Predigt am 2. Sonntag im Jahreskreis (17.01.2021)

von Br. Benedikt Müller OSB

„Wohnst du noch oder lebst du schon?“

Liebe Schwestern und Brüder!

Sicher kennen viele von uns diesen Werbespruch einer schwedischen Möbelfirma. Ein Einkauf in Schwedens „Möbelhaus“ ist mit einigen Mühen verbunden und kann leicht zur Geduldsprobe, wenn nicht gar zum Albtraum werden! Lange Anfahrten, überfüllte Hallen, entlegene Regalpositionen, schwere und sperrige Pakete, kaum unterzubringen im eigenen oder geliehenen Wagen, quengelnde Kinder, ungesunde Fleischklöße. Und dann erst der Aufbau zu Hause! „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ erscheint da als beinahe zynische Frage. Es ist der Versuch, das „Leben“ uns als mehr oder weniger erschwingliche Möbel zu verkaufen. Für diese „Lebens.Möbel“ nehmen wir einiges auf uns. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Natürlich brauchen wir solche und ähnliche Möbel, wenn wir einmal umziehen oder ins Kloster eintreten. Aber: Findet unser Leben in den Möbeln seinen wohnlichen Grund? Nun, unser heutiges Evangelium geht da weiter und setzt dort an, wo die IKEA-Werbung aufhört. Es fragt uns gleichsam: „Lebst du noch oder bleibst du schon –  und wohnst?“

Die Berufungsgeschichte des Evangelisten Johannes ist eine Geschichte von Suchen und Finden und Bleiben. Der Ort der Geschichte: Bethanien jenseits des Jordan. „In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.“

Liebe Schwestern und Brüder! Das ist die Initialzündung für die ganze Geschichte. Am Anfang steht das Zeugnis Johannes des Täufers über Jesus: Das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Das ist eine Antwort auf die Frage danach, wie Menschsein wieder zurechtgebracht und aufgerichtet werden kann. Gottes Lamm, das ist der Gottesknecht, von dem der Prophet Jesaja erzählt. ER, der Gottesknecht, Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt. ER, der Gottesknecht, der so wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt.

„Siehe, das ist Gottes Lamm“ ist die Antwort auf unser Fragen danach, wie wir Vergebung erfahren, um heilzuwerden. Es ist das, was uns das Christkind an Weihnachten gebracht hat. Geschenkte Erlösung! Es ist ein Finden dessen, wonach wir gesucht haben. Andreas wird danach zu seinem Bruder Simon sagen: „Wir haben den Messias gefunden.“

Das Rufen Jesu bleibt bei Johannes aus! Der HERR ruft nicht. Im Gegenteil. Als er sieht, dass die zwei Johannesjünger ihm nachfolgen, da FRAGT er: „Was sucht ihr?“ Sie antworten: „Wo wohnst du?“ Nun LÄDT er ein: „Kommt und seht!“ Und sie kommen und sehen, wo er bleibt – wo er wohnt. Und dann bleiben auch sie. Sie bleiben für den Rest des Tages und die Nacht bei Jesus. Vielleicht sind in diesem Moment ihre Herzenslampen wie die Lampen der klugen Jungfrauen mit Öl gefüllt und leuchten, auch wenn kein Wächter in der Wüste sie gerufen hat. Aber: Der Lichttag geht zu Ende. Die Sonne geht unter. Die Dämmerung zieht herauf. Irgendwann gehen die Öllampen vielleicht aus, es wird dunkel. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Es wird nicht dunkel bleiben, wenn Christi Licht in uns brennend leuchtet. Die Jünger sind gekommen um zu bleiben. Sie bleiben bei dem, den sie schon immer gesucht haben, zu dem sie schon immer gehört haben. Zwischen Jesus und den Jüngern besteht eine Verbindung. Dies wird deutlich in der Begegnung Jesu mit Petrus. „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels. Petrus.“ Auf diesem Felsen baut Jesus seine Kirche. Auf einem Felsen lässt es sich gut und sicher bauen, so hören wir es ja auch in der Geschichte „Vom Haus auf dem Felsen“. Jesus ist unser Fels, auf den wir bauen – unser Fels, auf dem wir wohnen. Mit Christus werden wir Felsen.Stark. Wie die Jünger, sind auch wir eingeladen, zu kommen um zu bleiben. Auch uns sah Jesus bereits unter dem Feigenbaum sitzen. „Lebst du noch,“ so lautet die Frage auch an uns in dieser Stunde. „Lebst du noch“ in deiner Rastlosigkeit, in deiner Suche nach Sinn, in deiner Orientierung an vorläufigen Zielen „oder bleibst du schon?“ Bist du angekommen auf dem Felsen, der DICH trägt?

Das heutige Evangelium verändert unsere Perspektive. Leben ist gut, auch Möbel sind gut, aber wohnen ist etwas Anderes. Wohnen heißt bleiben. „Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben.“ Bei Jesus haben wir eine ewige Bleibe, auch wenn uns das Leben übel mitspielt, auch wenn Möbel zu Bruch gehen.

„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“. Heute empfinden viele dieses alte Kindergebet vielleicht als problematisch, dabei drückt es einen wunderbaren Glaubenskern aus. Denn Jüngerschaft Jesu heißt: Wohnen. Christus will in mir Wohnung nehmen. Dafür muss ich die Enge meines Herzens weit machen, damit der König der Herrlichkeit einziehe. Wenn man ein möbliertes Zimmer bezieht, dann dauert es nicht lange, und das Zimmer sieht ganz anders aus. Das Bett steht woanders, die Stühle und der Tisch kommen in eine andere Ecke, neue Bilder werden aufgehangen und manches andere verschwindet ganz – das Zimmer verändert sich. Der Apostel Paulus schreibt im Epheser-Brief: „Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet.“ Wenn Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt, dann wird sich unser Leben spürbar verändern. Wenn Christus in unser Herz „einzieht“, dann kann unser Herz nicht so bleiben, wie es war. Dann kann es nicht mehr kalt, hart und lieblos bleiben, dann wird es warm. Jesus ist der Rhythmus im Puls unseres Herzensklangs. Er will nicht machtvoll in uns hausen, sondern in Liebe wohnen.

Im 27. Psalm heißt es: „Mein Herz denkt an dein Wort: Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz, o HERR, will ich suchen!“ Jüngerschaft heißt: Suchen und Finden. Das ist sicher die große Aufgabe für uns Missionsbenediktiner! Andere finden und suchen, damit sie wohnen können. Wie kann das bei uns in Königsmünster aussehen? Wie und wo halten wir auf dem Klosterberg die Frage nach dem tiefsten Grund unserer Existenz offen und zwar so, dass sich inmitten des vielfältigen Lebens, das wir ringsum sehen, auch hier die Möglichkeit zum Bleiben in Christus eröffnet? Bringen wir das Wort vom Lamm Gottes zu den Menschen oder hausen wir in unserem Kämmerlein und entziehen uns den nach Gottes Liebe suchenden Menschen? Wo ergibt sich für uns die Gelegenheit, wie Jesus andere mit den Worten „Kommt und seht und bleibt“ anzusprechen? Und zwar mit liebender Offenheit, wachsamer Achtsamkeit, bejahender Ehrlichkeit, fragender Neugier und barmherziger Liebe?

Vielleicht gelingt es uns dann, wenn wir in unserem eigenen Herzens.Gebet Gott immer wieder bitten: „Die Enge meines Herzens mach weit“! Dann kann der König der Herrlichkeit ins uns einziehen und uns verwandeln in der Liebe. Denn Jüngerschaft heißt: Kommt und seht – sucht und findet – bleibt und wohnt und liebt einander. Dann wird unser bereites Herz fühlen, dass ER in uns angekommen und gegenwärtig ist und in uns Wohnung genommen hat.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.