Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von P. Abraham Fischer OSB

Seit ich vor einem Jahr  Bahn-Pendler zwischen Hannover und Meschede geworden bin, ist das Warten zu einem ständigen Thema geworden und ich konnte so meine Beobachtungen über mich und andere machen.

Da gibt es geduldiges Warten. Man weiß, dass etwas kommt und vertreibt sich behaglich die Zeit bis zum Eintreffen des Ereignisses.

Dann gibt es das ungeduldige Warten. Wir fiebern auf etwas zu. Können es eben gar nicht abwarten. Das kann mit einem freudigen Ereignis zusammenhängen. Feste und Geburtstage. Situationen, die mit einem Beschenkt-Werden zusammenhängen, Pakete und anderes erwartet man ungeduldig.

Es gibt das bange Warten. Auf die Diagnose nach einer wichtigen Untersuchung warten wir ungeduldig und verängstigt. Manchmal bringt das Erlösung, mitunter bestätigt sich das Unheil.

Es gibt das wütende Warten. Jemand kommt zu spät – am besten jemand, der immer zu spät kommt – und wir finden uns in einer Situation der Unfreiheit vor.

Es gibt auch das im wahrsten Sinn des Wortes gespannte Warten, wie wir es bei den Sprintern in den Blöcken vor dem Startschuss beobachten können. Alles ist angespannt, um sofort loszurennen.

Obwohl sich die emotionalen Stimmungen der verschiedenen Situationen sehr unterscheiden, haben sie eines gemeinsam. Beim Warten geht es um eine Tatsache, die sich der Zukunft abspielen wird, die sich aber angekündigt hat. Warten erfüllt sich. Dann löst sich eine Spannung auf. Warten fällt uns schwer, weil wir es als eine Art der Unfreiheit wahrnehmen. Wir können nichts tun, sind Umständen ausgeliefert, die wir nicht wirklich beeinflussen können.

Warten hat auch etwas mit Zeit zu tun. Manchmal kennen wir den Zeitpunkt der Erfüllung, anstrengender ist aber ein Warten sozusagen ohne Termin. Ob das Stunden oder Tagezählen das Warten erleichtert, ist eine je persönliche Sache. Dafür haben wir ja zum Beispiel Adventskalender, um die 24 Tage auf Weihnachten hin abzählen zu können und uns den Weg und die Zeit zu versüßen.

Wir beginnen den Advent. Eine Zeit spirituellen Wartens. Es stellt sich natürlich die Frage, was hier das Warteziel ist. Das Wort sagt schon einiges: Adveniere – ankommen. Da kommt etwas, da kommt jemand an. Die Zeitspanne ist ebenfalls genau bestimmbar. Das Erwartete trifft am 24.12. nachts ein: Weihnachten. Wenig spannend für uns Erwachsene – Kinder sind da anders unterwegs. Für sie ist der Advent ein angespanntes Warten. Bis endlich Weihnachten ist und der Baum glitzert.

Aber nur gewohnheitlicher Advent? Reicht das? Jedes Jahr dieselbe Leier? Daher möchte einmal darüber nachdenken, auf was wir im Advent überhaupt warten? Und tiefer was ist Warten im Advent?

Vielleicht aber ist es ja so, dass es gar nicht um Weihnachten als Datum geht, sondern dass der Advent uns eine andere, besondere Form des Wartens nahebringen will.

Adventliches Warten ist bezogen auf etwas, das schon längst da ist, aber noch nicht sichtbar werden konnte. Wir üben im Advent eine völlig neue Art des Wartens. Wir wissen, dass etwas kommen wird, UND: das ist der Unterschied: Es wurde angekündigt, dass das, was kommen wird, schon längst da ist, aber eben auch noch nicht.

So wie in einem Samenkorn die ganze Pflanze schon da ist und in jeder Keimzelle der ganze Mensch programmiert ist, so ist weder die Pflanze noch der Mensch sinnlich erfahrbar, Wohl aber liegen alle Informationen vor. Wir sehen den Bauplan des Hauses und sehen genau, was da kommen wird, und dennoch stehen wir trotzdem quasi im Regen.

Architekten sind geübt im Bauplanlesen. Daher können sie sich das Haus gut vorstellen. Dazu haben sie viele Zeichnungen angeschaut in die spezielle Sprache geübt, die man verstehen muss, um einen Plan zu lesen und die darin enthaltenen Informationen zu verstehen.

Wenn wir nun sagen, wir könnten uns die Ankunft des Christus nicht vorstellen, dann sagen wir im Grunde nur, dass wir die Sprache, die diese Ankunft beschreibt, nicht entschlüsseln konnten.

Und genau das üben wir im Advent. Wir lernen die Sprache Gottes in unserer Welt. Wir hören die alten Geschichten immer wieder und vertiefen die Grammatik und die Vokabeln, mit denen die Ankunft Gottes beschrieben wird. Und jedes Jahr – daher die sinnvolle Wiederholung der liturgischen Zeiten – können wir ein wenig mehr verstehen, wie das mit der Ankunft Gottes vor sich geht. Was es bedeutet, dass Gott uns Menschen so nahekommt, dass wir ihn essen und schmecken und riechen und tasten und hören und spüren können. Was es bedeutet, dass er unter uns Menschen gewohnt hat und dass er das immer wieder tut: Emmanuel – unser Gott mit und unter uns.

Viele Menschen meinen, Gott wäre fern und weit weg. Das ist eine Wahrnehmung. Oder ist es vielleicht umgedreht auch so, dass wir Menschen weit weg von Gott sind, weil wir die Grammatik seines Daseins nicht mehr lesen und entschlüsseln können? Dann würde Advent nicht nur bedeuten, dass Gott auf der Erde, dass Gott bei den Menschen, dass Gott bei mir und bei Dir ankommt, sondern, dass auch wir bei uns selbst, in unserem Herzen und zugleich bei Gott ankommen. Es muss keinen Widerspruch zwischen Gott und Mensch geben. Dann spüren und schmecken wir nämlich, dass alle Menschen sehnsüchtig warten, dass wir uns selber wahrnehmen als Menschen, die suchen und die mit allen Sinnen wartend ausgestreckt sind. Warten ist eine Haltung prinzipieller Offenheit.

Doch weiter im Bild der Sprache:

Gott hat uns geschaffen und genauso gewollt, wie wir jetzt sind, ohne Einschränkung und Bedingung. Wenn wir die Sprache Gottes lernen wollen, dann beginnen wir am besten damit, die schwierigste und zugleich leichteste erste Vokabel seines Daseins zu üben: Das Wort „Ja“. Ja sagen zur Welt, Ja sagen zur Schöpfung, Ja sagen zum Menschen, Ja sagen zu sich selbst und – so schmerzhaft das auch zu sein scheint- Ja-Sagen zum Schicksal.

Ich meine hier nicht das belanglose Ja-und-Amen-Sagen, sondern hier strahlt die dem Wort „Ja“ innewohnende und die sich nur aus ihm entfaltende Grundkraft des Daseins auf: die Liebe.

Deshalb kann es eine Botschaft des Adventes sein: Wo wir lieben spricht Gott. Wo wir lieben, da erscheint er in der Welt. Wo wir lieben, da verstehen endlich wir die Ur-Sprache Gottes.

Aber nicht nur das. Wo immer Liebe geschieht, egal wie heroisch, wie alltäglich, wie scheiternd, wie erfüllend. Wo immer auch Liebe Wirklichkeit wird, da sprechen endliche Menschen die Sprache Gottes

…. Und da hat der Advent sein Ziel: Gott kommt an.

Glauben wir das und üben wir das im Advent immer wieder.

Jetzt hier gleich und in der Ewigkeit. Amen.

von P. Julian M. Schaumlöffel OSB

„Ich bin der König der Welt!“

Wer von ihnen, liebe Schwestern und Brüder, kann sich spontan an diesen Ausruf erinnern?

„Ich bin der König der Welt“ rief der frisch verliebte Leonardo de Caprio alias Jack Dawson im Filmklassiker „Titanic“ von 1997. Eine fast schon ikonisch gewordene Szene: Ganz vorne am Bug, der vordersten Spitze des Luxusliners stehend, die gewaltigen Wellen des Atlantik mit bis dahin nicht gekannter Geschwindigkeit durchbrechend, den Wind und die Gischt ins Gesicht peitschend, umklammert von seiner geliebten Rose und mit weit ausgestreckten Armen ruft Jack aus seinem tiefsten Innern heraus den so berühmt gewordenen Satz „Ich bin der König der Welt“. Dieses berauschende Gefühl von Glück und Macht, der so kraftvolle Hoffnungsschrei des Jack Dawson sollte nur wenige Stunden später für immer in den kalten Fluten des Atlantiks verstummen.

„Ich bin der König der Welt“

Auch heute hören wir diesen Satz fast täglich, vielleicht mit etwas anderen Worten, aber doch mit demselben Inhalt. Wir müssen nur auf das Weltgeschehen der letzten Wochen schauen, die Nachrichten verfolgen und hinhören. Da gibt es machtbesessene Herrscher hier wir dort, in Ost und West, die ihr Königtum und ihr Herrschaftsgebiet ausbauen wollen, ihre Macht mit Waffen demonstrieren, Gegner einfach ausschalten oder der Lüge bezichtigen, eigene Lügen verbreiten und sich ihren Herrscherstab aus einflussreichen und publikumswirksamen Marionetten aufbauen. Unliebsame Gefährten werden dabei eliminiert und Demokratien durch Putschversuche ins Wanken gebracht. Mit den Augen des Verstandes betrachtet sind es armselige Gestalten, wahnwitzige Irre, die ganz vorne am Bug des Schiffes stehen, berauscht von den Möglichkeiten ihrer Macht auf das Meer hinausschauen, den Eisberg des Untergangs noch nicht ahnend ihr „Ich bin der der König der Welt“ den vielen unter ihren Machtgelüsten leidenden Menschen entgegenschleudern.

„Ich bin wahrhaft ein König, doch mein Königtum ist nicht von dieser Welt“

Der König, den wir heute feiern, ist wahrhaft „Der König der Welt“ und doch ist sein Königtum gerade nicht in dieser Welt begründet, eben nicht von dieser Welt. Das nun unterscheidet ihn so fundamental von all den anderen Königen unserer Tage und jenen, die es gerne wären. Der Christkönig, dem unsere Abteikirche und unser Kloster geweiht sind, herrscht mit den Waffen der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe.

Daniel sieht in seiner nächtlichen Vision einen Menschensohn kommen, also einen, der wie ein Mensch aussieht, aber nicht von unten, sondern mit den Wolken des Himmels kommt, also zugleich das Göttliche in sich trägt. Diesem Menschensohn wurden Herrschaft, Würde und Königtum verliehen. Ihm dienen alle Völker, Nationen und Sprachen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter.

„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“

Schon beim Propheten Daniel klingt an, was diesen König besonders macht. Er ist gerade kein selbsternannter Herrscher, der sich seine Macht nehmen und dann ausbauen muss. Ihm, so sagt es Daniel, wurden Herrschaft, Würde und Königtum verliehen. Sein Königtum ist ein Additum, eine Gabe, eine Aufgabe, göttliche Aufgabe. Ein derart verstandenes Königtum, ein solcher König verleiht sich nicht selbst den Glanz, sondern glänzt von einer anderen Quelle her, auf die er stets bezogen bleibt.

Uns bekannte weltliche Herrscher scheiden damit weitgehend aus. Vielleicht wurde ein solch ursprüngliches Verständnis von Königtum letztmalig bei der nach ihrem Tod für ihre lebenslange Disziplin bewunderten Jahrhundertkönigin Elisabeth II. spürbar, denn sie verstand sich wirklich noch als Königin von Gottes Gnaden. Die Medien bemühten diesen Begriff mehrfach im Zusammenhang mit ihrer Regentschaft. Mich hat das sehr berührt. Ein auf Zeit verliehenes Amt von Gottes Gnaden. In diesem Verständnis begnadet Gott einen Menschen mit einem Können, beruft ihn dann in eine Verantwortung, von der allein ER wieder entbinden kann. Eine solche Berufung verleiht dem Berufenen Kraft und Stärke, lässt einen Menschen durch die Treue einer an ihn ergangenen Berufung glänzen. Wir kennen solche begnadeten Menschen. So betrachtet gibt es auch in unseren Tagen noch unzählige Königinnen und Könige, die in Würde eine Krone tragen – sichtbar nur für den, der sie zu sehen versteht und ihren Glanz zu deuten weiß.

„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt!“ hallt die Antwort Jesu an Pilatus im heutigen Evangelium. „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“

Jeder, der aus der Wahrheit ist. Warum spricht Jesus gerade hier in der Verhandlung mit Pilatus, in der es um sein Schicksal geht, über Wahrheit? Was hat Wahrheit mit seinem Königtum zu tun? Pilatus ist darüber ebenfalls verwundert. In Vers 38, der die heute gehörte Perikope unmittelbar fortsetzt, folgt dann auch die bekannte Pilatusfrage:

„Was ist Wahrheit?“

Vermutlich war die Lüge schon damals genauso gesellschaftsfähig wie heute, um die eigenen Interessen durchzusetzen, Tatsachen zu vertuschen oder Dinge unter den Teppich zu kehren. Damals wir heute werden sich Herrscher dieser Funktion der Lüge bedient haben. Will Jesus dagegen vorgehen? Für welche Wahrheit will er Zeugnis ablegen?

Pilatus fragt Jesus nach seiner Identität als „König der Juden“. Wer wessen König ist, deckt Jesus mit seiner Gegenfrage auf: „Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?“

Sich hinter anderen verstecken ist gefährlich, denn dann verschwindet die Frage nach der Wahrheit hinter dem Interesse und der Berechnung. Wenn Menschen die Wahrheit verbiegen, je nachdem ob sie ihnen nützt, beginnen Gewalt, Terror und Missbrauch, sind die Demokratien unserer Tage in Gefahr.

Jesu Königtum, in dem sich die Weise offenbart, wie Gottes Königreich wirksam werden will, basiert auf uneingeschränkter Wahrheit und einem Hören auf SEINE Stimme.

Als Kirche, liebe Schwestern und Brüder, müssen wir im Grunde hinter die Erfahrung einer Gemeinschaft der Glaubenden zurück, um ganz persönlich, aus der Einsamkeit des unter dem Kreuz Glaubenden frei zu werden für die Wahrheit. Dort, unter dem Kreuz, wird der Glanz eines wahren und unvergänglichen Königtums sichtbar: Die sich verschenkende Liebe.

Liebe hat auch dem eingangs erwähnten Jack Dawson die Kraft und den Mut gegeben zu rufen: „Ich bin der König der Welt“.

Die Liebe des Christkönig, die Liebe unter dem Kreuz aber ist von ganz anderer Qualität…

von P. Maurus Runge OSB

„Welches Gebot ist das erste von allen?“ Die Frage des Schriftgelehrten an Jesus ist durchaus berechtigt – und bleibend aktuell. Welches Gebot in dieser Vielzahl an Geboten der Tora ist die innerste Mitte, an der ich mich orientieren kann? Welches Gebot gibt den anderen Sinn? Woran soll ich mich halten in dieser Vielzahl von Worten?
Und Jesus antwortet aus der Mitte der jüdischen Tradition heraus, mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis (Schema Israel), das jeder gläubige Jude täglich betet: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“
Scheinbar ganz einfach – und doch beginnen die Fragen und Missverständnisse hier erst. Das zeigt sich deutlich, als vor einigen Monaten der Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg, der sich selbst als katholisch bezeichnet, gefragt wurde, was für ihn Nächstenliebe bedeute. Seine Antwort: „Da ich katholisch bin, bedeutet Nächstenliebe für mich, sich um die Angehörigen des eigenen Volkes zu kümmern.“ Das Konzept der Nächstenliebe wird also schamlos missbraucht für das völkisch-nationalistische Programm dieser Partei, missbraucht dazu, Fremde auszuschließen, auszugrenzen, letztlich abzuschieben. Nächstenliebe als Ausschließungsprogramm. Gut, dass Erzbischof Koch, sein zuständiger Bischof, dieser Aussage sofort widersprochen hat und klarstellte, dass christliche Nächstenliebe auch dem gelte, „der eine andere Meinung, eine andere Überzeugung, einen anderen Pass hat. Nächstenliebe kennt keine Fremden.“
Anders ausgedrückt: Auch der Fremde wird mir zum Nächsten, „denn er ist wie du“. So übersetzt Martin Buber das „wie dich selbst“: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Er ist Mensch wie du – mit allen Stärken und Schwächen, mit allen Gaben und Talenten.
Übrigens sagt das auch schon die jüdische Tradition, die für uns Christen ebenfalls Heilige Schrift ist. Im Buch Leviticus heißt es: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ (vgl. Lev 19,34) Und in der Parallelstelle zu unserem heutigen Evangelium erzählt Lukas auf die Frage des Schriftgelehrten, wer denn sein Nächster sei, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das schon hier die eigenen Stammesgrenzen sprengt und im Samariter, der dem Verletzten zum Nächsten wird, die Nächstenliebe sozusagen universalisiert.
Die Weiterführung der markinischen Episode bei Lukas zeigt etwas Wichtiges: Liebe ist nicht etwas Abstraktes, keine Theorie, die in schönen Worten beschreibt, was es mit der Liebe auf sich hat. Nein, Liebe ist immer konkret, sie drängt mich zur oft unspektakulären Tat, spornt mich an, dem anderen zu helfen, macht sich die Hände schmutzig und verbindet Wunden. Eine so verstandene Nächstenliebe hat dann wiederum mit Gott zu tun, denn in dem Menschen, der mich jetzt gerade braucht, der mir zum Nächsten wird, begegnet mir Gott, wird Gott aufs Neue Mensch. Menschwerdung setzt sich bis heute fort.
Einer, der diese Liebe ganz konkret gelebt hat, ist der in der vergangenen Woche verstorbene Altbischof von Limburg, Franz Kamphaus. „Den Armen das Evangelium verkünden“ – sein bischöflicher Wahlspruch war für ihn keine leere Floskel, sondern ist in seinem Leben konkret geworden: in seiner Einfachheit und Bescheidenheit. In seinem kompromisslosen Eintreten für die Armen von heute – da hat er auch keine Konflikte gescheut, wenn er etwas als richtig erkannt hat, wie es sein Einsatz für einen Verbleib der Kirche in der staatlichen Schwangerschaftsberatung zeigte. Gerade so wollte er dem Leben dienen auf allen Ebenen. Und seine langjährige Aufgabe als Weltkirchenbischof hat ihn über den Tellerrand des eigenen Landes schauen lassen, damit die Nächstenliebe eben nicht eng verstanden wird, sondern sich ausweitet auf alle Menschen. Nach seiner Emeritierung als Bischof hat er als einfacher Mensch und Seelsorger unter geistig behinderten Menschen gelebt. Dort ist er auch gestorben.
„Mach‘s wie Gott – werde Mensch!“ Der Titel eines seiner Bücher kann uns in dieser Woche Richtschnur sein in unserem Bemühen, Gott und den Nächsten – auch den Fernsten, der mir zum Nächsten werden kann – zu lieben. Es in unserer Menschwerdung Gott gleich zu tun und es mit der Liebe einfach mal zu versuchen. Oder um es mit einem anderen Wort von Franz Kamphaus zu sagen: „Den Diktatoren gleitet der Erdball aus der Hand, und er zerbricht – die Liebe hält ihn zusammen.“

von P. Marian Reke OSB

Es knospt
unter den Blättern
das nennen sie Herbst. 

Hilde Domin

Im Frühherbst gibt es Tage, die uns mit einem unverhofft heiteren Leuchten beschenken. Noch vor einer Woche machte der Gingko-Baum an der Klosterpforte vor dem strahlend blauen Himmel die Rede vom goldenen Oktober unmittelbar anschaulich. Das in der Natur anhebende jahreszeitliche Sterben war zumindest für Stunden zu glühendem Leben gelichtet. Doch wer wollte sich davon täuschen lassen?! Nur zu gut wissen wir, wie bald schon die steigenden Nebel alles rundum verdüstern. Die lautlos fallenden Blätter im Park erinnern als wortloser Kommentar zum andauernden Lärm der Katastrophennachrichten in den Medien, was scheint’s die Stunde geschlagen hat.

Die sprichwörtliche Novemberstimmung nimmt derzeit für meine Wahrnehmung eine apokalyptische Färbung an! Vielen geht sie ans Gemüt.

Da erinnert uns gleich zu Beginn des dunklen Monats die Liturgie der Kirche – sozusagen als Gegenanzeige – an die Vision einer neuen Welt, an die Vision vom Menschen im Glanz seiner Ganzheit, an die Vision vom Einssein der Menschheit und der gesamten Schöpfung, an die Vision vom Heil, von Heilung und Heiligung. Wir feiern Allerheiligen. Wir feiern die Berufung und die Befähigung aller Menschen, einer jeden, eines jeden von uns, sich von all den Todesschatten ringsum nicht verwirren zu lassen, sondern den Schleier herbstlichen Trübsinns, der sich über die Dinge breitet, zu durchschauen. Mit den Augen eines vertrauensvollen Herzens können und dürfen wir entdecken, dass – um im Bild der Natur zu bleiben – die Blätter nur deshalb fallen, weil das Wachstum des Baumes bereits kleinste Knospen treibt, obschon es noch einen Winter lang Kraft zu neuem Aufbrechen sammeln muss.

Immer wenn eine bisher gültige und deshalb in sich bewegliche Gestalt des Lebens kraftlos wird und schlaff oder in Enge erstarrt, dann gilt es zu erkennen und mehr noch zu erspüren, dass das Leben selbst sich neu und womöglich ganz anders ausdrücken will. Dann gilt es zu lassen, sich im Lassen zu üben. Lass es sein – das Leben, wie es ist oder wie es eben geschieht. „Let it be“ – sangen in unseren jungen Jahren die Beatles, und wir haben unbeschwerten Herzens mitgesungen, weil das Leben mit seinen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten noch vor uns lag. Let it be! Im Alter kommt uns das nicht mehr so leicht über die Lippen, wenn wir die Vergänglichkeit immer bedrängender wahrnehmen – unsere Endlichkeit.

Man ahnt: bald werden wir uns lassen, loslassen müssen. Die üblichen Vorstellungen, die wir damit verbinden, können uns ängstigen, die Vorstellung: was losgelassen wird, fallt, fällt hin und dahin.

Allmählicher Verfall – diese uns zugewandte Seite des Alterns könnte jedoch eine Kehrseite haben. Unsere je eigene irdische Gestalt vermag anscheinend das Leben nicht mehr zu fassen und zu halten, ist für das Leben in seiner Fülle nicht weit und offen genug. Ich ahne durch alle Ängste und Zweifel, durch Auflehnung und Trotz, durch alle Trauer hindurch, dass auch das Sterben ein Ausdruck des einen Lebens ist. „Es knospt unter den Blättern …“ – deshalb welken und fallen sie. Ein ungewohnter Gedanke, ich weiß, ein Trostgedanke – und im Glauben müsste er keine bloße Vertröstung bleiben.

Früher trugen wir in Königsmünster am Vorabend von Allerheiligen zur Vigil das Reliquiar aus der Krypta zur Verehrung in den Mönchschor der Abteikirche – ein Ritual, mit dem ich auch meine Schwierigkeiten hatte. Irgendwann aber ging mir durch den Sinn: diese Gebeine kanonisierter Heiliger sind wie die Leichen in den Särgen oder die Asche in der Urne buchstäblich „Re-liquien“, das Zurückgelassene der Gestalt der einen Lebensfülle, wie sie sich in jedem, in je-dem(!) unverwechselbaren und unwiederholbaren Menschen ausgeprägt und gezeigt hat. Der Glaube bezeugt, dass dieser einzigartige schöpferische Ausdruck des Lebens zu jener unerschöpflichen Fülle gehört, in der jeder Mensch ewig aufgehoben ist. Seine zurückgelassene, zerfallende Gestalt – die Reliquien – ehren wir wie die Gräber also zu Recht.

Reliquienkult – so verstanden und in diskreter Weise geübt – kann sinnvoll sein, ein Zeichen menschlicher Würde. Doch verlangt dieser Kult, damit er nicht zu kurz gerät, nach einer entsprechenden Kultur, nach der Kultur des Leibes und des leibhaftigen Daseins überhaupt – aus Ehrfurcht vor der lebendigen Gestalt des Lebens. Gerade wenn wir Reliquien in kostbaren Schmuck fassen und bisweilen in einem goldenen Schrein bergen, der einem edlen Haus gleicht, müssen wir uns umso mehr darum kümmern, dass jeder Mensch zu Lebzeiten seinen Leib umsorgen und in ihm auf dieser Erde ein Haus bewohnen kann. Das gilt für die alltägliche Sorge um uns selbst und umeinander – bis hin zur Hospiz- und Palliativpflege.

Ich weiß, dass wir mit unserem Totenkult immer auch zu spät kommen, weil uns die Lebenskultur – zumal im Blick auf andere, gerade auch auf uns nahe Menschen – nie ganz gelingt. Vielleicht liegt genau darin ein Grund aller Trauer. Dennoch: es gilt, sich darin nicht resignativ zu verfangen, sondern Tritt zu fassen, um in großen und kleinen Alltagsschritten gegenwärtiger Lebenskultur einzuholen, was in den Ritualen des Reliquienkultes einst in festlichem Ernst begangen wurde und heutzutage mehr oder weniger bloß Folklore ist.

Letztendlich kommt es darauf an, in das CREDO des Allerheiligenfestes einzustimmen. Es kündet vom Vertrauen zum Gott des Lebens, das uns alle gewiss sein lassen kann:

Ich bin eine Gestalt der unerschöpflich schöpferischen Liebe – unverwechselbar und unwiederholbar. Ich bin diese einzigartige und doch mit allen und allem verbundene menschliche Gestalt des einen Lebens: erfahrbar, hörbar und sichtbar für den mir zugemessenen Zeit-Raum des Daseins und zugleich verborgen und geborgen im Geheimnis der Ewigkeit, aus der ich stamme, in die ich zurückkehre, die unser aller Heimat ist.

von P. Maurus Runge OSB

Les.: Num11,25-29 – Ev.: Mk 9,38-43.45.47-48

Wozu gibt es Priester? Diese Frage stellt sich vielen Menschen heute in einer Zeit vielfältiger Krisen und hausgemachter Skandale, die das Wesen des Priestertums weltweit betreffen. Wir könnten es uns jetzt einfach machen und diese Frage als eine rein europäische oder sogar deutsche abtun, aber ein genauer Blick auf die Dokumente der in dieser Woche beginnenden Weltsynode in Rom zeigt, dass viele Probleme die Kirche und auch das Priestertum in vielen Ländern unserer Weltkirche betreffen. Und auch der hl. Benedikt ist in seiner Regel ja äußerst skeptisch, Mönche seiner Klöster zu Priestern zu weihen und tut das nur nach reiflicher Überlegung.
Nichtsdestotrotz haben wir vor zwei Monaten Deine Priesterweihe, lieber P. Victor, gemeinsam mit fünf Seminaristen der Diözese Sumbawanga in Tansania als großes Fest gefeiert, wo die Freude und Begeisterung so vieler Menschen über eure Berufung spürbar war. Wie kann also das Priestertum heute als glaubwürdiger Dienst vor Gott und für die Menschen gelebt werden?

Die heutige Lesung aus dem Buch Numeri gibt uns da einige gute Anhaltspunkte. Sie führt uns in die Zeit der Wüstenwanderung Israels, sozusagen an den Anfang der Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk, dieser so einzigartigen Liebesgeschichte. Mose, der Prophet und Führer seines Volkes, hat alle Hände voll zu tun und sehnt sich nach Entlastung – und er bekommt sie auch. Der Herr „nahm etwas von dem Geist, der auf Mose ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten.“ Mose merkt, dass er nicht alles allein bewerkstelligen kann, und er sucht sich Hilfe in erfahrenen Menschen.
Und dann passiert das Unglaubliche: zwei Männer, Eldad und Medad, treten auf, „auch sie redeten prophetisch im Lager“. Sie scheinen aber nicht ganz dazuzugehören, stehen eher am Rande, in der Sprache des Textes: „Sie waren nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen.“ Da bekommen es die etablierten Mitglieder der Gemeinschaft mit der Angst zu tun, und Josua macht sich zum Sprecher dieser Ängste und bittet den Mose, sie am Reden zu hindern. Und es zeugt von der Größe des Mose, dass er auf solche Ängste nicht eingeht, sondern im Gegenteil ausruft: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“
Scheinbar sind wir nun wieder an unserem Ausgangspunkt – denn wenn alle Menschen zu Propheten würden, wenn wir wirklich daran glauben, dass alle Menschen geistbegabt sind, wozu braucht es dann noch eine besondere Gruppe?
Eine Antwort könnte sein: Es braucht Menschen wie Mose, die genau das ihren Mitmenschen zusagen: Ihr alle seid mit Heiligem Geist begabt, ihr alle habt Anteil an der königlichen, priesterlichen und prophetischen Würde Jesu, ihr alle seid berufen von Gott!
Es braucht Menschen, die das ihren Mitmenschen zusagen im Sakrament der Versöhnung und Krankensalbung, wenn sie selbst nicht mehr daran glauben, oder die Menschen im Sakrament der Eucharistie in Verbindung bringen mit dem Gott, der sich an uns austeilt!
Und es braucht Menschen, die anderen Menschen den Segen Gottes vermitteln, die Gutheißung des Menschen durch Gott – nichts anderes meint das lateinische „benedicere“ als das, anderen Gutes zu sagen! In der Abtei Mvimwa, der Heimatabtei von P. Victor, gibt es eine schöne Zeichnung auf einem Felsen, die darstellt, wie ein Mönch einen Besucher segnet – ein wahrhaft benediktinischer Dienst.
Genau zu diesem Dienst, lieber P. Victor, bist Du geweiht worden – anderen Menschen ihre gottgeschenkte Würde zuzusagen und ihnen dabei zu helfen, ihre Berufung zu entdecken.

In der Lesung und auch im Evangelium treffen wir auf Menschen, die genau das tun und die damit Überraschung im schon bestehenden Jüngerkreis auslösen. Es sind sog. „Fremdpropheten“, die vielleicht einen anderen Blick für die Dinge haben, die „immer schon“ so laufen, wie sie laufen, getreu dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Menschen, die uns, die wir oft betriebsblind geworden sind, durchaus etwas zu sagen haben. Grenzgänger, die herkömmliche Grenzen überschreiten und gerade so dabei helfen, dass Menschen zueinander finden können.

Lieber P. Victor, wer hätte vor sechs Jahren gedacht, als Du hier in Deutschland ankamst, dass Du an diesem Tag bei uns Primiz feiern kannst? Du hast auf Deinem Weg immer wieder Grenzen überschritten: Matanga, dein Heimatort – Mvimwa, die Abtei, in der du deinen Weg als Missionsbenediktiner begonnen hast – Meschede, wo Du schnell eine zweite Heimat gefunden hast – Hannover, wo Du in unserer Cella mitgelebt und die Feinheiten und Tücken der deutschen Sprache erlernt hast – Salzburg, wo du Theologie studierst – und wer weiß, welche Grenzen du in Zukunft noch überschreiten wirst? Eine neue Umschreibung von Mission meint genau das: Grenzen zu überschreiten auf andere Menschen hin. In diesem Sinne bist Du ein wahrer Missionsbenediktiner.
Und besonders danke ich Dir, dass Du uns hier in Deutschland allein durch deine Präsenz daran erinnerst, dass die deutsche Kirche nicht das Maß aller Dinge ist, sondern dass wir eingebunden sind in eine Weltkirche unterschiedlichster Kulturen und Menschen. In diesem Sinne bist Du ein Fremdprophet, der uns auf Dinge aufmerksam machen kann, für die wir betriebsblind geworden sind. Und der das nicht mit der Brechstange macht, sondern mit einem feinen, oft hintergründigen Humor, der sich auch selbst nicht zu wichtig nimmt. So wünsche ich Dir viele gesegnete Jahre priesterlichen Wirkens für Gott und die Menschen. Mögest Du auch weiterhin immer wieder Grenzen überschreiten und so verbindend wirken!

„Du wirst des Weges geführt, den du gehst.“

Predigt zu Joh 6,60-69 am 25.08.2024

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

 

Jede Beziehung, jede Gruppe kennt diese Erfahrung: Irgendwann ist mir der andere, den ich so gut zu kennen glaubte, total fremd und eine Riesenenttäuschung. Bleischwere Enttäuschung hat die Leichtigkeit der Anfangsbegeisterung verschluckt. Auch ich selbst kann auf einmal dastehen und mich selbst nicht mehr wiedererkennen. …

So eine Situation nennen wir dann Krise: Sinnkrise, Beziehungskrise, Lebenskrise. Es ist ein nahezu allgemeingültiger Grundsatz, fast nichts schlimmer zu finden als eine Krise. Dann geht es oft so: Je heftiger wir eine Krise vermeiden wollen, desto schneller ist die nächste da! – Warum eigentlich diese Krisenpanik? Im Griechischen heißt „KRISIS“ Entscheidung. Das rückt unsere ganzen Krisenvermeidungsstrategien in ein sehr seltsames Licht. Ist unsere Angst vor einer Krise in Wirklichkeit die Angst, uns zu entscheiden?

Das Evangelium heute beschreibt die große Krise in der Jüngerschaft Jesu. Vielen wird mulmig, weil Jesus mit seinem Anspruch zu weit geht. Man muss sich entscheiden: Die meisten gehen, einige bleiben – klarer, in anderer Weise, entschiedener als vorher.

So bitter es ist, eine Krise durchstehen zu müssen: Wenn ich mich ihr stelle, hat sie im Rückblick meist heilsame Folgen: Sie zwingt zu Entscheidungen, – und die getroffen zu haben, wirkt entlastend. Nur: Oft verwenden wir unendlich viel Energie darauf, eine Krise „im Keim zu ersticken“, so als wäre es etwas Ungehöriges, Fragen und Probleme mit sich selbst, mit einem Lebenspartner, mit der Politik, mit der Gesellschaft, mit der Kirche, mit meinem Orden oder auch mit seinem Gott zu haben. Eine Krise, ein „Nicht-mehr-Können“ ist wahrlich nichts Ungehöriges. Ungehörig ist, den falschen Anschein zu erwecken, als sei alles in Ordnung. Irgendwann ist es Zeit, Fragen in den Raum zu stellen; denn nur gestellte Fragen können eine Antwort finden. Nicht gestellte Fragen treiben einen bald hierhin, bald dorthin, immer schneller, immer weiter, immer planloser.

Wann endlich gebe ich dem, was mich selbst andauernd umtreibt, die Möglichkeit, sich von einem nagenden Unbehagen in eine vernehmbare und klare Frage zu verwandeln? Welche Frage treibt mich um, wenn ich nicht mehr bereit und in der Lage bin, andere zu verstehen, sondern nach allen Seiten urteile und verurteile? Was steckt dahinter, wenn ich Menschen, Zeit und Dinge in unglaublich großen Mengen verbrauche, weil ich nirgendwo zufrieden sein kann? Was steckt dahinter, wenn sich um mich herum Unsicherheit und Angst verbreiten? Sind nicht all das Methoden, die Fragen zu überspielen, die eigentlich fällig sind: Wo ist der Weg – und was ist das Ziel?

Denn: Den Weg findet nur der, der ihn geht: Und: Wer geht, der wird eine Erfahrung machen, die ihm verschlossen war, solange er der Frage nach dem Weg und dem Ziel ausgewichen ist. Wer geht, der wird – staunend möglicherweise – wahrnehmen: „Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße“ (Johannes Bours). Das, was man vor lauter Krisenpanik für unmöglich gehalten hatte, wird möglich, wenn man ins Leben hineingeht.

Dieser Augenblick, in dem einer über seinen eigenen Schatten springt, ist es, in dem wir mit unserem ganzen Leben, mit Verstand, Leib und Seele an etwas rühren, was sich mit Worten nicht klarmachen lässt, dass nämlich Christus der Weg mitgeht: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Oder übersetzt: Die Lebensstrecke, die mir zugemutet ist, ist kein blindes Schicksal ohne Richtung und Ziel. Mein Lebensweg, so wie er ist, und wie immer er aussehen mag, ist der Ort, an dem die Menschenfreundlichkeit Gottes auf mich wartet, – wenn ich nur gehe!

Wenn du nur endlich die Fragen, die dich umtreiben, stelltest, würde dich die Antwort auf den richtigen Weg bringen.

Wenn du nur endlich losgingest, würdest du merken, dass es nicht nötig ist, aufzubegehren oder sich zu verweigern.

Wenn du nur endlich das Kreuz der Krise riskiertest, wäre es dir möglich, dem zu begegnen, der durch den Tod hindurch ins wirkliche Leben gelangt ist.

von Br. Anno Schütte OSB

Beim heutigen Abschnitt aus dem Markusevangelium (Mk 6,7-13) ist es sinnvoll, den Textzusammenhang, das Davor und Danach, zu beachten: Davor steht die Erzählung von der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt und durch seine Familie mit der Konsequenz, dass Jesus in die benachbarten Dörfer auszog, um dort zu lehren – wir hörten davon am letzten Sonntag. – Danach folgt der ausführliche Bericht von der Enthauptung des Täufers Johannes.

Unser heutiger Abschnitt, die Aussendung der Zwölf, ist von den Themen Ablehnung und Mord umgeben. Das ist schon ein Hinweis, wie das Leben Jesu weitergeht und wie es enden wird: Mit der Katastrophe eines Mordes am Kreuz. Doch Gott lässt sich von der Ignoranz und Bosheit der Menschen nicht aufhalten, das wird die Auferstehung Jesu und die österliche Aussendung der Jünger endgültig bestätigen. Die Aussendung der Zwölf schon jetzt, inmitten von Ablehnung und Mord, zielt in diese österliche Richtung: Gott geht weiter – und die Zwölf sollen ihre Aussendung in dieser Welt ein- und ausüben.

Die vorhergehende familiäre Ablehnung – gerade durch seine Nächsten – dürfte Jesus besonders getroffen haben. Doch lässt er sich davon nicht stoppen – im Gegenteil – es zieht ihn lehrend in die weite Nachbarschaft. Jesus lebt aus Gottesliebe selbstbestimmt, nicht fremd- oder familienbestimmt. Nun ruft er die Zwölf zu sich – es sieht so aus, dass auch sie seine Familie sind. Er löst biologische Familiengrenzen auf, weil alle Menschen existenziell zu seiner universalen Familie gehören sollen, denn alle stammen aus der Liebe des einen Gottes. Will er deshalb den Zwölfen vor der Aussendung nochmal besonders nahe sein? Gestärkt durch diese Intimität sendet er sie aus. Zu zweit sollen sie gehen, denn die Sache Jesu ist keine Solonummer – für Jesus ist das Ich immer in ein geschwisterliches Wir eingebunden – Selbst- und Nächstenliebe ist das Gebot.

Ausdrücklich gibt Jesus ihnen eine Vollmacht – das heißt: Sie sollen nicht im eigenen Sinne, sondern für ihn handeln. Sie sollen an seiner Stelle weiter tun, was sie nun schon eine Weile mit ihm unterwegs erfahren hatten: Aus und mit der Liebeskraft Gottes Menschen heilen und zu ihrer ureigenen Gotteskindschaft befreien. Denn die „unreinen Geister“ gehen der Menschheit nie aus: Sie zeigen sich in tötendem Ungeist kleiner und großer Ideologien, in jeder Form von Gewalt.

Nach der Vollmacht gibt Jesus ihnen zusätzlich ein detailliertes Gebot mit auf den Weg: Außer einem Wanderstab und Sandalen sollen sie nichts mitnehmen. Mit einer detaillierten Aufzählung verstärkt Jesus seine klare Entschiedenheit: „Kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd.“ Es ist eindeutig: Mit nichts meint Jesus auch nichts. Das ist schlicht und einfach radikal – eine echte Herausforderung – auch für uns, die wir mit allen möglichen Mitteln versuchen, der Sache Jesu zu dienen.

Da darf man fragen: Wie soll das gehen? Warum schickt er sie so unversorgt arm los? Von den Zwölfen erfahren wir nichts: keine Fragen, auch kein Protest oder Widerstand. Vielleicht gründet ihre Bereitschaft, so zu gehen, in den guten Erfahrungen, die sie bisher auf ihrem Weg mit Jesus gemacht hatten. Das Leben Jesu ist vor allem einfaches Da-Sein, gegenwärtig Sein – Leben aus der Liebes-Gegenwart Gottes, aus ihr wirken und sie bezeugen. Nur die beruhigt die existentielle Not, nicht genug zu sein; mit den Dingen dieser Welt können wir sie nicht stillen. Und konkret für den Lebensweg gilt: Ohne Gepäck geht es sich leichter. Jesus selbst ist arm unterwegs – wir erfahren nichts von irgendeiner Ausstattung. Auf seinem Weg vertraute er auf Gastfreundschaft und genoss sie – gerade erst war er im Haus des Synagogenvorstehers eingekehrt und hatte dessen Tochter geheilt. Aus dieser positiven Erfahrung gibt Jesus den Zwölfen die Empfehlung: „Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst.“ Er lässt sie – buchstäblich – nicht im Regen stehen. Er vertraut auf die Güte und Gastfreundschaft der Menschen, denn auch darin verwirklicht sich seine frohe Botschaft: Der Mensch ist im Grunde gut und es tut ihm gut, gastfreundlich zu sein – mit Menschen zu teilen und Fremdheit in Vertrauen oder gar Freundschaft zu wandeln.

Doch Jesus ist Realist und weiß, dass es auch anders kommen kann: Die Türen der Häuser, mehr noch die Ohren und Herzen der Menschen, bleiben verschlossen. Was tun? Jesus empfiehlt: „… dann geht weiter …“. Er respektiert die Freiheit der Menschen, zu der auch das Nein-Sagen gehört, auch wenn sie sich damit Lebensmöglichkeiten vergeben. Wir hören kein Wort von „dranbleiben müssen“ oder „da muss man mal Druck machen“ – daraus spräche der Ungeist zwanghafter Gewalt und die Geschichte zeigt, dass es oft so gelaufen ist. Wie Jesus sollen die Zwölf ein Angebot machen und ein Angebot kann man annehmen oder ablehnen. Seine frohe Botschaft der Gottes- und Menschenliebe ist absolut gewaltfrei und deshalb kann sie auch nur so verkündet werden – Inhalt und Methode stimmen überein – anders wäre es unglaubwürdig.

Schlussendlich gibt Jesus ihnen noch ein beachtenswertes Detail mit auf den Weg: „… und schüttelt den Staub von euren Füßen, …“. Die Ablehnung, der Misserfolg ihrer Sendung, könnte sie frustrieren – Jesus kennt seine Zwölf. Menschen fixieren sich und andere in Erwartungen und die sind ein Konfliktprogramm. Darum der ausdrückliche Rat an die Zwölf, den drohenden Frust innerlich abzuschütteln wie den äußerlichen Staub von ihren Füßen. Auch unsere Sprache bestätigt das: Wer nach-tragend lebt, geht schwerer. Die Zwölf – und wir – sollen unbeschwert unterwegs sein, denn Jesu Botschaft ist leicht und will Leben erleichtern.

Mit diesen Empfehlungen gut ausgestattet, ziehen die Zwölf dann aus und verkündigen die Umkehr, wie es auch Johannes getan hatte. Der wird – wie erwähnt – direkt anschließend ermordet und das zeigt, wie böse Menschen sein können – da ist Umkehr bitternötig. Jesu Botschaft zielt auf konkretes Verhalten, auf konkrete Verhaltensänderung, wo es notwendig ist. Umkehr soll und kann die Not wenden und das will auch konkret eingefordert sein. Seine Botschaft ist nicht harmlos – an anderer Stelle sagt er: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein.“ Es ist ein Ja zu lebendigem Lieben und ein Nein zur Gewalt – in all ihren Formen.

In dieser Spur setzen die Zwölf das Werk Jesu wirksam fort: Sie treiben viele Dämonen aus, salben viele Kranke und heilen sie. Das ist eine Vorschau auf die endgültige Sendung aller Jünger nach Jesu Tod und Auferstehung. Zu dieser Sendung sind auch wir eingeladen und berufen – darum heißt es am Ende dieser und jeder Messe: „Gehet hin! – In Frieden.“ Was kann uns besseres geschenkt sein, denn es geht um die spannendste Botschaft überhaupt.

von Br. Justus Niehaus OSB

Was ist Gott für MICH?

Am Dreifaltigkeitssonntag lohnt es über diese Frage nachzudenken.

Für mich ist Gott nicht der alte Mann mit Bart der im Fernen Himmel sitzt.

Gott ist für mich Kreativität. Er ist der Schöpfer aller Dinge. Er durchdringt die ganze Schöpfung. Und sie ist sehr gut, wie wir es im Schöpfungsbericht hören können. Gott hat uns als seine Abbilder geschaffen. Wir alle sind Abbild Gottes.

Er ist ein Gott, der uns auf Augenhöhe begegnen will.

Wenn wir uns Gott öffnen kann er uns ganz durchdringen. Dann kann er sich in unsere DNA schreiben, wie es dieser Kirchenraum so wundervoll darstellt. Das Fünfeck des Menschen öffnet sich zur göttlichen Parabel hin. Es strebt auseinander, dass die Parabel – das Gott – es durchdringen kann und die unendliche Gotteskraft bis in die DNA-Stränge in den Schöpfungsfenstern dringt.

Für mich ist Gott die Weisheit. Die Klugheit. Er ist die Wahrheit und das Leben. Er ist Stärke und Kraft, die er uns weitergibt.

Er ist das Gute in dieser Welt. In unserer Ordensregel finden wir bei den Werken der geistlichen Kunst die Sätze:

Sieht man Gutes bei sich, es Gott zuschreiben, nicht sich selbst. Das Böse aber immer als eigenes Werk erkennen, sich selbst zuschreiben.

Ich habe das als Novize immer als Ungerecht empfunden. Wieso kann ich nichts Gutes selber tun, sondern nur Böses? Doch so sind diese Sätze nicht gemeint. Heute freue ich mich, dass wenn ich etwas Gutes getan habe, Gott in dieser Welt durch mich etwas sichtbar gemacht wurde. Das er durch mich in diese Welt kommen durfte. Das Böse tut aber weder mir noch der Welt gut.

Gott ist für mich die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Die Hoffnung auf ein ewiges Leben in Freude. Die Hoffnung geliebte Menschen wiederzusehen. Die Hoffnung, die im Schmerz und Angst, in Trauer und Not Trost spenden kann. An der ich mich festhalten kann. Die mich niemals im Stich lässt. Er ist die Zuversicht

Gott ist für mich die Liebe, in all ihren Formen. Ob es die Liebe des Vaters, die Liebe der Mutter, die geschwisterliche Liebe, die kindliche Liebe oder die Liebe zur Partnerin oder zum Partner ist. Ob es die Liebe zu Mitbrüdern, zu Freunden, die Nächstenliebe, die Akzeptanz oder die Hilfsbereitschaft ist. Oder ob es die Liebe zu Gott oder Von Gott ist. Ja und auch die Liebe zu uns selbst. In allen diesen Formen ist Gott präsent. In all diesen Formen können wir Gott erfahren – ihm begegnen im Andern und in mir.

Für mich ist Gott Barmherzigkeit. Einer der stärksten Sätze unserer Ordensregel ist für mich:

Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln.

Gott ist erbarmungslos Barmherzig. Er vergibt uns. Er bleibt bei uns. Er ist der Ich-bin-da, wie er es Mose im Dornbusch zugesagt hat und wie Christus es uns am Ende des heutigen Evangeliums zugesagt hat:

„Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Er ist das Licht in dieser Welt, dass uns leuchtet und uns Orientierung geben will.

Er ist Frieden in all seinen Formen. Frieden im Kleinen und im Großen, mit mir selbst, mit anderen und in der Welt.

Und Gott ist für mich Beziehung. Was heute am Dreifaltigkeitssonntag besonders zum Ausdruck kommt. Er ist dreifaltig einer. Er ist in sich Gemeinschaft. Also ist auch unsere Gemeinschaft jetzt und hier Abbild Gottes. Wir sind sein Leib als Christinnen und Christen. Wir sind seine Hände und Füße, durch die er in die Welt kommt.

Gott ist für mich das Positive in dieser Welt. Und dies haben wir mit der Taufe als unauslöschliches Mahl aufgeprägt bekommen. Was für eine Zusage an uns.

Seine Gebote wollen uns nicht einengen, sondern ihn in uns und in diese Welt bringen. Sie wollen das Positive in dieser Welt und in uns zum Leuchten bringen.

Um diesen Reichtum wieder mehr Menschen zugänglich zu machen merke ich, dass ich anscheinend neue Sprachen lernen muss. Das wir neue Worte finden müssen, die die Menschen auf der Such verstehen. Um diese Froh und freimachende Botschaft in der Welt strahlen zu lassen. Um sie Wirklichkeit werden zu lassen, so dass immer wieder eine Ahnung vom Himmel in dieser Zeit aufblitzen kann.

Das ist Gott für mich. Dass ist meine Hoffnung.

Aber was ist mit DIR? Was ist Gott für DICH?

 

von P. Abraham Fischer OSB

Es bleibt Abschied – auch Christi Himmelfahrt ist ein Fest des Lassens, des Loslassens.

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Zwar ist der Abschied von „Himmelfahrt“ ein anderer als der damals an Karfreitag, als der Meister, der Rabbi und Lehrer Israels am Kreuz verendete, als sich die Resignation breit machte und nur noch das Gefühl des Scheiterns wichtig war – das war der erste Abschied: Trostlos, schmerzhaft, von der Ausweglosigkeit und von der Sinnlosigkeit geleitet. Ein menschlicher Abschied, wie er auch uns heutigen in jedem Moment bevorstehen kann. Karfreitag ist ein Abschied in das Dunkel, in das Sterben aller Hoffnung. Karfreitag – ein abgrundtiefes Scheiden ins Nichts.
Aber bleibt nicht auch an Himmelfahrt letztlich Abschied?

Meiner Empfindung nach wird den Jüngern an Himmelfahrt ein zweiter Abschied zugemutet. Wohl anders als der auf Golgatha. Vielleicht heller, lichter. Nicht das bittere Getrennte, das allen Menschen im Tod begegnet, sondern ein getröstetes Zurückbleiben scheint diesen Abschied, den wir im heutigen Fest meditieren, einzufärben.

Was die Jünger an Ostern zurückgesehen bekamen, all das Leben und diese wirkliche Gemeinschaft mit Jesus – sie können es nicht halten. Damals wie heute gilt: Es geht alles weiter. Neues will wachsen und sich entwickeln – auch in Jerusalem war das so. Dass dieses so lichte und helle, ja dieses begeisternde und glaubensfeste Ostergefühl endlich ist, dass der Alltag und das Leben es verändern und neu gestalten, das hatte ja schon der Auferstandene in der ersten Ostererfahrung der Maria von Magdala kundgetan: Dieser starken Frau wird schon am Ostermorgen selbst der Abschied von Himmelfahrt zugemutet. In der Theologie des Johannes fallen all die Feste, die wir nacheinander feiern, um die Geheimnisse wenigstens ein wenig fassen und verinnerlichen zu können, in der Theologie des Johannes fallen Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt in eins. „Noli me tangere“ so spricht der Auferstandene zu Maria – Noli me tangere – Klammere nicht, erstarre nicht; noli me tangere: lass mich in dir wachsen, mache keine endgültigen Bilder von mir, habe Mut, mich jeden Tag neu zu sehen, anderes zu erfahren; noli me tangere: lass mich sein, so wie ich bin, bleibe offen für all mein Sein, für all meine Wahrheit und für die vielen verschiedenen Formen der Liebe. Noli me tangere! Halt mich nicht fest.

Abschied und Trennung sind auch Gefühle von Himmelfahrt. Geduld und Hoffnung aber unterschieden diesen Abschied von Karfreitag. Der heilige Geist – der ja mit Recht „der Tröster“ genannt wird – er ist das eine Abschiedsgeschenk, er ist die Erinnerung an Jesus, die alle Menschen verbinden kann.

Wer aber im Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit… So der hl. Benedikt.

Oder mit den Worten der großen Theresa:

O Seele, suche dich in mir
und, Seele, suche mich in dir

Die Liebe hat in meinem Wesen
dich abgebildet treu und klar:
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren
als meines Herzens schönste Zier:
bist Du verirrt, bist du verloren,
o Seele, suche dich in mir!

In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such‘ nicht dort und such‘ nicht hier:
gedenk‘, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche mich in dir!

Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für:
Ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier,
dann ruf‘ mich und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen,
und, Seele, suche mich in dir!

Teresa von Avila

Und es bleibt ein zweites Abschiedsgeschenk. Von ihm spricht das Evangelium und schlägt damit die Brücke von damals zu heute. Dieses zweite Abschiedsgeschenk wird nicht unbedingt auf den ersten Blick als Gabe und Geschenk deutlich. Und trotzdem ist es eine Hilfe – vielleicht die einzige echte und wirkungsvolle – gerade in Trauer und Abschied. Dieses zweite Vermächtnis Jesu ist ein ganz einfaches, ein völlig alltägliches: Es ist sinnvolle Arbeit. Das mag nun für jeden und jede verschieden aussehen, liebe Schwestern, liebe Brüder. Im weitesten Sinn ist es die Arbeit im Weinberg des Herrn, im Reiche Gottes. Das meint die Liebe zu allen und allem.

Der Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ – er hat ganz viel Alltägliches an sich. Er fordert uns auf, gerade im Alltag und im Kleinen treu zu bleiben. Das Vermächtnis Jesu bedeutet uns allen viel alltägliche Kleinarbeit – manchmal fordert es nur jene, dass wir dem eigenen Leben treu und liebevoll auf der Spur bleiben und nicht in Tod und Trauer, im ständigen Abschied, den das Leben täglich fordert, verhaften. Wer seine Arbeit liebt – und ich meine hier nicht nur die spezifisch kirchlich seelsorgerische – wer seine Arbeit liebt, der weiß um das Geheimnis, das jedem sinnvollen Tun innewohnt.

Wer langsam und geduldig seine Schwimmbewegungen im Meer des Alltags macht, den trägt das Wasser. Wer in Beharrlichkeit und innerem Glauben sein alltägliches Tun beginnt, der wird mit der Zeit vielleicht wirklich Berge versetzen. Und nur wer ausharrt im Guten – auch wenn alles dunkel wird – kann die Welt verändern und  – was mir wichtiger scheint – sich selbst.

 

Himmelfahrt bleibt somit ein Fest. Diese Feiertage spenden in der Erinnerung des Geistes Jesu Trost und Zuversicht. Solche Feste sind Haltepunkte, an denen Gewesenes sich wieder neu verwirklicht und an dem wir Kraft und Mut schöpfen für das alltägliche Tun.

Im Alltag selber jedoch, im Segen sinnvoller Arbeit, in Mühe und Beharrlichkeit erfüllt sich das Geheimnis eines solchen Festes. Dort erprobt sich die Lebendigkeit der Verheißung: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Amen.

 

von P. Guido Hügen OSB

Viola Kohlberger.
Eine junge Frau aus Augsburg, 32 Jahre alt.
Ewig engagiert bei den Pfadfinderinnen und Pfadfindern
und seit 2021 Kuratin,
sprich: Geistliche Leiterin des Diözesanverbandes dort.

Angestellt vom Bistum,
im Moment promoviert sie in Kirchengeschichte.

Gerade für die Anliegen der Jugend
engagierte sie sich beim „Synodalen Weg“.
Setzte sich kritisch auseinander
vor allem mit einigen Bischöfen und deren Verhalten.

Sie kandidiert zur Bundeskuratin,
eine Aufgabe, die ich selber von 2001 bis 2010 erfüllt habe.

Seit Wochen tourt sie durch Deutschland,
um sich den Diözesen und Gremien vorzustellen.

Am letzten Montag wurde ihre Kandidatur
vom Ständigen Rat der Bischofskonferenz abgelehnt.

Natürlich werden keine Informationen gegeben,
wer und überhaupt.
Keine Gründe benannt.

Doch schon der Vorgang an sich ist ein Skandal.
Darf ein Jugendverband nicht selber entscheiden,
wer in ihm Verantwortung übernimmt?

Wäre es nicht mindestens ein Ansatz von Transparenz,
die doch auch von den Bischöfen so groß geschrieben wird,
Gründe zu benennen?

 

Und dann höre ich die Lesung des heutigen Tages
aus der Apostelgeschichte.

Da hatte die Gemeinde in Jerusalem
Angst vor Saulus,
dem jetzt bekehrten Paulus.

Was steckt denn hinter und in ihm?
Kann man ihm vertrauen?
Ist er wirklich der Bekehrte?
Ist er nicht der Feind?

Will er nicht das, was wir nicht wollen?

Barnabas setzte sich für ihn ein.
Machte deutlich,
wie Paulus sich für das Evangelium einsetzt.

Bis sich auch die anderen „Brüder“
(Schwestern werden nicht genannt …) für Paulus einsetzten
und dann – so sagt es die Apostelgeschichte –
„die ganze Kirche in Judäa, Galiläa und Samarien
nun Frieden hatte.“

Wie schön wäre es,
wenn auch wir das heute sagen könnten …

Dass es nicht so ist,
nicht einmal in unserer deutschen Kirche,
ist traurig genug.

Was sind denn die Ängste,
die uns und die Entscheidungsträger erfüllen?

Ja, und ich frage mich noch mehr:
sind wir uns denn noch des Verbindenden
hinter allem bewusst?

„Ich bin der Weinstock.
Ihr seid die Rebzweige.“

Viele sind gern selber der Weinstock
und geben vor, was denn die Reben sollen.

Sie wissen ja,
wo es lang geht,
was unsere Kirche rettet,
was „dran“ ist.

Wer nimmt das nicht alles für sich in Anspruch.
Gerade auf sogenannten konservativen Seiten.

Verlieren wir dabei nicht zu oft
die frohe Botschaft Jesu aus dem Blick?

 

Viola Kohlberger darf nicht kandidieren.
Und wie viele schließen wir aus
– ob bei der Kommunion
oder von geistlichen Ämtern?
Wie viele schließen wir aus
wegen ihres Geschlechts,
ihrer sexuellen Orientierung?

Die Liste lässt sich fortsetzen …

Und es meint nicht nur „die Kirche“,
sondern jeden und jede von uns.
Auch mich.

Und das, obwohl das Evangelium heute
uns wieder einmal so deutlich macht,
dass wir doch gemeinsam Reben sind
am Weinstock Gottes?

 

Glauben bedeutet,
auf den zu vertrauen,
der sich selbst offenbart hat als der ICH BIN DER ICH BIN DA.

Der da ist für alle.
Für seine geliebten Kinder.

Und das muss Folgen haben,
soll es nicht bei einer versunkenen Innerlichkeit bleiben.

Unser Glaube soll Frucht bringen
wie die Reben am Weinstock.

Unser Glaube soll uns offen machen
für die Menschen um uns herum.

Er soll uns bereit machen,
auf sie zuzugehen,
zu helfen, zu unterstützen,
vielleicht einfach einmal einander zuzuhören.

Glauben heißt zu lieben,
wie Jesus geliebt hat und liebt.
Ohne Voraussetzungen.
Obwohl wir, wie ich es gestern las,
so „vollkommen unvollkommen“ sind.

Ob wir es nicht einfach einmal wieder versuchen
– gerade mit denen, die uns nicht so liegen …?

Ob nicht doch wieder etwas von der Geistkraft Gottes
in unserer Kirche lebendig wird,
wir nicht doch irgendwann den Streit sein lassen,
damit „Frieden“ wird?

 

Ein Text von Adalbert Ludwig Balling:

Ein bisschen Christ sein,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen lieben,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen Solidarität,
aber nur ein bisschen;
ein bisschen Mitleid,
aber nur ein bisschen.
Ein bisschen von allem,
aber ja kein bisschen zuviel!

Du Bisschen-Mensch!
Wehe,
würde Gott
dich nur bisschen-weise
lieben!