Predigt am 6. Ostersonntag (17.05.2020)

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Lesung:          1 Petr 3, 15 – 18        
Evangelium:  Joh 14, 15 – 21

Auch an diesem Wochenende demonstrieren Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie. Dabei fällt die bunte Mischung der Teilnehmenden auf. Neben denen, die berechtigter Weise gegen die Einschränkungen einiger Grundfreiheiten protestieren, finden sich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, zudem versuchen Rechtspopulisten diese Proteste für ihr Interesse an Verunsicherung und Destabilisierung zu nutzen.

In der Folge kommt es zu Polarisierungen, Verteufelung der anderen, Hass, Wut und Aggression, die sich in Angriffen auf Polizisten und auch auf Journalisten entladen.

Die Reaktionen seitens der Politik sind gemischt, einerseits eine gewisse Fassungslosigkeit angesichts der teilweisen Verweigerung notwendiger Verhaltensregeln, kruder Verschwörungsphantasien und aufgeheizter Stimmungen, andererseits die ausdrückliche Bestätigung des Rechts auf Meinungsfreiheit verbunden mit der Bitte, diese in angemessener und gewaltloser Weise zu nutzen.

In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.

Dieses Recht ist zum einen Ausdruck der in Artikel 1 Absatz 1 gemachten Aussage und Forderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zum anderen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen wichtig, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, um so in der gemeinsamen Auseinandersetzung dieses Gemeinwesen zum Wohle aller zu gestalten.

Dahinter steht die Einsicht, dass jede und jeder vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte und dem eigenen Kontext eine je eigene Weise der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Keiner sieht alles, aber gemeinsam sieht man mehr und kann so der Wirklichkeit näher auf die Spur kommen und entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen treffen. Die Vielfalt der Meinungen somit als eine Ressource gemeinsamer Weltverantwortung und Lebensgestaltung.

Eine Ressource, die Benedikt in seiner Regel ausdrücklich zu nutzen empfiehlt, wenn er fordert, dass vor wichtigen Entscheidungen alle Brüder gehört werden sollen.

Doch die Vielfalt der Meinungen kann auch eine Herausforderung sein, die verunsichert und bedrohlich wirkt: Wem oder was soll oder kann ich glauben?

Zudem verwechseln manche die eigene Meinung mit Tatsachenbehauptung oder halten die Behauptung schon für eine Tatsache oder gar für die Wahrheit, um schließlich anderen fake news vorzuwerfen.

Je mehr ich jedoch von meiner Meinung als einer Tatsache oder der Wahrheit überzeugt bin, desto schärfer reagiere ich auf andere Meinungen.

Je mehr mich andere Meinungen nerven, desto verunsichernder und bedrohlicher empfinde ich die Vielfalt von Meinungen und klammere mich noch mehr an meine Meinung.

Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Teufelskreis, in dem der Mensch sich verrennt, sich einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Meinungen anderer entzieht, sich so dem Bemühen um eine gemeinsame Gestaltung von Gesellschaft und Welt verweigert.

Ganz anders klingt das heutige Evangelium, in dem Jesus seinen Jüngern, den Beistand, den Geist der Wahrheit verheißt, der sie führen soll.

Es ist die Fortsetzung des Evangeliums vom vergangenen Sonntag, wo Jesus von sich sagte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Somit ist dieser Geist der Wahrheit der Geist Jesu. Der Heilige Geist, das Band der Einheit zwischen Vater und Sohn, in dem auch wir durch den Sohn mit dem Vater verbunden sind.

Doch wie können wir diesen Geist der Wahrheit erkennen, um durch ihn die Wahrheit, Christus erkennen zu können?

Im Umgang mit dieser Frage kann ein zentraler Begriff der Benediktsregel hilfreich sein: discretio – mit diesem Begriff wird die Kunst der Unterscheidung bezeichnet.

Darunter verstehen wir heute zumeist die Bestimmung des guten Maßes, die Unterscheidung zwischen Zuviel und Zuwenig.

Im frühen Mönchtum verstand man darunter vor allem die Unterscheidung der Geister, die bereits der 1. Korintherbrief (12,10) als Geistesgabe, als Charisma nennt.

Dieses Charisma der Unterscheidung der Geister war in Korinth besonders gefordert, weil die Gemeinde dort in sich zerstritten war, so nennt Paulus gleich zu Beginn des Briefes vier Gruppierungen, die sich auf Paulus, Apollos, Kephas oder Christus beziehen, wobei jede meint, allein im Besitz der Wahrheit zu sein.

Diese Zerstrittenheit zeugt von keinem guten Geist, eher vom Widergeist oder Abergeist, der stets verneint und verwirrt und somit dem Geist Christi, der zur Einheit führt, völlig entgegensteht.

Joseph Ratzinger bringt es so auf den Punkt: Während der Geist Gottes „jenes Zwischen (ist), in dem der Vater und der Sohn eins sind als der eine Gott“ gilt vom Widergeist, dass er „allenthalben ‚dazwischen‘ steht und Einheit hindert“.

Damit ist ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der Geister genannt: Der Geist Gottes verbindet, der Widergeist trennt. Wes Geistes Kind jemand ist, zeigt sich meist an seinem Tun und dessen Folgen. Diese Einsicht entspricht schon dem Unterscheidungskriterium zwischen wahrer und falscher Prophetie, auf das sich auch Jesus bezieht, wenn er sagt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,16).

Paulus wird dazu in seinem Brief an die Galater ganz konkret und nennt die jeweiligen Geistesfrüchte (Gal 5, 19-25):

Der Widergeist bringt die Werke des Fleisches hervor: … Maßlosigkeit, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen.
Der Geist Gottes aber: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut …

Origenes, einer der Begründer einer Theologie der Spiritualität, der um 200 gelebt hat, nimmt diese Gedanken des Paulus auf, fasst sie zusammen und sieht die Wirkung des guten Geistes in tiefer Ruhe und echter Verbundenheit.

D.h. die Frucht des Geistes nach innen ist die Verbundenheit mit mir selbst, psychologisch ausgedrückt die Selbstkongruenz, die innere Stimmigkeit, das Ruhen in sich.

Die Frucht des Geistes nach außen ist die Verbundenheit mit den anderen, die ich als Nächste, als Schwestern und Brüder wahrnehme und achte.

Die Frucht des Geistes ist damit letztlich die communio, die Gemeinschaft, nach innen mit mir selbst, nach außen mit den anderen.

Das ist auch die Grundhaltung für gelungene Kommunikation genannt, für einen guten Umgang mit der Meinungsfreiheit: Bei-sich-selbst-sein und zugleich dem anderen zugewandt-sein.

Damit sind mir auch die Kriterien gegeben, mit denen ich mein eigenes Kommunikationsverhalten beurteilen kann:

Wie sage ich meine Meinung? Wann, wo, wem? Welche Worte wähle ich? Wie ist der Ton? Welche Einstellung oder Haltung dem anderen gegenüber wird darin erkennbar? Welche Bedeutung, welche Wirkung hat der Inhalt?

Dienen Inhalt und Form meiner Meinungsäußerung der communio, der Gemeinschaft, der Verbundenheit mit den anderen oder wirken sie eher trennend und untergraben ein gutes Miteinander?

Ein konkretes Beispiel dafür, wie wir Christen unseren Standpunkt vertreten sollen, findet sich in der heutigen Lesung aus dem 1. Petrusbrief, die uns dazu ermutigt, anderen zu begegnen und zu bezeugen, woran wir glauben und wofür wir stehen. Dabei wird hier noch ausdrücklich auf die Art und Weise aufmerksam gemacht, in der dies geschehen soll.

„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber mit Sanftmut und Milde und in Bescheidenheit und Respekt.“