzutanzen. Wer sonst soll das heute noch tun? Haben wir also den Mut zu einer intelligenten Form des „unmodisch“-Seins: nicht „altmodisch“, nicht „neumodisch“, sondern „un-modisch“, weil gesellschaftliche Moden und Obsessionen für das Bild, das wir von Gott und seiner Kirche haben, letztlich kein Maßstab sind. Die Heilige Schrift weiß das noch und die junge Kirche der ersten Jahrhunderte wusste das ebenfalls. Haben wir das vergessen?
Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (21.08.2022)
PredigtMiteinander oder Gegeneinander
von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
I.
Das Evangelium lässt mir heute nichts anderes übrig, als eine Höllenpredigt zu halten.
Schließlich hieß es dort: „Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Ísaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid.“
Um etwas anschaulicher zu machen, worum es geht, möchte ich mit einer kleinen Geschichte beginnen, die vermutlich viele von Ihnen kennen:
Ein Rabbi, so wird erzählt, habe Gott gebeten, ihm einmal den Himmel zu zeigen. Da er im Gebet nicht nachließ, sandte ihm Gott einen Propheten, der ihn zu einem kleinen Ausflug ins Jenseits mitnehmen sollte. Dabei kamen sie in einen großen Saal, angefüllt vom Geschrei und Fluchen ausgehungerter Menschen, die um große Kessel mit wohlschmeckender Speise saßen. Vergeblich versuchten sie, mit langen Löffeln, die man nur am Stielende anfassen konnte, die Speise zum Munde zu führen. Ihr erfolgloses Unternehmen brachte sie zu Raserei und Verzweiflung. „Was ist das hier“, fragte der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, antwortete dieser.
Bald darauf betraten sie einen zweiten großen Raum. Auch hier saßen Menschen um Kessel mit angenehm duftender Speise; sie waren wohlgenährt und vergnügt und unterhielten sich in fröhlicher Weise. Auch sie hatten nur lange Löffel, um die Speise zum Munde zu führen. Sie hatten das Problem aber dahingehend gelöst, dass jeder seinem Nachbar gegenüber das Essen reichte. „Was ist das“, fragte der Rabbi. “Der Himmel“ antwortete der Prophet.
Die Geschichte will auf die Frage hinaus, was der Unterschied zwischen Himmel und Hölle ist – und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass es keinen gibt. Die Bilder für den Himmel und die Hölle sind genau gleich: Ein Saal, in dem, so heißt es in der Bildsprache des Erzählers, „Kessel mit wohlriechender Speise“ bereit stehen, die darauf wartet genossen zu werden.
Der Unterschied zwischen Himmel und Hölle sind die Menschen. Es gibt Menschen, die vollenden ihr Leben als solche, die die wunderbarste Begabung des Menschen gepflegt und geübt haben, nämlich die Begabung „himmlisch“ zu leben; und es gibt Menschen, deren schreckliches Lebensergebnis besteht in der Fähigkeit, sich und anderen den Himmel zur „Hölle“ zu machen.
Ich glaube, die Vorstellungswelt dieser Geschichte trifft das mit „Himmel“ und „Hölle“ Gemeinte entschieden besser als ein idyllischer „Himmel“ mit Barockengelchen oder eine als Drohmittel benutzte „Hölle“ mit kleinen Teufelchen. Der Himmel ist nicht die Belohnungsanstalt für die Braven und die Hölle ist nicht die Strafanstalt für diejenigen, die zu viele Fehlerpunkte auf dem Konto haben.
II.
Leider ist eine Jahrhunderte lang übliche Art, „Himmel“ und „Hölle“ als Einrichtungen zur Belohnung und Bestrafung darzustellen, mitschuldig daran, dass das eigentlich Gemeinte kaum ernst genommen wird, – mit der fatalen Folge, dass wir eine entscheidende Dimension des Menschseins ausblenden, obwohl wir zugleich merken, dass wir sie nicht loswerden. Es ist die Tatsache, dass unsere Art zu leben nicht folgenlos ist, dass wir tatsächlich eine letztgültige Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen unserer Existenz haben und nicht einfach nur das Produkt zufällig glücklicher oder schwieriger Lebensumstände sind.
Noch einmal in der Bildsprache der Geschichte gesagt: Entweder bleibe ich gegen meine Mitmenschen hungrig und gierig oder ich kann mit ihnen gesättigt und zufrieden sein. Entweder nütze ich meine Lebenszeit, um für den Himmel zu trainieren und „kann Himmel“, wenn ich dort ankomme, oder ich gewöhne mich so an die Hölle, dass ich nur „Hölle kann“, und deshalb im Himmel lebensunfähig bin.
Was ist die entscheidende Lebensregel des Himmels?
Ich bin nicht selbst meines Glückes Schmied, sondern ich bin da wirklich Mensch nach Gottes Vorstellung, wo ich im Wechselspiel von beschenkt Werden und Schenken mitmache und dieses Wechselspiel Tag um Tag, Situation für Situation einübe und trainiere. In der Bildlichkeit der Geschichte: Wo ich mir das, was ich zum Leben brauche, selber zusammenraffe, werde ich zur wild um mich schlagenden Furie, zum leibhaftigen „Teufel“. Doch da, wo ich es schaffe, mich anzuvertrauen und für andere zu sorgen, da bin ich im besten Sinn des Wortes ein „Engel“.
Sie merken: So zu leben ist in der Tat etwas völlig anderes als das, was wir für normal halten, die wir doch alle mehr oder weniger ausgeprägt nach der Devise leben: „Der einzige, auf den ich mich verlasse, bin ich selbst.“ Deshalb ganz nüchtern meine These: Vom Himmel sind wir alle noch ziemlich weit entfernt. Oder anders gewendet: Eigentlich haben wir erst einen kleinen Bruchteil dessen, was Jesus wirklich will, tatsächlich verinnerlicht und realisiert.
III.
Wie kann das gehen, für den Himmel zu trainieren, durch die „enge Tür“ zu kommen? Das Bild enthält eigentlich schon die Antwort. Jeder weiß: Wenn ein Loch für mich zu klein ist, werde ich nie durchkommen, sondern trotz noch so großer Anstrengung früher oder später hoffnungslos festsitzen. Der einzige Weg ist: Ballast abladen.
Dazu einige ganz direkte „Testfragen“ für jede und jeden persönlich:
Wo habe ich mich so mit Sicherheit, mit Macht und Geld, mit Erwartungen und Ansprüchen bepackt, dass darüber meine innere Freiheit verloren gegangen ist?
Wo machen mich starre Ansichten so unbeweglich, dass ich nicht mehr die Wirklichkeit und das Mögliche sehe, sondern nur noch meine Angst- oder Machtphantasien?
Wo habe ich mich so sehr verbissen in den Wahn, ich müsste alles selber machen, dass niemand mir helfen kann, – selbst wenn ich buchstäblich umstellt bin von Menschen, die auf nichts sehnlicher warten als auf die Gelegenheit mir Gutes zu tun?
Wo habe ich mich derartig auf meine eigenen Nöte und Ängste fixiert, dass ich überhaupt nicht mehr mitbekomme, wie vielen es mindestens ebenso schlecht oder noch viel schlechter geht?
Finde ich, dass nur das etwas wert ist, was ich selbst geleistet habe, oder kann ich genießen, was mir andere „einfach so“ zukommen lassen?
Ich könnte jetzt noch lange fortfahren mit Beispielen für Situationen, die zur Hölle werden, wenn ich mit aller Gewalt meine eigene Haut retten will. Dabei könnte jeder Augenblick meines Lebens, sogar jede Durststrecke, der Himmel sein, wenn sie mich ganz schlicht dazu brächten, den Kreislauf der Liebe in Gang zu setzen, das wunderbare Wechselspiel von Empfangen und Geben, – als Kontrast zum eiskalten „Ich will auf niemanden angewiesen sein“.
Zusammengefasst: So lange wir von der fixen Idee besessen sind, uns den Himmel selbst zu machen, hat Gott keine Chance, – und wo Gott keine Chance hat, da ist die Hölle – und das nicht erst im Jenseits, sondern hier und jetzt.
Gott wartet auf Menschen, die sich von ihm den Himmel schenken lassen können und ihn weiterschenken. Dann ist das Evangelium Wirklichkeit: „Man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“
Predigt am 13. Sonntag im Jahreskreis (26.06.2022)
Predigtvon P. Klaus-Ludger-Söbbeler OSB
„Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“ (zu Gal 5,1.13-18 und Lk 9,51-62)
Kaum ein Wort hat in Geschichte und Gegenwart mehr Wirkung als das Wort „Freiheit“. Da wo Freiheit lockt, sind Menschen fasziniert, wo Freiheit in Gefahr gerät, herrscht Alarmzustand. Die Ansage dass der Mensch „zur Freiheit berufen“ ist, ist eine der segensreichsten Spuren der biblischen Religionen – des Judentums und des Christentums – in der Weltgeschichte. Für das Volk Israel war die Erfahrung, dass Gott da ist, wo der Mensch frei ist von der Beherrschung durch Menschen der schlechthinnige Grundimpuls, – beginnend mit dem Auszug aus der Knechtschaft des Pharao in die Freiheit Gottes. Jesus hat diesen Grundimpuls seiner jüdischen Wurzeln verkörpert: Nicht einmal Kreuz und Tod setzen der Freiheit eine Grenze, weil die Grenze des Daseins in Raum und Zeit nicht das Ende, sondern der Übergang in die Vollendung ist.
Doch spätestens seit der Europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts hat sich die Christenheit den Kampf um die Freiheit aus der Hand nehmen lassen, – weil sie zu sehr verstrickt war in den Kampf um die Macht: Statt zur Freiheit zu befähigen, hat man kirchlicherseits Freiheit zur Bedrohung erklärt, – vor der man die Menschen meinte schützen zu müssen. Christ zu sein reduzierte sich in der Erfahrung vieler auf ein System kaum verständlicher und mit äußerem Druck durchgesetzter Regulierungen. Das fatale Ergebnis sehen wir heute: Immer mehr Menschen halten Religion für etwas Überflüssiges oder sogar Schädliches. Die Kirchen ihrerseits sind so sehr damit beschäftigt, sich selbst am Laufen zu halten, dass sie kaum noch Kraft haben, ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, – nämlich, den Menschen den Zugang zu einer im Gottvertrauen gründenden Freiheit zu ermöglichen. Die Kirche ist dazu da, für Gott den Platz zu schaffen, der seiner unendlichen Größe entspricht. Wo sie den Verengungen des Daseins nur eine weitere hinzufügt, stellt sie sich tatsächlich selbst infrage.
Dabei ist aus Gottvertrauen gelebte Freiheit dasjenige, was die Welt in der vielfach verfahrenen Gegenwartssituation so dringend brauchen würde, – angesichts der allgegenwärtigen Bedrohungen der Freiheit und angesichts der missbräuchlichen Verwechselung von Freiheit entweder mit verantwortungsloser Beliebigkeit oder mit schrankenloser Selbstüberhöhung. Wie wichtig und zugleich wie gefährdet dieser Freiheitsauftrag der Kirche ist, wusste schon Paulus, als er an die Galater schrieb: „Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“
Freiheit im biblischen Sinn hat zum Ziel, dass die Menschen unbelastet sind von allem, was nicht menschlich ist, damit sie die Menschen sein können, die die sie eigentlich sind, – ohne all die unnötigen und zerstörerischen Zwänge, die sie sich selbst auferlegen oder von anderen aufgedrückt bekommen. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild“ weiß die Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27). „Ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde“, sagt Jesus (Jo 15,15)
„Abbild Gottes“ ist ein Mensch da, wo er nicht von der Angst getrieben wird zu kurz zu kommen. „Freund Jesu“ ist ein Mensch da, wo in ihm das Vertrauen lebendig ist, dass er nicht leben muss, um zu sterben, sondern dass er sterben wird um zu leben.
Solche Freiheit entsteht weder durch am Schreibtisch konstruierte Freiheitstheorien noch durch aggressive Befreiungsschläge; Solche Freiheit wächst in alltäglichen Situationen, wie sie das heutige Evangelium an einer ganzen Kette von Beispielen vorführt:
Ein freier Mensch kann akzeptieren, auf Ablehnung zu stoßen, ohne sich selbst untreu zu werden und ohne sich mit Zwang und Gewalt durchzusetzen.
Ein freier Mensch kommt ohne ichbezogene Absicherungen und ohne blockierende Panzerungen aus, weil Gott Sicherheit genug ist.
Momentum der Freiheit ist der jeweilige Augenblick. Ihn kann ich in Freiheit annehmen, oder ich kann ihn – gelähmt durch die Verstrickung in Vergangenes oder die Angst vor dem Kommenden – dumpf verstreichen lassen und damit wertlos machen.
Die Vergangenheit kann das Fundament sein, auf dem wir auf- und weiterbauen, – sie wird jedoch zum Fluch, wo sie uns fesselt, indem wir uns an sie klammern, um das Voranschreiten zu vermeiden.
Kurz: Jeder Mensch hat als wichtigsten Lebensauftrag, das kleine Stückchen Zeit und Welt, das jetzt und hier ist, für Gott frei zu halten, damit der Mensch nicht Knecht von irgendwem oder irgendwas ist sondern Abbild Gottes. –
Wo immer das gelingt, da hat der Zuspruch des Paulus an die Galater zu wirken begonnen: „Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“
Predigt am 12. Sonntag im Jahreskreis (19.06.2022)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Predigttext: Lk 9,18-24
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich? – Petrus antwortete: Für den Christus Gottes.“ – Diese Antwort klingt nicht oberflächlich oder angelernt. Da ist einer von jemandem überzeugt. Vielleicht sogar begeistert? Petrus bekennt klar und mutig in kürzester Form seinen Glauben: Jesus ist der Christus – also der Gesalbte, der Messias und Sohn Gottes. Für ihn ist Christus der Erlöser aller Menschen. – Jesus lässt das Bekenntnis so stehen, keine Korrektur oder Ergänzung – es gilt. Doch anstatt Petrus und die anderen Jünger zu ermutigen, diese Wahrheit zu verbreiten, hörten wir Erstaunliches: „Er befahl ihnen und wies sie an, es niemandem zu sagen.“
Warum weist Jesus sie an, das nicht zu tun? Es wäre doch im Sinne der Verbreitung der Sache Jesu, seines Evangeliums, seiner frohen Botschaft von der Erlösung.
Zudem war es bisher in ihrer Bewegung gut gelaufen: Direkt vor dem gehörten Abschnitt aus dem Lukasevangelium wird von der wundersamen Speisung der Fünftausend berichtet – das wird für Furore und ein positives Image gesorgt haben. Und davor hatten die Jünger – erstmals von Jesus ausgesandt – das Evangelium verkündet und überall geheilt. Die Kunde ihrer Erfolge drang bis in höchste Kreise vor: Sogar der Herrscher Herodes hat den Wunsch, Jesus zu sehen. – Alle Signale stehen also eigentlich auf Grün: Ihre Bewegung könnte weiter an Fahrt gewinnen.
Warum also verbietet Jesus, das Christusbekenntnis von Petrus zu verbreiten? Versteht Jesus darunter etwas Anderes? Vielleicht ahnt Jesus eine Gefahr: Wollen Petrus und die Jünger mit ihm, dem ersehnten Christus-Messias, groß rauskommen – vielleicht unbewusst? Erfolge können berauschen und übermütig machen. Das kann dann auf Kosten anderer gehen: Sie werden klein gemacht, um selbst noch größer zu erscheinen.
Und hat sich diese Gefahr nicht bestätigt? Bei allem segensreichem Engagement – zweifellos – aller Hingabe bis ins Martyrium: In der Welt- und Kirchengeschichte wurde auch klein gemacht, ausgegrenzt, nach Macht gegiert, von oben herab abgekanzelt und im Geist und in der Tat gemordet, um selbst groß rauszukommen. Bis heute zeigt sich, wie brutal Menschen werden können, wenn sie „groß“ geworden sind und wie viele ihnen dabei – oft um der eigenen Vorteile willen – folgen.
Dahinter steckt letztlich die Angst, selbst nicht genug zu sein. Die Erfahrung der eigenen Grenzen und der Unvollkommenheit ist ja real und treibt uns um – auch ins Negative. Menschen tun – neben allem Guten – auch Böses und unterlassen das Gute. Jesus ist Realist, deshalb weiß er, dass die Boshaftigkeit Teil menschlicher Freiheit ist und dass besonders diejenigen, die groß rausgekommen sind brutale Täter auch an ihm werden: „Und er sagte: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden.“ – Offensichtlich ahnt er auch aus tiefster Nacht den aufgehenden Morgen, der ihm geschenkt wird…
Worauf gründet Jesu Hoffnung? Ein Blick zurück hilft weiter: Bei seiner Taufe hatte sich der Himmel geöffnet und er hörte: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Jesus erfährt Gott als absolute Liebeszusage. Im Tod wird sie endgültig bestätigt und ihn auferwecken. Gottes Gegenwart beruhigt schon in diesem Leben existenziell und setzt Liebesenergie frei. Dieser Jesus lebt und liebt intensiv! Davon haben die Leute und seine Jünger mittlerweile erfahren: Einige durch Heilungen, und bei der Speisung der Fünftausend haben viele davon – wortwörtlich – etwas abgekriegt. Vielleicht erinnerte sich Jesus im Gebet – damit begann unser Abschnitt – an diese absolute und unzerstörbare Liebesverbundenheit mit Gott. Dies ist die innere Qualität des Selbstverständnisses Jesu. Sie ist das Fundament seines Christus-Seins. Sie braucht nicht von oben herab auf Kosten anderer zu leben, sondern geht nach unten, zu den Menschen, so wie sie sind, um ihnen die unzerstörbare göttliche Liebesverbundenheit anzubieten – an sie zu erinnern, weil sie im Grunde schon in ihnen ist und immer war.
Schritte auf dem Erlösungsweg dahin bietet Jesus allen an. Seinen Jüngern – auch uns – lädt er ein ihm zu folgen. Dabei werden wir einzeln angesprochen – Jesus will keine Meute, die willenlos hinter ihm herläuft: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“ Es kommt darauf an, mit Jesus, dem Christus, verbunden zu bleiben und auf diesem Grund ins Vertrauen zu gehen. „Sich verleugnen“ könnte dann heißen: Weniger dem eigenen Ego folgen, sondern mal was Anderes – möglichst Liebevolleres – ausprobieren, sein Leben ändern und auch ändern lassen. „Das tägliche Kreuz aufzunehmen“ könnte bedeuten die Last des Lebens anzunehmen, weil wir nur so erfahren, dass wir auch in der Schwere Getragene sind, so, wie der Erdboden uns bei jedem Schritt von Neuem trägt. „Das Leben um seinetwillen verlieren“ kann uns ahnen lassen, dass wir mehr erhalten, wenn wir teilen: „Geben ist seliger denn nehmen.“ Das können wir tun. Auch das weiß der Volksmund: „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude!“
Predigt am 7. Ostersonntag (29.05.2022)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
Als der 1996 verstorbene Pastoralpsychologe Henry Nouwen, ein angesehener Professor und international äußerst erfolgreicher geistlicher Autor in eine tiefe Sinnkrise geriet, zog er sich für 7 Monate in ein Trappistenkloster zurück. Als er den Abt nach einem Rat fragte, der ihm in dieser schwierigen Situation helfen könnte, sagte der: „Machen Sie zum Mittelpunkt Ihres Meditierens das Wort: Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“ Henry Nouwen stutzte, denn herrlich fühlte er sich zu dem Zeitpunkt natürlich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich leer, ausgepowert, niedergeschlagen.
Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben Sie gerade auch gestutzt, vielleicht aus einem ähnlichen Grund, weil sie sich auch nicht herrlich fühlen. Vielleicht aber auch, weil Sie meinen, dass das doch sehr vermessen und anmaßend ist. Nun, der Trappistenabt war ein großer geistlicher Meister. Als solcher kannte er sicherlich das oft zitierte Wort des Irenäus von Lyon, eines Kirchenvaters aus dem 2. Jahrhundert: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch.“ Ein wahrhaft gewaltiges Wort, das sicherlich auch uns guttäte, wenn wir es meditieren würden. Natürlich hat Irenäus von Lyon das nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern auf dem Fundament biblischer Offenbarung eine Wahrheit pointiert formuliert.
In unserem heutigen Evangelium klingt etwas sehr Ähnliches an, wenn Jesus zu seinem Vater betet: „Ich habe ihnen [gemeint sind die Jünger] die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast.“ Doch was meint eigentlich der Begriff „Herrlichkeit“? Wenn die Bibel von der Herrlichkeit Gottes spricht, meint sie damit die unfassbare, wunderbare, lebendige Ausstrahlung Gottes, seine Schönheit, seine gewaltige Größe und Kraft, sein erhabenes majestätisches göttliches Wesen, dass sich oft in einem strahlend hellen Lichtglanz äußert, wie zum Beispiel bei der Verklärung Jesu auf dem Tabor. Auch Jesus Christus, der „vor aller Zeit aus dem Vater geboren“ ist, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, ist diese Herrlichkeit zu eigen. Er selbst spricht ein paar Verse vor unserem heutigen Abschnitt davon: „Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war!“ (Joh 17,5) Und aus lauter Liebe zu uns Menschen, weil er uns ganz nahe sein wollte, hat er auf diese Herrlichkeit verzichtet und ist Mensch geworden. „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ So formuliert es der Philipperbrief (2,6f.).
Er ist Mensch geworden, weil er uns so sehr liebt, dass er ganz eins sein möchte mit uns und uns an seinem göttlichen Leben, an seiner Herrlichkeit Anteil geben will. „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ So haben wir es gerade im Evangelium gehört. Wenn man das recht bedenkt, ist das schon wirklich gewaltig. Die christliche Tradition spricht hier von einem „wunderbaren Tausch“. Der Schöpfer des Menschen, Gott, wird selbst ein Mensch und schenkt uns Menschen seine Gottheit. Ja, Gott gibt sich in Jesus uns Menschen ganz und gar hin, behält nichts für sich zurück, auch nicht seine göttliche Herrlichkeit.
Der große Mystiker Johannes vom Kreuz sagt: „Was Gott beansprucht, ist, uns zu Göttern durch Teilhabe zu machen, wie er es von Natur aus ist, so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“ Ja, indem wir ganz eins mit Gott werden, werden wir immer mehr in ihn verwandelt, „so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“
Das ist die große Sehnsucht Gottes, seine herzliche Einladung an uns: in Liebe ganz eins zu sein, immer mehr eins zu werden mit ihm, wir in ihm und Er in uns. Das gilt nicht nur „spirituellen Überfliegern“, nicht nur besonders „frommen“ Menschen, Ordensleuten oder Priestern, sondern allen. Weil er uns alle unendlich liebt. Hier geht es um nicht weniger als um das Fundament unseres christlichen Glaubens!
An uns liegt es, mit unserem Glauben wirklich ernst zu machen, diese Einladung anzunehmen, mit Gott in einem Beziehungsverhältnis zu leben, in einer tiefen Lebens- und Liebesgemeinschaft. Und was kann schöner und beglückender sein als mit jemanden ganz eins zu sein, von dem man weiß, dass er mich bedingungslos und unermesslich liebt?
Von Gott her ist das Eins-sein immer schon da. Das muss ich mir nicht erst verdienen, erwerben, weil Gott „in jeglicher Menschenseele, und sei es die des größten Sünders der Welt, wesenhaft wohnt und gegenwärtig ist”, wie Johannes vom Kreuz sagt. Vielmehr geht es darum, wach zu werden für diese tiefste Wahrheit unseres Wesens, und dann daraus mein Leben zu gestalten, mich der Liebe Gottes hinzugeben und mich von ihm verwandeln zu lassen, damit seine göttliche Herrlichkeit immer mehr Raum greift in mir, immer mehr durch mich hindurch scheint und strahlt. Damit ich spüre, dass das Wort wahr ist: Ich bin die Herrlichkeit Gottes!
Predigt an Christi Himmelfahrt (26.05.2022)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Ich muss gestehen, dass ich mit dem heutigen Hochfest „Christi Himmelfahrt“ als Kind nie so richtig etwas anfangen konnte. Es war zwar schön, einen zusätzlichen Ferientag zu haben (ein Luxus, der Menschen aus Italien oder Spanien nicht vergönnt ist, denn hier fällt Christi Himmelfahrt wie auch das Fronleichnamsfest auf einen Sonntag), doch die Botschaft hinter dem Fest war mir nie so ganz eingängig. „Himmelfahrt“ – das klingt mehr nach Science Fiction und göttlicher Hebebühne als nach etwas, das mir in diesem Leben weiterhilft, das mir zeigt, wie ich im Alltag leben soll.
Später habe ich dann im Theologiestudium gelernt, dass Himmel nicht unbedingt der physische Ort am Himmelsgewölbe ist, sondern eher ein Zustand der Verbundenheit und Gemeinschaft. Das Englische kennt hierfür zwei unterschiedliche Wörter: „sky“ für den physischen Himmel über mir mit Sonne, Mond und Sternen, und „heaven“ für all das, was wir theologisch-spirituell unter Himmel verstehen.
Doch trotzdem stellt sich angesichts der Lage unserer Welt und Kirche für mich die drängende Frage: Wie kann ich den offenen Himmel feiern, in den Jesus eingegangen ist, wenn der Himmel für so viele Menschen weltweit nicht von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus, sondern vom Artilleriefeuer der Kriegsmaschinen erleuchtet wird?
Wie kann ich den Himmel feiern, wenn dieser Himmel für unzählige Menschen verdunkelt wird, weil sie im Raum der Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben?
Wie kann ich an einen offenen Himmel über uns glauben, wenn so vielen Menschen, und zwar nicht den Gleichgültigen, sondern den Engagierten dieser Himmel durch die Kirche so sehr verdunkelt wird, dass sie ihn in dieser Kirche nicht mehr zu sehen vermögen und diese Kirche verlassen, auf allen Ebenen? Und wenn die einzige Reaktion vieler nicht konsequentes Handeln ist, ein Ändern des Systems, das offensichtlich Missbrauch begünstigt, sondern Floskeln der Betroffenheit, eine regelrechte „Betroffenheitslyrik“ und „Erschütterungserschütterung“, wie es die Journalistin Christiane Florin auf den Punkt bringt?
Mitten in meine Zweifel hinein höre ich den Satz aus der Himmelfahrtserzählung der Apostelgeschichte, den wir zu Beginn im Introitus gesungen haben, der also sozusagen als Leitmotiv, als Grundton über diesem Tag steht: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11) Und ich lese die kraftvollen Sätze aus beiden Lesungen, die die Jünger zur Zeugenschaft, zur Verkündigung, zum Handeln aufrufen: „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samárien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) – „Angefangen in Jerusalem, seid ihr Zeugen dafür. Und siehe, ich werde die Verheißung meines Vaters auf euch herabsenden.“ (Lk 24,48-49)
Also: Nicht ein ängstliches In-den-Himmel-Starren, das Lösungen von oben, in einer fernen Zukunft erwartet, sondern ein kraftvolles Einstehen für die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth mitten in dieser Welt – als Geist-Begabte, von ihm gesegnete Menschen.
Keine Betroffenheitslyrik, die in offiziellen Statements oder ellenlangen Facebook-Postings sagt, man habe verstanden und werde sich ändern, Schritte der Veränderung einleiten, sondern jetzt das tun, was mir möglich ist, um die befreiende Botschaft Jesu zu verkünden – mag es auch den Widerspruch derer hervorrufen, die schon immer zu wissen glaubten, was katholisch ist und was nicht.
Was wäre aus dem Christentum geworden, wenn die ersten Jünger ängstlich im Obergemach geblieben wären und nicht hinausgegangen wären auf die Straßen und Marktplätze der Welt? Ihre Kleider wären vielleicht sauberer geblieben, und ihre Herzen unverwundeter, aber um welchen Preis? Die Apostelgeschichte, die wir in dieser Osterzeit wieder gehört haben, zeigt doch ganz deutlich den großen Freimut der Jünger, die Wahrheit Jesu Christi zu verkünden, auch gegen den Widerstand der Herrschenden. Sie zeigt den Mut der ersten Christen, mehr sein zu wollen als eine jüdische Splittergruppe, sondern sich bewusst fremden Kulturen auszusetzen und sich in dieser Auseinander-setzung neu zu finden.
Das Fest Christi Himmelfahrt führt mich nicht in einen fernen Himmel über mir, der nichts mitbekommt vom Leid dieser Welt. Sondern es stellt mich in die Verantwortung, mich hier und jetzt dafür einzusetzen, dass dieser Himmel sichtbar ist und bleibt für die Menschen, dass niemandem dieser Himmel verdunkelt wird. Jesus mag zwar physisch nicht mehr anwesend sein in dieser Welt – er bleibt aber anwesend überall da, wo Menschen seine Botschaft zu leben versuchen, sei es innerhalb, sei es außerhalb der Kirche. In diesem Sinne gibt es dann doch viele Erfahrungen des Himmels mitten in dieser Welt – da wo Menschen ganz unkompliziert geholfen wird, wo ihnen zugehört wird, wo sie ihre Geschichte, auch ihre Leid-Geschichte in dieser Kirche erzählen können.
Ja, wir werden dabei nicht mit heiler Haut davonkommen, nicht als Einzelne und nicht als Kirche. So manche Wunde wird bleiben, und wir werden sie mit uns tragen. Wir werden, wie es Hilde Domin in einem Gedicht schreibt, „eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.“ „Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.“ Dieser Wunsch ähnelt ein wenig den Betroffenheitsrhetorikern unserer Tage, die meinen, es wäre mit ein paar salbungsvollen Worten getan. Auch Jesus ist nicht einfach so in den Himmel aufgenommen worden, sondern durch das Kreuz hindurch, als Verwundeter. Er ist und bleibt der verwundete Gekreuzigte, auch in der sprichwörtlichen Herrlichkeit. Allein diese Bitte taugt nach Hilde Domin: „Dass wir aus der Flut, dass wir aus der Löwengrube und aus dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.“ Das wäre dann auch eine Himmelfahrt, die so ganz anders ist als die im Triumphwagen hinauf – weil der Himmel nicht weit weg ist, sondern uns ganz nah, innerlicher als unser Innerstes. AMEN.
Predigt am 2. Ostersonntag (24.04.2022)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Liebe Schwestern und Brüder!
Vor knapp zwei Wochen, mitten in der Karwoche, fand ein großes „Live-Event“ auf dem Burgplatz in Essen vor der Kulisse des Essener Domes statt, das ein großer privater Fernsehsender ausgerichtet hat. Es wurde mit vielen mehr oder weniger bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern, mit Einspielern und Livemusik und Thomas Gottschalk als Erzähler eine Geschichte aufgeführt, die viele Menschen berührt, ja zu Tränen gerührt hat. Das Event trug den Namen „Die Passion – die größte Geschichte aller Zeiten“ – und es handelte sich tatsächlich um die Passionsgeschichte von Jesus Christus, die wir in derselben Woche in den Kirchen gehört haben. Die Worte waren wörtlich den Evangelien entnommen, die Geschichte selber ist so übersetzt worden, als geschehe sie in der Gegenwart mitten in der säkularen Großstadt Essen. So fand das Messiasbekenntnis des Petrus im größten Essener Einkaufszentrum statt, die Lebensmittel für das Letzte Abendmahl wurden an einer Imbissbude gekauft, und die Ölbergszene wurde auf das Gelände der Zeche Zollverein verlagert. Manches daran war für christliche Augen sicherlich zunächst verstörend, doch ich finde, dass gerade in solcher Verstörung und Irritation auch etwas Heilsames liegen kann – denn haben wir uns nicht so sehr an die Passionsgeschichte gewöhnt, dass wir gar nicht mehr das Herausfordernde, Provozierende, Berührbare daran erleben? Da hilft so manche Störung, neu auf die zeitlos aktuelle Botschaft dieser Story hinzuhören. Das moderne Passionsspiel, das übrigens völlig auf brutale Bilder der Kreuzigung verzichtete, wurde immer wieder durch deutsche Popsongs unterbrochen, moderne Passionslieder sozusagen, deren Text erstaunlich gut zur Geschichte passten. Parallel zur Geschichte, die auf dem Burgplatz erzählt wurde, trugen ganz unterschiedliche Menschen in einer Prozession ein großes Lichtkreuz durch die Essener Innenstadt und berichteten dabei von ihren Erfahrungen und Lebensschicksalen – berührende Glaubenszeugnisse, die vielleicht nicht immer klassische Kirchenbiographien waren, aber nicht weniger authentisch und echt.
Mich hat dieses moderne Passionsspiel seltsam berührt. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass ein Privatsender, der sonst nicht unbedingt für christliche Botschaften bekannt ist, etwas schafft, wozu wir in unseren Kirchen immer weniger in der Lage zu sein scheinen: viele Menschen zusammenzubringen, die innerlich angerührt, ja auch ehrfürchtig, an dieser Geschichte teilnehmen – und vielleicht sogar am Ende verändert zurück in ihren Alltag gehen; am Ende stand der Appell zu Solidarität und Nächstenliebe, auch im Angesicht der vielen modernen Passionsgeschichten von Menschen heute, in der Ukraine, Russland, im Heiligen Land und anderswo.
Als Leitmotiv über dieser Veranstaltung stand ein Satz, der einem Lied der Gruppe Revolverheld entnommen ist, das am Ende der Jesus-Darsteller über den Dächern der Stadt Essen gesungen hat: „Halt dich an mir fest, wenn dein Leben dich zerreißt. Halt dich an mir fest, wenn du nicht mehr weiterweißt. Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt.“
Was hat das nun alles mit dem heutigen Oktavtag von Ostern zu tun und mit dem Evangelium der Begegnung des Auferstandenen mit Thomas, das wir gerade gehört haben?
Wir stehen am Ende der Osteroktav. Morgen geht nach den Osterferien für viele von uns das Alltagsleben weiter. Die Frage, die über diesem Tag steht, lautet: Was bleibt? Was bleibt von der Feier der Kar- und Ostertage der letzten Wochen, von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi? Was bleibt von der österlichen Hoffnungsbotschaft in einer Zeit, die ganz und gar nicht zur Hoffnung einlädt? Was bleibt, „wenn das Leben uns zerreißt und wenn wir nicht mehr weiterwissen“?
An diesem Übergang begegnet uns der Apostel Thomas. Er war bei der ersten Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Jesus nicht dabei. Er weigert sich zu glauben, wenn er nicht die Wunden berühren kann, wenn er es nicht mit allen Sinnen fühlen kann, wenn er sich ganz wörtlich an den Wunden Jesu festhalten kann. Und Jesus geht auf seinen Wunsch ein. Er sagt zu ihm: „Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite! Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt!“
„Berühre die Wunden!“ So lautet ein Buchtitel des tschechischen Priesters und Theologen Tomás Halík. Jesus ist nicht als strahlender Sieger auferstanden – auch wenn wir ihn gerne so besingen. Er ist mit seinen Wundmalen auferstanden. Und er lädt uns ein, seine Wunden zu berühren, uns berühren zu lassen von seinen Wundmalen, die uns in den Wunden unserer Welt und der vielen Menschen in ihr entgegenkommen. „Lass dich berühren von meiner Passion, wo auch immer sie erlebt und durchlitten wird – innerhalb und außerhalb unserer Kirchen, auf den Schlachtfeldern der Welt, in den großen und kleinen menschlichen Dramen von Schuld, Verrat, Verleugnung, Gewalt.“
Unsere Osterkerze bringt in diesem Jahr diese Botschaft eindrücklich ins Bild. An der Stelle der fünf klassischen Wundmale finden sich Friedenstauben, Boten des Friedens. Sie scheinen aus diesen Wundmalen hervorzufliegen, um den Frieden, den der Auferstandene seinen Jüngern zuspricht, in die Welt hinaus zu tragen: „Friede sei mit euch!“ Kein triumphaler Frieden, sondern ein verwundeter Friede, der sich nicht an den Wunden der Menschen vorbei, sondern durch diese Wunden hindurch seinen Weg bahnt. Das ist die Hoffnungsbotschaft von Ostern, die bleibt und die wir auch weiter verkünden müssen – als Protest gegen die Diktatoren dieser Welt! AMEN.
Predigt an Ostern (17.4.2022)
Abtei, Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
ich finde es jedes Jahr wieder berührend den Introitus also den Eingangsgesang von Ostern zu singen. Er ist für mich eine gute Möglichkeit Auferstehung zu deuten. Es ist dieses intime Gespräch des Sohnes mit dem Vater, der den Introitus so besonders macht. Es ist kein Triumphgesang mit Pauken und Trompeten, sondern es ist die Begegnung des Sohnes, der vom Vater gerettet, ja aufgefangen wurde.
Ich bin auferstanden und bin immer bei dir. Halleluja.
Du hast deine Hand auf mich gelegt. Halleluja.
Wie wunderbar wurde dein Wissen um mich.
Jesus ist Gott, aber er ist auch Mensch. Er hat Todesangst gehabt. Er musste den Tod am Kreuz sterben. Er musste sich fallen lassen am Kreuz, in den Tod hinein. Sich fallen lassen in diesen grausamen Erstickungstod. Er musste dies als Mensch, mit diesem letzten Zweifel, der den Glauben vom Wissen trennt, tun. Ohne Netz und doppelten Boden sich fallen lassen allein im Vertrauen, dass der Vater seinen Sohn nicht allein lässt.
Diesen intimen Moment des Sohnes mit dem Vater – die Erleichterung, das nicht enttäuschte Vertrauen in den Vater, wird uns am Anfang dieses Gottesdienstes vor Augen geführt. Kein Triumph und Herrlichkeit sondern Berührung und Liebe. Dieser Glaube und das Vertrauen des Menschen Jesu zu seinem Vater.
Ein Zweiter Mensch, der mich jedes Jahr berührt ist Maria Magdalena, diese Apostolin der Apostel. Sie läuft zum Grab und sieht, der Stein ist weg. Sie läuft zurück um Hilfe zu holen. Mit den zwei Jüngern kehrt sie verunsichert wieder. Doch sie lassen sie alleine am Grab zurück. Erst als sie alleine zur Ruhe kommt spricht Jesus sie an. Und auch dann muss sie sich ganz zu ihm wenden um ihn zu erkennen. Welches Gefühlschaos in ihr geherrscht haben muss. Erst der Tod, dann die vermeindliche Grabschändung und dann die Erkenntnis: Er lebt.
Dieses Gefühlschaos kann ich in der heutigen Zeit gut nachvollziehen. Erst über zwei Jahre Pandemie, in der wir alle nur mühsam tastend die nächsten Schritte gemacht haben, immer in der Angst sich und Andere anzustecken. Aber auch immer die Hoffnung, dass es Schritte zur Normalität gibt. Vorsichtige Schritte zu Normalisierung des Lebens künden sich an.
Dann geschieht Ende Februar, das Unfassbare, welches wir eigentlich überwunden zu haben glaubten. Ein Staat in Europa greift einen anderen Staat mit Waffengewalt an. Krieg in Europa. Wieder ein Rückschlag, Ohnmacht und Sorgen. Helfen wollen und gleichzeitig nicht in einen Krieg hineingezogen werden wollen.
Die Jüngerinnen und Jünger damals hätten sich auch lieber einen Messias gewünscht, der mit Macht kommt. Als triumphaler Held, der das jüdische Volk von seinen römischen Besatzern befreit und in Jerusalem einzieht. Aber so kommt Gott nicht in diese Welt.
Er kommt ganz leise. Er kommt nur zu denen, die an ihn glauben. Er kommt, wenn sie nicht damit rechnen. Er kommt, wenn sie zusammensitzen und die Türen verschlossen sind. Er bleibt nicht weg. Dies im Einzelnen zu deuten überlasse ich in den nächsten 50 Tagen meinen Brüdern.
Ein Wort des auferstandenen Christus an seine Jünger taucht dabei aber immer wieder auf. Es ist auf der diesjährigen Osterkerze: Friede sei mit euch! Wir bekommen vom Auferstandenen den Frieden zugesprochen, den wir nicht nur in Europa, gerade mehr als dringend brauchen.
Das jüdische Schalom meint aber mehr als Frieden. Es meint zunächst Unversehrtheit und Heil. Doch es ist nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit, Frieden und Ruhe. Im Alten Testament wird Schalom als „Zustand, der keine unerfüllten Wünsche offen lässt“ beschrieben.
Oder um es mit dem jüdischen Gelehrten Montefiori zu sagen:
„… der Friede, der allein versöhnt und stärkt, der uns beruhigt und unser Gesichtsbild aufhellt, uns von Unrast und von der Knechtung durch unbefriedigte Gelüste frei macht, uns das Bewusstsein des Erreichten gibt, das Bewusstsein der Dauer, inmitten unserer eigenen Vergänglichkeit und der aller Äußerlichkeiten.“
Dies alles zu begreifen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dauert für die Jüngerinnen und Jünger 50 Tage. Es braucht Zeit dies alles zu Verstehen und zu Verinnerlichen.
Haben wir das Vertrauen, dass Jesus in seinen Vater gesetzt hat.
Haben wir die Offenheit, von der Pater Matthias heute Nacht gesprochen hat, um Christus zu erkennen, wenn er uns begegnen will.
Lassen wir uns diesen Frieden Gottes in dieser Osterzeit immer wieder zusprechen, damit er in uns wirken kann. Damit er durch uns in diese Welt kommen kann. Damit auch wir Pfingsten davon erzählen können.
Schalom Alechem!
Friede sei mit euch!
Predigt in der Osternacht (17.04.2022)
Predigtvon P. Matthias Skeb OSB
Liebe Schwestern und Brüder!
Als ich ein Student im ersten Semester war, erhielten wir einmal als Hausaufgabe den Auftrag, einen Aufsatz eines berühmten deutschen Philosophen zu lesen, der um 1800 in Berlin lebte: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Titel des Aufsatzes lautete: „Wer denkt abstrakt?“. Wer denkt wohl schon abstrakt? Besonders die Philosophen selbst, Mathematiker, Physiker, Astronomen, Informatiker. Das dachte ich mir. Falsch gedacht! Hegel dachte an geistig ziemlich schlicht gestrickte Leute im Kleinbürgertum Berlins zu seiner Zeit, also an Leute, denen man spontan eine Abstraktionsleistung eigentlich nicht zutrauen würde. Wie das? Was er als Abstraktion bezeichnet, meint „übertriebene Vereinfachung“, Denken in Schablonen und Klischees, Absehen von der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit. Komplexe Wirklichkeit, handlich abgefüllt auf kleine Flaschen. Sprachlich drücke sich das aus in Formulierungen wie: „Das ist doch nichts anderes als…“ Einmal ehrlich: Wie häufig kommt uns das oder Ähnliches über die Lippen oder mindestens in den Sinn? Die Sichtweisen, das Verhalten eines anderen Menschen sind doch nichts anderes als dumm, gefährlich, hinterweltlerisch usw. Ähnlich schablonenhaft sagen wir: die Lehrer, die da oben auf dem Klosterberg, die Kirche, die Priester, die Wissenschaftler, die Politiker, das fehlerhafte Gesamtsystem „Katholische Kirche“, wie sich kürzlich ein typischer „Systemvertreter“ weit aus dem Fenster lehnte. Wenn wir heute häufig von angeblich „alternativlosen“ Entscheidungen, „alternativlosen“ Standpunkten, Forderungen oder Konsequenzen hören, die wir akzeptieren sollen, ist das eine moderne Version der gleichen geistigen Schlichtheit, die da sagt: „Das ist doch nichts anderes als…“ Je schlichter gedacht, desto lauter geäußert. Für das Osterevangelium gibt es diese billige Eindeutigkeit nicht, als ob es nur eine alternativlose Schlussfolgerung gäbe: Jesus ist nichts anderes als auferstanden, beziehungsweise: Jesus ist nichts anderes als tot.
Aber schauen wir genauer hin. Die Frauen also gehen nach dem Tod Jesu zur Beerdigungsroutine über und wollen den Leichnam salben, wie es üblich war. Da passiert etwas, was die Routine durchbricht. Das Grab ist offen, der Leichnam verschwunden; sie sind ratlos. Der Leichnam ist nicht mehr da, und von einem Auferstandenen ist weit und breit nichts zu sehen. Da zeigen sich unbekannte Männer in leuchtenden Gewändern und deuten die Abwesenheit Jesu als Zeichen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Der Menschensohn ist auferstanden wie er selbst gesagt hat“; und wer ihn jetzt noch im Grab sucht, sucht das Leben am falschen Ort. Dass diese Frauen mit einem Schlag zum Osterglauben gekommen wären, davon lesen wir nichts. Ein erster Hinweis: Ostern feiern, heißt: Nicht zu vorschnellen Urteilen kommen, Deutungen offenlassen, die Ambivalenz der Situation und die Ratlosigkeit aushalten, und einen Rat annehmen: Suchen wir den Lebenden und das Leben nicht bei den Toten!
Was die Frauen berichten, nehmen die Apostel nicht ernst: Das kann doch gar nicht sein! Das hat es ja noch nie gegeben! Was die wohl gesehen haben? Besser sich nicht bewegen und erst einmal weitermachen wie immer. Wir kennen diese Form vom Behäbigkeit und Bräsigkeit, die sich nicht in Bewegung setzen will, auch wenn klar ist, dass man gescheitert ist: vor die Wand gelaufen, mit seinem Latein am Ende, abgewirtschaftet und ohne Zukunft. Den Lebenden bei den Toten suchen? Nur Petrus will das nicht, ausgerechnet Petrus. Er steht auf, geht zum Grab, sieht die Leinenbinden da liegen, nicht aber den Leichnam und geht erstaunt nach Hause. – Und immer noch keine Eindeutigkeit, noch immer kein Osteralleluja. Das ist der zweite Hinweis: Ostern feiern heißt: aufstehen, hinschauen, staunen können – und noch einmal: keine voreiligen Schlüsse ziehen. Am Ende zeigte sich der Auferstandene selbst, wo und wie er es wollte.
Das Evangelium verkündet uns die Osterbotschaft still, suchend und auch zweifelnd; es lässt ehrlichen Dialog zu. Es polarisiert nicht, schlägt keine Türen zu. Es drängt sich nicht auf. Es steht in wohltuendem Kontrast zu forsch und lauthals vorgetragenen alternativlosen Erklärungen, Folgerungen und Forderungen. Die Präsenz des Auferstanden geht den Jüngern erst nach und nach im Zeichen seiner Nicht-Präsenz auf.
Ich meine, auf die Rhetorik alternativloser Standpunkte zu verzichten, ist auch eine kluge Entscheidung, wenn es darum geht, Debatten und Auseinandersetzungen zu gestalten. Und davon gibt es zur Zeit viele. Wir sind in unserer Gesellschaft in der Gefahr, dass diese Debatten bei aller Scheinliberalität immer hysterischer, immer unduldsamer, immer manipulativer geführt werden. Uns wird über Medien und Netzwerke massiv und sehr effektiv eingetrichtert, was wir zu denken und zu wollen haben. Das gilt bisweilen auch für die Reformdiskussionen, die wir innerhalb der kath. Kirche führen – ganz egal, wie man persönlich nun zu einzelnen Inhalten steht. Nichts ist alternativlos. Leise Töne sind immer hilfreich, lautstarke Patentrezepte nie. Ich arbeite seit fast 20 Jahren als Theologieprofessor an einer Universität im europäischen Ausland, mit Studenten aus aller Herren Länder: meistens aufgeschlossenen, intelligenten, engagierten und aufrichtigen jungen Christinnen und Christen. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Wenn mir in dieser Zeit eines klar geworden ist über unsere Katholische Kirche, dann das: Wir sind als Katholiken nicht Teil irgendwelcher lokaler Kirchentümer, sondern immer verwiesen auf die eine Weltkirche — mit ihren ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Mentalitäten, die nicht einfach nur deshalb dumm, veraltet oder unreif sind, weil sie vielleicht von unseren Lieblingsideen und speziellen deutschen Befindlichkeiten abweichen. Die Weltkirche ist das Korrektiv, das uns geschenkt ist, damit unser Denken nicht einseitg, selbstverliebt und provinziell wird. Hören wir also hin, was sie uns zu sagen hat, die Weltkirche! Wir selbst und unsere Positionen sind alles andere als alternativlos.
Wir lernen vom Osterevangelium auch, wo der richtige Ort ist, an dem jeder Einzelne von uns in dem, was ihn / sie bewegt, das Leben und den Lebenden suchen und finden kann: Hinhören auf andere und ihre Worte ernstnehmen, den geistigen Horizont erweitern, uns vortasten statt mit Patentlösungen aufwarten, leise Töne anschlagen, Türen offenhalten, selbst genau hinschauen wie Petrus und sich ein eigenes Bild machen, notfalls eingestehen, dass man nicht imstande ist, sich ein ernsthaftes eigenes Bild zu machen, und dann erst einmal schweigen und schließlich die Offenheit, die Anwesenheit des Auferstandenen im Zeichen seiner Abwesenheit zu suchen.
Das ist eine Frage der Einübung in die österliche Sichtweise des Lebens. Und wenn wir diese Haltungen unser ganzes Leben eingeübt haben, werden wir uns irgendwann vor dem Auferstandenen selbst einfinden, der am Ufer steht und uns zuruft: „Ich bin es, fürchtet Euch nicht!“. Amen.
Predigt am 4. Fastensonntag „Laetare“ (28.03.2022)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Keiner kann Lebensglück erzwingen, – weder durch Leistung noch durch perfekt geplante Karriere- und Lebensstrategien.
Von daher versteht sich, dass jede und jeder von uns manchmal dasteht wie der ältere Sohn: Wir haben alles richtig gemacht, aber sehen nicht den erwarteten Ertrag, weil das Leben eben kein Lohnbüro ist, weil das Schicksal keine Tarifverträge kennt, die man bei Arbeitsgericht einklagen kann.
Manchmal läuft es aber – Gott sei Dank – auch andersherum: Wir stehen da wie der jüngere Sohn, der beschenkt und gefeiert wird, – obwohl er weiß, dass er das alles andere als „verdient“ hat.
Was im Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ geschieht, ist unverdient. Das erleben die beiden Brüder auf ihre je eigene, völlig gegensätzliche Art und Weise. Und auf ihre Art haben auch beide Recht: Der jüngere Sohn konnte nicht mit Großzügigkeit rechnen, weil er sich völlig verrannt hatte. Und der ältere Sohn meint, er sei nicht auf Großzügigkeit angewiesen, weil er Leistung erbracht hatte und sich berechtigt sieht, dem Vater mangelnde Lohngerechtigkeit vorzuwerfen.
Beide Brüder erleben, dass ihre eigenen Möglichkeiten und Denkmuster ausgereizt sind und nichts bringen. – Doch jetzt kommt der gewichtige Unterschied, auf den Jesus mit dem Gleichnis hinauswill. Beide gehen mit diesem entscheidenden Augenblick grundverschieden um:
Der Ältere sucht den Fehler beim Vater, der nicht seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit entspricht. Nicht die Beziehung zum Vater ist ihm wichtig, sondern dass der Vater seine Forderung erfüllt. Er will den Vater nicht als Vater, sondern als Chef mit Lohnbüro.
Genauso hatte der jüngere Sohn angefangen, als er sich das ihm erbrechtlich zustehende Geld beim Vater abholt, um es dann durchzubringen. Nur hat er, im Unterschied zum älteren Bruder, dazugelernt: Geld bringt spätestens dann nichts mehr, wenn es ausgegeben ist. Aber, o wirkliches Wunder! Er erlebt: Mit leeren Händen dastehen heißt nicht, ins Leere greifen, sondern mit leeren Händen dastehen macht die Hände, den Geist, das Herz frei, um sich vom Vater umarmen zu lassen. Endlich darf der Vater Vater sein und muss sich nicht mehr als Lohnauszahler missbrauchen lassen. Deshalb ist das unsägliche Glück dieser Situation beidseitig und deshalb ein wirklicher Grund zum Feiern: Der jüngere Sohn ist erlöst aus seiner selbstverschuldeten Verstrickung und der Vater darf sein, wer er wirklich ist
Der Vater steht dafür, dass das „Ende des Lateins“, nicht das Ende aller Dinge ist. Vorbei ist zwar der Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Aber etwas anderes, bisher Unmögliches fängt neu an: Zu empfangen – statt „nimm was du kriegen kannst“, Beschenkt Werden – statt Verdienen: Zuneigung, Vertrauen, Schenken, Beschenkt Werden, Feiern, Da-Sein-Dürfen ohne Berechnung, – kurz all das, was in klassischer Kirchensprache den „Himmel“ ausmacht. –
Der Himmel fängt an, wo einer davon ablässt, das Paradies auf Erden zu erzwingen: An dieser Stelle ist der jüngere Bruder dem älteren um einen entscheidenden Schritt voraus.
Den Himmel kann man sich nicht verdienen; wer seine Schultern bepackt mit seinen Leistungsansprüchen an sich selbst und an die anderen, bleibt Buchstäblich „in der Himmelstür hängen“, wie der ältere Sohn, – so wie der jüngere Sohn die Tür nicht gefunden hat, solange er meinte, den Himmel mit seinem Jet-Set-Leben auf eigene Faust organisieren und kaufen zu können.
Himmel ist da, wo Menschen Gott eine Chance lassen, so wie der jüngere Sohn dem Vater die Chance ließ, einfach gut und großzügig zu sein. Wer den Himmel sucht, braucht nichts anderes tun, als den Menschen und Gott die Gelegenheit zu geben, großzügig zu sein. Großzügigkeit annehmen, ohne sich zu schämen und sich zu freuen, wenn anderen Großzügigkeit erwiesen wird: Das ist der Himmel, für den wir Menschen bestimmt sind und außerhalb dessen wir unter unseren Möglichkeiten bleiben.
So lange einer den Großmotz gibt, der Großzügigkeit weder annehmen noch schenken kann, sondern sie als schwächlich verachtet oder plump ausnutzt, so lange hat niemand – kein Mensch und kein Gott – die Chance, ihm gegenüber großzügig zu sein, solange ist buchstäblich „Hölle“ angesagt.
Hier liegt die Frage, vor die uns das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ stellt: Auf welcher Seite finde ich mich wieder?
– Auf der Seite des älteren Sohnes, der Gott nicht Gott sein lässt, weil er alles selber macht, so als wäre er selber Gott?
– Oder sehe ich mich auf der Seite des jüngeren Sohnes, der die Großzügigkeit des Vaters annimmt, weil er Gott seinen Gott und seinen Vater sein lässt?
Predigt am 3. Fastensonntag (20.03.2022)
Predigtvon Br. Robert Sandrock OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
vor vielen Jahren, als man noch ohne Maske dicht an dicht im Zug saß, sprach mich meine Sitznachbarin, eine ältere Dame, an. Wir kamen in ein längeres Gespräch, und nach einiger Zeit zeigte sie mir, dass sie gerade ein Buch über Brustkrebs las. Natürlich wollte ich nicht indiskret sein, und gleich zu Beginn nach ihren Krankheiten fragen. Deshalb fragte ich: „Sind Sie Ärztin oder Krankenschwester?“ Ihre Antwort war direkt: „Nein, ich bin selbst an Brustkrebs erkrankt, und ich bin froh darüber.“ Sie teilte mir mit, dass sie erfolgreich operiert worden war, aber natürlich könne sie nicht sicher sein, dass der Krebs nicht doch irgendwann zurückkehre. Dadurch habe sie gelernt, das Leben mehr zu schätzen und jeden Tag bewusster zu genießen. Wir tauschten unsere Adressen aus und blieben viele Jahre in Kontakt. Sie hatte als Krankenschwester und Reiseleiterin gearbeitet, ihr Mann war aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückgekommen und die einzige Tochter hatte den Kontakt mit ihr abgebrochen. Neben einem – nicht aufdringlichen – Glauben an Gott wurde sie von ihrem Sinn für Kunst durch das Leben getragen. „Ich habe so viel Schönes sehen dürfen“, schrieb sie mir einmal.
Wo finden wir Orientierung angesichts der vielen Katastrophennachrichten? Auf den Gedanken, bei den Bischöfen oder im Hirtenbrief nach Orientierung zu suchen, wird in diesen Tagen wohl niemand kommen. Aber die Leseordnung der Kirche bietet uns heute einen der schönsten und wichtigsten Texte der Bibel. Mose, ein Flüchtling aus Ägypten, hat beim Hirtenvolk der Midianiter Obdach gefunden und ist jetzt der arme Schwiegersohn eines Priesters und Herdenbesitzers. Mitten in seinem banalen, langweiligen Alltag macht er eine Gotteserfahrung und bekommt einen Auftrag, der seine Langeweile vertreibt, aber auch seine Sicherheit für immer beendet: „Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus.“ Es ist der Auftrag, das unterdrückte Volk zu befreien. Der Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus dem Sklavenhaus, wird das Urerlebnis des Volkes Israel werden, und auch wir werden in vier Wochen, in jener wunderbaren Osternacht, wieder die Lesung vom Durchzug durch das Rote Meer in die Freiheit hören. Gott sagt, „Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie zu befreien.“ Gott kennt das Leid der Männer, Frauen und Kinder, die zu Opfern von brutalen Diktatoren geworden sind, er kennt das Leid der Flüchtlinge, der Kranken und Einsamen, er kennt das Leid der Schöpfung, und er kennt auch unser Leid. Wir dürfen bei der Aussage, „Ich bin herabgestiegen“, durchaus daran denken, dass Gott Mensch geworden ist, dass er am Kreuz gestorben ist. Nicht umsonst empfinden so viele Menschen das Bild von Jesus am Kreuz oder das Bild von Maria mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß als so tröstlich.
Aber das ist immer noch nicht der Höhepunkt der heutigen Lesung: Gott hat einen Namen, einen unaussprechlichen, einen geheimnisvollen Namen. Für die Juden wurde der Name so heilig, dass nur noch der Hohepriester ihn aussprechen durfte, wenn er einmal im Jahr am höchsten Festtag das Allerheiligste des Tempels betrat. Seit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.Chr. weiß niemand mehr mit Sicherheit, wie der Name Gottes auszusprechen ist, zumal im hebräischen Urtext der Bibel nur die Konsonanten J – H – W – H überliefert sind. Nach alter Tradition steht an den fast 7000 Stellen, wo der Gottesname im Alten Testament vorkommt, die Übersetzung „der Herr“.
Die Deutung, die unser Text uns gibt, ist eher ein Rätsel als eine Erklärung: „Ich bin der ich bin“. Die ältere Einheitsübersetzung hat an die Erfahrung gedacht, dass Gott uns immer begleitet, auch im Leid, und deshalb übersetzt: „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘.“
„So viel Schönes“ hat meine alte Freundin in ihrem Leben erfahren dürfen. Auch wir machen in diesen Tagen viele schöne, tröstliche Erfahrungen: All die vielen Menschen, die sich jetzt in ihrem Alltag, in ihrer Langeweile und in ihrer Sicherheit stören lassen, die Platz für Flüchtlinge bereit stellen, die Spenden geben, die sich auf Schulhöfen in Blau und Gelb gekleidet aufstellen, um die ukrainische Fahne nachzubilden, all die vielen kleinen und großen Zeichen der Solidarität. Unserer Abtei sind in der vergangenen Woche fast die Kerzen ausgegangen, weil so unerwartet viele Menschen eine Kerze in der Marienkapelle angezündet haben. Viele von uns sind in den vergangenen Wochen und Monaten an Corona erkrankt – und genesen. Wir können froh und dankbar sein, dass es eine Impfung gibt und gute – leider schlecht bezahlte – Krankenpfleger, gute Forscherinnen und Ärzte in unserem Land. Sogar – das ist leider etwas untergegangen angesichts der vielen schlechten Nachrichten – in unserer Kirche scheint sich durch das unaufhörliche Engagement von Christen und besonders Christinnen etwas zu bewegen. Zumindest stimmen die Beschlüsse des Synodalen Weges von Anfang Februar hoffnungsvoll.
Auch wenn wir nicht wie Mose ein ganzes Volk befreien können – und das auch nicht müssen –, so können wir doch unseren kleinen Beitrag leisten. Es ist schön, dass Energiesparen jetzt gegen den Klimawandel und auch gegen Diktatoren hilft. Gott sagt uns zu, dass er uns in unserem Leben begleitet: „Ich bin da, ich kenne euer Leid, ich bin herabgestiegen, um euch zu befreien.“
Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (06.02.2022)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
dieser Jesus muss schon eine gewisse Faszination auf Petrus und seine Fischerkollegen ausgeübt haben. Sonst wären sie wohl nicht seiner Aufforderung gefolgt und wären ein weiteres Mal zum Fischen auf den See hinausgefahren. Immerhin hatten sie sich die ganze Nacht völlig umsonst abgemüht und nichts gefangen. Und Jesus war kein Fachmann in Sachen Fischerei. Und trotzdem haben sie auf ihn gehört. Vielleicht waren sie von dem Wort Gottes, dass er gerade den Menschen verkündet hatte, so tief berührt. Vielleicht haben sie es aus Dankbarkeit getan, weil Jesus zuvor schon die Schwiegermutter des Petrus geheilt hatte. Jedenfalls machen sie nun den Fang ihres Lebens. Die Netze, die in der Nacht gähnend leer geblieben waren, sind nun über und über voll mit Fischen, so dass sie zu reißen drohen. Und da schwant es wohl dem Petrus: hier muss Gott selbst seine Hand im Spiel haben. Hier steht ihm in Jesus der Heilige Gottes gegenüber. Und da bekommt er es mit der Angst zu tun. Er hat Angst, dass er vor Gott nicht bestehen kann. „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr“, platzt es aus ihm heraus. Im Angesicht des Heiligen und Reinen schlechthin fühlt er sich „schmutzig“, sündig, unrein und unwürdig.
Ähnlich ergeht es Jesaja, von dem wir in der Lesung gehört haben. Als er Gott zu Gesicht bekommt ruft er aus: „Weh mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich.“
Angst vor Gott, Angst, vor ihm nicht bestehen zu können: ich glaube, dass es das bei vielen Gläubigen heute immer noch gibt, auch wenn das manchen vielleicht gar nicht so bewusst ist. Die Älteren von uns sind vielleicht noch von einer schwarzen Pädagogik geprägt, in der den Kindern Angst vor Gott gemacht wurde, um sie gefügig zu machen. „Ein Auge ist, das alles sieht, selbst was in dunkler Nacht geschieht!“
Auch manches Kirchenlied vermittelte ein angstmachendes Gottesbild, wie z.B. „Strenger Richter aller Sünder, treuer Vater deiner Kinder, der du in dem Himmel wohnst, drohest, strafest und belohnst.“
Gott als strenger und strafender Richter, als akribischer Buchhalter, der Zeit meines Lebens jede noch so kleinste Sünde unerbittlich notiert, solche angstmachenden Gottesbilder sitzen oft sehr tief, oft in unserem Unbewussten und gerade deshalb werden sie gar nicht so selten an nachfolgende Generationen
weitergegeben, auch das oft unbewusst.
Letztlich sind das dämonische Gottesbilder, denn sie führen uns von Gott weg. Denn wie soll ich jemanden lieben, vor dem ich in meinem tiefsten Innern Angst habe. Den werde ich mir doch vielmehr weit vom Leib halten. Und so lebe ich in einem ständigen Zwiespalt.
Das Ermutigende an dem heutigen Evangelium ist, dass es Jesus gar nicht stört, dass Petrus ein Sünder ist. Das wusste er ja sicherlich schon, bevor Petrus es bekannt hat. Vielmehr sagt er zu ihm: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“
Ja, vor Gott müssen wir uns nicht fürchten, weil wir unvollkommen sind, manchmal Böses denken oder tun, versagen, weil wir Sünder sind. Das ist zutiefst menschlich. Das ist unsere Wahrheit. Doch Gott liebt uns so, wie wir sind, bedingungslos. Und so, wie wir sind, mit unseren Grenzen und Schwächen, will er auch uns in seinen Dienst nehmen. So wie den Petrus, der ihn dreimal verleugnet hat, und der trotzdem der Apostelfürst geworden ist und gemeinhin als erster Papst gilt. So wie Jesaja. So wie viele andere „Helden“, die uns in der Bibel begegnen und die oft gar nicht heldenhaft daherkamen. Der folgende Text bringt es auf den Punkt:
Jakob war ein Betrüger,
Petrus war impulsiv,
David hatte eine Affäre,
Noah betrank sich,
Jonah lief von Gott weg,
Paulus war ein Mörder,
Miriam war eine Tratschtante,
Martha machte sich viele Sorgen,
Gideon war unsicher,
Thomas war ein Zweifler,
Sarah war ungeduldig,
Elijah war depressiv,
Moses stotterte,
Zachäus war klein,
Abraham war steinalt
und Lazarus war tot.
Gott ruft nicht die Qualifizierten. Er qualifiziert die Berufenen.
Einer, der das begriffen hat und es auch lebt, ist unser Papst Franziskus. Wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst hat er in einem Interview gesagt: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Papstes hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Jesuiten – und das ist Franziskus durch und durch – ist aber gar nicht so verwunderlich. Denn am Anfang der großen ignatianischen Exerzitien, die jeder Jesuit zu Beginn seines Ordenslebens macht, steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Sündhaftigkeit, der Verstrickung in den Strukturen des Bösen – und das begegnet uns schon auf den ersten Seiten der Bibel. Das heißt, man stellt sich seinen eigenen Abgründen, seinen Schattenseiten, seiner eigenen Wahrheit, ungeschminkt. Doch dann geht es in den Exerzitien weiter und der Exerzitant richtet seinen Blick auf Jesus, wie er aus lauter Liebe zu uns Menschen vom Himmel herabsteigt und Mensch wird, wie er uns sündige Menschen in seine Nachfolge ruft und wie er in seiner großen Liebe bis zum Letzten geht und für uns sein Leben hingibt. In den Exerzitien erkenne ich also nicht nur, dass ich ein Sünder bin, sondern zugleich, dass ich als Sünder in unvorstellbarem Maße von Gott geliebt bin – und von ihm berufen bin. Und das ermöglicht mir, mich selbst anzunehmen, zu meinen Schwächen, meinem Versagen, zu meinen Schattenseiten zu stehen. Und das gibt mir eine große innere Freiheit, die es mir ermöglicht, der Liebe in meinem Leben mehr Raum zu geben, das Böse durch das Gute zu besiegen – mit Gottes Hilfe.
Ja, vor Gott brauche ich keine Angst zu haben. Er liebt mich so wie ich bin. Und so wie ich bin, will er mich als Mitarbeiter an seinem Reich des Friedens.
Und so möchte ich schließen mit Worten eines unbekannten Verfassers, die mit „Ermutigende Worte Jesu an Dich!“ überschrieben sind:
„Ich kenne dein Elend, die Kämpfe, die Drangsale deiner Seele, die Schwächen deines Leibes. Ich weiß auch um deine Feigheit, deine Sünden, und trotzdem sage ich dir: ‚Gib mir dein Herz, liebe mich, so wie du bist!‘
Wenn du darauf wartest, ein Engel zu werden, um dich der Liebe hinzugeben, wirst du mich nie lieben. Wenn du auch feige bist in der Erfüllung deiner Pflichten und in der Übung der Tugenden, wenn du auch oft in jene Sünden zurückfällst, die du nicht mehr begehen möchtest, liebe mich, so wie du bist!
In jedem Augenblick und in welcher Situation du dich auch befindest, im Eifer oder in der Trockenheit, in der Treue oder Untreue, liebe mich, so wie du bist! Ich will die Liebe deines armen Herzens; denn wenn du wartest, bis du vollkommen bist, wirst du mich nie lieben!
Wenn du mir deine Liebe schenkst, werde ich dir so viel geben, dass du zu lieben verstehst, weit mehr als du dir erträumen kannst. Denke jedoch daran, mich zu lieben, so wie du bist!“
Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis (30.01.2022)
Predigtvon P. Guido Hügen
„Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage!
Erschrick nicht vor ihnen
– denn ich bin mit dir, um dich zu retten
– Spruch des Herrn.“
Worte aus der heutigen Lesung.
„Nach 2000 Jahren steckt die Kirche Roms
in den Schuhen des Fischers fest im Sumpf.
Eine Hand mit dem Fischerring
will sich flehentlich zum Himmel erheben.
Doch der Himmel brennt,
die Engel fliehen
und überall sind dunkle Wolken.“
Worte aus einem Leserbrief der WP vom Freitag.
Und dazwischen feiern wir Gottesdienst.
„Ihr müsst bitte ganz dringend damit aufhören“,
sagt Gott im gerade neu erschienen Buch von Annette Jantzen:
„Wenn Gott zum Kaffee kommt“.
„Womit?“ frage ich.
„Ruft mich nicht weiter in Eure Kirchen und Gebete,
als wäre nichts gewesen.“
Ein Outing im Ersten Programm
von über 120 Mitarbeitenden der Kirche,
die sich als homosexuell und queer bekennen,
zu ihrer Liebe und zu ihrer Lebensform stehen.
Ein Gutachten,
das Missbrauch an Kindern und Jugendlichen
und deren Vertuschung
wieder einmal bloßlegt.
Und gerade vor drei Tagen
wurde die KPE, eine sehr fundamentalistische
Pfadfindergruppierung
von der Bischofskonferenz anerkannt.
Menschen aus meinem engsten Freundeskreis
treten aus der Institution Kirche aus.
Menschen, von denen ich weiß,
wie wichtig ihnen ihr Glaube ist.
Dass es „nicht mehr so weiter geht“,
dass sich etwas ändern muss in der Kirche,
das haben in den letzten Tagen
etliche Bischöfe und Generalvikare gesagt.
Der „Synodale Weg“
mag ein Hoffnungszeichen sein.
Aber torpedieren ihn nicht schon viel zu viele
Bischöfe, Menschen unter uns?
Braucht es wirklich erst
den totalen Zusammenbruch?!
Weit davon entfernt sind wir nicht mehr,
auch wenn manche es immer noch
nicht verstehen wollen.
Der Prophet Jeremia erfährt,
wie Gott ihm den Rücken stärkt für seine Botschaft.
Sogar gegen die
„Könige und Priester und die Bürger des Landes.“
Propheten sind keine Weissager
oder Kaffeesatzleser Gottes.
Sie sollen die Worte Gottes verkünden,
sollen eintreten für seine Botschaft der Liebe und Freiheit.
Gelegen oder ungelegen.
In der Taufe wurde es auch uns
bei der Salbung mit dem Chrisam zugesagt:
Als Glied Christi
sind wir „Priester, König und Prophet in Ewigkeit.“
Und was heißt das?
Es macht wohl wenig Sinn,
immer nur und immer wieder
auf Missbrauchsgutachten, Aktionen
und Hashtags zu schauen.
So grundlegend wichtig sie sind!
Aber: müssen wir nicht erst einmal auf uns selbst schauen?
Mich wird Gott einmal fragen:
„Was hast du getan?“
Vieles habe ich getan
in meinem Leben.
Viele Versagen gab es.
Für manche konnte ich um Verzeihung bitten.
Bei manchen hatte ich noch nicht den Mut.
Das trifft uns als Gemeinschaft.
Stehen wir zur Schuld des Einzelnen,
zu unserer gemeinsamen Schuld?
Das trifft jeden Einzelnen, jede Einzelne von uns
– uns alle, die wir hier zusammen sind.
Wir haben nicht die Unschuld Jesu,
der „mitten durch sie hindurch schritt
und wegging.“
Wir haben Schuld.
Auch wenn wir sie gerne verdrängen.
Ist es nicht an uns,
sie einzugestehen,
auf den oder die andere zuzugehen
und um Verzeihung zu bitten?
Pfarrer Andreas Fink
fragt in einem Video-Clip sehr eindringlich:
„Wo sind wir denn daran beteiligt,
dass Verbrechen geschehen konnten,
dass Verbrechen verdeckt wurden,
dass Menschen auch ob ihrer sexuellen Identität
ausgegrenzt, kirchlich ausgeschlossen wurden?“
Ich kann mich da nicht freisprechen.
Doch die Botschaft Jesu ist klar.
Unser Evangelium von heute ist eine Fortsetzung
des Evangeliums des vergangenen Sonntags.
Da sagt Jesus:
„Er hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht.“
Wenn wir die frohe Botschaft wieder verstehen,
wenn wir uns aus unserer Gefangenschaft
in das oft so Enge und Traditionelle befreien lassen,
wenn wir uns die Augen öffnen lassen
und wieder neu sehen
– ob wir dann nicht endlich wieder
zu Prophetinnen und Propheten werden?!
„Alle sollen es hören und sich freuen.“
Diese leicht abgewandelten Worte aus dem Psalm 34
sind für mich seit langem
Richtschnur und Weisung.
Ja, alle sollen die frohe Botschaft hören,
sollen sich endlich wieder freuen können.
Mich treffen die Worte von Annette Jantzen,
wenn sie Gott antwortet,
warum sie denn trotzdem weiter macht
und Gottesdienst feiert.
„Weil ich mich daran festhalten will,
dass du trotzdem noch da bist“, heißt es im Buch.
„Und ich nicht weiß, wohin sonst.“
Und weiter:
„Und weil ich mich vor dem Moment fürchte,
wo ich merke, dass ich das alles nicht mehr kann.“
Vielleicht ist es eine gute Aufgabe in die neue Woche hinein,
einmal zu überlegen,
wem ich die gute Botschaft verkünden möchte?!
Wo ich Gewalt und Machtmissbrauch,
wo ich Ohnmacht, Scham und Wut
ein Positives entgegen setze.
„Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage!
Erschrick nicht vor ihnen
– denn ich bin mit dir, um dich zu retten
– Spruch des Herrn.“
Annette Jantzen, Wenn Gott zum Kaffee kommt, Echter Verlag Würzburg, 2022
Predigt am 3. Sonntag im Jahreskreis (23.01.2022)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Lesejahr C
Lesung: 1 Kor 12,12-31a
Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21
Das antike Korinth war eine Metropole des Handels, eine Weltstadt, in der Menschen verschiedener Völker, Kulturen und Religionen lebten.
Teil dieser bunten Gesellschaft war auch die christliche Gemeinde von Korinth. Paulus selbst hat sie im Jahr 50 gegründet und war aufgrund seines anderthalbjährigen dortigen Aufenthalts gut mit ihr vertraut.
Die meisten der ca. hundert Gemeindemitglieder stammten aus heidnischen Traditionen, doch gab es auch einen bedeutenden judenchristlichen Anteil. Die Mehrheit bildeten Sklaven, Freigelassene, Hafen- und Lohnarbeiter, Matrosen und Handwerker, dazu kamen einige wenige begüterte und angesehene Leute.
Diese Vielfalt sozialer und religiöser Prägungen forderte die Gemeinde heraus und führte zu vielfältigen Spannungen und Spaltungen in theologischen, ethischen und sozialen Fragen. Diese Streitigkeiten veranlassten Paulus schließlich, der Gemeinde von Korinth einen Brief zu schreiben.
In den Spannungen der Gemeinde von Korinth zeigt sich ein Thema, dass die Kirche Jesu Christi bis heute begleitet: Die Verbindung von Einheit und Verschiedenheit.
Wie aktuell dieses Thema bis heute ist, zeigt sich nicht zuletzt an der am vergangenen Mittwoch begonnenen diesjährigen Weltgebetswoche für die Einheit der Christen (18. – 25.01.2022).
Um die notwendige Verbindung von Einheit und Vielfalt in Kirche und Gemeinde zu illustrieren, nimmt Paulus in seinem Brief das in der Antike populäre Bild des menschlichen Organismus auf: Wie der Leib nur einer ist und trotzdem viele Glieder hat, so hat die Gemeinde viele Glieder, ist aber nur ein Leib.
Paulus weist darauf hin, dass die Gemeinde nicht nur in irgendeiner Beziehung zum Leib Christi steht, sondern der Leib Christi ist: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm“ (12,27). Denn „durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (12,13).
D.h., die Gemeinde muss sich nicht erst durch ihr Verhalten zum Leib Christi entwickeln, sondern an ihrem Leben soll erkennbar werden, was alle durch die Taufe schon sind: Leib Christi.
So verdeutlicht Paulus mit dem Bild vom Organismus des Leibes Christi sowohl das Verhältnis der Gemeinde zu Christus, als auch die Beziehungen der einzelnen Glieder untereinander. Sie sind aufgrund ihrer Verschiedenheit zwar nicht gleichartig, wohl aber gleichwertig. Alle Glieder des Leibes sind gleich wichtig und gleich nötig, sie sind aufeinander abgestimmt und voneinander abhängig.
Wenn Einheit nicht mit Einheitlichkeit verwechselt wird, können Vielfalt und Verschiedenheit als ein Reichtum erfahren werden, der allen dient.
Dann gilt: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit.“ (12,26)
Der Theologe Gotthard Fuchs nimmt dieses Bild auf und denkt es systemisch weiter. Dabei knüpft er an die Methode der Fußreflexzonenmassage an: „Jeder Massagedruck an Fersen, Sohle, Zehen schickt energetische Grüße an das entsprechende Organ und kann über gesund und krank informieren. … Schon der kleine Zeh kann seismographisch auf Störungen im Gesamtsystem aufmerksam machen.“ Übertragen auf den Leib Christi bedeutet das: „Jeder einzelne Christ zum Beispiel kann für den kirchlichen Gesamtkörper … von größter Signalwirkung sein, mindestens in diagnostischer Sicht. … Vermutlich würde man bei einem der Organe, die sich gern für besonders zentral halten, erhebliche Infektionen oder gar Krankheiten feststellen, die bis zum kleinen Zeh durchschlagen: in Gestalt zum Beispiel eines klerikalistischen Amtsverständnisses oder einer obrigkeitlichen Kirchenauffassung. Womöglich müsste am Gesamtkörper eine Immunschwäche diagnostiziert werden: Glaubensmüdigkeit, Mittelmaß, mangelnde Leidenschaft“ (CiG Jg. 69 (2017), 459).
Diese Diagnose des kirchlichen Gesamtkörpers ist uns schon seit einigen Jahren bekannt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat sich Papst Franziskus z.B. gegen den Klerikalismus und den mangelnden Kontakt vieler kirchlicher Amts- und Würdenträger zu den Menschen und ihren Lebenswelten gewandt.
Aktuell präsent wurde dies am vergangenen Donnerstag in München, als die Gutachter einer Kanzlei das mehrbändige Ergebnis ihrer Arbeit als „Bilanz des Schreckens“ vorstellten, was die Öffentlichkeit erneut erschütterte und weiterhin bewegt.
Viele haben mittlerweile das Vertrauen in die Kirche verloren, für manche bleibt nur noch der Kirchenaustritt.
Angesichts dieser Situation betont Bischof Overbeck von Essen die Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen und die Ursachen des Missbrauchs-Skandals zu erkennen und zu überwinden, zudem sagt er: „Wir müssen uns als katholische Kirche erneuern; gerade bei den großen Fragen der Machtkontrolle, der Geschlechtergerechtigkeit und der Sexualmoral, um nur einige Themen zu nennen, die beim Synodalen Weg kontrovers diskutiert werden. … Das wird nur gelingen, wenn wir keine Kirche des Stillstands sind, sondern eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns“ (WP 22.1.22, PPL2).
Für eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns bietet das heutige Evangelium programmatische Orientierungspunkte, denn hier stellt Jesus zu Beginn seines Wirkens in Nazareth mit den Worten des Propheten Jesaja fünf Kernpunkte seiner Verkündigung vor:
Predigt am Fest Taufe des Herrn (9.1.2022)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Mit dem heutigen Fest „Taufe des Herrn“ begehen wir im Verlauf des noch jungen Kirchenjahres einen ersten Zeiten-Übergang. Heute endet die Zeit des Weihnachtsfestkreises und gleichzeitig beginnt die Zeit im Jahreskreis – das Fest „Taufe des Herrn“ ist auch der 1. Sonntag im Jahreskreis. Wir feiern noch Weihnachten und sind schon im Anfang des Alltags. Dieses einzigartige Doppel-Phänomen weist darauf hin: Was wir Weihnachten feiern, die Geburt Jesu – die Menschwerdung Gottes – verwirklicht sich im Alltag.
Miteinander verbunden sind auch die Berichte von Johannes und Jesus in den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums, die unserem heutigen Abschnitt vorausgehen. Die Verwobenheit der beiden endet mit der Taufe Jesu. Kurz und knapp: Johannes tritt ab – Jesus tritt auf.
Von Johannes‘ brutalem Abgang erfahren wir im Evangelium, doch hat die kirchliche Leseordnung diese Verse, die direkt vor der Taufe Jesu stehen, leider weggekürzt. Dort heißt es: „Johannes tadelte auch den Tetrarchen Herodes wegen Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen aller Schandtaten, die er verübt hatte. Herodes fügte zu allem noch dies hinzu, dass er Johannes ins Gefängnis werfen ließ.“
Johannes, der Täufer und mahnende Rufer in der Wüste, spitzt seine geradlinige Botschaft der Umkehr und Buße zu: Er konfrontiert auch den Repräsentanten der verhassten römischen Besatzungsmacht mit dessen eigensüchtigen Machtspiel. Später wird Johannes seinen Mut mit dem Leben bezahlen müssen.
Damit spannt Lukas noch vor dem Beginn des öffentlichen Wirken Jesu einen inhaltlichen Bogen ans Ende des Evangeliums: Auch Jesus wird man gefangen nehmen, ihn töten und sogar noch sein Grab zu einem Gefängnis machen. Denn: Seine Botschaft ist nicht harmlos! – Gegen alle menschliche Erfahrung wird dieses Grab sich öffnen, leer sein. Gott verwandelt Tod in Leben – das feiern wir Ostern.
Der Grund für diesen finalen Wandel wird uns schon heute bei der Taufe Jesu vorgestellt. Hier öffnet sich der Himmel und der Mensch Jesus wird angesprochen: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Diese Formulierung entwickelt ihren Gehalt auch vor dem Hintergrund der antiken Abstammungslehre. Nach der war ein Sohn ausschließlich der Abkömmling seines biologischen menschlichen Vaters. Die Stimme aus dem Himmel macht deutlich, dass dieser Mensch Jesus seinem Wesen nach von himmlischem, also göttlichem Ursprung ist. Die Dogmatik sagt: Er ist eines Wesens mit dem Vater. – In ihm hat Gott sich unüberbietbar offenbart. Er hat sich der ganzen Welt hingegeben und diese Liebesquelle fließt immer, sie ist unzerstörbar, sie wird nie versiegen – sie wird auch den irdischen Tod in göttliches Leben verwandeln.
Die Möglichkeit einer Verwandlung können auch wir uns schenken lassen. Voraussetzung dafür ist, dass wir uns für das Geschenk der Liebe Gottes öffnen, dass wir uns lieben lassen. Jesus tut das bei seiner Taufe: Er betet und das ist für mich eher ein waches Hören als ein selber Sprechen. Gott offenbart sich als Mitteilender und Jesus wird ein durch und durch Empfangender. Später wird er sagen: „Was macht ihr viele Worte beim Beten? Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht, bevor ihr darum bittet.“ Sein Hören gründet tief in seinem Menschsein. Dieser Tiefe entspricht auch die Lage des Taufortes: Johannes tauft Jesus am Jordan, der durch ein Grabensystem fließt, das weit unter dem Meeresspiegel liegt. Diese geografische Tiefe entstand durch einen Aufbruch der Erde, der Erdplatten. Hier, ganz unten, wo – wortwörtlich – Irdisches zerbrochen und sonst nur Wüste ist, öffnet sich der Himmel und die Gnade fließt wie der Jordanfluss. Dieser Ort passt zum Menschsein wie es von Natur aus ist und wie es zum Menschwerden aus Gnade werden kann. In seinem Leben wird Jesus nach unten gehen, zu den Ausgegrenzten, den Verachteten, den Gescheiterten – ihnen schenkt er ihre göttliche Würde und menschlichen Selbst-Wert zurück.
Auch diese Kirche hat so einen tiefsten Ort. Er ist hier vorn – ganz nah am Altar – dort legen wir Brüder unsere Gelübde ab.
Johannes tauft nur mit Wasser und verheißt, dass Jesus mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen wird. Wieder wird ein großer Bogen über das Leben Jesu gespannt: Aus dem endgültigen österlichen Aufbruch wird Jesus den Jüngern seinen Heiligen Geist senden und der wird sie entflammen. Jetzt erfahren sie endgültig, was Jesus schon bei seiner Taufe vernahm: Alle sind geliebte Söhne und Töchter Gottes.
Jedes Leben ist heilig. Und es ist nicht egal, was wir tun und lassen in der kleinen und großen ganzen Welt. Denn heilig ist das Gegenteil von egal.
Predigt in der Christmette (24.12.2021)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
Nun ist es endlich wieder soweit, liebe Schwestern und Brüder! Die Zeit des Advents, die Zeit des Wartens und der vielen Vorbereitungen, die oft stressige, mit vielen Terminen vollgepackte Zeit ist vorbei: Die Heilige Nacht ist da. Weih-Nacht!
Wir feiern Weihnachten. Das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Alles ist schön rausgeputzt. Die Tannenbäume sind aufgestellt und liebevoll dekoriert mit roten und goldenen Kugeln, silbernem Lametta, bunten Lichtern und vielem mehr. Viele haben zuhause ihre Weihnachtskrippe mit wunderschönen, ja vielleicht sogar kostbaren Figuren aufgestellt. Das Festessen ist vorbereitet. Die ein oder andere Flasche mit köstlichen Tropfen liegt kalt und wartet darauf, von uns entkorkt und genossen zu werden. Wir machen es uns gemütlich bei Kerzenschein, tauschen Geschenke aus und feiern im Kreis der Familie, im Kreis unserer Lieben. Und wir lassen uns anrühren von gefühlsbeladenen Liedern, die vom „trauten hochheiligen Paar“ und dem „holden Knaben im lockigen Haar“ singen. Idylle pur!
Das alles ist gut und schön! Aber das allein ist noch nicht Weihnachten. Weihnachten ist mehr! Bei aller Idylle übersehen wir oft, dass das „erste Weihnachten“ alles andere als idyllisch, gemütlich oder gar behaglich war.
Da sind Maria und Josef aus Nazareth, einem damals völlig unbekannten und unbedeutenden kleinen Kaff am Rande der Welt. Sie sind notgedrungen auf dem Weg nach Bethlehem, einer Kleinstadt, dessen alter Glanz als Stadt Davids, des berühmten und großen Königs Israels, längst verblasst ist. Maria ist hochschwanger und leidet unten den Strapazen der Reise, dem langen Fußmarsch, vielleicht etwas erleichtert durch einen Esel. Als sie in Bethlehem ankommen, bleiben sie zunächst obdachlos und nehmen schließlich Zuflucht zu einem Stall. Und hier, in diesem Dreck bringt Maria ihr Kind zur Welt. Viele unserer heutigen Krippendarstellungen täuschen darüber hinweg, dass es im Stall von Bethlehem schmutzig war, dass es dort gestunken hat, dass die Krippe oder der Futtertrog, in dem Jesus gebettet wurde, kalt und hart war und dass die Windeln des „holden Knaben im lockigen Haar“ sicher nicht das einzige war, was im wörtlichen oder auch übertragenen Sinne „beschissen“ war.
Und was auch oft übersehen wird: Es war Nacht! Und diese stille Nacht, heilige Nacht war sicher nicht romantisch. Die Lesung aus dem Propheten Jesaja bringt hier die Stichworte „Finsternis“ und „Todesschatten“ und macht damit deutlich, wofür die Nacht auch steht, symbolisch. Und schon hier am Beginn des irdischen Weges Jesu scheint die Nacht an seinem Ende auf: die Nacht, in der er verraten wurde und in die Judas Iskariot hinausging. Ja, Krippe und Kreuz sind miteinander verbunden. Krippe und Kreuz sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. So haben es schon die Kirchenväter gesehen. Diesen Gedanken greift auch ein Weihnachtslied von Jochen Klepper auf, das Eingang in das neue Gotteslob gefunden hat. Da heißt es:
Du Kind, zu dieser heilgen Zeit
gedenken wir auch an dein Leid,
das wir zu dieser späten Nacht
durch unsre Schuld auf dich gebracht.
Die Welt ist heut voll Freudenhall.
Du aber liegst im armen Stall.
Dein Urteilsspruch ist längst gefällt,
das Kreuz ist dir schon aufgestellt.
Warum, liebe Schwestern und Brüder, erzähle ich Ihnen all dieses Schwere und Negative? Sicher nicht, um Ihnen die Weihnachtsstimmung zu vermiesen. Ich glaube vielmehr, dass Weihnachten und seine Botschaft, wenn wir sie tiefer verstehen und nicht an der romantischen und manchmal auch kitschigen Oberfläche bleiben, uns wertvolle Impulse und Hilfen geben kann über Weihnachten hinaus, für unser ganz alltägliches Leben, für die restlichen 364 Tage des Jahres, insbesondere dann, wenn uns nicht nach Feiern zumute ist.
Unser Leben ist ja nicht immer so wie heute. Da gibt es nicht nur Feierstimmung und Idylle. Da gibt es doch auch all das Schwere, Dunkle und Beschissene. Da gibt es Dinge, die uns stinken. Da gibt es Dinge, die uns das Leben schwermachen. Da gibt es Enttäuschungen, Frust, Scheitern, Scham, Schuld, Mutlosigkeit, Resignation und nicht zuletzt die Corona-Pandemie, mit allen Einschränkungen, Lasten und Leid, die sie mit sich bringt.
Natürlich kann ich das auch mal ausblenden, all meine Sorgen für einen Augenblick vergessen und einfach feiern. Aber danach hat mich der Alltag ganz schnell wieder.
Weihnachten will uns sagen: Du musst vor deiner Nacht, vor den Dunkelheiten deines Lebens nicht weglaufen. Du musst sie nicht verdrängen. Du kannst dich ihnen stellen, weil mitten in deine Nacht der hereingeboren wurde, der das „wahre Licht“ ist (Joh 1,9), das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) und von dem unser Glaubensbekenntnis als „Licht vom Licht“ spricht. Er ist in unsere Nacht des Todesschattens gekommen, damit auch über uns ein helles Licht aufleuchtet. Ja, seit Gott Mensch geworden ist, ist keine Nacht mehr so finster, dass sie nicht den Keim und die Verheißung eines neuen Lichtes, eines kommenden Tages in sich birgt. Und deshalb kann jede Nacht heilige Nacht, Weihnacht werden, weil Gott in ihr wohnt. Mit der Geburt Jesu, mit dem Kind in der Krippe, beginnt das Werk unserer Erlösung, das sich am Kreuz, das aus demselben Holz geschnitzt ist, vollendet. Hier hat Jesus die Macht des Todes gebrochen, die Nacht des Todesschattens erleuchtet. Und so wurde das Kreuz, an dem Christus gestorben ist, zur Wiege neuen Lebens.
Von Weihnachten her strahlt uns ein neues Licht auf. Von Weihnachten her erscheint alles in einem neuen Licht. Weihnachten will uns die Angst vor dem Dunkel dieser Welt, vor unserem eigenen Dunkel nehmen. Denn von nun an geht der Immanuel, der Gott mit uns, gemeinsam durch jede Nacht, und sei sie noch so finster.
Und deshalb können wir die Nacht loben und besingen: Stille Nacht. Heilige Nacht. Ja, auch mit diesem Lied, auch wenn es für einige zu gefühlsselig und zu wenig gehaltvoll ist. Vielleicht geht dieses Lied ja deshalb vielen so zu Herzen, weil sie dabei zumindest dunkel und unbewusst erahnen, auch wenn sie es nicht benennen können, dass sie hier mit dem Geheimnis ihrer eigenen Nacht mit inbegriffen sind und weil sie damit zugleich ihrer Sehnsucht oder auch ihrem Glauben Ausdruck verleihen, dass Christ, der Retter, wirklich da ist und sie von allem Dunkel erlöst. Und dann gewinnt dieses Lied an Tiefe und kann zu einem beeindruckenden und starken Zeugnis des eigenen Glaubens werden. Und wenn wir so die Botschaft von Weihnachten immer mehr verinnerlichen und davon unser Leben verändern lassen, dann können wir auch in der dunkelsten Nacht mit den Augen des Glaubens das strahlende göttliche Licht sehen und mit den Ohren den himmlischen Lobgesang der Engel hören: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden, und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens.
Predigt am Zweiten Adventssonntag (5.12.2021)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Es ist die geballte Macht der Weltgeschichte, die uns da in den ersten Zeilen des heutigen Evangeliums begegnet: der Kaiser Tiberius in Rom, sein Statthalter Pontius Pilatus in Judäa, die Führer der verschiedenen Provinzen, die Hohepriester als religiöse Führer. Sie alle sind vielfältig miteinander verwoben, bestimmen über Wohl und Wehe der einfachen Leute, sagen, wo es langgeht, sitzen in den Städten, den Zentren und Schalthebeln der Macht. Sozusagen eine antike Ministerpräsidentenkonferenz.
Dann aber ein Perspektivwechsel. Aus den Städten werden wir in die Wüste geführt, und hier ereignet sich Entscheidendes: „Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.“ Kein Herrschertitel wird genannt, kein Zentrum der Macht, dieser Johannes ist nur der unbedeutende Sohn eines einfachen Priesters im Tempel. Und doch hat Gott mit ihm Großes vor, ereignet sich an ihm und mit ihm Heilsgeschichte, Verbindung von Altem und Neuem.
Wüste, das ist zunächst einmal ein lebensfeindlicher Raum, ein Ort, wo ich um mein Überleben kämpfen muss, wo ich in die Entscheidung geführt werde, was wirklich zählt im Leben. Wüste – das ist der Ort der Dämonen, der Lebensfeinde meines eigenen Inneren, der „logismoi“, wie es die Väter nennen, der „Gedanken“, die mich hin- und herziehen, so dass ich innerlich und äußerlich keine Ruhe finde, ein Getriebener bin. Sie kennen sicher die bekannte Darstellung des hl. Antonius im Dämonenkampf auf dem Isenheimer Altar. Wüstenzeiten sind immer auch wüste Zeiten.
Wüstenzeiten – wüste Zeiten – die erleben wir auch heute, bei uns. Die Corona-Pandemie, die noch lange nicht überstanden ist, hat uns und unser Selbstverständnis, auch unser kirchliches Selbstverständnis erschüttert. Es geht um Leben und Tod, und es kommt dabei auf das Verhalten jedes Einzelnen an. In Wüstenzeiten klärt sich so einiges, da scheidet sich Richtiges vom Falschen, und Unwichtiges entlarvt sich als das, was es ist: eben nicht überlebenswichtig. Und Menschen, von denen wir meinen, dass wir sie gut kennen, offenbaren auf einmal ganz andere Seiten. Werden sich unsere Kirchen einmal als überlebenswichtig, als „systemrelevant“, erweisen? Bei so manchen innerkirchlichen Diskussionen habe ich da so meine Zweifel.
Und mitten in diese Wüstenzeit ruft uns Johannes, die „Stimme aus der Wüste“, entgegen: „Bereitet den Weg des Herrn!“ Und er verkündet „die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“. Es ist ein durch und durch adventlicher Ruf, der viel mehr mit dem eigentlichen Advent, dem Kommen Gottes in unsere Welt, zu tun hat als Lichterglanz und Glühweinduft. Umkehr – das griechische „Metanoia“ – meint keine bloß moralische Umkehr, sondern eine Kehrtwende, einen Wechsel der Perspektive, der mir zeigt, was wirklich wichtig ist. So wie Baruch in der Lesung das Volk Israel auffordert, die Perspektive zu wechseln: „Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe.“ Umkehr, die Änderung der Perspektive, hat also etwas mit Bewegung zu tun. Ich muss mich auf den Weg machen, einen manchmal anstrengenden Aufstieg hinter mich bringen. Jeder, der wie ich gerne wandert, weiß, dass so ein Aufstieg ziemlich schweißtreibend sein kann. Man kommt leicht außer Atem, muss sein Tempo anpassen, auch mal Pause machen, aufatmen. Aber wenn ich dann meinen Atemrhythmus und mein individuelles Tempo gefunden habe, dann geht es sich gleich viel einfacher. Bei Wanderexerzitien pflegen wir oft zu sagen: „Jeder geht sein Tempo!“ Wandern ist in diesem Sinne kein Marschieren im Gleichschritt, sondern ein sehr individuelles Geschehen, bei dem jede und jeder den eigenen Rhythmus finden muss. Und doch ist es bei aller Individualität wichtig, aufeinander Rücksicht zu nehmen – so ist es wichtig, dass die, die ein schnelleres Tempo gehen, bei Weggabelungen warten und dann nicht sofort wieder weitergehen, wenn alle da sind, sondern den Langsamsten der Gruppe bestimmen lassen, wann es weitergeht.
Nur so werden, wie die Verheißung am Ende unseres Evangeliums lautet, wirklich „alle Menschen das Heil Gottes schauen“, oder, um im Bild des Wanderns zu bleiben, auf dem Gipfel ankommen – jeder in seinem Tempo, aber doch in gegenseitiger Rücksicht und Hilfestellung. Vielleicht auch ein hilfreiches Bild in unserer derzeitigen gesellschaftlichen Situation.
In diesem Sinne wünsche ich uns einen Advent, in dem wir unseren je eigenen Rhythmus finden, um dem Herrn, der uns entgegenkommt, den Weg zu bereiten. Und in dem die Schnelleren auf die Langsameren warten, die Langsameren aber auch ihre Schwäche nicht ausnutzen. Nur gemeinsam kommen wir zum Ziel, auf das wir zugehen. AMEN.
Predigt am Christkönigssonntag (21.11.2021)
Predigtvon P. Marian Reke OSB
Die heutige Lesung aus dem Johannesevangelium (18,33-37) ist nicht nur – wie alle biblischen Texte in der Liturgie – ein Fragment, sondern eher ein Torso. Ein wesentliches Detail fehlt, nämlich die sprichwörtlich gewordene Pilatusfrage.
Sie erinnern sich: Als Pontius Pilatus Jesus verhört, will er zunächst nur eines wissen: „Bist du der König der Juden?“ Jesus erklärt, kein König mit weltlicher Macht zu sein. Aber damit gibt sich Pilatus nicht zufrieden und hakt nach: „Also bist du doch ein König!?“ Darauf Jesu Antwort: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Damit nun kann Pilatus anscheinend nicht viel anfangen und stellt die berühmte Pilatusfrage: „Was ist Wahrheit?!“
Dieser Satz nun hat für meine Ohren einen ganz eigenen Klang, als würde hinter ihm gleichzeitig ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen stehen. Also: Wahrheit – was soll das schon sein!? Die Reaktion des Pilatus auf die klare Selbstaussage Jesu changiert zwischen ratlos, gleichgültig, aber auch irgendwie erleichtert. Mit einem Achselzucken geht er irritiert weg. Immerhin: Die offenkundig religiöse Angelegenheit scheint ihm ohne jede politische Bedeutung zu sein – und das ist für ihn, den Repräsentanten der Macht, einzig von Belang.
In diesem kurzen Dialog spiegeln sich zwei Haltungen, die konsequent säkular eingestellte Menschen der organisierten Religion gegenüber zumeist einnehmen. Da ist zum einen die Angst vor dem Machtanspruch der Religion, eine Angst, die Pilatus fragen lässt: Bist du der König der Juden? Diese durchaus begründete Angst kleidet sich heute in die Vorsicht und Abwehr gegenüber jedwedem Fundamentalismus. Zum anderen ist da die weitverbreitete achselzuckende oder naserümpfende Gleichgültigkeit, mit der religiöse Themen einfach abgetan werden: Was ist schon Wahrheit? Was soll das?
Angst vor Fundamentalismus oder Indifferentismus als Option – werden diese beiden Reaktionen der christlichen Botschaft gerecht? Was ist die Wahrheit, die sie bezeugen soll und will – in einer pluralistischen, multireligiösen oder areligiösen Gesellschaft?
Im Erzählverlauf des Prozesses Jesu bleibt die Frage des Pilatus nach der Wahrheit zunächst unbeantwortet im Raum stehen. Das ist auch gut so. Die Pilatusfrage, beim Wort genommen, gehört zu den Fragen, die so gut sind, dass es schade wäre, sie mit einer voreiligen oder wohlfeilen Antwort zu erledigen. Es gilt, sie offen zu halten – jedoch wie Fenster, um immer wieder hindurchzuschauen.
Zwischen den Zeilen der Passionsgeschichte gibt der Evangelist Johannes allerdings zu verstehen, wie die Antwort für ihn lautet: Die Wahrheit ist ein Mensch. Sie begegnet in dem Menschen Jesus. Und: Sie ereignet sich als Geschichte – als seine Lebensgeschichte und als die Lebensgeschichten aller, die ihm begegnen.
Davon ist in einer anderen bekannten Selbstaussage Jesu die Rede: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Viele sehen darin den Absolutheitsanspruch des Christentums begründet. Jahrhundertelang wurde dieses Jesuswort zu Machtzwecken missbraucht. Aus der Verheißung, an der Wahrheit teilzuhaben, wurde die Behauptung, sie selbst zu haben und das ausschließlich.
Doch die Wahrheit bleibt unverfügbar – vielgestaltig und vielschichtig, wie sie erscheint: im Menschen und in der gesamten Schöpfung. Es gilt, sie im je eigenen Leben wahrzunehmen und zu bezeugen. Dazu ist ein jeder und eine jede von uns geboren und in die Welt gekommen. Das ist der Weg – und das sollte der Weg der Kirche sein, von dem Papst Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikats gesagt hat: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Mich hat das damals stark beeindruckt.
Um im Sinne dieses Papstvotums heute am Christkönigsfest eine besondere Facette der Wahrheit des Menschen hervorzuheben, möchte ich einen schönen Gedanken Martin Bubers zitieren, den er der Tradition des Chassidismus verdankt: „Es gibt nur eine wirkliche Sünde, nämlich zu vergessen, dass jeder Mensch ein Königskind ist.“
Wenn es um Könige oder Königinnen geht, ist manchmal auch die Rede von gekrönten Häuptern. Wer eine Krone trägt, geht wie von selbst aufrecht, sonst könnte die Krone zu Boden fallen. Die Krone verhilft also zum aufrechten Gang, in dem sich die Wahrheit des Menschen offenbart und der ein Zeichen der Würde des Menschen ist. Die Würde des Menschen ist eine königliche und sie ist sein Geburtsrecht, denn jeder Mensch ist zum aufrechten Gang geschaffen. Der aber meint nicht unversehrtes Leben, sondern eine innere Haltung. Zur Wahrheit des Menschen gehört auch seine Wunde.
In diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, dass man mit Krone nicht nur das äußere Machtsymbol bezeichnet, sondern auch den Scheitelpunkt der Schädeldecke, so dass jeder Mensch – ob äußerlich gekrönt oder nicht – eine Krone trägt.
Zu den Weisheitsüberlieferungen der Menschheit gehört weiterhin die Vorstellung, durch die leibhaftige Krone komme am Lebensbeginn die Seele in den Körper des Menschen und verlasse ihn dort auch wieder im Tod. Deshalb bildet in der Leibsymbolik das Kronenchakra, wie man es nennt, die Verbindung des Menschen nach oben – zum Himmel, unserer ursprünglichen Heimat. In dieser Zugehörigkeit gründet die Menschenwürde. Wer das erkennt, dem geht buchstäblich ein Licht auf, an das er sich halten kann – als aufrichtende, ausrichtende Lebensorientierung.
Letztlich ist es diese erleuchtete Erkenntnis, die den Menschen krönt, und diese Krone fällt nicht, wenn er sein Haupt demütig neigt, um im Mitmenschen die Würde zu ehren, die auch seine eigene ist. So neigten sich die Magier vor dem Kind im Stall und offenbarten dadurch dessen königliche Würde, ohne ihre eigene zu verlieren.
Eins ist mir noch wichtig, was ich mir selbst immer wieder hinter die Ohren schreiben muss: In den Klageliedern des Jeremia wird in prophetischem Realismus von der bedrohten Krone gesungen. „Dahin ist unseres Herzens Freude, in Trauer gewandelt unser Reigen. Zu Boden rollte unseres Hauptes Krone. Wehe, wehe wir sind Sünder. Unser Herz ist krank und darum voll Traurigkeit. Dunkel sind unsere Augen.“ Wenn die Kronen unserer müden, manchmal gedeckelten oder ängstlich verwirrten Häupter zu Boden rollen, lasst sie uns nicht auch noch gegeneinander in den Schmutz treten. Lasst sie uns vielmehr gegenseitig aufheben und füreinander hüten. Allesamt sind wir doch Königskinder, gottgewollte Menschen …
Predigt am Hochfest Allerheiligen (01.11.2021)
Predigtvon P. Abraham Fischer OSB
„Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es“ – so ruft uns am heutigen Allerheiligenfest die Lesung aus dem Johannesbrief zu!
Und genau in diesem Geheimnis – nämlich, dass wir nach Jesu Lehre Gott unseren Vater nennen – darf ich Sie heute hier in der Kirche und am Livestream begrüßen mit den Worten:
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Wenn wir im apostolischen Glaubensbekenntnis miteinander sprechen „ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen!“ – „sanctorum communionem“ – so bezieht sich das auf das heutige Fest.
Allgemein assoziiert man mit der gängigen Übersetzung, dass es sich nur um eine Gemeinschaft der Heiliggesprochenen handele – also um jene Menschen, die durch Gerichtsverfahren der katholischen Kirche zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Wir haben in den Heiligen große Vorbilder, die wir in der Herrlichkeit Gottes glauben und die unserem Leben und Ringen Ziel und Richtung geben können. Das heutige Fest aber spannt den Bogen weiter, umfassender, eben katholischer: Wir gedenken heute der vielen Heiligen, die unerkannt blieben. Heiligkeit hat also nicht nur etwas mit den Heiligsprechungsverfahren der kirchlichen Behörden zu tun, sondern vielmehr mit einem Leben, das sich zutiefst auf das Heilige oder auf den Heiligen bezieht.
Wir sind und wir werden also nicht durch uns selbst oder gar durch Leistungen, durch viele Gebete oder herausragende Taten zu Heiligen, sondern Gott allein ist es, von dem her wir heilig sein können. Er – der Heilige schlechthin – hat uns Menschen gewollt und geschaffen. Damit hat er seinem Ebenbild Anteil an seiner Heiligkeit gegeben. Heiligkeit ist ein Geschenk, das Gott gibt und uns zuspricht. Menschen, die damit in Resonanz gehen, werden zu Heiligen. Menschen, die im Geiste Gottes zusammenkommen, werden zu einer Gemeinschaft der Heiligen, weil sie Gemeinschaft und Anteil am Heiligen haben und sich darin gegenseitig bestärken.
Das gilt auch für uns hier und heute. Als Getaufte kommen wir am Heiligen zusammen. Das ist eine große Würde, die wir als Kinder Gottes mit der Taufe empfangen haben. Das ist aber auch eine Aufgabe: wenn wir uns wirklich zu Herzen nehmen, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, dann müssen wir unser Leben und Handeln ändern. Es kann nicht mehr so weitergehen wie bisher. Gott ist der, der sich mitteilt, Gott ist der, der sich mit uns teilt. Er wird darin keineswegs weniger, sondern seine Anwesenheit in dieser Welt wächst mit jedem Menschen, der erkennt, dass Gott da ist und dass er teilende Liebe ist. Wo sich die Liebe mehrt, da reichert sich Gottes erfahrbare Anwesenheit in der Welt an.
Hierin sehen wir die Gemeinschaft am Heiligen in der Welt: dass die Liebe mehr wiegt als der Hass, dass Ländereien und aller Besitz nicht erobert, erstritten werden muss, sondern dass wir erben. Wir sind Beschenkte von Gott aus und haben daher keine Angst vor Verlust, weil in diesem Sinn nichts Eigentum ist, sondern das, was wir übergangsweise besitzen dürfen, ist ein unverdientes Geschenk. Das fängt mit unserem Leben an, das wir nicht aus uns selber zeugen, sondern das Gott uns schenkt.
Teilen macht das Leben nicht dunkler. Im Gegenteil: Alles Licht, das wir miteinander teilen, vermehrt die Helligkeit. Wo die Liebe ist, da schwindet die Angst und das Leben wächst. Es ist das Merkmal unseres Gottes, dass er sich teilt. Das Herz des Gekreuzigten steht offen für alle und er teilt sein göttliches Leben mit uns Menschen. Auch in den dunkelsten Stunden wendet sich Gott nicht ab, sondern er teilt unsere Not, unsere Sorgen, alle Ängste, allen Schmerz. Das ist das Geheimnis in Jesus Christus. Er ist der Emmanuel, der Gott mit uns.
Das wäre dann auch Hierarchie – ein Wort, das in unserer Kirche derzeit oft ausgesprochen wird. Aber welcher Sinn steht dahinter? Bedeutet Hierarchie, dass eine Ordnung heilig sei, vielleicht deshalb sogar unveränderbar? Ich glaube, dass das eine Verweltlichung der Theologie der Hierarchie ist. Der Begriff bezieht sich wohl stärker auf eine Ordnung des Heiligen. Also Gott, der Heilige ordnet oder auch das Heilige wird geordnet. So kann man den Genitiv am besten übersetzen.
Der theologische Fachbegriff bezieht sich spezifisch auf das Weiheamt der Kirche und er hat in diesem Sinne eine wunderbare Bedeutung: Wer geweiht ist, ist beauftragt zu teilen. Daher gibt es nur drei Weihen in der Kirche: die zum Diakon, der beauftragt ist, die Gaben des Glaubens vom Altar zu den Rändern zu bringen und Sakramente, die sich die Getauften spenden, zu bezeugen. Er ist die Nahtstelle zwischen Gottes Dienst und den Menschen, weil er die Gnade, das Geschenk weitergibt. Die weitere Weihe ist die zum Priester. Er steht an dem Ort, an dem das Brot und der Kelch geteilt werden. Es ist die Stelle Jesu, der sich uns schenkt, der sich teilt und mit jedem Brotbrechen, mit jeder Eucharistie mehr wird im Herzen der Welt und in der Mitte der Menschen. Und dann ist da der Bischof. Seine Beauftragung ist es, Priester zu weihen. Damit ist er in der Lage und beauftragt, die Kirche zu vermehren, indem er seine Aufgabe mit den Priestern teilt. Von Jesus aus erging eine ununterbrochene Reihe der Handauflegungen, die sich immer wieder geteilt hat und inzwischen ein Netz des Teilens geworden ist. Bischöfe sind Keimzellen einer Beauftragungslinie, in deren Teilung sich die Kirche vermehrt.
Hierarchie ist die Ordnung des Heiligen, aller Heiligen und alles Heiligen. Sie bezieht sich auf einen Gott, der nichts für sich behält, sondern alles mitteilt. Hierarchie ist kein Besitz, sondern selber Geschenk mit dem Auftrag, zu vervielfältigen, weiter zu geben und immer und immer und immer wieder zu teilen, weil nur so vermehrt werden kann. An dieser Essenz des Weiheamtes wird deutlich, dass Teilen nicht arm macht. Wir brauchen also nichts festzuhalten, keinen Besitz zu verwalten und schon gar keine Besitzstandswahrung zu betreiben.
So eröffnen auch die Seligpreisungen des Evangeliums eine neue Dimension: Die Seligen sind jene, die auf Gott vertrauen und das Teilen erfahren, das aus seinem Auftrag an die Welt und das aus seinem Dasein in der Welt erwächst: Heilige haben teil an einer Welt, in der alles allen gehört, weil Gott schon immer alles in allem ist. Dazu sind wir in diesem Erdental berufen, damit wir „durch Gottes Gnad und Wahl zum Himmel kommen allzumal“. (GL 542)
Amen.
Predigt am 27. Sonntag im Jahreskreis (03.10.2021)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
In den letzten Tagen war in der politischen Diskussion rund um die Regierungsbildung in unserem Land viel von einer verbindenden Vision die Rede, die es braucht, um gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Wenn die fehlt, dann verliert man sich schnell im Kleinklein des Alltags und im Geschacher um Posten und Ämter, und die verschiedenen Parteien versuchen, sich gegenseitig auszuspielen – daran sind die Koalitionsverhandlungen 2017 letztlich gescheitert. Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass zunächst miteinander gesprochen wird, um solch eine Vision auszuloten, ohne dass Inhalte direkt an die Öffentlichkeit weitergegeben werden.
Wenn wir uns die heutigen Lesungen, vor allem das Evangelium, anschauen, dann kann zunächst der Eindruck entstehen, dass wir es hier mit vielen Regelungen rund um Ehe und Scheidungsrecht zu tun haben, die allein für sich genommen einer legalistischen Praxis Vorschub leisten, die wenig hilfreich in der heutigen Vielfalt und Buntheit unserer Lebenswelt ist, ja, die auf viele Menschen verletzend gewirkt hat. Die Vision, das verbindende Element scheint da zu fehlen.
Im ersten Satz der Lesung entdecke ich ein Vorzeichen, unter dem die einzelnen Regeln und Vorschriften gelesen werden können und das uns zeigt, wo die größere Richtung ist, die Vision, die Gott mit seiner Schöpfung hat: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.“
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“ Der Mensch ist von Natur aus ein Wesen, das auf Gemeinschaft hin angelegt ist. Experimente zeigen, dass Kinder, denen am Anfang ihres Lebens diese Dimension vorenthalten ist, in ihrer späteren Entwicklung schwere Defizite aufweisen. Vielleicht stellt Jesus im Evangelium auch deshalb ein Kind in die Mitte der Jünger, um auf diesen Aspekt aufmerksam zu machen. Denn Kinder sind ja in vielem, was Gemeinschaft und das Zusammensein mit anderen angeht, noch unbefangener als wir Erwachsenen. Wenn wir die Vorschriften zur Ehe und das Verbot der Scheidung unter diesem Vorzeichen der Gemeinschaft und der Ebenbürtigkeit lesen, bekommen sie gleich einen ganz anderen Klang – nämlich Leben, Beziehung auf Augenhöhe zu ermöglichen und Einsamkeit zu bekämpfen.
Im Oktober begeht die Kirche den Monat der Weltmission. Sie nimmt einen Aspekt von Gemeinschaft in den Blick, der in ihrem Wirken und in ihrem Sein fundamental ist: eine weltweit vertretene Gemeinschaft von Gemeinschaften zu sein, die in einer gemeinsamen Vision – Jesus würde vom „Reich Gottes“ sprechen – miteinander verbunden sind. Es ist eine Gemeinschaft, die nicht gleichmacherisch ist, sondern die Vielfalt der Menschen und Kulturen anerkennt. Jeder, der schon einmal an einem Gottesdienst in Afrika teilgenommen hat, wird wissen, wovon ich spreche. Unsere Kongregation der Missionsbenediktiner wollte von Anfang an Gemeinschaften – Klöster – gründen, in denen gemeinsam das Lob Gottes gefeiert wird und die gerade so durch ihre Präsenz unter den Menschen missionarisch wirken und Glauben verkünden. In einer Programmschrift von Andreas Amrhein, dem Gründer der Missionsbenediktiner, heißt es dazu: „Heller und höher und wärmer loht das Feuer der Andacht, wenn viele Flammen vereint brennen als ein einzelnes Flämmchen. Feierlicher strahlt der Altar im Lichtglanz vieler Kerzen, als im Scheine einer Lampe oder Kerze.“ Das gilt übrigens nicht nur im kirchlichen Kontext: gerade heute, am „Tag der deutschen Einheit“, erinnern wir uns an die vielen Menschen, die friedlich, mit brennenden Kerzen in ihren Händen, vor 30 Jahren für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind.
Aber auch der zweite Satz aus der Vision Gottes mit seiner Schöpfung vom Anfang der Lesung ist wichtig: „Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.“ Gemeinschaft wird immer dann scheitern, wenn diese Ebenbürtigkeit der Menschen, ihre fundamentale Gleichheit, ihre gemeinsame Würde als Ebenbilder Gottes nicht geachtet wird. Da mag sie noch so oft eingefordert werden, es werden hohle Phrasen bleiben, die nicht mit Leben gefüllt sind. An dieser fehlenden Ebenbürtigkeit sind die ersten Koalitionsverhandlungen 2017 gescheitert. Und die Folgen davon, wenn Menschen sich abgehängt fühlen, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen, spüren wir 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands sehr genau. Auch auf der Missionsgeschichte der Kirche liegt ein Schatten, wenn ganze Völker in ihrer Kultur nicht geachtet wurden, wenn ihnen in imperialistischer Manier ein europäisches Christentum aufgezwungen werden sollte, wenn selbst Missionare, die doch die Liebe Gottes verkünden sollten, nicht frei waren von rassistischen Ressentiments anderen Menschen gegenüber. Rassismus ist nicht nur ein Problem bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sondern offenbart sich oft erschreckend banal in meinem eigenen Denken und Handeln, in meiner Sprache. Und dass wir generell in unserer Kirche in puncto Ebenbürtigkeit noch einen weiten Weg vor uns haben, zeigen die Diskussionen um den Synodalen Weg: wenn eine Gruppe qua Amt ein Vetorecht hat und alles sofort blockieren kann, und sei es nur mit dem Verweis auf Rom, dann kann man zu Recht das dahinterliegende System in Frage stellen.
Diese realen Bruchstellen von Gemeinschaft können uns in die Resignation führen oder zynisch werden lassen. Sie können aber auch Antrieb sein, sich jetzt erst recht für eine Gesellschaft und Kirche zu engagieren, wo Menschen ebenbürtig miteinander umgehen. Und so möchte ich am Ende Amanda Gorman zu Wort kommen lassen, die junge Lyrikerin, die bei der Amtseinführung von Joe Biden Anfang des Jahres ihrer Nation, ja der ganzen Menschheit eine Vision aufgezeigt hat, die uns leiten kann, wenn wir vor lauter Legalismus und Resignation den Weg nicht mehr sehen. Sie schreibt:
Wir sind alles andere als lupenrein,
alles andere als makellos,
aber das bedeutet nicht, dass wir danach streben,
eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist.
Wir streben danach, gezielt eine Gemeinschaft zu schmieden.
Ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt.
Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht,
sondern auf das, was vor uns steht.
Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle
zu setzen, zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen.
Wir legen unsere Waffen nieder,
damit wir unsere Arme nach einander ausstrecken können.
Wir wollen Schaden für keinen und Harmonie für alle.
Lasst die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, dass dies wahr ist:
Dass wir, selbst als wir trauerten, wuchsen
Dass wir, selbst als wir Schmerzen litten, hofften
Dass wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versucht haben
Dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich
Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden,
sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.
[…]
Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,
entflammt und ohne Angst.
Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.
(Hier finden Sie das ganze Gedicht.)
Predigt am 23. Sonntag im Jahreskreis (05.09.2021)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
„Mensch, – öffne dich!“
Es gehört zu den wirklich schönen Seiten meines Lehrerberufs, manchmal miterleben zu dürfen, wie jemand von Taubheit und Stummheit geheilt wird. Fast in jeder Lerngruppe stößt man auf den einen oder anderen Schüler, der offenkundig „nichts mitbekommt“ und, sauerländisch gesprochen, „die Zähne nicht auseinanderkriegt“. Jeder Versuch, daran durch gutes Zureden oder durch mehr oder weniger starken Druck etwas zu ändern, läuft monate-, manchmal jahrelang ins Leere. Garantiert völlig fruchtlos bleibt der berüchtigte Elternsprechtagssatz: „Er/sie muss mündlich besser werden.“ Im Gegenteil: Je verbissener man als Lehrer versucht, auf jemanden einzureden, desto verschlossener wird er.
Denn: Wer nicht hören und sprechen kann, hat Angst und hat das Vertrauen verloren.
Da braucht es Zuwendung und den langen Atem, der sich auch dann nicht entmutigen lässt, wenn nichts zu helfen scheint. Helfen wird da nur eins: Daran glauben, dass jemand mehr ist und kann, als er sich zu zeigen traut. Und oft, völlig überraschend und meist in einem Zusammenhang, in dem man nicht damit gerechnet hätte, sieht man einer solchen Schülerin, einem solchen Schüler auf einmal an, dass er/sie zuhört, dass er/sie aufnimmt, was sich abspielt. Und schließlich, im nächsten Schritt, redet sie/er mit, macht sein/ihr Wort. Auf einmal sitzt da nicht mehr ein Menschlein, das herumsitzt wie ein geprügelter Hund, sondern da steht jemand, der einem in die Augen schaut und ein wirkliches Gegenüber ist. Es ist buchstäblich „wunder“bar, wenn man so etwas erleben darf und vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat.
Wie Jesus ein solches Wunder bewirkt, davon erzählt der gerade gelesene Abschnitt aus dem Markusevangelium. Ganz sicher verfügte Jesus über so etwas wie eine „therapeutische Naturbegabung“. Aber das wirkliche Geheimnis hinter dem Gelingen dieser Heilung liegt darin, dass Jesus diesem Menschen die Angst nahm, nur Unerträgliches zu hören zu bekommen und sowieso von niemandem gehört zu werden. Jesus gab ihm die Er-innerung daran zurück, dass der allererste Satz, der ihm gesagt worden ist ein bedingungsloses „JA“ gewesen ist: Ja, ich, Gott, will dass es dich gibt, dich, so wie du bist. Und: Ich, Gott, warte seitdem darauf, dass du endlich antwortest. Egal wie lange es dauert, ich lasse mich von meinem Vertrauen zu dir nicht abbringen, auch wenn Du dich bis zur Verstocktheit betäubst und meinst, du könntest nur stumm und stotternd am Rand des Geschehens herumsitzen.
Taubheit und Stummheit zu heilen, setzt voraus, ohne Wenn und Aber daran festzuhalten, dass der innerste Kern meiner selbst und jedes Menschen in diesem einen besteht: Ich bin, du bist von Gott gewollt und dazu ins Leben gekommen, dass sich deine Begabung zum Lieben, zum Hören, zum Sprechen und zum Handeln entfaltet. Ja, es stimmt, dass ich mir selbst und meinen Menschenschwestern und –brüdern geschenkt bin, um mit ihnen in lebendiger und liebender Beziehung, im Wechselspiel von Hören und Antworten zu leben.
Die gegenwärtige Weltlage, die gesellschaftliche und nicht zuletzt unsere kirchliche Situation kann einen stumm machen, kann einen dazu treiben sich so zu betäuben, dass man nichts mehr mitbekommt. Auch hier merken wir: Den Druck und die Betriebsamkeit immer mehr erhöhen, macht nur noch tauber und stummer. Immer schmerzhafter wird dann, dass wir vor lauter Tumult in uns und um uns einander nicht hören können und wollen und dass das Durcheinander einem die Sprache verschlägt.
Hier ist gefragt, sich an dem zu orientieren, was Jesus für den Taubstummen tut: Beiseite gehen, um sich dem Bann des „Drunter und Drüber“ zu entziehen. Einen Menschen so berühren, dass er seine Angst hinter sich lassen kann, um den Blick auf Gott zu richten, der in seinem Innersten auf ihn wartet und ihm so vermitteln, dass in dem Wort „Effata“: – „Öffne dich“ – nicht Bedrohung und Überforderung stecken, sondern Erlösung und Befreiung.
So kann geschehen, was wir in der gegenwärtigen Drucksituation grundlegend brauchen: Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.
Diese Dimension unseres Glaubens ist jeder und jedem von uns in der Taufe zugesprochen. Zur Feier der Taufe gehört unter anderem der „Effata-Ritus“, der offensichtlich dem heutigen Evangelium nachgebildet ist: Der Taufende berührt den Täufling am Ohr und am Mund und sagt dazu: „Effata, Mensch, tu dich auf!“
Das ist der Zuspruch und Anspruch der Taufgnade, in deren Kraft jede Christin und jeder Christ den Weg durchs Leben gehen darf: Mensch, öffne dich und höre mit dem Ohr deines Herzens, dass Gott vor allem anderen „JA“ zu dir gesagt hat. – Mensch, öffne dich und sag‘ deinen Menschenschwestern und –brüdern dieses göttliche Grundwort, aus dem du selber lebst: JA, es ist gut, dass es dich gibt.
Predigt am 22. Sonntag im Jahreskreis (29.08.2021)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Spätestens seit der nun allgemein bekannten AHA-Regel und den an allen öffentlichen Orten bereitstehenden Spendern von Desinfektionsmitteln ist der Begriff Hygiene ein sehr alltäglicher geworden.
Das Wort „Hygiene“ leitet sich vom griechischen Wort für Gesundheit hygíeia ab, das zugleich der Name der für die Gesundheit zuständigen Göttin ist.
Die identische Bezeichnung von Göttin und Zuständigkeitsbereich macht deutlich, wie eng der Zusammenhang von hygienischen Maßnahmen und religiösen Geboten und Verboten in den großen antiken Kulturen gewesen ist.
Im Wissen darum, dass der Mensch bei all seinen Bemühungen und Sorgen um Gesundheit und Wohlergehen diese letztlich nicht mit seinen Mitteln völlig sichern kann, sondern des Beistands höherer Mächte bedarf, wurden Regeln und Maßnahmen zur Gewährleistung von Gesundheit und Wohlergehen des Volkes religiös sanktioniert, um ihre Einhaltung zu sichern.
So finden sich in den religiösen Traditionen vieler Völker und Kulturen, vor allem im Kontext von Gottesdienst, Essen und Trinken, Reinigungsgebote und -riten, die nicht nur als Teil des religiösen Lebens beachtet werden, sondern auch als Ausdruck der eigenen Kultur, der Zivilisation überhaupt gelten und die Identität und das Selbstwertgefühl dieser Völker prägen.
Wie in der heutigen Lesung aus dem Buch Deuteronomium deutlich wird, gilt das auch vom Volk Israel, wenn es heißt: „Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. … welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?“
Israels Auszeichnung vor allen Völkern ist seine Erwählung durch Gott, der ihm seine Weisung, die Tora, gegeben hat, damit es so das Leben hat.
Um zu verhindern, dass die göttlich Weisung übertreten wird, kam es in der Folge zu Ausführungsbestimmungen, d.h. zu konkreten Regeln, die das Gesetz auf alltägliche Situationen anwendeten. Später nannte man dies „den Zaun des Gesetzes“, denn so wie der Zaun um einen Garten diesen schützen soll, sollen diese Regeln die Einhaltung des Gesetzes garantieren.
Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass dann mehr auf die äußerliche Einhaltung der menschlichen Regeln geachtet wird, als auf das eigentliche Anliegen. Dass es zu einer Veräußerlichung kommt, die das alltägliche Leben einschnürt und den inneren Sinn der Weisungen aus dem Blick verliert.
Genau diese Entwicklung kritisieren schon die Propheten Israels, so heißt es im Buch des Propheten Jesaja: „Dieses Volk ehrt mich mit seinen Lippen, sein Herz aber ist fern von mir. Ihre Furcht vor mir wurde zu einem angelernten menschlichen Gebot“ (vgl. Jes 29,13; Mk 7,6b-7).
Diese Kritik nimmt Jesus im heutigen Evangelium auf und erinnert daran, dass es bei aller Achtsamkeit für die äußere Reinheit, letztlich auf die Reinheit des Herzens ankommt.
Jesus lehnt Reinheit und Hygiene nicht ab, doch ihm geht es zuerst um die Hygiene des Herzens, in der die Reinheit von Gedanken, Worten und Werken gründet, denn „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7,20-23).
Während Jesus hier betont, dass aus dem Inneren, dem Herzen das Böse hervorgeht, sagt er in der Bergpredigt, dass die Folge eines reinen Herzen die Schau Gottes ist: „Selig die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Das Herz hier als Quelle des Guten.
Doch was macht das Herz rein? Wie wird es rein? Wer sind die Menschen mit reinem Herzen, die im Geist der Bergpredigt Gott schauen können? Wer oder was kann das Herz reinigen und wie kann es rein bewahrt werden? Und woran erkennt man ein reines Herz?
Diese Fragen beschäftigten vor allem das frühe Mönchtum, dessen erklärtes Ziel die contemplatio Dei[1] die möglichst beständige Betrachtung Gottes, die andauernde Ausrichtung auf ihn war.
Dabei verglichen sie das reine Herz in seiner Ruhe mit der Oberfläche eines spiegelglatten Sees, in dem sich der Himmel spiegelt. Doch die Wirklichkeit des menschlichen Herzens ist eher von unruhigem Wogen und Tosen geprägt. Gedanken, Gefühle, Impulse treiben ihn um und das Licht des Himmels wird in unzähligen Wellen und Wogen gebrochen.
Um das Herz zur Ruhe zu bringen, empfehlen die Mönchsväter und –mütter, die Stille zu suchen, sich an Christus, am Wort Gottes festzumachen, das unruhige Herz immer wieder in die heilende Gegenwart Gottes zu bringen.
Der heilige Benedikt ermutigt dazu, den Weg der Gebote Gottes zu gehen und im Glauben voranzuschreiten, damit der Geist Gottes das Herz berühren, es weiten und rein machen kann, und das unsagbare Glück der Liebe in ihm weckt.
Denn das ist ein reines Herz, das nicht in sich verschlossen ist, sondern aus der lebendigen Beziehung zu Gott, zu sich und zum Nächsten lebt.
Wenn wir uns wirklich und ernsthaft um die Gottes- und Nächstenliebe mühen und so unsere Herzen von allem reinigen, was uns voneinander und von Gott trennt, dann werden wir selbst Formen finden, uns in Liebe mit Gott und den Menschen zu verbinden. Wir werden uns als Erstes fragen, ob wir die Liebe leben und nicht, ob wir die Vorschriften auch peinlich eingehalten haben.
Der Prüfstein für die Reinheit des Herzens ist somit das Verhältnis zum Nächsten, vor allem die Wahrnehmung des anderen, der Umgang mit ihm und das Denken über ihn.
Sehr schön bringt das ein Wort des Mönchsvater Isaak von Ninive (+ um 700) zum Ausdruck:
„Ein junger Mann fragte: „Wie kann einer wissen, ob sein Herz rein ist?“
Der Lehrer antwortete: „Vollkommene Reinheit hat der erlangt, der alle Menschen in einem guten Licht sieht und von niemanden den Eindruck hat, er wäre unrein oder verdorben. Ein solcher Mensch hat vollkommene Reinheit erlangt.“
[1] Cassian, Conlationes 1,15f.
Predigt am Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel (15.08.2021)
Predigtvon P. Julian M. Schaumlöffel OSB
Das eigentliche und auch erste Meisterwerk von Egid Quirin Asam ist der 1722–1723 erstellte szenische Hochaltar, der den Kirchenraum der Benediktinerabtei Rohr in Niederbayern dominiert, «eine mit allen rhetorischen, perspektivisch-illusionistischen und theatralischen Kunstgriffen visualisierte plastische Darstellung der Himmelfahrt Mariens».
Die Ausmaße dieser raumbeherrschenden Altarinstallation sind eindrücklich und haben mich beim Betrachten überwältigt.
Der offene Sarkophag steht weit über dem Chorboden. Die beiden Altarbauten sind sieben Meter tief und deren Säulen fast 8 Meter hoch, bilden aber für den Betrachter eine einzige Schauwand. Für dieses eindrückliche «Theatrum sacrum» setzten die Asam ihre Kenntnisse aus dem Studium der Lichtinszenierungen Berninis genial um.
Eine mächtige goldene Krone von 5 Metern Durchmesser schließt die Giebelstücke des Alters zusammen. Auf der Monumentalbühne erscheint als lebendes Bild die Himmelfahrt Mariens. Über drei Stufen steht der Sarkophag. Von allen Seiten eilen die Apostel in erregter Bewegung herbei. Sie finden das Grab leer, der Deckel lehnt an der Rückwand. Maria aber schwebt, von Engeln getragen in die übergroße Krone hinein und zum Himmel empor, wo sie von der Hl. Dreifaltigkeit und Engelschören erwartet wird. Ein gelbes Fenster an der Rückwand wirft goldenes Licht auf die himmlische Szenerie.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir feiern heute das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. feierlich das Dogma verkündet, die Gottesmutter Maria sei nach Vollendung ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden. Das heutige Fest hat seinen wahren Ursprung jedoch nicht in diesem Dogma; der Glaubenssatz hält auf feierliche Weise fest, was seit dem 4. Jahrhundert aus der Volksfrömmigkeit (vor allem der Ostkirche) in das Glaubensbewusstsein der Kirche gelangt ist und dort seit anderthalb Jahrtausenden seinen festen Platz hat.
Und genau dieses Glaubensbewusstsein hat die Künstler aller Epochen inspiriert, die Himmelfahrt Mariens darzustellen. Ein Beispiel dafür ist das eingangs beschriebene Kunstwerk der Asam in Rohr.
Genau 300 Jahre später wurde hier im Sauerland für die Gemeinde St. Clemens in Drolshagen ein Flügelaltar in Auftrag gegeben. Schon die Tatsache, dass eine Gemeinde im 21. Jahrhundert einen Hochaltar in Auftrag gibt ist ungewöhnlich, noch ungewöhnlicher aber ist die dortige Darstellung der Himmelfahrt Mariens.
Das Altarbild des Künstlers Thomas Jessen aus Eslohe zeigt im Zentrum die Gottesmutter Maria auf einer Klappleiter stehend. Die fotorealistisch gemalten, lebensgroßen Figuren wirken dabei auf den ersten Blick eher wie Gemeindemitglieder oder Handwerker, die dabei sind, den im Hintergrund erkennbaren Altarraum neu zu gestalten. Das am Pfingstmontag dieses Jahres zur Altarweihe enthüllte Bild soll die Himmelfahrt Mariens in einer modernen Version zeigen. Die Mutter Jesu trägt dabei Jeans und Rollkragenpullover und steht auf einer Trittleiter unter dem Kreuz. Neben Maria stehen die heilige Veronika als Handwerkerin, ebenfalls in moderner Alltagskleidung und ohne Heiligenschein, sowie der ungläubige Thomas in Jeans und mit freiem Oberkörper – ein Selbstbildnis des Künstlers. Im Sauerland und gerade in Drolshagen erregt dieser Altar nun seit Wochen die Gemüter. Darf man die Gottesmutter und die anderen Heiligen so darstellen?
Während Maria im barocken Rohr von Engeln getragen in die Glorie des Himmels entschwebt, muss die Gottesmutter in Drolshagen in Arbeitskleidung selbst die Holzleiter erklimmen, um in den Bereich ihres am Kreuz dargestellten Sohnes zu gelangen. Die Leiter ist hier das verbindende Moment, denn während der Körper Mariens noch vor dem Rot irdischen Liebens und Leidens dargestellt ist, reicht ihr Kopf schon in die Kreuzigungsszene des Himmels hinein, in der das kräftige Blau dominiert.
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen zum heutigen Hochfest diese Kunstpredigt halte. Ich meine, dass die beiden beschriebenen Darstellungen uns gut an das Festgeheimnis heranführen können. Wenn mich persönlich – und meine Brüder kennen mich – die barocke Szenerie letztlich mehr bewegt und meine Seele anrührt, so vermag die moderne Darstellung eine intensivere Auseinandersetzung mit deren Inhalt zu entfachen.
Fragen wir uns angesichts der Aufnahme Mariens in den Himmel doch einmal, wie wir uns den Himmel eigentlich vorstellen. Ist es der Garten Eden, ein Paradies, eine Art Schlaraffenland, ein Ort des Friedens und der Gerechtigkeit oder die Begegnung mit allen schon Verstorbenen?
Der Himmel – jeder hat vermutlich seine ganz eigene Vorstellung davon.
Wenn wir im biblisch-christlichen Sinn von Himmel sprechen, meinen wir das uns von Gott zugedachte Ziel der persönlichen und universalen Geschichte; also das endgültige, rundum beseligende „Aufgehobensein“ in der Gemeinschaft mit Gott. Himmel so verstanden ist ein anderes Wort für Vollendung.
„Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“, hörten wir in der Lesung aus dem Korintherbrief. Quelle und Mitte aller Vollendung ist Gottes versöhnende Liebe, die uns in Christus bereits innergeschichtlich erschienen ist und im Himmel in ihrer ungehinderten Wirksamkeit offenbar wird. Der Seher Johannes nennt sie die Hochzeit des Lammes, die Gott mit seiner Schöpfung im himmlischen Jerusalem feiern will. „In dieses Fest wird all das mit einbezogen, was uns auch jetzt schon in unserem irdischen Leben mit dankbarer Freude erfüllt, was unsere mitlachende und mitweinende Sympathie weckt, ja, was uns einfach zutiefst menschlich sein lässt“, wie es Medard Kehl formuliert.
In unserer eigenen Vollendung sollen wir endgültig Ja sagen können, auch zu all dem Schmerzlichen, das erst im Licht der versöhnenden Liebe Gottes ganz und heil werden kann. Diesen Prozess der je eigenen Vollendung meinen wir im christlichen Glauben, wenn wir vom Himmel sprechen.
Was wir in der Lesung vom Hl. Paulus über die Vollendung aller Menschen hörten, sagt die Kirche in ihrem Lehramt nun eigens von Maria: „Die Gottesmutter ist derart in das Geheimnis Christi eingeschrieben, dass sie der Auferstehung ihres Sohnes mit ihrem ganzen Sein bereits am Ende ihres irdischen Lebens teilhaftig wird; sie lebt das, was wir alle am Ende der Zeiten erwarten, wenn der »letzte Feind«, der Tod, entmachtet werden wird.“
Die Begründung für die unmittelbare Aufnahme Mariens in den Himmel liefert uns der Lobgesang der Gottesmutter im Evangelium. Das Magnifikat ist eine einzige große Zustimmung zu Gottes Plan mit ihr. Maria spricht – schon während sie Christus in sich trägt – das endgültige Ja ihrer zukünftigen Vollendung und kann daher nach ihrem irdischen Leben unmittelbar am großen Fest der kommenden Welt teilnehmen. Durch all die Erfahrungen der Verlassenheit, in Schmerz und unsagbarem Leid, hat sie dieses einmal gegebene Ja nie zurückgenommen.
So ist die Gottesmutter uns Vorbild im täglichen Durchhalten, in der Treue und schließlich auch in der himmlischen Vollendung.
Das Leben der Gottesmutter, ihre alltäglichen Mühen und Sorgen, ihren Schmerz und ihr Leid bringt das Kunstwerk von Thomas Jessen in Drolshagen besser zum Ausdruck, zeigt es uns Maria doch als Menschen aus Fleisch und Blut, der an Christi Vollendung Anteil nehmen darf.
Die Treue der Gottesmutter, das ein Leben lang durchgehaltene, unbedingte Ja zu Gott, vermag dagegen den barocken Glanz der Asam-Szenerie zu erklären, wenn in dieser golden-lichtvollen Darstellung eine Ahnung unserer je eigenen österlichen Vollendung aufleuchtet.
Amen.
Predigt am 18. Sonntag im Jahreskreis (01.08.2021)
Predigtvon Br. Benjamin Altemeier OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Auch wenn Jesus heute im Evangelium auf den tieferen Sinn von Sättigung hinweist, hat er doch zunächst den leiblichen Hunger in der Brotvermehrung gestillt. Davon wurde uns letzten Sonntag berichtet. Das ist wichtig, denn Hungernden eine wie auch immer gestaltete Religiosität mit auf den Weg geben zu wollen, ohne vorher das Grundbedürfnis nach Nahrung, Gesundheit, Wohnung gestillt zu haben, macht keinen Sinn. Daher ist eine Evangelisation in Gegenden der Not ohne begleitende Hilfe undenkbar. So gibt es auch in unseren Missionsgebieten immer auch die konkrete Linderung von Notlagen. Es gibt Krankenhäuser, Brunnenbau und Schulen wie auch Ausbildungsstätten, um an einer Gerechtigkeit mitzubauen.
Gleichzeitig aber gibt es ja auch einen Hunger, der nicht durch Nahrungsaufnahme gestillt wird. Ich denke, wir alle kennen diesen Hunger. Es ist der Hunger nach Anerkennung, der Hunger nach Liebe, der Hunger nach Sinn und der Hunger nach Ewigkeit. Wir kennen die Sehnsucht nach unendlicher Liebe. Wir kennen das Sehnen, das zur Sucht werden kann, wenn es keine Erfüllung findet. Wir kennen die Werbestrategien, die auf subtile Weise versuchen, uns Ersatz anzubieten. Diese Formen des Konsumierens wirken zumindest nur sehr kurz. Wahre Erfüllung unserer Sehnsüchte ist nicht zu kaufen. Das wissen wir eigentlich alles.
Und nun bietet sich Jesus im heutigen Evangelium selbst als das „wahre Brot“ an. Mit der Verheißung, dass wir danach nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten werden. Ich muss schon sagen: Das ist ja eine steile These. Natürlich ist damit nicht gemeint, dass wir einfach aufhören zu essen und zu trinken. Aber auch die Vorstellung, dass unsere Sehnsucht durch Jesus gänzlich gestillt werden kann, wird doch augenscheinlich durch die Erfahrungen des Alltags widerlegt. Hatte es zu Beginn der Pandemie noch die Meinung gegeben, dass sich das Konsumverhalten verändern könnte, so ist dies inzwischen durch die Zahlen der Wirtschaft widerlegt.
War da Jesus von Menschen ausgegangen, die es so eben nicht gibt? Ich glaube tatsächlich, dass wir uns immer wieder auf den Weg machen dürfen und müssen, uns neu die „Nahrungsquelle Jesus“ zu erschließen.
Welche Nahrung bietet uns Jesus an? Da ist die Nahrung des tiefen Verstehens und des Verständnisses für jeden Menschen, gerade auch in der Schwachheit. Sei es Zachäus auf dem Baum, sei es die Ehebrecherin, seien es die Aussätzigen oder die Kranken. Ich darf mich so in meiner Gebrochenheit angenommen wissen, wie es Jesus in den Begegnungen gelebt hat und immer wieder auch bei jedem von uns tut. Wir alle sind von Gott Angenommene. Da ist die Nahrung der sich selbst verschenkenden Liebe, die an keine Bedingung geknüpft ist. Diese Liebe zu den Menschen, aber auch zu jedem Einzelnen von uns, ist grenzenlos. Bedingungslos bis hin zum Kreuz. Es gibt also jemanden, ein wirkliches Gegenüber, das mich so liebt, wie ich bin und nicht Bedingungen an die Liebe formuliert. Ich darf mich also geliebt und verstanden fühlen, ohne in Vorleistungen treten zu müssen. Da ist die Nahrung der Vergebung, die nicht verurteilt, sondern heilt. In allem, was mir nicht gelungen ist, in allem, wo mir Fehler unterlaufen sind, werde ich nicht verurteilt, sondern von göttlicher Vergebung umfangen. Denken Sie an das Gleichnis des verlorenen Sohnes oder besser des barmherzigen Vaters. So in den Arm genommen zu werden und liebkost zu werden, obwohl wir Schuld tragen, ist wahrlich ein lebenswichtiges und heilendes Lebensmittel. Gottes Vergebung ist grenzenlos. Und da ist noch die Nahrungsquelle der Ewigkeit. Alles Sehnen will Erfüllung und Ewigkeit. Durch Jesu Tod und Auferstehung ist uns die Perspektive auf Ewigkeit hin eröffnet.
Schauen wir jetzt auf unsere Praxis.
Gibt es denn Menschen, die aufgrund dieser göttlichen Nahrung ihren Hunger und ihren Durst so gestillt haben, dass sie es fruchtbar machen können für sich und andere – in der konkreten Nachfolge Jesu?
Ich habe über die Medien in den letzten 14 Tagen mitbekommen, wieviel Kraft Menschen zukommt, egal ob sie sich als religiös bezeichnen würden oder nicht, und die diese Kraft für andere zum Einsatz gebracht haben. Ich meine die Helfer und Helferinnen in den überflutenden Hochwasser-Gegenden, hier vor unserer Haustür. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, um anderen in existentieller Not beizustehen. Da sind Feuerwehrangehörige, die ihr Leben, um anderen zu helfen, gefährdet haben. Soviel an praktisch gelebter Religiosität. Über 60 Millionen Euro sind von Menschen gespendet worden. Ich glaube, dass diese Bereitschaft zur Hilfe den Helfern selbst wirklich Sättigung für Ihr eigenes Leben verschafft hat. Es klingt paradox. Wer sich hingibt, empfängt und wird gesättigt!
Wenn wir gleich vom Tisch des Herrn Christus empfangen, dann wird uns in diesem Brot auch seine Botschaft der sich hingebenden Liebe und Güte ausgeteilt. Durch das geschwisterliche Mahl sind wir zur Hingabe befähigt. Geben wir das Empfangene an unsere nächsten Schwestern und Brüder weiter.
Ich möchte schließen mit einem Gebet:
„ Der du der Erde Brot gegessen,
mit Sündern hast zu Tisch gesessen,
Herr Jesu, komm und mach uns satt,
dass Leib und Seel Genüge hat.
Amen.“
Predigt am 16. Sonntag im Jahreskreis (18.07.2021)
Predigtvon P. Erasmus Kulke OSB
„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!“
Liebe Schwestern und Brüder, ich könnte mir vorstellen, dass eine ganze Reihe von uns sich von diesen Worten Jesu angesprochen fühlen und innerlich seufzen: Ja, das wäre schön. Einmal so richtig entspannen und ausruhen, durchatmen und wieder aufatmen.
Viele tun auch genau das jetzt in der Ferienzeit und sind im Urlaub, in dem sie hoffentlich auch Erholung finden. Doch viele fühlen sich sicher urlaubsreif und haben keine Möglichkeit, Ferien zu machen.
Ruhe haben wir alle nötig. Gerade unsere Zeit ist so voller Stress, Hektik, Lärm und Unruhe wie wohl kaum eine Zeit zuvor. Und Corona und der Lockdown haben vieles noch einmal verschärft. Home Office und Home Schooling haben vielfach für Konflikte in den Familien gesorgt, und ein Ausgleich dazu wurde durch Kontaktbeschränkungen und viele andere Einschränkungen sehr erschwert. Dass da so mancher am Ende seiner Kräfte ist und dringend Ruhe und Erholung braucht, ist nur allzu verständlich.
Ja, es ist wichtig, dass wir uns immer wieder Zeiten der Ruhe nehmen und uns Orte suchen, an denen wir uns erholen und auftanken können. So wie die Apostel nach ihrer Missionsreise Ruhe brauchten, um neue Kräfte sammeln zu können, so brauchen auch wir immer wieder Ruhe und Erholung, Zeiten, in denen wir nichts leisten müssen, wo wir tun und lassen können, was uns gerade Spaß macht, wo wir ganz zweckfrei sein, da sein können und das Leben genießen können.
Mein Eindruck ist aber, dass das Abschalten und Ausruhen vielen zunehmend schwer fällt. Wir stehen ständig unter Druck, sind ständig erreichbar, die Welt um uns herum wird immer schneller, komplexer und verwirrender, und da ist es oft gar nicht so leicht, aus diesem Hamsterrad auszusteigen, abzuschalten und dann die Ruhe auszuhalten. Vielleicht hatten es Jesus und seine Apostel da grundsätzlich leichter. Natürlich, das heutige Evangelium erzählt uns davon, dass es auch für sie schwierig war, Ruhe zu finden, weil Tausende von Leuten hinter ihnen her waren. Aber als gläubige Juden waren sie es gewohnt, regelmäßig auszuruhen, nämlich am Sabbat. Das hatten sie von Kindes Beinen an „gelernt“.
Am Sabbat darf ein Jude sich nicht nur ganz offiziell ausruhen und das Leben genießen, er soll es sogar und ist ausdrücklich dazu verpflichtet. Es ist eine heilige Pflicht. Ein Jude genießt am Sabbat die Zeit mit Familie und Freunden, genießt festliches Essen. Es wird erzählt, gespielt, gesungen und gelacht. Es werden die Schöpfung und der Schöpfer gefeiert, auch durch Gebet und Gottesdienst. Und jüdische Ehepaare kommen ihren „ehelichen Pflichten“ nach. Am Sabbat muss man sich für das Nichtstun nicht rechtfertigen, sondern ganz im Gegenteil, das Arbeiten bedarf einer Rechtfertigung. Ich glaube, dass wir davon eine Menge lernen können. Denn manchmal habe ich den Eindruck, dass wir das wahre Ausruhen verlernt haben, dass wir oft gar nicht mehr wissen, was uns wirklich gut tut und Erholung verschafft. Da wird die Freizeit vollgepackt mit vielen Dingen, die uns letztlich nicht nur keine Erholung bringen, sondern uns zusätzlich ermüden und entkräften. Oder die Zeit wird sinnlos verdaddelt mit Dingen, die unserer Seele keine Erholung bringen, sondern sie mit einem Gefühl der Leere zurücklassen.
Im Talmud, eine der bedeutendsten Schriften des Judentums, heißt es, dass der Sabbat nicht deshalb geschaffen wurde, weil Gott Ruhe gebraucht hätte, sondern Gott wollte, dass die Ruhe geheiligt werde. Die Ruhe ist also etwas Göttliches. Ohne Frage, schaffen und erschaffen, dass was Gott an den ersten sechs Tagen seiner Schöpfung getan hat, ist auch etwas Göttliches. Aber mit der Ruhe „krönt“ Gott seine Schöpfung. Wenn wir uns also Zeiten der Ruhe nehmen und gönnen, heiligen wir uns selbst und unsere Zeit, und im „Heiligen“ geschieht Heilung. Wenn wir uns in der Mühe des Alltags immer wieder Zeiten der Ruhe nehmen, dann kommen wir, die wir Abbilder Gottes sind, zu uns selbst. Und da muss jede und jeder für sich selbst schauen, was wahre Ruhe und Erholung bringt. Ein Weg ist sicherlich die Einladung Jesu anzunehmen und zu ihm zu kommen mit all dem, was uns belastet. „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, sagt Jesus zu uns. „Ich will euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28) Ja, Jesus verheißt uns Ruhe für die Seele. (11,29)
Schließen möchte ich mit Gedanken der kleinen Anna aus dem Buch „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“, denn die sind bedenkenswert:
Anna fragte: „Was ist wohl das Größte, was Gott gemacht hat?“
Fynn überlegte und sagte: „Das Größte ist die Erschaffung des Menschen.“
Sie schüttelte den Kopf und war nicht einverstanden.
Fynn rätselte herum: „Vielleicht die Tiere, die Blumen oder das Weltall?“ Er fragte sich durch die sechstägige Schöpfungsgeschichte hindurch, erntete aber nichts als weiteres Kopfschütteln. Mehr fiel ihm nicht ein.
Plötzlich legte Anna ihre Hände vor sich auf den Tisch und stand auf. Auf ihrem Gesicht malte sich Freude und Erstaunen über sich selbst. Sie holte tief Luft und sagte: „Das größte ist der siebte Tag.“
„Das kapier ich nicht“, sagte Fynn. „Da hat er nun alle seine Wunder in sechs Tagen fertiggekriegt. Und dann ruht er sich aus am siebten Tag. Was ist da so Besonderes dran?“
„Warum hat er sich denn am siebten Tag ausgeruht?“ fragte Anna.
„Na, das Ganze war doch ’ne hübsche Menge Arbeit. Da braucht man dann mal ’ne Pause.“
„Er hat sich aber nicht ausgeruht, weil er müde war. Er nicht. Er war nicht müde.“
„Bestimmt nicht?“
„Am siebten Tag hat er die Ruhe geschaffen, und das ist das wirkliche Wunder. Er hat sich die Ruhe ausgedacht und sie dann gemacht. Wie, glaubst du, war das alles, bevor er am ersten Tag angefangen hat mit der Arbeit?“
„Ein ziemlich schauerliches Durcheinander, nehme ich an.“
„Ja, und du kannst dich doch nirgendwo ausruhen, wenn alles so’n Riesendurcheinander ist, oder?“
„Wahrscheinlich nicht. Und dann?“
„Siehst du, als er dann angefangen hat, alle Sachen zu machen, da war es schon gleich ein bisschen weniger unordentlich. Und als er mit allem fertig war, hatte er die ganze Unordnung in Ordnung gebracht. Und erst jetzt konnte er sich die Ruhe ausdenken. Und darum ist die Ruhe das allerallergrößte Wunder.“
Predigt am Dreifaltigkeitssonntag (30.05.2021)
Predigtvon P. Guido Hügen OSB
Opa Bär und der kleine Bär saßen vor dem Haus und betrachteten den Abendstern.
Es war ziemlich kühl und Opa Bär hatte seinen Schal um.
Der kleine Bär strich sanft mit der Pfote darüber.
„Ich mag deinen Schal“, sagte er. „Er ist so lang und kuschelig.“
„Ja, er ist ein Teil von mir“, sagte Opa Bär.
„Er wird immer länger – genau wie mein Leben immer länger wird,
je älter ich werde.
Als ich angefangen habe, ihn zu weben, war ich so alt wie du.“
So beginnt ein wunderbares Kinderbuch:
„Opa Bär und sein langer bunter Schal“,
in dem Opa Bär von seinem Lebens-Schal erzählt.
„Wenn du dir meinen Schal genau anschaust,
siehst du zwei Arten von Fäden,
Die einen gehen rauf und runter, die anderen kreuz und quer.
Die langen Rauf-und-runter-Fäden halten meinen Schal zusammen
und geben ihm seine Form –
so wie die Eigenheiten, die du von Mama und Papa geerbt hast
oder sogar von mir
– zum Beispiel, dass du gern Beeren isst
oder Angst vor Bienen hast oder große Pfoten …“
„Ich habe Papas Nase“, rief der kleine Bär aufgeregt.
„Alle sagen das!“
Erben wir Nasen?
Bestimmte Charaktereigenschaften vermutlich schon.
Und selbst solche Dinge wie unsere Namen.
In einer Supervision oder Fortbildung
hätten Sie jetzt eine halbe Stunde Zeit,
Ihre Rauf-und-runter-Fäden,
das Ihnen Mitgegebene, Geerbte,
das was Ihr Leben hält, aufzuschreiben.
Würden Ihnen dabei auch Dinge einfallen,
die „göttlich“ geerbt sind?
Wir haben es doch gerade in der Lesung gehört.
Paulus schreibt es an die Gemeinde in Rom:
Wir sind Kinder Gottes, Erben Gottes.
Das geht weit über das Biologische hinaus.
Von Gott her erben wir unsere Einmaligkeit,
unsere Ebenbildlichkeit mit IHM.
Gott vererbt sich selbst in uns …
Wenn wir in der Dreifaltigkeit feiern,
dass Gott kein einsamer Einzelkämpfer ist,
und die „Dreifaltigkeit“ nicht nur ein theologisches Konstrukt ist,
dann ist Gott in sich selber Lebendigkeit und Beziehung,
ist Geber und Empfänger,
Wort und Antwort.
Und ER zeigt sich als ein großmütiger,
freigiebiger Gott, der sich mitteilt,
der uns Menschen nahe kommt,
der uns erfüllen und das Leben mit uns teilen will.
Der für uns Vater und Bruder ist.
Und uns sein Erbe vermacht.
Allerdings:
Erben heißt auch, Verantwortung zu übernehmen.
Wir sind keine Alleinerben.
Wir sind – im wahrsten Sinne des Wortes –
eine weltweite Erbengemeinschaft.
Und wie so oft, wenn es um das Erbe geht,
bringt das Konflikte mit sich.
Das fängt schon bei der Deutungshoheit an.
Zwar haben wir sogar zwei „Testamente“
und die Weisung Jesu im Evangelium ist klar:
„Lehrt sie alles zu befolgen, was ich Euch geboten habe.“
Dass das längst nicht so klar und einfach ist,
zeigt uns der Blick in die Kirchengeschichte
oder schlichtweg in so manche Diskussionen unserer Tage.
Was ist Gottes Wille?
Wer darf was entscheiden,
wer ist Verwalter und Vollstrecker des Erbes?
Schwarz-weiß oder grau oder bunt?
Und wie so manche Erbengemeinschaft
geraten wir in Streit und Krieg.
Nichts von Geschwisterlichkeit.
Nichts vom Blick auf den gemeinsamen Vater.
Wenn nicht einmal wir Christen,
nicht einmal in einer Gemeinde und Gemeinschaft
es hinbekommen,
uns in aller Buntheit und Verschiedenartigkeit
als „Sein Volk“ zu sehen:
wie sollte es Frieden geben in dieser Welt?
Wir machen uns doch selbst das Leben schwer.
Wir sprechen uns gegenseitig ab,
die gegebenen Fähigkeiten, unser Erbe gut einzusetzen.
Ich kann doch besser entscheiden,
was dem anderen gut tut …
Ja, und noch ein Blick weiter:
Und wie gehen wir denn mit dem uns gegebenen Erbe um?
Es ist ja nicht nur das ganz persönliche.
Das fängt beim ganz kleinen an:
bin ich der bevorzugte Erbe, der als erstes eine Impfung braucht?
Und endet längst nicht beim Weltweiten:
Dürfen wir mit dem Erbe von Schöpfung und Natur so umgehen,
dass andere Miterben in die Röhre schauen?
Wenn wir Gott „Abba, Vater!“ nennen,
muss das Folgen haben.
Wenn wir in Jesus Christus unseren Bruder und Herrn erkennen,
muss das Folgen haben.
Wenn wir auf den Heiligen Geist, der Kraft gibt und Mut macht, vertrauen, muss das Folgen haben.
Wie können diese Folgen anders sein
als geprägt von der Botschaft der Liebe
und dem Geschenk der Freiheit?
Ich müsste sie halt auch den anderen zugestehen
– und nicht glauben, ich könnte über das Erbe entscheiden.
Ich müsste mich selber in der Freiheit sehen,
die Gottes Geist mir schenkt.
Und diese Freiheit dem anderen zutrauen.
In unserer Kirche,
ja auch in unseren Gemeinschaften
ist das leider oft nicht der Fall.
Unter Verboten, Unterstellungen, Verleumdungen
leiden viele von uns.
Und doch gilt:
Ich habe den Geist der Kindschaft empfangen,
in der Einmaligkeit meines Lebens will Gott aufscheinen,
macht ER mir Mut, mich selber anzusehen
und den langen bunten Schal meines Lebens.
„Es ist wichtig, dass du dir die Farben deines Schals
und seiner Fäden ab und zu ganz genau ansiehst“, sagt Opa Bär.
„Vielleicht hat dir irgendjemand ein paar trübe, langweilige Fäden gegeben.
Fäden die aussehen wie die Tage,
an denen man am besten gleich im Bett bleibt.
Willst du die wirklich in deinem Schal haben?
Du kannst sie natürlich nicht aus dem Stück nehmen,
das schon gewebt ist,
aber du kannst sie durch neue Fäden ersetzen,
wenn du weiterwebst.“
Entdecken wir die goldenen Fäden der Kinder Gottes,
die Fäden der Liebe und des Mutes.
Und weben wir in sie die bunten Fäden unseres Lebens!
Denn die Verheißung gilt:
„Siehe, ich bin mit euch alle Tage
bis zum Ende der Welt!“
Predigt an Christi Himmelfahrt (13.05.2021)
Predigtvon Abt Aloysius Althaus OSB
Schwestern und Brüder,
wie gut können wir mit den Aposteln fühlen. Jesus, ihr Lehrer und Freund war mit ihnen zusammen. Sie teilten mit IHM ihr Leben. Seine Nähe war wohltuend und sinnstiftend. Vieles lernten sie mit neuen Augen sehen. Neues hat sich ihnen eröffnet.
Dann der grausame Tod. Ein Nicht-Verstehen der Situation. All ihre Hoffnungen sind zerstört. War alles eine Illusion?
Aber dann die glücklich machende Erfahrung: Jesus lebt, er ist nicht tot. Sie dürfen IHN berühren, damit sie die Wirklichkeit seiner Auferstehung im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen können.
Und dann noch ein Abschied. Jesus wird vor ihren Augen emporgehoben und entschwindet ihren Blicken. Wehmütig schauen sie IHM nach. Ihre Augen kleben am Himmel. Nun scheint Jesus endgültig gegangen zu sein.
Zwei Männer in weißen Gewändern holen die Jünger wieder zurück auf den Boden. – Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? –
Als wollten sie sagen: Wenn ihr weiter nach oben schaut, dann kommt ihr hier nicht mehr weiter, dann seht ihr ja hier unten nichts mehr. Ihr steht da wie angewurzelt. Schaut wieder nach unten und bewegt euch! Hier findet euer Leben statt. Ihr habt doch seinen Auftrag gehört, dass ihr sein Wort verkünden sollt an alle Menschen.
Schwestern und Brüder,
das Fest Christi Himmelfahrt wird zum Fest der ganzen Welt, zum Fest unserer Erde, zum Fest des Glaubens, der die Erde lieben darf, weil diese Erde nun in Christus eine Mitte, einen Sinn und ihr großes Geheimnis gefunden hat. Das Fest des Himmels wird zum Fest der Erde, des Jenseits zum Fest des Diesseits, denn nun ist dieses unser Diesseits Raum Gottes geworden, da der ferne Gott durch Jesus und durch seinen Geist, „der in uns ausgegossen ist“, zum nahen Gott und zum Gott unseres Herzens geworden ist.
Angelus Silesius formuliert: Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für.
Für Angelus Silesius ist also der Himmel in mir selbst schon gegenwärtig. Ich muss ihn nur in mir suchen. Ja, näher als in mir selbst kann mir der Himmel nicht mehr kommen.
Und sicher stimmt es: Wenn wir nur nach oben schauen und von weit her auf den Himmel warten, sehen wir wirklich nicht mehr das, was dicht vor unseren Füßen liegt: Das Naheliegende, das, was unser Handeln erfordert, unser lebendiges Zeugnis als Christen, die mit beiden Beinen in dieser Welt stehen und leben.
Schwestern und Brüder,
Christsein heißt Hoffnung haben. Immer war Hoffnung zugleich Wagnis,
Wagnis inmitten vielfältiger Gefahren und Unsicherheiten.
Immer war Hoffen ein Hoffen trotz allem – und zu allen Zeiten gab es Krisen, aber zu allen Zeiten gab es auch, wenn auch manchmal nur wie eine kleine Flamme, die Hoffnung, die auf das Versprechen des Herrn gründete: „Seht, ich bin bei euch bis zur Vollendung der Welt“.
Eine Hoffnung also, die aus der Gegenwart des Herrn lebt!
Deshalb gilt: Nicht auf die Krise starren, sondern immer wieder neu Chancen wahrnehmen, neue Ausblicke wagen, auf Zukunft hin leben.
Vielleicht ist es wieder an der Zeit, einem Wort von Ida Friederike Görres Beachtung zu schenken:
Die Weltgeschichte ist voller Überraschungen und Gott ist nicht bei den stärkeren Kanonen. Was an die Zukunft der Kirche glauben lässt, ist nicht zuletzt das unermessliche Leid ihrer Glieder.
Nun bleibt die Frage, die jede und jeden von uns selbst betrifft:
Was bin ich für ein Christ?
Eine / Einer, der ängstlich auf all das Beunruhigende unserer Zeit starrt und daher keine Kraft hat für die Zukunft des Reiches Gottes in dieser Welt, oder der neue Chancen sieht und wahrnimmt?
Was bin ich für ein Christ? Eine / einer, der ängstlich nach Halt sucht oder der anderen durch seine Zuversicht zu neuer Hoffnung verhilft?
Wer in Gefahr ist, zum Pessimisten zu werden, der sollte einmal auf all das Hoffnungsvolle schauen, das sich um uns ereignet.
Mit dem heutigen Fest treten wir in die große Pfingstnovene ein. Er, Jesus verspricht uns allen den Heiligen Geist. Er ist der Geist, mit dem wir gefirmt worden sind. Er gibt uns die Kraft zum Leben, den Mut zur Nachfolge. Er bewirkt in uns, dass wir Gott in unserem Leben entdecken können und dass wir Jesus in dieser Welt erkennen, ja IHM lebendig begegnen. Er treibt uns an, dass wir nicht nachlassen, uns in dieser Welt, in unseren Gemeinschaften, Gemeinden und Familien für das Gute, für Gerechtigkeit und Frieden, für die Liebe unter den Menschen, also für den Himmel einsetzen.
Wenn wir immer wieder um die Entfaltung des uns geschenkten Heiligen Geistes beten, dann kann er bewirken, dass wir nicht lau werden, sondern dass in all unserem Tun Feuer steckt, dass wir zu feurigen, begeisterten Christen werden. Dann sind wir alles andere als Träumer und Utopisten, sondern Menschen, die Zeugnis geben, nicht abgehoben, sondern mitten drin.
Ja, dann sind wir wie Leuchttürme. Dann werden sicher – und das bewirkt auch Gottes Geist – andere Menschen erkennen und erfahren dürfen: Ja, der Herr lebt. Der Himmel hat jetzt schon hier unter uns Menschen, ja sogar in mir selbst, begonnen.
Ich möchte schließen mit Worten von Wilhelm Willms:
Gott, lass uns nicht ins Leere schauen.
Lass uns nicht in falsche Richtungen schauen.
Lass uns nicht Zeit verlieren.
Gib, dass wir uns nicht vertrösten lassen auf später.
Denn der Himmel ist an Ort und Stelle.
Der Himmel ist zwischen uns.
Der Himmel ist in uns und unter uns.
Der Himmel ist heute und war gestern schon.
Der Himmel wird morgen sein und übermorgen.
Amen.
Predigt am 6. Ostersonntag (09.05.2021)
Predigtvon Br. Balthasar Hartmann OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
vielleicht kennen sie ja auch diese berühmte Filmszene.
Ein Mann, gerade frisch verliebt, tanzt vor Glück durch das nächtliche Hollywood, und das auch noch bei starkem Regen. Der Himmel weint, aber er ist glücklich und verschenkt seinen Regenschirm.
Sie stammt, vielleicht haben Sie es ja schon erraten, aus dem Musical-Klassiker „Singing in the Rain“ aus dem Jahr 1952.
Ein liebenswertes Musical mit beschwingten Songs, voller Witz und Charme und Hoffnung. Wunderbarstes Technicolor-Kino. Wir sehen Gene Kelly, wie er im strömenden Regen singt und steppt und tanzt, und dabei immer leichter wird.
I am singing in the Rain
Ich singe im Regen
Singe einfach nur im Regen
Was für ein wundervolles Gefühl
Ich bin wieder glücklich
Ich lache die Wolken aus
So dunkel und drohend dort oben über mir
Die Sonne ist in meinem Herzen
Und ich bin bereit für die Liebe
Die Zeit, in der der Film in Amerika in die Kinos kam, war keine leichte Zeit. Es herrschte der kalte Krieg, die USA waren im Korea-Krieg, und die Welt stand mal wieder am Abgrund.
Und auch im Film selbst geht es um eine Krise. Er spielt in den Jahren des frühen Hollywood. Das Kino steht vor einem großen Umbruch, und niemand weiß so recht, wie es weitergehen wird. Der Stummfilm wird durch den Tonfilm verdrängt, und viele Menschen in der Filmbranche müssen um ihre Existenz bangen.
Auch das heutige Evangelium handelt von einer Umbruchszeit.
Es ist eine Abschiedsrede von Jesus an seine Jünger und Jüngerinnen.
In mehreren Abschnitten teilt er ihnen sein Vermächtnis mit, für die Zeit, wenn er nicht mehr bei ihnen sein wird.
Der Abschied liegt in der Luft, aber für die Jünger ist er noch nicht begreifbar. Auch hier ist die Unsicherheit zu spüren.
Im heutigen Teil des Evangeliums steht die Liebe im Mittelpunkt und wird von Jesus als das wesentlichste Gebot benannt, an das man sich halten soll.
Ein Freund verabschiedet sich von seinen Freunden und gibt ihnen das mit: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe!“
In den vergangenen Monaten haben viele von uns erleben müssen, wie es sich anfühlt, wenn wir von einem Menschen auf Zeit oder sogar für immer Abschied nehmen müssen. Eigentlich kurze Entfernungen wurden durch Kontaktbeschränkungen zu unüberwindbaren Mauern, Menschen sind gestorben, ohne dass wir sie noch einmal sehen konnten. Über drei Millionen Menschen sind bisher weltweit an Covid19 verstorben, unzählige erkrankt.
Wir alle haben erlebt, wie wichtig uns die Nähe, der Kontakt zu anderen Menschen ist, besonders zu denen, die wir lieben. Wir haben gemerkt, wie uns Nähe oder Geselligkeit fehlen. Auch hier eine Zeit mit vielen Brüchen und Umbrüchen, Abgründen und Ängsten. Eine Zeit, in der wir viel über unser Lieben erfahren haben.
Wir wünschen uns alle so sehr, dass diese unsichere Zeit bald zu Ende sein wird. Jeder hat einen Traum vom Ende dieser Pandemie, und was er dann machen wird.
Trotz so mancher dunklen Wolke am Himmel macht uns gerade jetzt der Frühling wieder Hoffnung.
Denn da wo dunkle Wolken zu sehen sind, da kann es auch regnen, und dieser Regen kann neues Leben bringen.
Ein englisches Sprichwort sagt: No rain, no rainbow.
Wo kein Regen ist, da gibt es keinen Regenbogen.
Tränen können heilsam sein, und der Regenbogen ist das Zeichen des Neuanfangs und der Verbundenheit.
Der Monat Mai steht besonders für dieses Aufblühen des neuen Lebens und für die Hoffnung des sichtbaren Neubeginns, und er wird nicht ohne Grund auch als der Monat der Liebenden bezeichnet. Erich Kästner nannte ihn einmal den Mozart der Monate.
Gerade jetzt im Monat Marias können wir besonders erleben, wie groß die Kraft des Neuerblühens ist.
Über Nacht ist alles grün und blüht. Die Natur tanzt, oder wie es der Mystiker Thomas Merton sagt: Der Kosmos
tanzt.
Das Leben wird in der Natur überall sichtbar, und in seiner Schönheit erfahren auch wir, dass unser Ursprung aus der gleichen göttlichen Kraft stammt. Wir alle sind eine Schöpfung aus Liebe, und dieser Ursprung ist unser Anfang und Ende. Wenn wir den Kosmos tanzen sehen, dann sehen wir Gott tanzen.
Wir wissen nicht, warum es die Abgründe im Leben gibt, die schmerzlichen Umbrüche, aber wir haben in den Wochen seit Ostern erlebt, dass es die Gewissheit gibt, dass Jesus sich für uns hingeben hat und in unsere Abgründe hinabgestiegen ist, und dass aus dem Abgrund des Todes seine Auferstehung gewachsen ist.
Wir durften glauben lernen, indem er uns in seine Wunden fassen ließ.
Das Geschenk seiner Liebe, das Geschenk seiner Freundschaft ist zum lebenspendenden Regen, zum Segen für uns alle geworden.
Für die, die gegangen sind, für die Hiergebliebenen, und für die, die kommen werden.
„Nicht ihr habt mich erwählt,
sondern ich habe euch erwählt
und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt
und dass eure Frucht bleibt.“
Predigt am 3. Ostersonntag (18.04.2021)
Predigtvon Br. Benjamin Altemeier OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
eben noch in Emmaus begegnet Jesus, der Auferstandene den Jüngern beim Brotbrechen, und sogleich entschwand er ihren Blicken. Jetzt in Jerusalem tritt er in ihre Mitte und sagt ihnen: Friede sei mit euch. Sie aber glaubten, es wäre ein Geist. Und dann die dringende Bitte Jesu, ihn als leibhaftig zu begreifen, ihm sogar Fisch zu essen zu geben. Warum ist das dem Auferstandenen so wichtig? Jesus geht es nicht darum zu demonstrieren, dass er wirklich auferstanden ist, sondern dass eben der geschichtliche, konkrete Jesus aus Nazareth erstanden ist.
Ich glaube, dass die Kontinuität von Leben, Leiden und Auferstehen seiner Person wichtig ist. Ein Geist ist nicht leidensfähig. Ein Geist trägt keine Wundmale. Ein Geist erscheint und entschwindet und ist eben nicht radikal herabgestiegen aus den Himmeln und geblieben, um zu leben, um zu leiden und um auferweckt zu werden.
Der Auferstandene ist zugleich auch der historische Jesus von Nazareth. Untrennbar. Warum ist das so wichtig? Weil der Auferstandene und in den Himmel hinaufgestiegene und der als Richter wiederkommende Christus auch der historische Jesus von Nazareth ist. Und da ist es noch einmal hilfreich, sich zu erinnern, was diesen historischen Jesus ausmacht. Es ist der, der auf die Aussätzigen zugeht und sie heilt. Es ist der, der uns aufruft zur Feindesliebe und zum Verzicht auf Verurteilung. Es ist der, der uns ermahnt zur wahren Frömmigkeit, die nicht den Splitter im Auge seines Bruders, seiner Schwester sieht, sondern den Balken im eigenen Auge wahrnimmt und so der Selbstgerechtigkeit entflieht. Es ist der, der uns aufruft, Früchte zu bringen. Es ist der, der sich von der Sünderin salben lässt, es ist der, der uns die Angst nehmen möchte in den Stürmen unseres Lebens. Es ist der, der am Sabbat heilt und so die Liebe über das Gesetz stellt und nicht zuletzt der, der dem Verlorenen nachgeht, bis er es findet.
Der Auferstandene ist eben auch der Leidende und damit fähig zum Mitleiden. Daher sind die Wundmale so wichtig – sei es bei Thomas, sei es in der heutigen Perikope.
Und Jesus, der Auferstandene hat Anliegen an die Jünger damals und auch an uns heute. Da ist zuerst das Anliegen: Friede sei mit Euch. Nun, das kennen wir ja aus der Liturgie. Der Friede sei mit Euch. Aber ich muss gestehen, dass ich es manchmal einfach überhöre. Und worin soll dieser Friede bestehen? Was macht einen befriedeten Menschen aus? Ich glaube, dass es der Mensch ist, der eben in der Nachfolge auch des historischen Jesus steht. Der nicht auf Vergeltung aus ist, der nicht der Selbstgerechtigkeit nachgibt, der in der Hoffnung auf die Liebe Gottes die Angst im Leben zurückstellen kann in der Hoffnung auf die eigene Auferstehung.
Das zweite Anliegen ist es, den Jüngern den Sinn der Schrift zu eröffnen. Die Botschaft Jesu ist nicht am Kreuz gestorben und begraben worden, sondern die Botschaft Jesu ist nach seinem Leiden am dritten Tage auferstanden, und so lebt sie bis heute.
Das dritte Anliegen ist die Umkehr. Liebe Schwestern, liebe Brüder, nicht stehenbleiben, sondern sich in Bewegung setzen. Nicht resignieren, sondern ändern, was zu ändern ist. Umkehr ist, bei mir selbst zu beginnen und nicht auf die anderen zu warten. Auf unseren Wegen gibt es Umwege, auch Sackgassen. Das ist alles nicht tragisch. Wir müssen nur umkehren und dann weitergehen. Wir dürfen Jesus auf unseren Wegen nicht aus dem Blick verlieren.
Das letzte Anliegen an die Jünger lautet: Damit ihre Sünden vergeben werden. Wenn wir Jesu Leben, Leiden und Auferstehen in den Blick nehmen, dann werden uns die Sünden vergeben werden. Dann ist unsere Schuld getilgt. Dann können wir sagen:
Die Erlösten des Herrn werden wiederkehren und gen Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Diese Verheißung des Jesaja ist mit der Auferstehung Jesu erfüllt. Zugleich aber haben wir nicht einen Hohepriester, der nicht mit unseren Schwächen mitfühlen könnte, sondern der in allem versucht ist in ähnlicher Weise, doch ohne Sünde – so heißt es im Hebräerbrief.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Manchmal mutet uns die Zeit viel zu. Manchmal habe ich das Gefühl, es bewegt sich nichts. Nicht einmal in der Natur. Nicht in der Pandemiebekämpfung, nicht in der Kirche, nicht in Gesellschaft und Politik. Was bleibt uns?
Die Hoffnung, dass der Auferstandene, der zugleich gelitten hat, mit uns fühlt und uns auf unseren Wegen begleitet.
Der Glaube, dass alles Leiden und Sterben in die Auferstehung Jesu münden wird.
Die Liebe, die uns Jesus Christus erwiesen hat, durch sein Leiden und seinen Tod, also durch seine Hingabe an uns Menschen, und der daraus folgende Auftrag an uns, einander auch die Liebe zu erweisen. Amen.
Predigt am Zweiten Ostersonntag (11.04.2021)
PredigtLesung: 1 Joh 5,1-5
Evangelium: Joh 19,19-31
von P. Abraham Fischer OSB
„Unserm Herzen soll die Stunde ewig unvergesslich sein. Mit dem Herzen, mit dem Munde schwören wir Gott treu zu sein. Dieses Tages, dieser Pflicht wollen wir vergessen nicht…“
Viele von uns – liebe Schwestern, liebe Brüder – kennen diesen Satz.
Als ich vor 47 Jahren selber in einem wunderschönen Samtanzug mit Rüschenhemd – es waren die 1970er Jahre – gemeinsam mit über 40 Erstkommunionkindern die Altarstufen hinaufschritt, da sangen wir genau dieses Lied und waren sehr im Herzen berührt davon.
Der „Weiße Sonntag“ trägt diesen Namen vermutlich, weil die an Ostern Neugetauften eine Woche lang die weißen Taufgewänder trugen und auf diese Weise verinnerlichen konnten, welchen Weg sie an Ostern eingeschlagen hatten. So kann auch uns, die wir als Kinder zur Erstkommunion gingen, dieser Name an unseren Glaubensweg erinnern. Wir könnten diese Erinnerungen und ihre in der Tat unvergessliche emotionale Tiefe nutzen, um innezuhalten und um über den Stand der Dinge nachzudenken.
Denn Erinnerung vertut eine große Chance, wenn sie nur als Vergangenheit wahrgenommen wird. Das ist Nostalgie. Letztendlich sind große Teile unserer Psyche nichts anderes als gespeicherte Erinnerungen, die uns – mit Gefühlen verknüpft – motivieren und begeistern oder auch hemmen und bremsen. Das sind die großen Leistungen der Psychoanalyse, dass sie den Menschen aus seiner ureigenen persönlichen Biographie wahrnimmt und deren positive wie leider auch negative Auswirkungen auf die Gegenwart verstehen lehrt.
Erinnern oder präziser verlebendigen ist der Grundzug allen Glaubens. Weil Religion an sich umfassend – also wahrlich katholisch – ist, kann man diesen Zug in fast allen Religionen finden. Die Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam überliefern Texte und vor allem Geschichten, wie Menschen in der Vergangenheit ihren Glaubensweg gegangen sind. Sie teilen mit, was Menschen vorderer Generationen bewegt hat, wie sie Leben bewältigen konnten, wie sie Freude veränderte und wie sie durch Leid und Endlichkeitserfahrung geprägt immer wieder Schritte zum Leben fanden. Die Geschichten Gottes mit den Menschen und die Erzählung über Jesus den Christus bewegen nach wie vor viele suchende Menschen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, historische Fakten zu tradieren, sondern es geht eher darum, Zeugnisse und persönliche Erfahrungen für andere fruchtbar zu machen. Religion kann nicht objektiv sein sondern sie ist immer ein persönlicher Weg.
Es geht im Glauben nicht mehr nur um ein Erinnern persönlicher Erfahrungen, sondern vielmehr um ein kollektives Gedächtnis menschlichen Lebens und Ringens. Sie befördert Menschheitserinnerung. Unzählige Erfahrungen von Menschen bilden sozusagen das Menschsein an sich ab und wir einzelne können daraus wieder Wege für das eigene Leben finden, wie auch eigene Erfahrungen deuten und umfassender verstehen.
Der Glaubensweg des Thomas wird uns im heutigen Evangelium erzählt. Der Inhalt ist schlicht und schnell begriffen: Die Jünger machen eine außergewöhnliche spirituelle Erfahrung: Sie begegnen dem totgeglaubten Jesus. Er kommt durch verschlossene Türen und erreicht die erstarrten Herzen der Jünger. Durch diese Erfahrung – was immer das auch war – kommen sie in neues Leben und erfahren, dass Tod und Leben durch eine Glaubensbrücke verbunden sind. Die Jünger bestellt Jesus zu Brückenbauern – zu Pontifices. Thomas verpasst das – aus welchem Grund auch immer. Als die anderen ihm berichten, weigert er sich, ihnen zu glauben. Erst als er dieselbe Erfahrung macht wie die anderen, kann er seine Vorstellungen ändern: Sein Todesglaube wird zum Lebensvertrauen!
Es gibt Dinge, die uns zu Ohren kommen und die einfach unfassbar bleiben. Das kennen wir aus der eigenen Erfahrung. Dann besteht die Herausforderung darin, jenen zu glauben, die die Zusammenhänge berichten. Im Gericht spricht man von Zeugen, die einen Tathergang schildern und dem Richter Rede und Antwort zu stehen haben.
Das ist keinem Menschen fremd: wir kennen das aus unseren inneren Gerichtsdialogen, die wir führen. Da gibt es immer viele Stimmen und Aspekte. Manchmal wird es daher schwer, sich zum Tun durchzuringen.
Thomas‘ Einwände spiegeln unsere Seele wieder! Er ist ein Beispiel für unsere eigene Suche, für unser Ringen um Vertrauen. Thomas ist – wie übrigens alle Jünger und Apostel – gerade in seiner Gebrochenheit – ein Bild des Menschen, wie er nun einmal ist. Immer wieder verpasst er wichtige Situationen und braucht seinen persönlichen Weg der Vergewisserung. Die Geschichte mit den Wundmalen wiederholt sich bei der Aufnahme Mariens in den Himmel. Er ist nicht dabei und soll den Jüngern glauben. Erst als Maria ihm erscheint und ihm als materiales Zeichen ihren Gürtel zuwirft, glaubt er. Die wunderschöne spätromanische Skulptur des Thomas in unserem Kapellenkranz bildet das ab.
Und Gott? Was macht Gott mit den Thomasmenschen? Wir Menschen verzweifeln immer wieder an den Grüblern. Sie scheinen permanent zu bremsen und haben auch immer etwas Urtrauriges an sich. Nicht selten stehen sie eher außerhalb der Gemeinschaft.
Das ist der Trost: Gott reagiert nicht menschlich, sondern wahrlich göttlich, indem er sich selber treu bleibt und sich damit als der höchste Vertrauenswürdige zeigt. Das wird in Jesu Tun deutlich. Er verbirgt sich nicht etwa vor Thomas, sondern er zeigt sich Thomas und erfüllt ihm sogar den Wunsch, sich von ihm berühren zu lassen. Es wird an keiner Stelle der Schrift berichtet, dass der Auferstandene angefasst wird – nur in den Thomasgeschichten. Zur weinenden Maria Magdalena sagt er „noli me tangere“ – fass mich nicht an – halte mich nicht fest. Thomas wird diese Bitte erfüllt, nicht nur weil er dadurch zum Glauben kommt, sondern weil er anscheinend einer ist, der einmal Erkanntes nicht mehr festhalten muss. Er ist ein Handfester. Sein Glaube ist am Schluss tief und stark und er wird zu einem großen Zeugen des Glaubens an den lebensspendenden Gott. Er hat andere begeistert und es wird ihm zugeschrieben, den indischen Kontinent mit der Botschaft der Auferstehung in einer sehr eigenen Art missioniert zu haben. Wie alle Apostel – gebrochene, endliche Menschen – ist er am Ende für die Botschaft gestorben.
Glaube erwächst eher nicht aus uns selbst, sondern wir werden angesteckt – in diesen Tagen der Pandemie ein zwielichtiges Wort, ich weiß – aber wir werden angesteckt von Menschen, die Glauben authentisch leben. Es beginnt ein Weg. Und oft glimmt das Feuer nur schwach… wir können aber zu einem Oster-Feuer werden, dass die Nacht erhellt. Amen. Halleluja!
Predigt am Ostersonntag (04.04.2021)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
„Stell dir vor, es ist Ostern, und keiner geht hin. Weil uns keiner mehr glaubt, dass wir der Fülle des Lebens verschrieben sind. Weil wir zwar das Leben schon vor der Geburt und am Ende mit Pathos verteidigen, aber zu wenig leidenschaftlich das lieben, was dazwischen – und zwar ziemlich bunt – ist, lebt und leben dürfen will.“
So schreibt es Markus Nolte, Chefredakteur der Münsteraner Kirchenzeitung Kirche+Leben und in unserer Abtei kein Unbekannter, in einem sorgenvoll-frommen Zwischenruf zur Karwoche. Und bringt damit ziemlich genau das auf den Punkt, was mich schon seit Wochen beschäftigt.
Wie können wir Ostern feiern, wenn die Zustände in Welt, Gesellschaft und Kirche der „Fülle des Lebens“ diametral entgegengesetzt sind?
Wie können wir vom Segen Gottes sprechen, der an Ostern so machtvoll erneuert wurde, wenn ein gefühlloser Machtapparat diesen Segen, diese Gutheißung der Schöpfung durch Gott selbst, an Bedingungen knüpfen will und ihn – welche Anmaßung – Menschen, die sich aufrichtig lieben, verweigert?
Wie können wir das Leben feiern, wenn unzähligen Menschen, die in der Kirche Opfer sexualisierter Gewalt wurden, so lange nicht zugehört wurde und ihnen damit zum wiederholten Mal das Leben verweigert wurde?
Wie können wir das Halleluja singen, wenn unzählige Menschen auf der ganzen Welt erkranken, oft mit immensen Spätfolgen, ja sogar sterben und der Politik anscheinend das wirtschaftliche Funktionieren wichtiger ist als die Sorge um die Schwachen?
Können wir angesichts dieser Ereignisse überhaupt ruhigen Gewissens Ostern feiern, das Wunder der Auferstehung, das Fest des Lebens? Ist es nicht ein Hohn, angesichts solcher Ereignisse von der Liebe zu sprechen, die den Tod besiegt hat? Müssen wir nicht vielmehr beim Karfreitag bleiben, beim Tod am Kreuz, beim Leiden so vieler unschuldiger Menschen? Oder einfach den Karsamstag aushalten, den Tag der Grabesruhe, des Schweigens? Ist nicht jedes Wort ein Wort zu viel?
Je lauter diese Gedanken in mir wurden, desto mehr drängte sich ein anderer Gedanke auf, der sich nicht zum Schweigen bringen ließ: Nein, gerade TROTZ der scheinbar aussichtslosen Lage der Kirche, TROTZ des unermesslichen Leids und TROTZ des katastrophalen Zustands unserer Welt dürfen wir gerade nicht verstummen. Noch nie war es wichtiger, die Botschaft des Lebens und der Auferstehung zu verkünden als heute. Nicht am Karfreitag und am Leid der Menschen vorbei. Auch Jesus ist mit den Wundmalen, den Zeichen seines Leidens, auferstanden. Er ist nicht als strahlender Held in die Wirklichkeit Gottes eingegangen, sondern als vermeintlich Gescheiterter am Kreuz. Wenn wir angesichts des Zustands unserer Welt und unserer Kirche schweigen würden, dann hätten die triumphiert, die alles beim Alten lassen möchten, ja dann hätten sie noch einmal über die Opfer von Gewalt und Tod triumphiert. Wir dürfen uns unsere Botschaft der Hoffnung nicht nehmen lassen.
Das Osterevangelium zeigt, dass die Botschaft der Auferstehung nicht plump und triumphalistisch daherkommt, sondern mitten durch das Leid der Menschen hindurchgeht und dabei die leisen Töne bevorzugt. Jesus ist nicht am Tod vorbei auferstanden, sondern mitten durch den Tod hindurch. Seine Wundmale bleiben. Maria von Magdala ist frühmorgens zum Grab gekommen, „als es noch dunkel war“. Sie ist nicht gekommen, um einem Lebenden zu begegnen, sondern um einen Toten zu salben. Petrus und Johannes haben nur die Zeichen des Todes gesehen, die Leinenbinden und das Schweißtuch – sie kehrten nach Hause zurück, ohne den Lebenden gesehen zu haben.
Und: es fließen Tränen. Maria darf weinen, sie darf all ihre Trauer herauslassen, muss sie nicht herunterschlucken. Die Trauer um den Verstorbenen, um all das Unrecht auf dieser Welt darf sein. Und in diese Trauer hinein geschieht Begegnung. Mitten in die Tränen, in das Leid hinein ruft Jesus sie beim Namen. Und er gibt Maria den Auftrag, die Botschaft des Lebens weiterzusagen, TROTZ des Leids Botin der Hoffnung zu sein. Maria schweigt nicht, sie leistet dem Unrecht und dem Leid Widerstand.
Ja, wir dürfen heute Ostern feiern. All dem Leid auf der Welt, all der physischen und psychischen Gewalt dürfen, ja müssen wir unser HALLELUJA entgegensingen. Den Geschichten des Todes und der Verzweiflung zum Trotz müssen wir die Geschichten des Lebens und der Hoffnung erzählen. Das HALLELUJA mag in diesem Jahr leiser erklingen, stiller – aber es wird erklingen.
Markus Nolte schreibt am Ende seines Zwischenrufs: „Diese Woche könnte alles ändern. Sie hat es schon einmal geschafft, mindestens. Stell dir vor.“
Die Kölner Rockband Brings hat in der letzten Karnevalssession ein Lied geschrieben, das für mich den Nerv dieser Zeit trifft. Sie ermutigt uns dazu, das ALAAF, den Kölschen Karnevalsruf, auch in diesem Jahr zu singen, „vielleicht ein bisschen stiller“. Sie ermutigt uns dazu, gegen die Verzweiflung anzusingen, „denn sonst sind wir verloren“. Sie ermutigt uns dazu, ein Licht anzuzünden gegen die Hoffnungslosigkeit und Angst unserer Zeit, so wie wir gestern die Osterkerze entzündet haben, die unser Bruder Justus in den Farben des Regenbogens gestaltet hat, DES Symbols der christlichen Hoffnung. Ich erlaube mir, den kölschen Ruf der Freude, das Alaaf (beim Helau wird es noch deutlicher) mit dem österlichen Ruf der Freude HALLELUJA zu übersetzen:
Sieht es auch so aus, als ginge die Welt gerade unter
Mach ein Licht an
Nichts bleibt, wie es war, alles drunter und drüber
Mach ein Licht an
Ein Licht für die Stadt
Und ein Licht für die Menschen
Denn wir glauben daran
Das Leben kehrt zurück
Und wir singen Halleluja, vielleicht ein wenig stiller
Und das, was mal war, kommt ganz bestimmt bald wieder
Komm, wir singen Halleluja, denn sonst sind wir verloren
Und wir singen ganz zart für ein besseres Morgen
Wie ein kleines Kind, das im Keller Angst hat
Mach ein Licht an
Doch wir kommen da durch, schau, es wird schon heller
Mach ein Licht an
Ein Licht für die Guten
Und ein Licht für die Schlechten
Ein Licht für die Krummen
Und für die Gerechten
Und ich singe Halleluja, vielleicht ein bisschen stiller
Und das, was mal war, kommt ganz bestimmt bald wieder…
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Predigt in der Osternacht (03.04.2021)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
„Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ – Die gerade gehörten Verse bildeten ursprünglich den Schluss des Markusevangeliums. Erst deutlich nach der Erstverfassung fügten andere Autoren noch einige Verse an – sie berichten von verschiedenen Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus.
Ursprünglich also am Ende: Schrecken, Entsetzen und eine Flucht – keine Freude über den auferstandenen Jesus, kein Alleluja und kein Osterjubel. Noch dazu erfüllen die drei Frauen nicht den Auftrag, den sie im Grab erhalten haben: Sie gehen nicht zu den Jüngern und Petrus und berichten ihnen nicht – schlimmer noch: „Sie sagten niemandem etwas davon.“
Dieses Ende ist ein unerwarteter Paukenschlag, den man später – wie erwähnt – dämpfte. Das lässt aufhorchen: Endet so ein Evangelium, eine frohe Botschaft? Das Evangelium von Markus ist das älteste – es steht Jesus am nächsten – das verleiht ihm besondere Qualität. Warum gibt Markus sein Evangelium so aus der Hand?
Wer als Leser oder Hörer am Ende des Evangeliums angekommen ist, hat erfahren wie dieser Jesus von Nazareth gelebt hat, was er getan hat, was ihm wichtig war, was er verkündete. Und er steht noch ganz unter dem Eindruck der brutalen Hinrichtung am Kreuz und der Grablegung – davon wurde direkt vorher berichtet.
Dieses mörderische Ende hatte Jesus selbst mehrfach angekündigt, was seine Jüngerschaft ignorierte – besonders Petrus hatte es heftig bestritten. Da überrascht es auch nicht, dass in der Katastrophe der Kreuzigung alle Jünger geflohen sind. Nur die drei Frauen aus seiner Bewegung – (Wo sind eigentlich die Männer?) – nur sie hatten zumindest aus der Ferne das furchtbare Geschehen beobachtet – sie stehen am Ende des Evangeliums im Mittelpunkt.
So tapfer die Drei auch sind, als sie in aller Frühe zum Grab Jesu aufbrechen – so liegen sie doch mehrfach daneben: Sie wollen den toten Jesus salben – doch dafür sind sie zu spät – Jesus ist schon begraben. Zudem hatte eine Frau ihn kurz zuvor bereits mit kostbarem Nardenöl gesalbt. — Dann der ausdrücklich sehr große Stein vor dem Grab – für die drei Frauen allein ein unverrückbares Hindernis. — Und schließlich suchen sie einen Toten – auch sie hatten der Ankündigung seiner Auferstehung keinen Glauben geschenkt. Ihre Realität wird vom offenen und leeren Grab mit dem jungen Mann darin zerstört. Und sein Auftrag, die Jünger zu Jesus nach Galiläa zu schicken, überfordert sie vollkommen, damit können sie überhaupt nicht umgehen.
An dieser Stelle legte Markus das Evangelium aus seiner Hand und lässt uns damit weiterleben – er legt es in unsere Hände. Sein markanter Schlusspunkt kann für uns ein weiterführender Doppelpunkt werden: Wenn die Frauen den Auftrag, den sie im Grab erhalten haben, nicht erfüllen, dann – so will er uns anbieten – ist es an uns, das zu tun. Wir sind dazu berufen, den Auftrag zu erfüllen, wir sollen nach Galiläa aufzubrechen, wir sollen Menschen von der Auferstehung Jesu, seinem Vorausgehen und seiner neuen Gegenwart berichten.
In Galiläa hatte alles mit Jesus begonnen, von dort waren sie mit ihm nach Jerusalem gezogen, dort war ihre Heimat und ihr Alltag. Dahin geht er ihnen – und uns – voraus, nicht nur geografisch geht es wieder dorthin hinab. Weil Jesus vorausgeht, bleiben alle in der Nachfolge. Galiläa steht für den Grund des Lebens, für Existentielles – so wie das Leben nun mal ist. Hier wird Jesus gegenwärtig, wenn Menschen in seinem Sinn leben – und was das bedeutet, ist am Ende des Evangeliums allen gesagt. Besonders den Gescheiterten gilt diese Zusage – ausdrücklich wird Petrus erwähnt, der mit der Verleugnung Jesu kürzlich vor der Kreuzigung so versagt hatte.
In einer Nacht haben auch wir uns hier versammelt. Ihr Dunkel steht auch für unser Inneres, das – einem Grab gleich – schon physisch dunkel ist. Unsere Seele kann sich verdunkeln, sie kann sich anfühlen wie ein Grab – mit schwerstem Stein verschlossen. Zweifel oder gar Verzweiflung bohren dann schmerzhaft in uns. Die Nacht ist auch bevorzugte Zeit des Bösen: Jesus war in einer Nacht verraten worden. Sie ist Raum entlarvender Nacktheit des Menschen – da hilft es nicht mehr, etwas zu machen oder gar sich vorzumachen. In diese existentielle Grabesnacht steigt Jesus hinab und Gott ganz in ihm um sie von innen her zu erleuchten. Auch wir können in uns einen Raum des Vertrauens, sogar persönlichster Intimität öffnen – Gottes Gegenwart will in uns aufgehen wie ein neuer Morgen. Das kann ganz zaghaft beginnen – so wie die eine kleine Flamme, die wir zu Beginn dieser Feier in die Kirche getragen haben. Sie ist auch ein Symbol der Verletzbarkeit des Menschen und seiner Rechte: Ein kleiner Stoß – und schon ist das Lebenslicht dahin. Enge und Angst treiben kleine und große Diktatoren – mitunter auch uns – sie urteilen und verurteilen, grenzen und löschen Leben aus – auch jetzt in dieser Nacht.
Das menschlich-göttliche Licht, das mit Jesus in diese Welt gekommen ist, wirbt – zart und schwach – um uns. Es will uns gewinnen und zeigt äußerlich, was wir alle im Innersten sind: Kinder und Geschwister des Lichtes. Diese kleine Flamme hat den ganzen Raum erfüllt! Als wir sie hereintrugen, war sie schon von überall her sichtbar. Schon physikalisch gilt: Nie löscht Dunkelheit das Licht – immer erhellt Licht die Dunkelheit – vielleicht schwach oder nur glimmend – aber doch existent. Es ist an uns, das Licht durch miteinander Teilen zu vermehren in eine ernsthaft gefährdete Welt.
Wie kraftvoll konkret und positiv verwandelnd das wirken kann, zeigt ein Rückblick in den Herbst 1989. Da standen unsere ostdeutschen Landsleute auf und protestierten für Reformen, Freiheit und Demokratie. Die Staatsmacht verweigerte den Dialog und ließ Polizei und Militär zur gewaltsamen Unterdrückung auffahren. Aus Kirchen heraus zogen die Menschen mit Kerzen in den Händen auf Straßen und Plätze. Kleine Kerzen dämpften die Wut, stärkten die Solidarität und stützten die Friedfertigkeit der Menschen. Sie selbst strahlten ruhige Souveränität aus und entspannten die aufgeheizte Lage, die zu einem Blutbad eskalieren konnte. – Später äußerte sich ein ehemaliger Staatsfunktionär dazu so: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen.“
Die frohe Botschaft aus dieser Nacht ist: Tote Sackgassen können zu Lebenswegen aufbrechen – trotz allem. Sogar der Tod wird – von Gott her – zu einer Lebensgeburt. Dieses Wunder aller Wunder wurde in Jesu Auferweckung unüberbietbar offenbart – und sehr konkret kann dieses Wunder weitergehen. Das ist eine echte Zu-Mutung – wachsender Mut ist möglich, das ist auch ein Gebot unserer Würde. Jeder Mensch ist frei und deshalb verantwortlich – jeder Mensch kann anfangen, Teil der Wandlungsbewegung vom Tod zum Leben zu werden. Es beginnt mit ersten Schritten, so begann auch der Weg mit Jesus.
Der Auftrag aus dem Grab lautete: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Dieser Auftrag ist jetzt an uns gerichtet! Kurz und gut: Selbst aufbrechen, losgehen, auf Menschen zugehen, mit ihnen kommunizieren und offen sein für himmlische Überraschungen. Dann bietet uns das Leben irdische Lösungen an, die wir nicht für möglich hielten.
Das ist ein Grund zum Feiern in ein glänzendes Morgen hinein – bei Nacht fangen wir damit an – und alle sind eingeladen! Es wird – nein, es ist schon eine Freude – unbeschreiblich …
Predigt an Karfreitag (02.04.2021)
Predigtvon Abt Aloysius Althaus OSB
Das Kreuz auf Golgota ist erhöht. Vollbracht ist, was befohlen war. Der Verurteilte, der Geschundene, der Gestrafte hängt am Holz.
Er haucht seinen Geist aus: „Es ist vollbracht!“
Schwestern und Brüder,
die Passionserzählung des Evangelisten Johannes wiegt schwer.
Alle Gefühlslagen werden sichtbar, zu denen der Mensch fähig ist: Neid und Eifersucht, Verachtung und Spott, Mitleid und Trauer, Macht und Ohnmacht.
Am eindrücklichsten sind zwei Gegensätze: abgrundtiefer Hass und unzerstörbare Liebe.
Da ist zunächst der Hass, dieses innerste Gefühl, das wir alle kennen dürften. Bei den Menschen damals hat es sich aufgestaut. Vor allem die religiösen Führer sind im Innersten aufgebracht gegen jenen Mann aus Nazareth, dem die Massen nachlaufen und der eine Botschaft verkündet, die alles auf den Kopf stellt. Er predigt von der Freiheit der Kinder Gottes und überschreitet dabei alle Grenzen der Gesetze. – Er wendet sich den Kranken zu und macht sie heil im Tiefsten ihrer Seele. – Er hält sich an keine Rangordnung und stellt die Hierarchie der Gelehrten infrage.
Die religiösen Führer des Volkes Israel sind voller Groll. Dieser Jesus schadet ihnen zutiefst. In ihnen wächst der Hass, ein Hass, in dem sich so vieles bündelt, was auch uns vertraut ist: Angst um die eigene Stellung und Machtversessenheit. – Wo immer Menschen von diesen Gefühlen regiert werden, da ist das Urteil über andere schnell gesprochen.
Für die Führer des Volkes ist es nicht schwer, das Volk für ihre eigenen Zwecke aufzuwiegeln. Jesus muss sterben. Er hat sie getäuscht, das verzeihen sie ihm nie. Und so sammeln sich am Ende alle negativen Gefühle der Hohenpriester und des Volkes in dem einen Ruf, der bis heute durch Mark und Bein geht:
„Ans Kreuz mit ihm!“
Schließlich gibt es noch den, der über Recht und Unrecht entscheiden könnte: Pilatus. Er könnte dem Hass der Menschen sein gerechtes Urteil entgegensetzen. Er könnte die Unschuld Jesu amtlich machen. Aber er weiß, dass der Hass der Meute dann ihm selbst gilt. Auch das dürften wir kennen: Wie viel Standhaftigkeit es braucht, um für das Recht einzustehen gegen den Hass der Menschen. Pilatus knickt ein. Und so nimmt der Kreuzweg seinen Lauf, weil keiner ihm Einhalt gebietet.
Rudolf Otto Wiemer schreibt:
Der den Wein austeilt, muss Essig trinken,
der die Hand nicht hebt zur Abwehr, wird geschlagen.
Der den Verlassenen sucht, wird verlassen,
der nicht schreien macht, schreit überlaut.
Der die Wunde heilt, wird durchbohrt,
der den Wurm rettet, wird zertreten.
Der nicht verfolgt, nicht verrät, wird ausgeliefert,
der nicht schuld ist, der Unschuldige wird gequält.
Der lebendig macht, wird geschlachtet,
der die Henker begnadet, stirbt gnadenlos.
Und Jesus? Er liebt!
Er liebt einfach weiter, egal, was geschieht.
Er ließ sich auch nicht von Anfeindung, Verleumdung, Unverständnis und Todesdrohung davon abbringen. Er antwortete der Unmenschlichkeit mit Liebe, in der Mitgefühl, Verstehen und Vergebung zum Tragen kommen.
Was er immer gelebt hat, das verrät er auch im Sterben nicht. Er lässt sich nicht hinreißen, Gewalt mit Gegengewalt zu vergelten, nicht einmal in der Stunde größter Schmach und Verletzung. Jesus schlägt nicht zurück, auch nicht mit Worten. Er lässt das Unrecht an sich geschehen, das Menschen in ihrem bodenlosen Hass ihm antun.
Sein Weg der Passion war ein Weg der Liebe.
Wie groß ist so eine Liebe!
Wie groß ist der Mensch, der so lieben kann!
Doch diese Erkenntnis ruft oft noch mehr Hass hervor. Aus unserem Sprachgebrauch kennen wir den Ausspruch: Dafür dass ich sie liebe, hassen sie mich.
Wir Menschen wollen oft nicht, dass jemand den Kreislauf des Hasses durchbricht. Wir rechnen mit Gegenwehr und fühlen uns entlarvt, wenn sie nicht eintritt. Wir spüren: Die eigentlich Ohnmächtigen sind wir, weil wir nichts haben als unsere Gewalt.
So war es auch damals. Die Menschen erleben eindrücklich, dass Hass nie siegen kann. Sie können Jesus töten, aber seine Liebe töten, das können sie nicht! Die Liebe wird bleiben, sie wird leben.
Schwestern und Brüder,
schauen wir auf zum Kreuz. Im gemarterten Mann am Kreuz dürfen wir den sehen, der liebt: der seine Peiniger liebt bis zum Schluss; der das aufgehetzte Volk in seine Liebe einschließt und ihm vergibt; der seine Freunde liebt, die ihn verraten oder einfach feige weggelaufen sind. Und Jesus liebt uns. Trotz unserer Hartherzigkeit, mit der wir einander verletzen, trotz unserer Schuld, wenn wir einander Gewalt antun, trotz unserer Missgunst, dem Neid und dem Machtstreben, durch die wir die Lebensmöglichkeiten anderer zerstören. Wir alle sind eingeschlossen in die Liebe Jesu am Kreuz, die uns verwandeln und heilen und erlösen möchte.
Schauen wir auf zum Kreuz, auf die unzerstörbare Liebe unseres Gottes. Sie will uns Mut machen, selbst immer mehr zu Liebenden zu werden. Vergeben, statt aufzurechnen. Freizulassen, statt festzunageln. Gnädig zu sein, statt zu verurteilen. Geduld zu haben, statt kurzen Prozess zu machen.
Schauen wir auf zum Kreuz. Schauen wir auf den Gekreuzigten, er selbst ist unsere Hoffnung, dass Hass und Tod eines Tages vergehen, dass die Liebe aber bleibt.
Lassen wir uns von Jesus mitnehmen auf den Weg der Liebe. Lassen wir immer wieder die Liebe auferstehen zum Leben. Amen.
Predigt an Gründonnerstag (01.04.2021)
Predigtvon Abt Stephan Schröer OSB
Meine Schwestern, meine Brüder,
in einer bedrückenden, verwirrenden und bedrohlichen Zeit feiern wir Gottesdienst, heute am Gründonnerstag. Politische Skandale, Korruption, Gewalt und Elend in vielen Teilen unserer Welt. Die Kirche wie gelähmt angesichts mancher Unglaubwürdigkeit, mancher ungelöster Fragen und mancher interner Erschütterungen, und das begleitet von vielen Menschen, die sich von ihr verabschieden.
Und die Corona-Pandemie, die nun schon lange dauert und wohl noch dauern wird, der Druck der steigenden Zahlen, die Unsicherheit, wie es weiter geht, und all das, was uns im Alltag ganz nah und persönlich berührt. Eine Fülle von Nachrichten stürzt auf uns ein, oft widersprüchlich, oft im nächsten Augenblick von einer neuen Meldung überholt. Oft ist es schwer, sich ein Bild zu machen und eine verlässliche Orientierung zu finden. Eine verwirrende Zeit.
Wenn ich mit Freunden spreche, oder mit meinen Brüdern, spüre ich, wie die Pandemie auch unsere Gespräche begleitet. Durchaus einsichtig ist vieles, was geregelt werden muss, aber auch mancher Unmut und manches Unverständnis ist nicht zu überhören.
Für viele ist es eine schwere Zeit, wenn im nächsten Umfeld jemand „coronabedingt“ erkrankt, wenn es im Beruf nicht läuft, oder in der Ausbildung, in der Schule, im Studium, wenn diese Zeit mir manche Einschränkung zumutet, wenn Reisen nicht möglich sind oder kulturelle Ereignisse oder Familienfeste.
Ganz direkt spüren wir es, wenn alltägliche Kontakte nicht sein können, und Distanzregelungen selbstverständliche Nähe verbieten, wenn man sich nicht treffen, nicht besuchen kann und gemeinsame Unternehmungen gestrichen werden.
Viele sind allein. Viele sind müde, verdrossen und gereizt. Viele sind einsam.
Wir, meine Brüder und Sie, die Sie uns im Internet begleiten, feiern heute Gründonnerstag. Wir feiern in einer leeren Kirche. Das ist für mich kein schöner Anblick, der verlassene große Raum und die leeren Bänke.
Und traurig erinnere ich mich an die früheren Jahre, in denen wir gerade in den Kar- und Ostertagen mit vielen Menschen zusammen sein und feiern konnten, darunter auch die, die immer wieder kamen und für uns ein vertrauter Teil von Ostern waren.
Meine Schwestern, meine Brüder,
Sie, die Sie jetzt über das Internet dabei sind, möchte ich ganz herzlich auch im Namen meiner Brüder begrüßen. Ich möchte uns allen wünschen, dass wir trotz der Distanz etwas von dem Gemeinsamen erfahren dürfen, was uns gerade heute, am Gründonnerstag, miteinander verbindet. Fühlen sie sich in den Kreis unserer Gemeinschaft hineingenommen, so gut es geht.
Ein Mahl feiern wir heute.
Der Apostel Paulus hat uns gerade im ersten Brief an die Korinther daran erinnert, und der Evangelist Johannes. Kurze Texte sind es, aber sehr eindringlich und denen, die sich Christen nennen, vertraut wie kaum andere Worte der Heiligen Schrift.
Johannes erinnert kurz und bündig: „Es fand ein Mahl statt.“
Ein Mahl, das ist Alltag, die Mitte des Alltags. Der Ort, sich zu treffen, sich zu stärken, zu erzählen, gemeinsam zu überlegen und zu planen, zu genießen und zu spüren, wir gehören zusammen.
„Es fand ein Mahl statt.“
Und es war ein besonderes Mahl. Paulus hat es uns gerade erklärt, wenn er sagt:
„Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Tut dies, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.“
Wenn ich in der Bibel lese, sind oft gerade die kurzen Worte, die von Jesus erzählen, auch die, die mich am meisten bewegen und in der Erinnerung lebendig bleiben.
Und noch etwas:
Wir wissen auch, wie oft die Stunden vor wichtigen Ereignissen eine besondere Bedeutung bekommen. Vielleicht erschließt es sich erst im Rückblick. Auch hier wissen wir um die dunklen Tage, die kommen werden: Die Verurteilung Jesu, sein Leiden, sein Tod, und: das Unglaubliche seiner Auferstehung.
Und die Aufforderung „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ fordert unsere Antwort und nimmt uns in die Verantwortung, bis heute. Das letzte Abendmahl Jesu feiern wir als sein Vermächtnis, jetzt, in dieser Stunde, wie so oft.
Gott selbst wählt das Mahl als Zeichen seiner Fürsorge. So kümmert er sich um uns Menschen. Er will uns nah sein und uns stärken. Er lässt uns nicht im Stich
Es geht um die verborgene Gegenwart Jesu in unserer Mitte Nicht umsonst sprechen wir vom Geheimnis unseres Glaubens, um dann zu bestätigen:
„Deinen Tod , o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit.“
Wie gesagt: „Wir“.
Es geht nicht nur um Erinnerung, heute am Gründonnerstag. Erinnerung wird Gegenwart.
Und wenn wir, die Gemeinschaft der Mönche, gleich einen großen Kreis um den Altar, den Ort des Abendmahls, bilden, spüren wir, wie sehr es hier um die Mitte unseres Glaubens geht und uns diese Mitte zusammen bindet. So sehr mich auch unsere leere Kirche in diesem Jahr traurig stimmt, im Wechselspiel der Steinmauern und der Lichtöffnungen erlebe ich ganz neu und klar, wie sehr alles auf den Altar hin ausgerichtet ist, wie unsere Kirche um diesen Altar herum gebaut ist und den Blick frei gibt auf das, was wir heute feiern. Gemeinschaft in Gottes Gegenwart.
„Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Das fordert unsere Antwort.
Und wenn der Evangelist Johannes menschlich anrührend davon erzählt, dass Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht und sie so einlädt, einander zu dienen, unterstreicht das für mich noch einmal, wie sehr Gottes Gegenwart seinen Ort in unserem Alltag hat, mit uns zu tun hat, und wie sehr wir in der Pflicht sind, diesen Alltag zu gestalten, durch unseren Dienst.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir feiern Gründonnerstag in der Zeit der Pandemie. Wir feiern in einer leeren Kirche. Wir feiern in einer schweren Zeit. Müde fühlen wir uns vielleicht, gereizt und einsam.
Andererseits feiern wir die bergende Gegenwart Gottes. Das hat mit Trost zu tun und mit der Ahnung, ja der Sehnsucht, was Alltag, was Leben in seinem Reichtum sein kann Und mit der Gelassenheit, daran mitwirken zu dürfen. Das Abendmahl Jesu mit den Jüngern, ein immer neuer Beginn zu einer gastlichen Welt.
In diesen Tagen werden es wahrscheinlich nur ganz kleine Schritte sein, die wir gehen können. Der aufmerksame Blick auf die, die einsam sind, und dankbar sind für einen Gruß, einen Besuch oder ein Gespräch, eine Ermunterung oder eine Hilfe im Alltag.
Und wenn Sie heute Abend in der kleinen Runde der Familie oder der Freunde Mahl halten, und wenn wir, die Mönche, uns in unserem Refektorium zu einem festlichen Abendessen und zu einem Glas Wein versammeln, erfahren wir mit aller Dankbarkeit, was wir aneinander haben. Und dass wir Kraft schöpfen dürfen, um aufzubrechen, in aller Gelassenheit, weil Gott dabei ist.
Zum Schluss nur noch dieses kurze Wort an die Freunde unserer Gemeinschaft, die sonst ganz selbstverständlich hier mit uns Ostern gefeiert haben. Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr wieder gemeinsam diese Tage begehen können und im wirklich großen Kreis Gründonnerstag Abendmahl halten können, um danach in vertrauter Runde zusammen zu sein. Ich freue mich darauf, dass wir uns wiedersehen.
Predigt am 5. Fastensonntag (21.03.2021)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Lesung: Jer 31, 31-34
Evangelium: Jo 12, 20-33
Eine sehr bewegte Woche liegt hinter uns: Nicht nur, dass uns nun schon seit einem Jahr die Pandemie begleitet und wir mehrere Lockdowns durchgemacht haben und der nächste wohl bevorsteht, sondern Anfang der vergangenen Woche wurde auch noch ein Impfstoff aufgrund von Nebenwirkungen ausgesetzt, was die schon bestehende Unruhe und Verunsicherung noch verstärkte.
Auf die so schon angespannte Stimmungslage trafen dann am Montag noch höchst irritierende Weisungen aus Rom zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und am Donnerstag wurde das Kölner Gutachten veröffentlicht, dessen Zweitvergabe schon im Vorfeld für Spannungen und eine Kirchenaustrittswelle gesorgt hat.
Wo führt all das noch hin? Wie geht es weiter? Wie mit all dem umgehen? Wie kommen wir durch diese Zeit?
Diese Fragen sind nicht neu, denn ähnliches fragten sich die Menschen zur Zeit des Propheten Jeremia. Auch sie lebten in einer sehr bewegten Zeit. Die Bevölkerung des Nordreiches Israel war in assyrische Gefangenschaft geführt und fremde Bevölkerungsgruppen dort angesiedelt worden.
Dennoch wähnten sich die meisten Bewohner des Südreichs Juda, vor allem die politischen Eliten und religiösen Führer, in Sicherheit. Denn sie waren davon überzeugt, dass der Tempel in Jerusalems Mauern sie vor einem ähnlichen Schicksal bewahren würde. Dieses Vertrauen auf alte, nun aber falsche Sicherheiten kritisierte Jeremia und forderte das Volk zur Umkehr auf:
„Vertraut nicht auf die trügerischen Worte: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist dies! Denn nur, wenn ihr euer Verhalten und Tun von Grund auf bessert, …, wenn ihr die Fremden, die Waisen und Witwen nicht unterdrückt, dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort, in diesem Land…” (Jer 7,3-7a).
Dann kommt es schneller als erwartet zum Gau: Das Südreich Juda wird von den Babyloniern bedroht und 597 v. Chr. das erste Mal erobert. Ein Teil der Oberschicht wird nach Babylonien deportiert und Zidkija als König eingesetzt. Dieser wendet sich bald darauf, die Warnungen Jeremias in den Wind schlagend, gegen die Babylonier, so dass Jerusalem erneut erobert und schließlich auch samt Tempel zerstört wird. Der Rest der Oberschicht wird deportiert und ein verwüstetes Land bleibt zurück, in dem die Überlebenden sich fragen: Wie soll es weitergehen? Hat sich Gott ganz von uns abgewendet? – In diese Situation hinein sagt Jeremia seine Botschaft, die wir in der heutigen Lesung gehört haben. Mit der Zusage eines neuen Bundes will Jeremia den Überlebenden Mut machen.
Während im ersten Bund am Sinai dem Volk das Gesetz von Gott vorgelegt wurde, soll das Gesetz des neuen Bundes in das Herz des Menschen hineingeschrieben werden: „Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein.”
In dieser göttlichen Gegenwart im Herzen des Menschen zeigt sich die enge Verbindung zwischen Gott und seinem Volk.
Dieses Bild ist auch ein Hinweis darauf, dass wir Gott in unserem Herzen begegnen.
Damit ist uns eine erste Empfehlung im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen gegeben: Es braucht das Innehalten, das in sich hineinspüren, damit die tiefe Verbindung zu Gott spürbar und lebendig wird. So können wir bei uns und bei ihm ankommen, zur Ruhe kommen und Kraft schöpfen, um die Unsicherheiten aushalten und mit ihnen umgehen zu können.
Damit das Wort Gottes im Herzen des Menschen wohnen kann, muss es nach Ambrosius entsprechend genügend Raum haben und weit genug sein, so schreibt er: „Mag der Weg eng sein, das Herz sei weit, damit nicht das Wort Gottes kommt und anklopft und sieht, dass die Enge seines Herzens unfähig ist zu bewohnen“ (Ambrosius, Psalmkommentar Ps. 118,4,27).
Da wir heute am 21. März des Heimgangs des heiligen Benedikt gedenken, darf an dieser Stelle ein Hinweis auf seine Regel natürlich nicht fehlen. Zumal sich auch in ihr das Bild vom weiten Herzen findet. So bestärkt und ermutigt Benedikt am Ende des Prologs den Mönch, auf seinem Weg zu bleiben. Auf dem Weg, der eng werden kann, der mitunter schwer fällt, weil es darum geht, gemäß dem Evangelium den Willen Gottes zu tun und nicht dem Eigenwillen zu folgen. Es ist der Weg des Glaubens, der ein Prozess des Reifens, der Wandlung und immer wieder auch der Umkehr ist. Von diesem Weg schreibt Benedikt: „sollte es jedoch aus wohlüberlegtem Grund etwas strenger zugehen, um Fehler zu bessern und die Liebe zu bewahren, dann lass dich nicht sofort von Angst verwirren und fliehe nicht vom Weg des Heils; er kann am Anfang nicht anders sein als eng. Wer aber im klösterlichen Leben und dem Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit, und er läuft in unsagbaren Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes“ (RB Prol 47-49).
Johannes Cassian, auf dessen Schriften Benedikt am Ende seiner Regel ausdrücklich hinweist, empfiehlt die Weitung des Herzens als ein Mittel gegen Aufregung, aufbrausenden Zorn und heftige Empfindungen von Ärger und Wut.
Dabei folgt er den Weisungen des Mönchsvaters Joseph, der ihm und seinem Freund Germanus folgenden Rat gegeben hat: „euer Gemüth soll nicht so in der Engherzigkeit der Ungeduld und Kleinmuth zusammengeschrumpft sein, daß es den wilden Sturm der Aufregung, wenn er kommt, nicht aushalten kann; sondern erweitert euch im Herzen, indem ihr die feindlichen Fluthen des Zornes aufnehmt in den ausgedehnten Grenzen jener Liebe, die Alles erträgt, Alles aushält; und so möge euer Geist, ausgedehnt durch die Weite der Langmuth und Geduld, heilsame Zufluchtsstätten der Überlegung in sich haben, in welchen der häßliche Rauch des Zornes, sobald er gewissermaßen in sie aufgenommen und zerstreut ist, sogleich verschwindet.“ (Cassian, Collationes 16,27)
Dies ist eine weitere Empfehlung zum Umgang mit der aktuellen Situation der dauernden Anspannung und Dünnhäutigkeit, die sich schnell in Aufregung und Ärger entladen. Ein geweitetes Herz kann helfen, dass sich diese aufbrausenden Gefühle in weiten Räumen des Herzens verflüchtigen können.
Eine dritte Empfehlung finden wir am Beispiel Jesu im heutigen Evangelium. War im Johannesevangelium bis zu dieser Perikope immer die Rede davon, dass Jesu „Stunde“ noch nicht gekommen sei, heißt es jetzt: „Die Stunde ist gekommen.“ Dann sagt Jesus weiter: “Amen, Amen, ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Mit diesem Wort wird das Geschehen von Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu, dessen wir in den kommenden Tagen gedenken, gedeutet und erschlossen. Es entspricht Jesu Haltung des tiefen Vertrauens auf den Vater, der das Leben jener bewahrt, die ihm nachfolgen.
Angesichts dieser Situation ist es verständlich, dass Jesus sehr aufgewühlt ist und von sich sagt: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“
Jesus findet Halt, indem er seine Angst und Erschütterung wahrnimmt und sie in die Gegenwart des Vaters bringt. Diese Besinnung und Ausrichtung auf die Gegenwart des Vaters bestärkt ihn in seiner Sendung und vertieft seine Beziehung zum Vater. Dies wird dann im Bild einer Stimme vom Himmel ausgedrückt, die sagt: „Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.“
Franz von Sales hat das Bemühen um die stete Ausrichtung auf Gottes Gegenwart in ein anschauliches Bild vom Herzen gebracht:
„Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart Gottes.
Und selbst dann, wenn du nichts getan hast in deinem Leben, außer dein Herz zurückzubringen und wieder in die Gegenwart Gottes zu versetzen – obwohl es jedesmal wieder fortlief, wenn du es zurückgeholt hattest -, dann hat sich dein Leben wohl erfüllt.“
Die Schrifttexte und der Heilige des heutigen Sonntags geben uns drei Empfehlungen, wie wir Halt und Ruhe finden können angesichts unruhiger Zeiten und der weiterhin andauernden Herausforderungen dieser Tage:
– Innehalten und Einkehren im Herzen bei sich und bei Gott.
– Weitung des Herzens, damit sich Aufregung und Ärger beruhigen können.
– das wandernde oder leidende Herz sanft in Gottes Gegenwart versetzen.
Predigt am 4. Fastensonntag (14.3.21)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
Als ich vor zehn Jahren meine ersten Osterkerzen für den Klosterberg gemacht habe, hatte ich eine ganz besondere Karwoche. Auf den Osterkerzen für Kirche, Refektorium und Oase waren Auszüge aus dem Exsultet, also aus dem Gesang zum Lobpreis der Osterkerze in der Osternacht. Ich habe diese Texte aus Folie ausschneiden lassen, dann die Buchstaben aus der Folie entfernt, sie auf die Kerzen geklebt und nach der Bemalung die Folie wieder entfernt. Ich bekam also selbst am Karfreitag immer wieder die Texte aus der Osternacht, Texte des Lichts und der Auferstehung, zu lesen. Dies hat meinen Blick auf die Kartage verändert und ich habe verstanden, dass wir sie im Blick auf Ostern feiern sollen. Die Fastenzeit läuft nicht auf den Karfreitag, nicht auf Verrat, Verurteilung und Tod hin, sondern das Ziel ist Ostern. Es ist das Licht und die Auferstehung. Heute, am Bergfest der Fastenzeit wagen wir einen Ausblick auf Ostern. Wir machen uns klar was das Ziel unseres Weges ist. Das Licht leuchtet in vielen Gemeinden durch das Violett des Messgewandes und es wird rosa. Wie auch hier die Blumen vor mir.
Vor allem die Gesänge, die der gregorianische Choral für heute vorsieht, drücken die Vorfreunde auf das Ziel aus. Im Introitus dem Eingangsgesang heißt es: „Sei fröhlich Jerusalem! Und alle, die ihr sie liebt macht eine Versammlung. Freut euch in Fröhlichkeit, die ihr in Traurigkeit gewesen seid. Auf dass ihr jubelt und euch satt trinkt an den Brüsten eurer Tröstung.“
Laetare Jerusalem – in der Vertonung klingt das Ende des Oster-Hallelujas mit, das hier im Laetare unverkennbar vertont ist. Dies ist eines der bekanntesten Beispiele der Verknüpfungen innerhalb des gregorianischen Repertoires.
Wenn wir in dieser Fastenzeit uns aufmachen zu ihm, brauchen wir nicht zerknirscht vor Gott treten, nicht den Karfreitag vor Augen. Sondern uns freuen, dass wir auf dem Weg zu ihm sind. Das positive Ziel, Ostern, in den Blick nehmen.
Die Israeliten haben dieses Ziel immer mit dem Idealbild ihres Sehnsuchtsortes Jerusalem – was übersetzt Stadt des Friedens heißt – gleichgesetzt.
Der gregorianische Gesang zur Kommunion, die Communio, drückt in der Vertonung sehr schön die Sehnsucht nach Jerusalem aus –
Aber nicht nur musikalisch auch inhaltlich sind die Verse aus Psalm 122, die wir jede zweite Woche beten spannend. In unserer Übersetzung heißen sie:
„Jerusalem, als Stadt erbaut, die fest in sich gefügt ist. Dort ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, den Namen des Herrn zu preisen, wie es Gebot ist für Israel“
Die Lutherbibel übersetzt den ersten Vers:
„Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll“
Und in der Übersetzung des Münsterschwarzacher Choralbuches heißt es:
„Jerusalem, das gebaut ist als Stadt, in der sich vereinen, die verbunden sind mit ihr.“
Je nach Deutung des Hebräischen sind die Worte also entweder ein bautechnischer Begriff für die Kompaktheit der Stadt oder eine Bezeichnung für die in der Stadt als Gemeinschaft zusammenkommenden bzw. zusammenlebenden Menschen verstanden werden.
Wir sind also auf den Weg nach Jerusalem auf dem Weg in die Gesellschaft, die perfekt in sich gefügt ist. Was für ein tolles Bild. Eine Gesellschaft in der jeder seinen Platz hat. In der keine Risse und Lücken klaffen. Die nicht droht auseinander zu brechen und instabil zu werden. Ein Ort der Sicherheit, der Geborgenheit und der Gerechtigkeit. Wir kommen zum Licht. Wir kommen zu Christus.
Der Komponist streicht aus den Versen das Gebot für Israel und ändert „den Namen des Herrn zu preisen“ in „deinen Namen Herr zu preisen“. „Dort ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, deinen Namen, Herr, zu preisen“ Wobei das Deinen (tuo) eine besondere Akzentuierung erfährt. Er ändert die Perspektive und spricht Gott direkt an. Wir sind auf dem Weg zu Dir, Herr. Wir steigen hinauf zu Dir. Wir folgen dem Ruf den du durch König Kyrus ausgerufen hast: „Jeder unter euch, der zu seinem Volk gehört— der Herr, sein Gott, sei mit ihm —,der soll hinaufziehen.“
Und wie funktioniert dieser Weg? Christus sagt im Evangelium, wir sollen zum Licht streben, wir sollen die Wahrheit tun, dann kommen wir zum Licht, dann sind unsere Taten in Gott vollbracht, in Gott getan. Jeder von uns weiß genau, wann er zum Licht strebt und wann zur Finsternis. Jeder urteilt somit über sich selber und muss mit den Konsequenzen leben. Last uns also danach streben, ins Licht zu kommen. Aufzusteigen zu unserem Sehnsuchtsort an dem jeder seinen Platz hat, auch wenn der Aufstieg manchmal schwer fällt und es Rückschläge gibt. Zum Jerusalem in dem sich die Gemeinschaft fest in sich zusammenfügt und unterstützen wir uns auf diesem Weg, damit wir das Ziel erreichen.
Jetzt, in dieser Zeit.
Predigt am 2. Fastensonntag (28.02.2021)
Predigtvon P. Guido Hügen OSB
Einmal eine Auszeit nehmen
raus aus der Pandemie,
raus aus allen Einschränkungen, Auflagen, Zwängen, Verboten.
Kein Homeoffice und kein Homeschooling mehr,
keine immer neu ausfallenden Termine …
Stattdessen an einen Sehnsuchtsort reisen,
Freundinnen und Freunde wieder treffen,
gemeinsam feiern,
das Leben genießen.
Gemeinschaft erfahren.
Austausch haben.
Ob sich für Petrus, Jakobus und Johannes
die Einladung Jesu ähnlich angefühlt hat?
Auch ohne die Erfahrung einer Pandemie
– sie ganz allein mit Jesus auf einem Berg?
Zeit, zur Ruhe zu kommen,
vielleicht über manches der vergangenen Wochen zu reden,
vielleicht manches neu zu verstehen.
Aber es kommt ganz anders.
Auf dem Berg mit der wunderbaren Aussicht
geschieht etwas ganz Merkwürdiges.
Strahlend weiß steht Jesus auf einmal da
und eine Stimme nennt ihn „mein geliebter Sohn“.
Zwei Menschen sind plötzlich da.
Mose und Elija.
Vertreter des Gesetzes und der Propheten im Glauben Israels.
So etwas wie eine Legitimation.
Einer der drei Freunde, Petrus, wird aktiv.
Vor Furcht angesichts des Geschehens
ist er ganz benommen, weiß nicht, was er sagen soll.
„Wir wollen drei Hütten bauen,“
schlägt er vor. Nur ein hilfloses Gestammel
– oder fast schon prophetisch?
Im griechischen Text ist die Rede von „skénas“, Zelten.
Das freut nicht nur den Pfadfinder.
Das freut auch den Bibelfesten.
In einem Zelt wollte JHWH leben,
in einem Zelt sollte die Bundeslade mit dem Volk Israel ziehen.
Gott will mit Seinem Volk unterwegs sein.
Will Petrus nur etwas festhalten, was nicht festzuhalten ist –
oder ein neues Zelt, ein neues Miteinander mit Gott knüpfen?
Was verbirgt sich für uns heute in diesem Evangelium
– viel Tieferes?
„Das Gesetz und die Propheten“ –
darauf beruft sich immer wieder der jüdische Glaube.
Im Christentum nennen wir es vielleicht anders.
Kirchenrecht und Tradition?
Ein: „Es war schon immer so“?
Jesus geht erst gar nicht auf die Idee des Petrus ein,
Hütten zu bauen, Zelte aufzuschlagen.
Die Stimme aus dem Himmel macht deutlich, worum es geht:
„Dieser ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“
In seiner ersten Predigt zur diesjährigen Fastenzeit
hat der Päpstliche Hausprediger Kardinal Cantalamessa
zu genau dieser Rückbesinnung auf Jesus gemahnt.
„Es ist notwendig, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen.
Stattdessen müssen wir uns wieder stärker auf Christus konzentrieren“, sagte Cantalamessa.
Es gehe darum, zu den Ursprüngen der Berufung zurückzukehren
– „ohne Anmaßung, ohne Titel, ohne Vergleiche untereinander“.
Wie die frühen Apostel müsse man
„als Gefährten in einem Abenteuer“ zusammenarbeiten.
Lassen wir uns auf dieses Abenteuer ein?
Sind oder werden wir Gefährten Jesu?
In „Lumen Gentium“,
der dogmatischen Konstitution über die Kirche,
greift das Zweite Vatikanische Konzil
das erstrahlende Gesicht Jesu auf:
„Christus ist das Licht der Völker.“
Und beschreibt:
Dieses Licht spiegelt sich auf dem Antlitz der Kirche wieder.
Ist das so?
Auch bei mir ganz persönlich?
Stecke ich nicht viel zu tief fest
in meinem Streben nach Anerkennung,
in dem Versuch, meinen Minderwertigkeitskomplex
durch immer mehr Aktivität zu übertünchen,
mich mit Titeln, Ämtern, Insignien und Gewändern zu schmücken?
Bei allen doch so oft tiefsitzenden Ängsten,
Sorgen und Unsicherheiten
könnte uns die Zusage aus dem Römerbrief helfen,
die wir gerade gehört haben:
„Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns“?
In diesem Vertrauen
kann Eingestehen von Schuld und Versagen gelingen.
Dazu müssen wir nicht nach Köln schauen
und auf ein Gutachten von Kardinal Woelki warten.
Schauen wir auf uns!
Wo bin ich,
wo sind wir – auch als Gemeinschaft – schuldig geworden?
Ist mir das überhaupt bewusst,
verdränge ich es, vertusche es sogar?
Wo stehe ich offen zu meiner Schuld
– gerade auch denen gegenüber, an denen ich schuldig geworden bin?
Was tue ich dem Menschen neben mir an?
Nehme ich es überhaupt wahr?
Vielleicht lässt die Verklärung Jesu
auch mein Tun in einem neuen Licht erscheinen.
Ein Licht,
das tief in das Innere meiner Seele leuchtet.
Ein Licht,
das auch das Dunkelste, das Schwerste
ans Tageslicht bringt.
Würde es offenbar werden
– es wäre wohl fürchterlich.
Aber Gott sieht es.
Kann ich damit stehen vor IHM?
Ich wünsche uns den Mut zur Offenheit
– auch wo es weh tut.
Den Mut, um echte Vergebung zu bitten.
Den Mut, neue Wege zu gehen.
Damit Gott neu sein Zelt unter uns aufschlagen kann.
Damit ich spüren darf,
dass die Botschaft Gottes auch mir gilt:
„Dieser ist mein geliebter Sohn.“
„Bei allem, was du bist und was du getan hast:
du bist mein geliebtes Kind!
Du bist meine geliebte Tochter,
du bist mein geliebter Sohn!“
Predigt am 6. Sonntag im Jahreskreis (14.02.2021)
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Karnevalspredigt von P. Erasmus Kulke OSB
Da eine Predigt mit Gesang in gedruckter Form nicht sinnvoll ist, heute zur Ausnahme ein Predigtvideo.
Predigt am 2. Sonntag im Jahreskreis (17.01.2021)
Predigtvon Br. Benedikt Müller OSB
„Wohnst du noch oder lebst du schon?“
Liebe Schwestern und Brüder!
Sicher kennen viele von uns diesen Werbespruch einer schwedischen Möbelfirma. Ein Einkauf in Schwedens „Möbelhaus“ ist mit einigen Mühen verbunden und kann leicht zur Geduldsprobe, wenn nicht gar zum Albtraum werden! Lange Anfahrten, überfüllte Hallen, entlegene Regalpositionen, schwere und sperrige Pakete, kaum unterzubringen im eigenen oder geliehenen Wagen, quengelnde Kinder, ungesunde Fleischklöße. Und dann erst der Aufbau zu Hause! „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ erscheint da als beinahe zynische Frage. Es ist der Versuch, das „Leben“ uns als mehr oder weniger erschwingliche Möbel zu verkaufen. Für diese „Lebens.Möbel“ nehmen wir einiges auf uns. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Natürlich brauchen wir solche und ähnliche Möbel, wenn wir einmal umziehen oder ins Kloster eintreten. Aber: Findet unser Leben in den Möbeln seinen wohnlichen Grund? Nun, unser heutiges Evangelium geht da weiter und setzt dort an, wo die IKEA-Werbung aufhört. Es fragt uns gleichsam: „Lebst du noch oder bleibst du schon – und wohnst?“
Die Berufungsgeschichte des Evangelisten Johannes ist eine Geschichte von Suchen und Finden und Bleiben. Der Ort der Geschichte: Bethanien jenseits des Jordan. „In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.“
Liebe Schwestern und Brüder! Das ist die Initialzündung für die ganze Geschichte. Am Anfang steht das Zeugnis Johannes des Täufers über Jesus: Das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Das ist eine Antwort auf die Frage danach, wie Menschsein wieder zurechtgebracht und aufgerichtet werden kann. Gottes Lamm, das ist der Gottesknecht, von dem der Prophet Jesaja erzählt. ER, der Gottesknecht, Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt. ER, der Gottesknecht, der so wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt.
„Siehe, das ist Gottes Lamm“ ist die Antwort auf unser Fragen danach, wie wir Vergebung erfahren, um heilzuwerden. Es ist das, was uns das Christkind an Weihnachten gebracht hat. Geschenkte Erlösung! Es ist ein Finden dessen, wonach wir gesucht haben. Andreas wird danach zu seinem Bruder Simon sagen: „Wir haben den Messias gefunden.“
Das Rufen Jesu bleibt bei Johannes aus! Der HERR ruft nicht. Im Gegenteil. Als er sieht, dass die zwei Johannesjünger ihm nachfolgen, da FRAGT er: „Was sucht ihr?“ Sie antworten: „Wo wohnst du?“ Nun LÄDT er ein: „Kommt und seht!“ Und sie kommen und sehen, wo er bleibt – wo er wohnt. Und dann bleiben auch sie. Sie bleiben für den Rest des Tages und die Nacht bei Jesus. Vielleicht sind in diesem Moment ihre Herzenslampen wie die Lampen der klugen Jungfrauen mit Öl gefüllt und leuchten, auch wenn kein Wächter in der Wüste sie gerufen hat. Aber: Der Lichttag geht zu Ende. Die Sonne geht unter. Die Dämmerung zieht herauf. Irgendwann gehen die Öllampen vielleicht aus, es wird dunkel. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Es wird nicht dunkel bleiben, wenn Christi Licht in uns brennend leuchtet. Die Jünger sind gekommen um zu bleiben. Sie bleiben bei dem, den sie schon immer gesucht haben, zu dem sie schon immer gehört haben. Zwischen Jesus und den Jüngern besteht eine Verbindung. Dies wird deutlich in der Begegnung Jesu mit Petrus. „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels. Petrus.“ Auf diesem Felsen baut Jesus seine Kirche. Auf einem Felsen lässt es sich gut und sicher bauen, so hören wir es ja auch in der Geschichte „Vom Haus auf dem Felsen“. Jesus ist unser Fels, auf den wir bauen – unser Fels, auf dem wir wohnen. Mit Christus werden wir Felsen.Stark. Wie die Jünger, sind auch wir eingeladen, zu kommen um zu bleiben. Auch uns sah Jesus bereits unter dem Feigenbaum sitzen. „Lebst du noch,“ so lautet die Frage auch an uns in dieser Stunde. „Lebst du noch“ in deiner Rastlosigkeit, in deiner Suche nach Sinn, in deiner Orientierung an vorläufigen Zielen „oder bleibst du schon?“ Bist du angekommen auf dem Felsen, der DICH trägt?
Das heutige Evangelium verändert unsere Perspektive. Leben ist gut, auch Möbel sind gut, aber wohnen ist etwas Anderes. Wohnen heißt bleiben. „Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben.“ Bei Jesus haben wir eine ewige Bleibe, auch wenn uns das Leben übel mitspielt, auch wenn Möbel zu Bruch gehen.
„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“. Heute empfinden viele dieses alte Kindergebet vielleicht als problematisch, dabei drückt es einen wunderbaren Glaubenskern aus. Denn Jüngerschaft Jesu heißt: Wohnen. Christus will in mir Wohnung nehmen. Dafür muss ich die Enge meines Herzens weit machen, damit der König der Herrlichkeit einziehe. Wenn man ein möbliertes Zimmer bezieht, dann dauert es nicht lange, und das Zimmer sieht ganz anders aus. Das Bett steht woanders, die Stühle und der Tisch kommen in eine andere Ecke, neue Bilder werden aufgehangen und manches andere verschwindet ganz – das Zimmer verändert sich. Der Apostel Paulus schreibt im Epheser-Brief: „Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet.“ Wenn Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt, dann wird sich unser Leben spürbar verändern. Wenn Christus in unser Herz „einzieht“, dann kann unser Herz nicht so bleiben, wie es war. Dann kann es nicht mehr kalt, hart und lieblos bleiben, dann wird es warm. Jesus ist der Rhythmus im Puls unseres Herzensklangs. Er will nicht machtvoll in uns hausen, sondern in Liebe wohnen.
Im 27. Psalm heißt es: „Mein Herz denkt an dein Wort: Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz, o HERR, will ich suchen!“ Jüngerschaft heißt: Suchen und Finden. Das ist sicher die große Aufgabe für uns Missionsbenediktiner! Andere finden und suchen, damit sie wohnen können. Wie kann das bei uns in Königsmünster aussehen? Wie und wo halten wir auf dem Klosterberg die Frage nach dem tiefsten Grund unserer Existenz offen und zwar so, dass sich inmitten des vielfältigen Lebens, das wir ringsum sehen, auch hier die Möglichkeit zum Bleiben in Christus eröffnet? Bringen wir das Wort vom Lamm Gottes zu den Menschen oder hausen wir in unserem Kämmerlein und entziehen uns den nach Gottes Liebe suchenden Menschen? Wo ergibt sich für uns die Gelegenheit, wie Jesus andere mit den Worten „Kommt und seht und bleibt“ anzusprechen? Und zwar mit liebender Offenheit, wachsamer Achtsamkeit, bejahender Ehrlichkeit, fragender Neugier und barmherziger Liebe?
Vielleicht gelingt es uns dann, wenn wir in unserem eigenen Herzens.Gebet Gott immer wieder bitten: „Die Enge meines Herzens mach weit“! Dann kann der König der Herrlichkeit ins uns einziehen und uns verwandeln in der Liebe. Denn Jüngerschaft heißt: Kommt und seht – sucht und findet – bleibt und wohnt und liebt einander. Dann wird unser bereites Herz fühlen, dass ER in uns angekommen und gegenwärtig ist und in uns Wohnung genommen hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.
Predigt am Fest der Taufe des Herrn (Silberprofess Br. Emmanuel – 10.01.2021)
Predigtvon Br. Benjamin Altemeier OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder, lieber Emmanuel!
Während einer zurückliegenden Exerzitienwoche ging Prof. Peter Knauer auf die Frage ein, ob nur die Menschen von Gott geliebt seien, die getauft sind. Er hat damals ein Bild genutzt, das ich auch heute noch ansprechend finde. Die Taufe ist wie eine Fahne, und die Liebe Gottes ist wie der Wind. Durch die Fahne wird der Wind sichtbar, und in der Taufe wird die Liebe Gottes für den Menschen sichtbar und im Zuspruch zugesagt. Als sich heute für Jesus der Himmel in der Taufe geöffnet hat und Gott zu ihm sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen gefunden habe!“, hat sich in gleicher Weise für uns dieser Himmel geöffnet, und Gott spricht zu uns: „Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn!“ Uns allen, die wir hier versammelt sind oder uns an anderen Orten befinden, gilt dieser Zuspruch. Das ist wesentlich.
Vor allem öffentlichen Wirken Jesu kommt zuerst der Zuspruch des Vaters. Vor aller Arbeit, vor allem Erfolg, vor allem Verdienst kommt der Zuspruch des Vaters zu uns. Du bist geliebt, weil du bist. Lieber Emmanuel, Dir ist den Jahren Graf Dürckheim zu einer zentralen Person geworden. Er ist ein Lehrer der Initiation. Die Taufe ist ein Initiationsmoment. Hier wird uns zugesagt, dass wir Kinder unserer Eltern und Kinder Gottes zugleich sind.
Während einer Führung mit Familien fragte mich ein Kind. Warum müssen die Mönche so viel beten? Kinder stellen ja häufig die besten Fragen. Ich musste ein wenig überlegen, und dann antwortete ich: Damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Mit dieser Antwort war das Kind zufrieden. Wenn wir uns hier, wie in der Profess versprochen, zum Gebet versammeln, dann eben auch, damit wir nicht vergessen, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Im Mönchtum gibt es den Begriff der „Ruminatio“, des Durchkauens der heiligen Schriften. Damit ist gemeint, dass wir nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern dass sie uns in Fleisch und Blut übergeht. Dass wir also nicht nur die Botschaft Jesu hören, sondern auch in unserem Leib abbilden. Die Botschaft Jesu, die im Wesentlichen aussagt: „Liebt einander, wie ich euch geliebt.“
Urteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.
Vergebt einander, dann wird auch euch vergeben werden.
Habt Erbarmen mit den am Rande Stehenden, den Armen und Verzweifelten, und euch wird Erbarmen zuteil.
Das ist dann gelebte Nachfolge. Dann lebt das in mir, was in einem Gebet Christian de Chergé, der ermordete Prior der Trappisten von Tibhirine, so ausgedrückt hat: Ich in Ihm, Er in mir. (Bruder Emmanuel hat dieses Gebet auf der Einladung zu seiner Silberprofess abdrucken lassen.)
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Begegnung. Wir können es auch als Dreifaltigkeitsfest feiern. Die Begegnung Gottes mit seinem geliebten Sohn im heiligen Geist am Fluss Jordan. Martin Buber schreibt: Alles Wesentliche ist Begegnung. Gott ist Bezogenheit im dreifaltigen Sinne untereinander, aber eben auch in der Hinwendung zu uns Menschen. Und so leben wir unsere Nachfolge nicht in sterilen Räumen frömmelnder Ichbezogenheit, sondern in der konkreten Zuwendung zum Nächsten. Das meint der heilige Benedikt, wenn er im Gast, aber auch im Kranken Christus begegnet. Und vielleicht gelingen uns manche Begegnungen, und manche misslingen, aber all das ist besser als ein abgeschottetes, reines und steriles Christentum. Vorausgesetzt, die Begegnungen finden auf Augenhöhe statt, weil ja der Nächste genauso ein geliebter Sohn, eine geliebte Tochter ist wie ich.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Schwellenfest. Es schließt den Weihnachtfestkreis ab. Ab morgen ist wieder Alltag. Aber heute, lieber Emmanuel, feiern wir Deine Silberprofess. Bei einer unserer Wanderungen hast Du mir erzählt, dass Du ein weihnachtlicher Typ bist. Das drückt sich ja auch in Deinem Namen aus, der Dir überaus wichtig ist. Die Menschwerdung Gottes, damit alles auf dieser Erde geheiligt sei. Das ist Dir wichtig. Schwellenfest heißt aber auch: Übergang in den Alltag. Die Treue zu halten, manchmal auch auszuhalten, wie in der Profess versprochen. In guten wie in bösen Tagen. Auszuhalten, wenn das Gebet oder die Arbeit gerade nicht eine Aufeinanderfolge von Höhepunkten sind. Die Mühen der Ebene weitergehen. Das ist gelebte benediktinische Stabilitas.
Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest, welches das Leid nicht ausschließt. Denn die gleichen Worte, die wir eben gehört haben, hören wir am Berg der Verklärung wieder. Diesmal unmittelbar vor dem Leiden Jesu. Dieses Leiden führt zu Tod und Auferstehung Jesu. Und auch hier sind wir hineingenommen. Unser Leid ist nicht grenzenlos. Es findet sein Ende in der Auferstehung.
Zuletzt: Das Fest der Taufe Jesu ist ein Fest der Sinnstiftung. Ein jeder von uns hat seinen Ursprung aus Gott, von Ihm kommen wir. Wir sind, weil Gott möchte, dass wir sind. Das ist der Sinn unseres Lebens. Und in der Auferstehung ist das Ziel unseres Lebens vorgezeichnet. Unsere endgültige Heimat ist im Himmel. Amen.
Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten (3.1.2021)
Predigtvon P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
„Passwort vergessen?“ – Ärgerlich ist das, wenn ich beim Arbeiten am Rechner den Zugang zu einem Programm oder einer Homepage brauche; schnell habe ich eingetippt, was mir als das zugehörige Passwort in Erinnerung ist und dann poppt auf: „Passwort vergessen?“. Meist war es nur ein leicht zu korrigierender Flüchtigkeitsfehler, manchmal ist aber auch ein lästiges Herumsuchen fällig, bis ich schließlich weiterkomme. Es fehlt das richtige, entscheidende Wort, damit etwas passiert, – das Passwort eben. Übrigens kein Phänomen, das erst mit der Digitalisierung aufgetaucht ist. Schon der alte Goethe kannte das, als er 1797 die Ballade vom Zauberlehrling schrieb: Immerhin kennt der Zauberlehrling das Passwort, um in Gang zu bringen, was er vorhat. Viele werden die Verse noch aus der Schulzeit kennen:
Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Damit wird der Besen zum Hausknecht, der das Wasser aus dem Brunnen holt, um das Bad für den ebenso vorwitzigen wie bequemen Herrn Zauberlehrling zu füllen. – Aber dann, oh Schreck: es fehlt das Wort, um das Ganze zu beenden, bevor das Haus völlig unter Wasser steht.
Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
In dieser humorigen Szene aus Goethezeiten spiegelt sich etwas, was mir in ziemlich ernsthafter Version in unserer augenblicklichen Corona-Bedrückung durch den Kopf geht. Es fühlt sich an wie „Passwort vergessen?“ oder Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen!
Neben der konkreten Bedrohung für Leib und Leben durch das Corona-Virus zerrt an den Nerven, dass im Augenblick kein Mensch wirklich weiß, wann und wie das Ganze zu stoppen ist. Wir meinten, alles im Griff zu haben und jetzt haben wir die Kontrolle verloren! Unsere Gedanken und Gespräche, unzählige Äußerungen von Experten und Politikern behaupten alles Mögliche, aber bis jetzt hat keiner das Wort gefunden, mit dem wir Corona loswerden; wir stehen da wie Zauberlehrlinge: Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.
Liebe Schwestern und Brüder,
Angesichts dieser, so möchte ich es einmal nennen, allumfassenden Wortfindungsstörung wirken die großen, souveränen Worte des Johannesprologs, die wir gerade als Evangelium gehört haben, wie aus der Zeit gefallen:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Man ahnt: Diese Sätze hätten die Kraft zu wirken, wenn es gelänge, sich von ihnen ergreifen zu lassen. Doch klingen sie angesichts des Wortgedröhns um die Corona-Pandemie nicht „wie ein Märchen aus uralten Zeiten“? Das tut umso mehr weh, je mehr wir merken, wie sehr es gerade hier und jetzt auf solche „wirkenden Worte“ ankäme.
Die Antwort auf solche Fragen wird nicht so einfach zu finden sein wie ein Zauberspruch oder wie ein Computerpasswort. – Doch, warum sich nicht zumindest auf die Suche machen? Ist es nicht eine grundlegende Lebenserfahrung, dass sich die wirklich wichtigen Dinge Schritt um Schritt erschließen, wenn man mit ihnen lebt, statt nur über sie zu grübeln und zu reden? – Deshalb: Was wären nächste Schritte, um das Wort zum Wirken zu bringen, das uns aus dem lähmenden Gerede befreit und einen Weg weist, der weiterführt?
Ich schlage die Schrittfolge der „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ vor, die Dietrich Bonhoeffer Ende Juli 1944 aufschrieb, als ihm klar vor Augen stand, dass seine persönliche Situation in der Nazi-Gefangenschaft aussichtslos war. Ich glaube, diese Sätze haben wirklich die Kraft, als Widerhall des „Licht und Leben“ bringenden „Wortes“ zu wirken, von dem das Evangelium spricht. Bonhoeffer sieht vier Stationen auf dem Weg, der das „Wort, das am Anfang war“, Wirklichkeit werden lässt bringt. Er spricht von der „Zucht“, von der „Tat“, vom „Leiden“ und schließlich vom „Tod“:
Zucht.
Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem Zucht der Sinne und deiner Seele, dass die Begierden und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
Tat.
Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.
Leiden.
Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Tod.
Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
Predigt am Fest der hl. Familie zu Lk 2,22-40 (27.12.2020)
Predigtvon Br. Anno Schütte OSB
Die Kirche feiert heute das Fest der Heiligen Familie. Es soll die Familie als Keimzelle von Kirche und Gesellschaft wertschätzen und fördern. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung tiefgreifende Umbrüche in der Gesellschaft verursachte, wurde es eingeführt. Seitdem hat sich die Welt beschleunigt weiter verändert – besonders erkennbar in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft. Familien gibt es weiterhin – auch sie haben sich entwickelt. Es ist ein Kennzeichen unserer Zeit, dass ständig Umbruch ist – oder sanfter ausgedrückt: steter Wandel. Die Corona-Pandemie macht das noch deutlicher.
Kann das Fest uns inspirieren, den Wandel zu gestalten, um mehr zu leben – vielleicht sogar um zu überleben?
Von Jesu Familie – der Heiligen Familie – hörten wir gerade. Ort des Geschehens ist ein doppeltes Zentrum: Jerusalem – politisch, der Tempel – religiös. Das kündigt Bedeutendes an. Höhepunkt ist die Fokussierung auf das Kind Jesus – mehr Aufmerksamkeit und Mittelpunkt in der Öffentlichkeit geht nicht! Diese Präsentation wirkt: Die außerfamiliären fremden Menschen Simeon und Hanna öffnen sich für eine Begegnung – sie werden die zentralen aktiven Figuren der Erzählung – Maria und Josef als Eltern bleiben in Nebenrollen eher passiv – fast treten sie sogar in den Hintergrund. Auch der ursprüngliche Reiseanlass – das vom jüdischen Gesetz vorgeschriebene Ritual im Tempel – bildet nur noch den Rahmen der Begegnung mit Simeon und Hanna. Direkt nach dem Besuch der Hirten platziert der Evangelist Lukas dieses Ereignis in seine Kindheitsgeschichte, um die öffentliche Wirkung des folgenden Lebens Jesu von Anfang an zu zeigen. Simeon und Hanna sind so die beiden ersten namentlich genannten Menschen, denen Jesus begegnet – dieser Auftritt gehört ihnen. Eindrucksvoll weitet sich die Heilige Familie – Jesus wirkt über seine Kernfamilie hinaus – schon als Kleinkind.
Simeon empfängt das Kind Jesus in seinen Armen: Berührende Nähe, fast Intimität strahlt von Jesus aus – auch: schon jetzt. Weissagend erfasst und verkündet Simeon, was das nach der Kindheit anschließende Leben, Sterben und Auferstehen Jesu bedeutet: Heil, Licht und Herrlichkeit. Diese Erkenntnis setzt er gleich um: Mit Jesus wird er ein Segnender – er gibt von der Gnade, die er empfangen hat. Der Segen soll stärken, denn Simeon prophezeit Maria: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, …“ Das Leben dieses Menschen hat Konsequenzen – es wird nicht harmlos sein. Ein Hinweis auf die finale Katastrophe der Hinrichtung am Kreuz fehlt nicht: „… und deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“
Simeon spürt, dass Gott als Kind – schwach und ohnmächtig – in diese Welt gekommen ist und sich ihr am Kreuz letztendlich ganz hingibt. Deshalb ist er schon jetzt in seinem Leben gegenwärtig – so konkret wie das Kind in seinem Arm. Die äußere Szenerie offenbart eine existentielle Wahrheit: Simeon und – ihm gleich Hanna – erfahren ihre eigene göttliche Kindschaft, die Gott mit diesem Jesus endgültig und unzerstörbar schenkt. Ihr langes Leben verlief nicht ohne Brüche und ihre Präsenz im Tempel verweist auch auf ihre innere Not. Hat die Lebenswirklichkeit sie für diese Begegnung vorbereitet – geöffnet? Von diesem armen und ohnmächtigen Kind lassen sie sich beschenken und nehmen die heilende Gegenwart Gottes als eine eigene innere personale Geburt wahr. Wenn Gott selbst sich in dieser Weise als Gabe für die ganze Welt offenbart, dann ist auch ihr Leben gutgeheißen, in Liebe geborgen, geheiligt und erleuchtet. Simeon und Hanna wandeln sich – als längst Erwachsene – zu Kindern Gottes. Ihre Antwort darauf kann nur der Lobpreis sein – am Ende ihres Lebens bricht der Jubel durch. Er ist äußeres Zeugnis ihres Aufbruchs in ein erlöstes Leben mit und in Gott – schon jetzt und durch den nahenden Tod hindurch. — Und Maria und Josef? Man hat den Eindruck, den jungen Eltern ist das alles ein bisschen viel: Die geheimnisvolle Schwangerschaft, die herausfordernde Geburt im Stall, der überraschende Besuch der Hirten und jetzt Simeon und Hanna – ihnen bleibt das Staunen.
Schon das eine frohe Botschaft zum Fest der Heiligen Familie.
Von der erfahren wir später noch einmal. Weil sie Mühe hat, zu Jesus zu gelangen, macht sie ihm den Vorwurf, dass seine Jüngerschaft ihm mehr bedeute. Jesu Antwort: Entgrenzung! Er weitet den Rahmen der Familie über die biologisch bestimmte Zugehörigkeit hinaus. Zu seiner Familie gehören alle, die den Willen Gottes suchen und erfüllen. Diese Zugehörigkeit wurzelt in existentieller gemeinsamer Gotteskindschaft. In Jesus, seinem Leben und seiner Botschaft, verkörpert sich der Wille Gottes als allumfassendes Angebot. Überängstliche verkürzen es zu einer ausgrenzend zerstörenden Doktrin. Die anderen suchen im allfältigen Angebot und wählen daraus – einzeln und gemeinsam – frei und verantwortlich – mitunter im fairen gewaltfreien Streit, denn manche Lösung wird nur durch ihn geboren. Diese Würde – manchmal auch Bürde – verbindet uns zu einer globalen heiligen Familie.
Sie kann die Aufgaben einer Welt im Wandel lösen – in froher Gelassenheit und mutigem Engagement. Das ist eine ziemlich aktuelle Botschaft – an Weihnachten und weit darüber hinaus.
Predigt am Ersten Weihnachtstag (25.12.2020, 9.30 Uhr)
Predigtvon P. Julian M. Schaumlöffel OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Ende November zeigte die ARD das verfilmte Kammerspiel „GOTT“ von Ferdinand von Schirach. Einige von ihnen werden die Diskussion des fiktiven Ethikrates verfolgt haben. Es ging um die Frage „Wem gehört unser Leben?“, also letztlich um die Frage der Würde des Menschen.
Bereits vier Jahre zuvor wurde die Verfilmung „Terror – ihr Urteil“ des gleichen Autors gezeigt und hat mit der Frage, ob man wenige Menschen opfern darf, um viele zu retten, ebenso zum Nachdenken angeregt. Mehrmals habe ich diesen Film in der Oberstufe gezeigt und interessante Diskussionen mit und zwischen unseren Schülerinnen und Schülern entfachen können. Auch in diesem Stück rückt die Frage der Menschenwürde in den Mittelpunkt. Für mich als Juristen ist die eindrücklichste und rhetorisch wie inhaltlich beste Szene das Plädoyer der Staatsanwältin, wenn sie bekennt: „Wir brauchen etwas Verlässliches, etwas, woran wir uns immer halten können, etwas, das uns Klarheit im Chaos verschafft. Wir brauchen Prinzipien! Und diese Prinzipien haben wir in unserer Verfassung. Unsere Verfassung ist eine Sammlung von Prinzipien und sie hat ein oberstes Prinzip: Das ist die Würde des Menschen. Das Grundgesetz beginnt mit dem Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und dieser Satz steht nicht zufällig am Anfang, er ist seine wichtigste Aussage. […] Der Mensch ist zu jedem Zeitpunkt Subjekt dieser Würde und er darf niemals zu deren bloßem Objekt werden.“
Warum nun wurde die Menschenwürde vor gut 70 Jahren als alles überragendes Grundprinzip ausgerufen? Vermutlich, weil die unantastbare Würde angetastet worden war! Weil erlebt worden war, wie im Nationalsozialismus unzählige Menschen ihrer Würde beraubt wurden. Menschenwürde: Unantastbar – und doch bis heute immer wieder angetastet.
Obwohl eine „Menschenwürde“ sich aus keinem Gesetz herleiten lässt und somit aus staatlicher Sicht eine reine Idee ist, gilt sie zum Glück in vielen Ländern der Erde als oberstes Prinzip von Verfassungen. Es gibt verschiedene Versuche – politische und philosophische – sie innerweltlich zu deuten und zu erklären. Die vielleicht älteste Begründung steht im Tagesgebet vom heutigen Weihnachtstag. Dort heißt es:
„Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“ Der Mensch ist also wunderbar geschaffen. In der Genesis heißt es zu Beginn: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ Größer geht es doch wohl nicht. Der Mensch ist gottähnlich. An Weihnachten feiern wir nun genau die umgekehrte Angleichung: Gott wird menschähnlich, ja, mehr noch: Gott wird Mensch. Und genau hier erhält der Mensch eine Würde, die unantastbar, die heilig ist.
Wenn wir die Weihnachtsgeschichte, die Lebensgeschichte unseres menschgewordenen Gottes unter dieser Überschrift lesen, wird uns schnell auffallen, dass sie eine einzige Verkettung von Menschenrechtsverletzungen ist. Gott erleidet, was auch heute, was auch am heutigen Weihnachtsmorgen Menschen ertragen müssen: Geburt unter politischer Fremdherrschaft, Flucht, Vertreibung, Verleumdung, menschenunwürdige Folter und Todesstrafe.
Selbst im Johannesprolog, den wir eben hörten, klingt der Rechtsbruch an: „Er kam in sein Eigentum, aber die seinen nahmen ihn nicht auf.“
Jesus von Nazareth ist das Ebenbild all der Menschen, deren Würde angetastet wurde und bis heute angetastet wird. In Jesus Christus identifiziert sich Gott so sehr mit dem Menschen, dass er sich als neugeborenes Kind schutzlos ausliefert, sich berührbar und angreifbar macht und – wer es fassen kann, der fasse es – gerade dadurch die Würde des Menschen wiederherstellt. Das erklärt, warum die heutige Oration es als das Weihnachtsgeheimnis formuliert: „… du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.“
Ein weiterer Gedanke. Schauen wir noch einmal auf den Johannesprolog. Wie die Ouvertüre zu einer großen Oper jede Melodie, jede Stimmung, ja, die gesamte Dramaturgie schon anklingen lässt, so ist auch die Ouvertüre bei Johannes, der Prolog, ein Schlüssel zum Ganzen des Evangeliums. Ein hochreflektierter und inhaltsschwerer Text. Gleich zu Beginn aber wird das Wesentliche gesagt: Jesus, Gottes menschgewordenes Wort, ist Offenbarer des Vaters. In immer neuen Wendungen wird diese Glaubensüberzeugung beleuchtet und erzählt. Der präexistente Logos wurde ein Mensch. Aus der Prae-Existenz als „Wort“ bei Gott ist er herausgetreten, „vom Himmel herabgestiegen“ und als Gesandter in die Welt gekommen. Oder wie wir es hörten: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“. Um Erleuchtung durch das von Gott in die Welt gesandte, fleischgewordene Wort geht es also. Der Hebräerbrief bekannte in der heutigen Lesung Gottes Sohn als den „Abglanz seiner Herrlichkeit“. Jesus Christus das wahre, erleuchtende, alles erhellende Licht. Licht hat zugleich immer mit Hoffnung und Zuversicht zu tun. Unzählige Menschen – und ich kann sie tatsächlich nicht zählen – haben mir in den vergangenen Wochen mündlich oder über die Kommunikationsplattformen gesagt, wie sehr sie sich über die schöne Beleuchtung unserer Abteikirche freuen. Der Blick auf den Klosterberg, das warme Licht, macht ihnen Hoffnung in dieser dunklen und oft einsamen Zeit der Pandemie. Licht der Hoffnung. Wir haben es an den Adventssonntagen zum Glockengeläut in unseren Fenstern aufgestellt und wollen es auch heute Abend zum weihnachtlichen Stadtgeläut um halb acht noch einmal tun. Wer Licht sieht – denken Sie an ein fernes, aus einem Fenster scheinendes Licht in kalter, vielleicht schneebedeckter Winterlandschaft – sieht nicht nur den Schein seiner Quelle, sondern kann innerlich sogar schon die Wärme empfinden, die es verströmt. Ein Hoffnungslicht. Jesus Christus aber ist weit mehr als ein Hoffnungslicht, weit mehr als eine Kerze, die wir aufstellen oder ein Gebäude, das wir illuminieren. In ihm ist die Hoffnung bereits erfüllt, denn ER ist der Abglanz des Vaters. ER ist das wahre, alles erleuchtende Licht. Und dieses Licht verändert alles oder in Abwandlung eines Sprichwortes: Seine Gegenwart wird alles ans Licht bringen. Das wahre Licht ist also das Licht der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. In seinem Licht, wird alles erleuchtet, muss jedes Dunkel, jede Sünde und Gottesferne weichen, wird jede Ungerechtigkeit aufgedeckt, weil sie von ihm überführt und in die Wahrhaftigkeit geführt wird.
Liebe Schwestern und Brüder,
der heilige Franz von Assisi hat nicht nur die erste Krippenfeier inszeniert, sondern auch über das Weihnachtsgeheimnis meditiert und schreibt staunend:
„Beachte, o Mensch, in welch erhabene Würde Gott der Herr dich eingesetzt hat, da er dich dem Leibe nach zum Bild seines geliebten Sohnes und dem Geiste nach zu seiner Ähnlichkeit erschaffen und gestaltet hat.“
Die Würde des Menschen und das menschgewordene Wort, das alles ans Licht bringt – diese beiden Aspekte biete ich ihnen als Festgeheimnis an.
Oder anders gesagt und im weihnachtlich vertrauten Bild gesprochen:
Die Menschenwürde ist die Krippe –
die alles ans Licht bringende Wahrhaftigkeit das Kind darin…
Predigt in der Christmette (24.12.2020)
Predigtvon Abt Aloysius Althaus OSB
Schwestern und Brüder im Glauben,
Wie sehr hat sich unser Leben nun schon über Monate verändert! Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, die Kinder wochenlang zu Hause betreuen, bittere Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dazu Abstand, Hygienevorschriften, Mund und Nasenschutz, und und und…
Es gibt niemanden, dessen Leben von den Auswirkungen der Pandemie nicht verändert worden wäre in diesem Jahr. So unterschiedlich die Auswirkungen waren und sind, für uns alle heißt das: vertraute Gewohnheiten aufgeben, neue Wege ausprobieren, Distanz halten, Ungewissheit ertragen lernen. Und nun feiern wir Weihnachten am Ende dieses so ganz anderen Jahres 2020.
ABER
Erinnern wir uns, Jesus ist auch mitten im Chaos zur Welt gekommen. Für Maria und Josef war alles Vertraute, alle Sicherheit, alle menschliche Nähe weggefallen. Mitten in der Nacht, in Kälte und Einsamkeit ist Jesus zur Welt gekommen.
ALSO
Beinhaltet sich doch auch für uns heute eine Chance in der Feier der Geburt des Gotteskindes!
Viele große Dinge beginnen ganz klein. –
genau das feiern wir heute Nacht: Den kleinen Anfang einer großen Liebe.
Ein Kind wird geboren, ärmlich, am Rande einer unbedeutenden Stadt…
Der kleine Anfang eines Lebens, so klein, wie unsere menschlichen Dinge ihren Anfang nehmen: Genauso klein haben auch wir unser Leben einst begonnen.
Klein jeder Anfang von Freundschaft und Liebe, klein der erste Funke von Hoffnung in schweren Zeiten. Klein der erste Schritt zu Versöhnung und Frieden nach langem Streit.
Anfänge sind zerbrechlich, bedroht wie dieses kleine Kind in der Krippe im Stall zu Betlehem.
Und genau das ist die Botschaft der Weihnacht: Gott fängt seine Geschichte mit uns Menschen an: klein, zerbrechlich, unauffällig, und vor allem: zutiefst menschlich. Gott wird Kind!
Indem sich das Kind in der Krippe von Anfang an auf Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit einlässt, weist es auf eine Alternative im Umgang mit Verletzlichkeit. Mit dieser Art und Weise, wie die Menschwerdung Jesu beginnt, antwortet Gott auf die Wunden der Welt, nicht indem er sich unverwundbar macht, sondern indem er das Wagnis eingeht, verwundbar zu werden. Bereits die Menschwerdung in Jesus ist ein Akt der Selbsthingabe Gottes, in der sich Gott selbst schutzbedürftig und absolut solidarisch mit den Kleinsten zeigt.
In der Hingabe steckt Lebenskraft.
Wir feiern Heilige Nacht und jede und jeder von uns sollte sich fragen: Was verbinde ich damit?
Ein frommes Spiel der Liturgie? Kerzenschein und Krippenidylle?
Oder bringe ich den Mut auf, mich den Nachtseiten und Tiefen meines Lebens zu stellen? IHM die „Ställe“ meiner Armseligkeit und Müdigkeit, der Resignation und Enttäuschung zu öffnen?
Denn gerade in sie hinein ist ER geboren! Er ist in den Abgründen, in den Finsternissen bei uns, heißt es in der Schrift: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.
Schwestern und Brüder,
es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall – am Schluss der Galgen.
In dieser Nacht hat es begonnen, ganz klein und zugleich kraftvoll. Er, der menschgewordene Gottessohn sagt: ICH BIN DA! ICH BIN BEI DIR! ICH BIN DEIN LEBEN!
Kann Gott näher an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann ER ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als ER es getan hat in dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?
Karl Rahner bekennt: …sein letztes, tiefstes und schönstes Wort hat Gott gesprochen, das Wort, das er nie mehr rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus…
Zu dieser Weihnachtsbotschaft gehört aber noch ein Zweites: Weihnachten braucht Menschen, die Gottes Anfängen trauen.
Natürlich: Das Risiko bleibt. Nicht jeder Anfang gelingt. Nicht jede Hoffnung findet Erfüllung. Manche ausgestreckte Hand wird zurückgewiesen. Und wer weiß, ob das verliebte Ehepaar seinen Weg wirklich bis zum Ende gemeinsam gehen kann? Ob der junge Mönch seinem Professversprechen treu bleibt?
Gott lässt sich nicht festlegen. Und er lässt die Menschen ihren Weg gehen.
Ja: Ein Risiko bleibt, trotz Weihnachten, und deshalb braucht es Menschen. Menschen, die diesen Glauben miteinander teilen und einander ermutigen. Braucht es Menschen wie Maria und Josef, die einem Traum gefolgt sind und einem Gott, der sie ganz andere Wege geführt hat. Denen wir trauen dürfen, wenn sie uns sagen: FANG AN, brich auf, es lohnt sich!
Es braucht Menschen wie die Hirten damals, die einander zurufen: Lasst uns nach Betlehem gehen! Kommt, wir wollen Gottes Wort und Gottes Anfang trauen. Und die so die Verzagten und Erschöpften mitnehmen, die Mut machen zum Aufstehen, zum ersten Schritt.
Es braucht Menschen, die heute Weihnachten feiern, die sich berühren lassen durch dieses Kind. Die deshalb morgen wagen, den Anfängen in ihrem Leben zu trauen. Und dann die Botschaft weitertragen: Es lohnt sich.
Schwestern und Brüder,
Beten wir DEN an, der in dieser Heiligen Nacht in unsere Welt, in unser Leben gekommen ist. Bekennen wir mit dankbarem Herzen unseren Glauben: Für uns und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.
Vergessen wir nicht – angesichts der Liebe Gottes – selber die Liebe zu üben und – angesichts des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein. Liebe will Gegenliebe. Liebe will Antwort.
Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die Höchstform das Verzeihen.
Ich wünsche uns allen, dass uns, in dieser Heiligen Nacht, die Erkenntnis aufleuchtet: Heute öffnet sich auch für mich ein wenig der Himmel, weil Gott mir ganz nahe ist, weil seine Gegenwart wie ein Lichtstrahl sogar in die dunklen Winkel meines Herzens hineinleuchtet.
Trauen wir auch mit mancher Träne in den Augen den kleinen Anfängen, denn in der Krippe beginnt neues Leben – ein Neuanfang. Amen.
Predigt am 2. Adventssonntag 2020 zu Jesaja 40,1-5.9-11
Predigtvon P. Johannes Sauerwald OSB
Wie kommt der göttliche Trost zum Menschen?
Wer in den augenblicklichen Lebensumständen zurechtzukommen sucht und sich umschaut, ob es früher schon einmal ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat, und wie man die Krise damals überstanden hat, und dann auf die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja stößt, findet eine bemerkenswerte Weise vor, wie einer der größten Tiefpunkte in der Geschichte des Volkes Israel, die Zeit des babylonischen Exils, bewältigt worden ist.
Den Hintergrund dieses Textes, so ahnt der Leser, bildet die seelische Krise, die durch die Vertreibung ins Exil entstanden war. Der Verlust ihrer Heimat setzte den Menschen zu, sie drohten, ihre Identität zu verlieren. Das stürzte sie in tiefe Trauer, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Irgendwann müssen sie so weit gekommen sein, dass sie sich gesagt haben: Es wird sich nichts mehr ändern. Wir sitzen hier in der Fremde fest, entrechtet, unterdrückt, ohnmächtig, unserer Feste und Lieder beraubt, ohne die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Unser Volk und alles, was uns heilig und kostbar war, unser geistiges Erbe werden bald aus der Geschichte ausgelöscht sein, vergangen und vergessen.
Was hat der Prophet einem da noch zu sagen? Durchhalteparolen einhämmern? Appelle verkünden, Vorhaltungen machen? Nichts von dem macht der Prophet. Er sammelt eine Gruppe wacher Menschen um sich, die noch nicht aufgegeben haben, und ruft ihnen zu: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Diese Worte hat er sich nicht selbst ausgedacht, denn er hat die Stimme Gottes gehört, sie durch die Trauer hindurch, über alle Hoffnungslosigkeit hinweg, erlauscht. Was diese Stimme ihm sagt, kommt unerwartet, denn sie klingt ganz anders, als die Leute sicher angenommen hätten. Trösten, das ist jetzt die Hauptsache. Trösten, das heißt: Gut zureden, zu verstehen geben, dass da einer ist, der um die Nöte und Ängste der Menschen weiß, dass Gott selbst es ist, der mit euch fühlt. Gott rechnet nicht die Sünden vergangener Zeiten auf, macht den ins Elend Geratenen keinen Vorwurf, lehnt sie nicht ab. Ganz eindringlich ist der Auftrag gesagt: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Und das meint: Sagt etwas, das wirklich zu Herzen geht und dort ankommt, wo die Trauer sich eingenistet hat – und das ist etwas anderes, als bloß „husch-husch“ eine optimistische Stimmung zu verbreiten.
Was der Trost bewirken soll, ist ein Mentalitätswandel, und der kommt nur zustande, wenn eine neue Überzeugung entsteht. Die Überzeugung muss sich von innen her bilden, sonst verfliegt der Trost wieder.
Zu einem echten Trost gehört mehr als Empathie, nämlich eine neue Perspektive. Was aber ist in der Lage, Mut zu machen? Nach rein menschlichem Ermessen ist zwar die Lage hoffnungslos, aber die Initiative geht ja von Gott aus, von seinen Möglichkeiten.
Der entscheidende Satz lautet: „Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht.“ Das ist der Fixpunkt der Perspektive.
Das ist nicht abstrakt-fromm daher gesagt, sondern soll heißen: Gott kommt und macht dem Exil ein Ende. Wir wissen im Nachhinein aus dem Verlauf der Geschichte Israels, dass es politische Vorgänge in Mesopotamien waren, die die Voraussetzungen dafür waren, dass die Verschleppten wieder nach Hause ziehen konnten. Als das Reich Babylon am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts zerfiel, übernahm die persische Großmacht die Vormacht-stellung in dieser Gegend. Sie war es auch, die den Juden die Rückkehr ins Stammland gestattete. Aber vom biblischen Glauben her war es Gott selbst, der die Geschicke lenkte und in seiner Bundestreue dem Volk ermöglichte, mit ihm eine neue Zukunft zu beginnen. Er sammelte es um sich und führte es weiter.
Damit hat der Prophet den Zielpunkt genannt, die Wendung zum Guten. Doch ist seine eigentliche Botschaft noch nicht an ihr Ende gekommen. Es geht ihm um mehr. Nämlich das, worauf es jetzt ankommt. Weil Gott kommt und seine Herrlichkeit sichtbar machen will, gilt es, sich jetzt darauf einzustellen. Jetzt ist es vor allem wichtig, die Hindernisse zu beseitigen, die Gottes Kommen im Wege stehen. Diese Hindernisbeseitigung macht der Prophet mit einem anschaulichen Bild klar: dem Bild des Landschaftsumbaus. „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße1“ Das sind die horizontalen Umbaumaßnahmen. Dann nennt er die vertikalen: „Was krumm ist, soll gerade werden, was hügelig ist, werde eben!“
Wenn wir in einer Landschaft vorwärts kommen wollen, werden wir manchmal durch schwieriges Gelände aufgehalten. Es zu überwinden, kostet Zeit und Mühe. Ähnlich ist es, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unzugänglich sind. Sie lassen einen nicht an sich herankommen. Es kostet viel Geduld, um Ärger zu vermeiden und sich zu verständigen. Auch Gott hat es nicht leicht, uns zu erreichen, bei uns mit seinen guten Absichten anzukommen, etwa um uns zu heilen, zu trösten oder neuen Schwung zu verleihen. Wir machen es ihm mit unseren Eigenwilligkeiten, unseren Fixierungen auf Lieblingsideen und selbstbezogenen Wünschen nicht leicht, uns zu erreichen und wirklich heranzulassen. Wir haben uns vielleicht schon so sehr an unsere Fehler gewöhnt, an gewisse Schwächen und sogenannte „Sachzwänge“, dass wir gar nicht mehr damit rechnen, uns in diesen Punkten ändern zu können. Das gilt nicht nur für den jeweils Einzelnen, sondern ist bei Institutionen, Gruppierungen, bei gesellschaftlichen Unternehmen und Staaten zu beobachten. Es kann sogar die Strukturen der Staaten untereinander bestimmen, mit schwerwiegenden Folgen.
Wenn wir nun auf Weihnachten zugehen, dann haben wir eine gute Gelegenheit, das Kommen Gottes in der Menschwerdung Christi anzubahnen. Denn er will uns ja dort treffen, wo wir uns befinden und ihn benötigen. Wenn er sich uns in seiner Herrlichkeit zeigt, dann schenkt er uns auch Kraft und Mut, dann verleiht er uns eine von innen kommende Überzeugung, die durch Hindernisse und Unwegsamkeiten hindurch in der Lage ist, seine Gegenwart, seine liebende Nähe zu erfahren. Das ist eine Zusage, die uns in dieser Krise helfen wird.
Predigt am Ersten Adventssonntag (29.11.2020)
Predigtvon Abt Stephan Schröer OSB
Er ist anders, der erste Advent in diesem Jahr.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir hier in der Abteikirche sind eine kleine Schar. Und wahrscheinlich nicht alle in einer freudigen Erwartung, wie sie zum Advent gehört. Eher nachdenklich mag sich der eine oder andere fühlen, nicht frei von Sorgen und Unsicherheit.
Und draußen vor der Kirche. Es gibt keinen Adventsmarkt. Da gehen die Gedanken zurück in die vergangenen Jahre. Viele Menschen waren unsere Gäste, bekannte Gesichter, und solche, die voller Erwartung zum ersten Mal kamen. Sie kamen, um all das anzuschauen, was über lange Wochen von vielen hilfreichen Händen vorbereitet worden war, um zu probieren, das Gebäck, den Stollen, den Glühwein, die Gerichte aus unsere Küche, oder um schon etwas für das Weihnachtsfest zu kaufen. Um zusammen zu sitzen und zu sprechen, in der Oase, im Forum, vor der Kirche, im Laden. Und in den Einstimmungen in der Kirche zu spüren, wie schön diese Zeit sein kann, die auf das Fest der Menschwerdung führt. Eine Zeit der Begegnung, der Nähe, der Vorfreude.
Der erste Advent in diesem Jahr, er ist anders.
Die Pandemie hat die Vorzeichen gesetzt. Angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit macht es Sinn, Regeln aufzustellen, Selbstverständliches einzuschränken, Abstand zu halten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und manches zu streichen, was mit festlicher Nähe zu tun hat. Eine Situation, wie sie so für uns alle neu ist.
Und verständlich ist es, wenn viele in Sorge sind und Fragen haben: Wie wird es Weihnachten? Die Familie? Die Reisen? Wie lange geht das noch? Und wann wird die Möglichkeit bestehen, durch eine Impfung geschützt zu werden? Fragen, die uns auch heute Morgen umtreiben. Und wie feiern wir Gottesdienst angesichts dieser Fragen? Gottesdienst im Advent, dieser Zeit, die von Hoffnung und Erwartung geprägt ist und ja den Blick auf Weihnachten öffnen will, dieses Fest, das wie kein anderes mit gelungenem Leben zu tun hat.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir sollten es auf jeden Fall jetzt gemeinsam versuchen. Und es liegt nahe, die Texte zu befragen, die uns heute dabei begleiten. Am meisten berührt haben mich die Sätze aus dem Markus-Evangelium, kurz und einprägsam. Jesus im Gespräch mit seinen engsten Vertrauten, mit Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas. Und dann, als er von dem Türhüter erzählt und dessen Sorge, wenn der Hausherr auf Reisen ist, eine kurze Forderung, die an Intensität noch gewinnt, weil sie zweimal wiederholt wird: Gebt Acht und bleibt wach! Und dann: Seid wachsam! Und: Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam.
Beim ersten Hören wirkt es wie die Einladung zu einer eigenen Pandemie-Predigt.
„Seid wachsam“, das ist die sinnvolle und verständliche Ermahnung der politisch Verantwortlichen. „Seid wachsam“: Das ist sicher auch das Wort derer, die den wissenschaftlichen Hintergrund erforschen und erklären und auf die Folgen des Corona-Virus verweisen. Eine solche „Pandemie-Predigt“ allerdings möchte ich nicht halten. Erst recht nicht, wenn ich daran denke, welche Fülle von Nachrichten uns täglich begleitet und uns auch wegen mancher Widersprüchlichkeit, Falschinformation und Polemik oft ratlos, verwirrt, auch hin und wieder aggressiv zurück lässt.
Eher bescheiden möchte ich fragen: Wie könnte unser Advent in diesem Jahr aussehen angesichts der Fakten, die unsere Zurückhaltung, unsere Ernsthaftigkeit und manche Einschränkung fordern. Manches ist anders. Und für manche ist es eine schwere Zeit.
Das Wort Jesu von der Wachsamkeit ist ja, wie wir eben gehört haben, an alle gerichtet, also auch an uns, die wir jetzt hier zusammen sind.
„Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“
„Das sage ich allen.“ Eine Aufforderung, die alle erreichen will und die auch alle mittragen und weitertragen sollen. Und wenn ich zwischen den Zeilen lese und es richtig heraushöre, ist hier von einer Wachsamkeit die Rede, die nicht voller Angst erstarrt und nur die Vorschrift kennt und dass ich alles richtig mache. Nein, sie ist offen für Neues, für Überraschungen. Sie schaut voller Achtsamkeit hin und nimmt wahr, was alles möglich ist. Und sie ist aktiv. Sie ist eben voller Erwartung.
Also: Sei wachsam.
Wie kann das sein, in diesem Advent? Die Einschränkungen unseres Alltags schenken uns Zeit. Für manche ist es die Einladung, auszuruhen, durchzuatmen,
Kraft zu schöpfen. Das tut gut. Für andere ist es vielleicht die Einladung, zuhause aufzuräumen. Eine Sache, die noch so sinnvoll sein mag, aber in der Regel in der Begeisterung nicht von Dauer ist und oft von sehr beschränktem Erfolg. Oder es wird berichtet, dass Baumärkte ein unverhofftes Umsatzplus verzeichnen. Das deutet auf erheblichen Reparaturbedarf in den eigenen vier Wänden. Sicher, es wird auch manche geben, die sich langweilen, herumhängen und die Tage vertrödeln. Aber ich spüre, es bringt mich meiner Frage nicht näher, wie Wachsamkeit in diesem Advent Gestalt finden kann.
Es geht ja um Advent, übersetzt also um „Ankunft“. Advent, sprachlich ist das Wort verwandt mit dem englischen „Adventure“, was ja „Abenteuer“ meint. Advent hat mit Warten und Erwartung zu tun und damit mit Zukunft.
Und es geht um eine Ankunft besonderer Art. Es geht um die Gegenwart Gottes unter uns. Jetzt schon, in unserem Alltag. Menschwerdung Gottes… Das ist auf Aufbruch gestimmt, auf Neubeginn, auf Zukunft. Das hat mit unseren Tagen zu tun, mit unserem Leben. Und wenn ich das, was mich Weihnachten erwartet,
in aller Kürze umreißen soll, dann ist es dies: Das Staunen über diesen Gott, der sich um uns Menschen sorgt. Über diesen Gott, der uns nachgeht bis zur Menschwerdung. Über diesen Gott, der trotz aller Probleme und Katastrophen in unserer Welt, trotz manchen Leids vielleicht ganz in meiner Nähe, uns immer wieder deutlich macht, dass er uns nicht allein lässt. Sich von diesem Gott anrühren lassen, das ist Weihnachten. Und ihn zu erwarten, das ist Advent, ihn zu entdecken in meinen Tagen.
Es geht um diesen Jesus, der uns allen unsere Einmaligkeit und Würde zeigt und es ein Leben lang nicht lassen kann, von diesem neuen Leben zu erzählen und es zu teilen, und uns an unsere Möglichkeiten in der Kraft des Geistes Gottes zu erinnern.
Wenn ich auf diesen Advent schaue, der so anders ist, stiller als sonst und nachdenklicher, frage ich mich, ob das nicht auch eine Einladung sein kann, neu und einmal ganz anders über mein Leben nachzudenken. Wie könnte dieser Advent im Alltag für mich aussehen? Nicht, dass ich Ihnen Rezepte an die Hand geben möchte. Das würde mich überfordern. Und mit Sicherheit würde ich Dinge sagen, die sie nur langweilen. Noch dazu würde es Ihre Entdeckerfreude einschränken. Und das möchte ich nicht.
Ich möchte Sie nur einladen, Ihren Alltag neu in den Blick zu nehmen, unter adventlichen Vorzeichen. Vielleicht ist manches Gewohnte und Selbstverständliche einer neuen Aufmerksamkeit wert. Vielleicht hat manches mit dem Leben zu tun, das auf der Strecke geblieben ist.
Advent, geschenkte Zeit, um neu nachzudenken, über mich, ganz persönlich, mich zu erinnern an Dinge, die ich einmal begonnen und gern getan hätte, die aber im Alltagstrott untergegangen sind. Mal wieder mit Menschen, denen ich vertraue, in Ruhe zu sprechen, und mit solchen, mit denen es Streit gab, Versöhnung zu suchen. Schöne Dinge im Alltag neu zu entdecken, Musik, Bücher, das Erlebnis in der Natur. Neues auszuprobieren, schöpferische Begabungen zuzulassen oder ganz neu zu entdecken. Vielleicht wird es dann wirklich abenteuerlich.´Das alles hat mit meinem Leben zu tun.
Und vielleicht entdecke ich dann tief in meinem Herzen Spuren, die mit dem Advent, der Ankunft, der Ankunft Gottes in meinem Alltag zu tun haben. Advent mitten in meinem Alltag, mitten in meinem Leben, dass Gott dabei ist, schon jetzt. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen ich mich schwer tue, weil manches nicht geht, oder wenn ich mich erschöpft fühle und getrieben, wenn ich mir selbst im Weg stehe und mich selbst nicht leiden kann, kann der Advent neu den Blick freigeben und schärfen und Neues möglich machen, was mit meinem Leben zu tun hat.
Mein Wunsch für uns an diesem ersten Advent ist, dass wir erfahren dürfen, dass Gott jetzt schon dabei ist, in unseren Herzen, damit das Unerwartete geschehen kann, und uns eine neue befreiende Sicht auf unseren Lebensweg geschenkt ist und von da auch ein offener Blick auf die Menschen, die mit uns leben, besonders für die, die es in diesen Tagen schwer haben, weil sie krank sind oder hilflos oder einsam sind und vielleicht ausgerechnet auf mich warten.
Vielleicht ist es auch ein Weg, neu Mut zu schöpfen in einer Welt, die ja in mancher Hinsicht bedroht ist, und Mut zu finden zum kritischen Blick und zu Schritten, die mit Frieden zu tun haben.
Meine Schwestern, meine Brüder,
ich wünsche Ihnen die Gegenwart Gottes in diesem Advent. Und erinnere noch einmal an das Wort des Apostels Markus von der Wachsamkeit. Vielleicht gibt es manches zu entdecken, was mit unserem Leben zu tun hat. Vielleicht können wir neu spüren, dass wir von Gott getragen sind.
„Habt acht! Bleibt wach! Seid wachsam!“
Predigt am Christkönigssonntag (22.11.2020)
Predigtvon Abt Aloysius Althaus OSB
Das Christkönigsfest ist ein Fest des Lobpreises. Gott gebührt Lob und Ehre, weil er uns im Leben und Sterben und in der Auferweckung seines Sohnes gezeigt hat: Jesus Christus ist Alpha und Omega, ist Anfang und Ende. Jesus Christus und die Liebe werden das letzte Wort haben.
Und somit fragt Jesus im gehörten Evangelium nicht nach dem Glauben, sondern nach der Liebe.
Vielleicht sind wir und unsere Kirche viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir Gottes Wort und den Glauben in die Sprache des modernen Menschen übersetzen können, während wir uns auf die einzige Sprache, die alle Menschen sprechen, auf die Sprache der Liebe, zu wenig verstehen.
In diesem Sinn finde ich ein Wort der Dichterin Hilde Domin anregend und hilfreich. Sie schrieb: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zum letzten Atemzug.“
Schwestern und Brüder,
ich denke, das könnte ein Weg für uns alle sein!
NICHT IM STICH LASSEN –SICH NICHT UND ANDERE AUCH NICHT.
Hören wir unter diesem Vorzeichen noch einmal die Worte des Evangeliums:
„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben… ich war krank und ihr habt mich besucht…“
Eindringliche Worte. Manchmal sind wir selbst die Bedürftigen und wünschen uns sehnlichst, dass uns einer hilft, uns stärkt, uns besucht, zumindest uns mit einem Wort, mit einer Geste nahe ist. Die Rollen und die Lagen, in denen wir sind, wechseln im Lauf unseres Lebens immer wieder: Wir sind stark, um für andere da zu sein, wir sind schwach und auf andere angewiesen. Beides sind wir.
Ja, nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht-.
Wo Menschen am Mitmenschen so handeln, dort ereignet sich das, was Jesus Reich Gottes nennt: Dort sind Frieden, Gerechtigkeit und Liebe möglich.
Gerade hier in unserer Friedenskirche, im Blick auf unser Christ-Königs-Kreuz, wird es mir immer wieder bewusst:
Lass dich lieben, denn nur in der Liebe wirst du dich selber aushalten können.
Du wirst Dich bekehren können, Dich zuwenden können und dann sehen, dass Du die Liebe brauchst, die du aus dir selber nicht hast, die Liebe, die dich heil machen kann. Lass mich an dich heran, damit Du liebend wirst.
Wo Menschen hingegen ihre Freiheit dazu nutzen, auf Kosten anderer zu leben, wachsen Unrecht, Neid, Gewalt und Krieg.
Eine Mysteriengeschichte
Da ist eine kleine französische Stadt, verschlafen, festgelegt, beengend, versunken in Grabesruh. Die Bewohner dieser Stadt: kleinbürgerlich, sittenstreng, ängstlich, irgendwie „gefesselt“. Keiner tanzt aus der Reihe. Sonntags geht man zur Kirche. Der Bürgermeister regiert und korrigiert dem Pfarrer auch die Sonntagspredigt.
Ausgerechnet in der Fastenzeit nimmt eine Frau in dieser Stadt Wohnung. Und eröffnet – in der Fastenzeit – eine Chocolaterie! Dort dreht sich alles um Pralinen, köstliche Dinge aus Schokolade, vielfältig und wohlschmeckend.
Und diese Frau versteht zu verkaufen. Energisch, charmant, einfühlsam und liebenswürdig. Sie bezaubert die Menschen in der kleinen Stadt. Manchmal ist sie allerdings auch traurig und unsicher und bedrückt. Ein Mensch eben und keine Ikone!
Dieser Laden, die Frau und die Schokolade stören die Leute auf, stören den Lebenslauf in der Stadt. Etwas Neues und Ungeahntes kommt in Gang. Es entsteht Bewegung.
Die Frau und ihre Schokolade gewinnen die Menschen. Der Laden wird zum Treffpunkt all derer, die der Kleinkariertheit ihrer Umgebung entfliehen wollen.
Begegnungen, Freundschaften, Gespräche wachsen.
Es gibt aber auch heftigen Widerstand, Feindschaft, Verleumdung, ja Todesgefahr.
Soll die Frau ihren Laden zumachen?
Doch der Strom der Offenheit, des neu erwachten Vertrauens, der Hoffnung ist nicht zu stoppen.
Lösung, Lockerung, Aufbruch, Heiterkeit, Fröhlichkeit, Lachen. Eine neue Zeit in dieser kleinen Stadt.
Mir scheint, diese Geschichte hat eine tiefe Symbolik. Diese Frau und das Medium „Schokolade“ stehen für Heil und Glück, für Verwandlung und Neugeburt, für Auferstehung, für Erlösung. Alles verändert sich. Es wächst eine neue Stadt, eine neue Welt.
Bei den Menschen dieser Geschichte findet sich das, was Kennzeichen jeder christlichen Gemeinde und Gemeinschaft sein sollte:
Die Geschichte hat mir wieder einmal die Augen geöffnet. Sie ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, eine Ostergeschichte, eine Erlösungsgeschichte unseres Alltags. Der tiefste Sinn menschlichen Lebens und christlichen Glaubens bricht hier auf.
Meine Schwestern und Brüder,
uns bedrücken oft genug Sorgen und Ängste. Viele von uns kennen Einsamkeit, Armut und Leid. In der Welt, in der wir leben, verdüstert sich oft der Horizont.
Da hinein nun kommt die Botschaft dieses Sonntags, des Christkönigsfestes. Die liturgischen Texte sprechen von „Herrschaft Gottes über allen und allem“, vom „Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit“, von der Gegenwart Christi in den Hungrigen und Durstigen, den Obdachlosen, Nackten und Kranken, sprechen vom Geschenk „ewigen Lebens“.
Der Christkönigssonntag ist eine Oster-Erinnerung. Ein Sonntag, der von der Nähe und Freundschaft Gottes berichtet; der uns an das tiefste Geheimnis unseres Lebens erinnern möchte: Du wirst geliebt und kannst lieben. Du bist in einer Gemeinschaft und kannst Gemeinschaft gewähren. Du bist erlöst und kannst andere erlösen. Mitten im Alltag treffen wir auf den gegenwärtigen Herrn und Bruder Jesus Christus, wenn wir nur die Augen des Glaubens öffnen.
Und am Ende unseres Lebens steht nicht die Dunkelheit des Grabes, sondern die Einladung zu einem großen Fest, zu neuem Leben!
Die Frohe Botschaft des heutigen Festes will Ermutigung sein, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Es geht um eine nüchterne, alltägliche und unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Im Sinn Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen.
Wir vergegenwärtigen in dieser Eucharistiefeier und darüber hinaus Jesus als einen Menschen, der in wehrloser Liebe die Mächte und Gewalten erleidet, der sich hingibt in den Tod, der sich auf den Willen Gottes horchend der Gefahr des Scheiterns und der Vernichtung aussetzt und die Lebensbedrohung auf diese Weise entmachtet.
Es liegt an jeder und jedem von uns persönlich, ob ich mich von dieser Liebe prägen lasse.
Wenn wir es wagen, dann werden wir spüren, was die heutige Präfation so schön ausdrückt: Das Reich der Wahrheit, in dem es nicht um Rechthaben geht; das des Lebens, in dem Menschen befreit und angstfrei aufatmen können; das Reich der Heiligkeit, dass mich einlädt, ganz der zu sein, der ich bin; ein Reich der Gnade, da wir alle begreifen, dass wir das Wesentliche im Leben eh nur geschenkt bekommen können; ein Reich der Gerechtigkeit, die mehr meint, als Recht zu bekommen; ein Reich der Liebe, die unser Markenzeichen sein sollte und dann auch das Reich des Friedens, das dort einzieht, wo der Mensch Gott und den Nächsten wie sich selbst liebt.
Schwestern und Brüder,
wir sind eingeladen, uns vom auferstandenen Herrn berühren und von seiner Kraft verwandeln zu lassen. Um dann andere zu verwandeln. Wir sind eingeladen, an diesem Christkönigsfest noch einmal Ostern zu erfahren und weiterzugeben. Geschieht das, dann wird sich leise auch unser Lebensraum verändern, ja, liebevoll das Antlitz der Erde erneuern. Amen.
Predigt am 33. Sonntag im Jahreskreis (15.11.2020)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.
Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.
Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.
Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.
Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!
Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.
Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.
In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:
„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen.
Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“
Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.
Predigt am 32. Sonntag im Jahreskreis (08.11.2020)
Predigtvon Br. Emmanuel Panchyrz OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Laut orientalischem Brauch haben die Freundinnen der Braut bei einer Hochzeit den Auftrag, den Bräutigam mit Lampen – die Exegeten sprechen von ölgetauchten Lichtfackeln – zu empfangen und ihn in den Hochzeitssaal zur Braut zu geleiten. Es sind zehn an der Zahl. Der Bräutigam kommt in der Nacht – verspätet. Die fünf klugen haben vorgesorgt, sie haben Ölvorräte; die törichten bzw. die dummen haben kein Öl mehr. Sie müssen zum Krämer, um neues Öl zu besorgen. Diese kommen dann zu spät zum Hochzeitssaal. Die Tür ist bereits verschlossen. Sie rufen: „Herr, mach uns auf!“ Darauf die Stimme des Bräutigams: „Ich kenne euch nicht“. Die genug Öl dabei hatten, können zum Feiern in den Hochzeitssaal, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Unser gerade gehörtes Gleichnis, das für das Himmelreich, die gerechte Welt Gottes, steht, befindet sich in der großen Endzeitrede des 24. und des 25. Kapitels des Matthäusevangeliums. Eingerahmt ist es in die Beschreibung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Schilderung der Wiederkunft Christi. Bedeutend ist die Aussage, dass niemand die Stunde kennt, wann der Menschensohn kommen wird, nicht die Engel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Der Rahmen am Ende: Das große Weltgericht mit der Scheidung der Schafe von den Böcken. Dann folgt die Aussage des Weltenherrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dazwischen zeichnet Matthäus vier Gleichnisse. Das heutige ist das dritte. Die jeweilige Hauptintention ist es, jetzt Christus zu begegnen. Wir werden aufgefordert, wie die klugen Jungfrauen wachsam zu sein, um dem Bräutigam zu begegnen. Der Bräutigam ist Christus. Dieser Christus kommt jetzt und überraschend.
Beim Lesen des Gleichnisses stellten sich bei mir auch Widerstände ein. Diese Widerstände waren auch mit Verstörung gepaart. Die klugen Frauen teilen nicht ihr Öl. Werden wir uns nicht gerade diese Woche, am Martinsfest, der christlichen Haltung des Teilens erinnern? So wie Martin von Tours seinen Mantel mit dem Bettler teilt, so sind wir als Christen eingeladen zu teilen. Das Öl möchte ich deuten als die Bereitschaft, dem kommenden Bräutigam entgegen zu gehen, den gegenwärtigen Christus zu empfangen. Diese sehnsuchtsvolle Offenheit und Bereitschaft, den gegenwärtigen Christus zu empfangen, kann nur eine innere Haltung sein. Diese innere Haltung will ein Leben lang in einem spirituellen Prozess eingeübt werden. Diese innere Haltung kann ich nicht an einen anderen Menschen weitergeben. Ich kann diese Haltung auch nicht dem Anderen überstülpen. Ebenso kann ich diese spirituelle Haltung nicht einfach beim Händler besorgen. Auf mich kommt es an.
So möchte ich heute das Gleichnis verstehen: Eine Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit wird gefordert in meiner persönlichen Nachfolge. Auf das Heute und auf das Jetzt kommt es an. Es ist eine klare Absage bezüglich all unserer Aufschiebetaktiken: demnächst irgendwann einmal. Wir wissen es ja alle schon, dass es auf das Jetzt ankommt. Das ist unsere innere Wachsamkeit. So beten wir jeden Dienstag im Morgengebet: „Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wann das sein wird, weiß keiner von uns. Uns bleibt heute allein der Schluss des Gleichnisses: „Seid also wachsam. Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Mein zweiter Widerstand beim Lesen: Die Tür wird vor der Nase zugesperrt. Es gleicht einem kalten Fallen der Tür ins Schloss. Heißt es nicht bei Lukas: „Klopft an, und es wird euch geöffnet“? Und heißt es nicht in der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“? Wenn wir ehrlich auf unser Leben schauen, kennen wir das Phänomen der vertanen Chancen. Es ist das Unwiederbringliche, das nicht mehr Nachzuholende. Wir alle kennen das Zuwenig und das Zuspät. Das, was wir noch gerne gesagt oder getan hätten: Ein Wort der Liebe, eine Bitte um Vergebung. Ein Letztes: Es ist alles gut jetzt. Töricht sind wir alle. Wir kennen doch unsere ablaufende Frist. Der November mit seiner vergänglichen Stimmung erinnert uns daran. Wir können in unserem Leben nichts verschieben. Unsere Zeit steht nicht in unseren Händen. Und es bleibt ernst: Es gibt die Wahrheit des vertanen Lebens. Welche Lebensschule ergibt sich daraus? Wir müssen gegenwärtig sein und dem gegenwärtigen Christus begegnen. Gott selbst ist Gegenwart. Es bedarf unserer inneren Aufmerksamkeit und unserer Achtsamkeit und einer Beachtung unserer Innerlichkeit, um dem Göttlichen in unserem Leben zu begegnen. Eine Möglichkeit ist in unserer mönchischen Tradition die Vertiefung in das Wort Gottes. Der Christ wie der geistliche Mensch übt. Es genügt aber nicht nur, innerlich zu sein und „Herr, Herr“ zu sagen, sondern der lautere Ausdruck der spirituellen Haltung ist der Blich auf die Ränder des Lebens. Den gegenwärtigen Christus erkennen wir im Armen, im Entrechteten, im Kranken und im Fremden.
Ein dritter Widerstand: Die Stimme des Bräutigams: „ Ich kenne Euch nicht!“ Eines der unheimlichsten Worte der Evangelien, wie ich finde. Warum erkennt der Bräutigam sie nicht?
Ein wesentlicher Punkt im Gleichnis ist die Erwartung des Bräutigams. Kluge wie Dumme wollen den Bräutigam sehen. Das Erwarten meint doch die Hoffnung. Existentielle Hoffnung meint im Christlichen immer, dass uns über unseren Tod hinaus Heil geschenkt wird. Göttliches Heil steht jenseits unserer Todesgrenze. Der Hochzeitssaal steht ja für unser seelisches Erlösungsbild. Im Fest werden wir jenseits unseres Todes Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Heil will uns allen von Gott her geschenkt werden. Diese Zuwendung Gottes haben wir nicht in der Hand. Wir haben es nicht im Griff. Wir Menschen bleiben Empfangende. Wir dürfen Hoffnung haben. Diese Hoffnungsperspektive ist das Erkennungsmerkmal derer, die mit der Sache Jesu, seinem Reich, ernst machen. Und wenn nicht? Wenn wir diese Hoffnung nicht in uns schüren, dann verändern wir uns bis zur Unkenntlichkeit. Wir werden nicht erkannt! Auch im geistlichen Leben können wir uns bis zur Unkenntlichkeit verändern.
In Hinblick auf unsere Sterblichkeit möge unser Hoffnungsbild von Folgendem geprägt sein:
Das Lebenslicht unserer Lebenslampe wird einmal ausgelöscht, da die göttliche Sonne, die keinen Untergang mehr kennt, über unserer Existenz aufgegangen ist. Möge dieses Hoffnungsbild mich, uns alle hier trösten. Amen.
Predigt an Allerheiligen (1.11.2020)
Predigtvon P. Helmut Bochnick OSB
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Frage, die hinter dem Fest Allerheiligen, das wir heute feiern, steht, könnte so lauten: Was ist das Ziel unseres Lebens? Woraufhin sind wir unterwegs?
Gerade in der momentanen Jahreszeit, in der sich die Natur mehr und mehr in den winterlichen Ruhezustand zurückzieht, wo vieles abstirbt und zu Ende geht und wo vielleicht auch wir selber uns mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert sehen oder sie uns neu bewusst wird, erinnert uns das Fest Allerheiligen an unsere christliche Berufung und Hoffnung.
Berufung und Hoffnung:
Beides nämlich, der Ruf Jesu in die Nachfolge, der an uns in der Taufe ergangen ist, aber auch die in der Auferstehung Jesu begründete Hoffnung im Tod und über den Tod hinaus, machen deutlich, dass es sich beim Fest Allerheiligen um ein Fest des Lebens, um ein im wahrsten Sinne des Wortes lebendiges Fest, ein freudiges, hoffnungsvolles und Hoffnung machendes Fest handelt.
Das die Liturgie einleitende Tagesgebet hielt uns vor Augen, dass wir heute eingeladen sind, „die Verdienste aller Heiligen zu feiern.“
Einige dieser Heiligen sind uns von Kindheit an wohl vertraut, wie zum Beispiel St. Martin, der heilige Nikolaus oder die heilige Barbara, deren Lebensgeschichten wir nicht zuletzt in liebgewordenen Traditionen alljährlich erinnern. Andere Heiligengestalten wiederum sind uns im Gegensatz dazu selbst vom Namen her weniger oder gar nicht bekannt.
Doch wer die Heiligenlisten zu Rate zieht, wird sehr schnell feststellen, dass hier Frauen und Männer aus ganz verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Alter und Wesen verzeichnet sind.
Aber all diese Heiligen haben gemeinsam, dass sie sich von der Botschaft Jesu haben ansprechen und treffen lassen, und dass sie Jesus nachgefolgt sind und in ihrer Betroffenheit die Seligpreisungen, die wir im heutigen Evangelium gehört haben, zum Maßstab ihres Lebens gemacht haben.
Diese Menschen haben sich auf Jesu Botschaft eingelassen und sie zu ihrer Lebensmitte gemacht, haben ihr mit ihren je eigenen, von Gott geschenkten Talenten und Möglichkeiten eine Gestalt gegeben und auf diese Weise die Botschaft vom Reich Gottes schon in dieser Welt Wirklichkeit werden lassen.
Sie haben eine oder mehrere dieser Verheißungen des heutigen Evangeliums lebendig werden lassen und damit gezeigt, dass es sich bei den Seligpreisungen nicht um eine bloße Traumwelt, eine Vision oder Utopie handelt. Ihre Lebensgeschichten lehren uns vielmehr, dass die Botschaft Jesu lebbar und verwirklichbar ist.
Grundlage dafür war, dass sich die Heiligen vor Gott arm gemacht und arm gewusst haben. Sie sind mit offenen, leeren Händen vor Gott gestanden, einerseits im Wissen, dass sie von seiner Zuwendung abhängig sind und andererseits mit dem Vertrauen, dass Gott es ist, der ihre leeren Hände mit seiner Nähe, mit seinem Frieden, mit seiner Kraft füllen kann.
Diese empfangende Haltung hat die Heiligen die Welt mit den Augen Gottes anschauen lassen. Und das hat sie zu jenen Akzentsetzungen in ihrem Leben, zu jenen Taten, Entscheidungen oder Haltungen verholfen, auf die wir, wenn wir ihr Leben betrachten, manchmal mit Bewunderung, manchmal auch mit Verwunderung, manchmal vielleicht auch mit Entsetzen und dann auch wieder mit großem Staunen blicken.
Das Fest Allerheiligen nimmt also alle Menschen in den Blick, die den Weg der Nachfolge Jesu gegangen sind und seine Botschaft in ihrem Umfeld, in ihrer Zeit, in ihrer Situation und mit ihren Möglichkeiten gelebt haben.
Und dazu zählen nicht nur jene Menschen, die wir als Heilige verehren.
Dazu zählen auch all jene stillen, unbekannten, zum Teil längst vergessenen Menschen, die dem Glauben Gestalt gegeben haben und die bei Gott zur Vollendung gelangt sind.
Sie alle sind die „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, von denen Johannes im Buch der Geheimen Offenbarung im 7. Kapitel, Vers 9 sagt, dass „sie niemand zählen konnte“.
In der Präfation des heutigen Festtages heißt es:
„Heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Schwestern und Brüder, die schon zur Vollendung gelangt sind.“
Es sind unsere Schwestern und Brüder, nicht irgendwelche Übermenschen, die das heutige Fest in den Blick nimmt.
Dieser Lobpreis ist bemerkenswert, denn er schlägt förmlich eine Brücke zwischen denen, die bei Gott schon vollendet sind und uns, die wir noch auf dem Weg zum Ziel unseres Lebens sind.
Als Christen wissen wir um die Vorläufigkeit dieses Lebens und richten unseren Blick nach vorne, wo uns ein Leben über den Tod hinaus verheißen ist.
Die Heiligen, auf die wir heute blicken, halten uns diesen Blick und die Hoffnung auf den Himmel offen.
Ihr Leben, ihre Verdienste sollen uns nicht frustrieren oder demotivieren, weil wir meinen, sie kopieren zu müssen und gleichzeitig spüren, dass uns manche ihrer Taten zu groß, zu heroisch, zu unerreichbar erscheinen.
Was unsere Schwestern und Brüder in der Vollendung in ihrem Leben auf Erden ausgezeichnet hat, ist, dass sie der Verheißung gefolgt sind, die Jesus mit den Seligpreisungen seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben hat.
Die große Anzahl der Heiligen zeigt, wie vielfältig diese Nachfolge aussehen kann und wie vielfältig daher auch Heiligkeit gelebt, erkennbar und spürbar werden kann.
Das heutige Fest Allerheiligen macht uns deshalb Mut, wie viele Menschen vor uns auf dem Weg der Nachfolge Jesu zu gehen und dabei heilig zu werden. Denn dazu sind wir berufen: Heilige zu sein! Jetzt schon! Wir wissen es bloß noch nicht – oder schon nicht mehr…
Und es ist ein Weg, der uns zum Leben führt: zum Leben Gottes und seiner Heiligen, unserer Schwestern und Brüder. Amen.
Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis (25.10.2020)
Predigtvon P. Guido Hügen OSB
„Gönne dich dir selbst!
An der Lust des Tages, die dir zusteht,
geh nicht achtlos vorbei!“
Liebe Schwestern und Brüder,
was klingt wie Zeilen aus einem Ratgeber zur Selbstfindung
oder einer Anleitung zum Glücklichsein,
sind tatsächlich Worte aus der Bibel,
aus dem Buch Jesus Sirach im 14. Kapitel.
Gönne Dich dir selbst!
Sei dir selber wertvoll!
Weil du Gott wertvoll bist.
Achte auf Dich, nimm dich selber ernst,
schau auf das, was dir gut tut
– es ist dir geschenkt!
Und dann – so heißt es weiter bei Jesus Sirach:
„Wer sich selbst nichts Gutes gönnt,
wem kann der Gutes tun?!“
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“
benennt es Jesus im Evangelium.
Das „Liebe deinen Nächsten“ hat uns unsere christliche Prägung
gut anerzogen.
Und es ist ja auch wichtig – gerade in Zeiten wie dieser.
Den Anderen sehen,
auf den Anderen Rücksicht nehmen,
für den Anderen da sein.
Und trotzdem:
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Das „wie dich selbst“ gehört sich nicht bei uns
– egoistisch sein gehört sich nicht.
In Supervisionen und Beratungen sage ich immer wieder:
der Mensch muss egoistisch sein,
muss sich um sich selbst sorgen.
Wenn nicht gerade in sozialen Berufen
am Ende nicht immer öfter der Burn-out stehen soll.
Ich kann nicht mehr… !!!
Er darf nur nicht egozentrisch werden
– mich selber immer in den Mittelpunkt stellen
und ständig um mich kreisen.
Aber wie will ich andere lieben, für andere da sein,
wenn ich mich selbst nicht liebe,
nicht für mich da bin?
Und andere lieben – gelingt uns das?!
Für andere da sein?
Andere akzeptieren, mich selber zurücknehmen,
den anderen wertschätzen, ihm Chancen geben?
Überlegen Sie einmal, ob und wie Sie das
in der letzten Woche getan haben.
War es nicht oft eher das Gegenteil?
Kommen wir nicht viel zu oft an unsere Grenzen?
Es gibt doch so viele Gründe:
Wenn ich mich vom anderen bedrängt fühle,
wenn ich den anderen nicht verstehe,
wenn ich mich selber beweisen muss,
weil ich mich minderwertig fühle.
Den Menschen am Rande
lasse ich gerne am Rande stehen.
Wer meine Hilfe braucht
– bekommt er oder sie diese?
Wohl niemand von uns kann sich da ausnehmen.
Wir spüren es immer wieder:
wir verletzen und sind verletzt,
Eifersucht und Machtgelüste lodern in uns.
Der oder die neben mir:
Wie oft gönne ich ihm oder ihr nichts.
Weil ich mir selbst nichts gönne?
Weil ich nicht spüren kann,
dass ich Gottes geliebtes Kind bin
und auch im Anderen Gottes geliebtes Kind sehe?
Die anderen als meine Geschwister annehmen,
und mit Gottes Augen sehen kann?!
Die Lesung des heutigen Tages aus dem Buch Exodus
geht weit darüber hinaus.
„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen
oder ausbeuten.“
„Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen.
Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit,
werde ich auf ihren Klageschrei hören.
Mein Zorn wird entbrennen …“
In mir höre ich das Geschrei von Menschen,
die ungerecht behandelt und versklavt werden,
die für sich und ihre Kinder ein besseres Leben wünschen,
und elendig ertrinken,
den stummen Ruf der Armen auch in unseren Orten,
die sich nicht wagen, herauszutreten.
Die gerade in dieser Zeit Vereinsamten und Verzweifelten.
„Wenn er zu mir schreit, höre ich es,
denn ich habe Mitleid.“
Haben wir Mitleid?
Oder ist es uns nicht eigentlich egal?!
Uns geht es ja gut.
Noch einmal zurück zum ganz Konkreten.
Was gönne ich denn dem Bruder, der Schwester neben mir?
Auch das, was mir vielleicht etwas „wegnimmt“,
was mich einschränkt, mich begrenzt?
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“
heißt eben auch: gönne auch dem anderen das,
von dem du meinst, dass es nur für ich ist.
Und bei allem:
„An der Lust des Tages, die dir zusteht,
geh nicht achtlos vorbei.“
Die Lust, die dir zusteht.
Du musst sie dir nicht erwerben, erkaufen, erschleichen.
Sie steht dir zu!
Also: geh nicht achtlos vorbei.
Ist das nicht die große Sünde:
dass wir Gottes Geschenk für uns – und für die anderen! –
nicht annehmen?!
Es achtlos liegen lassen?
„Den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen,
mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“
Mein ganzes Leben soll ER prägen.
Sein Geschenk – mich selbst –
und die „Lust des Tages“ darf ich annehmen.
Lassen wir es uns ruhig von einem Heiligen sagen:
Aus einem Brief von Bernhard von Clairvaux
an Papst Gregor III.:
Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst.
Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft,
aber ich sage: Tu es immer wieder einmal.
Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da,
oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
Predigt am 29. Sonntag im Jahreskreis (18.10.2020)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
„ ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‘ Die Münze trägt sein Bild. Dadurch gehört sie ihm. Wem gehören wir? Doch wohl kaum dem Staat. Zwar sind wir auch geprägt, gleichsam als eine lebendige Münze. Wir tragen das Bild Gottes. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Diese Prägung besiegelt unsere Verpflichtung Gott gegenüber. Das Siegel fordert uns mehr als das Siegel des Kaisers. Alle Menschen tragen das Bild Gottes in sich, alle gehören ihm. Und deswegen sind wir alle Gott verpflichtet: ‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“
Dies sind nicht meine Worte, sondern Franz Kamphaus hat sich so zu diesem Evangelium geäußert. Mir sind die Worte des Geprägt seins nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Prägen kann man von der Handwerklichen Seite sehen oder von der Menschlichen. Was hat uns geprägt? Was hat sich uns eingeprägt? Was heißt es geprägt zu sein?
Ich erinnere mich noch als ich als Kind bei einem Ausflug zum Marine-Ehrenmal Laboe zum ersten Mal vor einem Automaten in dem man Münzen umprägen konnte stand. Man musste eine Münze hineinwerfen und eine Gebühr bezahlen um dann mit der eigenen Kraft einen großen Hebel zu drehen und so die Münze umzuprägen, so dass sie kein Geldstück mehr war, sondern das Ehrenmal zeigte. Als Kind war es unglaublich, dass so etwas möglich ist.
Lassen Sie uns heute auf beide Seiten schauen. Auf den handwerklichen Vorgang und die menschliche Prägung.
Schaut man sich an was beim Prägen passiert, fällt auf, dass der Rohling in seiner Masse bestehen bleibt. Es wird nichts hinzugefügt wie beim Modellieren und nichts Weggenommen wie beim sägen, gravieren, schleifen oder schnitzen. Es werden durch die Prägung nur Flächen hervorgehoben und andere treten in den Hintergrund um so ein Bild erstehen zu lassen.
Auch in uns ist Gottes Antlitz schon vorhanden. Es muss nichts hinzugefügt werden zu meiner Persönlichkeit und es muss auch nichts weggenommen werden von meiner Persönlichkeit um Gottes Antlitz auf mir erscheinen zu lassen, um Gott durch mich sichtbar zu machen. Ich bin schon vollkommen so wie ich bin. Ich bin ganz. Es ist alles in mir angelegt. Ich muss mich nur von ihm prägen lassen um sein Antlitz auf mir zum Vorschein zu bringen. Ich muss zulassen, dass Er durch mich sichtbar wird.
Zum Prägen braucht es Energie. Es braucht Kraft. Viel Kraft. Zum Handprägen einer Münze sind mehrere Schläge nötig. Gott hat diese Kraft, wie wir es in der Lesung gehört haben. Das Evangelium kam nicht nur im Wort, sondern mit Kraft und heiligem Geist. Er will, dass wir uns von ihm prägen lassen.
Nur nützt der beste Prägestempel nichts wenn er ins Leere haut. Zum Prägen braucht es nicht nur Prägestempel und Hammer, sondern auch ein Fundament das auf der Erde steht, das die Kraft aufnimmt und so das prägen erst möglich macht. Das sich zum Prägestempel hin ausrichtet um die Kraft aufzunehmen.
Bin ich bereit mich von Gott prägen zu lassen. Mich und meine Kraft auf ihn hin auszurichten. Seine Kraft an mir wirken zu lassen. Mich von ihm Formen zu lassen. Meine Kraft einzubringen, fest auf der Erde stehend. Paulus schreibt im Brief an die Gemeinde in Thessalonich von Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus und von der Mühe der Liebe die wir haben.
Oder lasse ich mich von anderen Dingen umprägen die nach Aufmerksamkeit schreien, die meine Kraft und Energie beanspruchen wollen. Wir kennen Sie: Hass, Neid, Angst, Vorurteile und Schubladen, Unsicherheiten, Wut, Unbarmherzigkeit,
in der Welt,
in unserer Gesellschaft aber auch
in unserem persönlichen Umfeld.
Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir unsere Energie auf sie richten und uns so von Ihnen umprägen lassen.
Jesus lässt sich im heutigen Evangelium nicht darauf ein. Er lässt die Pharisäer auflaufen. Er lässt sich nicht provozieren. Er bleibt auf Gott ausgerichtet. Standhaft in seiner Kraft. Er lässt ihren Prägestempel quasi ins Leere schlagen.
Bleiben auch wir auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Kraft ausgerichtet und lassen wir die anderen Prägestempel, die uns umprägen wollen ins Leere schlagen.
„‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“ So haben wir am Anfang von Franz Kamphaus gehört.
Lassen wir uns immer weiter von Gott prägen mit aller Kraft, damit sein Antlitz auf und durch uns immer stärker zu sehen ist. Damit er in dieser Welt durch uns sichtbar wird.
Predigt am 28. Sonntag im Jahreskreis (11.10.2020)
Predigtvon Br. Benjamin Altemeier OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
der Text des heutigen Evangeliums (Mt 22,1-14) wird besonders herausfordernd vom Ende her. Dort, wo der Mensch, der kein Hochzeitsgewand trägt, hinausgeworfen wird an den Ort der äußersten Finsternis. Und ganz am Ende des Evangeliums der Satz: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Was ist damit gemeint? Das lässt mich zunächst einmal ratlos zurück.
Gehen wir dennoch erst einmal an den Beginn des Evangeliums zurück.
Da lädt Gott in der Person des Königs die eingeladenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein. Ein Bild für die Gottesschau. Die Gäste haben aber andere Dinge zu tun. Und natürlich ist der Mensch frei, die Einladung abzulehnen. Dann aber werden die Diener getötet, und der König reagiert, indem er sein Heer schickt und die Stadt in Schutt und Asche legen lässt. Müssen wir nun unsere Vorstellung eines liebenden Gottes korrigieren? Nein, denn hier lässt sich die konkrete geschichtliche Erfahrung ablesen, dass die Menschen des ersten Bundes in Israel sich nicht alle der Jesusbewegung anschließen, also die Einladung aus der Sicht der Christen nicht angenommen haben. Die Stadt, die in Schutt und Asche liegt. ist Jerusalem, die 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde, nicht von Gott.
Dennoch stellt sich uns heute die Frage: Lasse ich mich von Gott stören in meinem Alltag? Ist er für mich präsent? Oder lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe?
Lasse ich mich von der Botschaft Jesu aufstören, gar aufschrecke? Oder hat sie längst keine Bedeutung mehr in meinem Leben? Höre ich „mit aufgeschrecktem Ohr“, wie es Benedikt im Prolog seiner Regel schreibt?
Die Botschaft Jesu, dass ein jeder Kind Gottes ist, wertvoll und geliebt;
die Botschaft Jesu: „Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“;
die Botschaft Jesu der Hinwendung zu den Bedürftigen, die uns auch heute fordert.
Dann erfolgt die zweite Einladung Gottes an den Menschen, und dieses Mal füllt sich der Festsaal. Die Botschaft Gottes durch Jesus richtet sich an alle. Ausnahmslos alle. Juden wie Heiden, Griechen wie Römer, und sogar an Böse und Gute. Alle sind gerufen. Auch die Bösen, und diese sogar als Erstes. Das war auch für die Christen, an die sich Matthäus richtet, verstörend. Damals wie heute gibt es in der Kirche, in den Gemeinden, in den Gemeinschaften die Selbstgerechten, die entscheiden wollen: Du gehörst dazu – und Du nicht. Matthäus warnt auch uns, nicht eine Kirche ohne Sünder zu bilden, sondern, wie es Papst Franziskus ausdrückt, eine verbeulte Kirche, eine verbeulte Gemeinde, ja, liebe Schwestern und Brüder, eine verbeulte Gemeinschaft, in der der Sünder seinen festen Platz hat.
Aber nun zum Schluss, zum Menschen, der ohne Hochzeitsgewand kam und stumm blieb. Bei den Begriffen Hochzeit und Mahl wussten die Christen des Matthäus, dass es ums Ganze geht. Um die Gottesbegegnung, um den wiederkehrenden Christus, der uns begegnen will. Da müssen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, wachsam sein wie der Diener, der auf den Hausherrn wartet. Wir Christen sollen wachsam sein, kein verschnarchter und verschlafener müder Haufen.
Beim Hochzeitsgewand geht es nicht um den richtigen Dresscode. Wir Mönche nennen unser Gewand Habit. Daraus ableiten lässt sich der Begriff Habitus. Und dem schließt sich die Frage an: Habe ich den Habitus der Erwartung und der Sehnsucht?
Gott fragt uns: Was erwarten wir? Wonach sehnen wir uns? Hören wir die liebende, werbende Stimme Gottes noch? Die Frage Gottes lautet nicht: Was hast du erreicht? Was hast Du getan? Wieviel hast Du gebetet?
Gott fragt mich: Was bewegt mich? Was trägt mich? Was lässt mich hoffen?
Gott fragt mich: Wonach sehnst Du dich? Damit ich nicht stumm bleibe, kann ich mich vielleicht der Sehnsucht des Jesaja anschließen und antworten wie er:
Meine Sehnsucht ist:
Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen, und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde. Und weiter: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. (Jes 25,8-9)
Wenn wir uns dieser Verheißung anschließen können, sind auch wir berufen und auserwählt.
Predigt am 19. Sonntag im Jahreskreis (09.08.2020)
Predigtvon P. Maurus Runge OSB
„Theologie ist Biografie“ – dieser kleine Satz, der auch der Titel der Lebenserinnerungen des 2014 verstorbenen Theologen Herbert Vorgrimler ist, klingt zunächst nach einer Binsenweisheit. Jedes theologische (und auch nichttheologische) Denken ist von biografischen Voraussetzungen des Denkenden abhängig. Es ist für meine Theologie nicht unerheblich, ob ich in den Slums von Manila, in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet oder in einem kleinen Dorf in Niederbayern geboren wurde. Jedes menschliche Denken und Handeln entsteht auch aus biografischen Prägungen, die zu entdecken zur Lebensaufgabe werden kann.
„Theologie ist Biografie“ – den Satz kann man aber auch in umgekehrter Perspektive verstehen, dass theologisches Denken rückgebunden sein muss an die eigene Biografie, den persönlichen Lebensvollzug. Lehre und Leben müssen im Einklang miteinander sein. Wer in seinem Denken ständig die Barmherzigkeit Gottes verkündet, in seinem Leben diese Barmherzigkeit aber oft genug vermissen lässt, der macht sich im Reden und Handeln unglaubwürdig, dem nimmt man die Botschaft irgendwann nicht mehr ab, die er in wohlfeilen Worten verkündet. Auch das kann zur Lebensaufgabe jedes mündigen Christen werden, hinter der wohl viele von uns manches Mal zurückbleiben.
Wohl kein anderer hat den Zusammenhang von Theologie und Biografie, von Lehre und Leben, so erfahren, ja erleiden müssen wie Paulus, der große Völkermissionar, der die christliche Botschaft der Erlösung bis an die Grenzen der damaligen Welt brachte. Besonders deutlich und berührend wird das für mich in den Kapiteln 9 bis 11 seines Römerbriefes, in denen er sein Ringen um seinen Weg eindrücklich beschreibt – als jemand, der einerseits Jesus Christus und seine Botschaft persönlich erfahren hat, der aber andererseits die Beziehung zu dem Volk, dem er sich biografisch immer noch zugehörig weiß, nicht kappen will. Den Anfang haben wir heute in der Lesung gehört (Röm 9,1-5).
Dieser Saulus-Paulus ist Jude und hat als Jude mit seinen Glaubensgeschwistern leidenschaftlich die Anhänger des „neuen Weges“ des Jesus Christus verfolgt. In einem für ihn überwältigenden und umstürzenden Bekehrungserlebnis wandelt er sich zum treuen und ebenso leidenschaftlichen Jünger Jesu – ohne seine biografischen Wurzeln und die Menschen, denen er sich auch weiterhin verbunden fühlt, zu verraten. Und er entgeht dabei der Gefahr vieler Neubekehrter heute, die von ihrem früheren Leben nichts mehr wissen wollen und die Menschen, die einmal ihre engsten Freunde und Gefährten waren, verdammen – nur weil sie einem anderen Glauben anhängen. Nein, Saulus-Paulus leidet darunter, dass so viele seiner früheren Weggefährten seinen Weg, den er doch als richtig und heilbringend erkannt hat, nicht mitgehen können. Er „möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein“ um seiner Brüder willen, „die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“ Er weigert sich, seine jüdischen Glaubensgeschwister einfach zu verdammen, sondern möchte in seinem theologischen Denken einen Weg finden, ihnen Erlösung und Heil nicht abzusprechen. Er möchte die Wurzel seines Lebens nicht abschneiden, sondern ist davon überzeugt, dass seine jüdischen Wurzeln auch den Christen Paulus tragen und bereichern können – „Theologie ist Biografie“.
Am 9. August gedenkt die Kirche der hl. Edith Stein (durch den Sonntag wird in diesem Jahr ihr Festtag liturgisch verdrängt). Auch sie ist eine Frau, deren theologisches Denken zutiefst geprägt ist von ihrer Biografie. Als geborene Jüdin, promovierte Philosophin und konvertierte Christin, die dann als Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel eingetreten ist, wird ihr das Suchen und Fragen des Paulus nicht unbekannt gewesen sein. In Solidarität mit ihren jüdischen Geschwistern ist sie nach Auschwitz deportiert worden, wo sie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Bei ihrem Abtransport in das Vernichtungslager soll sie zu ihrer leiblichen Schwester Rosa gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Stellvertretung bis zur letzten Konsequenz.
Stellvertretung – mit diesem kühnen Gedanken versucht auch Paulus, sein Dilemma zu lösen. Im Bild von dem Ölbaum und seinen Zweigen sieht er sich selbst, den gebürtigen Juden und neuen Christen, als „wilden Zweig“, der zeitweilig die Stelle der „edlen Zweige“, seiner jüdischen Geschwister, einnimmt, bis irgendwann einmal alle Zweige am Ölbaum vereint sein werden. Das ist für ihn kein Grund, überheblich auf seine jüdischen Glaubensgeschwister herabzuschauen, sondern bewusst an dieser Stelle, stellvertretend für sein Volk diesen Platz einzunehmen.
Wie Gott einmal die Erlösungsgemeinschaft zwischen Juden und Christen vollenden wird, das ist seine Sache, bleibt Geheimnis. Klar ist nur: „Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Gott kündigt seinen einmal geschlossenen Bund mit dem Volk Israel nicht auf. So ruft es Paulus am Ende seines theologischen Ringens um die bleibende Erwählung und Rettung Israels aus,wie es uns in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefes überliefert ist. Und am Ende überlässt er die Lösung seines existentiellen Dilemmas dem Gott, der immer größer ist als unsere theologischen Begriffe und zu dem Juden und Christen gleichermaßen beten: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! … Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 11,33.36)
Predigt zur Diakonenweihe Br. Vincent (06.06.2020)
Predigtvon Weihbischof Dominicus Meier OSB
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ –
So, liebe Schwestern und Brüder, lautet ein Buchtitel des Philosophen und Publizisten Richard David Precht. In 54 Kapiteln geht Precht den Fragen nach: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?, und meint, in der Beantwortung dieser Fragen komme man der eigenen Identität auf die Spur.
Auch uns Christen beschäftigt immer wieder die Suche nach unserer Identität. Ein Christ fragt: Was macht mich aus? Hat meine Identität mit meiner Gottesbeziehung zu tun? Und wo ist der Ort, diese Identität zu leben: in der Familie, in einer Gemeinschaft oder allein?
Zunächst gründet für Christen ihre Identität in der Beziehung zu Gott. Gott verspricht, dass wir seine Kinder sind, geliebte Söhne und Töchter. Er spricht uns bedingungslos als seine „geliebten Kinder“ an.
Gleichzeitig haben wir als Christen die überkommene Aufgabe, Gottsucher im konkreten Alltag und Nachfolger Jesu im Heute zu sein.
Dabei stellen sich weitere Fragen ein: was macht mich aus? Wie definiere ich mich? Wie viel Individualität ist gesund und wo ist es besser, sich anzupassen? Man muss sich ja irgendwie definieren, sonst ist man ein Niemand, oder?
Lieber Br. Vincent, solche Fragen sind Dir sicher nicht fremd. In den vergangenen Jahren als Student in Paderborn, als Novize und Zeitlicher Professe in unserer Abtei, in den Monaten des Pastoralkurses hast Du vermutlich immer wieder die Identitätsfrage gestellt und nach Antworten gesucht. Antworten, die zu Dir und Deinen Lebensvorstellungen passen, die Dich so sein lassen, wie Du bist und nicht verbiegen.
Du hast immer wieder die Frage gestellt, wer bin ich vor Gott und vor den Menschen, mit denen ich den Alltag teile.
Diese Pfingstwoche 2020 ist gleichsam Deine ganz persönliche Identitätswoche, in der sich alles Fragen nach Deiner Identität nochmals verdichtet.
Während am Pfingstsonntag der Mönch und seine Lebensweise im Mittelpunkt des Suchens und Fragens standen, ist es heute der Dienst des Diakons.
In einer einzigen Woche bist Du aufgerufen, den Mönch und den Diakon in Dir Gestalt zu geben. Du, Bruder Vincent bist aufgerufen, als Mönch und Diakon Gestalt zu sein, dem Mönch- und Diakonsein Gestalt zu geben. Was heißt das?
Gestalt sein
Es mag einigen von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder verwundern, dass ich von der Gestalt des Mönches und des Diakons spreche. Eine Gestalt ist eine Form, ein Umriss oder eine Erscheinungsbild, also etwas Äußerliches. Müsste es aber bei beiden Lebensidentitäten nicht eher um Innerlichkeit gehen?
Von Äußerlichkeit sprechen wir in der Kirche nur ungern. Denn schnell verbinden wir äußere Gestalt oder Form mit Schein und Eitelkeiten. Muss das so sein? Es gibt ja nun mal sowohl für den Mönch als auch den Diakon äußere Zeichen seiner Lebensgestalt.
Ist es die Kukulle als Zeichen der mönchischen Lebensweise, ist es beim Diakon die Dalmatik und die gekreuzte Stola. Diese äußeren Zeichen sind prägend für den Träger, und für die, die ihn anschauen, vermitteln sie einen Eindruck.
Mönchsgewand und Dalmatik sind in Form des Kreuzes geschnitten und weisen so auf den, der menschliche Gestalt annahm, sich den Menschen zuneigte, um uns schließlich am Kreuz zu erlösen: Jesus Christus.
Ja, man kann sich allein durch das Äußere, den mönchischen Habitus, definieren, sich ergehen in liturgischen Handlungen und diakonalen Riten, aber werden diese Äußerlichkeiten reichen, um die Lebens-Gestalt eines Mönches und eines Diakons ein Leben lang zu verwirklichen?
Mönch und Diakon sind unterwegs mit Gott auf der Basis ihrer Spiritualität im Dialog mit ihm. Im alltäglichen Handeln lassen sie sich von Gottes schöpferischen Geist durchdringen und formen. Dabei können sich immer wieder neue und unerwartete Wege auftun und Herausforderungen zeigen, auf die beide sich einzulassen haben. Je mehr sie Gott in ihrem Leben Raum geben und sich auf ihn einlassen, desto mehr werden sie selbst zu einer menschlichen Gestalt Gottes und können in einer glaubhaft gelebten Spiritualität als Mönch und Diakon gestaltend wirken.
Gestalt geben
In den letzten Jahren konntest Du, lieber Br. Vincent, dem Mönch in Dir eine Gestalt geben. Die Zeiten von Noviziat und zeitlicher Profess waren Zeiten des Erlernens, des sich Vergewisserns – Zeiten der Gestaltgebung.
Weil Du diese Lebensweise angenommen hast und Dich in sie hineingegeben hast, gestaltetest Du sie mit. Du konntest dem Mönch in Dir eine bestimmte Form geben. Bündelnder Ausdruck Deiner Gestaltungsjahre war das am vergangenen Sonntag im Kreis Deiner Brüder vertrauensvoll gesungenen „Suscipe me, Dominie“ auf dem Professpflaster unser Abteikirche.
Gleich wirst Du wieder an dieser Alltags-Stelle stehen und Deine Bereitschaft erklären, als Diakon in dieser Gemeinschaft zu leben und für diese Deine Brüder zu wirken.
Da wird es wieder um Form und Formung gehen, d.h. um den Gestaltungwillen, dem Evangelium Jesu Raum und Zeit zu geben, nicht nur im inneren Ringen um die eigene Identität, sondern im diakonalen Handeln unter den Menschen.
So wirst Du sicher nicht von ungefähr für diesen Gottesdienst die Berichte von der Fußwaschung Jesu im Abendmahlssaal und der Taufe des Äthiopiers gewählt haben. Aus beiden Perikopen spiegelt uns die diakonale Haltung des Dienens, der Wertschätzung und der Ehrfurcht vor dem Leben des anderen entgegen, einem von Gott geschenkten und gestalteten Leben.
Als Diakon gibst Du in der Gemeinschaft und an Deinen Einsatzorten diesem Gott eine Gestalt und ein menschliches Antlitz.
Das ist ab heute Deine Mission! Ich möchte es mit den Worten von Papst Franziskus formulieren:
„Ich bin immer eine Mission; du bist immer eine Mission; jede Getaufte und jeder Getaufte ist eine Mission. Wer liebt, setzt sich in Bewegung, es treibt ihn von sich selbst hinaus, er wird angezogen und zieht an, er schenkt sich dem anderen und knüpft Beziehungen, die Leben spenden“ – so Papst Franziskus.
Lieber Br. Vincent, ich wünsche Dir von Herzen, dass Du in den kommenden Jahren dieser Mission Gestalt geben und eine Gestalt dieser Mission sein kannst.
Ich wünsche Dir, dass Du den Mönch und den Diakon in Dir nicht als zwei unvereinbare Identitäten wahrnimmst, sondern als Deine Identität in zwei Gestalten zu leben vermagst.
Ich wünsche Dir, dass Du mit Gottes Hilfe erkennst, dass Du in den unterschiedlichen Aufgaben und Diensten ein- und derselbe bist:
Vincent, ein von Gott geliebter und von den Menschen geschätzter Bruder!
Predigt am 7. Ostersonntag (24.05.2020)
Predigtvon Br. Justus Niehaus OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
was für eine Gefühlsachterbahn, die die Jünger Jesu gefahren sind. Erst die Wunder und Reden, das Vertrauen und die Hoffnung das Jesus der Messias ist. Der begeisternde Einzug nach Jerusalem, die Huldigung der Menschen, Freude und Jubel. Dann das Letzte Abendmahl, wo der Meister ihnen die Füße wäscht und Verwunderung stiftet.
Auf dem Ölberg die Angst des Meisters zu spüren.
Der Verrat durch den Bruder aus den eigenen Reihen, der Jesus ausliefert und sich anschließend das Leben nimmt. Petrus der sich seine eigene Schwäche eingestehen muss, indem er Jesus dreimal Verleugnet.
Die Verurteilung, Demütigung und Hinrichtung dessen an den man geglaubt hat. Für den man alles stehen und liegen hat lassen und ihm nachgefolgt ist.
Verwirrung, Angst, Flucht und Verstecken.
Nur drei Tage später, die Auferstehung, die erst ankommen muss. An der Einige erst zweifeln. Vierzig Tage lang erscheint Jesus in den unterschiedlichsten Situationen.
Wieder Freude und Jubel doch an den Richtigen geglaubt zu haben. Doch die Hoffnung auf die Erlösung durch den Messias.
Und dann die Himmelfahrt. Jesus ist wieder weg. Empor gehoben in den Himmel. Aber wie lange kann das jetzt schon noch dauern bis er wiederkommt mit all seinen Engeln. Letztes Mal waren es ja auch nur drei Tage, die er fort war. Es kann also nicht lange dauern bis etwas passiert.
Diesmal keine Angst, sondern Vorfreude auf das was da kommt. Zusammensitzen und beten. Jetzt ist Zeit die Dinge zu reflektieren. Sich zu erinnern, was Jesus vor seinem Tod gesagt hat. Die Hoffnung zu nähren. Zu Warten.
Warten. Dieser seltsame Zustand zwischen Hoffen und Bangen. Zwischen Angst und Vorfreude. Zwischen Unsicherheit und Zuversicht. Zwischen Zögern und Ungeduld. Zwischen Spannung und Entspannung.
Warten. Erwarten. Diese urchristliche Haltung.
Traditioneller Weise ist der Advent die Zeit in der wir uns dieser Spannung gewiss werden. In der wir uns wieder Bewusst machen sollten, die Wiederkunft Christi zu erwarten. Leider ist diese Zeit heutzutage so vollgepackt mit den eigentlich für Weihnachten vorbehaltenen Feiern und Genüssen, dass das Gefühl des Wartens schwerlich aufkommt.
Vielleicht können wir ja dieses Jahr die jetzige außergewöhnliche Zeit nutzen uns des Gefühls des Wartens als urchristlichem Gefühl wieder zu nähern. In der Zeit des Verzichtes durch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronaviruses merke ich bei mir diese Spannungen des Wartens, des Erwartens, der Angst und der Vorfreude, des Zögerns und der Ungeduld, des Hoffens und Bangens. Des Ausschau Haltens. Was wird? Wann enden die Maßnahmen? Wie kommen wir aus dieser Zeit? Welche Wunden bleiben? Wann kann ich mich wieder ruhigen Gewissens mit Freunden treffen? Wann wieder Menschen ohne Beeinträchtigungen begegnen? Wird sich unser Sozialverhalten verändern? Die Angst mich oder andere Leute anzustecken und den Drang nach Freiheit mit anderen wieder mehr in Kontakt zu kommen
Sich diesen Zustand des Wartens zu eigen zu machen. Sich des Namens Jesu – Also Gott rettet – bewusst zu werden und zu wachen, zu beten, zu Hoffen und zu erwarten wie die Jünger nach der Himmelfahrt, kann helfen diese Zeit zu überstehen. Aus Ihr etwas Positives mitzunehmen. Einen richtigen Advent zu begehen.
Kraft dazu kommt von Gott. Er, Christus ist in UNS verherrlicht.
Einen dezenten Hinweis wie wir beten können gibt uns der Komponist des Gregorianischen Chorales. Er fasst in der heutigen Communio, – also des Gesanges, den wir gleich nach dem Kommunionempfang singen – die Verse aus dem Johannesevangelium, die der Stelle, die wir gerade gehört haben unmittelbar folgen zusammen. Er komponiert: Vater, solange ich war bei ihnen, ich bewahrte sie, die du gegeben hast mir. Jetzt aber: zu dir komme ich. Nicht bitte ich, dass du nimmst sie aus der Welt, sondern dass du bewahrst Sie vor dem Bösen.
Er kürzt damit nicht nur 3 Bibelverse auf das Wesentliche zusammen und hebt so den Kern des Hohepriesterlichen Gebetes Jesu, von dem wir heute die erste Hälfte gehört haben, hervor.
Er bietet auch uns einen Hinweis wie wir beten können. Das erste Wort ist „Pater“ also „Vater“ und die letzten Wörter sind „a malo“ also „vor dem Bösen“. Dies sind auch die ersten und letzten Worte des lateinischen Vaterunsers, welches die Mönche damals und auch wir Mönche heute mindestens dreimal am Tag beten. Auch die Vertonung von a malo erinnert an den Schluss des gesungenen Vaterunsers.
Das Vaterunser, dieses Urgebet der Christenheit, das uns von Jesus selbst geschenkt wurde. Dass die Bitte im Hohepriesterlichen Gebet Jesu wiederholt. Bewahre uns vor dem Bösen.
Es kann unsere Antwort, unsere Bekräftigung des Hohepriesterlichen Gebetes sein.
Es kann uns begleiten in der Zeit des Wartens, des Ausschau haltens. Wir können unsere Hoffnung hineinlegen.
Und wir können uns des Namens, den Gott seinem Sohn gegeben hat, bewusstwerden: Jesus (Gott rettet)
Nutzen wir diese Zeit das Warten, das Erwarten neu zu lernen auf den, der da kommt, der Herr ist und lebendig macht.
Predigt am 6. Ostersonntag (17.05.2020)
Predigtvon P. Cosmas Hoffmann OSB
Lesung: 1 Petr 3, 15 – 18
Evangelium: Joh 14, 15 – 21
Auch an diesem Wochenende demonstrieren Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie. Dabei fällt die bunte Mischung der Teilnehmenden auf. Neben denen, die berechtigter Weise gegen die Einschränkungen einiger Grundfreiheiten protestieren, finden sich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, zudem versuchen Rechtspopulisten diese Proteste für ihr Interesse an Verunsicherung und Destabilisierung zu nutzen.
In der Folge kommt es zu Polarisierungen, Verteufelung der anderen, Hass, Wut und Aggression, die sich in Angriffen auf Polizisten und auch auf Journalisten entladen.
Die Reaktionen seitens der Politik sind gemischt, einerseits eine gewisse Fassungslosigkeit angesichts der teilweisen Verweigerung notwendiger Verhaltensregeln, kruder Verschwörungsphantasien und aufgeheizter Stimmungen, andererseits die ausdrückliche Bestätigung des Rechts auf Meinungsfreiheit verbunden mit der Bitte, diese in angemessener und gewaltloser Weise zu nutzen.
In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.
Dieses Recht ist zum einen Ausdruck der in Artikel 1 Absatz 1 gemachten Aussage und Forderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zum anderen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen wichtig, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, um so in der gemeinsamen Auseinandersetzung dieses Gemeinwesen zum Wohle aller zu gestalten.
Dahinter steht die Einsicht, dass jede und jeder vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte und dem eigenen Kontext eine je eigene Weise der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Keiner sieht alles, aber gemeinsam sieht man mehr und kann so der Wirklichkeit näher auf die Spur kommen und entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen treffen. Die Vielfalt der Meinungen somit als eine Ressource gemeinsamer Weltverantwortung und Lebensgestaltung.
Eine Ressource, die Benedikt in seiner Regel ausdrücklich zu nutzen empfiehlt, wenn er fordert, dass vor wichtigen Entscheidungen alle Brüder gehört werden sollen.
Doch die Vielfalt der Meinungen kann auch eine Herausforderung sein, die verunsichert und bedrohlich wirkt: