Predigt am Dritten Adventssonntag (11.12.2022)

von P. Johannes Sauerwald OSB

Les: Jes 35,1-6b.10
Ev.: Mt 11,2-11

Heute ist der Gaudete-Sonntag. Im Introitus ruft der Apostel Paulus auf: Freuet euch, wiederum sage ich: Freuet euch! Diese Freude ist eine Vorfreude, denn wir haben bald Weihnachtsfest und feiern die Menschwerdung Jesu Christi.
Die Freude ist eine Frucht der Hoffnung auf Jesu Ankunft in dieser Welt und das Kommen des Gottesreiches.

Wenn ich gefragt werde, was für mich Hoffnung ist, dann erzähle ich gerne von den Wallfahrten mit Studierenden nach Chartres. Mit einer Gruppe der Mescheder Hochschulgemeinde nahmen wir daran fast jährlich als Gäste der Pariser Katholischen Studentengemeinden teil. Die Wallfahrt fand meistens am Wochenende um Palmsonntag statt. Die äußeren Umstände waren spartanisch einfach. Es kam in erster Linie darauf an, sich in Gesprächen und Gesängen auf die Mitpilger, überwiegend französische Studentinnen und Studenten, einzulassen, vor allem aber, die ca. 30 km lange Strecke zu Fuß, mit dem Gepäck im Rucksack, zu bewältigen, nur unterbrochen durch die Übernachtung auf dem Boden einer Scheune. Am nächsten Morgen ging es weiter, bis wir schließlich an der Kathedrale in Chartres ankamen und darin die Eucharistie feierten, jedes Mal ein unvergessliches Erlebnis.

Ein Eindruck während dieser Wallfahrten kehrte immer wieder und hat sich mir tief eingeprägt. Er hilft mir, zu verstehen, was Hoffnung ist: Wir werden mit Bussen bis zum Startpunkt gefahren. Dann gehen wir los und auf Chartres zu, unser Ziel, ohne es vor Augen zu haben. Dann steigt das Gelände an, wir kommen auf einen erhöhten Punkt der weiten Ebene und sehen auf einmal, ganz weit entfernt und wegen der Dunstschleier an der Horizontlinie klein und nur schwach erkennbar, eine Andeutung von den beiden Türmen der Kathedrale. Wir weisen uns gegenseitig auf diesen Punkt hin. Aha, wir sind auf dem richtigen Weg. Doch dann senkt sich die Landschaft wieder, wir gehen durch eine Bodenwelle, das Blickfeld engt sich ein, Aber nach einer Reihe von Kilometern können wir wieder in die Ferne schauen, und siehe da: die Kathedrale ist ein bisschen näher gerückt.

Nicht immer sehen wir unterwegs die Erfüllung unserer Sehnsucht so nahe vor uns wie auf dieser Pilgerroute. Es gibt Zeiten, da sehen wir nicht weit, sondern tasten uns mühsam Schritt für Schritt weiter, umgeben von Steilwänden wie in einer finsteren Schlucht. Im Römerbrief sagt Paulus zu Recht: Hoffnung, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung (8,24). Gerade deswegen kommt es ihm auf die Geduld in unsicheren Zeiten an, darum ruft er die Gemeinde in Rom auf:  Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig und beharrlich im Gebet!

Wenn die Hoffnung nicht erlahmen soll, braucht sie Ermutigungen, Bestätigungen, eine innere Verbindung mit der Aussicht auf das verheißene Erbe.
Sie fasst ja Möglichkeiten ins Auge, die in der harten Alltagswirklichkeit mit ihren Sachzwängen unterzugehen drohen.
Sie reißt gegen alle Erfahrung Grenzen nieder, überwindet Vorbehalte, Bedenken und Niederlagen,
und gibt den Glauben an ein gelingendes Leben in Gerechtigkeit und Freiheit nicht auf.

In der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja öffnet sich eine hoffnungsfrohe Aussicht. In ihr findet die Schöpfung zurück zu ihrer ursprünglichen Schönheit, die Wüste blüht auf und fängt an zu jubeln. Der Mensch wird wieder ganz heil und unversehrt. Blinde erhalten ihr Augenlicht zurück und Lahme springen wie ein Hirsch. Die Gefangenschaft eines unterdrückten und dem Tode verfallenen Daseins nimmt ein Ende, ein neuer Exodus steht bevor. Jesaja erinnert an die Urerfahrung Israels, den Auszug aus der Sklaverei Ägyptens, das unbeschreibliche Geschenk, frei zu werden für den kostbaren Reichtum des göttlichen Lebens und nicht mehr der Willkür fremder Mächte ausgesetzt zu sein.

Johannes der Täufer war davon überzeugt, dass noch in seiner Zeit der Messias kommen wird, und mit ihm das lang erwartete Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Um das Gottesvolk darauf vorzubereiten, predigte er die Umkehr. Denn ohne innere Wandlung würde stattdessen das Zorngericht Gottes über sein Volk hinwegfegen. Dann wurde er von den Mächtigen aus Angst vor einem Aufruhr gefangengesetzt. Seine Gefangennahme aber machte ihn unsicher, ob seine Predigt aufs Ganze gesehen trotz vieler Bekehrungen wirkungslos blieb. Darum sein Frage an Jesus: Bist Du der von Gott versprochene Retter?
Oder sollen wir auf einen anderen warten?

In seiner Antwort sagt Jesus weder Ja noch Nein. Aber er weist darauf hin, was sich jetzt in der Gegenwart ereignet: Die Botschaft des Jesaja erfüllt sich:
Menschen werden geheilt.
Jesus zeigt nicht auf sich, sondern auf die Tiefendimension der Umwandlung von Menschen, die von der Frohen Botschaft sichtbar erfasst, berührt, verwandelt werden. Was geschieht, sind Zeichenhandlungen, Anzeichen, Momente des Aufatmens, zu-sich-selber-kommens.  Er selbst ist ein lebendiges Zeichen der Gottesnähe, auch dann, wenn er für seinen Einsatz leiden muss. Ein Zeichen der Hoffnung wie die Kathedrale von Chartres auf unserem Pilgerweg.

In Jesu Worten und Taten wird das Futur ins Präsens gebracht, kommt die ferne Zukunft ins Jetzt, an diesen Ort, hier. Auch in unsre Zeit. Die engen Grenzen der Zeiten werden aufgebrochen. Das kommende Gericht wird von der Barmherzigkeit unterlaufen. Wer sich auf sie einlässt, ist schon gerichtet. Sie ist es, an der sich der Glaube des Menschen entscheidet. Wer in ihr den barmherzigen Gott in dieser Welt wirken lässt, wird gerettet. Selig sind die Armen vor Gott, verkündet Jesus, der Christus. In den Hoffenden lässt sich die Herrlichkeit Gottes nieder. Deswegen kann er auch sagen: Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.

Liebe Schwestern und Brüder, wie kann die Freude des Advents bei uns einziehen? Indem wir die Hoffnungsbilder und -zeichen in uns wirken lassen, hinein in unser Dunkel, sie miteinander teilen und Gottes Willen tun.