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von P. Maurus Runge OSB

Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.

Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.

Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.

Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.

Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja  keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!

Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.

Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.

In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:

„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen.
Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“

Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.

Impulse aus der Abtei

Schon seit mehreren Jahren bieten wir in den geprägten Zeiten von Advent und Fastenzeit spirituelle Impulse an, die ein Team von Brüdern schreibt und die dann als Newsletter verschickt und auf unserer Website veröffentlicht werden. Derzeit haben wir einen festen Abonnentenstamm von ca. 300 Personen, die unsere Impulse regelmäßig beziehen. Aus vielen Rückmeldungen erfahren wir immer wieder, dass viele sich auf die Impulse freuen und besonders die Vielfalt der Autoren und verschiedenen Zugänge schätzen. Die Tagesimpulse beziehen sich in der Regel auf ein Wort aus der jeweiligen Liturgie vom Tag, die gerade im Advent einen ungeheuren Schatz an Weisheit und spiritueller Dichte beinhaltet.

Besonders in der Zeit der Corona-Pandemie, als es den Menschen nicht möglich war, auf dem Klosterberg zu Gast zu sein und an unserer Liturgie teilzunehmen, haben viele es geschätzt, über die virtuellen Kanäle mit uns verbunden zu bleiben. Besonders durch den Audiolivestream unseres Stundengebetes blieben viele unserer Freundinnen und Freunde weiterhin mit uns vernetzt, aber auch durch Predigten und Impulse erhielten viele wichtige Seelennahrung – „Soul Food“. Und da gerade die Social Media auf Wechselseitigkeit angelegt sind, konnten nicht wenige uns ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Emotionen etc. zu einem bestimmten Impuls mitteilen. Für diese Rückmeldungen sind wir dankbar, und sie fließen in die kontinuierliche Fortentwicklung der Impulse ein.

Auch in der kommenden Advents- und Weihnachtszeit – beginnend mit dem Ersten Adventssonntag und endend mit dem Fest der Taufe des Herrn am 10. Januar 2021 –   möchten wir Ihnen diese tägliche Seelennahrung aus der Abtei anbieten. An jedem Tag versenden wir Ihnen morgens um 6.30 Uhr – also dann, wenn die Mönche mit dem Morgengebet den Tag beginnen – einen Impuls-Newsletter, in dem Sie wieder in aller Vielfalt ein Wort zum Tag, eine kurze Betrachtung über ein Wort aus der Tagesliturgie, ein Gedicht, kurzum: einen Licht-Blick für schwierige Zeiten finden, um damit durch den Tag zu gehen. Dabei verhält es sich mit den Impulsen so, wie es generell mit Zeiten der Exerzitien sein sollte: die Impulse wollen nichts anderes als Denk-Anstöße, Einladungen, Angebote sein; nicht jeder wird mit jedem Impuls gleich viel anfangen können. Deshalb gilt auch hier die Maxime: Bleiben Sie bei dem, was Sie anspricht! Vielleicht sind Sie mit dem Gedanken vom Vortag noch nicht fertig – dann nehmen Sie diesen ruhig weiterhin mit in Ihren Alltag!

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Der Film „Babel“ des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu aus dem Jahr 2006 zeigt auf eindrückliche Weise, dass alles mit allem verbunden ist. Drei zunächst zusammenhanglos erscheinende Episoden in verschiedenen Regionen der Erde hängen doch miteinander zusammen. Ein Gewehrschuss in der Wüste von Marokko löst eine internationale Krise aus und verbindet das Schicksal von Menschen dort, in Japan und an der mexikanisch-amerikanischen Grenze.
Der Filmtitel „Babel“ erinnert an die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel, Symbol für den Größenwahn des Menschen, der dann letztlich in Sprachverwirrung und das Nicht-Verstehen mündet. Und auch im Film ist es oft das Nichtverstehen, das Aneinander-Vorbeireden, die körperliche und seelische Gewalt, die Verwirrung schafft. Erst am Ende des Films gibt es ein zartes Pflänzchen der Hoffnung, dass Kommunikation gelingen kann.

Pfingsten ist der biblische Gegenentwurf zu Babel. Hier ist die Vielfalt nicht verwirrend und führt in die Isolation, sondern Menschen verschiedener Kulturen beginnen einander zu verstehen, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Nicht menschengemacht und damit heillos überfordernd, wie es die Geschichte von Babel zeigt, sondern Geschenk des „Ruach“-Geistes, des „Atems“ Gottes, der Menschen befreit aufatmen lässt. So nennt der Journalist Heribert Prantl in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung die Pfingstgeschichte „eine Anti-Geschichte gegen das Virus, das den Kranken und der Gesellschaft den Atem nimmt.“ Eine Geschichte, die von „göttlicher Beatmung“ erzählt.

„Pfingsten ist die Vision, dass gegenseitiges Verstehen trotz dieser Vielfalt möglich ist.“ Das Ende des Films „Babel“ zeigt diese Vision in einer sehr zarten, leicht zerbrechlichen Form. Pfingstliche Aufbrüche sind nicht unbedingt laut, sondern kommen oft eher leise daher. Der Gottesgeist offenbart sich nicht immer in den kräftigen Bildern des aufrüttelnden Sturmes und der Feuerzungen, sondern manchmal im sanften, leisen Säuseln, das der Prophet Elija am Gottesberg erspürt, in der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie es Martin Buber großartig übersetzt. Mögen wir diese leisen Hoffnungszeichen in unserer schnellen Welt nicht übersehen!

Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. (Apg 1,14)

Am heutigen Siebten Ostersonntag, der liturgisch zwischen Christi Himmelfahrt und der Geistsendung an Pfingsten, also in einer Zwischen-Zeit liegt, finden wir uns wieder im Obergemach in Jerusalem gemeinsam mit den Aposteln, mit Maria, der Mutter Jesu, und weiteren Frauen und mit Jesu Brüdern. Es ist dasselbe Obergemach, in dem Jesus mit seinen Freunden am Abend vor seinem Tod das Abschiedsmahl hielt. Und es ist dasselbe Obergemach, in dem sich die Apostel nach Jesu Tod eingeschlossen haben, voller Angst und Zweifel, was nun nach dem Tod ihres Meisters werden soll. So ist das Obergemach ein Ort durchlebter Emotionen.

Jetzt ist die Stimmung anders: „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet.“ Der von Emotionen gefüllte Raum wird zum durchbeteten Raum, zum Raum, in dem die junge Kirche ihre Sehnsucht und Erwartung im Gebet vor Gott bringt. Es ist der Raum, in dem sich die Apostel vorbereiten auf ihre Mission, die an Pfingsten, am jüdischen Wochenfest, zum Durchbruch kommt.

Wo ist mein Obergemach? In welcher Stimmung bin ich dort? Ist es Raum des Abschieds, der Erinnerung an das, was einmal gewesen ist? Raum der Angst und Verzweiflung, in den ich mich einschließe und niemanden hereinlasse? Oder doch Raum des Gebetes, in dem meine Sehnsucht gut aufgehoben ist im doppelten Sinn des Wortes?

P. Maurus Runge OSB

 

Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt. (1 Petr 3,15)

In einem katholischen Podcast, in dem mehrmals in der Woche ganz unterschiedliche Menschen über ihr Leben in und ihren Umgang mit der Corona-Pandemie interviewt werden, wird jedem Gast am Ende dieselbe Frage gestellt: „Was gibt Ihnen Hoffnung in dieser Zeit?“ Am Ende eines Gespräches, in dem es vor allem um Schwierigkeiten und Probleme geht, mit denen die befragten Menschen zu tun haben – und derer gibt es viele – wird der Horizont geweitet auf Zukunft hin, auf das, was den Menschen mitten in der Krise Hoffnung macht. Nicht umsonst heißt der Podcast „Himmelklar“ – er sieht in großer Klarheit die Situation der Menschen in der Krise, richtet den Blick aber weiter, gen Himmel, auf das, was uns übersteigt und am Leben hält (er ist übrigens sehr hörenswert; den Link finden Sie im Text).

In den Worten des Ersten Petrusbriefs, die der heutigen Lesung entnommen sind, steht ebenfalls die Aufforderung, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Hoffnung ist die Tugend der Zukunft. Sie eröffnet neue Räume über die oft triste Gegenwart hinaus und zeigt uns, was alles an Möglichkeiten, die Wirklichkeit werden wollen, in der Luft liegt. Und genau deswegen ist sie auch keine bloße Vertröstung, wie es ihr immer wieder vorgeworfen wird. Denn Hoffnung kann das Potential wecken, das in mir zum Besseren angelegt ist. Sie kann aus Möglichkeit Wirklichkeit machen – und setzt ihr Heil dennoch nicht auf den Menschen allein – das würde uns hoffnungslos überfordern – sondern weiß sich rückgebunden an einen, der all unsere verloren geglaubten Hoffnungen einmal erfüllen wird – auch die Hoffnungen der Zu-Kurz-Gekommenen, der sog. Opfer der Geschichte.

Was gibt ihnen Hoffnung in dieser Zeit? Ich lade Sie ein, einmal über diese Frage nachzudenken und für sich zu beantworten. Das kann die Perspektive auf diese Zeit vielleicht schon verändern.

P. Maurus Runge OSB

Bild: Gianni Crestani auf Pixabay

Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! (Joh 14,1)

In diesen Tagen ist es nicht unbedingt einfach, diesem Rat Jesu am Anfang des heutigen Evangeliums zu folgen. Denn wer ist gerade nicht verwirrt bei den vielen oft widersprüchlichen Meldungen und Meinungen, bei unterschiedlichen Herangehensweisen an die Krise, bei so vielen Fake News und Verschwörungstheorien, vor denen selbst hochrangige Kardinäle der Kirche nicht gefeit sind?
Wer sollte nicht das Vertrauen verlieren, wenn Menschen in der näheren Umgebung krank werden, im schlimmsten Fall sogar sterben?
Wer sollte sich nicht sorgen um die Gesundheit, um die wirtschaftliche Existenz, um liebe Freunde und Bekannte?

Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Jesu Wort klingt wie eine Beruhigungspille, eine billige Vertröstung, welche die Realität nicht wahrhaben will.

Aber dieses Wort ist ganz und gar nicht realitätsfremd. Es ist Teil der sog. Abschiedsreden Jesu – gesprochen im Schatten des Kreuzes, am Vorabend von Jesu Passion. Jesus hat die Realität klar gesehen. Er hat gespürt, dass es mit ihm zu Ende geht, und er hat die Angst und Sorge seiner Jünger vorausgesehen. Und so spricht er ihnen Worte der Stärkung und Ermutigung zu. Worte des Trostes, die auch in schweren Zeiten tragen sollen. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Habt Vertrauen, dass es einen gibt, der alle Unsicherheiten überdauert, der in allen Stürmen des Lebens Halt gibt. Ja, das mag manchmal wie eine Beruhigungspille  wirken. Aber auch eine Beruhigungspille kann für den Moment helfen, Schmerz lindern, das Herz ruhig machen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder Orte finden, an denen Sie Ihr Herz festmachen können, wo Sie den Anker werfen und neuen Mut schöpfen können.

P. Maurus Runge OSB

Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. (Joh 10,4)

Der Vierte Ostersonntag wird auch als „Guter-Hirte-Sonntag“ bezeichnet; denn im Evangelium wird das Verhältnis der Jünger zu Jesus mit dem Bild vom Hirten und seiner Herde von Schafen beschrieben. Die Schafe kennen ihren Hirten, sie hören seine Stimme und folgen ihm – im Gegensatz zu einem Fremden, der sich irgendwie Zutritt zur Herde verschaffen will.

Das Bild vom Schafen und seinem Hirten ist uns heute suspekt, wenn es auf den Priester, den „Pastor“, also den Hirten seiner Schäfchen übertragen wird. Da kann etwas von Unmündigkeit und Willenlosigkeit mitklingen, von Schafen, die ohne eigenen Willen gehorsam ihrem Hirten folgen. Dabei sind wir doch in Taufe und Firmung zu mündigen Christen geworden, mit einer unzerstörbaren Würde ausgestattet, gesandt zu einer je unverwechselbaren Aufgabe.

Gerade in der Diskussion um öffentliche Gottesdienste in diesen Tagen, die oft auf öffentliche Eucharistiefeiern reduziert wird, erlebe ich, wie solch ein antiquiertes und der Realität nicht entsprechendes Bild fröhliche Urständ feiert. Da geben die „Hirten“ Richtlinien vor, sprechen von einer „Versorgung“ ihrer Herde. Und es wird vergessen, dass Schafe alles andere als willenlose und unmündige Geschöpfe sind, dass sie durch Taufe und Firmung geistbegabt sind und dass es somit durchaus andere Formen als die pure „Versorgung“ mit Gottesdiensten gibt. Vielleicht lädt uns diese Zeit gerade dazu ein, kreativ zu werden, die eigenen Möglichkeiten zu entdecken, aus einer reinen Versorgungsmentalität rauszukommen hin zu einer echten Kirche der Beteiligung. Dann können wir einander vom „Leben in Fülle“ weitergeben, zu dem Jesus uns alle, Schafe wie Hirten, berufen hat.

P. Maurus Runge OSB

Jauchzt vor Gott, alle Menschen der Erde! Spielt zum Ruhm seines Namens! Verherrlicht ihn mit Lobpreis! Halleluja. (Ps 66,1-2)

Diese Verse aus dem 66. Psalm singen wir als Introitus, als Eröffnungsgesang der Eucharistiefeier am heutigen 3. Ostersonntag. Sie bringen den Jubel von Ostern, das österliche Halleluja, in Wort und Ton. Die ganze Welt soll sich freuen und den Herrn lobpreisen, vor ihm jauchzen wegen des Unglaublichen, das geschehen ist. Gott hat Jesus nicht im Tod gelassen, sondern ihn auferweckt. „Der Tod ist tot, das Leben lebt“, wie es in einem Osterlied heißt.

Die Erfahrung in unserer Welt ist in dieser Zeit eine ganz andere. Nicht das Leben scheint über den Tod zu triumphieren, sondern der Tod über das Leben. Nicht nur, dass viele Menschen an den Folgen von Covid-19 sterben, nein, auch viel von dem, was wir mit Leben verbinden – Freunde zu besuchen, ins Theater oder Kino zu gehen, Sport zu treiben – ist kaum möglich oder nur mit großen Einschränkungen. Wie können wir da dem Aufruf zum Osterjubel nachkommen?

Vielleicht lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn nicht überall triumphiert der Tod über das Leben. Vor einigen Tagen habe ich die Nachricht gelesen, dass eine über 100jährige an Covid-19 erkrankte Frau wieder genesen ist. Aber auch über die Krankheit hinaus gibt es viele Zeichen der Hoffnung: neue Formen von Solidarität und Menschlichkeit, fremde Menschen, die auf der Straße – natürlich unter Wahrung des Abstandes – einander grüßen oder ein Lächeln schenken.

Ja, es mag oft ein trotziger Osterjubel sein, der sich trotz aller widrigen Umstände Bahn bricht. Aber er lässt sich nicht verdrängen. Das Leben lebt – und es will weiter leben. Halleluja!

P. Maurus Runge OSB

Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! (Joh 20,27)

Jesus lädt Thomas ein, seine Wunden zu berühren. Er lädt den ein, der an das Unglaubliche nicht glauben kann, weil es jeder menschlichen Erfahrung widerspricht, ihn zu berühren. Jesus lässt sich berühren.

In Coronazeiten bekommt dieses Evangelium der Begegnung des Auferstandenen mit dem Apostel Thomas eine ganz neue Sinnspitze. Undenkbar, dass in diesen Tagen jemand einen Mitmenschen dazu einlädt, ihn zu berühren. In Zeiten des Social Distancing ist körperliche Berührung gefährlich geworden, weil sie den Mindestabstand nicht einhält und die Gefahr einer Infektion vergrößert. „Distanz ist die neue Form von Zuneigung“, so hat es unsere Bundeskanzlerin am Beginn der Pandemie formuliert. Und sie hat zweifelsohne recht. Menschen, die mir etwas bedeuten und die ich schützen will, zu denen sollte ich in diesen Tagen auf Abstand gehen – so paradox das auch klingt und so schmerzhaft das sein mag. Zum Glück gibt es noch andere Wege der Berührung.

So spricht die Einladung Jesu an Thomas, seine Wunden zu berühren, vielleicht eine zutiefst menschliche Sehnsucht in uns an: die Sehnsucht nach Berührung, die Sehnsucht, umarmt zu werden und einem lieben Menschen auch körperlich nahe zu sein. Und vielleicht tröstet es uns, dass im Fortgang des Evangeliums von einer Berührung Jesu durch Thomas nicht die Rede ist, dass Thomas sein Glaubensbekenntnis – „Mein Herr und mein Gott“ – spricht, auch ohne Jesus körperlich zu berühren.

Es ist das Wesen menschlicher Sehnsucht, dass sie hier auf Erden unerfüllt bleibt. Und wenn sie – ansatzweise – Erfüllung findet, dann oft nur, um wieder neu, größer, anders aufzubrechen. Der Mensch ist das Wesen der Sehnsucht. „Alles beginnt mit der Sehnsucht“, schreibt die Dichterin Nelly Sachs. Vielleicht kann uns gerade das Unerfüllbare menschlicher Sehnsucht dazu antreiben, kreativ zu werden, Wege zu finden, die Distanz zwischen uns zu überwinden, Menschen nahe zu sein, auch wenn körperliche Nähe gerade nicht geboten ist. So ist das Evangelium gerade in unsere Zeit hinein geschrieben, für uns Jüngerinnen und Jünger „zweiter Hand“, die Jesus nicht mehr physisch berühren können, aber dennoch in seine Nähe eingeladen sind, damit auch wir einmal mit Thomas sagen können: „Mein Herr und mein Gott!“

P. Maurus Runge OSB

Es folgten aber die Frauen nach, die mit ihm gekommen waren aus Galiläa, und sahen das Grab und wie sein Leib hineingelegt wurde. Sie kehrten aber um und bereiteten wohlriechende Öle und Salben. Und den Sabbat über ruhten sie nach dem Gesetz. (Lk 23,55.56)

Der Karsamstag ist ein stiller Tag, ohne liturgische Feier. So steht es in den liturgischen Hinweisen für die Kartage. Ich selbst habe die Stille dieses Tages immer sehr intensiv, aber auch als sehr bedrückend empfunden. Voller Gespanntheit und Vorfreude wartete ich auf die Nacht zum Ostersonntag, wenn das Glockengeläut zum Gloria diese Karsamstagsstille endlich durchbrach und das Evangelium von Jesu Auferstehung am Ostermorgen wie die ersten zarten Lichtstrahlen des Sonnenaufgangs nach einer langen und dunklen, einsam durchwachten Nacht die Seele erhellten.

In diesem Jahr ist alles anders. Denn ich habe das Gefühl, dass der Karsamstag in diesem Jahr unendlich viel länger dauert. Ich sehe die Bilder der Särge in den italienischen Kirchen, die Bilder der leeren Städte, Plätze und Kirchen. Karsamstagsstille… und das schon seit Wochen. Und ein Ende ist noch nicht absehbar. Wie mag es wohl den Frauen aus Galiläa damals gegangen sein? Das Bereiten der Salben und Öle für die Salbung des Leichnams ist ein letzter Dienst am Verstorbenen. Ausdruck eines liebevollen Abschiednehmens und Zeichen der unverlierbaren Würde des Menschen, selbst wenn er wie ein Verbrecher am Kreuz hingerichtet wurde. Und wieder kommen mir die Bilder aus Italien in den Sinn… Die Militärfahrzeuge, die die Särge der Corona-Toten nachts zu den Krematorien fahren. Für viele Menschen ist ein liebevoller Abschied ihrer verstorbenen Eltern, Großeltern oder Kinder gar nicht mehr möglich gewesen. Ich erlebe diese ganze Zeit der Corona-Pandemie als einen einzigen Karsamstag. Aber mit der Angespanntheit und auch der Hoffnung, dass irgendwann alle Kirchenglocken diese Karsamstagsstille durchbrechen, die Menschen sich irgendwann wieder in die Arme nehmen können und das Evangelium von der Auferstehung der Toten hineingesungen wird in die Ängstlichkeit dieser Tage. Und dass, wie es gerade in dieser Zeit des Frühlings spürbar wird, die österliche Sonne der Hoffnung das Dunkel einer langen, durchwachten Nacht vertreibt.

Br. Vincent Grunwald OSB