Predigt am 13. Sonntag im Jahreskreis (26.06.2022)
von P. Klaus-Ludger-Söbbeler OSB
„Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“ (zu Gal 5,1.13-18 und Lk 9,51-62)
Kaum ein Wort hat in Geschichte und Gegenwart mehr Wirkung als das Wort „Freiheit“. Da wo Freiheit lockt, sind Menschen fasziniert, wo Freiheit in Gefahr gerät, herrscht Alarmzustand. Die Ansage dass der Mensch „zur Freiheit berufen“ ist, ist eine der segensreichsten Spuren der biblischen Religionen – des Judentums und des Christentums – in der Weltgeschichte. Für das Volk Israel war die Erfahrung, dass Gott da ist, wo der Mensch frei ist von der Beherrschung durch Menschen der schlechthinnige Grundimpuls, – beginnend mit dem Auszug aus der Knechtschaft des Pharao in die Freiheit Gottes. Jesus hat diesen Grundimpuls seiner jüdischen Wurzeln verkörpert: Nicht einmal Kreuz und Tod setzen der Freiheit eine Grenze, weil die Grenze des Daseins in Raum und Zeit nicht das Ende, sondern der Übergang in die Vollendung ist.
Doch spätestens seit der Europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts hat sich die Christenheit den Kampf um die Freiheit aus der Hand nehmen lassen, – weil sie zu sehr verstrickt war in den Kampf um die Macht: Statt zur Freiheit zu befähigen, hat man kirchlicherseits Freiheit zur Bedrohung erklärt, – vor der man die Menschen meinte schützen zu müssen. Christ zu sein reduzierte sich in der Erfahrung vieler auf ein System kaum verständlicher und mit äußerem Druck durchgesetzter Regulierungen. Das fatale Ergebnis sehen wir heute: Immer mehr Menschen halten Religion für etwas Überflüssiges oder sogar Schädliches. Die Kirchen ihrerseits sind so sehr damit beschäftigt, sich selbst am Laufen zu halten, dass sie kaum noch Kraft haben, ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, – nämlich, den Menschen den Zugang zu einer im Gottvertrauen gründenden Freiheit zu ermöglichen. Die Kirche ist dazu da, für Gott den Platz zu schaffen, der seiner unendlichen Größe entspricht. Wo sie den Verengungen des Daseins nur eine weitere hinzufügt, stellt sie sich tatsächlich selbst infrage.
Dabei ist aus Gottvertrauen gelebte Freiheit dasjenige, was die Welt in der vielfach verfahrenen Gegenwartssituation so dringend brauchen würde, – angesichts der allgegenwärtigen Bedrohungen der Freiheit und angesichts der missbräuchlichen Verwechselung von Freiheit entweder mit verantwortungsloser Beliebigkeit oder mit schrankenloser Selbstüberhöhung. Wie wichtig und zugleich wie gefährdet dieser Freiheitsauftrag der Kirche ist, wusste schon Paulus, als er an die Galater schrieb: „Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“
Freiheit im biblischen Sinn hat zum Ziel, dass die Menschen unbelastet sind von allem, was nicht menschlich ist, damit sie die Menschen sein können, die die sie eigentlich sind, – ohne all die unnötigen und zerstörerischen Zwänge, die sie sich selbst auferlegen oder von anderen aufgedrückt bekommen. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild“ weiß die Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27). „Ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde“, sagt Jesus (Jo 15,15)
„Abbild Gottes“ ist ein Mensch da, wo er nicht von der Angst getrieben wird zu kurz zu kommen. „Freund Jesu“ ist ein Mensch da, wo in ihm das Vertrauen lebendig ist, dass er nicht leben muss, um zu sterben, sondern dass er sterben wird um zu leben.
Solche Freiheit entsteht weder durch am Schreibtisch konstruierte Freiheitstheorien noch durch aggressive Befreiungsschläge; Solche Freiheit wächst in alltäglichen Situationen, wie sie das heutige Evangelium an einer ganzen Kette von Beispielen vorführt:
- „Man nahm Jesus nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht.“
Ein freier Mensch kann akzeptieren, auf Ablehnung zu stoßen, ohne sich selbst untreu zu werden und ohne sich mit Zwang und Gewalt durchzusetzen. - „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“
Ein freier Mensch kommt ohne ichbezogene Absicherungen und ohne blockierende Panzerungen aus, weil Gott Sicherheit genug ist. - „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“
Momentum der Freiheit ist der jeweilige Augenblick. Ihn kann ich in Freiheit annehmen, oder ich kann ihn – gelähmt durch die Verstrickung in Vergangenes oder die Angst vor dem Kommenden – dumpf verstreichen lassen und damit wertlos machen. - „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“
Die Vergangenheit kann das Fundament sein, auf dem wir auf- und weiterbauen, – sie wird jedoch zum Fluch, wo sie uns fesselt, indem wir uns an sie klammern, um das Voranschreiten zu vermeiden.
Kurz: Jeder Mensch hat als wichtigsten Lebensauftrag, das kleine Stückchen Zeit und Welt, das jetzt und hier ist, für Gott frei zu halten, damit der Mensch nicht Knecht von irgendwem oder irgendwas ist sondern Abbild Gottes. –
Wo immer das gelingt, da hat der Zuspruch des Paulus an die Galater zu wirken begonnen: „Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“