Schlagwortarchiv für: Pfingsten

von P. Erasmus Kulke OSB

Wer, liebe Schwestern und Brüder, hätte wohl damals vor rund 2000 Jahren gedacht, dass aus diesem kleinen, völlig verängs­tigten Kreis von Fischern und anderen meist einfachen, unge­bildeten Männern, die wir Apostel nennen, eine Bewegung hervorgeht, die sich von Jerusalem quasi lawinenartig über die ganze Erde ausbreitet, die Milliarden von Menschen begeis­tert, die die Welt verändert und bis heute Bestand hat? Wer das einem damaligen Zeitgenossen erzählt hätte, dem hätte dieser vermutlich einen Vogel gezeigt. Dieser armselige Hau­fen von Jüngern, die sich aus Furcht hinter verschlossenen Türen verstecken, soll die ganze Welt verändern und solch eine immense Wirkung haben? Unmöglich! Wenn wir damals gelebt hätten, hätten wir vermutlich ähnlich gedacht. Denn nach menschlichen Maßstäben war das unmöglich.

Nun, wir wissen, dass es – wider aller Erwartung – doch mög­lich war. Dass genau das passiert ist. Das alles Entscheidende dabei, der Grund, warum von diesem kleinen Kreis eine solch ungeheure Dynamik ausging, war Gottes Heiliger Geist. Der hat alles verändert. Der hat aus den verängstigten, mutlosen Jüngern unerschrockene, kraftvolle und zutiefst überzeugende Boten des Evangeliums gemacht. Hätten sie das alles aus ei­gener, menschlicher Kraft bewirken müssen, hätten sie dabei allein auf ihre eigene Kraft vertraut, wäre es nicht zu dieser Dynamik gekommen. Dann gäbe es heute keine Kirche. Dann säßen wir heute Morgen nicht hier. Dann sähe die Welt heute anders aus.

Das Evangelium erzählt uns, dass Jesus trotz verschlossener Türen zu seinen Jüngern vordringt und ihnen den Heiligen Geist einhaucht. Doch durch die verschlossenen Türen ihrer Herzen scheint er zunächst noch nicht vordringen zu können. Die Einhauchung des Heiligen Geistes scheint noch keine Wir­kung zu entfalten. Denn wie uns das Johannesevangelium ein paar Verse nach unserem heutigen Abschnitt berichtet, sind die Jünger acht Tage später wieder hinter verschlossenen Türen zusammen. Erst als sie am Pfingstfest der Heilige Geist wie ein heftiger Sturm überkommt und sie mit seinem Feuer ent­flammt, beginnen sie mutig in aller Öffentlichkeit aufzutreten und das Evangelium zu verkünden. Und damit nahm eine ge­waltige Entwicklung ihren Lauf.

Doch wo ist diese Dynamik heute zu spüren? Wo ist der Heilige Geist mit seiner gewaltigen Kraft heute am Werk? Wenn ich die große Verunsicherung bei vielen Menschen aufgrund der vielen Krisen in den letzten Jahren wahrnehme – ich denke da vor allem an Corona, den Krieg in der Ukraine, die hohe Infla­tion, den Klimawandel, – wenn ich auf die krisenhafte Situa­tion unserer Kirche heute schaue – ich sage nur Missbrauch, innere Zerrissenheit, Mitgliederschwund, – wenn ich sehe, dass viele noch zusätzlich individuell ganz unterschiedlich durch Schwierigkeiten oder Herausforderungen belastet sind, sei es in den Familien oder auch in unserer Gemeinschaft, im Beruf oder im Freundeskreis, dann habe ich den Eindruck, dass wir eher den verängstigten, mutlosen Jüngern vor der Geist­sendung gleichen. Dann ist für mich von Dynamik, von Auf­bruch, von Zuversicht wenig spürbar. Dann habe ich den Ein­druck, wir brauchen Gottes Heiligen Geist mehr denn je!

Doch vertrauen wir überhaupt noch auf ihn? Rechnen wir noch mit ihm oder leben wir nicht allzu oft so, als ob es Gott nicht gäbe? Meinen wir nicht allzu oft, wir könnten oder müssten gar alles aus eigener Kraft schaffen?

Dass wäre nicht allzu verwunderlich. Denn der ungeheure technische Fortschritt unserer Zeit verleitet uns oft zu der Vor­stellung, wir könnten alles selber machen. Und unsere Gesell­schaft impft uns ein, dass wir nur dann etwas zählen, wenn wir etwas leisten. Doch damit kommen wir nicht weit. Alles selbst in der Hand zu haben und machen zu können, ist eine Illusion! Und es kann sehr befreiend sein, sich von dieser Illusion zu verabschieden, wenn ich darauf vertraue, dass je­mand anders mein Leben in der Hand hält, jemand, der es restlos gut mit mir meint und der mich rückhaltlos liebt. Es kann sehr befreiend sein, zu erkennen: ich muss nicht alles aus eigener Kraft schaffen. Da ist jemand, der mir mit seiner Kraft zu Hilfe kommt, der ganz andere Möglichkeiten hat als ich.

Vielleicht macht uns der Heilige Geist auch ein wenig Angst. Er ist eben kein laues Lüftchen, sondern ein gewaltiger Sturm. Der weht, wo er will, nicht wo ich will. Der lässt sich nicht zähmen. Der kann mich gehörig durcheinanderschütteln und Veränderungen mit sich bringen, die ich nicht absehen kann. Dann müsste ich vielleicht aus meinem bisherigen Leben, in dem ich es mir bequem eingerichtet habe, heraus. Müsste viel­leicht von vielen „Besitzständen“ loslassen, mich von liebge­wordenen Gewohnheiten, auch Denkgewohnheiten verab­schieden. Der Heilige Geist kann zu einem „Wind of Change“ werden, der uns nicht immer so angenehm ist, wie er in der erfolgreichen Rockballade der Scorpions, der „Hymne der Wende“, besungen wird. Vor allem dann nicht, wenn er in mein eigenes Leben bläst. Denn ich habe doch gerne alles unter Kontrolle. Veränderungen machen vielen Angst. Und Angst macht eng. Und dann steht der Heilige Geist vor den verschlossenen Türen meines Herzens und kann nicht rein. Aber Angst und Verunsicherung sind ja sowieso schon oft da, wie ich gerade beschrieben habe. Wäre es dann nicht viel sinn­voller, sich dem Wirken den Heiligen Geistes zu öffnen, ihm zu vertrauen, weil ich doch allein nicht weiterkomme, allein nicht aus meinen Ängsten herauskomme?

Ich bin gewiss und glaube fest daran, dass der Heilige Geist eine gewaltige Kraft ist, die uns selbst, unsere Familien, un­sere Mönchsgemeinschaft, unsere Gesellschaft, ja die ganze Welt verändern kann. Dafür müssen wir uns ihm aber öffnen und zulassen, dass er uns bewegt, verändert, stört. Vergessen wir dabei nicht: er ist die Liebe selbst. Deshalb brauchen wir keine Angst vor ihm zu haben. Gerade von unserer Angst will er uns ja befreien – wie die Jünger. Da er die Liebe ist, kann er uns nichts Böses wollen, ganz im Gegenteil: er will uns in die Weite, in die Freiheit führen, er will das Beste für uns.

Da er aber die Liebe ist, will er uns ganz! So ist die Liebe eben. Die geht aufs Ganze. Er will uns mit seinem Feuer entflammen, eine Leidenschaft in uns entfachen, für die Liebe, das Leben, für Gott. Halbherzigkeit ist damit nicht vereinbar. Bloß daran wärmen geht nicht, sondern nur ganz und gar brennen, die Liebe weitergeben, andere damit anstecken.

Manches werden wir dafür loslassen müssen. Doch das, was wir dafür „quasi im Gegenzug“ bekommen, ist so unvergleich­lich mehr, dass es den Verlust mehr als aufwiegt, wenn wir es dann überhaupt noch als Verlust empfinden, denn durch die Berührung mit Gott verschieben sich viele Werte, und vieles, was einem vorher wichtig war, wird auf einmal unwichtig.

Wenn wir den Heiligen Geist in unser Herz hineinlassen, dann kann ein neues Pfingsten geschehen, ein neuer Sturm der Be­geisterung seinen Anfang nehmen, der uns von lähmender Angst befreit und ungeahnte Kräfte freisetzt. Lassen wir uns von ihm anstecken!

Liebe Leserin, lieber Leser,

in der Schriftlesung heißt es heute:
…sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk…. (aus Apg 2,42-47)

Eine ideale Beschreibung der ersten Gemeinde.
Einmütigkeit.
Freude.
Lauterkeit des Herzens.
Lobpreis.

Zu schön, um wahr zu sein!?

Wie sieht es in unseren Familien, Gemeinschaften und Gemeinden aus?
Wie geht es mir beim Lesen dieser Zeilen?
Hat es vielleicht schon beim Frühstück eine Auseinandersetzung gegeben?
Habe ich heute schon Gemeinschaft erlebt oder dazu beigetragen?
Ist mir schon ein Gedanke oder Wort der Dankbarkeit über die Lippen gekommen?

Was bedeutet für mich Gemeinschaft? Eine Antwort könnte lauten: Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft.
Diese Definition gefällt mir, kommt darin doch zum Ausdruck: Mir wird geholfen und ich kann mich einbringen. Ich denke, darin liegt ein erstes Angebot für diesen Tag, denn beides müssen wir üben.

Und ein zweites: Gemeinschaft (er)leben. Auch das bedarf der Einübung. Denn echtes Leben vermehrt sich!

Mit dem vorliegenden Impuls endet die Reihe der österlichen Impulse. Ich bedanke mich für Ihr Interesse und die positiven Rückmeldungen.
Bewahren Sie sich die Freude des Herzens und vergessen Sie bitte unsere Gemeinschaft von Königsmünster nicht.

Mit folgenden Gebetsworten wünsche ich Ihnen frohe und gesegnete Begegnungen.

Bekleide uns mit deiner Gnade,
erfülle uns mit deiner Liebe
und führe uns den Weg zur Vollkommenheit. 

Ihr
+ Aloysius Althaus OSB

 

Im Advent 2021 werden wir die Reihe der täglichen Impulse wieder aufnehmen. Wenn Sie die Impulse als E-Mail-Newsletter empfangen möchten, nutzen Sie bitte den Anmeldelink rechts auf dieser Seite.

Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird. (aus der Apostelgeschichte 2,37-41)

Im antiken Pantheon in Rom, das heute eine Kirche ist, gibt es an Pfingsten einen schönen Brauch. Um das Ausgießen des Heiligen Geistes darzustellen, werden am Ende des Pfingstgottesdienstes durch die Öffnung der Dachkuppel Rosenblätter in die Kirche gestreut, die dann in einem duftenden Blütenregen zu Boden fallen.
Ein ganz ähnliches Bild gibt es in dem Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von Marc Rothemund aus dem Jahr 2005. Im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität in München lassen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ Flugblätter zu Boden regnen. Es ist nur eine Filmszene, aber sie ist tatsächlich so ähnlich in Wirklichkeit passiert. Nach dieser Aktion wurde die Gruppe durch die Nationalsozialisten zerschlagen, ihre Mitglieder festgenommen, verurteilt und ermordet. Wenn man heutzutage im Lichthof der Universität steht, kann man sich gut vorstellen, wie das damals alles geschah. Der Ort ist äußerlich unverändert.

Es ist schon seltsam: Damals, im Februar 1943 schien alles so, als ob es vorbei wäre. Die Mühen und Hoffnungen der Gruppe gescheitert, zerstört. Kein guter Anfang, so scheint es.
Und doch ist die Saat, die Saat der Flugblätter, aufgegangen, und als die Blätter am Boden angekommen waren, hatten sie die Welt verändert.
Steht man im Lichthof, erlebt man um sich herum junge freie Menschen, die von ihrem Morgen träumen. Der Traum der Weißen Rose vom Wintertag 1943 ist zu ihrer Wirklichkeit geworden.
Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche, der Gemeinschaft. Es ist aber auch der Moment, in dem die Verheißung ausgesät wurde. Eine Verheißung, die wir säen sollten und die wir wachsen lassen können, deren Früchte aber für das Morgen bestimmt sein werden.

Br. Balthasar Hartmann OSB

Der Film „Babel“ des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu aus dem Jahr 2006 zeigt auf eindrückliche Weise, dass alles mit allem verbunden ist. Drei zunächst zusammenhanglos erscheinende Episoden in verschiedenen Regionen der Erde hängen doch miteinander zusammen. Ein Gewehrschuss in der Wüste von Marokko löst eine internationale Krise aus und verbindet das Schicksal von Menschen dort, in Japan und an der mexikanisch-amerikanischen Grenze.
Der Filmtitel „Babel“ erinnert an die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel, Symbol für den Größenwahn des Menschen, der dann letztlich in Sprachverwirrung und das Nicht-Verstehen mündet. Und auch im Film ist es oft das Nichtverstehen, das Aneinander-Vorbeireden, die körperliche und seelische Gewalt, die Verwirrung schafft. Erst am Ende des Films gibt es ein zartes Pflänzchen der Hoffnung, dass Kommunikation gelingen kann.

Pfingsten ist der biblische Gegenentwurf zu Babel. Hier ist die Vielfalt nicht verwirrend und führt in die Isolation, sondern Menschen verschiedener Kulturen beginnen einander zu verstehen, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Nicht menschengemacht und damit heillos überfordernd, wie es die Geschichte von Babel zeigt, sondern Geschenk des „Ruach“-Geistes, des „Atems“ Gottes, der Menschen befreit aufatmen lässt. So nennt der Journalist Heribert Prantl in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung die Pfingstgeschichte „eine Anti-Geschichte gegen das Virus, das den Kranken und der Gesellschaft den Atem nimmt.“ Eine Geschichte, die von „göttlicher Beatmung“ erzählt.

„Pfingsten ist die Vision, dass gegenseitiges Verstehen trotz dieser Vielfalt möglich ist.“ Das Ende des Films „Babel“ zeigt diese Vision in einer sehr zarten, leicht zerbrechlichen Form. Pfingstliche Aufbrüche sind nicht unbedingt laut, sondern kommen oft eher leise daher. Der Gottesgeist offenbart sich nicht immer in den kräftigen Bildern des aufrüttelnden Sturmes und der Feuerzungen, sondern manchmal im sanften, leisen Säuseln, das der Prophet Elija am Gottesberg erspürt, in der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie es Martin Buber großartig übersetzt. Mögen wir diese leisen Hoffnungszeichen in unserer schnellen Welt nicht übersehen!