Predigt am 31. Sonntag im Jahreskreis (30.10.2022)
von P. Cosmas Hoffmann OSB
Les: Weish 11,22-12,2
Ev: Lk 19,1-10
Zuvor zwei Informationen zu Zachäus:
- Er war oberster Zollpächter, Kollaborateur mit den römischen Besatzern, denen er eine Steuerpacht zahlte, um als Zöllner seine Landsleute steuerlich auspressen zu können. So galt er den Frommen als unrein, den Patrioten als Verräter und allen als ein Gauner, der sich seinen Reichtum zusammen ergaunert hat.
- Er war ein kleiner Mann mit großem Reichtum. Vielleicht besteht zwischen seiner geringen Körpergröße und seiner beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang, denn zum einen kann er in seiner Tätigkeit großes Geld machen, um selber groß dastehen zu können, zum anderen kann er in seiner Position als oberster Zollpächter andere klein machen, um sich groß fühlen zu können.
Leider aber hilft das nicht wirklich, sondern führt ganz im Gegenteil dazu, dass die anderen ihn immer mehr ablehnen und verachten.
Doch interessiert sich Zachäus nicht nur für Geld, sondern auch für das, was so passiert in Jericho und im Umland. So hat auch er schon von diesem Jesus gehört und verlangt danach, diesen Menschen mal mit eigenen Augen zu sehen.
Aber auch hier macht ihm seine kleine Körpergröße einen Strich durch die Rechnung, da er wegen der Menge nichts sehen kann.
Zachäus aber ist hartnäckig und beweglich, so läuft er der Menge voraus und klettert geschickt auf einen am Straßenrand stehenden Maulbeerfeigenbaum.
Diese Bäume sind nicht sehr hoch und haben weit auslandende Äste, auf die sich auch ein kleiner Mann gut heraufschwingen kann. Zudem ermöglicht ihm das dichte Laub des Baumes, gut verborgen alles bestens überschauen zu können – ideal für jemanden, der es gewohnt ist, andere zu kontrollieren und dabei selbst auf der sicheren Seite zu sein. Günstig aber auch für jemanden, der nicht gern gesehen ist und sich selbst auch lieber vor jenen verbirgt, die ihn keines Blickes würdigen oder mit bösem Blick hinter ihm herschauen.
So schwebt er nun auf einem weiten Zweig zwischen Himmel und Erde und verfolgt genau das weitere Geschehen, als plötzlich das Unvorhersehbare geschieht: Jesus sieht ihn. Genauer gesagt: Jesus blickt zu ihm herauf, schaut zu ihm auf! Eine ungewohnte Perspektive für jemanden, auf den sonst alle herabschauen oder vorbeisehen.
Was die anderen ihm verweigern, schenkt Jesus ihm nun: Ansehen.
Dann spricht ihn Jesus auch noch an. Er nennt ihn bei seinem Namen „Zachäus“.
Hier ist es gut zu wissen, dass der Name Zachäus sich vom griechischen Namen Zakchaios ableitet und meistens als Variante des hebräischen Namens Zakkaj gedeutet wird, der abgeleitet ist von der Wurzel זכך zkhkh „rein, hell, lauter sein“.
Mit dieser direkten und persönlichen Anrede mit seinem Namen vermittelt Jesus ihm, das er in ihm nicht den obersten Zollpächter sieht, sondern einen Menschen, der hell sein möchte, wahrgenommen und gesehen werden will.
Vielleicht verwandelt sich in der Folge das Gesicht des Zachäus, der nun Ansehen findet. Sein Züge lösen sich, sein Gesicht klärt auf, wird hell, und er beginnt zu strahlen.
Und dann wird es noch verrückter. Jesus sagt zu ihm: „Komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben“, d.h. bei Dir einkehren und übernachten. Jesus der Jude, der Rabbi, will mit ihm, den unreinen Zöllner gemeinsam essen und sogar in seinem Haus übernachten.
Zachäus soll vom Geldnehmer zum Gastgeber werden:
von einem, der bisher immer genommen hat, vor allem viel genommen hat, zu einem, dem zugetraut wird, dass er gibt und schenkt,
was er dann auch in großem Maße tut: die Hälfte seines Vermögens gibt er den Armen, und jenen, von denen er zu viel gefordert hat, gibt er das Vierfache zurück.
In der Weise, in der Jesus Zachäus anschaut und ihm Ansehen gibt, zeigt er: Was ich im anderen sehe, das erkenne oder entdecke ich in ihm. Wenn ich von anderen und vermutlich auch von mir selbst nur klein denke, wird mir nur Kleinheit begegnen. Wenn ich größer von anderen und mir denke, weitet sich der Blick und wird Wachstum möglich.
Der Psychoanalytiker Heinz Kohut machte darauf aufmerksam, dass Kinder es wollen und brauchen, sich im Glanz der Augen der Mutter und ihrer primären Bezugspersonen zu spiegeln.
In der Gegenwart ihrer Mutter spielende Kinder vergewissern sich immer wieder des Augenblicks der Mutter und werden so ermutigt, sich und die Welt im Spiel zu entdecken, innerlich zu wachsen.
Jesu Zuwendung hat das Leben des Zachäus verwandelt.
Jesu Zutrauen hat in ihm geweckt, was er in der Tiefe seines Herzens bereits ist, denn so sagt Jesus hier selbst: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. D.h. ein Mensch, der glauben und vertrauen kann, der sich anderen öffnen und zuwenden kann.
In diesem barmherzigen Handeln Jesu erfüllt sich, was in der Lesung aus dem Buch der Weisheit gesagt wird:
„Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst,
und siehst über die Sünden der Menschen hinweg,
damit sie umkehren.
Herr, du Freund des Lebens.“
Darum ist Gott Mensch geworden, hat sich zu uns auf Augenhöhe gestellt, uns Ansehen gegeben.
Darum ist der Menschensohn gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Doch wie ist es eigentlich mit Zachäus weitergegangen?
Tomás Halík, ein tschechischer Soziologe, Religionsphilosoph und Autor vieler geistlicher Schriften, hat die Erzählung von Zachäus ein wenig weitergesponnen und gibt damit auch schon einen Ausblick auf das kommende Allerheiligenfest. Denn Halík zufolge setzt Zachäus all seine guten Vorsätze in die Tat um und stirbt zufrieden in einem hohen Alter und gelangt in Abrahams Schoß. Und „obwohl er aufgrund ernster bürokratischer Hürden (er ist nämlich nicht getauft) durch die zuständige Vatikanische Kongregation nicht heiliggesprochen werden konnte, versagt ihm Jesus nicht nur nicht den Heiligenschein, sondern betraute ihn sogar mit einer Sonderaufgabe im Bereich Kommunikation zwischen Himmel und Erde: Der heilige Zachäus wird zum Schutzpatron der Ewig-Suchenden, all jener, die ‚Ausschau halten‘.“ (Tomás Halík, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute, Freiburg 2010, 229)