Predigt am 4. Ostersonntag 2020 in der Abtei Königsmünster
von Br. Justus Niehaus OSB
Schafe. Warum vergleicht Jesus uns mit Schafen? Warum keine Ziegen, Schweine, Kühe, Rinder? Warum Schafe? Schauen wir, was diese Tiere ausmacht, warum Jesus uns mit Schafen vergleicht. Zufällig besitzen wir ja einige Exemplare Waldschafe, und ich darf als „Mietling“ mich ab und zu mit ihnen beschäftigen.
Eigentlich müsste also unser Bruder Isidor hier stehen und die Predigt halten. Aber hier nun einige Beobachtungen eines Mietlings im Schafstall.
Als ich über diese Predigt nachdachte, kam mir als erstes das letzte Silvesterfest in den Sinn.
Isidor sprach mich um halb neun abends an, ob ich ihm bitte bei den Schafen helfen könnte. Die Schafe sollten in den Stall, damit sie sich nicht durch die Böller um Mitternacht erschrecken, voll Panik in die Netze laufen und ungewollt ausbrechen. Im Schafstall musste irgendetwas passiert sein, dass die Schafe geängstigt hatte. Sie wollten nicht dorthin. Isidor hatte es seit fünf Uhr versucht, aber alleine war nichts zu machen. Wir trieben also zu zweit die Schafe durch eine Gasse von der Weide bis vor die Mistplatte. Hier weitete sich der Zaun und führte um die ganze Mistplatte. Isidor hatte vorne gelockt und ich stand als Absicherung hinten. Bis zur Mistplatte war es kein Problem, aber kein Schaf machte auch nur einen Schritt auf die Platte. Einige wollten schon zurück auf die Weide, aber dort stand ich nun im Weg. Pattsituation. Um die Schafe als Gruppe nicht in Panik zu versetzen, blieb ich relativ ruhig. Isidor hatte schon alle Lockmittel wie Kraftfutter und Äpfel bereit, aber es war nichts zu machen. Ab und zu schaffte er es, ein Schaf zu überzeugen, einen Schritt auf die Mistplatte zu machen, aber sobald dieses Schaf merkte, dass die anderen ihm nicht folgten, kehrte es um und löste so den Fluchtreflex der ganzen Herde aus. Auch wenn sich eines der ängstlicheren Tiere durch eine Kleinigkeit erschrak, blickten wieder alle Augen auf mich und den Fluchtweg zur vermeintlich sicheren Weide, anstatt auf die Stimme ihres Hirten zu hören und in den Stall zu gehen, wo es frisches Heu, Wasser und Kraftfutter gab. Wir spielten dieses Spiel eine gute Dreiviertelstunde. Ein Schaf durch langes Zureden auf die Mistplatte, eine kleine Unsicherheit, ein Fluchtreflex und alles war wieder auf Anfang. Es war zermürbend.
Dann nach einer gefühlten Ewigkeit das Einsehen. Warum auch immer. Ein Gefühl von Einsehen. Plötzlich setzte sich die Herde langsam und vorsichtig Richtung Stall in Bewegung. Auch die skeptischen Tiere gingen mit und lösten keinen Herdenfluchtinstinkt mehr aus. Es war geschafft. Einmal in Bewegung ging es ganz schnell. Es war kein Zögern mehr zu spüren. Die Herde hatte sich auf den Weg gemacht. Die Schafe waren im Stall. Was der letzte Auslöser war, kann ich nicht sagen. Warum sie sich schließlich fügten und ihrem Hirten folgten, kann ich nicht sagen.
Mir ist nur die Hilflosigkeit, ja die Machtlosigkeit des Hirten in der Situation vor Augen: dort zu stehen und außer gutem Zureden und Locken nichts machen zu können. Kein Zwang, kein Befehl, nur Geduld und Ausdauer, nur ruhig bleiben, frische Nahrung und gutes Zureden haben geholfen. Wer einmal so eine Situation erlebt hat, versteht, was Hirte sein bedeutet. Es heißt nicht herrschen, sondern Geduld und Barmherzigkeit. Es heißt sich in die Herde reindenken, dranbleiben, damit die Schafe den Klang der Stimme nicht verlernen, damit auch in Notsituationen wie dieser noch Vertrauen vorhanden ist. Es heißt sich alle Tiere anzusehen, zu bemerken, ob eines hinkt, ob es zurückbleibt, ob es niest, ob es krank ist. Ob es seine Lämmer versorgt oder Unterstützung braucht. Ob es im Frühjahr genug regnet, damit man im Sommer heuen kann, um im nächsten Winter genug Nahrung zu haben. Sie nachts heim zu holen in den sicheren Stall. Und all das nicht durch Befehl, sondern durch Locken und Rufen, durch Geduld und Barmherzigkeit.
Dies alles tut Gott für uns. Er allein ist der gute Hirte. An seiner Barmherzigkeit und Geduld sollen wir niemals verzweifeln, wie es so schön in der Benediktsregel heißt. Nur durch ihn kommen wir an frische Nahrung, wenn wir ihm unser Vertrauen schenken und auf seine Stimme hören, die uns ruft.
Wir sind alle Schafe. Das hat auch der Komponist des Allelujas und der Communio nochmal betont, da im Originaltext der Vulgata das Wort Schafe an dieser Stelle nicht steht. Er hat es also bewusst eingefügt und vertont.
Wir alle sind Schafe. Und jeder, der sich zum Hirten macht, stößt den eigentlichen Hirten weg. Er stößt Gott zur Seite. Damit keine Missverständnisse aufkommen: es gibt in einer Schafherde durchaus Leittiere und Hierarchie. Eine Schafherde ist aber kein Patriarchat mit dem Recht des Stärkeren, auch wenn die imposanten Böcke uns das weismachen möchten. Es ist ein Matriarchat in dem die älteren Muttertiere den Ton bestimmen.
Es gibt Tiere, die vorangehen und dem Hirten vertrauen, und es gibt die Skeptischen und alle Formen dazwischen. Es gib diejenigen, die im Alltag Vertrauen haben und in Notsituationen nicht. Und es gibt diejenigen, bei denen es genau anders herum ist. Es gibt diejenigen, die nur mitlaufen, diejenigen, die voranstürmen und diejenigen, die bremsen. Sie alle werden durch den Hirten zusammengehalten. Er kennt uns alle beim Namen und wir kennen ihn. Er hat uns alle im Blick und sorgt für uns.
Wir, die wir hier zusammen sind, gehören – hoffentlich – zu den Schafen, die dem Hirten mehr vertrauen und auf seine Stimme hören und so andere ermutigen können, es uns gleich zu tun. Durch unser Beispiel und unser Vorangehen. Er führt uns an frische Wasser. Durch ihn bekommen wir Nahrung in Fülle und Schutz in der Nacht. Höre, das ist unser Auftrag. Und nicht zu zaghaft und misstrauisch zu sein gegenüber dem Hirten, sondern vertrauensvoll.
Dann können wir gleich in der Communio voll Freude in das Blöken einstimmen. Me meae