Predigt am Vierten Ostersonntag (30.04.2023)

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

Predigttext: Joh 10,1-10

Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst!

I.

Dass Jesus das Motiv des Hirten nutzt, um seine Gottesbotschaft zu veranschaulichen, ist kein Zufall. Hirten waren in der Lebenswelt seiner Zuhörer allgegenwärtig. Die nomadische Lebensweise, in der man mit seinen Herden von Weideplatz zu Weideplatz zog, steht historisch am Anfang der biblischen Geschichte. Der bis heute vielleicht populärste Psalm, Ps 23, zeugt davon: „Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. … Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“

Uns Heutigen ist der „Hirt“ aus dem Blick geraten. Einen Schäfer, der – ein Pfeifchen schmauchend – mit seiner Herde übers Land zieht, trifft man höchst selten.  Seine Aufgaben hat der hochprofessionelle „Tierwirt“ übernommen, der darin perfektioniert ist, zu möglichst geringen Kosten appetitlich abgepackte Grillsteaks für die Kühlregale der Lebensmitteldiscounter zu produzieren.

Und trotzdem: Der „Gute Hirt“ ist bis heute ein Sehnsuchtsbild: Die Vorstellung von jemandem der „grüne Auen“ verspricht, der mich zum „Ruheplatz am Wasser“ führt, ist das unausgesprochene Leitmotiv der Werbung jedes Reiseveranstalters. Und wer ist nicht immer wieder darauf angewiesen, dass er heil durchs „finstere Tal“ geleitet wird und jemanden findet, der „den Tisch deckt“, wenn „Feinde“ bedrohlich nahe rücken?

In unserem kirchlichen Kontext ist das Hirtenmotiv ziemlich verschlissen. Viele konventionelle Guter-Hirt-Bilder wirken kitschig oder gar peinlich. Mancher Hirte und „Ober-Hirte“ (welch paradoxer Begriff für ein Dienst-Amt!) taugt eher als Schauerbeispiel dafür, wie entsetzlich man ein „Hirtenamt“ missbrauchen kann.

II.

Vor diesem Hintergrund treffen wir heute auf Jesu Gleichnis vom „Guten Hirten“. Um es in seinem Sinn zu verstehen, ist eine Voraussetzung unabdingbar: Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst! Jeder der, mit welchem Motiv auch immer, sich selbst als „Hirt“ aufbaut, ist ein „Dieb“ und ein „Schlächter“. Der Jesus des heutigen Evangeliums ist da glasklar und unmissverständlich.

Wo immer ein Mensch einen „Hirtendienst“ übernimmt, kommt er an diesem Grundsatz nicht vorbei, – egal ob er ein kirchliches Amt innehat, Verantwortung in Wirtschaft oder Politik trägt oder in Familie, Schule oder einer sozialen Einrichtung für andere sorgt: Wenn Gott selbst der Hirt ist, setzt das jedem „Unterhirten“, jeder „Unterhirtin“ eine Grenze, klarer ausgedrückt: ein Tabu. Niemand darf sich zum Alleinherrscher über „dumme Schafe“ machen und niemand darf sich unter den Druck setzen oder setzen lassen, ein Schlaraffenland a lá Psalm 23 herbeizaubern zu müssen.

Was zu tun und zu lassen ist, wenn man, wo auch immer, in einem Hirtendienst steht, zeigt Jesus im Evangelium auf: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.“
Ein Hirt nimmt den Zugang und nicht die Hintertür, er mogelt sich nicht irgendwo herein, um Beute zu machen.
Wie klar und hilfreich könnten Beziehungen und auch die Ausübung von Verantwortung und Macht sein, wenn sie ohne Manipulationen und Tricks, ohne Angstverbreitung, ohne Verschleierung von Eigeninteressen und auf der Basis von Vertrauenswürdigkeit ausgeübt würden!

Gott als der „Gute Hirte“ wartet, „bis ihm geöffnet wird und bis er gehört“ wird: Nicht das große Gepränge und Getöse, sondern das Fingerspitzengefühl für den passenden Augenblick und das Gespür für den richtigen Ton zeichnen ihn aus.

„Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.“
In der Sicht Gottes hat jede und jeder einzelne einen Namen und damit die Würde der Einmaligkeit. Keiner ist anonymer Versorgungsfall oder beliebige Verfügungsmasse.
Und: Es geht ums „Hinausführen“ und nicht darum, Menschen mehr oder weniger lebensuntüchtig in irgendeinem „Stall“ festzuhalten.
Was wäre alles möglich, wenn Hirten das „Hinausführen“ zu ihrem Leitmotiv machen würden!

„Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.“
Ein weiteres Grundbild von ganz großer Bedeutung. Ein Hirte geht voraus – und fuhrwerkt nicht mit dem Knüppel des Treibers hinterher!

III.

Entscheidend für Jesus ist: Dieser „Gute Hirt“ muss nicht erfunden oder von jemandem in Szene gesetzt werden. Er ist schon da! Jesus selbst lebt auf dem Fundament, dass Gott sein Hirt ist. So kann er tatsächlich durchs tiefste Tal, durchs Tal des Todes gehen, ohne von Furcht überwältigt zu werden.

Im Grund des eigenen Daseins, im „Herzen“ zu wissen, dass ich geführt, geleitet und versorgt bin, das ist der Trost des Bildes vom „Guten Hirten“, den Jesus verkörpert. Jede und jeder ist eingeladen, diesen „Hirtentrost“ anzunehmen. Wo immer ein „Hirtendienst“ zu tun ist, geht es einzig und allein darum, diesen Trost vertrauens- und buchstäblich glaub-würdig zu vermitteln

Zu diesem „tröstenden Hirten“ können wir immer und immer wieder beten und dabei gewiss sein, dass er unsere Stimme hört:

Höchster, lichtvoller Gott,
erleuchte die Finsternis in meinem Herzen:
gib mir einen Glauben, der weiterführt,
eine Hoffnung, die durch alles trägt,
und eine Liebe, die auf jeden Menschen zugeht.
Lass mich spüren, wer du, Herr, bist,
und lass mich erkennen, wie ich deinen Auftrag erfülle.