Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (21.08.2022)

Miteinander oder Gegeneinander

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

I.

Das Evangelium lässt mir heute nichts anderes übrig, als eine Höllenpredigt zu halten.
Schließlich hieß es dort: „Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Ísaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid.“

Um etwas anschaulicher zu machen, worum es geht, möchte ich mit einer kleinen Geschichte beginnen, die vermutlich viele von Ihnen kennen:
Ein Rabbi, so wird erzählt, habe Gott gebeten, ihm einmal den Himmel zu zei­gen. Da er im Gebet nicht nachließ, sandte ihm Gott einen Propheten, der ihn zu einem kleinen Ausflug ins Jenseits mitnehmen sollte. Dabei kamen sie in einen großen Saal, angefüllt vom Geschrei und Fluchen ausgehungerter Men­schen, die um große Kessel mit wohlschmeckender Speise saßen. Vergeblich versuchten sie, mit langen Löffeln, die man nur am Stielende anfassen konnte, die Speise zum Munde zu führen. Ihr erfolgloses Unternehmen brachte sie zu Raserei und Verzweiflung. „Was ist das hier“, fragte der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, antwortete dieser.
Bald darauf betraten sie einen zweiten großen Raum. Auch hier saßen Men­schen um Kessel mit angenehm duftender Speise; sie waren wohlgenährt und vergnügt und unterhielten sich in fröhlicher Weise. Auch sie hatten nur lange Löffel, um die Speise zum Munde zu führen. Sie hatten das Problem aber da­hingehend gelöst, dass jeder seinem Nachbar gegenüber das Essen reichte. „Was ist das“, fragte der Rabbi. “Der Himmel“ antwortete der Prophet.

Die Geschichte will auf die Frage hinaus, was der Unterschied zwischen Himmel und Hölle ist – und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass es keinen gibt. Die Bilder für den Himmel und die Hölle sind genau gleich: Ein Saal, in dem, so heißt es in der Bildsprache des Erzählers, „Kessel mit wohlriechender Speise“ bereit stehen, die darauf wartet genossen zu werden.

Der Unterschied zwischen Himmel und Hölle sind die Menschen. Es gibt Menschen, die vollenden ihr Leben als solche, die die wunderbarste Begabung des Menschen gepflegt und geübt haben, nämlich die Begabung „himmlisch“ zu leben; und es gibt Menschen, deren schreckliches Lebensergebnis besteht in der Fähigkeit, sich und anderen den Himmel zur „Hölle“ zu machen.

Ich glaube, die Vorstellungswelt dieser Geschichte trifft das mit „Himmel“ und „Hölle“ Gemeinte entschieden besser als ein idyllischer „Himmel“ mit Barockengelchen oder eine als Drohmittel benutzte „Hölle“ mit kleinen Teufelchen. Der Himmel ist nicht die Belohnungsanstalt für die Braven und die Hölle ist nicht die Strafanstalt für diejenigen, die zu viele Fehlerpunkte auf dem Konto haben.

II.

Leider ist eine Jahrhunderte lang übliche Art, „Himmel“ und „Hölle“ als Einrichtungen zur Belohnung und Bestrafung darzustellen, mitschuldig daran, dass das eigentlich Gemeinte kaum ernst genommen wird, – mit der fatalen Folge, dass wir eine entscheidende Dimension des Menschseins ausblenden, obwohl wir zugleich merken, dass wir sie nicht loswerden. Es ist die Tatsache, dass unsere Art zu leben nicht folgenlos ist, dass wir tatsächlich eine letztgültige Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen unserer Existenz haben und nicht einfach nur das Produkt zufällig glücklicher oder schwieriger Lebensumstände sind.

Noch einmal in der Bildsprache der Geschichte gesagt: Entweder bleibe ich gegen meine Mitmenschen hungrig und gierig oder ich kann mit ihnen gesättigt und zufrieden sein. Entweder nütze ich meine Lebenszeit, um für den Himmel zu trainieren und „kann Himmel“, wenn ich dort ankomme, oder ich gewöhne mich so an die Hölle, dass ich nur „Hölle kann“, und deshalb im Himmel lebensunfähig bin.
Was ist die entscheidende Lebensregel des Himmels?
Ich bin nicht selbst meines Glückes Schmied, sondern ich bin da wirklich Mensch nach Gottes Vorstellung, wo ich im Wechselspiel von beschenkt Werden und Schenken mitmache und dieses Wechselspiel Tag um Tag, Situation für Situation einübe und trainiere. In der Bildlichkeit der Geschichte: Wo ich mir das, was ich zum Leben brauche, selber zusammenraffe, werde ich zur wild um mich schlagenden Furie, zum leibhaftigen „Teufel“. Doch da, wo ich es schaffe, mich anzuvertrauen und für andere zu sorgen, da bin ich im besten Sinn des Wortes ein „Engel“.

Sie merken: So zu leben ist in der Tat etwas völlig anderes als das, was wir für normal halten, die  wir doch alle mehr oder weniger ausgeprägt nach der Devise leben: „Der einzige, auf den ich mich verlasse, bin ich selbst.“ Deshalb ganz nüchtern meine These: Vom Himmel sind wir alle noch ziemlich weit entfernt. Oder anders gewendet: Eigentlich haben wir erst einen kleinen Bruchteil dessen, was Jesus wirklich will, tatsächlich verinnerlicht und realisiert.

III.

Wie kann das gehen, für den Himmel zu trainieren, durch die „enge Tür“ zu kommen? Das Bild enthält eigentlich schon die Antwort. Jeder weiß: Wenn ein Loch für mich zu klein ist, werde ich nie durchkommen, sondern trotz noch so großer Anstrengung früher oder später hoffnungslos festsitzen. Der einzige Weg ist: Ballast abladen.

Dazu einige ganz direkte „Testfragen“ für jede und jeden persönlich:
Wo habe ich mich so mit Sicherheit, mit Macht und Geld, mit Erwartungen und Ansprüchen bepackt, dass darüber meine innere Freiheit verloren gegangen ist?

Wo machen mich starre Ansichten so unbeweglich, dass ich nicht mehr die Wirklichkeit und das Mögliche sehe, sondern nur noch meine Angst- oder Machtphantasien?

Wo habe ich mich so sehr verbissen in den Wahn, ich müsste alles selber machen, dass niemand mir helfen kann, – selbst wenn ich buchstäblich umstellt bin von Menschen, die auf nichts sehnlicher warten als auf die Gelegenheit mir Gutes zu tun?

Wo habe ich mich derartig auf meine eigenen Nöte und Ängste fixiert, dass ich überhaupt nicht mehr mitbekomme, wie vielen es mindestens ebenso schlecht oder noch viel schlechter geht?

Finde ich, dass nur das etwas wert ist, was ich selbst geleistet habe, oder kann ich genießen, was mir andere „einfach so“ zukommen lassen?

Ich könnte jetzt noch lange fortfahren mit Beispielen für Situationen, die zur Hölle werden, wenn ich mit aller Gewalt meine eigene Haut retten will. Dabei könnte jeder Augenblick meines Lebens, sogar jede Durststrecke, der Himmel sein, wenn sie mich ganz schlicht dazu brächten, den Kreislauf der Liebe in Gang zu setzen, das wunderbare Wechselspiel von Empfangen und Geben, – als Kontrast zum eiskalten „Ich will auf niemanden angewiesen sein“.

Zusammengefasst: So lange wir von der fixen Idee besessen sind, uns den Himmel selbst zu machen, hat Gott keine Chance, – und wo Gott keine Chance hat, da ist die Hölle – und das nicht erst im Jenseits, sondern hier und jetzt.
Gott wartet auf Menschen, die sich von ihm den Himmel schenken lassen können und ihn weiterschenken. Dann ist das Evangelium Wirklichkeit: „Man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“