Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von P. Erasmus Kulke OSB

„Freiheit, Freiheit – ist die einzige, die fehlt“. So, liebe Schwestern und Brüder, heißt es in einer bekannten Rockballade von Marius Müller-Westernhagen, die zu einer Art Hymne der Befreiung von der DDR-Diktatur und der deutschen Wiedervereinigung wurde. Freiheit, Freiheit ist ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen, eine tiefe Sehnsucht in jedem von uns. Frei zu sein von inneren und äußeren Zwängen, frei zu sein von Sorgen und Ängsten, frei zu sein, das zu tun, was man will und was einem wichtig ist, frei zu sein, sich selbst zu verwirklichen, seinen eigenen Weg zu gehen und Glück, Erfüllung, Sinn und Frieden zu finden. Und es schmerzt uns oder wird gar unerträglich, wenn sie fehlt, die Freiheit.

Und sie fehlt uns in diesen Tagen und Wochen der Corona-Krise ganz deutlich. Wir sind zurzeit stark eingeschränkt.
Vieles ist gerade nicht möglich, nicht erlaubt. Durch staatliche Anordnungen verboten. Die sind zwar sinnvoll und
notwendig, aber trotzdem macht es uns das Leben mitunter schwer. Wir müssen Distanz zueinander wahren, auch wenn wir gerade jetzt das Bedürfnis nach Nähe verspüren. Und viele von uns sind in diesen Tagen sicher auch nicht frei von Sorgen und Ängsten.

Doch wie frei waren wir eigentlich vor Corona? Wie frei waren und sind wir in einer Welt, in der Werbung und Medien uns subtil manipulieren und einflüstern, was wir alles brauchen, um glücklich zu sein, um „jemand“ zu sein? Wie frei sind wir in einer Welt, in der die Wirtschaft in hohem und zunehmenden Maße die Politik und Gesetzgebung bestimmt, in der es immer mehr nur um Gewinnmaximierung geht und der einzelne Mensch zum Mittel zum Zweck degradiert wird, in der die Kluft zwischen reich und arm immer größer wird, in der die soziale Marktwirtschaft immer mehr zu einem unmenschlichen und gnadenlosen Kapitalismus verkommt. Wie frei sind wir in einer Welt, in der unsere Demokratien, die doch für unsere Freiheit sorgen, immer stärker gefährdet sind, weil rechtspopulistische Ideen und Gruppen immer mehr Gehör und Anhänger finden und unsere Gesellschaften immer stärker gespalten und zerrissen sind, in der ein friedliches Zusammenleben und geteilter Wohlstand bedroht werden,
weil es vielen Nationen anscheinend nur noch um die eigenen Interessen geht und aus dem Blick gerät, dass wir Menschen alle Teil ein weltweiten Schicksalsgemeinschaft sind, Schwestern und Brüder.

Vieles wird uns jetzt in dieser Krise deutlich und erfährt eine erste Korrektur. Wir besinnen uns wieder darauf, was wirklich wichtig ist im Leben. Solidarität, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe nehmen wieder spürbar zu. Sind das nicht schon erste Schritte auf dem Weg zu mehr Freiheit? Und es gibt Stimmen, die sagen, die Krise muss noch ein wenig länger dauern, damit wir wirklich dauerhaft daraus lernen und unsere Welt sich dadurch nachhaltig zum Positiven verändert, auch wenn das für manche zynisch klingen mag. Doch warum rede ich die ganze Zeit von Freiheit? Weil mir dieses Thema aus den heutigen Lesungen sehr deutlich entgegenkommt. Und weil sie uns viel Ermutigendes dazu zu sagen haben.

Da ist das Volk Israel, das in Ägypten unterdrückt wird und versklavt ist. Doch Gott lässt sein Volk nicht im Stich. Er
offenbart sich dem Mose als der Ich bin da, der das Elend seines Volkes sieht und sein Leid kennt, der die Initiative
ergreift, um an der Seite der Israeliten gegen ihre Unterdrücker zu kämpfen und sie aus der Knechtschaft in die Freiheit zu führen. Direkt vor dem Aufbruch in die Freiheit stärkt sich das Volk nach göttlicher Anordnung mit einem gemeinsamen besonderen Mahl, dem Pessach- oder Paschamahl. Wir haben davon in der Lesung gehört. Das Pessachmahl ist also ein Mahl der Befreiung, in dem der Glaube, dass Gott all denen nahe ist, die in Unfreiheit leben und die leiden, lebendig wird.

Heute gedenken wir insbesondere des letzten Abendmahls, das Jesus mit seinen Jüngern gehalten hat. Hier hat Jesus, der Immanuel, der Gott mit uns, diesem Pessachmahl eine neue Bedeutung verliehen, indem er es mit seiner eigenen Lebenshingabe verbunden und uns als wertvolle Erinnerung daran hinterlassen hat. So erinnert uns dieses Mahl daran, wie unermesslich die Liebe Gottes ist, mit der er uns liebt, bedingungslos. Eine Liebe, die bis zum letzten geht, in der sich Gott in Jesus selbst ganz und gar hingibt. Es ist, wie das Exsultet in der Osternacht besingen wird, die „unbegreifliche Liebe des Vaters, die den Sohn dahingibt, um den Knecht zu erlösen“. Ja, Gott hat das Elend der Menschen, unser Elend gesehen. Wir sind verstrickt und gefangen in den Strukturen des Bösen, der Sünde. Wir leiden darunter und haben selbst Anteil daran. Eine Sünde verursacht die nächste. Eine Aktion zieht die nächste Re-aktion nach sich. Ein Teufelskreis. Durch seinen Tod am Kreuz, durch sein Opfer, hat Jesus uns daraus befreit. Er hat die Macht der Sünde für uns durchbrochen, indem er auf die Gewalt nicht mit Gegengewalt geantwortet hat, sondern sie aus Liebe scheinbar ohnmächtig erlitten hat.

Und wenn ich Gott seine maßlose Liebe zu mir glaube, und erkenne, was er am Kreuz für mich getan hat, – und das bringen wir in jeder Eucharistiefeier zum Ausdruck – dann wird mich das innerlich frei machen. Frei von Angst und Sorge, weil ich dann keine Angst mehr um mich selbst, mein kleines, oft so schnell gekränktes und eitles Ego haben muss. Denn dann weiß ich mich ja vollkommen umfangen und getragen von der Liebe Gottes, die alles Verstehen übersteigt. Dann stehe ich auch nicht mehr unter dem Zwang, mich selbst verwirklichen zu müssen, womöglich auf Kosten anderer, sondern dann wird es mir ein inneres Bedürfnis sein, auf diese Liebe mit meiner Liebe zu antworten, mich selbst in Liebe an Gott und die Menschen hinzugeben. Und gerade darin, indem ich mich selbst loslasse und hingebe, werde ich mich selbst finden, mich selbst verwirklichen, weil Gott uns als sein Ebenbild so angelegt hat, als Mitliebende, weil es unserer tiefsten Wahrheit entspricht. Und ich werde dabei Jesus ganz nahe sein, weil ich ihm dann nacheifere, in seinen Spuren gehe.

Er lebte ganz aus dieser Liebe Gottes. Er wusste sich in dieser Liebe ganz geborgen. Im Evangelium heißt es, dass Jesus „wusste, dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte.“ Und deswegen war er innerlich ganz frei und konnte alles loslassen. Deswegen konnte er zum Sklaven werden, indem er, der Meister und Herr, seinen Jüngern die Füße wusch. Und deswegen konnte er zuletzt auch sein Leben loslassen. Das Mahl der Liebe, das Jesus uns hinterlassen und in dem er seinen Tod vorweggenommen hat, und das Beispiel seines Dienstes an uns im Zeichen der Fußwaschung, will uns frei machen. Frei von allen inneren Zwängen, von aller Angst und Sorge, ja, selbst von der Angst vor dem Tod, und frei zum Dienen, frei mich selbst loszulassen. Wenn wir also ernsthaft glauben, was wir heute und in diesen Tagen feiern, oder zumindest es immer mehr glauben, dann wird es uns, dann
wird es die Welt verändern. Der heutige Tag und auch die nächsten Tage wollen uns in diesem Glauben stärken. Öffnen wir uns für diese Botschaft! Öffnen wir dafür nicht nur unseren Verstand, sondern auch unsere Herzen, damit dieser Glaube uns wirklich ganz durchdringen und erfüllen kann!

Und so möchte ich Ihnen am Schluss meiner Predigt die letzten Zeilen des Liedes „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen mitgeben, die lauten: „Alle die von Freiheit träumen, sollen’s Feiern nicht versäumen, sollen tanzen auch auf Gräbern, Freiheit …“

Ja, Feiern und Tanzen, heute, am Gründonnerstag noch verhalten und Ostern dann aus ganzem, aus freiem Herzen!

Lazare, veni foras!

von P. Marian Reke OSB

An den Sonntagen der österlichen Bußzeit kommen in der Eucharistiefeier im Lesejahr A Passagen aus dem Johannesevangelium zum Vortrag. Dieses Evangelium wird auch das mystische genannt, ein Evangelium, das in Gänze sozusagen vom Glanz der Göttlichkeit Christi erstrahlt. Es spielte schon immer in der Liturgie der Fasten- und Passionszeit eine gewichtige Rolle. Die Reihe der teils ungewohnt langen und zugleich faszinierenden Perikopen richtete sich zuerst an die Katechumenen, an Frauen und Männer also, die auf ihre christliche Initiation in der Feier der Osternacht zugingen. Sie richtete sich auch an Christen, die mit einer schweren Schuld beladen als Poenitenten auf dem Weg der Wiederversöhnung waren. Ebenso richteten und richten sich diese Passagen des Johannesevangeliums an uns alle, denn unser Glaube kann nur als immerwährender Anfängergeist und im Geist steter Versöhnung lebendig bleiben.

Am dritten Fastensonntag hörten wir von der Verheißung lebendigen Wassers, die Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen offenbart. Wir alle sind mit dieser Frau aus Samarien gemeint. Jedem von uns will sich das doppelte Geheimnis des Durstes erschließen – des Durstes Christi, den es sozusagen nach dem Durst unserer Seelen dürstet, nach der tiefsten Sehnsucht des Menschen, die sich im Verfließen der Zeit allein aus der ursprünglichen Quelle der Ewigkeit stillen lässt. An ihr dürfen wir schon jetzt wieder und wieder zur inneren Ruhe kommen – und dessen bedürfen wir doch in diesen Tagen.

Am vierten Fastensonntag erfuhren wir vom Drama des blindgeborenen Mannes, dem Jesus mit dem Augenlicht auch eine neue Lebenssicht schenkte. Wir Menschen sind wie blindgeboren, doch ist jedem von uns das Licht Christi – der neue Blick – verheißen. Wahrhaftig erhellende Sichtweisen tun besonders in widerwärtiger Gegenwart not und sie können sich auftun im nüchternen Vertrauen gläubiger Herzen.

Heute, am fünften Fastensonntag, begegnen wir einem eindrucksvoll menschlichen Jesus, einem berührbaren, innerlich erregten und weinenden Mann auf dem Weg zum Grab seines geliebten Freundes, der nach vier Tagen schon zu stinken beginnt, wie es die Lutherbibel drastisch ins Wort fasst. Wir alle sind sterblich. Auch wenn es uns stinkt, wir sind definitiv „die Sterblichen“, wie in der Antike die Menschen genannt wurden – im Unterschied zu den unsterblichen Göttern. Jeder von uns ist in vielerlei Binden eng gebunden, in Bindungen der Angst, die uns bisweilen erstarren lässt. Immer wieder einmal sind einem Augen und Mund verdeckt vom Schweißtuch unserer Nöte, man will sie nicht anschauen oder darüber sprechen und irgendwann fühlt man sich geradezu eingeschlossen in die Einsamkeit – wie in eine Grabeshöhle.

Mit „Lazarus im Grab“ sind wir gemeint und zu uns als seinen geliebten Freunden ist Jesus auf dem Weg. Auch uns will derzeit – unter den gegebenen lebensfeindlichen Umständen – der Ruf der Auferstehung Christi auferwecken: zum Leben und zur Lebensfreude oder verhaltener gesagt zur Lebensfreundlichkeit in Wort und Tat … Ich wünsche sie uns derzeit von Herzen.

Das als erster Hinweis – und noch kurz zwei weitere auf zwei andere Texte der Liturgie dieses Sonntags:

Hören wir zunächst mit den gespannten Ohren des Anfängergeistes von Katechumenen und mit den auf das versöhnende Wort lauschenden Ohren von Poenitenten noch einmal die großartige Prophetie des Ezechiel in der heutigen Lesung: So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. … Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig … Ich habe gesprochen und ich führe es aus – Spruch des HERRN. Diese Verheißung, einst erfüllt in der Auferweckung des Lazarus, will sich wieder und wieder erfüllen in der Geschichte der Menschheit und in den vielen Geschichten der Einzelschicksale. Wir sollen und dürfen lernen, die Geschicke der Welt und unseres eigenen Erdendaseins wie Katechumenen ganz neu zu sehen oder wie Poenitenten von Grund auf erneuert auch zu verstehen, und das schon jetzt und Tag für Tag … Dann werden wir es auch bald feiern können – im Licht der Nacht der Auferstehung Christi, jener Ostervigil, die der heilige Augustinus die „Mutter aller Vigilien“ genannt hat.

Und noch zuletzt – lasst uns nachher in gleicher Haltung die Communio der heutigen Messe singen. Sie ist zweifellos eine der machtvollsten Verflechtungen von Text und Melodie im Repertoire der lateinischen Liturgie. „Als der HERR sah, daß die Schwestern des Lazarus am Grab weinten, da brach er in Tränen aus vor den Juden und rief: ‚Lazarus, komm heraus!‘ Da kam er heraus; Hände und Füße waren mit Binden umwunden; seit vier Tagen war er tot gewesen.“ Jede Beschreibung dieses Gesangs greift zu kurz. Es genügt, ihn zu singen. Er erschließt sich von selbst und öffnet mir das Herz, wenn ich nur die impressive, expressive Kraft des Rufes Christi nicht scheue, dieses „Lazare, veni foras!“, mit dem er jeden von uns aus seinem Grab ruft – und auch das gilt heute.

FÜRBITTEN

Herr Jesus Christus, du rufst uns auf, zu glauben und auf dein Wort zu vertrauen. Es fällt uns oft schwer. Doch du versprichst uns neues Leben. So bitten wir dich:

Für die Corona-Patienten und alle Kranken, die körperliche und seelische Schmerzen ertragen müssen. – Christus, höre uns. Alle: Christus, erhöre uns.

Für alle, die in Pflege und medizinischer Betreuung an die Grenzen ihrer Kraft geraten. – Christus, …

Für alle, die an ihren Arbeitsplätzen weiter ihre Pflicht tun, und für alle, die nicht mehr arbeiten dürfen. – Christus, …

Für alle, die auf engstem Raum mit ungewohnten Herausforderungen fertig werden müssen. – Christus, …

Für alle von Ängsten Geplagten und für alle im Glauben Erschütterten. – Christus, …

Für alle, die neue Wege des Miteinanders suchen und wagen. – Christus, …

Für alle, die wir in diesen Tagen aus dem Blick verlieren, weil uns die eigene Not zu sehr plagt. – Christus, …

Für uns selbst und unsere Lieben, die Lebenden und die Verstorbenen. – Christus, …

Gott, führe uns aus der Bedrängnis. Hauche uns deinen Geist ein, damit wir leben. Das erbitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn und unseren Herrn. – A: Amen.

von P. Guido Hügen OSB

„Welche Freiheit haben wir vor Tagen noch genossen. Die Freiheit zu sein, die Freiheit zu feiern, die Freiheit zu lieben, zu küssen, zu umarmen, die Freiheit zu gehen, wohin und wann wir wollten, und die Freiheit das Risiko zu tragen, uns an jedem Ort und bei jedem Kontakt mit irgendetwas zu infizieren.

Nun ist die Freiheit für den Augenblick verloren. Verloren, bis eine Krise beendet ist, deren Verlauf wir nicht kennen und deren Ende ungewiss ist. Die Maßnahmen sind hart und vernünftig. Schulen werden geschlossen und Kneipen gleich mit. Parties müssen abgesagt werden und Gottesdienste dürfen nicht mehr stattfinden. Das öffentliche Leben wird immer weiter lahmgelegt.“

So beschreibt es der Politikwissenschaftler Erik Flügge im gerade digital erschienen Büchlein Freiheit und Pandemie. Eine Erinnerung an das Leben danach.

„Die Unterbrechung unseres Lebens mag Wochen oder Monate dauern,“ schreibt er weiter, „und dennoch muss sie eine Unterbrechung bleiben. Denken Sie nur einige Zeit voraus. Wenn in Monaten endlich die Entwarnung gegeben wird, dass es geschafft ist. Dann wird die Diskussion los gehen. Wir werden uns die Frage stellen, was wir aus der Pandemie gelernt haben. Wie wir uns verändern wollen als Gesellschaft.“

Erst dann, liebe Brüder?

Theologinnen und Theologen stellen schon heute Fragen. Fragen nach dem Sinn und der Berechtigung der von Priestern privat gefeierten Messen. Ein Rückschritt im Eucharistieverständnis? Sie loben oder kritisieren die Möglichkeiten von Gerneralabsolution und Ablass.

Vielfältige Angebote und Vorschläge von Gemeinden und Diözesen und privaten Initiativen tun sich auf für Familien, die für sich zu Hause Gottesdienst feiern müssen oder wollen. Ein neuer Impuls für die Hauskirche? Selbst das Dikasterium für die Laien in Rom weist darauf hin. Gebetsinitiativen, Glockenläuten und Kerzen in den Fenstern führen Menschen in ihrer Getrenntheit zusammen. Ebenso wie digitale Verbindungen ganz persönlich, in Chats und Foren. Im Internet geteilte Gottesdienste und Gebete. Wir haben es ja noch gut hier in der Abtei. Wir können gemeinsam Gottesdienst feiern und beten. Bewegen uns aktuelle Fragen trotzdem? Es geht vom ganz Konkreten auch um das Grundsätzliche. Die Kirchen befolgen die Anordnungen aus Politik und Wissenschaft. Das betont auch das gemeinsame Schreiben der evangelischen. orthodoxen und katholischen Kirche in Deutschland. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden in anderen Fällen nicht so unbedingt übernommen. Gesetzliche Vorgaben nicht einfach akzeptiert. Die Bandbreite von Homosexualität bis zum kirchlichen Arbeitsrecht ist groß …

Dass sich die Kirche gerade nach oder in der Missbrauchskrise nicht traut, die Stimme zu erheben, vermutet der Fundmentaltheologe Magnus Striet. Und hofft: „… dass man einen Lernprozess durchgemacht hat und naturwissenschaftliche Kenntnisse, Wissenskomplexe schlicht und einfach akzeptiert.“

Doch noch einmal die Frage: was bedeutet das ganz konkret – auch hier für uns?!

„Stellen wir uns eine Situation im Herbst vor, sagen wir im September 2020. Wir sitzen in einem Straßencafé in einer Großstadt. Es ist warm, und auf der Straße bewegen sich wieder Menschen. Bewegen sie sich anders? Ist alles so wie früher? Schmeckt der Wein, der Cocktail, der Kaffee, wieder wie früher? Wie damals vor Corona? Oder sogar besser?“ fragt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx.
Er beschreibt seine Wahrnehmung leerer Städte und geschlossener Geschäfte nicht als Ausdruck einer Apokalypse, sondern als Moment des Neuanfangs. Er schreibt: „Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führten. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre fühlten viele sich sogar erleichtert, dass das viele Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen plötzlich zu einem Halt kam. Verzichte müssen nicht unbedingt Verlust bedeuten, sondern können sogar neue Möglichkeitsräume eröffnen.“

Kann die Fastenzeit noch einmal ganz neu, ganz anders werden? Uns bewusster mit uns und unserer Zeit umgehen lassen? Uns vielleicht neu ausrichten auf das Wesentliche? Vielleicht gibt uns das heutige Evangelium einen Leitfaden dazu an die Hand. Die Erzählung des Wunders Jesu ist ja von Johannes beschrieben wie eine Lehrerzählung. Das Heilungswunder Jesu führt zu einem Spinnennetz an Spekulation und Unterstellung, an Verurteilungen – und an Glauben.

Da ist der Geheilte – der sagen kaum sagen kann, was ihm geschah. Die Eltern, die sich sicherlich freuen über die Heilung ihres Sohnes – aber in der Auseinandersetzung ihren Sohn allein lassen. Da sind die Pharisäer, – vielleicht hin- und hergerissen zwischen ihren Moral- und Ritenvorschriften und der Erkenntnis, dass es sich vielleicht doch um ein Wunder, um ein Handeln Gottes handelt. Da sind die Vorurteile und Vorverurteilungen der verschiedenen Beteiligten.

Wo stehen wir in diesem Gefüge?
Bin ich der Blinde, die Eltern, die Pharisäer?
Bin ich die Menschen am Rande?
Bin ich die fragenden Jünger?

Corona gibt uns ja derzeit manche neue Zeit. Vielleicht nutzen wir sie, den Bibeltext von heute noch intensiver zu lesen und auf uns wirken zu lassen. Damit er uns im wahrsten Sinne des Wortes neu anregt.

Paulus hat uns ja im Brief an die Epheser gemahnt: „Lebt als Kinder des Lichts! Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis.“

„Wir werden uns wundern,“ schaut Matthias Horx hoffnungsvoll in die Zukunft. Und beschreibt, was sich getan haben kann.

Werden auch wir uns wundern, was sich bei uns getan hat? In unserem Engagement in dieser Krise – oder auch das der Mitarbeitenden, das wir ermöglichen. Im Umgang miteinander und der Achtsamkeit umeinander. In Fragen des Alltags, der Liturgie. Werden wir uns wundern, was werden kann auch wenn unsere eigenen Pläne nicht umgesetzt werden können, durchkreuzt werden? Wenn nicht immer alles so ist, wie ich es gewohnt bin?

Kinder des Lichtes zu sein heißt auch, Kinder des Mutes und der Phantasie zu sein. Menschen, die lernen und neu sehen – wie der Blinde im Evangelium. Der griechische Urtext sagt, er sah nicht nur, sondern erkannte auch. und konnte bekennen: „Ich glaube, Herr!“

Doch vergessen wir nicht: Auch uns wird nur der Teig auf die Augen gestrichen. Zum Wasser laufen und uns waschen, das müssen wir selber.

Fürbitten

nach www.bistum-trier.de

Jesus Christus ist gekommen, um den Menschen Licht, Heil und Trost zu schenken. Er führt uns zusammen, auch wenn wir voneinander Abstand halten müssen. Zu ihm dürfen wir mit unseren Anliegen kommen und beten:

Wir beten für alle, die unter der Corona-Pandemie leiden: Für die an Covid19 Erkrankten, die im Krankenhaus sind und für alle in Quarantäne.

V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns

Für die Berufstätigen, die unsicher sind, wie es weitergeht. Für Arbeitgeber und Selbständige, deren Existenz in Gefahr gerät. Für alle, die voller Angst sind und sich bedroht fühlen.

V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns

Wir beten für die vielen Menschen, die unermüdlich im Einsatz sind: in Arztpraxen und Krankenhäusern, im Lebensmittelhandel und in Apotheken

V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns

Für alle Verantwortlichen, die für das Land und für Europa wichtige Entscheidung treffen müssen. Und um Einsicht für alle, sich danach zu verhalten.

V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns

Wir beten für alle, denen die Gottesdienstgemeinschaft fehlt. Für alle, die einander beistehen und sich ermutigen und neue Formen entwickeln, wie Menschen ihren Glauben miteinander teilen.

V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns

Wir beten für die Frauen, Männer und Kinder, die auf der Flucht sind und unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Und für die Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die selbst unter katastrophalen Bedingungen im Einsatz sind.

V: Jesus Christus, Du, unser Heil A: Wir bitten dich, erhöre uns

Jesus Christus, Du schenkst uns Dein Heil und Deinen Beistand gerade auch in diesen schweren Zeiten. Dafür danken wir Dir und preisen Dich heute und an jedem Tag. Amen.

von P. Julian Schaumlöffel OSB

Die heutigen Gedanken sollen weniger eine exegetische Auslegung der Erzählung von der Begegnung am Jakobsbrunnen sein als vielmehr ein Impuls zum Nachdenken über die Quelle in uns selbst, die uns vielleicht gerade in dieser schwierigen Zeit neuen Mut und Hoffnung schenken kann. Brunnen finden sich auf vielen Plätzen in Städten und Dörfern. Sind sie heute eher Blickfang, waren es früher wichtige Orte der Begegnung und Kommunikation. In vielen armen Ländern gehen auch heute noch Menschen zum Brunnen, um das lebensnotwendige Wasser für den Alltag der Familie zu holen. Der Brunnen ist ein wichtiger Ort, der im Alten wie im Neuen Testament immer wieder Erwähnung findet, der aber auch große symbolische Bedeutung in den Märchen hat. Es wird also kein Zufall sein, dass das Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin gerade an einem Brunnen stattfindet. Ein Brunnen birgt in sich eine Tiefe, aus der er mit Wasser gespeist wird. Sichtbar sind jedoch nur ein Teil des Brunnenschachtes und die Wasseroberfläche. „Brunnen“ – das ist seit alters her für die Menschen ein Bild, das für mehr steht als ein tieferes Wasserloch. Es ist das Bild für etwas, das in die Tiefe führt, uns auf den Grund bringt, auf den Grund von Dingen, ja, und eigentlich – denn darum geht es hier – auf den Grund unserer selbst. Der Brunnen steht als Bild für unseren eigenen Grund, der unter der sichtbaren Oberfläche liegt, unser eigenes Wesen, zu dem wir hinabsteigen können oder auch nicht. Und auch der Jakobsbrunnen des Evangeliums dient hier als ein solches Bild, das uns verständlicher machen soll, was Jesus uns sagen will. Eigentlich müssten wir mit der samaritischen Frau fragen: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast Du also das lebendige Wasser?“. Jesus aber will uns in die eigene Tiefe führen; und indem er uns führen will, schöpft er aus seiner eigenen Quelle: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht“! Da spricht ganz offensichtlich einer, der nicht nur vermutet und ahnt, sondern der weiß, wovon er redet. Da spricht einer, der um das weiß, was Gott uns schenken will, wenn wir ihn nur lassen. Und es ist klar: Wenn wir es wüssten, wäre alles andere unwichtig. Nun könnten wir einwenden: Dann soll Jesus, wenn er es doch weiß, uns sagen, worin die Gabe Gottes besteht. Dann wissen auch wir es und haben endlich das ersehnte Ziel erreicht. Ganz so einfach ist das dann doch nicht… Denn mit dem Wissen ist das so eine Sache. Wissen und Wissen sind eben nicht das Gleiche. Ich kann etwas wissen, im Sinne eines Auswendiglernens, einer intellektuellen Aneignung. Ich kann von der Schönheit der Natur wissen, weil ich davon in Büchern gelesen oder eine Dokumentation im Fernsehen gesehen habe. Ich kann aber auch etwas wissen, weil ich es erlebt und selbst erfahren habe. Bei einem Spaziergang durch die gerade am heutigen Sonntag so frühlingshafte Natur kann ich ihre Schönheit mit meinem ganzen Wesen erspüren: Ich rieche sie, sehe sie, spüre den Wind auf meiner Haut, fühle die Wärme der Sonne. Diese persönliche Wahrnehmung, dieser Prozess, ist eine ganz andere Art des Wissens. Schauen wir also auf den Einwand: „Jesus könne uns doch sagen, worin die Gabe Gottes besteht“, damit auch wir sie wissen und um sie bitten können. Auf diesen Einwand kann man entgegnen: Jesus sagt es uns ganz deutlich, er hat sich uns ganz offenbart, und wir können darum wissen – jedoch zunächst nur im ersten Sinne: Im Sinne der intellektuellen Aneignung, des Hörens und vermeintlichen Verstehens. Die Gabe Gottes ist Leben. Leben in Fülle, ewiges Leben, dessen Quelle bleibend in uns sprudelt. Ein nie versiegender Quell. Oder wie wir es in der Lesung aus dem Römerbrief gehört haben: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Nun wissen wir also um die Gabe Gottes. Aber lassen wir alles stehen und liegen und rennen los? Oder um mit Paulus zu fragen: Wissen wir um diese Gnade und „rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“? Wir wissen eben nur in der ersten Weise darum. Und deswegen müssen wir uns weiter auf den Weg machen. Die Fastenzeit, diese Krisentage der Entschleunigung unseres Lebens, können uns dabei helfen. Sie könnten uns als Zeit dienen, in der wir uns ernsthaft auf die Suche nach dem Brunnen machen. Und dieser Brunnen ist Christus, es ist unser Herz, in das die Liebe Gottes ausgegossen ist. Dort ist der Ort der wahren Begegnung! Aber auch wenn wir zum Brunnen unseres Herzens hingefunden haben, werden wir feststellen müssen, dass es nicht so leicht ist, an die Quelle, an das Wasser heranzukommen. Denn der Brunnen ist zugeschüttet. Zugeschüttet mit all dem Unrat des Alltags, mit dem Lärm und der Ablenkung der Welt. Gerade in diesen Tagen auch zugeschüttet mit den Sorgen und Ängsten um unsere eigene Gesundheit und die unserer Familienangehörigen und Freunde oder zugeschüttet mit unseren Illusionen und unserem Egoismus. Die kommenden Tage könnten für uns zu einer Zeit werden, in der wir uns die Mühe machen, den Brunnen in uns, wenn wir ihn gefunden haben, freizulegen – Schicht für Schicht, ohne Angst, auch wenn wir immer tiefer hineingelangen in das Dunkel des Abgrunds, ungewiss, ob da am Ende wirklich eine Quelle auf uns wartet. Die Mühe des Freilegens ist die Treue im Glauben, die Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Ist es uns gelungen, den Brunnen freizulegen, können wir reichlich trinken vom Wasser. Ja, der Brunnen wird zur Quelle werden, die sprudelt und fließt, bei der ich nicht mehr mühsam graben und schöpfen muss. Wenn diese Quelle fließen kann, dann fließen Leben, Freude, Sinn und Ziel aus meinem Innern. Das ist das andere Wissen, das Wissen um die Gabe Gottes aus durchlebter, vielleicht auch durchlittener Erfahrung. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen!“ Wagen wir uns also in die Tiefe….