Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (06.02.2022)
von P. Erasmus Kulke OSB
Liebe Schwestern und Brüder,
dieser Jesus muss schon eine gewisse Faszination auf Petrus und seine Fischerkollegen ausgeübt haben. Sonst wären sie wohl nicht seiner Aufforderung gefolgt und wären ein weiteres Mal zum Fischen auf den See hinausgefahren. Immerhin hatten sie sich die ganze Nacht völlig umsonst abgemüht und nichts gefangen. Und Jesus war kein Fachmann in Sachen Fischerei. Und trotzdem haben sie auf ihn gehört. Vielleicht waren sie von dem Wort Gottes, dass er gerade den Menschen verkündet hatte, so tief berührt. Vielleicht haben sie es aus Dankbarkeit getan, weil Jesus zuvor schon die Schwiegermutter des Petrus geheilt hatte. Jedenfalls machen sie nun den Fang ihres Lebens. Die Netze, die in der Nacht gähnend leer geblieben waren, sind nun über und über voll mit Fischen, so dass sie zu reißen drohen. Und da schwant es wohl dem Petrus: hier muss Gott selbst seine Hand im Spiel haben. Hier steht ihm in Jesus der Heilige Gottes gegenüber. Und da bekommt er es mit der Angst zu tun. Er hat Angst, dass er vor Gott nicht bestehen kann. „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr“, platzt es aus ihm heraus. Im Angesicht des Heiligen und Reinen schlechthin fühlt er sich „schmutzig“, sündig, unrein und unwürdig.
Ähnlich ergeht es Jesaja, von dem wir in der Lesung gehört haben. Als er Gott zu Gesicht bekommt ruft er aus: „Weh mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich.“
Angst vor Gott, Angst, vor ihm nicht bestehen zu können: ich glaube, dass es das bei vielen Gläubigen heute immer noch gibt, auch wenn das manchen vielleicht gar nicht so bewusst ist. Die Älteren von uns sind vielleicht noch von einer schwarzen Pädagogik geprägt, in der den Kindern Angst vor Gott gemacht wurde, um sie gefügig zu machen. „Ein Auge ist, das alles sieht, selbst was in dunkler Nacht geschieht!“
Auch manches Kirchenlied vermittelte ein angstmachendes Gottesbild, wie z.B. „Strenger Richter aller Sünder, treuer Vater deiner Kinder, der du in dem Himmel wohnst, drohest, strafest und belohnst.“
Gott als strenger und strafender Richter, als akribischer Buchhalter, der Zeit meines Lebens jede noch so kleinste Sünde unerbittlich notiert, solche angstmachenden Gottesbilder sitzen oft sehr tief, oft in unserem Unbewussten und gerade deshalb werden sie gar nicht so selten an nachfolgende Generationen
weitergegeben, auch das oft unbewusst.
Letztlich sind das dämonische Gottesbilder, denn sie führen uns von Gott weg. Denn wie soll ich jemanden lieben, vor dem ich in meinem tiefsten Innern Angst habe. Den werde ich mir doch vielmehr weit vom Leib halten. Und so lebe ich in einem ständigen Zwiespalt.
Das Ermutigende an dem heutigen Evangelium ist, dass es Jesus gar nicht stört, dass Petrus ein Sünder ist. Das wusste er ja sicherlich schon, bevor Petrus es bekannt hat. Vielmehr sagt er zu ihm: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“
Ja, vor Gott müssen wir uns nicht fürchten, weil wir unvollkommen sind, manchmal Böses denken oder tun, versagen, weil wir Sünder sind. Das ist zutiefst menschlich. Das ist unsere Wahrheit. Doch Gott liebt uns so, wie wir sind, bedingungslos. Und so, wie wir sind, mit unseren Grenzen und Schwächen, will er auch uns in seinen Dienst nehmen. So wie den Petrus, der ihn dreimal verleugnet hat, und der trotzdem der Apostelfürst geworden ist und gemeinhin als erster Papst gilt. So wie Jesaja. So wie viele andere „Helden“, die uns in der Bibel begegnen und die oft gar nicht heldenhaft daherkamen. Der folgende Text bringt es auf den Punkt:
Jakob war ein Betrüger,
Petrus war impulsiv,
David hatte eine Affäre,
Noah betrank sich,
Jonah lief von Gott weg,
Paulus war ein Mörder,
Miriam war eine Tratschtante,
Martha machte sich viele Sorgen,
Gideon war unsicher,
Thomas war ein Zweifler,
Sarah war ungeduldig,
Elijah war depressiv,
Moses stotterte,
Zachäus war klein,
Abraham war steinalt
und Lazarus war tot.
Gott ruft nicht die Qualifizierten. Er qualifiziert die Berufenen.
Einer, der das begriffen hat und es auch lebt, ist unser Papst Franziskus. Wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst hat er in einem Interview gesagt: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Papstes hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Jesuiten – und das ist Franziskus durch und durch – ist aber gar nicht so verwunderlich. Denn am Anfang der großen ignatianischen Exerzitien, die jeder Jesuit zu Beginn seines Ordenslebens macht, steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Sündhaftigkeit, der Verstrickung in den Strukturen des Bösen – und das begegnet uns schon auf den ersten Seiten der Bibel. Das heißt, man stellt sich seinen eigenen Abgründen, seinen Schattenseiten, seiner eigenen Wahrheit, ungeschminkt. Doch dann geht es in den Exerzitien weiter und der Exerzitant richtet seinen Blick auf Jesus, wie er aus lauter Liebe zu uns Menschen vom Himmel herabsteigt und Mensch wird, wie er uns sündige Menschen in seine Nachfolge ruft und wie er in seiner großen Liebe bis zum Letzten geht und für uns sein Leben hingibt. In den Exerzitien erkenne ich also nicht nur, dass ich ein Sünder bin, sondern zugleich, dass ich als Sünder in unvorstellbarem Maße von Gott geliebt bin – und von ihm berufen bin. Und das ermöglicht mir, mich selbst anzunehmen, zu meinen Schwächen, meinem Versagen, zu meinen Schattenseiten zu stehen. Und das gibt mir eine große innere Freiheit, die es mir ermöglicht, der Liebe in meinem Leben mehr Raum zu geben, das Böse durch das Gute zu besiegen – mit Gottes Hilfe.
Ja, vor Gott brauche ich keine Angst zu haben. Er liebt mich so wie ich bin. Und so wie ich bin, will er mich als Mitarbeiter an seinem Reich des Friedens.
Und so möchte ich schließen mit Worten eines unbekannten Verfassers, die mit „Ermutigende Worte Jesu an Dich!“ überschrieben sind:
„Ich kenne dein Elend, die Kämpfe, die Drangsale deiner Seele, die Schwächen deines Leibes. Ich weiß auch um deine Feigheit, deine Sünden, und trotzdem sage ich dir: ‚Gib mir dein Herz, liebe mich, so wie du bist!‘
Wenn du darauf wartest, ein Engel zu werden, um dich der Liebe hinzugeben, wirst du mich nie lieben. Wenn du auch feige bist in der Erfüllung deiner Pflichten und in der Übung der Tugenden, wenn du auch oft in jene Sünden zurückfällst, die du nicht mehr begehen möchtest, liebe mich, so wie du bist!
In jedem Augenblick und in welcher Situation du dich auch befindest, im Eifer oder in der Trockenheit, in der Treue oder Untreue, liebe mich, so wie du bist! Ich will die Liebe deines armen Herzens; denn wenn du wartest, bis du vollkommen bist, wirst du mich nie lieben!
Wenn du mir deine Liebe schenkst, werde ich dir so viel geben, dass du zu lieben verstehst, weit mehr als du dir erträumen kannst. Denke jedoch daran, mich zu lieben, so wie du bist!“