Predigt am Hochfest Allerheiligen (01.11.2021)

von P. Abraham Fischer OSB

„Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es“ – so ruft uns am heutigen Allerheiligenfest die Lesung aus dem Johannesbrief zu!

Und genau in diesem Geheimnis – nämlich, dass wir nach Jesu Lehre Gott unseren Vater nennen – darf ich Sie heute hier in der Kirche und am Livestream begrüßen mit den Worten:

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Wenn wir im apostolischen Glaubensbekenntnis miteinander sprechen „ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen!“ –  „sanctorum communionem“ – so bezieht sich das auf das heutige Fest.

Allgemein assoziiert man mit der gängigen Übersetzung, dass es sich nur um eine Gemeinschaft der Heiliggesprochenen handele – also um jene Menschen, die durch Gerichtsverfahren der katholischen Kirche zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Wir haben in den Heiligen große Vorbilder, die wir in der Herrlichkeit Gottes glauben und die unserem Leben und Ringen Ziel und Richtung geben können. Das heutige Fest aber spannt den Bogen weiter, umfassender, eben katholischer: Wir gedenken heute der vielen Heiligen, die unerkannt blieben. Heiligkeit hat also nicht nur etwas mit den Heiligsprechungsverfahren der kirchlichen Behörden zu tun, sondern vielmehr mit einem Leben, das sich zutiefst auf das Heilige oder auf den Heiligen bezieht.

Wir sind und wir werden also nicht durch uns selbst oder gar durch Leistungen, durch viele Gebete oder herausragende Taten zu Heiligen, sondern Gott allein ist es, von dem her wir heilig sein können. Er – der Heilige schlechthin – hat uns Menschen gewollt und geschaffen. Damit hat er seinem Ebenbild Anteil an seiner Heiligkeit gegeben. Heiligkeit ist ein Geschenk, das Gott gibt und uns zuspricht. Menschen, die damit in Resonanz gehen, werden zu Heiligen. Menschen, die im Geiste Gottes zusammenkommen, werden zu einer Gemeinschaft der Heiligen, weil sie Gemeinschaft und Anteil am Heiligen haben und sich darin gegenseitig bestärken.

Das gilt auch für uns hier und heute. Als Getaufte kommen wir am Heiligen zusammen. Das ist eine große Würde, die wir als Kinder Gottes mit der Taufe empfangen haben. Das ist aber auch eine Aufgabe: wenn wir uns wirklich zu Herzen nehmen, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, dann müssen wir unser Leben und Handeln ändern. Es kann nicht mehr so weitergehen wie bisher. Gott ist der, der sich mitteilt, Gott ist der, der sich mit uns teilt. Er wird darin keineswegs weniger, sondern seine Anwesenheit in dieser Welt wächst mit jedem Menschen, der erkennt, dass Gott da ist und dass er teilende Liebe ist. Wo sich die Liebe mehrt, da reichert sich Gottes erfahrbare Anwesenheit in der Welt an.

Hierin sehen wir die Gemeinschaft am Heiligen in der Welt: dass die Liebe mehr wiegt als der Hass, dass Ländereien und aller Besitz nicht erobert, erstritten werden muss, sondern dass wir erben. Wir sind Beschenkte von Gott aus und haben daher keine Angst vor Verlust, weil in diesem Sinn nichts Eigentum ist, sondern das, was wir übergangsweise besitzen dürfen, ist ein unverdientes Geschenk. Das fängt mit unserem Leben an, das wir nicht aus uns selber zeugen, sondern das Gott uns schenkt.

Teilen macht das Leben nicht dunkler. Im Gegenteil: Alles Licht, das wir miteinander teilen, vermehrt die Helligkeit. Wo die Liebe ist, da schwindet die Angst und das Leben wächst. Es ist das Merkmal unseres Gottes, dass er sich teilt. Das Herz des Gekreuzigten steht offen für alle und er teilt sein göttliches Leben mit uns Menschen. Auch in den dunkelsten Stunden wendet sich  Gott nicht ab, sondern er teilt unsere Not, unsere Sorgen, alle Ängste, allen Schmerz. Das ist das Geheimnis in Jesus Christus. Er ist der Emmanuel, der Gott mit uns.

Das wäre dann auch Hierarchie – ein Wort, das in unserer Kirche derzeit oft ausgesprochen wird. Aber welcher Sinn steht dahinter? Bedeutet Hierarchie, dass eine Ordnung heilig sei, vielleicht deshalb sogar unveränderbar? Ich glaube, dass das eine Verweltlichung der Theologie der Hierarchie ist. Der Begriff bezieht sich wohl stärker auf eine Ordnung des Heiligen. Also Gott, der Heilige ordnet oder auch das Heilige wird geordnet. So kann man den Genitiv am besten übersetzen.

Der theologische Fachbegriff bezieht sich spezifisch auf das Weiheamt der Kirche und er hat in diesem Sinne eine wunderbare Bedeutung: Wer geweiht ist, ist beauftragt zu teilen. Daher gibt es nur drei Weihen in der Kirche: die zum Diakon, der beauftragt ist, die Gaben des Glaubens vom Altar zu den Rändern zu bringen und Sakramente, die sich die Getauften spenden, zu bezeugen. Er ist die Nahtstelle zwischen Gottes Dienst und den Menschen, weil er die Gnade, das Geschenk weitergibt. Die weitere Weihe ist die zum Priester. Er steht an dem Ort, an dem das Brot und der Kelch geteilt werden. Es ist die Stelle Jesu, der sich uns schenkt, der sich teilt und mit jedem Brotbrechen, mit jeder Eucharistie mehr wird im Herzen der Welt und in der Mitte der Menschen. Und dann ist da der Bischof. Seine Beauftragung ist es, Priester zu weihen. Damit ist er in der Lage und beauftragt, die Kirche zu vermehren, indem er seine Aufgabe mit den Priestern teilt. Von Jesus aus erging eine ununterbrochene Reihe der Handauflegungen, die sich immer wieder geteilt hat und inzwischen ein Netz des Teilens geworden ist. Bischöfe sind Keimzellen einer Beauftragungslinie, in deren Teilung sich die Kirche vermehrt.

Hierarchie ist die Ordnung des Heiligen, aller Heiligen und alles Heiligen. Sie bezieht sich auf einen Gott, der nichts für sich behält, sondern alles mitteilt. Hierarchie ist kein Besitz, sondern selber Geschenk mit dem Auftrag, zu vervielfältigen, weiter zu geben und immer und immer und immer wieder zu teilen, weil nur so vermehrt werden kann. An dieser Essenz des Weiheamtes wird deutlich, dass Teilen nicht arm macht. Wir brauchen also nichts festzuhalten, keinen Besitz zu verwalten und schon gar keine Besitzstandswahrung zu betreiben.

So eröffnen auch die Seligpreisungen des Evangeliums eine neue Dimension: Die Seligen sind jene, die auf Gott vertrauen und das Teilen erfahren, das aus seinem Auftrag an die Welt und das aus seinem Dasein in der Welt erwächst: Heilige haben teil an einer Welt, in der alles allen gehört, weil Gott schon immer alles in allem ist. Dazu sind wir in diesem Erdental berufen, damit wir „durch Gottes Gnad und Wahl zum Himmel kommen allzumal“. (GL 542)

Amen.