Predigt am Ersten Fastensonntag (26.02.2023)

von P. Julian M. Schaumlöffel OSB

Liebe Schwestern und Brüder,

die tollen Tage des Karnevals – so man sie angesichts der weltpolitischen Lage überhaupt zu feiern gewillt war – liegen gerade erst hinter uns, da konfrontiert uns das heutige Evangelium ausgerechnet mit dem Thema Versuchung. Irgendwie ein sperriges Wort: Versuchung.

Im Rückblick auf die hinter uns liegenden Tage des Frohsinns könnte man Versuchung als das Streben nach Vergnügen und Lust, Ausgelassenheit und Unbefangenheit verstehen, wobei die Frage nach der Verantwortung gerne ausgeblendet wird. Aber Versuchung und die Konsequenz daraus meint noch mehr: Es meint das eigene Selbst, die Verwirklichung des eigenen Willens und der eigenen Wünsche in den Mittelpunkt zu stellen. Einer derartigen Versuchung erliegt, wer Gott fern meint und zugleich glaubt, sich sein Glück selbst schaffen zu müssen oder eben ‚seines eigenen Glückes Schmied zu sein‘.

Die kleinen Versuchungen des Alltags kennen wir alle und auch ihnen konnten wir in den vergangenen Tagen wieder leicht erliegen. Es sind Versuchungen, die sehr unterschiedlich sind und jeder von uns kennt da seine eigenen Schwächen am besten.  Aber es gibt noch eine andere, gefährlichere Qualität von Versuchung, um den eigenen Willen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen in den Mittelpunkt zu stellen: Das Bloßstellen und Fertigmachen anderer, das vermeintliche Verschaffen von wie auch immer gearteter Macht durch üble Nachrede und Mobbing und schließlich sogar das Durchsetzenwollen des eigenen Denkens und der eigenen Weltanschauung durch den zerstörerischen und vernichtenden Akt von Terror, Gewalt und Krieg. Der Jahrestag des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine führt uns dies leider nur allzu brutal vor Augen.

Wir Menschen sind manipulierbar und verführbar. Immer wieder verraten wir unsere Prinzipien oder Ziele, wir laden Schuld auf uns. Ja, wir Menschen wären gerne mächtig wie Gott. Das ist so seit Anbeginn der Welt – wir hörten davon in der Lesung. Das ist so, seit Adam und Eva durch Versuchung und Verführung das Paradies und damit die ungetrübte Gottesnähe verloren haben.

Das heutige Evangelium berichtet uns dagegen von einem Menschen, der diese ursprünglich in uns angelegte Gottesnähe dauerhaft für uns zurückgewonnen hat: Jesus von Nazareth.

Wir hörten von der Versuchung Jesu, die damit beginnt, dass der Geist ihn in die Wüste treibt. Unmittelbar zuvor wird bei Matthäus geschildert, wie sich der Himmel über der Taufstelle am Jordan öffnet und der Geist Gottes auf Jesus herabkommt. Zugleich erklärt eine Stimme: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Hier also geht mit der Versuchung um, der gerade zuvor zum Kind Gottes erklärt worden ist. Und als dieses vom Geist erfüllte Kind Gottes gewinnt Jesus nun jene Gottesnähe zurück, die die Menschen durch die Verführbarkeit von Adam und Eva einst verloren haben. Er bewährt sich da, wo jene scheiterten. Die Scheidewand zwischen Gott und Mensch ist überwunden, der Zugang zum Paradies nicht länger verschlossen. Es ist der Geist des Vaters, seine unsichtbare, wirkmächtige Gegenwart, die Jesus in der Versuchung standhalten lässt.

Wir hörten, dass der Geist Jesus in die Wüste treibt. Die Wüste: Ein symbolträchtiger, religiös bedeutsamer Ort; Ort des Rückzugs, der Sammlung und des Neuanfangs, Ort besonderer Gottesnähe und Gotteserfahrung, Ort aber auch der Versuchung, Erprobung und Gefährdung. Und die Zeitangabe von 40 Tagen ruft unweigerlich alttestamentliche Bilder in Erinnerung. Mose verweilt 40 Tage und 40 Nächte fastend bei Gott auf dem Sinai. Der Prophet Elija wandert, gestärkt durch die Speise des Engels, vierzig Tage und Nächte zum Gottesberg Horeb, wo ihm die besondere Gottesbegegnung widerfährt. Vierzig Jahre lang dauert die Wüstenwanderung des Volkes Israel. Jesus wiederholt hier also Geschichte, er nimmt die Geschichte seines Volkes wieder auf. Er geht in die Wüste und Gott lässt zu, dass dieser eine Erwählte auf die Probe gestellt, in Versuchung geführt wird – so wie sein erwähltes Volk 40 Generationen zuvor. Auch hier geschieht etwas wie Erziehung, eine innere Klärung. Jesus wird sich bewusst, wohin sein Lebensweg führen soll, wohin er unweigerlich führen wird. Entscheidend ist: Jesus hält in der Versuchung stand, er bewahrt sich seine in Gott geschenkte Freiheit, er gerät nicht in die Abhängigkeit des Teufels.

Freiheit. Es lohnt sich, über diese in Gott geschenkte und an ihn gebundene Freiheit nachzudenken. Freiheit ist für uns Menschen niemals absolut, Freiheit hat Grenzen. Spätestens dort, wo die eigene Freiheit mit der Freiheit des anderen in Konflikt gerät, werden diese Grenzen sehr deutlich. Wahre Freiheit – und das ist das Paradoxe – gibt es nur in Begrenzung, in Bindung. Aber gerade in der Abhängigkeit, in der Bindung an Gott, ist uns erst wahre Freiheit möglich. Es ist eine Freiheit von den Vernichtungsmächten dieser Welt, Freiheit von der Gier, von der Zerstreuungssucht, Freiheit von dem Wunsch, sich an Gottes Stelle setzen zu wollen. Denn gerade in diesem zerstörerischen Wunsch liegt die größte Versuchung, das größte Unheil. Die Aggressoren und Kriegstreiber unserer Tage sind die traurigen Fratzen dieses teuflischen Wunsches der Vernichtung jeder Freiheit.

Tröstlich ist: Die von Gott geschenkte Freiheit kann man nicht vernichten. Gott zieht mit uns durch die Wüsten unseres Alltags. Er wird den mühsamen, langen Weg mit uns gehen – bis zum Ende, bis ins gelobte Land. Das Evangelium ist deshalb „Frohe Botschaft“, weil es die Linie zieht von dem einen, der in die Wüste gegangen ist, über die vielen, die ihm durch zwanzig Jahrhunderte darin nachgefolgt sind. Nutzen wir das Geschenk dieser 40 Tage, um umzukehren, unser Versagen in den Blick zu nehmen und uns in aller Freiheit neu an Gott zu binden. Dann dürfen wir für uns und alle Menschen, auch für die vielen Opfer sinnloser Kriege hoffen, dass unsere Geschichte der Freiheit, unsere Geschichte mit Gott weitergeht, über den Tod hinaus weitergeht und sich österlich vollendet.

Amen.