Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (29.08.2023)

,

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

Predigt zu Mt 16, 13-20
„Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen
und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“

Angesichts der gegenwärtigen Kirchensituation geht der Satz über Petrus als „Fels“ schwer durch du Ohren und noch schwerer über die Lippen. Man möchte loslegen mit lauter Klage und gerechtem Zorn. – Dieser Versuchung möchte ich heute Morgen nicht erliegen, denn – so finde ich – eine Predigt ist dazu da, auf das hinzuweisen, was weiterführt und aufbaut, was nicht im Hin und Her der Gründe und Gegengründe hängenbleibt, sondern auf den Grund verweist, der Stand gibt.

Einen lohnenden Hinweis dazu habe ich in einem Buch gefunden, das den anschaulichen Titel trägt „Der singende Stotterer“. Es ist die Autobiografie von Walter Dirks. Walter Dirks, geb. 1901, war in seinen Zwanzigern und Dreißigern, also in den Jahren zwischen den zwei Weltkriegen, als Assistent von Romano Guardini Teil des katholischen Aufbruchs dieser Jahre, in dem sich die Konturen dessen entwickelten, was dann im Zweiten Vatikanischen Konzil für die ganze Kirche in Gang gesetzt wurde. Sein ganzes Leben hat er diesem Aufbruch gewidmet, – auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Kulturchef des WDR.

Dieser Walter Dirks schreibt im Rückblick auf sein Leben:
„Die Kirche, so belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist, hat mir doch den Glauben vermittelt und dadurch das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen. Ich hätte diese Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, wäre sie mir nicht durch die Kirche vermittelt worden. Deshalb ist sie, die mich in vielem ärgert, plagt, mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“

Dirks‘ Erfahrungsbilanz scheint mir nahezu prophetisch im Blick auf die Lage unserer Kirche hier und heute: „Belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist.“

Das ist die eine Seite, die sich durch nichts beschönigen lässt. Doch zugleich gilt genauso klar: Eben diese Kirche, die oft so unsäglich stottert, ist unverzichtbar, weil sie von dem zu singen vermag, was den Menschen den tragenden Grund ihres Lebens zu vermittelt. „Sie ist das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen.“

Mit Christus an Gott zu glauben, auf ihn zu bauen, ist tragender Grund des Lebens. Das verkörpert Petrus: Auch er eine in vielerlei Hinsicht belastete Existenz, auch er ein „Singender Stotterer“: Man denke nur daran, wie er in der Passionsnacht erst einschläft und dann Jesus dreimal verleugnet. Und zugleich – oder vielleicht gerade deshalb? – ist Petrus der, der Jesus Christus als den zum Leuchten bringt, der es ist: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Auf diesen zwiespältigen Petrus setzt Jesus, er wird der „Fels“ – nicht weil er über die „Unterwelt“ erhaben ist, sondern weil er sich von ihr nicht „überwältigen“ lässt.

Der unendlich große Gott hat sich darauf angewiesen gemacht, dass Menschen in all ihrer Gebrochenheit den Mut haben, ihn weiterzusagen, – wenn es sein muss mehr stotternd als singend, nicht als strahlende Siegertypen, sondern als solche, die sich durchs Hinfallen nicht entmutigen lassen wieder aufzustehen. Denn ohne Menschen, die Gott weitersagen, wäre er zwar da, aber nicht als Gott für die Menschen, sondern als unzugängliche, Angst einflößende Schicksalsmacht. Hier unterscheidet sich Christsein sich von all den anderen Wegen zu Gott: Gott ist nicht ohne die Menschen zu haben und umgekehrt auch: Es gibt keinen Menschen, der nicht Abbild Gottes wäre, egal wie entstellt er auf den ersten Blick wirkt.

Darin ist der Petrus des heutigen Evangeliums Fels, Grund der Kirche. Er verkörpert das Prinzip unseres Christseins: Der Mensch – sowohl in seiner Größe als auch in seinen Grenzen – ist Abbild Gottes. Ob und wie Gott die Menschen erreicht, hängt daran, dass es Menschen gibt, die Gottes Unendlichkeit in ihrer Endlichkeit gegenwärtig werden zu lassen.

Das gilt zunächst für den, der den Dienst des Petrus versieht. Und gleichzeitig steckt darin ein Zuspruch und Anspruch an jede und jeden von uns: Fühl dich nicht zu klein, zu unbedeutend zu schwach, zu wenig intelligent oder begabt, um den Menschen um dich herum Gott zu bringen. Und umgekehrt gilt auch: Auf dem Antlitz des Menschen, so elend begrenzt er dir manchmal vorkommen mag, begegnet dir ein Wink Gottes.

Durch jeden Menschen und an jedem Menschen das Antlitz Gottes zum Leuchten zu bringen, das ist die Aufgabe der Kirche, darin ist sie mit Petrus Fels und Fundament, der Grund, der Stand verleiht.

Oder, mit Walter Dirks:
„Wir hätten die Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, würde sie uns nicht durch die Kirche vermittelt. Deshalb ist sie, die in vielem ärgert, die plagt, die mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“

 

Bild: Friedbert Simon In: Pfarrbriefservice.de