Predigt am 3. Sonntag im Jahreskreis (23.01.2022)

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Lesejahr C
Lesung: 1 Kor 12,12-31a
Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21

Das antike Korinth war eine Metropole des Handels, eine Weltstadt, in der Menschen verschiedener Völker, Kulturen und Religionen lebten.
Teil dieser bunten Gesellschaft war auch die christliche Gemeinde von Korinth. Paulus selbst hat sie im Jahr 50 gegründet und war aufgrund seines anderthalbjährigen dortigen Aufenthalts gut mit ihr vertraut.
Die meisten der ca. hundert Gemeindemitglieder stammten aus heidnischen Traditionen, doch gab es auch einen bedeutenden judenchristlichen Anteil. Die Mehrheit bildeten Sklaven, Freigelassene, Hafen- und Lohnarbeiter, Matrosen und Handwerker, dazu kamen einige wenige begüterte und angesehene Leute.
Diese Vielfalt sozialer und religiöser Prägungen forderte die Gemeinde heraus und führte zu vielfältigen Spannungen und Spaltungen in theologischen, ethischen und sozialen Fragen. Diese Streitigkeiten veranlassten Paulus schließlich, der Gemeinde von Korinth einen Brief zu schreiben.

In den Spannungen der Gemeinde von Korinth zeigt sich ein Thema, dass die Kirche Jesu Christi bis heute begleitet: Die Verbindung von Einheit und Verschiedenheit.
Wie aktuell dieses Thema bis heute ist, zeigt sich nicht zuletzt an der am vergangenen Mittwoch begonnenen diesjährigen Weltgebetswoche für die Einheit der Christen (18. – 25.01.2022).

Um die notwendige Verbindung von Einheit und Vielfalt in Kirche und Gemeinde zu illustrieren, nimmt Paulus in seinem Brief das in der Antike populäre Bild des menschlichen Organismus auf: Wie der Leib nur einer ist und trotzdem viele Glieder hat, so hat die Gemeinde viele Glieder, ist aber nur ein Leib.

Paulus weist darauf hin, dass die Gemeinde nicht nur in irgendeiner Beziehung zum Leib Christi steht, sondern der Leib Christi ist: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm“ (12,27). Denn „durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (12,13).
D.h., die Gemeinde muss sich nicht erst durch ihr Verhalten zum Leib Christi entwickeln, sondern an ihrem Leben soll erkennbar werden, was alle durch die Taufe schon sind: Leib Christi.

So verdeutlicht Paulus mit dem Bild vom Organismus des Leibes Christi sowohl das Verhältnis der Gemeinde zu Christus, als auch die Beziehungen der einzelnen Glieder untereinander. Sie sind aufgrund ihrer Verschiedenheit zwar nicht gleichartig, wohl aber gleichwertig. Alle Glieder des Leibes sind gleich wichtig und gleich nötig, sie sind aufeinander abgestimmt und voneinander abhängig.

Wenn Einheit nicht mit Einheitlichkeit verwechselt wird, können Vielfalt und Verschiedenheit als ein Reichtum erfahren werden, der allen dient.
Dann gilt: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit.“ (12,26)

Der Theologe Gotthard Fuchs nimmt dieses Bild auf und denkt es systemisch weiter. Dabei knüpft er an die Methode der Fußreflexzonenmassage an: „Jeder Massagedruck an Fersen, Sohle, Zehen schickt energetische Grüße an das entsprechende Organ und kann über gesund und krank informieren. … Schon der kleine Zeh kann seismographisch auf Störungen im Gesamtsystem aufmerksam machen.“ Übertragen auf den Leib Christi bedeutet das: „Jeder einzelne Christ zum Beispiel kann für den kirchlichen Gesamtkörper … von größter Signalwirkung sein, mindestens in diagnostischer Sicht. … Vermutlich würde man bei einem der Organe, die sich gern für besonders zentral halten, erhebliche Infektionen oder gar Krankheiten feststellen, die bis zum kleinen Zeh durchschlagen: in Gestalt zum Beispiel eines klerikalistischen Amtsverständnisses oder einer obrigkeitlichen Kirchenauffassung. Womöglich müsste am Gesamtkörper eine Immunschwäche diagnostiziert werden: Glaubensmüdigkeit, Mittelmaß, mangelnde Leidenschaft“ (CiG Jg. 69 (2017), 459).

Diese Diagnose des kirchlichen Gesamtkörpers ist uns schon seit einigen Jahren bekannt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat sich Papst Franziskus z.B. gegen den Klerikalismus und den mangelnden Kontakt vieler kirchlicher Amts- und Würdenträger zu den Menschen und ihren Lebenswelten gewandt.

Aktuell präsent wurde dies am vergangenen Donnerstag in München, als die Gutachter einer Kanzlei das mehrbändige Ergebnis ihrer Arbeit als „Bilanz des Schreckens“ vorstellten, was die Öffentlichkeit erneut erschütterte und weiterhin bewegt.

Viele haben mittlerweile das Vertrauen in die Kirche verloren, für manche bleibt nur noch der Kirchenaustritt.
Angesichts dieser Situation betont Bischof Overbeck von Essen die Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen und die Ursachen des Missbrauchs-Skandals zu erkennen und zu überwinden, zudem sagt er: „Wir müssen uns als katholische Kirche erneuern; gerade bei den großen Fragen der Machtkontrolle, der Geschlechtergerechtigkeit und der Sexualmoral, um nur einige Themen zu nennen, die beim Synodalen Weg kontrovers diskutiert werden. … Das wird nur gelingen, wenn wir keine Kirche des Stillstands sind, sondern eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns“ (WP 22.1.22, PPL2).

Für eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns bietet das heutige Evangelium programmatische Orientierungspunkte, denn hier stellt Jesus zu Beginn seines Wirkens in Nazareth mit den Worten des Propheten Jesaja fünf Kernpunkte seiner Verkündigung vor:

  • Den Armen eine frohe Botschaft bringen, d.h. Zuwendung zu den Armen und Benachteiligten, sich von ihrer Not berühren lassen, ihnen eine Stimme geben und Wege zum Leben zeigen.
  • Den Gefangenen die Entlassung verkünden, d.h. Menschen von Regeln, Strukturen und Haltungen befreien, die Leben verhindern, und sie dafür stärken, den Weg in die Freiheit zu wagen.
  • Den Blinden das Augenlicht geben, d.h. Menschen ermutigen, ihren Blick zu heben, auf- und hinzuschauen, einander Ansehen zu geben und die Augen für die eigene Wahrheit zu öffnen.
  • Die Zerschlagenen in Freiheit setzen, d.h. sich jenen zuwenden, die unter der Last bedrückender Erfahrungen leiden, die von den Erwartungen anderer erdrückt oder von äußeren oder inneren Konflikten zerrieben werden.
  • Ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen, d.h. Versöhnung suchen mit sich und den anderen und gemeinsam neue Wege wagen.