Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

Predigt zu Mt 16, 13-20
„Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen
und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“

Angesichts der gegenwärtigen Kirchensituation geht der Satz über Petrus als „Fels“ schwer durch du Ohren und noch schwerer über die Lippen. Man möchte loslegen mit lauter Klage und gerechtem Zorn. – Dieser Versuchung möchte ich heute Morgen nicht erliegen, denn – so finde ich – eine Predigt ist dazu da, auf das hinzuweisen, was weiterführt und aufbaut, was nicht im Hin und Her der Gründe und Gegengründe hängenbleibt, sondern auf den Grund verweist, der Stand gibt.

Einen lohnenden Hinweis dazu habe ich in einem Buch gefunden, das den anschaulichen Titel trägt „Der singende Stotterer“. Es ist die Autobiografie von Walter Dirks. Walter Dirks, geb. 1901, war in seinen Zwanzigern und Dreißigern, also in den Jahren zwischen den zwei Weltkriegen, als Assistent von Romano Guardini Teil des katholischen Aufbruchs dieser Jahre, in dem sich die Konturen dessen entwickelten, was dann im Zweiten Vatikanischen Konzil für die ganze Kirche in Gang gesetzt wurde. Sein ganzes Leben hat er diesem Aufbruch gewidmet, – auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Kulturchef des WDR.

Dieser Walter Dirks schreibt im Rückblick auf sein Leben:
„Die Kirche, so belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist, hat mir doch den Glauben vermittelt und dadurch das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen. Ich hätte diese Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, wäre sie mir nicht durch die Kirche vermittelt worden. Deshalb ist sie, die mich in vielem ärgert, plagt, mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“

Dirks‘ Erfahrungsbilanz scheint mir nahezu prophetisch im Blick auf die Lage unserer Kirche hier und heute: „Belastet durch falsche Entscheidungen an Kreuzwegen und durch die Ausstattung der Sackgassen, in die sie immer wieder hineingeraten ist.“

Das ist die eine Seite, die sich durch nichts beschönigen lässt. Doch zugleich gilt genauso klar: Eben diese Kirche, die oft so unsäglich stottert, ist unverzichtbar, weil sie von dem zu singen vermag, was den Menschen den tragenden Grund ihres Lebens zu vermittelt. „Sie ist das produktivste Element meiner in vielem angefochtenen Existenz. … So verdanke ich der Kirche das Kostbarste meines Lebens: Den Sinnentwurf vom Gottesglauben von Jesu Botschaft aus und alles, was in Verbindung mit ihm konkret hat sinnvoll werden dürfen.“

Mit Christus an Gott zu glauben, auf ihn zu bauen, ist tragender Grund des Lebens. Das verkörpert Petrus: Auch er eine in vielerlei Hinsicht belastete Existenz, auch er ein „Singender Stotterer“: Man denke nur daran, wie er in der Passionsnacht erst einschläft und dann Jesus dreimal verleugnet. Und zugleich – oder vielleicht gerade deshalb? – ist Petrus der, der Jesus Christus als den zum Leuchten bringt, der es ist: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Auf diesen zwiespältigen Petrus setzt Jesus, er wird der „Fels“ – nicht weil er über die „Unterwelt“ erhaben ist, sondern weil er sich von ihr nicht „überwältigen“ lässt.

Der unendlich große Gott hat sich darauf angewiesen gemacht, dass Menschen in all ihrer Gebrochenheit den Mut haben, ihn weiterzusagen, – wenn es sein muss mehr stotternd als singend, nicht als strahlende Siegertypen, sondern als solche, die sich durchs Hinfallen nicht entmutigen lassen wieder aufzustehen. Denn ohne Menschen, die Gott weitersagen, wäre er zwar da, aber nicht als Gott für die Menschen, sondern als unzugängliche, Angst einflößende Schicksalsmacht. Hier unterscheidet sich Christsein sich von all den anderen Wegen zu Gott: Gott ist nicht ohne die Menschen zu haben und umgekehrt auch: Es gibt keinen Menschen, der nicht Abbild Gottes wäre, egal wie entstellt er auf den ersten Blick wirkt.

Darin ist der Petrus des heutigen Evangeliums Fels, Grund der Kirche. Er verkörpert das Prinzip unseres Christseins: Der Mensch – sowohl in seiner Größe als auch in seinen Grenzen – ist Abbild Gottes. Ob und wie Gott die Menschen erreicht, hängt daran, dass es Menschen gibt, die Gottes Unendlichkeit in ihrer Endlichkeit gegenwärtig werden zu lassen.

Das gilt zunächst für den, der den Dienst des Petrus versieht. Und gleichzeitig steckt darin ein Zuspruch und Anspruch an jede und jeden von uns: Fühl dich nicht zu klein, zu unbedeutend zu schwach, zu wenig intelligent oder begabt, um den Menschen um dich herum Gott zu bringen. Und umgekehrt gilt auch: Auf dem Antlitz des Menschen, so elend begrenzt er dir manchmal vorkommen mag, begegnet dir ein Wink Gottes.

Durch jeden Menschen und an jedem Menschen das Antlitz Gottes zum Leuchten zu bringen, das ist die Aufgabe der Kirche, darin ist sie mit Petrus Fels und Fundament, der Grund, der Stand verleiht.

Oder, mit Walter Dirks:
„Wir hätten die Chance des Heils, des Glücks und der Kraft nicht, würde sie uns nicht durch die Kirche vermittelt. Deshalb ist sie, die in vielem ärgert, die plagt, die mir Kummer und Sorgen macht, deshalb ist die problematische Kirche dieselbe, der ich wie keiner anderen geschichtlichen Macht tief dankbar bin.“

 

Bild: Friedbert Simon In: Pfarrbriefservice.de

von P. Abraham Fischer OSB

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wir feiern heute ein Fest mit dem rätselhaften Titel „Verklärung des Herrn“. Das Fest bezieht sich auf eine Überlieferung, die sich in allen drei Evangelien der Synoptiker Lukas, Matthäus und Markus findet. Darin zeigt sich, dass es sich sozusagen um einen Urstein der Geschichte von Jesus dem Christus handelt.

In den Evangelien selbst kommt der deutsche Titel des Festes „Verklärung“ nicht vor. Dort wird von Licht gesprochen, das aus Jesu Antlitz erstrahlt und von weißen Kleidern, so weiß wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Dieses Licht und dieses Weiß hat etwas mit „Überirdischem“ zu tun. Erinnern wir uns: Das Gesicht Moses strahlt so ein Licht aus, als er nach der Gottesbegegnung mit den Gesetzestafeln vom Sinai zurückkommt. Die Engel im österlich leeren Grab tragen leuchtende Gewänder des himmlischen Glanzes.

Der Text selbst spricht von Verwandlung. „Transfiguratio Domini“. Das sagt, dass etwas gleichbleibt und sich doch auch ändert. Es ist nicht ein anderer, ein fremder Jesus, sondern die Offenbarung einer „erweiterten Figur Jesu“ – so möchte ich es umschreiben. Das Bekannte und Gewohnte wird über sich hinausgehoben, erweitert. Es scheint etwas durch, das im Grunde schon immer da ist, und in diesem Augenblick strahlt es so mächtig auf, dass alles andere davon überzeichnet und folglich sogar in seinem Gehalt verändert wird. Danach sehen wir Menschen uns im Innersten: dass etwas durchscheinen möge vom Weltenlicht, vom Gottesstern, vom Seelenglanz.

Die Verklärung Jesu beginnt innen – im Seelenkern. Er zieht sich auf den Berg zurück, um zu beten. Da geschieht Verklärung. Jesu Gestalt wird so transparent, dass die andere Seite der Welt durchscheint: seine himmlische Herkunft: Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen. Es klingt die Geschichte Israels an. Mose, der Gesetzesträger und Elija, der größte der Propheten erscheinen – jene also, die Gott schauten, ohne zu sterben.

Und dann stahlt eine Wolke auf, die für sich spricht. Die Szene wird unwirklich, denn es wird eigenartigerweise von einem Schatten gesprochen, in dem Jesu Licht erscheint. Das kennen wir aus der Erzählung von der Wüstenwanderung des Volkes Israel. Die Wolke, in der Gott nahe ist. Hier strahlt denn auch eine Transfiguration auf – eine Bedeutungsverschiebung: Der Schatten verdeckt nicht das Licht, wie wir es aus der Natur kennen. Dunkelheit Gottes wirkt gegenteilig: Gottes Schatten verdeckt nicht Licht, sondern Gottes Schatten bestätigt Licht.  In unserem Weltbild ein Paradox, trotzdem finden wir es in den Überlieferungen: Gottes Schatten erleuchtet.

Nehmen wir die Wüstenwanderung Israels. Gottes dunkle Wolke begleitet das Volk auf einer Wanderung, die durch Wüste und Steppe, auf Irr- und Umwegen, durch Sünde und Tod, dann erst in das gelobte Land führt.

Von Maria wird gesagt, dass die Kraft des Höchsten sie „überschattet“. Der Herr ist mit dir – sagt ihr der Engel zu. Und das meint eben nicht, dass sie verschont bleiben wird. Ihr wird Unendliches zugemutet: das uneheliche Kind, die gesellschaftliche Schande, der rätselhafte Knabe im Tempel, die Einsamkeit mit dem Geheimnis und das Ausharren auf Golgatha – das ist ihr Weg, an dessen Ende erst der Himmel wartet.

Auch der Schatten Gottes auf Jesu Leben ist unübersehbar: Die Geburt in der Unbehaustheit des Stalles, die Flucht nach Ägypten, das Unverständnis der Menschen, die Ablehnung, die Verleumdungen, das Scheitern der Mission, die Zerstreuung der Jünger, der Weg hinauf zur Schädelhöhe, der bittere Tod zwischen den Verbrechern. Erst dann erhebt sich der Sieg von Ostern.

Wir finden das heutige Evangelium eingebettet zwischen zwei Leidensankündigungen Jesu. „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst. Er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Und Lukas überliefert in seinem Bericht der Verklärung, dass auch hier die Jünger eingeschlafen waren, während Jesus betete. Die ergreifende Szene vom Ölberg klingt an.

Vielleicht ist das Verklärung: Innerlich glänzendes Leben im Schatten göttlicher Wirklichkeit. Gott ist in der Dunkelheit nahe – was denn nicht unbedingt meint, dass wir sein Dasein wahrnehmen. Er drängt sich nie auf und zeigt seine Göttlichkeit einzig im Licht der Liebe, die erst in der Spannung vergänglichen und verletzlichen Lebens sich auftut.  Es bleibt uns Glaube: in Licht und Freude dankbar geübt, in Dunkelheit und Leiden schmerzhaft geläutert und verwirklicht.

In Verklärung und Herrlichkeit sind wir Menschen Abbilder Gottes. Manchmal kann man sie bei einigen Menschen durchleuchten sehen. Die Wolke ist dann mitunter der Grund eines Lichtes, das von innen kommt. Ostern ist in diesem Zusammenhang wirklich Pascha, das heißt Vorübergang des Herrn, Hindurchgehen in die Liebe.

Amen.

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Träume haben Menschen seit jeher fasziniert, da sie so schwer fassbar sind. Einerseits haben sie zu viel mit der erlebten Tageswirklichkeit gemein, als dass man sie als bloße Einbildung abtun könnte, andererseits wirken sie zu fremd und unwirklich, um als Teil der Tageswirklichkeit gesehen zu werden.
Bereits in den Dokumenten der ältesten Schriftkulturen, wie z.B. vom Ende des 3. Jahrtausends vor Christus in Ägypten, sind Träume und Traumdeutungen überliefert. Auch das Alte Testament, in dem rund 20 Träume enthalten sind, bildet hier keine Ausnahme. Bekannt sind den meisten der Traum Jakobs von der Himmelsleiter (Gen 28,12) und die Deutung der Träume des Pharaos durch Josef, einen Sohn Jakobs (Gen 40-41).
Auch der neutestamentliche Namensvetter, Josef, der Vater Jesu, ließ sich, wie auch die Sterndeuter aus dem Osten, dem Matthäusevangelium zufolge von Träumen bewegen.

In dieser biblischen Tradition steht auch König Salomo, der zu Beginn seiner Amtszeit altem Brauch gemäß nach Gibeon, einem ursprünglich kanaanäischen Heiligtum, pilgert und dort 1000 Brandopfer darbringt (1 Kö 3,4). In der folgenden Nacht „erscheint ihm Gott im Traum und fordert ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll!“ (ebd. 3,5). Salomo wählt weder Reichtum noch Macht, sondern wünscht sich ein „ein hörendes Herz“ (ebd. 3,9).
Das „hörende Herz“ ist die große Sehnsucht, der Schatz, für den Salomo, wie der Bauer und der Kaufmann im Evangelium, alles andere stehen und liegen lässt, und in der Folge überreich beschenkt wird.

In einer jiddischen Geschichte sind diese beiden Elemente der heutigen Lesungen von Traum und Schatz in besonderer Weise miteinander verwoben. Vermutlich ahnen einige schon, welche Geschichte ich meine, da sie sehr bekannt ist. Dennoch möchte ich sie kurz skizzieren:

Vor mehr als hundert Jahren lebte in einem Dorf bei Krakau ein armer Jude, der Flickschuster Eisik, Sohn des Jekel. Er ist sehr gläubig und hat Gott schon oft gebeten, ihn aus seiner Armut zu befreien.
Eines Nachts träumt er von einer großen Stadt mit einer Königsburg oberhalb der Stadt und einem großen Fluss, über den eine Brücke hinauf zur Königsburg führte. Eine Stimme sagt ihm im Traum: Das ist Prag. Dort, unter der Brücke ist am Ufer ein Schatz vergraben. Geh hin, grab ihn aus, er gehört dir!
Nach dem Erwachen denkt Eisik: „Träume sind Schäume“. Doch in den beiden folgenden Nächten hat er den selben Traum, so dass er sich schließlich auf den Weg, das sind gut 500 km, macht und nach einigen Tagen müde und ausgehungert in Prag ankommt. Er sieht die Burg, den Fluss, die Brücke, die Stelle, wo der Schatz liegen soll. Doch die Brücke ist von Soldaten bewacht. So streift Eisik um die Stelle herum, wo der Schatz liegen soll, bis er auffällt, man ihn packt und zum Hauptmann der Wache führt, der ihn zunächst für einen Spion hält.

Nachdem Eisik dem Hauptmann von seinem Traum erzählt hat, lacht der laut los und erwidert ihm: Auch ich träume seit einigen Tagen einen Traum, der mich in ein Dorf nach Krakau schickt, wo unter dem Herd eines Juden, Eisik, Sohn des Jekel, soll er heißen, ein Schatz vergraben sein soll. Aber was denkst du: Träume sind Schäume! Bei Krakau gibt es viele Juden, die eine Hälfte heißt Eisik, die andere Jekel. Da hätte ich was zu tun, in all den Hütten den Herd wegzuräumen und nach einem Schatz zu graben. Du verrückter Kerl, mach, dass du nach Hause kommst!
Und Eisik macht sich auf den Weg nach Hause, räumt den Herd in seiner Hütte weg, gräbt den Schatz aus und lebt fortan, befreit von seiner Armut, glücklich mit seinem Schatz.

 

Viele Zeitgenossen reagieren dem Hauptmann ähnlich, wenn ihnen der Schatz, das Reich Gottes, angeboten wird: „Da hätte ich aber viel zu tun, mich noch mit diesen alten Kamellen von Jesus abzugeben.“ Andere sind verbittert von Leid, von Misserfolgen, wiederholten Enttäuschungen, schwerer Krankheit oder vom Tod eines lieben Menschen, so dass sie alle Sehnsucht verloren haben. Wieder andere haben mit Christen oder Kirchenvertretern negative Erfahrungen gemacht und wollen sich auf eine unsichere Schatzsuche nicht mehr einlassen. Und dann gibt es jene, die das Reich Gottes in die Ewigkeit abschieben, es für einen Traum halten und nicht merken, dass dieser Schatz hier auf Erden auffind- und erfahrbar ist.
Sie alle verschließen sich ‑ wie der Hauptmann ‑ der möglichen Freude über den Besitz des Schatzes.

Dem gegenüber steht Eisik. Sein Traum lässt ihn nicht los. Er macht es wie der Perlenkaufmann im Evangelium: Er geht ein Risiko ein, nimmt viele Mühen und Gefahren auf sich, um den Schatz zu finden.

So entdecken auch heute noch Menschen die Botschaft Jesu als einen Schatz, der ihr Leben prägt und sie auch durch Not, Leid und Mühe trägt. Solche Menschen haben die Maßstäbe ihres Lebens „verrückt“, so dass nicht mehr Geld und Karriere die entscheidende Rolle spielen, sondern Jesus Christus und seine Zuwendung zu den Menschen. Da stört es sie gar nicht, wenn sie von anderen ausgelacht oder für dumm verkauft werden.

Der Auslöser für eine Schatzsuche kann ein Traum, eine Sehnsucht nach Leben, eine tiefe Erfahrung, ein persönliches Erlebnis sein. Auf jeden Fall etwas, was mich bewegt, was ich letztlich nicht erklären kann, was mich im Herzen berührt.
Voraussetzung dafür ist ein Herz, das sich berühren lässt, oder mit den Worten Salomos: ein hörendes Herz. Dieses Bild steht für ein Herz, das wahrnimmt, fühlt und Fragen nachspürt wie: Welche Erfahrungen, Erinnerungen gehen mir seit langem nach? Was berührt, fasziniert mich in dem, was ich erlebe? Was macht mein Herz warm, hell und weit?
Eine solche Erfahrung kann mich zum Aufbruch ermutigen, einen Prozess des Suchens und Findens eröffnen. Jeder muss sich selbst auf diesen Weg machen, der ein lebenslanger sein kann.
Dieser Weg ist und bleibt ein Wagnis, denn die Zufälligkeit des Findens ist nicht in den Griff zu bekommen. Es gibt hier keine Geling-Garantie, denn finden kann ich nicht machen. Doch je ernsthafter die Suche, desto wahrscheinlicher auch das Finden. Diese Erfahrung kann aber nur jemand machen, der etwas wagt und ein Risiko eingeht.

Schließlich gilt, dass der Schatz oft gar nicht fern sein muss, sondern in meinem eigenen Leben verborgen ist und ich ihn nur noch zu entdecken brauche, so wie der Kaufmann auf seiner beruflichen Suche nach Perlen, plötzlich und zufällig auf die Perle trifft, und so wie der Bauer mitten in seiner alltäglichen Arbeit beim Pflügen des gewohnten Ackers auf einen Schatz trifft.

Gerade im Alltag, den wir oft routinemäßig durchpflügen und nicht mehr genau hinsehen oder hinhören, ist darum ein hörendes und sehendes Herz hilfreich, das wach und achtsam im Gewohnten Neues, Überraschendes entdeckt.
Das hörende Herz ist das Kennzeichen des Glaubenden, der in allem und durch alles, was ihm begegnet und was er erlebt, Gottes leise Stimme vernimmt.

Nehmen wir die Einladung des Evangeliums zur Schatzsuche an. Fassen wir Mut, unseren Träumen und Sehnsüchten zu folgen.
Bitten wir Gott wie Salomo um ein hörendes Herz, damit wir den Schatz im Acker unseres Lebens entdecken und von ihm her leben.

von P. Marian Reke OSB

Römerbrief 8, 18ff. und Matthäusevangelium 13,1ff.

Das heutige Sonntagsevangelium gehört zu den längsten im Kirchenjahr. Es hat zwei Teile: das bekannte Gleichnis der Aussaat des Wortes vom Reich, das Jesus vor einer großen Menschenmenge erzählt, und die Deutung dieses Gleichnisses über die „Geheimnisse des Himmelreichs“ im kleinen Kreis seiner Jünger. Beides wird berichtet und erübrigt eigentlich eine zusätzliche Predigt. Die steht aber nun einmal an. Deshalb liegt es nahe, sich auch der Lesung aus dem Römerbrief zuzuwenden.

Der Ton, den Paulus im gesamten Römerbrief anschlägt, ist von existenzieller Wucht – wie in der Passage, die vorhin zu hören war. Ich nehme nochmals einige Worte auf, die das spürbar machen können. Er spricht von den Leiden der gegenwärtigen Zeit und von der Knechtschaft der Vergänglichkeit. Doch er tut es in der Perspektive der Hoffnung mit ähnlich starken Wortbildern: sehnsüchtiges Warten, Seufzen und in Geburtswehen liegen.

Kann uns das kalt lassen, was Paulus da aufdeckt: diese tiefe Solidarität in der Passion des Daseins? Seiner Einsicht nach teilen sie alle Geschöpfe, nicht nur die Menschen, auch Tiere und Pflanzen, alles was atmet – und atmet nicht alles, schwingt in unterschiedlicher Dichte wie die sogenannte leblose Materie?!

Passion des Daseins! – Passion meint zweierlei: Leidenschaft und Leidensgeschichte. Das bedeutet: beides hängt zusammen. Leidenschaft kann eine Leidensgeschichte zur Folge haben.

Weil die Liebe zum Leben seine Leidenschaft war, gestaltete sich der Weg Jesu nach und nach zu seiner Leidensgeschichte. In der öffentlichen Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Dirnen, indem er Kranke auch am Sabbat heilte, Sündern bedingungslos vergab und gegen die religiösen Machthaber seiner Zeit für die Freiheit der Kinder Gottes eintrat, in alldem lebte er diese Liebe – bis zum Kreuz.

Jesus am Kreuz: das ist die Ikone der Passion des Daseins. Jahr für Jahr steht sie nach der Karfreitagsliturgie in der leeren Dämmerung der Apsis – ungewohnt schlicht, sehr still, ein einprägsamer Augenblick.

Auf der Höhe des Jahres können wir heute mit einem sonntäglichen Aufblick zur gewohnten, ganz anders gearteten Kreuzikone dieser Kirche den Alltag mit seinem oft irritierenden Themengestöber unterbrechen. Wir dürfen uns der Weite jenes Horizontes vergewissern, den Jesus von Nazareth mit seiner Reich-Gottes-Botschaft im Sinn hatte, wenn er wie im heutigen Evangelium von den „Geheimnissen des Himmelreichs“ sprach.

Die üblichen Assoziationen zum „Wort vom Reich“, wie Matthäus es nüchtern nennt, gehen jedoch fehl in der Annahme, damit sei vor allem eine Art Herrschaftsgebiet gemeint, das ein- und ausgrenzt. Machtkategorien verraten bis heute das Herzstück dieser Botschaft.

Reich im Sinne Jesu meint einfach Reichweite – eine Reichweite, die Horizonte eröffnet und keine Grenzen schließt. Ein Horizont ist ja eine buchstäblich vorläufige Grenze, die vor denen, die auf ihn zugehen, zurückweicht und so über sich hinaus weiterführt. Weiter – nicht nur linear verstanden, sondern räumlich.

Der offene Himmel über dem See Genezareth, unter dem Jesus Menschen sammelt, atmet diese Weite und hat ihn im Wortsinn „inspiriert“ als ein Gleichnis für den Atemraum einer je größeren Liebe. In ihr kann die menschliche Haltung des Liebens ihren inneren Halt finden, um sich im liebenden Verhalten zu äußern. Diese Inspiration bildet das Herzstück der Verkündigung Jesu, die von dort ihren Ausgang nimmt, um die Vielen aufzuerwecken – zur Solidarität in der Passion des Daseins, nicht nur der Menschen, sondern der gesamten Schöpfung!

Was will und soll sie das für uns bedeuten? Wir können annehmen, dass unsere doppeldeutige Lebenspassion in dem Erlebnis der Trennung von der Mutter wurzelt, mit dem wir zur Welt kommen. Die biologische Geburt – ihr Trauma – weist in Bedeutung und Wirkung über das körperliche Geschehen hinaus auf die seelische und geistige Ebene. Der Mensch erlebt sich nicht nur am Anfang, sondern immer wieder als getrennt: getrennt von seinen Mitmenschen und seiner Umwelt, getrennt von den Sinnquellen des Daseins, von Gott und wie in einem inneren Zwiespalt irgendwie getrennt auch von sich selbst.

Diesem Erleben des Getrenntseins liegt jedoch etwas zugrunde – die Erinnerung an eine Einheit, ohne die Trennung gar nicht als solche denkbar und erfahrbar wäre. Wir verdanken unser Dasein auch einem Bruch, weshalb zeitgenössische Theologie von der „Gnade des Bruchs“ sprechen kann.

Wie lässt sich das verstehen? – Ich spreche einfach von mir selbst, denn ich kenne das Gefühl der Bruchstückhaftigkeit in vielerlei Hinsicht: immer wieder reibe ich mich an meinen Ecken und Kanten wund oder verletze damit andere. Ich denke, das gilt auch gegenseitig. Aber ist das schon alles? Gerade über die Bruchkanten könnten wir doch auch wahrnehmen, dass wir als Menschen zueinander gehören und darüber hinaus zu etwas, das mehr ist als wir alle zusammen – ein nicht mehr und noch nicht gegebenes Ganzes, dessen Teile wir sind.

Das ist doppelt zu spüren – als Verlust von Einheit und als Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Gilt das nicht auch in Gegenseitigkeit?! Führen uns dieser Verlust und diese Sehnsucht nicht in die vielfältigen Lebensweisen des Mit-ein-anders – wie anschaulich doch die Sprache ist! – des Mit-ein-anders von Partnerschaften, Familienformen, auch klösterlichen Gemeinschaften und was es sonst noch gibt. In all diesen oft mühsamen Lebensweisen könnte sich unsere Bruchstückhaftigkeit als die Chance zu gegenseitiger Ergänzung erweisen – einer Ergänzung, deren ein jeder, eine jede von uns zugleich bedürftig und fähig ist.

Ein Letztes: Unsere Bruchkanten passen allerdings nicht nahtlos zu- oder gar ineinander. Es bleiben Lücken und sie sollten auch bleiben – als stete Herausforderung, diese Lücken in liebender Haltung und liebendem Verhalten zu überbrücken. Doch nicht nur das, sondern auch und mehr noch sollten die Lücken bleiben, weil sie den Grund durchschimmern lassen, auf den alles ankommt – nämlich jene göttliche Liebe, die unser menschliches Lieben erst möglich macht, es in Gelingen und Scheitern trägt und es vollendet. Diesem Grund dürfen wir vertrauen. Wir können uns auf ihn verlassen und müssten nicht immerzu an uns festhalten. Warum nur fällt das so schwer?!

Das Jahr steht auf der Höhe – so singen wir zum Schluss (GL 465). Der evangelische Pfarrer Detlev Block, der ein Dichter war, hat dieses Mittsommerlied 1978 geschrieben. Ihn bewegte die Frage: „Welchen Trost, welche Ermutigung gibt es für uns, wenn der Schatten des Wechsels und der Vergänglichkeit auf uns fällt?“ Der Kreislauf der Jahreszeiten spiegelt für ihn gleichsam, was auch unserem Leben insgesamt beschieden ist. Auf Blüte und Reife folgt die Ernte, dann setzt in der Natur das herbstliche Sterben ein und bisweilen liegt über Winterlandschaften eine Art Totenstille. Sonntag für Sonntag sind wir eingeladen, im Hören des Wortes und im Brotbrechen den Glauben zu nähren, dass unsere Lebenszeit aufgehoben ist in Gottes Ewigkeit, aus der wir stammen und in die wir heimkehren. Darauf dürfen wir vertrauen – mit anderen Worten: darauf können wir uns verlassen und müssen nicht an uns festhalten.

von P. Erasmus Kulke OSB

Wer, liebe Schwestern und Brüder, hätte wohl damals vor rund 2000 Jahren gedacht, dass aus diesem kleinen, völlig verängs­tigten Kreis von Fischern und anderen meist einfachen, unge­bildeten Männern, die wir Apostel nennen, eine Bewegung hervorgeht, die sich von Jerusalem quasi lawinenartig über die ganze Erde ausbreitet, die Milliarden von Menschen begeis­tert, die die Welt verändert und bis heute Bestand hat? Wer das einem damaligen Zeitgenossen erzählt hätte, dem hätte dieser vermutlich einen Vogel gezeigt. Dieser armselige Hau­fen von Jüngern, die sich aus Furcht hinter verschlossenen Türen verstecken, soll die ganze Welt verändern und solch eine immense Wirkung haben? Unmöglich! Wenn wir damals gelebt hätten, hätten wir vermutlich ähnlich gedacht. Denn nach menschlichen Maßstäben war das unmöglich.

Nun, wir wissen, dass es – wider aller Erwartung – doch mög­lich war. Dass genau das passiert ist. Das alles Entscheidende dabei, der Grund, warum von diesem kleinen Kreis eine solch ungeheure Dynamik ausging, war Gottes Heiliger Geist. Der hat alles verändert. Der hat aus den verängstigten, mutlosen Jüngern unerschrockene, kraftvolle und zutiefst überzeugende Boten des Evangeliums gemacht. Hätten sie das alles aus ei­gener, menschlicher Kraft bewirken müssen, hätten sie dabei allein auf ihre eigene Kraft vertraut, wäre es nicht zu dieser Dynamik gekommen. Dann gäbe es heute keine Kirche. Dann säßen wir heute Morgen nicht hier. Dann sähe die Welt heute anders aus.

Das Evangelium erzählt uns, dass Jesus trotz verschlossener Türen zu seinen Jüngern vordringt und ihnen den Heiligen Geist einhaucht. Doch durch die verschlossenen Türen ihrer Herzen scheint er zunächst noch nicht vordringen zu können. Die Einhauchung des Heiligen Geistes scheint noch keine Wir­kung zu entfalten. Denn wie uns das Johannesevangelium ein paar Verse nach unserem heutigen Abschnitt berichtet, sind die Jünger acht Tage später wieder hinter verschlossenen Türen zusammen. Erst als sie am Pfingstfest der Heilige Geist wie ein heftiger Sturm überkommt und sie mit seinem Feuer ent­flammt, beginnen sie mutig in aller Öffentlichkeit aufzutreten und das Evangelium zu verkünden. Und damit nahm eine ge­waltige Entwicklung ihren Lauf.

Doch wo ist diese Dynamik heute zu spüren? Wo ist der Heilige Geist mit seiner gewaltigen Kraft heute am Werk? Wenn ich die große Verunsicherung bei vielen Menschen aufgrund der vielen Krisen in den letzten Jahren wahrnehme – ich denke da vor allem an Corona, den Krieg in der Ukraine, die hohe Infla­tion, den Klimawandel, – wenn ich auf die krisenhafte Situa­tion unserer Kirche heute schaue – ich sage nur Missbrauch, innere Zerrissenheit, Mitgliederschwund, – wenn ich sehe, dass viele noch zusätzlich individuell ganz unterschiedlich durch Schwierigkeiten oder Herausforderungen belastet sind, sei es in den Familien oder auch in unserer Gemeinschaft, im Beruf oder im Freundeskreis, dann habe ich den Eindruck, dass wir eher den verängstigten, mutlosen Jüngern vor der Geist­sendung gleichen. Dann ist für mich von Dynamik, von Auf­bruch, von Zuversicht wenig spürbar. Dann habe ich den Ein­druck, wir brauchen Gottes Heiligen Geist mehr denn je!

Doch vertrauen wir überhaupt noch auf ihn? Rechnen wir noch mit ihm oder leben wir nicht allzu oft so, als ob es Gott nicht gäbe? Meinen wir nicht allzu oft, wir könnten oder müssten gar alles aus eigener Kraft schaffen?

Dass wäre nicht allzu verwunderlich. Denn der ungeheure technische Fortschritt unserer Zeit verleitet uns oft zu der Vor­stellung, wir könnten alles selber machen. Und unsere Gesell­schaft impft uns ein, dass wir nur dann etwas zählen, wenn wir etwas leisten. Doch damit kommen wir nicht weit. Alles selbst in der Hand zu haben und machen zu können, ist eine Illusion! Und es kann sehr befreiend sein, sich von dieser Illusion zu verabschieden, wenn ich darauf vertraue, dass je­mand anders mein Leben in der Hand hält, jemand, der es restlos gut mit mir meint und der mich rückhaltlos liebt. Es kann sehr befreiend sein, zu erkennen: ich muss nicht alles aus eigener Kraft schaffen. Da ist jemand, der mir mit seiner Kraft zu Hilfe kommt, der ganz andere Möglichkeiten hat als ich.

Vielleicht macht uns der Heilige Geist auch ein wenig Angst. Er ist eben kein laues Lüftchen, sondern ein gewaltiger Sturm. Der weht, wo er will, nicht wo ich will. Der lässt sich nicht zähmen. Der kann mich gehörig durcheinanderschütteln und Veränderungen mit sich bringen, die ich nicht absehen kann. Dann müsste ich vielleicht aus meinem bisherigen Leben, in dem ich es mir bequem eingerichtet habe, heraus. Müsste viel­leicht von vielen „Besitzständen“ loslassen, mich von liebge­wordenen Gewohnheiten, auch Denkgewohnheiten verab­schieden. Der Heilige Geist kann zu einem „Wind of Change“ werden, der uns nicht immer so angenehm ist, wie er in der erfolgreichen Rockballade der Scorpions, der „Hymne der Wende“, besungen wird. Vor allem dann nicht, wenn er in mein eigenes Leben bläst. Denn ich habe doch gerne alles unter Kontrolle. Veränderungen machen vielen Angst. Und Angst macht eng. Und dann steht der Heilige Geist vor den verschlossenen Türen meines Herzens und kann nicht rein. Aber Angst und Verunsicherung sind ja sowieso schon oft da, wie ich gerade beschrieben habe. Wäre es dann nicht viel sinn­voller, sich dem Wirken den Heiligen Geistes zu öffnen, ihm zu vertrauen, weil ich doch allein nicht weiterkomme, allein nicht aus meinen Ängsten herauskomme?

Ich bin gewiss und glaube fest daran, dass der Heilige Geist eine gewaltige Kraft ist, die uns selbst, unsere Familien, un­sere Mönchsgemeinschaft, unsere Gesellschaft, ja die ganze Welt verändern kann. Dafür müssen wir uns ihm aber öffnen und zulassen, dass er uns bewegt, verändert, stört. Vergessen wir dabei nicht: er ist die Liebe selbst. Deshalb brauchen wir keine Angst vor ihm zu haben. Gerade von unserer Angst will er uns ja befreien – wie die Jünger. Da er die Liebe ist, kann er uns nichts Böses wollen, ganz im Gegenteil: er will uns in die Weite, in die Freiheit führen, er will das Beste für uns.

Da er aber die Liebe ist, will er uns ganz! So ist die Liebe eben. Die geht aufs Ganze. Er will uns mit seinem Feuer entflammen, eine Leidenschaft in uns entfachen, für die Liebe, das Leben, für Gott. Halbherzigkeit ist damit nicht vereinbar. Bloß daran wärmen geht nicht, sondern nur ganz und gar brennen, die Liebe weitergeben, andere damit anstecken.

Manches werden wir dafür loslassen müssen. Doch das, was wir dafür „quasi im Gegenzug“ bekommen, ist so unvergleich­lich mehr, dass es den Verlust mehr als aufwiegt, wenn wir es dann überhaupt noch als Verlust empfinden, denn durch die Berührung mit Gott verschieben sich viele Werte, und vieles, was einem vorher wichtig war, wird auf einmal unwichtig.

Wenn wir den Heiligen Geist in unser Herz hineinlassen, dann kann ein neues Pfingsten geschehen, ein neuer Sturm der Be­geisterung seinen Anfang nehmen, der uns von lähmender Angst befreit und ungeahnte Kräfte freisetzt. Lassen wir uns von ihm anstecken!

von P. Abraham Fischer OSB

Wie im Himmel so auf Erden,
liebe Schwestern, liebe Brüder,
das ist ein Satz, der in unseren Kirchen und Familien oder auch persönlich oft gebetet wird – gehört er doch zum Urgebet des Christentums, dem Vaterunser. Hier werden Grundsätze unseres Glaubens ausgesprochen. Es geht um den Lobpreis Gottes, den wir vertrauensvoll als Vater anreden. Es geht um unsere Bedürftigkeit nach Nahrung, es geht um die Tatsache, dass wir in unserem Leben nie ohne Fehler und Versagen sind, es geht um die Bitte, klare und menschenfreundliche Wege im Gewirr des Alltags zu finden. Das Gebet endet mit der Anerkennung von Gottes Macht und Herrlichkeit und es spricht aus, dass wir von der endlichen Welt mehr erwarten, wenn wir sprechen: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe – eben: wie im Himmel so auf Erden.

Im Zusammenhang mit dem heutigen Fest stellt sich dann mehr oder weniger intensiv die Frage, was das denn sein könnte der „Himmel“? Und manche von uns stellen die Frage konkreter: Wo ist er denn dieser Himmel?
Bohrend stellt sich diese Frage im Erleben unserer Vergänglichkeit: Wo sind sie, die Menschen, die gestorben sind? Und emotional noch intensiver: sehen wir uns wieder in diesem Himmel?

Fragt man die derzeit sehr diskutierte künstliche Intelligenz nach dem Himmel, so bekommt man folgende Antwort:
„Der Himmel wird im Allgemeinen als der Raum oberhalb der Erdoberfläche betrachtet. Es ist der Bereich, in dem sich die Atmosphäre erstreckt und in dem sich Wolken, Sterne, Planeten und andere Himmelskörper befinden. Der genaue Ort des Himmels wird jedoch oft als metaphysisches Konzept betrachtet und kann je nach religiösen oder spirituellen Überzeugungen unterschiedlich interpretiert werden. In verschiedenen Religionen und Kulturen gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, wo der Himmel liegt und wie er beschaffen ist. Es ist wichtig zu beachten, dass dies spekulative und subjektive Vorstellungen sind, die auf Glauben und Interpretation basieren, anstatt auf wissenschaftlicher Messung oder Beobachtung.“

Dieser Text wirft uns Fragende zurück auf die Erde und man könnte sagen: Typisch naturwissenschaftlich kaputt erklärt, rationalistisch aufgelöst und endgültig entmythologisiert.

In dem durchaus sauber argumentierenden Text stecken aber einige Voraussetzungen, die man hinterfragen könnte, wenn man denn den Himmel als Sehnsuchtsort nicht so ganz aufgeben mag. Es wird nämlich vorausgesetzt, dass wir die Erde begreifen könnten, wenn wir sie mittels Naturwissenschaft zergliedern, analysieren und damit greifbar machen. Vielleicht sollten wir, um den Himmel zu verstehen, erst mal mit der Erde anfangen. Und damit meine ich nicht nur unseren Planeten Erde, sondern das Universum und das gesamte erfahrbare Dasein. Hier gibt es nicht nur Fakten, die wir „noch nicht“ verstehen, weil wir sie noch nicht vermessen können, sondern hier gibt es auch Fragen, an denen Naturwissenschaft bisher grundsätzlich scheitert:

  • Was ist das Dasein und woher kommt es?
  • Was ist Leben und wie ist es genau entstanden?
  • Und vor allem: Was ist der Mensch und warum fragt er immer wieder über sich hinaus und denkt eben über so etwas scheinbar Sinnloses wie den Himmel nach? Warum fragt er nach seinen Toten und kann sich einfach nicht damit zufriedengeben, dass nach dem Tod alles ein nur „aus“ sein soll?

Denken wir uns tiefer in das Thema hinein, so bleibt uns nur unser Hier und Jetzt, um Spuren des Himmels zu suchen. Es bleibt das Wunder des Lebens an sich, das wir im Frühling jedes Jahr erleben, um zu ahnen, dass es Kräfte des Daseins gibt, die sich der Erklärung verschließen. Es bleiben diese Fragen, die Menschen immer wieder zu allen Zeiten in allen Regionen und Religionen stellen und die einfach nicht verstummen.

Indem wir den spirituellen Himmel unbewusst immer mehr mit dem materiellen Universum gleichgesetzt haben, sind wir einer Spur gefolgt, die einerseits unsere Sehnsucht nach Unbegrenztheit befriedigt. Dieser Himmel – auch spirituell vorgestellt – ist natürlich groß und monumental.

Das Konzept hat aber den Nachteil, dass wir uns im gekrümmten Raum wiederfinden, der sich im Grunde in sich selber dreht. Er ist unbegrenzt, aber endlich. Milliarden von Lichtjahren entfernt, darin aber schweigend zu den Fragen aus dem inneren Universum des Menschen. Das gilt es erst einmal auszuhalten, demütig zu werden, dass diese kleinen humanoiden Wesen auf einem winzigen Planeten sich soweit entwickeln konnten, das alles zu erforschen und zu begreifen.

Großartigkeit und Kleinheit liegen manchmal so eng zusammen. Kommen wir zurück ins Hier und Jetzt: Wie wäre es, wenn der Himmel gar nicht weit weg wäre, sondern ganz nah? Könnte er nicht im Grunde die „andere Seite der Wirklichkeit“ sein? Muss er getrennt gedacht werden und weit entfernt oder wäre es vorstellbar, dass der Himmel verwoben mit unserer Wirklichkeit immer und überall einfach dabei ist, dass er zum Dasein gehört, dass er einfach nur die andere Seite der Medaille ist?

Manchmal fragen die Menschen nach den Verstorbenen und wo sie sind. Wir wissen, dass wir die Körper bestatten und dass sie vergehen und doch spüren wir mitunter, dass etwas bleibt – und wenn es nur die Erinnerungen lebender Menschen sind. Vielleicht sind sie aber nur hinübergegangen auf die andere Seite der Wirklichkeit und können von dort aus weiter für uns da sein. Dann wäre der Himmel nicht etwa jenseits der Welt, sondern inmitten der Welt. Unser Erlebnishorizont wäre dann ein äußerer und die Hinübergegangenen hätten sich in die innere Dimension des Daseins zurückgezogen. Wir würden die Außenfläche einer Kugel erleben, deren Inneres eine ganz andere Dimension hat, in die wir aber eingeschrieben sind.

Wir würden dann nicht erst nach dem Tod in den Himmel „kommen“, sondern wären schon jetzt darauf. Und immer wenn wir wachsam das Dasein betrachten, könnten wir Funken dieses Inneren durchblitzen sehen.

In den Dialogen des heiligen Gregor finden wir dazu folgende Gedanken. Sie beschreiben den inneren Kontakt zum Innersten der Welt so:

Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng. Hat sie auch nur ein wenig vom Licht des Schöpfers erblickt, wird ihr alles Geschaffene verschwindend klein. Denn im Licht innerer Schau öffnet sich der Grund des Herzens, weitet sich in Gott und wird so über das Weltall erhoben. Die Seele des Schauenden wird über sich selbst hinausgehoben. Wenn das Licht Gottes sie über sich selbst hinausreißt, wird sie in ihrem Inneren ganz weit; wenn sie von oben hinabschaut, kann sie ermessen, wie klein das ist, was ihr unten unermesslich schien.  (Dialoge II,35,6)

Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng, weil der Himmel ihre andere Seite ist, weil nichts getrennt ist, weil wir uns in Gott geborgen glauben dürfen. AMEN

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

Predigttext: Joh 10,1-10

Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst!

I.

Dass Jesus das Motiv des Hirten nutzt, um seine Gottesbotschaft zu veranschaulichen, ist kein Zufall. Hirten waren in der Lebenswelt seiner Zuhörer allgegenwärtig. Die nomadische Lebensweise, in der man mit seinen Herden von Weideplatz zu Weideplatz zog, steht historisch am Anfang der biblischen Geschichte. Der bis heute vielleicht populärste Psalm, Ps 23, zeugt davon: „Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. … Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“

Uns Heutigen ist der „Hirt“ aus dem Blick geraten. Einen Schäfer, der – ein Pfeifchen schmauchend – mit seiner Herde übers Land zieht, trifft man höchst selten.  Seine Aufgaben hat der hochprofessionelle „Tierwirt“ übernommen, der darin perfektioniert ist, zu möglichst geringen Kosten appetitlich abgepackte Grillsteaks für die Kühlregale der Lebensmitteldiscounter zu produzieren.

Und trotzdem: Der „Gute Hirt“ ist bis heute ein Sehnsuchtsbild: Die Vorstellung von jemandem der „grüne Auen“ verspricht, der mich zum „Ruheplatz am Wasser“ führt, ist das unausgesprochene Leitmotiv der Werbung jedes Reiseveranstalters. Und wer ist nicht immer wieder darauf angewiesen, dass er heil durchs „finstere Tal“ geleitet wird und jemanden findet, der „den Tisch deckt“, wenn „Feinde“ bedrohlich nahe rücken?

In unserem kirchlichen Kontext ist das Hirtenmotiv ziemlich verschlissen. Viele konventionelle Guter-Hirt-Bilder wirken kitschig oder gar peinlich. Mancher Hirte und „Ober-Hirte“ (welch paradoxer Begriff für ein Dienst-Amt!) taugt eher als Schauerbeispiel dafür, wie entsetzlich man ein „Hirtenamt“ missbrauchen kann.

II.

Vor diesem Hintergrund treffen wir heute auf Jesu Gleichnis vom „Guten Hirten“. Um es in seinem Sinn zu verstehen, ist eine Voraussetzung unabdingbar: Gott ist der „Gute Hirt“ – und niemand sonst! Jeder der, mit welchem Motiv auch immer, sich selbst als „Hirt“ aufbaut, ist ein „Dieb“ und ein „Schlächter“. Der Jesus des heutigen Evangeliums ist da glasklar und unmissverständlich.

Wo immer ein Mensch einen „Hirtendienst“ übernimmt, kommt er an diesem Grundsatz nicht vorbei, – egal ob er ein kirchliches Amt innehat, Verantwortung in Wirtschaft oder Politik trägt oder in Familie, Schule oder einer sozialen Einrichtung für andere sorgt: Wenn Gott selbst der Hirt ist, setzt das jedem „Unterhirten“, jeder „Unterhirtin“ eine Grenze, klarer ausgedrückt: ein Tabu. Niemand darf sich zum Alleinherrscher über „dumme Schafe“ machen und niemand darf sich unter den Druck setzen oder setzen lassen, ein Schlaraffenland a lá Psalm 23 herbeizaubern zu müssen.

Was zu tun und zu lassen ist, wenn man, wo auch immer, in einem Hirtendienst steht, zeigt Jesus im Evangelium auf: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.“
Ein Hirt nimmt den Zugang und nicht die Hintertür, er mogelt sich nicht irgendwo herein, um Beute zu machen.
Wie klar und hilfreich könnten Beziehungen und auch die Ausübung von Verantwortung und Macht sein, wenn sie ohne Manipulationen und Tricks, ohne Angstverbreitung, ohne Verschleierung von Eigeninteressen und auf der Basis von Vertrauenswürdigkeit ausgeübt würden!

Gott als der „Gute Hirte“ wartet, „bis ihm geöffnet wird und bis er gehört“ wird: Nicht das große Gepränge und Getöse, sondern das Fingerspitzengefühl für den passenden Augenblick und das Gespür für den richtigen Ton zeichnen ihn aus.

„Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.“
In der Sicht Gottes hat jede und jeder einzelne einen Namen und damit die Würde der Einmaligkeit. Keiner ist anonymer Versorgungsfall oder beliebige Verfügungsmasse.
Und: Es geht ums „Hinausführen“ und nicht darum, Menschen mehr oder weniger lebensuntüchtig in irgendeinem „Stall“ festzuhalten.
Was wäre alles möglich, wenn Hirten das „Hinausführen“ zu ihrem Leitmotiv machen würden!

„Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.“
Ein weiteres Grundbild von ganz großer Bedeutung. Ein Hirte geht voraus – und fuhrwerkt nicht mit dem Knüppel des Treibers hinterher!

III.

Entscheidend für Jesus ist: Dieser „Gute Hirt“ muss nicht erfunden oder von jemandem in Szene gesetzt werden. Er ist schon da! Jesus selbst lebt auf dem Fundament, dass Gott sein Hirt ist. So kann er tatsächlich durchs tiefste Tal, durchs Tal des Todes gehen, ohne von Furcht überwältigt zu werden.

Im Grund des eigenen Daseins, im „Herzen“ zu wissen, dass ich geführt, geleitet und versorgt bin, das ist der Trost des Bildes vom „Guten Hirten“, den Jesus verkörpert. Jede und jeder ist eingeladen, diesen „Hirtentrost“ anzunehmen. Wo immer ein „Hirtendienst“ zu tun ist, geht es einzig und allein darum, diesen Trost vertrauens- und buchstäblich glaub-würdig zu vermitteln

Zu diesem „tröstenden Hirten“ können wir immer und immer wieder beten und dabei gewiss sein, dass er unsere Stimme hört:

Höchster, lichtvoller Gott,
erleuchte die Finsternis in meinem Herzen:
gib mir einen Glauben, der weiterführt,
eine Hoffnung, die durch alles trägt,
und eine Liebe, die auf jeden Menschen zugeht.
Lass mich spüren, wer du, Herr, bist,
und lass mich erkennen, wie ich deinen Auftrag erfülle.

von P. Maurus Runge OSB

Was mir an den sog. Auferstehungserzählungen der Evangelien so gefällt, liebe Schwestern und Brüder, ist, dass sie nicht triumphalistisch-siegesgewiss daherkommen, sondern sehr leise. Es sind Geschichten, die durch den Zweifel hindurchgegangen sind, die den Zweifel, die Ängste und Sorgen der Jünger ernst nehmen und nicht vorschnell durch ein „ihr müsst nur mehr glauben“ zu überwinden versuchen. In allen Osterevangelien hat der Zweifel Raum, und der Auferstehungsglaube ist ein trotziger Glaube, ein Glaube, der trotz alledem, trotz des Zustands der Welt – und heute könnten wir ergänzen: trotz des Zustands der Kirche – die Hoffnung nicht aufgibt, dass es da noch mehr geben muss als Leid und Tod. Die Osterevangelien, die relativ spät entstanden sind und mehr die Erfahrungen der ersten Gemeinden widerspiegeln als dass sie historische Tatsachenberichte geben wollen, sagen nicht: „Genau so und nicht anders müsst ihr glauben“, sondern sie ermutigen uns: „Versuche, so zu glauben und zu leben, als ob es wahr wäre.“

Das 21. Kapitel des Johannesevangeliums, erst nachträglich dem Evangelium hinzugefügt, nimmt diesen leise-trotzigen Grundton des „als ob“ auf: „Es könnte trotz allem wahr sein.“ Da sind sieben der Jünger, angeführt von Simon Petrus, am See von Tiberias, die wieder ihrer gewohnten Arbeit als Fischer nachgehen. In dem kurzen Dialog zwischen Petrus und den Jüngern nehme ich einen resignativen Unterton wahr: „Ich gehe fischen.“ – „Wir kommen auch mit.“ Was sollen wir auch sonst tun? Das kleine Intermezzo mit diesem Jesus – es waren wohl doch nur verlorene Jahre. Nichts hat sich geändert, all unsere Hoffnung hat sich am Kreuz zerschlagen, ist durch-kreuzt worden. Solche Erfahrungen der alltäglichen Sinnlosigkeit – sie sind mir zumindest nicht fremd. Und im Geiste einer self fulfilling prophecy, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung heißt es dann weiter: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“

Dann heißt es: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“ Auch das ein wiederkehrendes Thema in den Auferstehungserzählungen. Die Jünger sind so gefangen in ihrer Resignation und Hoffnungslosigkeit, in ihrem Zweifel, dass sie nichts mehr wahrnehmen können, was neue Perspektiven eröffnet. Und doch versuchen sie es noch einmal auf das Wort Jesu, des für sie Fremden, hin, und werfen gegen den Augenschein noch einmal die Netze aus – und siehe da: „Sie konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.“ Für mich ist der entscheidende Moment in diesem Evangelium, dass die Jünger es noch einmal versuchen, dass sie nicht völlig die Hoffnung aufgeben, in Mutlosigkeit versinken, sondern das Unmögliche wagen. Und im Tun des scheinbar Unmöglichen öffnen sich ihnen neue Perspektiven, werden ihnen neue Bilder vor Augen gemalt: „Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr!“

Und dann kommt die seltsam anmutende Stelle, dass Petrus sich das Obergewand umgürtet, „weil er nackt war“, und in den See springt, um schneller bei Jesus am Ufer zu sein – Letzteres passt wieder zu diesem so ungestümen Mann, der so oft vorprescht und dann doch wieder jäh sich seiner Schwäche, ja auch seiner Schuld bewusst wird. Vielleicht können wir die Nacktheit des Petrus auch in diesem übertragenen Sinn verstehen – Petrus ist sich seiner Schuld bewusst, die er noch bei der Verleugnung Jesu auf sich geladen hat und die er nun mit dem Gewand zu bedecken sucht.. Für diese Deutung spricht auch das Kohlenfeuer, das am Ufer brennt – dasselbe griechische Wort kommt noch einmal im Johannesevangelium vor, und zwar genau bei der Szene der Verleugnung, als sich die Knechte und Mägde im Hof des Hohenpriesters ein Kohlenfeuer anzünden. Was mir diese kleine Episode zeigt: auch mit meinem Versagen, meiner Schwäche, meiner Schuld kann ich dem Auferstandenen begegnen – ja, gerade meine Schuld wird zum Einfallstor für die Gnade Gottes: „O felix culpa, o glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“ hieß es im Exsultet der Osternacht.
Und schließlich ist es das Mahl, das gemeinsame Essen, das die Erfahrung mit dem lebendigen Jesus besiegelt. Das, was sie schon zu Lebzeiten so oft miteinander getan haben, wird zum Erkennungszeichen des neuen Lebens. Nichts von dem, was wir in diesem Leben tun, keine menschliche Begegnung, keine Freundschaft, kein Liebeserweis ist verloren in der Ewigkeit. Genau das meinen wir, wenn wir von leiblicher Auferstehung, der Auferstehung des Leibes sprechen. Der Leib, das ist all das, was uns als Menschen in Beziehung ausmacht.
Und genau deswegen ist der Glaube an die Auferstehung kein Glaube, der mich auf ein besseres Jenseits vertröstet, weil das Diesseits kaum auszuhalten ist. Wenn ich an die leibliche Auferstehung glaube, dann verpflichtet mich dieser Glaube dazu, leidenschaftlich diese Erde zu lieben. Er verpflichtet mich dazu, dass ich trotz meines Versagens mich wie Petrus mit dem Obergewand umgürte, den Sprung wage und so lebe, als ob es wahr sein könnte. Und mich nicht zufriedengebe mit dem Zustand dieser Welt und dieser Kirche. In der trotzigen Hoffnung, dass es nicht umsonst ist, werfe ich die Netze meiner Sehnsucht noch einmal aus. AMEN.

von P. Erasmus Kulke OSB

Liebe Schwestern und Brüder, bei dem Stichwort „Quasimodo“ denken vermutlich viele von Ihnen an den Glöckner von Notre Dame. Vermutlich denken Sie an die erfolgreiche Verfilmung des berühmten Romans von Victor Hugo mit Anthony Quinn in der Rolle des buckligen und völlig entstellten Glöckners – an der Seite von Gina Lollobrigida als schöne und verführerische Esmeralda. Seinen Namen verdankt der Glöckner dem Tag, an dem er als Findelkind vor der Kathedrale Notre Dame in Paris gefunden wurde: dem Sonntag Quasimodo. Damit ist der Sonn­tag nach Ostern gemeint, der nach seinem Introitus, also nach dem Eingangsgesang der Messe dieses Tages, benannt ist. Der beginnt mit den Worten „Quasi modo geniti infantes“. Auf Deutsch: „Gleichsam wie neugeborene Kinder“. Wir haben ihn zu Beginn der Messe gesungen. Der Sonntag Quasimodo ist also heute. Wir nennen ihn auch Weißen Sonntag.

Wenn man in die Zeit der frühen Kirche zurückgeht, erklärt sich, warum der heutige Sonntag „Weißer Sonntag“ heißt und warum wir genau diesen Introitus singen: Damals war der zentrale Termin für die Taufe die Osternacht. In einem zumeist dreijährigen sogenannten Katechumenat bereiteten sich die Taufbewerber auf die Taufe vor und wurden in den Glauben eingeführt. An der Heiligen Messe durften sie in dieser Zeit noch nicht teilnehmen. Da sie eben „heilig“ war, wollte man sie vor Nicht-Gläubigen schützen und gestattete nur Getauf­ten die Teilnahme an der Messe. Die Einführung in die Eucha­ristiefeier und die theologisch-spirituelle Bedeutung ihrer Riten geschah also erst nach der Taufe, insbesondere in der Woche nach Ostern, und zwar während der Messe selbst. Ver­mutlich im 7. Jahrhundert entstand dann der Brauch, dass die Neugetauften zu den Messen an den Tagen der Osteroktav ihre weißen Taufgewänder anzogen und sie dann am Sonntag nach Ostern wieder ablegten. Daher also der Name „Weißer Sonn­tag“.

Der Introitus wiederum hat genau diese Neugetauften im Blick: Der Text lautet in deutscher Übersetzung: „Gleichsam wie neugeborene Kinder, vernünftig, ohne Hinterlist, verlangt nach Milch.“ Die Worte stammen aus dem 1. Petrusbrief (2,2) und machen bildhaft deutlich, dass die Neugetauften im Glau­ben weiter genährt werden müssen, damit sie im Glauben wachsen, so wie Säuglinge die Muttermilch für ein gesundes Wachstum brauchen. Aus dem Kontext des 1. Petrusbriefs geht hervor, was mit dieser „vernünftigen und unverfälschten Milch“, wie es dort wörtlich heißt, gemeint ist: nämlich das Wort Gottes, das lebt und bleibt (1,23). Das ist die Nahrung, die unseren Glauben wachsen lässt. Deshalb müssen wir dieses Wort immer wieder verkosten, betrachten, meditieren, wenn wir im Glauben wachsen wollen. Nach diesem Wort sollen wir verlangen, wie Säuglinge, die nach der Muttermilch schreien und nicht eher still werden, bis sie gestillt werden. Ja, wir sollen uns sehnen nach dem lebendigen Wort. Auch diese Be­deutung steckt in dem Verb des griechischen Urtexts, das hier mit „verlangen“ übersetzt wird. Denn die Sehnsucht treibt uns an, uns immer wieder nach diesem Wort auszustrecken, nach dem Wort, das in Christus Fleisch geworden ist, ja das Christus selbst ist. Und jetzt mal Hand aufs Herz, liebe Schwestern, liebe Brüder: Wie sieht es mit Ihrer Sehnsucht nach Gott und seinem Wort aus? Wie oft nähren Sie ihren Glauben damit?

Ich habe den Eindruck, dass viele Christen gar nicht nach die­sem Wort verlangen, gar keine Sehnsucht mehr nach Christus in sich spüren und dem entsprechend im Glauben nicht wach­sen, nicht erwachsen geworden sind. Das ist vielleicht ähnlich wie in der Gemeinde von Korinth, denen Paulus in seinem ers­ten Brief schreibt: „Vor euch, Brüder und Schwestern, konnte ich aber nicht wie vor Geisterfüllten reden; ihr wart noch ir­disch eingestellt, unmündige Kinder in Christus. Milch gab ich euch zu trinken statt fester Speise; denn diese konntet ihr noch nicht vertragen. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht; denn ihr seid immer noch irdisch eingestellt.“ (1Kor 3,1-3)

Und deshalb macht es meines Erachtens auch nur begrenzt Sinn, wenn wir in Deutschland auf dem Synodalen Weg über kirchliche Strukturen diskutieren. Ich sage nicht, dass das un­wichtig ist oder dass sie nicht reformbedürftig sind, aber was nützen uns neue Strukturen, wenn das Fundament fehlt oder brüchig ist? Das ist doch der Grund, warum so manches in unserer Kirche „schief“ ist. Und mit Fundament meine ich einen erwachsenen Glauben! Und das ist nichts Äußerliches, kein starres Befolgen von Regeln und Riten, keine Ideologie, keine bloße Weltanschauung, kein „Ich glaube an Gott“, sondern ein „Ich glaube Dir, Gott“, also eine tiefe Gottes­beziehung, aus der heraus ich lebe und meine Leben gestalte, die mir Kraft, Hoffnung, Sinn und Orientierung gibt. Eine Christusbeziehung, die ausstrahlt und mich zu einem überzeu­genden Boten des Evangeliums macht. Das vermisse ich oft in unserer Kirche, auch bei vielen Hauptamtlichen – bis hinauf zu den Bischöfen und Kardinälen. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum immer weniger Menschen zu uns in die Kirche kommen, warum viele Menschen, die auf der Suche sind, die in eine Sinnkrise geraten, gar nicht erst auf die Idee kommen, bei uns Christen nachzufragen und nach Antworten zu suchen. Sicher spielen hierbei auch die Missbrauchsfälle und verkrustete, völlig veraltete kirchliche Strukturen eine Rolle. Aber vor allem liegt es aus meiner Sicht daran, dass wir es nicht schaffen, die frohe Botschaft überzeugend weiterzu­geben, so dass sie die Menschen unserer Zeit erreicht, weil wir oft selbst die Botschaft nicht wirklich verinnerlicht haben und daraus leben, weil wir die Sehnsucht nach dem Wort Gottes mit anderen, vergänglichen Dingen versuchen zu stillen oder auch sie zu betäuben.

Der heutige Sonntag, der in besonderer Weise die Neugetauf­ten im Blick hat, kann uns, die vermeintlich „alten Hasen“, ermutigen, uns wieder zurückzubesinnen auf unsere eigenen Glaubensanfänge, auf frühere Gotteserfahrungen, die uns be­wegt oder angerührt haben, damit unsere Sehnsucht nach Gott wieder neu entfacht wird. Uns allen hat er eine Sehnsucht nach ihm ins Herz gelegt. Die ist vielleicht im Laufe der Zeit ein wenig heruntergebrannt und glimmt nur noch. Denn wer im Glauben voranschreitet, macht immer wieder auch die Er­fahrung, dass Gott sich seinem Gespür entzieht. Der macht Erfahrungen geistlicher Trockenheit oder – wie Johannes vom Kreuz, ein großer Mystiker im 16 Jahrhundert, es nennt – Er­fahrungen der „dunklen Nacht des Glaubens“. Und das lässt die Sehnsucht nach Gott schon mal erlahmen. Doch Johannes vom Kreuz sieht hierin Gott als Pädagogen am Werk, der uns immer wieder zu geistlichem Wachstum anregen will und her­ausfordert. Auch er benutzt das Bild des Säuglings, um es an­schaulich zu machen. Er schreibt: „Wenn sich ein Mensch mit Entschiedenheit dem Leben mit Gott zuwendet, pflegt Gott ihn zumeist geistlich zu umsorgen wie eine liebende Mutter ihr neugeborenes Kind: Sie wärmt es an ihrer Brust, nährt es mit ihrer süßen Milch, trägt es auf den Armen und herzt es. In dem Maße aber, wie es heranwächst, entzieht ihm die Mutter solcher Art Zärtlichkeiten, sie bestreicht die bisher süße Brust mit Bitterem, lässt es von den Armen herab, damit es auf eigenen Füßen stehen lerne, die Art des Säuglings ab­lege und nach kernigerer Nahrung verlange. Nicht anders ver­hält sich die Gnade Gottes, diese liebende Mutter, sobald ein Mensch zu neuem Leben in Gott wiedergeboren wird.“

Doch nicht nur heute, auch zu Lebzeiten des Johannes sind viele im Glauben nicht gewachsen, sondern Kinder geblieben. Er schreibt: „Es ist beklagenswert, so viele Menschen sehen zu müssen, denen Gott alle Gaben und Gnaden verleiht, um vo­ranzukommen, und würden sie Mut fassen, so könnten sie es. Sie aber bleiben bei ihrer niedrigen Art mit Gott umzugehen, weil sie es nicht anders wollen oder wissen oder niemand da ist, der sie aus den Kinderschuhen der Frömmigkeit heraus­führen könnte. Beschenkt sie unser Herr schließlich doch so reich, dass sie dennoch vorankommen, so gelangen sie doch wesentlich später, mühseliger … ans Ziel, weil sie sich Gott nicht überlassen haben. … Sie sind wie kleine Kinder: wenn ihre Mütter sie auf den Arm nehmen möchten, strampeln und schreien sie, weil sie unbedingt selber laufen wollen, obwohl sie es doch nicht können und wenn, dann nur mit Kleinkind-Schritten.“

Der heutige Sonntag lädt uns ein, im Glauben voranzu­schreiten, zu wachsen, der Sehnsucht nach Gott wieder mehr Raum in unserem Leben, in unserem Herzen zu geben. Lassen wir sie von Gott wieder neu entfachen. Sein Wort will uns dabei Nahrung sein. Nehmen wir es immer wieder zu uns, ver­tiefen wir uns darin, „kauen“ wir es. Manchmal muss man län­ger kauen, wie beim Schwarzbrot, bis es seinen vollen Ge­schmack preisgibt. Nur Gott vermag unsere Sehnsucht wahr­haft zu stillen. Er selbst hat eine unendliche Sehnsucht nach uns und wartet nur darauf, dass wir uns ihm zuwenden. Oder noch einmal mit Johannes vom Kreuz: „Vor allem muss man wissen: Wenn der Mensch Gott sucht– viel früher schon sucht Gott den Menschen.“

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Ist Jesus auferstanden – oder ist er es nicht?

  • Wer mit „Nein“ antwortet, für den scheint das Thema erledigt zu sein: Keine Auferstehung, kein Ostern!
  • Wer mit „Ja“ antwortet, bekommt es gleich mit weiteren, noch drängenderen Fragen zu tun: Ist die Auferstehung Jesu nur ein historisches Ereignis, dessen wir jährlich freudig gedenken?
    Oder ein Ereignis, das mein Leben begleitet und prägt?
    Was bedeutet es für mich, dass Jesus auferstanden ist?

Die Frage nach der Auferstehung Jesu wird schnell existentiell, betrifft eine jede, einen jeden von uns persönlich, denn was genau die Jüngerinnen und Jünger Jesu nach dem Schock der Kreuzigung, die sie zum Abtauchen in Flucht oder Versteck führte, erfahren haben, wissen wir nicht. Tatsache aber ist, dass aus dem Sich-Verstecken Aufbruch wurde, aus Verzweiflung Hoffnung, aus Flucht Bekenntnis.

In den frühen Bekenntnisformeln und späteren Ostererzählungen finden sich verschiedene Bilder und Vorstellungen, um das Ereignis zu beschreiben, das die Jüngerinnen und Jünger Jesu von der Todesstarre zum Aufbruch ins Leben führte: Erscheinung, Wiederkunft, Auferweckung, Auferstehung, Neuschöpfung, Geistwirken.
Wir bleiben herausgefordert, die Leerstelle auszuhalten und Glauben zu wagen. Dabei können uns jene unterstützen, die, wie wir gerade im Evangelium gehört haben, ebenfalls mit einer Leerstelle konfrontiert worden sind, mit dem leeren Grab.

Während andere Jüngerinnen und Jünger auf Kreuzigung und Tod Jesu mit Lähmung oder Rückzug oder Flucht nach Galiläa reagieren, drängt es Maria von Magdala zum Grab Jesu.
Noch in der Dunkelheit vor Tagesanbruch geht sie zum Grab, wo sie sofort sieht, dass der Stein weggenommen ist. Schrecken, Empörung und Verzweiflung durchfahren sie und sogleich läuft sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagt: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“ (Jo 20,2).

Die beiden Jünger eilen dann gemeinsam mit ihr zum Grab. Der andere Jünger ist schneller als Petrus, kommt als Erster ans Grab, beugt sich vor, sieht die Leinenbinden, geht jedoch nicht hinein, sondern lässt Simon Petrus den Vortritt.
Der geht hinein, sieht die Leinenbinden und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte, zusammengebunden an einer besonderen Stelle.
Auch der andere Jünger geht hinein, sieht und glaubt. Während Petrus zuvor die Situation zur Kenntnis nimmt, blitzt beim Jünger, den Jesus liebte, der Glaube auf – Erkenntnis eines geliebten und liebenden Herzens? Allerdings ist es eher ein kurzes Aufblitzen des Glaubens, das letztlich ohne Folgen bleibt, denn beide Jünger kehren wieder nach Hause zurück. „Denn“, so heißt es, „sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse“ (Jo 20,9).

Maria aber bleibt zurück, harrt aus, will Abschied nehmen am Ort seiner letzten Gegenwart, am Ort, wo sich seine letzte Spur verliert. Sie hofft, diese Spur wieder zu finden, steht draußen vor dem Grab und weint.

In ihrer Trauer können ihr selbst die beiden Engelsgestalten, die sie beim Hineinbeugen in das Grab sieht, nicht weiterhelfen.
Vielmehr wendet sie sich zurück, will sich resigniert zurückziehen, in Trauer und Schmerz versinken. Doch im Umwenden sieht sie jemanden dastehen, den sie für den Gärtner hält, auch ihm klagt sie ihre Not, dass jemand den geliebten Verstorbenen weggebracht habe (vgl. 20,14f.).

Erst als er sie mit ihrem Namen anspricht, wendet sie sich ihm wirklich zu, erkennt ihn und antwortet mit einem Wort vertrauter Anrede: Rabbuni, mein Herr.

Diesen Moment der Begegnung verdichtet Susanne Ruschmann in ihrem Gedicht „Wendezeit“:

Wendezeit
in der Wende
zwischen Schmerz und Trost
zwischen Trauer und Freude
zwischen Ende und Neubeginn
zwischen Nacht und Tag
GOTTES BEGEGNUNG
beim Namen gerufen werden
die Stimme des Anfangs hören
umgekehrt werden
von der Suche nach dem Toten
zur Begegnung mit dem Leben
neu ausgerichtet sein
weil das Zwischen
mit meinem Namen gefüllt ist
weil in der Wende
Gott begegnet.

Maria hat Jesus erkannt und will, wie das vertraute „Rabbuni“ zeigt, sich ihm ganz hinwenden, es so werden lassen wie früher. Doch einem solch rückgreifenden Zugriff entzieht sich der Auferstandene.

Maria von Magdala muss lernen, dass Jesu Gegenwart nach seinem Tod eine andere ist als vorher. Entsprechend weist Jesus auch ihren spontanen Impuls, ihn zu berühren, anzufassen, zu begreifen – die zutiefst menschliche Form der Vergewisserung von ‚Wirklichkeit‘ – recht deutlich, fast scharf zurück: „Halt mich nicht fest!“ oder wie es manche Exegeten zugespitzt formulieren: „Lass mich los!“.

Maria und mit ihr alle, die dem Auferstandenen nachfolgen, müssen lernen, dass es angesichts des leeren Grabes nicht darum geht, das Andenken eines Toten zu pflegen oder Vergangenes zu beschwören, sondern darum, ihn als Lebenden zu erfahren.
Eine realistische Beziehung zum Auferweckten
kann nur Beziehung in Entzogenheit sein, die zugleich eine neue Weise der Gemeinschaft eines dauerhaften Beieinander-Bleibens mit ihm ist. Diese neue Weise setzt aber voraus, die frühere Art der Beziehung, des menschlichen Umgangs miteinander loszulassen.

Und Maria Magdalena lässt los, wendet sich vom Grab ab und geht den Weg in die Verkündigung, zu der er sie gesandt hat. „In dieser Wende vollzieht sie selbst eine Auferstehung von der trauernd Suchenden zur Verkünderin der Osterbotschaft“ (Susanne Ruschmann, Maria von Magdala, Münster 2002, 164).
Maria Magdalena ist somit in der Ostererzählung des Johannesevangeliums nicht nur die Erste am Grab, die Erste, die dem Auferstandenen begegnet, sondern auch die Erste, die ihn bezeugt: „Ich habe den Herrn gesehen.“

So wie Maria Magdalena sollen auch wir, Jesus als dem Auferstandenen begegnen, auf ihn hören und ihn bezeugen.
Damit ist eine jede, ein jeder von uns gefragt.

Kehren wir also noch einmal zur Ausgangsfrage zurück: Ist Jesus auferstanden – oder ist er es nicht?
Der frühere Bamberger Generalvikar Alois Albrecht antwortet auf diese Frage:
„Wenn Dich einer fragt: glaubst Du an das leere Grab,
glaubst Du an das Ostern Jesu, seine Auferstehung
und sein Leben, dann sag nicht sofort Nein oder Ja.

Mach dir bewusst, dass ein Nein Dein Leben in die Enge treibt,
deren Schluss der Tod ist.
Und mach dir umgekehrt bewusst, dass Dein Ja Dein Leben in die Weite führt, deren Endpunkt Gott ist.

Vor wem willst Du stehen und wofür kannst Du leben?
Du kannst Dich für ein Nein entscheiden und zittern. –
Ich habe mich für ein Ja entschieden – und singe!“