Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von P. Erasmus Kulke OSB

Nun ist es endlich wieder soweit, liebe Schwestern und Brüder! Die Zeit des Advents, die Zeit des Wartens und der vielen Vor­bereitungen, die oft stressige, mit vielen Terminen vollge­packte Zeit ist vorbei: Die Heilige Nacht ist da. Weih-Nacht!

Wir feiern Weihnachten. Das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Alles ist schön rausgeputzt. Die Tannenbäume sind aufgestellt und liebevoll dekoriert mit roten und goldenen Ku­geln, silbernem Lametta, bunten Lichtern und vielem mehr. Viele haben zuhause ihre Weihnachtskrippe mit wunderschö­nen, ja vielleicht sogar kostbaren Figuren aufgestellt. Das Festessen ist vorbereitet. Die ein oder andere Flasche mit köst­lichen Tropfen liegt kalt und wartet darauf, von uns entkorkt und genossen zu werden. Wir machen es uns gemütlich bei Kerzenschein, tauschen Geschenke aus und feiern im Kreis der Familie, im Kreis unserer Lieben. Und wir lassen uns anrühren von gefühlsbeladenen Liedern, die vom „trauten hochheiligen Paar“ und dem „holden Knaben im lockigen Haar“ singen. Idylle pur!

Das alles ist gut und schön! Aber das allein ist noch nicht Weihnachten. Weihnachten ist mehr! Bei aller Idylle über­sehen wir oft, dass das „erste Weihnachten“ alles andere als idyllisch, gemütlich oder gar behaglich war.

Da sind Maria und Josef aus Nazareth, einem damals völlig unbekannten und unbedeutenden kleinen Kaff am Rande der Welt. Sie sind notgedrungen auf dem Weg nach Bethlehem, einer Kleinstadt, dessen alter Glanz als Stadt Davids, des be­rühmten und großen Königs Israels, längst verblasst ist. Maria ist hochschwanger und leidet unten den Strapazen der Reise, dem langen Fußmarsch, vielleicht etwas erleichtert durch einen Esel. Als sie in Bethlehem ankommen, bleiben sie zu­nächst obdachlos und nehmen schließlich Zuflucht zu einem Stall. Und hier, in diesem Dreck bringt Maria ihr Kind zur Welt. Viele unserer heutigen Krippendarstellungen täuschen darüber hinweg, dass es im Stall von Bethlehem schmutzig war, dass es dort gestunken hat, dass die Krippe oder der Futtertrog, in dem Jesus gebettet wurde, kalt und hart war und dass die Windeln des „holden Knaben im lockigen Haar“ sicher nicht das einzige war, was im wörtlichen oder auch übertragenen Sinne „beschissen“ war.

Und was auch oft übersehen wird: Es war Nacht! Und diese stille Nacht, heilige Nacht war sicher nicht romantisch. Die Lesung aus dem Propheten Jesaja bringt hier die Stichworte „Finsternis“ und „Todesschatten“ und macht damit deutlich, wofür die Nacht auch steht, symbolisch. Und schon hier am Beginn des irdischen Weges Jesu scheint die Nacht an seinem Ende auf: die Nacht, in der er verraten wurde und in die Judas Iskariot hinausging. Ja, Krippe und Kreuz sind miteinander verbunden. Krippe und Kreuz sind aus dem gleichen Holz ge­schnitzt. So haben es schon die Kirchenväter gesehen. Diesen Gedanken greift auch ein Weihnachtslied von Jochen Klepper auf, das Eingang in das neue Gotteslob gefunden hat. Da heißt es:

Du Kind, zu dieser heilgen Zeit
gedenken wir auch an dein Leid,
das wir zu dieser späten Nacht
durch unsre Schuld auf dich gebracht.

Die Welt ist heut voll Freudenhall.
Du aber liegst im armen Stall.
Dein Urteilsspruch ist längst gefällt,
das Kreuz ist dir schon aufgestellt.

Warum, liebe Schwestern und Brüder, erzähle ich Ihnen all dieses Schwere und Negative? Sicher nicht, um Ihnen die Weihnachtsstimmung zu vermiesen. Ich glaube vielmehr, dass Weihnachten und seine Botschaft, wenn wir sie tiefer verste­hen und nicht an der romantischen und manchmal auch kit­schigen Oberfläche bleiben, uns wertvolle Impulse und Hilfen geben kann über Weihnachten hinaus, für unser ganz alltäg­liches Leben, für die restlichen 364 Tage des Jahres, insbe­sondere dann, wenn uns nicht nach Feiern zumute ist.

Unser Leben ist ja nicht immer so wie heute. Da gibt es nicht nur Feierstimmung und Idylle. Da gibt es doch auch all das Schwere, Dunkle und Beschissene. Da gibt es Dinge, die uns stinken. Da gibt es Dinge, die uns das Leben schwermachen. Da gibt es Enttäuschungen, Frust, Scheitern, Scham, Schuld, Mutlosigkeit, Resignation und nicht zuletzt die Corona-Pan­demie, mit allen Einschränkungen, Lasten und Leid, die sie mit sich bringt.

Natürlich kann ich das auch mal ausblenden, all meine Sorgen für einen Augenblick vergessen und einfach feiern. Aber danach hat mich der Alltag ganz schnell wieder.

Weihnachten will uns sagen: Du musst vor deiner Nacht, vor den Dunkelheiten deines Lebens nicht weglaufen. Du musst sie nicht verdrängen. Du kannst dich ihnen stellen, weil mitten in deine Nacht der hereingeboren wurde, der das „wahre Licht“ ist (Joh 1,9), das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) und von dem unser Glaubensbekenntnis als „Licht vom Licht“ spricht. Er ist in unsere Nacht des Todesschattens gekommen, damit auch über uns ein helles Licht aufleuchtet. Ja, seit Gott Mensch geworden ist, ist keine Nacht mehr so finster, dass sie nicht den Keim und die Verheißung eines neuen Lichtes, eines kommenden Tages in sich birgt. Und deshalb kann jede Nacht heilige Nacht, Weihnacht werden, weil Gott in ihr wohnt. Mit der Geburt Jesu, mit dem Kind in der Krippe, beginnt das Werk unserer Erlösung, das sich am Kreuz, das aus demselben Holz geschnitzt ist, vollendet. Hier hat Jesus die Macht des Todes gebrochen, die Nacht des Todesschattens erleuchtet. Und so wurde das Kreuz, an dem Christus gestorben ist, zur Wiege neuen Lebens.

Von Weihnachten her strahlt uns ein neues Licht auf. Von Weihnachten her erscheint alles in einem neuen Licht. Weih­nachten will uns die Angst vor dem Dunkel dieser Welt, vor unserem eigenen Dunkel nehmen. Denn von nun an geht der Immanuel, der Gott mit uns, gemeinsam durch jede Nacht, und sei sie noch so finster.

Und deshalb können wir die Nacht loben und besingen: Stille Nacht. Heilige Nacht. Ja, auch mit diesem Lied, auch wenn es für einige zu gefühlsselig und zu wenig gehaltvoll ist. Vielleicht geht dieses Lied ja deshalb vielen so zu Herzen, weil sie dabei zumindest dunkel und unbewusst erahnen, auch wenn sie es nicht benennen können, dass sie hier mit dem Geheimnis ihrer eigenen Nacht mit inbegriffen sind und weil sie damit zugleich ihrer Sehnsucht oder auch ihrem Glauben Ausdruck verleihen, dass Christ, der Retter, wirklich da ist und sie von allem Dunkel erlöst. Und dann gewinnt dieses Lied an Tiefe und kann zu einem beeindruckenden und starken Zeugnis des eigenen Glaubens werden. Und wenn wir so die Botschaft von Weihnachten immer mehr verinnerlichen und davon unser Leben verändern lassen, dann können wir auch in der dunkelsten Nacht mit den Augen des Glaubens das strahlende göttliche Licht sehen und mit den Ohren den himmlischen Lobgesang der Engel hören: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden, und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens.

von P. Maurus Runge OSB

Es ist die geballte Macht der Weltgeschichte, die uns da in den ersten Zeilen des heutigen Evangeliums begegnet: der Kaiser Tiberius in Rom, sein Statthalter Pontius Pilatus in Judäa, die Führer der verschiedenen Provinzen, die Hohepriester als religiöse Führer. Sie alle sind vielfältig miteinander verwoben, bestimmen über Wohl und Wehe der einfachen Leute, sagen, wo es langgeht, sitzen in den Städten, den Zentren und Schalthebeln der Macht. Sozusagen eine antike Ministerpräsidentenkonferenz.

Dann aber ein Perspektivwechsel. Aus den Städten werden wir in die Wüste geführt, und hier ereignet sich Entscheidendes: „Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.“ Kein Herrschertitel wird genannt, kein Zentrum der Macht, dieser Johannes ist nur der unbedeutende Sohn eines einfachen Priesters im Tempel. Und doch hat Gott mit ihm Großes vor, ereignet sich an ihm und mit ihm Heilsgeschichte, Verbindung von Altem und Neuem.
Wüste, das ist zunächst einmal ein lebensfeindlicher Raum, ein Ort, wo ich um mein Überleben kämpfen muss, wo ich in die Entscheidung geführt werde, was wirklich zählt im Leben. Wüste – das ist der Ort der Dämonen, der Lebensfeinde meines eigenen Inneren, der „logismoi“, wie es die Väter nennen, der „Gedanken“, die mich hin- und herziehen, so dass ich innerlich und äußerlich keine Ruhe finde, ein Getriebener bin. Sie kennen sicher die bekannte Darstellung des hl. Antonius im Dämonenkampf auf dem Isenheimer Altar. Wüstenzeiten sind immer auch wüste Zeiten.

Wüstenzeiten – wüste Zeiten – die erleben wir auch heute, bei uns. Die Corona-Pandemie, die noch lange nicht überstanden ist, hat uns und unser Selbstverständnis, auch unser kirchliches Selbstverständnis erschüttert. Es geht um Leben und Tod, und es kommt dabei auf das Verhalten jedes Einzelnen an. In Wüstenzeiten klärt sich so einiges, da scheidet sich Richtiges vom Falschen, und Unwichtiges entlarvt sich als das, was es ist: eben nicht überlebenswichtig. Und Menschen, von denen wir meinen, dass wir sie gut kennen, offenbaren auf einmal ganz andere Seiten. Werden sich unsere Kirchen einmal als überlebenswichtig, als „systemrelevant“, erweisen? Bei so manchen innerkirchlichen Diskussionen habe ich da so meine Zweifel.

Und mitten in diese Wüstenzeit ruft uns Johannes, die „Stimme aus der Wüste“, entgegen: „Bereitet den Weg des Herrn!“ Und er verkündet „die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“. Es ist ein durch und durch adventlicher Ruf, der viel mehr mit dem eigentlichen Advent, dem Kommen Gottes in unsere Welt, zu tun hat als Lichterglanz und Glühweinduft. Umkehr – das griechische „Metanoia“ – meint keine bloß moralische Umkehr, sondern eine Kehrtwende, einen Wechsel der Perspektive, der mir zeigt, was wirklich wichtig ist. So wie Baruch in der Lesung das Volk Israel auffordert, die Perspektive zu wechseln: „Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe.“ Umkehr, die Änderung der Perspektive, hat also etwas mit Bewegung zu tun. Ich muss mich auf den Weg machen, einen manchmal anstrengenden Aufstieg hinter mich bringen. Jeder, der wie ich gerne wandert, weiß, dass so ein Aufstieg ziemlich schweißtreibend sein kann. Man kommt leicht außer Atem, muss sein Tempo anpassen, auch mal Pause machen, aufatmen. Aber wenn ich dann meinen Atemrhythmus und mein individuelles Tempo gefunden habe, dann geht es sich gleich viel einfacher. Bei Wanderexerzitien pflegen wir oft zu sagen: „Jeder geht sein Tempo!“ Wandern ist in diesem Sinne kein Marschieren im Gleichschritt, sondern ein sehr individuelles Geschehen, bei dem jede und jeder den eigenen Rhythmus finden muss. Und doch ist es bei aller Individualität wichtig, aufeinander Rücksicht zu nehmen – so ist es wichtig, dass die, die ein schnelleres Tempo gehen, bei Weggabelungen warten und dann nicht sofort wieder weitergehen, wenn alle da sind, sondern den Langsamsten der Gruppe bestimmen lassen, wann es weitergeht.

Nur so werden, wie die Verheißung am Ende unseres Evangeliums lautet, wirklich „alle Menschen das Heil Gottes schauen“, oder, um im Bild des Wanderns zu bleiben, auf dem Gipfel ankommen – jeder in seinem Tempo, aber doch in gegenseitiger Rücksicht und Hilfestellung. Vielleicht auch ein hilfreiches Bild in unserer derzeitigen gesellschaftlichen Situation.

In diesem Sinne wünsche ich uns einen Advent, in dem wir unseren je eigenen Rhythmus finden, um dem Herrn, der uns entgegenkommt, den Weg zu bereiten. Und in dem die Schnelleren auf die Langsameren warten, die Langsameren aber auch ihre Schwäche nicht ausnutzen. Nur gemeinsam kommen wir zum Ziel, auf das wir zugehen. AMEN.

von P. Marian Reke OSB

Die heutige Lesung aus dem Johannesevangelium (18,33-37) ist nicht nur – wie alle biblischen Texte in der Liturgie – ein Fragment, sondern eher ein Torso. Ein wesentliches Detail fehlt, nämlich die sprichwörtlich gewordene Pilatusfrage.

Sie erinnern sich: Als Pontius Pilatus Jesus verhört, will er zunächst nur eines wissen: „Bist du der König der Juden?“ Jesus erklärt, kein König mit weltlicher Macht zu sein. Aber damit gibt sich Pilatus nicht zufrieden und hakt nach: „Also bist du doch ein König!?“ Darauf Jesu Antwort: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Damit nun kann Pilatus anscheinend nicht viel anfangen und stellt die berühmte Pilatusfrage: „Was ist Wahrheit?!“

Dieser Satz nun hat für meine Ohren einen ganz eigenen Klang, als würde hinter ihm gleichzeitig ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen stehen. Also: Wahrheit – was soll das schon sein!? Die Reaktion des Pilatus auf die klare Selbstaussage Jesu changiert zwischen ratlos, gleichgültig, aber auch irgendwie erleichtert. Mit einem Achselzucken geht er irritiert weg. Immerhin: Die offenkundig religiöse Angelegenheit scheint ihm ohne jede politische Bedeutung zu sein – und das ist für ihn, den Repräsentanten der Macht, einzig von Belang.

In diesem kurzen Dialog spiegeln sich zwei Haltungen, die konsequent säkular eingestellte Menschen der organisierten Religion gegenüber zumeist einnehmen. Da ist zum einen die Angst vor dem Machtanspruch der Religion, eine Angst, die Pilatus fragen lässt: Bist du der König der Juden? Diese durchaus begründete Angst kleidet sich heute in die Vorsicht und Abwehr gegenüber jedwedem Fundamentalismus. Zum anderen ist da die weitverbreitete  achselzuckende oder naserümpfende Gleichgültigkeit, mit der religiöse Themen einfach abgetan werden: Was ist schon Wahrheit? Was soll das?

Angst vor Fundamentalismus oder Indifferentismus als Option – werden diese beiden Reaktionen der christlichen Botschaft gerecht? Was ist die Wahrheit, die sie bezeugen soll und will – in einer pluralistischen, multireligiösen oder areligiösen Gesellschaft?

Im Erzählverlauf des Prozesses Jesu bleibt die Frage des Pilatus nach der Wahrheit zunächst unbeantwortet im Raum stehen. Das ist auch gut so. Die Pilatusfrage, beim Wort genommen, gehört zu den Fragen, die so gut sind, dass es schade wäre, sie mit einer voreiligen oder wohlfeilen Antwort zu erledigen. Es gilt, sie offen zu halten – jedoch wie Fenster, um immer wieder hindurchzuschauen.

Zwischen den Zeilen der Passionsgeschichte gibt der Evangelist Johannes allerdings zu verstehen, wie die Antwort für ihn lautet: Die Wahrheit ist ein Mensch. Sie begegnet in dem Menschen Jesus. Und: Sie ereignet sich als Geschichte – als seine Lebensgeschichte und als die Lebensgeschichten aller, die ihm begegnen.

Davon ist in einer anderen bekannten Selbstaussage Jesu die Rede:  „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Viele sehen darin den Absolutheitsanspruch des Christentums begründet. Jahrhundertelang wurde dieses Jesuswort zu Machtzwecken missbraucht. Aus der Verheißung, an der Wahrheit teilzuhaben, wurde die Behauptung, sie selbst zu haben und das ausschließlich.

Doch die Wahrheit bleibt unverfügbar – vielgestaltig und vielschichtig, wie sie erscheint: im Menschen und in der gesamten Schöpfung. Es gilt, sie im je eigenen Leben wahrzunehmen und zu bezeugen. Dazu ist ein jeder und eine jede von uns geboren und in die Welt gekommen. Das ist der Weg – und das sollte der Weg der Kirche sein, von dem Papst Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikats gesagt hat: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Mich hat das damals stark beeindruckt.

Um im Sinne dieses Papstvotums heute am Christkönigsfest eine besondere Facette der Wahrheit des Menschen hervorzuheben, möchte ich einen schönen Gedanken Martin Bubers zitieren, den er der Tradition des Chassidismus verdankt: „Es gibt nur eine wirkliche Sünde, nämlich zu vergessen, dass jeder Mensch ein Königskind ist.“

Wenn es um Könige oder Königinnen geht, ist manchmal auch die Rede von gekrönten Häuptern. Wer eine Krone trägt, geht wie von selbst aufrecht, sonst könnte die Krone zu Boden fallen. Die Krone verhilft also zum aufrechten Gang, in dem sich die Wahrheit des Menschen offenbart und der ein Zeichen der Würde des Menschen ist. Die Würde des Menschen ist eine königliche und sie ist sein Geburtsrecht, denn jeder Mensch ist zum aufrechten Gang geschaffen. Der aber meint nicht unversehrtes Leben, sondern eine innere Haltung. Zur Wahrheit des Menschen gehört auch seine Wunde.

In diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, dass man mit Krone nicht nur das äußere Machtsymbol bezeichnet, sondern auch den Scheitelpunkt der Schädeldecke, so dass jeder Mensch – ob äußerlich gekrönt oder nicht – eine Krone trägt.

Zu den Weisheitsüberlieferungen der Menschheit gehört weiterhin die Vorstellung, durch die leibhaftige Krone komme am Lebensbeginn die Seele in den Körper des Menschen und verlasse ihn dort auch wieder im Tod. Deshalb bildet in der Leibsymbolik das Kronenchakra, wie man es nennt, die Verbindung des Menschen nach oben – zum Himmel, unserer ursprünglichen Heimat. In dieser Zugehörigkeit gründet die Menschenwürde. Wer das erkennt, dem geht buchstäblich ein Licht auf, an das er sich halten kann – als aufrichtende, ausrichtende Lebensorientierung.

Letztlich ist es diese erleuchtete Erkenntnis, die den Menschen krönt, und diese Krone fällt nicht, wenn er sein Haupt demütig neigt, um im Mitmenschen die Würde zu ehren, die auch seine eigene ist. So neigten sich die Magier vor dem Kind im Stall und offenbarten dadurch dessen königliche Würde, ohne ihre eigene zu verlieren.

Eins ist mir noch wichtig, was ich mir selbst immer wieder hinter die Ohren schreiben muss: In den Klageliedern des Jeremia wird in prophetischem Realismus von der bedrohten Krone gesungen. „Dahin ist unseres Herzens Freude, in Trauer gewandelt unser Reigen. Zu Boden rollte unseres Hauptes Krone. Wehe, wehe wir sind Sünder. Unser Herz ist krank und darum voll Traurigkeit. Dunkel sind unsere Augen.“  Wenn die Kronen unserer müden, manchmal gedeckelten oder ängstlich verwirrten Häupter zu Boden rollen, lasst sie uns nicht auch noch gegeneinander in den Schmutz treten. Lasst sie uns vielmehr gegenseitig aufheben und füreinander hüten. Allesamt sind wir doch Königskinder, gottgewollte Menschen …

von P. Abraham Fischer OSB

„Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es“ – so ruft uns am heutigen Allerheiligenfest die Lesung aus dem Johannesbrief zu!

Und genau in diesem Geheimnis – nämlich, dass wir nach Jesu Lehre Gott unseren Vater nennen – darf ich Sie heute hier in der Kirche und am Livestream begrüßen mit den Worten:

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Wenn wir im apostolischen Glaubensbekenntnis miteinander sprechen „ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen!“ –  „sanctorum communionem“ – so bezieht sich das auf das heutige Fest.

Allgemein assoziiert man mit der gängigen Übersetzung, dass es sich nur um eine Gemeinschaft der Heiliggesprochenen handele – also um jene Menschen, die durch Gerichtsverfahren der katholischen Kirche zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Wir haben in den Heiligen große Vorbilder, die wir in der Herrlichkeit Gottes glauben und die unserem Leben und Ringen Ziel und Richtung geben können. Das heutige Fest aber spannt den Bogen weiter, umfassender, eben katholischer: Wir gedenken heute der vielen Heiligen, die unerkannt blieben. Heiligkeit hat also nicht nur etwas mit den Heiligsprechungsverfahren der kirchlichen Behörden zu tun, sondern vielmehr mit einem Leben, das sich zutiefst auf das Heilige oder auf den Heiligen bezieht.

Wir sind und wir werden also nicht durch uns selbst oder gar durch Leistungen, durch viele Gebete oder herausragende Taten zu Heiligen, sondern Gott allein ist es, von dem her wir heilig sein können. Er – der Heilige schlechthin – hat uns Menschen gewollt und geschaffen. Damit hat er seinem Ebenbild Anteil an seiner Heiligkeit gegeben. Heiligkeit ist ein Geschenk, das Gott gibt und uns zuspricht. Menschen, die damit in Resonanz gehen, werden zu Heiligen. Menschen, die im Geiste Gottes zusammenkommen, werden zu einer Gemeinschaft der Heiligen, weil sie Gemeinschaft und Anteil am Heiligen haben und sich darin gegenseitig bestärken.

Das gilt auch für uns hier und heute. Als Getaufte kommen wir am Heiligen zusammen. Das ist eine große Würde, die wir als Kinder Gottes mit der Taufe empfangen haben. Das ist aber auch eine Aufgabe: wenn wir uns wirklich zu Herzen nehmen, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, dann müssen wir unser Leben und Handeln ändern. Es kann nicht mehr so weitergehen wie bisher. Gott ist der, der sich mitteilt, Gott ist der, der sich mit uns teilt. Er wird darin keineswegs weniger, sondern seine Anwesenheit in dieser Welt wächst mit jedem Menschen, der erkennt, dass Gott da ist und dass er teilende Liebe ist. Wo sich die Liebe mehrt, da reichert sich Gottes erfahrbare Anwesenheit in der Welt an.

Hierin sehen wir die Gemeinschaft am Heiligen in der Welt: dass die Liebe mehr wiegt als der Hass, dass Ländereien und aller Besitz nicht erobert, erstritten werden muss, sondern dass wir erben. Wir sind Beschenkte von Gott aus und haben daher keine Angst vor Verlust, weil in diesem Sinn nichts Eigentum ist, sondern das, was wir übergangsweise besitzen dürfen, ist ein unverdientes Geschenk. Das fängt mit unserem Leben an, das wir nicht aus uns selber zeugen, sondern das Gott uns schenkt.

Teilen macht das Leben nicht dunkler. Im Gegenteil: Alles Licht, das wir miteinander teilen, vermehrt die Helligkeit. Wo die Liebe ist, da schwindet die Angst und das Leben wächst. Es ist das Merkmal unseres Gottes, dass er sich teilt. Das Herz des Gekreuzigten steht offen für alle und er teilt sein göttliches Leben mit uns Menschen. Auch in den dunkelsten Stunden wendet sich  Gott nicht ab, sondern er teilt unsere Not, unsere Sorgen, alle Ängste, allen Schmerz. Das ist das Geheimnis in Jesus Christus. Er ist der Emmanuel, der Gott mit uns.

Das wäre dann auch Hierarchie – ein Wort, das in unserer Kirche derzeit oft ausgesprochen wird. Aber welcher Sinn steht dahinter? Bedeutet Hierarchie, dass eine Ordnung heilig sei, vielleicht deshalb sogar unveränderbar? Ich glaube, dass das eine Verweltlichung der Theologie der Hierarchie ist. Der Begriff bezieht sich wohl stärker auf eine Ordnung des Heiligen. Also Gott, der Heilige ordnet oder auch das Heilige wird geordnet. So kann man den Genitiv am besten übersetzen.

Der theologische Fachbegriff bezieht sich spezifisch auf das Weiheamt der Kirche und er hat in diesem Sinne eine wunderbare Bedeutung: Wer geweiht ist, ist beauftragt zu teilen. Daher gibt es nur drei Weihen in der Kirche: die zum Diakon, der beauftragt ist, die Gaben des Glaubens vom Altar zu den Rändern zu bringen und Sakramente, die sich die Getauften spenden, zu bezeugen. Er ist die Nahtstelle zwischen Gottes Dienst und den Menschen, weil er die Gnade, das Geschenk weitergibt. Die weitere Weihe ist die zum Priester. Er steht an dem Ort, an dem das Brot und der Kelch geteilt werden. Es ist die Stelle Jesu, der sich uns schenkt, der sich teilt und mit jedem Brotbrechen, mit jeder Eucharistie mehr wird im Herzen der Welt und in der Mitte der Menschen. Und dann ist da der Bischof. Seine Beauftragung ist es, Priester zu weihen. Damit ist er in der Lage und beauftragt, die Kirche zu vermehren, indem er seine Aufgabe mit den Priestern teilt. Von Jesus aus erging eine ununterbrochene Reihe der Handauflegungen, die sich immer wieder geteilt hat und inzwischen ein Netz des Teilens geworden ist. Bischöfe sind Keimzellen einer Beauftragungslinie, in deren Teilung sich die Kirche vermehrt.

Hierarchie ist die Ordnung des Heiligen, aller Heiligen und alles Heiligen. Sie bezieht sich auf einen Gott, der nichts für sich behält, sondern alles mitteilt. Hierarchie ist kein Besitz, sondern selber Geschenk mit dem Auftrag, zu vervielfältigen, weiter zu geben und immer und immer und immer wieder zu teilen, weil nur so vermehrt werden kann. An dieser Essenz des Weiheamtes wird deutlich, dass Teilen nicht arm macht. Wir brauchen also nichts festzuhalten, keinen Besitz zu verwalten und schon gar keine Besitzstandswahrung zu betreiben.

So eröffnen auch die Seligpreisungen des Evangeliums eine neue Dimension: Die Seligen sind jene, die auf Gott vertrauen und das Teilen erfahren, das aus seinem Auftrag an die Welt und das aus seinem Dasein in der Welt erwächst: Heilige haben teil an einer Welt, in der alles allen gehört, weil Gott schon immer alles in allem ist. Dazu sind wir in diesem Erdental berufen, damit wir „durch Gottes Gnad und Wahl zum Himmel kommen allzumal“. (GL 542)

Amen.

von P. Maurus Runge OSB

In den letzten Tagen war in der politischen Diskussion rund um die Regierungsbildung in unserem Land viel von einer verbindenden Vision die Rede, die es braucht, um gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Wenn die fehlt, dann verliert man sich schnell im Kleinklein des Alltags und im Geschacher um Posten und Ämter, und die verschiedenen Parteien versuchen, sich gegenseitig auszuspielen – daran sind die Koalitionsverhandlungen 2017 letztlich gescheitert. Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass zunächst miteinander gesprochen wird, um solch eine Vision auszuloten, ohne dass Inhalte direkt an die Öffentlichkeit weitergegeben werden.
Wenn wir uns die heutigen Lesungen, vor allem das Evangelium, anschauen, dann kann zunächst der Eindruck entstehen, dass wir es hier mit vielen Regelungen rund um Ehe und Scheidungsrecht zu tun haben, die allein für sich genommen einer legalistischen Praxis Vorschub leisten, die wenig hilfreich in der heutigen Vielfalt und Buntheit unserer Lebenswelt ist, ja, die auf viele Menschen verletzend gewirkt hat. Die Vision, das verbindende Element scheint da zu fehlen.
Im ersten Satz der Lesung entdecke ich ein Vorzeichen, unter dem die einzelnen Regeln und Vorschriften gelesen werden können und das uns zeigt, wo die größere Richtung ist, die Vision, die Gott mit seiner Schöpfung hat: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.“
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“ Der Mensch ist von Natur aus ein Wesen, das auf Gemeinschaft hin angelegt ist. Experimente zeigen, dass Kinder, denen am Anfang ihres Lebens diese Dimension vorenthalten ist, in ihrer späteren Entwicklung schwere Defizite aufweisen. Vielleicht stellt Jesus im Evangelium auch deshalb ein Kind in die Mitte der Jünger, um auf diesen Aspekt aufmerksam zu machen. Denn Kinder sind ja in vielem, was Gemeinschaft und das Zusammensein mit anderen angeht, noch unbefangener als wir Erwachsenen. Wenn wir die Vorschriften zur Ehe und das Verbot der Scheidung unter diesem Vorzeichen der Gemeinschaft und der Ebenbürtigkeit lesen, bekommen sie gleich einen ganz anderen Klang – nämlich Leben, Beziehung auf Augenhöhe zu ermöglichen und Einsamkeit zu bekämpfen.

Im Oktober begeht die Kirche den Monat der Weltmission. Sie nimmt einen Aspekt von Gemeinschaft in den Blick, der in ihrem Wirken und in ihrem Sein fundamental ist: eine weltweit vertretene Gemeinschaft von Gemeinschaften zu sein, die in einer gemeinsamen Vision – Jesus würde vom „Reich Gottes“ sprechen – miteinander verbunden sind. Es ist eine Gemeinschaft, die nicht gleichmacherisch ist, sondern die Vielfalt der Menschen und Kulturen anerkennt. Jeder, der schon einmal an einem Gottesdienst in Afrika teilgenommen hat, wird wissen, wovon ich spreche. Unsere Kongregation der Missionsbenediktiner wollte von Anfang an Gemeinschaften – Klöster – gründen, in denen gemeinsam das Lob Gottes gefeiert wird und die gerade so durch ihre Präsenz unter den Menschen missionarisch wirken und Glauben verkünden. In einer Programmschrift von Andreas Amrhein, dem Gründer der Missionsbenediktiner, heißt es dazu: „Heller und höher und wärmer loht das Feuer der Andacht, wenn viele Flammen vereint brennen als ein einzelnes Flämmchen. Feierlicher strahlt der Altar im Lichtglanz vieler Kerzen, als im Scheine einer Lampe oder Kerze.“ Das gilt übrigens nicht nur im kirchlichen Kontext: gerade heute, am „Tag der deutschen Einheit“, erinnern wir uns an die vielen Menschen, die friedlich, mit brennenden Kerzen in ihren Händen, vor 30 Jahren für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind.

Aber auch der zweite Satz aus der Vision Gottes mit seiner Schöpfung vom Anfang der Lesung ist wichtig: „Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.“ Gemeinschaft wird immer dann scheitern, wenn diese Ebenbürtigkeit der Menschen, ihre fundamentale Gleichheit, ihre gemeinsame Würde als Ebenbilder Gottes nicht geachtet wird. Da mag sie noch so oft eingefordert werden, es werden hohle Phrasen bleiben, die nicht mit Leben gefüllt sind. An dieser fehlenden Ebenbürtigkeit sind die ersten Koalitionsverhandlungen 2017 gescheitert. Und die Folgen davon, wenn Menschen sich abgehängt fühlen, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen, spüren wir 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands sehr genau. Auch auf der Missionsgeschichte der Kirche liegt ein Schatten, wenn ganze Völker in ihrer Kultur nicht geachtet wurden, wenn ihnen in imperialistischer Manier ein europäisches Christentum aufgezwungen werden sollte, wenn selbst Missionare, die doch die Liebe Gottes verkünden sollten, nicht frei waren von rassistischen Ressentiments anderen Menschen gegenüber. Rassismus ist nicht nur ein Problem bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sondern offenbart sich oft erschreckend banal in meinem eigenen Denken und Handeln, in meiner Sprache. Und dass wir generell in unserer Kirche in puncto Ebenbürtigkeit noch einen weiten Weg vor uns haben, zeigen die Diskussionen um den Synodalen Weg: wenn eine Gruppe qua Amt ein Vetorecht hat und alles sofort blockieren kann, und sei es nur mit dem Verweis auf Rom, dann kann man zu Recht das dahinterliegende System in Frage stellen.
Diese realen Bruchstellen von Gemeinschaft können uns in die Resignation führen oder zynisch werden lassen. Sie können aber auch Antrieb sein, sich jetzt erst recht für eine Gesellschaft und Kirche zu engagieren, wo Menschen ebenbürtig miteinander umgehen. Und so möchte ich am Ende Amanda Gorman zu Wort kommen lassen, die junge Lyrikerin, die bei der Amtseinführung von Joe Biden Anfang des Jahres ihrer Nation, ja der ganzen Menschheit eine Vision aufgezeigt hat, die uns leiten kann, wenn wir vor lauter Legalismus und Resignation den Weg nicht mehr sehen. Sie schreibt:

Wir sind alles andere als lupenrein,
alles andere als makellos,
aber das bedeutet nicht, dass wir danach streben,
eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist.
Wir streben danach, gezielt eine Gemeinschaft zu schmieden.
Ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt.
Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht,
sondern auf das, was vor uns steht.
Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle
zu setzen, zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen.
Wir legen unsere Waffen nieder,
damit wir unsere Arme nach einander ausstrecken können.
Wir wollen Schaden für keinen und Harmonie für alle.
Lasst die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, dass dies wahr ist:
Dass wir, selbst als wir trauerten, wuchsen
Dass wir, selbst als wir Schmerzen litten, hofften
Dass wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versucht haben
Dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich
Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden,
sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.

[…]

Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,
entflammt und ohne Angst.
Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.

(Hier finden Sie das ganze Gedicht.)

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

„Mensch, – öffne dich!“

Es gehört zu den wirklich schönen Seiten meines Lehrerberufs, manchmal miterleben zu dürfen, wie jemand von Taubheit und Stummheit geheilt wird. Fast in jeder Lerngruppe stößt man auf den einen oder anderen Schüler, der offenkundig „nichts mitbekommt“ und, sauerländisch gesprochen, „die Zähne nicht auseinanderkriegt“. Jeder Versuch, daran durch gutes Zureden oder durch mehr oder weniger starken Druck etwas zu ändern, läuft monate-, manchmal jahrelang ins Leere. Garantiert völlig fruchtlos bleibt der berüchtigte Elternsprechtagssatz: „Er/sie muss mündlich besser werden.“ Im Gegenteil: Je verbissener man als Lehrer versucht, auf jemanden einzureden, desto verschlossener wird er.

Denn: Wer nicht hören und sprechen kann, hat Angst und hat das Vertrauen verloren.
Da braucht es Zuwendung und den langen Atem, der sich auch dann nicht entmutigen lässt, wenn nichts zu helfen scheint. Helfen wird da nur eins: Daran glauben, dass jemand mehr ist und kann, als er sich zu zeigen traut. Und oft, völlig überraschend und meist in einem Zusammenhang, in dem man nicht damit gerechnet hätte, sieht man einer solchen Schülerin, einem solchen Schüler auf einmal an, dass er/sie zuhört, dass er/sie aufnimmt, was sich abspielt. Und schließlich, im nächsten Schritt, redet sie/er mit, macht sein/ihr Wort. Auf einmal sitzt da nicht mehr ein Menschlein, das herumsitzt wie ein geprügelter Hund, sondern da steht jemand, der einem in die Augen schaut und ein wirkliches Gegenüber ist. Es ist buchstäblich „wunder“bar, wenn man so etwas erleben darf und vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat.

Wie Jesus ein solches Wunder bewirkt, davon erzählt der gerade gelesene Abschnitt aus dem Markusevangelium. Ganz sicher verfügte Jesus über so etwas wie eine „therapeutische Naturbegabung“. Aber das wirkliche Geheimnis hinter dem Gelingen dieser Heilung liegt darin, dass Jesus diesem Menschen die Angst nahm, nur Unerträgliches zu hören zu bekommen und sowieso von niemandem gehört zu werden. Jesus gab ihm die Er-innerung daran zurück, dass der allererste Satz, der ihm gesagt worden ist ein bedingungsloses „JA“ gewesen ist: Ja, ich, Gott, will dass es dich gibt, dich, so wie du bist. Und: Ich, Gott, warte seitdem darauf, dass du endlich antwortest. Egal wie lange es dauert, ich lasse mich von meinem Vertrauen zu dir nicht abbringen, auch wenn Du dich bis zur Verstocktheit betäubst und meinst, du könntest nur stumm und stotternd am Rand des Geschehens herumsitzen.

Taubheit und Stummheit zu heilen, setzt voraus, ohne Wenn und Aber daran festzuhalten, dass der innerste Kern meiner selbst und jedes Menschen in diesem einen besteht: Ich bin, du bist von Gott gewollt und dazu ins Leben gekommen, dass sich deine Begabung zum Lieben, zum Hören, zum Sprechen und zum Handeln entfaltet. Ja, es stimmt, dass ich mir selbst und meinen Menschenschwestern und –brüdern geschenkt bin, um mit ihnen in lebendiger und liebender Beziehung, im Wechselspiel von Hören und Antworten zu leben.

Die gegenwärtige Weltlage, die gesellschaftliche und nicht zuletzt unsere kirchliche Situation kann einen stumm machen, kann einen dazu treiben sich so zu betäuben, dass man nichts mehr mitbekommt. Auch hier merken wir: Den Druck und die Betriebsamkeit immer mehr erhöhen, macht nur noch tauber und stummer. Immer schmerzhafter wird dann, dass wir vor lauter Tumult in uns und um uns einander nicht hören können und wollen und dass das Durcheinander einem die Sprache verschlägt.

Hier ist gefragt, sich an dem zu orientieren, was Jesus für den Taubstummen tut: Beiseite gehen, um sich dem Bann des „Drunter und Drüber“ zu entziehen. Einen Menschen so berühren, dass er seine Angst hinter sich lassen kann, um den Blick auf Gott zu richten, der in seinem Innersten auf ihn wartet und ihm so vermitteln, dass in dem Wort „Effata“: – „Öffne dich“ – nicht Bedrohung und Überforderung stecken, sondern Erlösung und Befreiung.

So kann geschehen, was wir in der gegenwärtigen Drucksituation grundlegend brauchen: Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.

Diese Dimension unseres Glaubens ist jeder und jedem von uns in der Taufe zugesprochen. Zur Feier der Taufe gehört unter anderem der „Effata-Ritus“, der offensichtlich dem heutigen Evangelium nachgebildet ist: Der Taufende berührt den Täufling am Ohr und am Mund und sagt dazu: „Effata, Mensch, tu dich auf!“

Das ist der Zuspruch und Anspruch der Taufgnade, in deren Kraft jede Christin und jeder Christ den Weg durchs Leben gehen darf: Mensch, öffne dich und höre mit dem Ohr deines Herzens, dass Gott vor allem anderen „JA“ zu dir gesagt hat. – Mensch, öffne dich und sag‘ deinen Menschenschwestern und –brüdern dieses göttliche Grundwort, aus dem du selber lebst: JA, es ist gut, dass es dich gibt.

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Spätestens seit der nun allgemein bekannten AHA-Regel und den an allen öffentlichen Orten bereitstehenden Spendern von Desinfektionsmitteln ist der Begriff Hygiene ein sehr alltäglicher geworden.
Das Wort „Hygiene“ leitet sich vom griechischen Wort für Gesundheit hygíeia ab, das zugleich der Name der für die Gesundheit zuständigen Göttin ist.

Die identische Bezeichnung von Göttin und Zuständigkeitsbereich macht deutlich, wie eng der Zusammenhang von hygienischen Maßnahmen und religiösen Geboten und Verboten in den großen antiken Kulturen gewesen ist.
Im Wissen darum, dass der Mensch bei all seinen Bemühungen und Sorgen um Gesundheit und Wohlergehen diese letztlich nicht mit seinen Mitteln völlig sichern kann, sondern des Beistands höherer Mächte bedarf, wurden Regeln und Maßnahmen zur Gewährleistung von Gesundheit und Wohlergehen des Volkes religiös sanktioniert, um ihre Einhaltung zu sichern.
So finden sich in den religiösen Traditionen vieler Völker und Kulturen, vor allem im Kontext von Gottesdienst, Essen und Trinken, Reinigungsgebote und -riten, die nicht nur als Teil des religiösen Lebens beachtet werden, sondern auch als Ausdruck der eigenen Kultur, der Zivilisation überhaupt gelten und die Identität und das Selbstwertgefühl dieser Völker prägen.

Wie in der heutigen Lesung aus dem Buch Deuteronomium deutlich wird, gilt das auch vom Volk Israel, wenn es heißt: „Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. … welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?“

Israels Auszeichnung vor allen Völkern ist seine Erwählung durch Gott, der ihm seine Weisung, die Tora, gegeben hat, damit es so das Leben hat.
Um zu verhindern, dass die göttlich Weisung übertreten wird, kam es in der Folge zu Ausführungsbestimmungen, d.h. zu konkreten Regeln, die das Gesetz auf alltägliche Situationen anwendeten. Später nannte man dies „den Zaun des Gesetzes“, denn so wie der Zaun um einen Garten diesen schützen soll, sollen diese Regeln die Einhaltung des Gesetzes garantieren.
Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass dann mehr auf die äußerliche Einhaltung der menschlichen Regeln geachtet wird, als auf das eigentliche Anliegen. Dass es zu einer Veräußerlichung kommt, die das alltägliche Leben einschnürt und den inneren Sinn der Weisungen aus dem Blick verliert.

Genau diese Entwicklung kritisieren schon die Propheten Israels, so heißt es im Buch des Propheten Jesaja: „Dieses Volk ehrt mich mit seinen Lippen, sein Herz aber ist fern von mir. Ihre Furcht vor mir wurde zu einem angelernten menschlichen Gebot“ (vgl. Jes 29,13; Mk 7,6b-7).

Diese Kritik nimmt Jesus im heutigen Evangelium auf und erinnert daran, dass es bei aller Achtsamkeit für die äußere Reinheit, letztlich auf die Reinheit des Herzens ankommt.

Jesus lehnt Reinheit und Hygiene nicht ab, doch ihm geht es zuerst um die Hygiene des Herzens, in der die Reinheit von Gedanken, Worten und Werken gründet, denn „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7,20-23).

Während Jesus hier betont, dass aus dem Inneren, dem Herzen das Böse hervorgeht, sagt er in der Bergpredigt, dass die Folge eines reinen Herzen die Schau Gottes ist: „Selig die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Das Herz hier als Quelle des Guten.

Doch was macht das Herz rein? Wie wird es rein? Wer sind die Menschen mit reinem Herzen, die im Geist der Bergpredigt Gott schauen können? Wer oder was kann das Herz reinigen und wie kann es rein bewahrt werden? Und woran erkennt man ein reines Herz?

Diese Fragen beschäftigten vor allem das frühe Mönchtum, dessen erklärtes Ziel die contemplatio Dei[1] die möglichst beständige Betrachtung Gottes, die andauernde Ausrichtung auf ihn war.

Dabei verglichen sie das reine Herz in seiner Ruhe mit der Oberfläche eines spiegelglatten Sees, in dem sich der Himmel spiegelt. Doch die Wirklichkeit des menschlichen Herzens ist eher von unruhigem Wogen und Tosen geprägt. Gedanken, Gefühle, Impulse treiben ihn um und das Licht des Himmels wird in unzähligen Wellen und Wogen gebrochen.
Um das Herz zur Ruhe zu bringen, empfehlen die Mönchsväter und –mütter, die Stille zu suchen, sich an Christus, am Wort Gottes festzumachen, das unruhige Herz immer wieder in die heilende Gegenwart Gottes zu bringen.
Der heilige Benedikt ermutigt dazu, den Weg der Gebote Gottes zu gehen und im Glauben voranzuschreiten, damit der Geist Gottes das Herz berühren, es weiten und rein machen kann, und das unsagbare Glück der Liebe in ihm weckt.

Denn das ist ein reines Herz, das nicht in sich verschlossen ist, sondern aus der lebendigen Beziehung zu Gott, zu sich und zum Nächsten lebt.

Wenn wir uns wirklich und ernsthaft um die Gottes- und Nächstenliebe mühen und so unsere Herzen von allem reinigen, was uns voneinander und von Gott trennt, dann werden wir selbst Formen finden, uns in Liebe mit Gott und den Menschen zu verbinden. Wir werden uns als Erstes fragen, ob wir die Liebe leben und nicht, ob wir die Vorschriften auch peinlich eingehalten haben.
Der Prüfstein für die Reinheit des Herzens ist somit das Verhältnis zum Nächsten, vor allem die Wahrnehmung des anderen, der Umgang mit ihm und das Denken über ihn.

Sehr schön bringt das ein Wort des Mönchsvater Isaak von Ninive (+ um 700) zum Ausdruck:
„Ein junger Mann fragte: „Wie kann einer wissen, ob sein Herz rein ist?“
Der Lehrer antwortete: „Vollkommene Reinheit hat der erlangt, der alle Menschen in einem guten Licht sieht und von niemanden den Eindruck hat, er wäre unrein oder verdorben. Ein solcher Mensch hat vollkommene Reinheit erlangt.“

[1] Cassian, Conlationes 1,15f.

von P. Julian M. Schaumlöffel OSB

Das eigentliche und auch erste Meisterwerk von Egid Quirin Asam ist der 1722–1723 erstellte szenische Hochaltar, der den Kirchenraum der Benediktinerabtei Rohr in Niederbayern dominiert, «eine mit allen rhetorischen, perspektivisch-illusionistischen und theatralischen Kunstgriffen visualisierte plastische Darstellung der Himmelfahrt Mariens».
Die Ausmaße dieser raumbeherrschenden Altarinstallation sind eindrücklich und haben mich beim Betrachten überwältigt.
Der offene Sarkophag steht weit über dem Chorboden. Die beiden Altarbauten sind sieben Meter tief und deren Säulen fast 8 Meter hoch, bilden aber für den Betrachter eine einzige Schauwand. Für dieses eindrückliche «Theatrum sacrum» setzten die Asam ihre Kenntnisse aus dem Studium der Lichtinszenierungen Berninis genial um.
Eine mächtige goldene Krone von 5 Metern Durchmesser schließt die Giebelstücke des Alters zusammen. Auf der Monumentalbühne erscheint als lebendes Bild die Himmelfahrt Mariens. Über drei Stufen steht der Sarkophag. Von allen Seiten eilen die Apostel in erregter Bewegung herbei. Sie finden das Grab leer, der Deckel lehnt an der Rückwand. Maria aber schwebt, von Engeln getragen in die übergroße Krone hinein und zum Himmel empor, wo sie von der Hl. Dreifaltigkeit und Engelschören erwartet wird. Ein gelbes Fenster an der Rückwand wirft goldenes Licht auf die himmlische Szenerie.

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir feiern heute das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. feierlich das Dogma verkündet, die Gottesmutter Maria sei nach Vollendung ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden. Das heutige Fest hat seinen wahren Ursprung jedoch nicht in diesem Dogma; der Glaubenssatz hält auf feierliche Weise fest, was seit dem 4. Jahrhundert aus der Volksfrömmigkeit (vor allem der Ostkirche) in das Glaubensbewusstsein der Kirche gelangt ist und dort seit anderthalb Jahrtausenden seinen festen Platz hat.
Und genau dieses Glaubensbewusstsein hat die Künstler aller Epochen inspiriert, die Himmelfahrt Mariens darzustellen. Ein Beispiel dafür ist das eingangs beschriebene Kunstwerk der Asam in Rohr.
Genau 300 Jahre später wurde hier im Sauerland für die Gemeinde St. Clemens in Drolshagen ein Flügelaltar in Auftrag gegeben. Schon die Tatsache, dass eine Gemeinde im 21. Jahrhundert einen Hochaltar in Auftrag gibt ist ungewöhnlich, noch ungewöhnlicher aber ist die dortige Darstellung der Himmelfahrt Mariens.
Das Altarbild des Künstlers Thomas Jessen aus Eslohe zeigt im Zentrum die Gottesmutter Maria auf einer Klappleiter stehend. Die fotorealistisch gemalten, lebensgroßen Figuren wirken dabei auf den ersten Blick eher wie Gemeindemitglieder oder Handwerker, die dabei sind, den im Hintergrund erkennbaren Altarraum neu zu gestalten. Das am Pfingstmontag dieses Jahres zur Altarweihe enthüllte Bild soll die Himmelfahrt Mariens in einer modernen Version zeigen. Die Mutter Jesu trägt dabei Jeans und Rollkragenpullover und steht auf einer Trittleiter unter dem Kreuz. Neben Maria stehen die heilige Veronika als Handwerkerin, ebenfalls in moderner Alltagskleidung und ohne Heiligenschein, sowie der ungläubige Thomas in Jeans und mit freiem Oberkörper – ein Selbstbildnis des Künstlers. Im Sauerland und gerade in Drolshagen erregt dieser Altar nun seit Wochen die Gemüter. Darf man die Gottesmutter und die anderen Heiligen so darstellen?
Während Maria im barocken Rohr von Engeln getragen in die Glorie des Himmels entschwebt, muss die Gottesmutter in Drolshagen in Arbeitskleidung selbst die Holzleiter erklimmen, um in den Bereich ihres am Kreuz dargestellten Sohnes zu gelangen. Die Leiter ist hier das verbindende Moment, denn während der Körper Mariens noch vor dem Rot irdischen Liebens und Leidens dargestellt ist, reicht ihr Kopf schon in die Kreuzigungsszene des Himmels hinein, in der das kräftige Blau dominiert.

Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen zum heutigen Hochfest diese Kunstpredigt halte. Ich meine, dass die beiden beschriebenen Darstellungen uns gut an das Festgeheimnis heranführen können. Wenn mich persönlich – und meine Brüder kennen mich – die barocke Szenerie letztlich mehr bewegt und meine Seele anrührt, so vermag die moderne Darstellung eine intensivere Auseinandersetzung mit deren Inhalt zu entfachen.
Fragen wir uns angesichts der Aufnahme Mariens in den Himmel doch einmal, wie wir uns den Himmel eigentlich vorstellen. Ist es der Garten Eden, ein Paradies, eine Art Schlaraffenland, ein Ort des Friedens und der Gerechtigkeit oder die Begegnung mit allen schon Verstorbenen?
Der Himmel – jeder hat vermutlich seine ganz eigene Vorstellung davon.
Wenn wir im biblisch-christlichen Sinn von Himmel sprechen, meinen wir das uns von Gott zugedachte Ziel der persönlichen und universalen Geschichte; also das endgültige, rundum beseligende „Aufgehobensein“ in der Gemeinschaft mit Gott. Himmel so verstanden ist ein anderes Wort für Vollendung.
„Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“, hörten wir in der Lesung aus dem Korintherbrief. Quelle und Mitte aller Vollendung ist Gottes versöhnende Liebe, die uns in Christus bereits innergeschichtlich erschienen ist und im Himmel in ihrer ungehinderten Wirksamkeit offenbar wird. Der Seher Johannes nennt sie die Hochzeit des Lammes, die Gott mit seiner Schöpfung im himmlischen Jerusalem feiern will. „In dieses Fest wird all das mit einbezogen, was uns auch jetzt schon in unserem irdischen Leben mit dankbarer Freude erfüllt, was unsere mitlachende und mitweinende Sympathie weckt, ja, was uns einfach zutiefst menschlich sein lässt“, wie es Medard Kehl formuliert.
In unserer eigenen Vollendung sollen wir endgültig Ja sagen können, auch zu all dem Schmerzlichen, das erst im Licht der versöhnenden Liebe Gottes ganz und heil werden kann. Diesen Prozess der je eigenen Vollendung meinen wir im christlichen Glauben, wenn wir vom Himmel sprechen.
Was wir in der Lesung vom Hl. Paulus über die Vollendung aller Menschen hörten, sagt die Kirche in ihrem Lehramt nun eigens von Maria: „Die Gottesmutter ist derart in das Geheimnis Christi eingeschrieben, dass sie der Auferstehung ihres Sohnes mit ihrem ganzen Sein bereits am Ende ihres irdischen Lebens teilhaftig wird; sie lebt das, was wir alle am Ende der Zeiten erwarten, wenn der »letzte Feind«, der Tod, entmachtet werden wird.“
Die Begründung für die unmittelbare Aufnahme Mariens in den Himmel liefert uns der Lobgesang der Gottesmutter im Evangelium. Das Magnifikat ist eine einzige große Zustimmung zu Gottes Plan mit ihr. Maria spricht – schon während sie Christus in sich trägt – das endgültige Ja ihrer zukünftigen Vollendung und kann daher nach ihrem irdischen Leben unmittelbar am großen Fest der kommenden Welt teilnehmen. Durch all die Erfahrungen der Verlassenheit, in Schmerz und unsagbarem Leid, hat sie dieses einmal gegebene Ja nie zurückgenommen.
So ist die Gottesmutter uns Vorbild im täglichen Durchhalten, in der Treue und schließlich auch in der himmlischen Vollendung.

Das Leben der Gottesmutter, ihre alltäglichen Mühen und Sorgen, ihren Schmerz und ihr Leid bringt das Kunstwerk von Thomas Jessen in Drolshagen besser zum Ausdruck, zeigt es uns Maria doch als Menschen aus Fleisch und Blut, der an Christi Vollendung Anteil nehmen darf.

Die Treue der Gottesmutter, das ein Leben lang durchgehaltene, unbedingte Ja zu Gott, vermag dagegen den barocken Glanz der Asam-Szenerie zu erklären, wenn in dieser golden-lichtvollen Darstellung eine Ahnung unserer je eigenen österlichen Vollendung aufleuchtet.

Amen.

von Br. Benjamin Altemeier OSB

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Auch wenn Jesus heute im Evangelium auf den tieferen Sinn von Sättigung hinweist, hat er doch zunächst den leiblichen Hunger in der Brotvermehrung gestillt. Davon wurde uns letzten Sonntag berichtet. Das ist wichtig, denn Hungernden eine wie auch immer gestaltete Religiosität mit auf den Weg geben zu wollen, ohne vorher das Grundbedürfnis nach Nahrung, Gesundheit, Wohnung gestillt zu haben, macht keinen Sinn. Daher ist eine Evangelisation in Gegenden der Not ohne begleitende Hilfe undenkbar. So gibt es auch in unseren Missionsgebieten immer auch die konkrete Linderung von Notlagen. Es gibt Krankenhäuser, Brunnenbau und Schulen wie auch Ausbildungsstätten, um an einer Gerechtigkeit mitzubauen.

Gleichzeitig aber gibt es ja auch einen Hunger, der nicht durch Nahrungsaufnahme gestillt wird. Ich denke, wir alle kennen diesen Hunger. Es ist der Hunger nach Anerkennung, der Hunger nach Liebe, der Hunger nach Sinn und der Hunger nach Ewigkeit. Wir kennen die Sehnsucht nach unendlicher Liebe. Wir kennen das Sehnen, das zur Sucht werden kann, wenn es keine Erfüllung findet. Wir kennen die Werbestrategien, die auf subtile Weise versuchen, uns Ersatz anzubieten. Diese Formen des Konsumierens wirken zumindest nur sehr kurz. Wahre Erfüllung unserer Sehnsüchte ist nicht zu kaufen.  Das wissen wir eigentlich alles.

Und nun bietet sich Jesus im heutigen Evangelium  selbst als das „wahre Brot“ an. Mit der Verheißung, dass wir danach nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten werden. Ich muss schon sagen: Das ist ja eine steile These. Natürlich ist damit nicht gemeint, dass wir einfach aufhören zu essen und zu trinken. Aber auch die Vorstellung, dass unsere Sehnsucht durch Jesus gänzlich gestillt werden kann, wird doch augenscheinlich durch die Erfahrungen des Alltags widerlegt. Hatte es zu Beginn der Pandemie noch die Meinung gegeben, dass sich das Konsumverhalten verändern könnte, so ist dies inzwischen durch die Zahlen der Wirtschaft widerlegt.

War da Jesus von Menschen ausgegangen, die es so eben nicht gibt? Ich glaube tatsächlich, dass wir uns immer wieder auf den Weg machen dürfen und müssen, uns neu die „Nahrungsquelle Jesus“ zu erschließen.

Welche Nahrung bietet uns Jesus an? Da ist die Nahrung des  tiefen Verstehens und des Verständnisses für jeden Menschen, gerade auch in der Schwachheit. Sei es Zachäus auf dem Baum, sei es die Ehebrecherin, seien es die Aussätzigen oder die Kranken. Ich darf mich so in meiner Gebrochenheit angenommen wissen, wie es Jesus in den Begegnungen gelebt hat und immer wieder auch bei jedem von uns tut. Wir alle sind von Gott Angenommene. Da ist die Nahrung der sich selbst verschenkenden Liebe, die an keine Bedingung geknüpft ist. Diese Liebe zu den Menschen, aber auch zu jedem Einzelnen von uns, ist grenzenlos. Bedingungslos bis hin zum Kreuz. Es gibt also jemanden, ein wirkliches Gegenüber, das mich so liebt, wie ich bin und nicht Bedingungen an die Liebe formuliert. Ich darf mich also geliebt und verstanden fühlen, ohne in Vorleistungen treten zu müssen. Da ist die Nahrung der Vergebung, die nicht verurteilt, sondern heilt. In allem, was mir nicht gelungen ist, in allem, wo mir Fehler unterlaufen sind, werde ich nicht verurteilt, sondern von göttlicher Vergebung umfangen.  Denken Sie an das Gleichnis des verlorenen Sohnes oder besser des barmherzigen Vaters. So in den Arm genommen zu werden und liebkost zu werden, obwohl wir Schuld tragen, ist wahrlich ein lebenswichtiges und heilendes Lebensmittel. Gottes Vergebung ist grenzenlos. Und da ist noch die Nahrungsquelle der Ewigkeit. Alles Sehnen will Erfüllung und Ewigkeit. Durch Jesu Tod und Auferstehung ist uns die Perspektive auf Ewigkeit hin eröffnet.

Schauen wir jetzt auf unsere Praxis.

Gibt es denn Menschen, die aufgrund dieser göttlichen Nahrung ihren Hunger und ihren Durst so gestillt haben, dass sie es fruchtbar machen können für sich und andere  – in der konkreten Nachfolge Jesu?

Ich habe über die Medien in den letzten 14 Tagen mitbekommen,  wieviel Kraft Menschen zukommt, egal ob sie sich als religiös bezeichnen  würden oder nicht, und die diese Kraft für andere zum Einsatz gebracht haben. Ich meine die Helfer und Helferinnen in den überflutenden  Hochwasser-Gegenden, hier vor unserer Haustür. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, um anderen in existentieller Not beizustehen. Da sind Feuerwehrangehörige, die ihr Leben, um anderen zu helfen, gefährdet haben. Soviel an praktisch gelebter Religiosität. Über 60 Millionen Euro sind von Menschen gespendet worden. Ich glaube, dass diese Bereitschaft zur Hilfe den Helfern selbst wirklich Sättigung für Ihr eigenes Leben verschafft hat. Es klingt paradox. Wer sich hingibt, empfängt und wird gesättigt!

Wenn wir gleich vom Tisch des Herrn Christus empfangen, dann wird uns in diesem Brot auch seine Botschaft der sich hingebenden Liebe und Güte ausgeteilt. Durch das geschwisterliche Mahl sind wir zur Hingabe befähigt. Geben wir das Empfangene an unsere nächsten Schwestern und Brüder weiter.

Ich möchte schließen mit einem Gebet:

„ Der du der Erde Brot gegessen,
mit Sündern hast zu Tisch gesessen,
Herr Jesu, komm und mach uns satt,
dass Leib und Seel Genüge hat.
Amen.“

von P. Erasmus Kulke OSB

„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!“
Liebe Schwestern und Brüder, ich könnte mir vorstellen, dass eine ganze Reihe von uns sich von diesen Worten Jesu angesprochen fühlen und innerlich seufzen: Ja, das wäre schön. Einmal so richtig entspannen und ausruhen, durchatmen und wieder aufatmen.
Viele tun auch genau das jetzt in der Ferienzeit und sind im Urlaub, in dem sie hoffentlich auch Erholung finden. Doch viele fühlen sich sicher urlaubsreif und haben keine Mög­lichkeit, Ferien zu machen.
Ruhe haben wir alle nötig. Gerade unsere Zeit ist so voller Stress, Hektik, Lärm und Unruhe wie wohl kaum eine Zeit zuvor. Und Corona und der Lockdown haben vieles noch ein­mal verschärft. Home Office und Home Schooling haben viel­fach für Konflikte in den Familien gesorgt, und ein Ausgleich dazu wurde durch Kontaktbeschränkungen und viele andere Einschränkungen sehr erschwert. Dass da so mancher am Ende seiner Kräfte ist und dringend Ruhe und Erholung braucht, ist nur allzu verständlich.
Ja, es ist wichtig, dass wir uns immer wieder Zeiten der Ruhe nehmen und uns Orte suchen, an denen wir uns erholen und auftanken können. So wie die Apostel nach ihrer Missions­reise Ruhe brauchten, um neue Kräfte sammeln zu können, so brauchen auch wir immer wieder Ruhe und Erholung, Zeiten, in denen wir nichts leisten müssen, wo wir tun und lassen können, was uns gerade Spaß macht, wo wir ganz zweckfrei sein, da sein können und das Leben genießen können.
Mein Eindruck ist aber, dass das Abschalten und Ausruhen vielen zunehmend schwer fällt. Wir stehen ständig unter Druck, sind ständig erreichbar, die Welt um uns herum wird immer schneller, komplexer und verwirrender, und da ist es oft gar nicht so leicht, aus diesem Hamsterrad auszusteigen, abzuschalten und dann die Ruhe auszuhalten. Vielleicht hatten es Jesus und seine Apostel da grundsätzlich leichter. Natürlich, das heutige Evangelium erzählt uns davon, dass es auch für sie schwierig war, Ruhe zu finden, weil Tausende von Leuten hinter ihnen her waren. Aber als gläubige Juden waren sie es gewohnt, regelmäßig auszuruhen, nämlich am Sabbat. Das hatten sie von Kindes Beinen an „gelernt“.
Am Sabbat darf ein Jude sich nicht nur ganz offiziell aus­ruhen und das Leben genießen, er soll es sogar und ist aus­drücklich dazu verpflichtet. Es ist eine heilige Pflicht. Ein Jude genießt am Sabbat die Zeit mit Familie und Freunden, genießt festliches Essen. Es wird erzählt, gespielt, gesungen und gelacht. Es werden die Schöpfung und der Schöpfer gefeiert, auch durch Gebet und Gottesdienst. Und jüdische Ehepaare kommen ihren „ehelichen Pflichten“ nach. Am Sabbat muss man sich für das Nichtstun nicht rechtfertigen, sondern ganz im Gegenteil, das Arbeiten bedarf einer Recht­fertigung. Ich glaube, dass wir davon eine Menge lernen können. Denn manchmal habe ich den Eindruck, dass wir das wahre Ausruhen verlernt haben, dass wir oft gar nicht mehr wissen, was uns wirklich gut tut und Erholung verschafft. Da wird die Freizeit vollgepackt mit vielen Dingen, die uns letzt­lich nicht nur keine Erholung bringen, sondern uns zusätz­lich ermüden und entkräften. Oder die Zeit wird sinnlos ver­daddelt mit Dingen, die unserer Seele keine Erholung bringen, sondern sie mit einem Gefühl der Leere zurück­lassen.
Im Talmud, eine der bedeutendsten Schriften des Juden­tums, heißt es, dass der Sabbat nicht deshalb geschaffen wurde, weil Gott Ruhe gebraucht hätte, sondern Gott wollte, dass die Ruhe geheiligt werde. Die Ruhe ist also etwas Gött­liches. Ohne Frage, schaffen und erschaffen, dass was Gott an den ersten sechs Tagen seiner Schöpfung getan hat, ist auch etwas Göttliches. Aber mit der Ruhe „krönt“ Gott seine Schöpfung. Wenn wir uns also Zeiten der Ruhe nehmen und gönnen, heiligen wir uns selbst und unsere Zeit, und im „Heiligen“ geschieht Heilung. Wenn wir uns in der Mühe des Alltags immer wieder Zeiten der Ruhe nehmen, dann kommen wir, die wir Abbilder Gottes sind, zu uns selbst. Und da muss jede und jeder für sich selbst schauen, was wahre Ruhe und Erholung bringt. Ein Weg ist sicherlich die Einladung Jesu anzunehmen und zu ihm zu kommen mit all dem, was uns belastet. „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, sagt Jesus zu uns. „Ich will euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28) Ja, Jesus verheißt uns Ruhe für die Seele. (11,29)

Schließen möchte ich mit Gedanken der kleinen Anna aus dem Buch „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“, denn die sind bedenkenswert:

Anna fragte: „Was ist wohl das Größte, was Gott gemacht hat?“
Fynn überlegte und sagte: „Das Größte ist die Erschaffung des Menschen.“
Sie schüttelte den Kopf und war nicht einverstanden.
Fynn rätselte herum: „Vielleicht die Tiere, die Blumen oder das Weltall?“ Er fragte sich durch die sechstägige Schöpfungsge­schichte hindurch, erntete aber nichts als weiteres Kopfschüt­teln. Mehr fiel ihm nicht ein.
Plötzlich legte Anna ihre Hände vor sich auf den Tisch und stand auf. Auf ihrem Gesicht malte sich Freude und Erstaunen über sich selbst. Sie holte tief Luft und sagte: „Das größte ist der siebte Tag.“
„Das kapier ich nicht“, sagte Fynn. „Da hat er nun alle seine Wunder in sechs Tagen fertiggekriegt. Und dann ruht er sich aus am siebten Tag. Was ist da so Besonderes dran?“
„Warum hat er sich denn am siebten Tag ausgeruht?“ fragte Anna.
„Na, das Ganze war doch ’ne hübsche Menge Arbeit. Da braucht man dann mal ’ne Pause.“
„Er hat sich aber nicht ausgeruht, weil er müde war. Er nicht. Er war nicht müde.“
„Bestimmt nicht?“
„Am siebten Tag hat er die Ruhe geschaffen, und das ist das wirkliche Wunder. Er hat sich die Ruhe ausgedacht und sie dann gemacht. Wie, glaubst du, war das alles, bevor er am ersten Tag angefangen hat mit der Arbeit?“
„Ein ziemlich schauerliches Durcheinander, nehme ich an.“
„Ja, und du kannst dich doch nirgendwo ausruhen, wenn alles so’n Riesendurcheinander ist, oder?“
„Wahrscheinlich nicht. Und dann?“
„Siehst du, als er dann angefangen hat, alle Sachen zu machen, da war es schon gleich ein bisschen weniger unor­dentlich. Und als er mit allem fertig war, hatte er die ganze Unordnung in Ordnung gebracht. Und erst jetzt konnte er sich die Ruhe ausdenken. Und darum ist die Ruhe das alleraller­größte Wunder.“