Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (04.02.2024)

von P. Erasmus Kulke OSB

Liebe Schwestern und Brüder, vermutlich kennen Sie alle die berühmte Darstellung der Erschaffung des Adam von Michelangelo, ein Ausschnitt aus dem großen Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Links ist Adam zu sehen, der – salopp gesagt – wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängt und den Zeigefinger seiner linken Hand Gott träge und schlaff entgegenstreckt. Von rechts kommt ihm Gottvater kraftvoll entgegen, ebenfalls mit ausgestrecktem Zeigefinger, um auf Adam den Lebensfunken überspringen zu lassen. Das Fresko zeigt den Moment unmittelbar davor. Zwischen den Zeigefingern ist noch eine kleine Lücke. Sie berühren sich noch nicht. Der göttliche Lebensfunke ist noch nicht übergesprungen. Deshalb wirkt Adam noch schlaff und kraftlos. Erst die Kraft Gottes belebt ihn.
Dieses Bild kam mir in den Sinn bei dem heutigen Evangelium, in dem von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus berichtet wird. Da heißt es nämlich: er „fasste sie an der Hand und richtete sie auf.“ (Mk 1,31) Ähnlich wie bei der Erschaffung des Adam scheint auch hier eine Übertragung göttlicher Kraft über die Hände stattgefunden zu haben, die Petri Schwiegermutter aufrichtet, stärkt, mit neuem Leben erfüllt, ja sogar heilt. Und auch das ist ein Anfang. Im Markus-Evangelium ist es die erste Heilung, die Jesus vollzieht. Es folgen viele weitere und auch viele Dämonenaustreibungen. In Jesu Wirken wird deutlich, dass hier Gott selbst am Werk ist, und dass Gott für uns das Leben will, das Leben in Fülle. So war es von Anfang an gedacht. So hatte Gott seine Schöpfung erdacht und geschaffen. Der Mensch in liebevoller, inniger Verbindung mit seinem Schöpfer, der ihn als sein geliebtes Gegenüber, sein Ebenbild geschaffen hat. Doch wie uns die Bibel bildhaft berichtet, kam es zum Bruch zwischen Gott und Mensch. Die Brüchigkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens wurde offenbar. Jesus setzt hier einen neuen Anfang, indem er das, was zerbrochen ist, heilt, wiederherstellt. Und weil der Mensch nicht nur sein irdischer, vergänglicher Leib ist, sondern auch unsterblicher Geist und Seele, heilt Jesus nicht nur die Krankheiten des Leibes, sondern verkündet zudem auch Gottes frohmachende Botschaft, damit sie tief in Geist und Seele des Menschen eindringt und auch hier ihre heilsame Wirkung entfaltet, die wesentlich existentieller sein kann als eine rein leibliche Heilung.
Ich habe oft den Eindruck, dass wir vielfach diese frohe Botschaft noch nicht wirklich verstanden haben, dass sie noch nicht vom Kopf in unser Herz gerutscht ist. Denn erst dann entfaltet sie ihre volle, heilsame Wirkung. Allein mit dem Verstand können wir sie nicht fassen, bleibt sie äußerlich. Erst wenn wir sie nach und nach verinnerlichen, kann sie uns von innen her prägen, verwandeln, ja heilen.
Und diese Botschaft könnte man mit den Worten von Johannes Duns Scotus, einem mittelalterlichen schottischen Theologen, so formulieren: amo: volo ut sis. Auf Deutsch übersetzt: ich liebe, das heißt: ich will, dass du seist.
Stellen Sie sich einmal ganz konkret vor, wie Gott diese Worte zu Ihnen spricht, zu Ihnen ganz persönlich. Wenn Sie möchten, schließen sie dazu kurz die Augen. Und dann hören Sie Gott innerlich zu Ihnen sprechen: „Ich liebe dich. Ich will, dass du seist. Ich will, dass Du teilhast an meinem göttlichen, ewigen Sein. Das ist der Grund, warum es Dich gibt. Allein aus Liebe habe ich Dich erschaffen, mit meiner Liebe begleite ich Dich in jedem Moment Deines Lebens, meine Liebe ist es, die Dich am Leben hält. Wäre es nicht so, gäbe es Dich nicht, und ich könnte Dir nicht meine Liebe zeigen. Ich liebe Dich, so wie Du bist, um Deiner selbst willen, bedingungslos, mit einer
Liebe, die alles menschliche Verstehen übersteigt und selbst im Tod nicht endet. Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du bist!“
Ja, das ist die frohe und heilsame Botschaft, die Jesus verkündet. Dass Gottes Liebe eben nicht an Leistungen gebunden oder an Bedingungen geknüpft ist. Wir müssen keine Gebote erfüllen, keine Opfer bringen, damit Gott uns liebt. Seine Liebe ist reines Geschenk, theologisch gesprochen: Gnade. Auf Lateinisch: gratia. Da steckt das Wort „gratis“ drin. Die Liebe Gottes ist kostenlos. Doch diese frohe Botschaft wurde immer wieder von Menschen missverstanden, verzerrt, verdunkelt,
missbraucht, und wird es heute noch. Und dann ist sie nicht mehr heilsam, sondern ganz im Gegenteil: dann kann sie uns krankmachen, dämonisch wirken.
Damit die frohe Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes zu uns ihre heilsame Wirkung in mir entfalten kann, braucht es immer wieder Zeiten der Stille und des Gebetes, in denen ich mir diese Botschaft, dieses unbedingte „Ja“ zu mir immer wieder von Gott zusagen lasse. „Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du bist!“ Es braucht regelmäßige Zeiten, diese Botschaft zu verinnerlichen, damit sie mich von innen her prägen und verwandeln kann. Damit ich sie immer mehr wirklich
glauben kann. Damit sie vom Kopf ins Herz rutscht. Und je mehr ich mich auf Gott hin ausrichte und mit ihm in Liebe verbunden bin, desto mehr komme ich zu mir selbst, weil er mich ja als sein Abbild geschaffen hat. Und dann wird mich mein Glaube an Gottes Liebe auch in schweren Zeiten tragen.
Dann werde ich auch angesichts von Leid, Krankheit und Tod nicht an Gott verzweifeln. Dann weiß ich ihn gerade auch in diesen Zeiten an meiner Seite, mir in Liebe zugewandt. Auch Jesus hat sich immer wieder zurückgezogen, um in Stille zu beten, um sich wieder ganz bewusst mit seinem Vater zu verbinden und auf seine Stimme zu hören. Das heutige Evangelium erzählt uns davon. Und aus diesem Gebet hat er Kraft geschöpft. Es hat ihm wieder Orientierung gegeben und den für ihn „richtigen“ Weg erkennen lassen. Es hat ihn frei gemacht von den Erwartungen anderer. „Alle suchen dich“, heißt es, als sie ihn gefunden haben. Und darin schwingt die Erwartung mit, dass er zurückkehrt und weiter Kranke heilt. Doch Jesus ist innerlich frei und ganz in Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters und sagt: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen.“ (Mk 1,38) Ja, er ist nicht bloß ein
Wunderheiler, sondern Gottes Sohn, der so unendlich viel mehr geben will: Gott will das umfassende Heil aller Menschen zu allen Zeiten. Und je mehr ich ihm diese Botschaft wirklich
glaube und sie verinnerliche, desto mehr wird sie ihre heilsame Wirkung in mir entfalten, mich innerlich freimachen, mich mit Kraft erfüllen, mir Orientierung geben. Und dann werde ich selber zu einem glaubwürdigen Zeugen dieser frohen Botschaft: „Ich liebe, das heißt: ich will, dass Du seist!“ Amen!