Impuls am Ersten Fastensonntag (26.02.2023)

Sich selbst verleugnen, um Christus zu folgen. Den Leib in Zucht nehmen. (RB 4,10-11)

Spätestens seit der Initiative „Out in Church“ bekomme ich bei dem geistlichen Werkzeug der Selbstverleugnung ein ungutes Gefühl. Machte diese Initiative doch gerade auf schmerzliche und beschämende Weise bewusst, wie der Druck, die eigene Identität oder sexuelle Orientierung nach außen hin (und zum Teil auch innerlich) immer wieder verleugnen zu müssen, Menschen krank und unglücklich macht.

Auch in der Rezeptionsgeschichte der Benediktsregel wurde noch im letzten Jahrhundert die Forderung nach Selbstverleugnung als wirksames Instrument geistlicher Macht genutzt, um Menschen klein zu halten, und als fromm klingende Ausrede, um Menschen gerade nicht in ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung mit ihren Talenten und Begabungen zu fördern.

Das Wort der Selbstverleugnung geht auf die Aufrufe Jesu zur Nachfolge zurück (vgl. Mt 16,24 oder auch Lk 9,23): „…, um Christus zu folgen.“ Liest man diese Bibelstellen im Kontext, dann geht es Jesus um die Bereitschaft des Einzelnen, sich selbst mit Haut und Haar, also einfach ganz in die Nachfolge zu stellen.

Mit einer inneren Bereitschaft, die auch das Aushalten von Unverständnis und Ablehnung bei anderen bis hin zur Verfolgung nicht scheut.

Den Leib in Zucht zu nehmen ist in der Benediktsregel eine Form, wie sich die Nachfolge konkretisieren soll. Die Nachfolge Christi mit der eigenen, ganzen Person und mit jeder Faser meines Menschseins scheint mir hier der entscheidende Schlüssel zu sein: Denn wenn ich das ernst nehme, dann geht es natürlich nicht in erster Linie um mich, sondern um die Hinordnung auf Christus. So macht die Selbstverleugnung vielleicht Sinn.

Wirkliche Nachfolge ereignet sich aber vor allem aus einer freien Entscheidung heraus. Und die „Freiheit eines Christenmenschen“ macht eben auch aus, dass er sich selbst als Mensch mit all seinen guten und schlechten Seiten, seinen Talenten und Schwächen annehmen und lieben darf (und natürlich auch einschließlich seiner sexuellen Identität oder Orientierung), eben weil er sich als Mensch mit all seinen guten und schlechten Seiten, seinen Talenten und Schwächen, eben mit Haut und Haar in seinem Menschsein als von Gott angenommen und geliebt wissen darf.

P. Vincent Grunwald OSB