von P. Maurus Runge OSB
Eine kaiserliche Botschaft
Vom berühmten Schriftsteller Franz Kafka, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt, ist eine kurze Geschichte überliefert, weniger als eine halbe Seite lang, die von einem Kaiser erzählt, der auf dem Sterbebett einem Boten eine wichtige Botschaft anvertraut – „eine kaiserliche Botschaft“. „So sehr war ihm an ihr gelegen, dass er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ“. Und der Bote macht sich auch gleich voller Elan auf den Weg, aber dann – typisch Kafka – wird es unheimlich und dunkel; die Literaturwissenschaft hat für diesen Stil ein eigenes Wort erfunden: „kafkaesk“. Der Bote kommt nicht so recht vorwärts, zu viele Menschen stehen ihm im Weg, zu viele Häuser, „wie nutzlos müht er sich ab“, und es scheint, als könnte er den riesigen Palast niemals durchqueren. Und selbst wenn er aus dem Palast herauskäme, und gleich heißt es wieder einschränkend: „aber niemals, niemals kann es geschehen“, so lautet das Fazit der kurzen Erzählung: „Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“
„Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten.“ Ist das nicht eine treffende Beschreibung dessen, wie es uns heute in der Kirche oft zu ergehen scheint? Auch uns ist ja eine wahrhaft kaiserliche Botschaft anvertraut, eine Botschaft des Lebens, wie sie der ersten Zeugin Maria von Magdala anvertraut wurde. Aber oft scheint es doch eher so zu sein, dass wir eher mit der Botschaft eines Toten unterwegs sind, sei es, dass für die, die sie hören, diese Botschaft nichts mit ihrem Leben zu tun hat, sei es, dass die, die diese Botschaft überbringen sollen, unglaubwürdig geworden sind, weil sie sich in Streitigkeiten über den Inhalt dieser Botschaft verlieren oder darüber, wer würdig ist, diese Botschaft zu hören. Die Boten – wir – dringen mit unserer Botschaft nicht mehr durch zu den Menschen, weil der Palast so hoch und unüberwindlich geworden ist, dass er den Weg versperrt. Oder wir stolpern über unsere feinen Gewänder und stehen uns letztlich selbst im Weg. Oder wir versuchen, den festzuhalten, den wir verkünden wollen, und stutzen ihn so auf unser Maß zurecht. Ist also diese ganze Sache mit Ostern nur ein Traum, ein subjektives Hirngespinst derer, die Zeit genug haben, am Fenster zu sitzen und vor sich hinzuträumen?
„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ Ich lese diesen letzten Satz aus Kafkas Erzählung gar nicht so negativ. Für mich atmet dieser Satz tatsächlich etwas von der leisen, zarten, österlichen Hoffnung, die Menschen immer wieder hinausgetrieben hat, sie anderen Menschen weiterzusagen. Denn was gibt uns eigentlich das Recht, so abfällig über Träume zu reden? Sind Träume wirklich nur sprichwörtliche Schäume, sind sie nur Hirngespinste, die in unserer hochrationalen Welt nichts zu suchen haben? Wer so denkt, für den ist Religion tatsächlich nur Opium für Menschen, die mit dieser harten Realität nicht zurechtkommen. Wer so denkt, der denkt allerdings auch sehr europäisch, andere würden sagen: kolonialistisch, weil er mit einem Handstreich das hinwegfegt, was für den größten Teil der Menschheit durchaus eine Erkenntnisquelle sein kann: Träume, Visionen, Phantasie. Wer so denkt, der denkt auch sehr unbiblisch, denn in der Bibel sind es oft Menschen, die träumen, die auf einmal die Kreativität zu ganz anderen Lösungen entdecken, ja, die manches Mal auch Lösungen träumen. Es heißt dann lapidar, dass ein Engel zu ihnen im Traum spreche. Und die sich dann auf den Weg machen, ihre Träume in die Tat umzusetzen. Maria Magdalena bleibt nicht weinend am Grab stehen, sondern sie macht sich auf den Weg, wird zur ersten Predigerin der Auferstehung und verändert so die Wirklichkeit.
„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ Und dann kann es vielleicht passieren, dass ich in diesem Traum auf einmal die Mauern meines Palastes, der oft mehr ein Gefängnis als ein Palast ist, überwinde. Und ich werde entdecken, was für unendliche Möglichkeiten diese kaiserliche Botschaft beinhaltet, die mir anvertraut ist, mir schwachen Menschen voller Tränen und Selbstzweifel – und doch angesprochen und beim Namen gerufen. Und ich werde diese frei machende Botschaft allen Menschen weitersagen müssen, ohne Angst vor dem, was „man“ tut oder besser unterlässt. Wie gut, dass es Menschen gibt, die am Fenster sitzen und träumen. Wie gut, dass es Menschen gibt, die den Mut zu träumen nicht aufgegeben haben – und die darüber die Kraft zu kämpfen gewonnen haben – für eine bessere Welt, eine bessere Kirche, eine bessere Gesellschaft.
Mögen wir die kaiserliche Botschaft des Lebens, die uns anvertraut ist, in uns hineinträumen, und mögen wir den Mut finden, diesen Traum vom Leben, das keinen Tod mehr kennt, mit unseren Mitmenschen zu teilen. AMEN.