Predigt an Christi Himmelfahrt (09.05.2024)
von P. Abraham Fischer OSB
Es bleibt Abschied – auch Christi Himmelfahrt ist ein Fest des Lassens, des Loslassens.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Zwar ist der Abschied von „Himmelfahrt“ ein anderer als der damals an Karfreitag, als der Meister, der Rabbi und Lehrer Israels am Kreuz verendete, als sich die Resignation breit machte und nur noch das Gefühl des Scheiterns wichtig war – das war der erste Abschied: Trostlos, schmerzhaft, von der Ausweglosigkeit und von der Sinnlosigkeit geleitet. Ein menschlicher Abschied, wie er auch uns heutigen in jedem Moment bevorstehen kann. Karfreitag ist ein Abschied in das Dunkel, in das Sterben aller Hoffnung. Karfreitag – ein abgrundtiefes Scheiden ins Nichts.
Aber bleibt nicht auch an Himmelfahrt letztlich Abschied?
Meiner Empfindung nach wird den Jüngern an Himmelfahrt ein zweiter Abschied zugemutet. Wohl anders als der auf Golgatha. Vielleicht heller, lichter. Nicht das bittere Getrennte, das allen Menschen im Tod begegnet, sondern ein getröstetes Zurückbleiben scheint diesen Abschied, den wir im heutigen Fest meditieren, einzufärben.
Was die Jünger an Ostern zurückgesehen bekamen, all das Leben und diese wirkliche Gemeinschaft mit Jesus – sie können es nicht halten. Damals wie heute gilt: Es geht alles weiter. Neues will wachsen und sich entwickeln – auch in Jerusalem war das so. Dass dieses so lichte und helle, ja dieses begeisternde und glaubensfeste Ostergefühl endlich ist, dass der Alltag und das Leben es verändern und neu gestalten, das hatte ja schon der Auferstandene in der ersten Ostererfahrung der Maria von Magdala kundgetan: Dieser starken Frau wird schon am Ostermorgen selbst der Abschied von Himmelfahrt zugemutet. In der Theologie des Johannes fallen all die Feste, die wir nacheinander feiern, um die Geheimnisse wenigstens ein wenig fassen und verinnerlichen zu können, in der Theologie des Johannes fallen Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt in eins. „Noli me tangere“ so spricht der Auferstandene zu Maria – Noli me tangere – Klammere nicht, erstarre nicht; noli me tangere: lass mich in dir wachsen, mache keine endgültigen Bilder von mir, habe Mut, mich jeden Tag neu zu sehen, anderes zu erfahren; noli me tangere: lass mich sein, so wie ich bin, bleibe offen für all mein Sein, für all meine Wahrheit und für die vielen verschiedenen Formen der Liebe. Noli me tangere! Halt mich nicht fest.
Abschied und Trennung sind auch Gefühle von Himmelfahrt. Geduld und Hoffnung aber unterschieden diesen Abschied von Karfreitag. Der heilige Geist – der ja mit Recht „der Tröster“ genannt wird – er ist das eine Abschiedsgeschenk, er ist die Erinnerung an Jesus, die alle Menschen verbinden kann.
Wer aber im Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit… So der hl. Benedikt.
Oder mit den Worten der großen Theresa:
O Seele, suche dich in mir
und, Seele, suche mich in dir
Die Liebe hat in meinem Wesen
dich abgebildet treu und klar:
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren
als meines Herzens schönste Zier:
bist Du verirrt, bist du verloren,
o Seele, suche dich in mir!
In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such‘ nicht dort und such‘ nicht hier:
gedenk‘, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche mich in dir!
Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für:
Ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier,
dann ruf‘ mich und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen,
und, Seele, suche mich in dir!
Teresa von Avila
Und es bleibt ein zweites Abschiedsgeschenk. Von ihm spricht das Evangelium und schlägt damit die Brücke von damals zu heute. Dieses zweite Abschiedsgeschenk wird nicht unbedingt auf den ersten Blick als Gabe und Geschenk deutlich. Und trotzdem ist es eine Hilfe – vielleicht die einzige echte und wirkungsvolle – gerade in Trauer und Abschied. Dieses zweite Vermächtnis Jesu ist ein ganz einfaches, ein völlig alltägliches: Es ist sinnvolle Arbeit. Das mag nun für jeden und jede verschieden aussehen, liebe Schwestern, liebe Brüder. Im weitesten Sinn ist es die Arbeit im Weinberg des Herrn, im Reiche Gottes. Das meint die Liebe zu allen und allem.
Der Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ – er hat ganz viel Alltägliches an sich. Er fordert uns auf, gerade im Alltag und im Kleinen treu zu bleiben. Das Vermächtnis Jesu bedeutet uns allen viel alltägliche Kleinarbeit – manchmal fordert es nur jene, dass wir dem eigenen Leben treu und liebevoll auf der Spur bleiben und nicht in Tod und Trauer, im ständigen Abschied, den das Leben täglich fordert, verhaften. Wer seine Arbeit liebt – und ich meine hier nicht nur die spezifisch kirchlich seelsorgerische – wer seine Arbeit liebt, der weiß um das Geheimnis, das jedem sinnvollen Tun innewohnt.
Wer langsam und geduldig seine Schwimmbewegungen im Meer des Alltags macht, den trägt das Wasser. Wer in Beharrlichkeit und innerem Glauben sein alltägliches Tun beginnt, der wird mit der Zeit vielleicht wirklich Berge versetzen. Und nur wer ausharrt im Guten – auch wenn alles dunkel wird – kann die Welt verändern und – was mir wichtiger scheint – sich selbst.
Himmelfahrt bleibt somit ein Fest. Diese Feiertage spenden in der Erinnerung des Geistes Jesu Trost und Zuversicht. Solche Feste sind Haltepunkte, an denen Gewesenes sich wieder neu verwirklicht und an dem wir Kraft und Mut schöpfen für das alltägliche Tun.
Im Alltag selber jedoch, im Segen sinnvoller Arbeit, in Mühe und Beharrlichkeit erfüllt sich das Geheimnis eines solchen Festes. Dort erprobt sich die Lebendigkeit der Verheißung: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Amen.