O König der Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht, du Schlussstein, der den Bau zusammenhält – komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet!

Für mich gehören die O-Antiphonen, die wir vom 17. bis zum 23. Dezember in unserer Vesper singen, zu den schönsten und dichtesten Texten im Advent. Das sind Rufe der Erwartung und Sehnsucht, die bis in die Glaubensgeschichte Israels zurückgehen und auf Christus hin gedeutet werden, zu dem wir in diesen Tagen ja unterwegs sind. Sie heißen so, weil sie mit dem Ausruf O als Ausdruck des Staunens und der Ehrfurcht beginnen. Mit diesen O-Antiphonen stellen wir uns in eine ganz alte Glaubensgeschichte hinein.

In der Krypta unserer Abteikirche befindet sich eine Säule, in die der Text der heutigen O-Antiphon in lateinischer Sprache eingeschrieben ist. Diese Antiphon weist hin auf Christus, den König des Friedens, den König aller Völker, dem wir in unserem Königs-Münster besonders verpflichtet sind. Er wird einmal hoffentlich unsere Sehnsucht nach Frieden erfüllen, nach dem sich unsere Welt so sehr sehnt.

Die Säule befindet sich genau unter dem Altar unserer Hauptkirche. Sie trägt den Altar und das ganze Kirchengebäude. Der König des Friedens trägt uns. Aber noch etwas ganz Wichtiges trägt uns: In dieser Säule befinden sich die Namen aller Menschen, die uns beim Bau unserer Kirche in den 1960er Jahren unterstützt haben. All diese Menschen tragen uns bis heute. Jeder hat einen Beitrag dazu geleistet, dass wir heute noch hier beten können. Diese Säule erinnert mich daran, dass wir zu einer Gemeinschaft gehören, die Raum und Zeit übersteigt, eine Gemeinschaft von Menschen aller Völker und Kulturen, aber auch von Menschen, die noch leben und solchen, die schon gestorben sind.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder in Ihrem Leben den Frieden erfahren können, den uns Christus bringen möchte, und ich wünsche Ihnen eine gute Vorbereitung auf das Fest der Menschwerdung!

P. Maurus Runge OSB

O Morgenstern,
Glanz des unversehrten Lichtes,
der Gerechtigkeit strahlende Sonne:
o komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis
und im Schatten des Todes!

Der Morgenstern wurde schon früh als Bild auf Christus hin übertragen. Das Licht des Morgensterns, das in der Antiphon „O oriens“ besungen wird, vermag mit seinem Leuchten selbst in tiefster Finsternis im wahrsten Sinne des Wortes Orientierung zu geben. Im Exsultet der Osternacht wird die Osterkerze besungen als das Licht, das die Dunkelheit der Welt vertreiben soll. Solange, bis im letzten Advent der Herr „wiederkommt in Herrlichkeit“ und der Morgenstern aufgeht: „Jener wahre Morgenstern, der in Ewigkeit nicht untergeht.“

Der Advent ersehnt diesen Aufgang des Morgensterns, weil die Geburt Jesu mit dem Aufstrahlen dieses Lichtes in Verbindung gebracht wird: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes.“ So verheißt Zacharias in seinem Lobgesang, dass durch die Geburt Jesu dieses Licht in die Welt kommt (vgl. Lk 1,78.79).

Die Finsternis und der Schatten des Todes, die Angst vor Corona und der Grauschleier der Schwermut, der sich für manchen über die kommenden Tage legt, ist in dieser aktuellen Corona-Situation fast mit den Händen zu greifen. Die Worte der O-Antiphonen, die durch die Jahrhunderte hindurch und selbst in den dunkelsten Zeiten von Kriegen, Epidemien und Katastrophen von gläubigen Menschen gesungen werden, können in dieser Zeit die Hoffnung wachhalten, dass die Schatten des Todes und der Traurigkeit irgendwann auch einmal weichen müssen. Aber auch wenn Ihnen diese Worte  selbst vielleicht nicht so recht über die Lippen kommen wollen, dann lade ich Sie heute ein, einmal in einem stillen Moment eine Kerze oder ein Teelicht anzuzünden: Dann geht nämlich auch von Ihnen ein Licht aus und macht die Welt für Sie und auch für alle anderen ein bisschen heller…

Br. Vincent Grunwald OSB

O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel – du öffnest, und niemand kann schließen, du schließt, und niemand vermag zu öffnen: Komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes. (O-Antiphon vom 20.12.)

In der heutigen Vesper-Antiphon besingen wir den Schlüssel und das Zepter Davids.
Christus selbst ist es, der öffnet und der schließt.
Und wir fordern Gott dazu auf, zu kommen und uns zu befreien: aus Kerker, Finsternis, Fesseln und Tod.

Was für Orte sind das, die Gott verschlossen hat und öffnen wird?
Der Garten Eden? Das Reich Gottes? Das neue Jerusalem?
Der Verfasser der Antiphon zieht auf diese Weise einen Bogen von der Genesis zur Apokalypse, also vom Anfang bis zum Ende der Bibel;
vom ersten bis zum letzten Tag; vom Ursprung bis zur zukünftigen Verheißung.

Dazwischen liegen Kerker, Finsternis, Fesseln und Tod.
Wir alle kennen das Dunkle, durch das wir in unserem Leben von Zeit zu Zeit gehen müssen.
Wir denken an die finsteren Kapitel der Geschichte Israels: Josef wird von seinen Brüdern in einen tiefen Brunnen geworfen; das Volk Jakobs in der Sklaverei in Ägypten; die 40-jährige Wüstenwanderung; Kriege um das verheißene Land; die Zerstörung des Tempels; das babylonische Exil.
Wir denken an den Brudermord Kains gleich zu Beginn nach der Verbannung aus Eden. An das Buch Ijob und an zahlreiche Psalmen, in denen wir uns der absoluten Dunkelheit ausgeliefert wiederfinden.
Wir erleben es auch heute: die Lasten des Alltags, schwere Schicksalsschläge, Ungerechtigkeit in der Welt – hinzukommend in diesem Jahr die Corona-Pandemie und ihre Folgen.
Manchmal bleiben wir sprachlos zurück, sehen einfach überhaupt kein Licht mehr:
„Du hast mir entfremdet Freunde und Gefährten; mein einziger Vertrauter ist nur noch die Finsternis.“ (Ps 88,19)

Schlüssel und Zepter: Symbole für Verwaltungsgewalt und Königsmacht.

Die Schlüsselvollmacht wird erstmals beim Propheten Jesaja erwähnt, wo dem Knecht Eljakim mit der Schlüsselübergabe das Amt des Palastvorstehers übertragen wird. (Jes 22,22)
Uns ist das Schlüsselmotiv spätestens durch die Jesusworte im Matthäusevangelium bekannt:
„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Kirche, und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.
Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben. Was du binden wirst auf Erden, das wird gebunden sein im Himmel; und was du lösen wirst auf Erden, das wird gelöst sein im Himmel.“ (Mt 16,18f)

Doch kommen wir zum Bild des Zepters. Ist hier wirklich „nur“ die beherrschende Königsmacht gemeint?
„Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ (Ps 23,4)
Johannes schildert die Bevollmächtigung Petri anders als Matthäus: „Weide meine Schafe!“ (Joh 21,16f)
Der Hirtenstab als Königszepter? König David war Schafhirte!
Und Jesus schildert uns in seinem Gleichnis die Bemühung des Hirten, ein verirrtes Schaf wiederzufinden, der dafür sogar seine ganze Herde verlässt. (Mt 18,12-13)
So wird für mich die vermeintliche Königsallmacht enttarnt als treuhänderische Verwaltungspflicht.
Und das Zepter steht somit für den Dienst am Nächsten, und nicht für die privilegierte Ausübung von Macht.

Über das Bild des Schafhirten finden wir auch zum Schlüsselmotiv zurück, denn Jesus sagt:
„Ich bin die Tür zu den Schafen. Wer durch mich hineingeht, wird Heil erfahren; er wird hinein- und herausgehen und Weide finden.“ (Joh 10,7.9b)

Jesus ist Schlüssel, Tür und Hirte für seine Herden.
Nur durch ihn, mit ihm und in ihm finden wir aus unserem Kerker der Finsternis und werden wir befreit aus den Fesseln des Todes.

Br. Jonathan von Holst OSB

 

O Spross aus Isais Wurzel, gesetzt zum Zeichen für die Völker – vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: o komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht länger! (O-Antiphon vom 19.12.)

An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Feldzeichen für die Völker; die Nationen werden nach ihm fragen und seine Ruhe wird herrlich sein. (Jesaja 10,10)

Dies ist der Vers, der der heutigen Antiphon zugrunde liegt. In der Tradition der Kirche wird er mit einem weiteren Vers zusammen gelesen:

Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. (Jesaja 53,2)

Weihnachten ist ein Fest, das emotional stark mit Traditionen in Verbindung gebracht wird. Da gibt es in jeder Familie eigene Festtagsbräuche. Es ist ein Fest, das hohe Erwartungen mit sich bringt, und das viele von uns deswegen jedes Jahr feiern wollen, „wie wir es immer feiern“.

In diesem Jahr 2020, das nun mal einen gewaltigen Einschnitt in unser aller Leben darstellt, werden entsprechende Erwartungen an ein „perfektes Weihnachtsfest“ mancherorts notwendiger Weise untererfüllt bleiben.

Wie mag es Maria und Josef gegangen sein, als Maria ihr Kind in Betlehem zur Welt bringen musste? Weit weg von Zuhause, wollten sie in einer Herberge übernachten – zweifelsohne ein besserer Ort für eine hochschwangere Frau, als dies eine Scheune sein könnte – aber es war kein Platz in der Herberge. Also haben sie – wohl mit Müh und Not – eine Bleibe in einem Viehstall gefunden. Sie konnten ihr Kind, den Messias, ja Gott selbst (!) in nichts anderes legen, als in das Stroh einer Futterkrippe.

Wir neigen dazu, auch diese Geschichte emotional positiv zu verklären, denn sie wird ja üblicher Weise vorgelesen, wenn Weihnachten „wie immer“ gefeiert wird. Wir laufen jedoch Gefahr, zu übersehen, dass es sich bei der Geschichte der Geburt Christi um eine Erzählung großer Not handelt – eine Situation, die nicht der Hoffnung von Maria und Josef für Marias Kind entsprochen haben kann.

Ja, zu Weihnachten kommt Gott in die Welt!

Aber er kommt nicht voll Pracht als mächtiger Herrscher. Er liegt als schwaches, machtloses, von seiner Mutter absolut abhängiges Baby in dem Stroh einer Futterkrippe. Er bedient nicht die Erwartungen der Menschen!

Lenken wir unseren Blick wieder auf das diesjährige Weihnachtsfest, das unsere durch andere Jahre geprägten Erwartungen in vielen Fällen nicht erfüllen wird.

Dieses Weihnachten wird anders. Aber vielleicht kann uns gerade dieses Weihnachten das „Andere“ des Weihnachtsfests vor Augen stellen, wie es ein „normales“ Weihnachten nicht könnte. Vielleicht hilft uns gerade das diesjährige Weihnachtsfest, Christus an der Realität der Krippe zu nahen.

Auf diesem „dürren Boden“ können wir mit der Strophe eines Weihnachtslieds von Paul Gerhardt singen: „Du fragest nicht nach Lust der Welt, noch nach des Leibes Freuden; du hast dich bei uns eingestellt, an unsrer Statt zu leiden, suchst meiner Seele Herrlichkeit durch Elend und Armseligkeit; das will ich dir nicht wehren.

Br. Josef Ellendorff OSB

O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel – im flammenden Dornbusch bist du dem Mose erschienen und hast ihm auf dem Berg das Gesetz gegeben: o komm und befreie uns mit deinem starken Arm! (O-Antiphon vom 18.12.)

„O Adonai“ – Ein Gebet der Völker für ihre Wallfahrt zum Zion?

Die heutige O-Antiphon der Vesper nennt zwei biblische Ereignisse.
Es sind die Erscheinung JHWHs im Dornbusch und der Bundesschluss am Berg Sinai, bei dem JHWH Israel die Tora gegeben hat, das große Gesetzeswerk, welches sie vor aller Welt zu Weisen macht (vgl. Dtn 4,6).
JHWH ist der hebräische Gottesname, der vermutlich „Jahwe“ geheißen hat. Das Hebräische ist ursprünglich eine reine Konsonantenschrift. Als die Juden im 6. Jahrhundert unserer Zeit feststellten, dass es immer schwerer wird, die richtige Aussprache des Bibeltextes im Gottesdienst sicher zu stellen, fügten sie auch Zeichen für die Vokale ein. Allein der Gottesname erhielt nicht die Vokale (a-e), die er eigentlich haben sollte, sondern die für das hebräische Adonai („mein Herr“) (æ-o-a) stehen.
Dies hat folgenden Grund: Der Name wurde und wird nicht ausgesprochen, sondern umschrieben. Man sagt an seiner Stelle Adonai oder „der Name“ (haSchem). Es ist vor allem Respekt und Ehrerbietung. Die Zehn Gebote formulieren es so: „Du sollst den Namen JHWHs, deines Gottes nicht missbrauchen.“(Ex 20,7)
Dies galt nicht nur in jüdischen Kreisen, sondern auch die Christen haben ihn bis in das späte Mittelalter hinein umschrieben: Das griechische Alte Testament (und das Neue Testament) schreiben kyrios (Herr), wenn JHWH im Hebräischen steht. Auch die neue Einheitsübersetzung, die jetzt in unsere Gottesdienste Einzug hält, schreibt JHWH als Herr in Großbuchstaben. Es ist Ausdruck unseres Respekts gegenüber dem Gott Jesu und dem Brauch seiner Geschwister, den Juden, die der Baum sind, der uns trägt (vgl. Röm 11,17-21). Man sollte schließlich nicht an dem Ast sägen, auf dem man sitzt. Das war noch nie klug.
Darum ist es mittlerweile ausdrücklich verboten, dass man den Gottesnamen in der katholischen Liturgie ausspricht. Er muss umschrieben werden. Es ist ein Hoffnungszeichen, dass wir als Christen uns auf unsere Wurzeln und deren Traditionen besinnen.
Wir, Christen und Juden, glauben, dass Gott immer größer ist, als alles, was wir fassen können. Adonai ist nicht greifbar, das ganze Universum kann ihn nicht fassen. Adonai ist größer als alle Bilder, die wir uns machen können. Adonai ist größer als alles Sprechen. Adonai ist nur bemerkbar in der unterbrechenden Stille.
In diesen letzten Tagen des Advent machen wir uns ganz bewusst Gedanken über die Verheißungen, die an die Juden ergangen sind, und wir erwarten die Geburt eines kleinen jüdischen Kindes. Wir erwarten den, der Gläubige aus Israel und aus den Völkern (das sind wir!) sammeln wird.
Wir können uns in diesen Tagen bewusst zum Zion aufmachen, um die Tora kennenzulernen, wie es die Propheten gesehen haben (vgl. Jes 2,3f.). Wir können dort zu den Juden sagen „Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört: Gott ist mit euch.“(Sach 8,23) Das heißt auch, dass wir einstimmen sollen in das beredte Verstummen beim Namen des Ewigen, damit wir ihn nennen können: „Adonai!“ – „MEIN Herr!“

Br. Symeon Müller OSB

 

O Weisheit, hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten, die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: Komm und lehre uns den Weg der Einsicht! (O-Antiphon vom 17.12.)

Im Buch Jesus Sirach lesen wir: „Kind, von deiner Jugend an erwähle Bildung! Bis du graue Haare hast, wirst du Weisheit finden… Hör auf meinen Rat, schlage ihn nicht in den Wind! Leg dir selbst die Fesseln der Weisheit um die Füße und ihren eisernen Ring um den Hals! Nimm sie auf die Schultern und trage sie, ärgere dich nicht über ihre Stricke! Laß dich mit deinem ganzen Willen auf sie ein und folge ihr mit deiner ganzen Kraft! Geh ihren Spuren nach und suche sie; sie wird sich dir zu erkennen geben. Und wenn du sie ergriffen hast, dann lass sie nicht wieder los! Am Ende wirst du bei ihr Ruhe finden, und deine Mühe wird sich in Freude verwandeln. Dann werden ihre Fußfesseln für dich zum starken Schutz und ihr Halseisen zum prächtigen Gewand. Ihr Joch wird zum goldenen Schmuck und ihre Stricke zu purpurfarbenen Bändern. Wie ein Prachtgewand wirst du sie tragen und wie eine strahlende Krone.“ (Sir 6,18.23-31)

Weisheit ist nicht die Ansammlung von möglichst viel Wissen, man kann sie sich nicht erarbeiten. Weisheit erlangt man, indem man sich dem Leben aussetzt und sich auf das Leben

Einlässt – vielleicht sich ganzheitlich durch den Rhythmus der Jahreszeiten bildet. Denn hinter und vor unserem Leben steht Gott selbst, der die Welt und alles Geschehen in ihr weise geschaffen hat. Der, der mir den Weg der Weisheit zeigen möchte, lässt mich fragen:

  • Vertraue ich auf Gott als den Schöpfer und Urheber der Welt und meines Lebens?
  • Bin ich bereit, mir von Gott etwas sagen zu lassen?
  • Welchen Stellenwert hat die Heilige Schrift als Urkunde des Glaubens in meinem Leben?

Br. Benedikt Müller OSB

„Rorate caeli desuper, et nubes pluant iustum“   – „Tauet, ihr Himmel, von oben! Ihr Wolken, regnet herab den Gerechten!“ (Jes 45,8)

Kein Gesang verkörpert so stark die adventliche Sehnsucht nach dem Kommen Gottes wie der Gesang des Rorate. In der liturgischen Tradition hat der Introitus des „Rorate caeli“ seinen festen Platz am 4. Adventssonntag. Sicher klingen bei vielen Menschen  tiefe Erfahrungen nach, einen Rorate-Gottesdienst erlebt zu haben. In der Dunkelheit erklingt  der Gesang tiefer Sehnsucht: “Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab, rief das Volk in bangen Nächten, dem Gott die Verheißung gab.“ So heißt es in einer Nachdichtung eines bekannten Adventsliedes.

Heute am 16. Dezember hören wir diese Worte des Propheten Jesaja in der Lesung  der Eucharistie. Martin Buber übersetzt:

„Träufelt ihr Himmel von oben,
Wahrhaftigkeit  sollen rieseln die Lüfte.
Die Erde soll sich öffnen,
Freiheit soll sie fruchten lassen,
Bewährung soll sie sprießen zumal.
Ich selber habe es geschaffen.“

Dieses heutige Prophetenwort schreit gleichsam nach Gerechtigkeit, nach Freiheit, nach Frieden, Wahrhaftigkeit und Bewährung. Diese Worte haben ihren Ursprung in der Zusage Gottes an sein Volk, welches im Exil lebt. Gott will den bedrängten Menschen trösten. Da Gott selbst Mensch wird, stellt er sich selbst an unsere Seite. In all unseren heutigen Bedrängnissen, unserem Unfrieden und  unserer Unversöhntheit will Gott mit uns sein.

Br. Emmanuel Panchyrz OSB

An jenem Tag brauchst du dich nicht mehr zu schämen, wegen all deiner schändlichen Taten, die du gegen mich verübt hast. (Zef 3,11)

Wir kennen wohl alle nur zu gut das Gefühl der Scham, wenn wir als kleines Kind (und manchmal auch als Erwachsener) einen Fehler gemacht haben, den alle um uns herum bemerkten. Wir werden dann rot oder schauen auf den Boden, würden am liebsten in selbigem versinken. Manchmal ist es auch die Fremdscham, wenn ein Freund, eine Verwandte etwas tut, was dann auch auf uns zurückfällt. Ein Gefühl, was manche vielleicht auch in ihrer Kirche empfinden, wenn der nächste Fall von schlimmster sexualisierter Gewalt durch die Medien aufgedeckt wird. Auch wenn uns formal keine Schuld trifft, empfinden wir doch Scham ob der Ungeheuerlichkeit der Tat – wir können uns davon nicht freisprechen, weil wir eben zur gleichen „Täterorganisation“ gehören.

Wie wohltuend und befreiend ist da das Wort des Propheten Zefanja, das wir in der heutigen Tageslesung hören, das uns dort zugesagt wird: Du brauchst dich nicht mehr zu schämen! Das bedeutet nicht, dass meine Taten vergessen sind – aber zumindest sollen sie mich nicht mehr belasten.

Das kann ich verständlicherweise nicht selbst sagen. Gerade in Extremfällen wäre es vermessen den Opfern meiner Taten gegenüber. Ich kann es mir letztlich nur zusagen lassen – und das oft nach einem langen Prozess der Läuterung und Versöhnung. Mir sagen lassen von einem, der mich als Person sieht und mich nicht auf meine Taten reduziert.

P. Maurus Runge OSB

Öffne uns auf die Fürsprache der hl. Odilia die Augen, damit wir in der geschaffenen Schönheit deine Größe erahnen. (Aus dem Tagesgebet am Fest der heiligen Odilia)

Heute feiern wir – vom Dritten Adventssonntag auf den 14.12. verdrängt – das Hochfest der heiligen Odilia, die im 7. Jahrhundert im Elsass gelebt hat. In diesem Jahr feiern wir ihren 1300. Todestag. Der Legende nach hat sie, die blind geboren war, bei ihrer Taufe das Augenlicht geschenkt bekommen. Die Missionsbenediktiner von St. Ottilien begehen an ihrem Festtag ihr „Patronatsfest“.

Ein Gedanke aus dem heutigen Tagesgebet lässt mich nicht los. Wir erahnen in der geschaffenen Schönheit die Größe Gottes. Die Welt ist nicht einfach nur vergängliche, sündhafte, „böse“ Welt, sondern gute Schöpfung Gottes. In der Welt, in der Schönheit der Welt können wir Spuren Gottes erahnen – wenn wir dafür empfänglich sind, wenn wir offene Augen haben, ja, wenn wir „sehen“ können.

Oft bin ich aber blind. Nicht im wörtlichen Sinn, sondern übertragen. Vor lauter Problemen und Sorgen sehe ich die Spuren Gottes in seiner Schöpfung nicht mehr. Dann muss ich mir die Augen öffnen lassen, neu sehen lernen. Von Gott die Gnade des Sehens erbitten, damit ich nicht seine Spuren der Schönheit in dieser Welt übersehe – auch mitten in der Pandemie.

Öffnen wir heute unsere Augen, oder lassen wir sie uns öffnen. Wir werden staunen, was wir alles entdecken können.

P. Maurus Runge OSB

Der heutige dritte Adventssonntag steht ganz im Zeichen der Vorfreude: „Gaudete in Domino semper“ („Freut euch im Herrn zu jeder Zeit“, Phil 4,4)!
Die Hälfte der Adventszeit liegt hinter uns, und das Weihnachtsfest rückt immer näher.
Ich muss zugeben, dass es mir dieses Jahr nicht leicht fällt, eine große Vorfreude zu empfinden, und vielleicht geht es ja manchen von ihnen ähnlich.
Ich habe vor kurzem eine gute Freundin verloren, die an Krebs gestorben ist, und ich musste erleben, wie leidvoll ihr Krankheitsweg war.
Ein Sprichwort sagt: Die Vorfreude ist die kleine Schwester der Hoffnung.
Aber woher seine Vorfreude nehmen, wenn man manchmal nur ganz wenig Hoffnung hat, oder einem die Hoffnung genommen wurde?
Astronomisch gesehen befinden wir uns weiterhin auf dem Weg in die Nacht. Die Tage werden auch weiter noch kürzer und die Nächte länger. Nicht gerade rosige Aussichten, auch wenn manche von uns heute eine rosa Kerze entzünden.
Vielleicht hilft uns aber ein wenig der Blick zu unseren jüdischen Geschwistern, auf unserer Reise durch die Dunkelheit des Advents.
Am vergangenen Donnerstag hat das jüdische Chanukka-Fest begonnen, und am nächsten Freitag wird es seinen Höhepunkt haben. Das Lichterfest erinnert daran, dass der heilige Leuchter des Tempels zu Jerusalem durch ein Wunder acht Tage lang brannte, obwohl nur noch für einen Tag geweihtes Öl vorhanden war. Chanukka ist ein fröhliches Fest, mit viel Musik und gutem Essen. Es ist ein Fest der Freiheit und ein Familienfest.
Jeden Abend, wenn die ersten Sterne am Himmel erscheinen, wird ein Licht am Leuchter angezündet, bis der ganze Leuchter hell strahlt.
Es ist schon seltsam – hier ergibt die Summe der einzelnen Teile etwas ganz Anderes, als das, was wir erwarten. Fülle, genau da, wo eigentlich nicht mehr viel zu finden ist. Im Nicht-Perfekten findet sich die Hoffnung.
Gott wird sich uns als Mensch schenken. Gerade als Mensch.

In diesem Sinne:

Fröhliches Chanukka!
Chag sameach!

Br. Balthasar Hartmann OSB