Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von P. Erasmus Kulke OSB

Als der 1996 verstorbene Pastoralpsychologe Henry Nouwen, ein angesehener Professor und international äußerst erfolg­reicher geistlicher Autor in eine tiefe Sinnkrise geriet, zog er sich für 7 Monate in ein Trappistenkloster zurück. Als er den Abt nach einem Rat fragte, der ihm in dieser schwierigen Situation helfen könnte, sagte der: „Machen Sie zum Mittel­punkt Ihres Meditierens das Wort: Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“ Henry Nouwen stutzte, denn herrlich fühlte er sich zu dem Zeitpunkt natürlich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich leer, ausgepowert, niedergeschlagen.

Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben Sie gerade auch gestutzt, vielleicht aus einem ähnlichen Grund, weil sie sich auch nicht herrlich fühlen. Vielleicht aber auch, weil Sie meinen, dass das doch sehr vermessen und anmaßend ist. Nun, der Trappistenabt war ein großer geistlicher Meister. Als solcher kannte er sicherlich das oft zitierte Wort des Irenäus von Lyon, eines Kirchenvaters aus dem 2. Jahrhundert: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch.“ Ein wahrhaft gewaltiges Wort, das sicherlich auch uns guttäte, wenn wir es meditieren würden. Natürlich hat Irenäus von Lyon das nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern auf dem Fundament biblischer Offenbarung eine Wahrheit pointiert formuliert.

In unserem heutigen Evangelium klingt etwas sehr Ähnliches an, wenn Jesus zu seinem Vater betet: „Ich habe ihnen [ge­meint sind die Jünger] die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast.“ Doch was meint eigentlich der Begriff „Herr­lichkeit“? Wenn die Bibel von der Herrlichkeit Gottes spricht, meint sie damit die unfassbare, wunderbare, lebendige Aus­strahlung Gottes, seine Schönheit, seine gewaltige Größe und Kraft, sein erhabenes majestätisches göttliches Wesen, dass sich oft in einem strahlend hellen Lichtglanz äußert, wie zum Beispiel bei der Verklärung Jesu auf dem Tabor. Auch Jesus Christus, der „vor aller Zeit aus dem Vater geboren“ ist, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, ist diese Herrlichkeit zu eigen. Er selbst spricht ein paar Verse vor unserem heutigen Ab­schnitt davon: „Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war!“ (Joh 17,5) Und aus lauter Liebe zu uns Menschen, weil er uns ganz nahe sein wollte, hat er auf diese Herrlichkeit verzichtet und ist Mensch geworden. „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ So formuliert es der Philipperbrief (2,6f.).

Er ist Mensch geworden, weil er uns so sehr liebt, dass er ganz eins sein möchte mit uns und uns an seinem göttlichen Leben, an seiner Herrlichkeit Anteil geben will. „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ So haben wir es gerade im Evangelium gehört. Wenn man das recht bedenkt, ist das schon wirklich gewaltig. Die christliche Tra­dition spricht hier von einem „wunderbaren Tausch“. Der Schöpfer des Menschen, Gott, wird selbst ein Mensch und schenkt uns Menschen seine Gottheit. Ja, Gott gibt sich in Jesus uns Menschen ganz und gar hin, behält nichts für sich zurück, auch nicht seine göttliche Herrlichkeit.

Der große Mystiker Johannes vom Kreuz sagt: „Was Gott be­ansprucht, ist, uns zu Göttern durch Teilhabe zu machen, wie er es von Natur aus ist, so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“ Ja, indem wir ganz eins mit Gott werden, werden wir immer mehr in ihn verwandelt, „so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“

Das ist die große Sehnsucht Gottes, seine herzliche Einladung an uns: in Liebe ganz eins zu sein, immer mehr eins zu werden mit ihm, wir in ihm und Er in uns. Das gilt nicht nur „spiritu­ellen Überfliegern“, nicht nur besonders „frommen“ Men­schen, Ordensleuten oder Priestern, sondern allen. Weil er uns alle unendlich liebt. Hier geht es um nicht weniger als um das Fundament unseres christlichen Glaubens!

An uns liegt es, mit unserem Glauben wirklich ernst zu machen, diese Einladung anzunehmen, mit Gott in einem Be­ziehungsverhältnis zu leben, in einer tiefen Lebens- und Lie­besgemeinschaft. Und was kann schöner und beglückender sein als mit jemanden ganz eins zu sein, von dem man weiß, dass er mich bedingungslos und unermesslich liebt?

Von Gott her ist das Eins-sein immer schon da. Das muss ich mir nicht erst verdienen, erwerben, weil Gott „in jeglicher Menschenseele, und sei es die des größten Sünders der Welt, wesenhaft wohnt und gegenwärtig ist”, wie Johannes vom Kreuz sagt. Vielmehr geht es darum, wach zu werden für diese tiefste Wahrheit unseres Wesens, und dann daraus mein Leben zu gestalten, mich der Liebe Gottes hinzugeben und mich von ihm verwandeln zu lassen, damit seine göttliche Herrlichkeit immer mehr Raum greift in mir, immer mehr durch mich hin­durch scheint und strahlt. Damit ich spüre, dass das Wort wahr ist: Ich bin die Herrlichkeit Gottes!

von P. Maurus Runge OSB

Ich muss gestehen, dass ich mit dem heutigen Hochfest „Christi Himmelfahrt“ als Kind nie so richtig etwas anfangen konnte. Es war zwar schön, einen zusätzlichen Ferientag zu haben (ein Luxus, der Menschen aus Italien oder Spanien nicht vergönnt ist, denn hier fällt Christi Himmelfahrt wie auch das Fronleichnamsfest auf einen Sonntag), doch die Botschaft hinter dem Fest war mir nie so ganz eingängig. „Himmelfahrt“ – das klingt mehr nach Science Fiction und göttlicher Hebebühne als nach etwas, das mir in diesem Leben weiterhilft, das mir zeigt, wie ich im Alltag leben soll.
Später habe ich dann im Theologiestudium gelernt, dass Himmel nicht unbedingt der physische Ort am Himmelsgewölbe ist, sondern eher ein Zustand der Verbundenheit und Gemeinschaft. Das Englische kennt hierfür zwei unterschiedliche Wörter: „sky“ für den physischen Himmel über mir mit Sonne, Mond und Sternen, und „heaven“ für all das, was wir theologisch-spirituell unter Himmel verstehen.
Doch trotzdem stellt sich angesichts der Lage unserer Welt und Kirche für mich die drängende Frage: Wie kann ich den offenen Himmel feiern, in den Jesus eingegangen ist, wenn der Himmel für so viele Menschen weltweit nicht von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus, sondern vom Artilleriefeuer der Kriegsmaschinen erleuchtet wird?
Wie kann ich den Himmel feiern, wenn dieser Himmel für unzählige Menschen verdunkelt wird, weil sie im Raum der Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben?
Wie kann ich an einen offenen Himmel über uns glauben, wenn so vielen Menschen, und zwar nicht den Gleichgültigen, sondern den Engagierten dieser Himmel durch die Kirche so sehr verdunkelt wird, dass sie ihn in dieser Kirche nicht mehr zu sehen vermögen und diese Kirche verlassen, auf allen Ebenen? Und wenn die einzige Reaktion vieler nicht konsequentes Handeln ist, ein Ändern des Systems, das offensichtlich Missbrauch begünstigt, sondern Floskeln der Betroffenheit, eine regelrechte „Betroffenheitslyrik“ und „Erschütterungserschütterung“, wie es die Journalistin Christiane Florin auf den Punkt bringt?

Mitten in meine Zweifel hinein höre ich den Satz aus der Himmelfahrtserzählung der Apostelgeschichte, den wir zu Beginn im Introitus gesungen haben, der also sozusagen als Leitmotiv, als Grundton über diesem Tag steht: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11) Und ich lese die kraftvollen Sätze aus beiden Lesungen, die die Jünger zur Zeugenschaft, zur Verkündigung, zum Handeln aufrufen: „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samárien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) – „Angefangen in Jerusalem, seid ihr Zeugen dafür. Und siehe, ich werde die Verheißung meines Vaters auf euch herabsenden.“ (Lk 24,48-49)

Also: Nicht ein ängstliches In-den-Himmel-Starren, das Lösungen von oben, in einer fernen Zukunft erwartet, sondern ein kraftvolles Einstehen für die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth mitten in dieser Welt – als Geist-Begabte, von ihm gesegnete Menschen.
Keine Betroffenheitslyrik, die in offiziellen Statements oder ellenlangen Facebook-Postings sagt, man habe verstanden und werde sich ändern, Schritte der Veränderung einleiten, sondern jetzt das tun, was mir möglich ist, um die befreiende Botschaft Jesu zu verkünden – mag es auch den Widerspruch derer hervorrufen, die schon immer zu wissen glaubten, was katholisch ist und was nicht.

Was wäre aus dem Christentum geworden, wenn die ersten Jünger ängstlich im Obergemach geblieben wären und nicht hinausgegangen wären auf die Straßen und Marktplätze der Welt? Ihre Kleider wären vielleicht sauberer geblieben, und ihre Herzen unverwundeter, aber um welchen Preis? Die Apostelgeschichte, die wir in dieser Osterzeit wieder gehört haben, zeigt doch ganz deutlich den großen Freimut der Jünger, die Wahrheit Jesu Christi zu verkünden, auch gegen den Widerstand der Herrschenden. Sie zeigt den Mut der ersten Christen, mehr sein zu wollen als eine jüdische Splittergruppe, sondern sich bewusst fremden Kulturen auszusetzen und sich in dieser Auseinander-setzung neu zu finden.

Das Fest Christi Himmelfahrt führt mich nicht in einen fernen Himmel über mir, der nichts mitbekommt vom Leid dieser Welt. Sondern es stellt mich in die Verantwortung, mich hier und jetzt dafür einzusetzen, dass dieser Himmel sichtbar ist und bleibt für die Menschen, dass niemandem dieser Himmel verdunkelt wird. Jesus mag zwar physisch nicht mehr anwesend sein in dieser Welt – er bleibt aber anwesend überall da, wo Menschen seine Botschaft zu leben versuchen, sei es innerhalb, sei es außerhalb der Kirche. In diesem Sinne gibt es dann doch viele Erfahrungen des Himmels mitten in dieser Welt – da wo Menschen ganz unkompliziert geholfen wird, wo ihnen zugehört wird, wo sie ihre Geschichte, auch ihre Leid-Geschichte in dieser Kirche erzählen können.

Ja, wir werden dabei nicht mit heiler Haut davonkommen, nicht als Einzelne und nicht als Kirche. So manche Wunde wird bleiben, und wir werden sie mit uns tragen. Wir werden, wie es Hilde Domin in einem Gedicht schreibt, „eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.“ „Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.“ Dieser Wunsch ähnelt ein wenig den Betroffenheitsrhetorikern unserer Tage, die meinen, es wäre mit ein paar salbungsvollen Worten getan. Auch Jesus ist nicht einfach so in den Himmel aufgenommen worden, sondern durch das Kreuz hindurch, als Verwundeter. Er ist und bleibt der verwundete Gekreuzigte, auch in der sprichwörtlichen Herrlichkeit. Allein diese Bitte taugt nach Hilde Domin: „Dass wir aus der Flut, dass wir aus der Löwengrube und aus dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.“ Das wäre dann auch eine Himmelfahrt, die so ganz anders ist als die im Triumphwagen hinauf – weil der Himmel nicht weit weg ist, sondern uns ganz nah, innerlicher als unser Innerstes. AMEN.

von P. Maurus Runge OSB

Liebe Schwestern und Brüder!

Vor knapp zwei Wochen, mitten in der Karwoche, fand ein großes „Live-Event“ auf dem Burgplatz in Essen vor der Kulisse des Essener Domes statt, das ein großer privater Fernsehsender ausgerichtet hat. Es wurde mit vielen mehr oder weniger bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern, mit Einspielern und Livemusik und Thomas Gottschalk als Erzähler eine Geschichte aufgeführt, die viele Menschen berührt, ja zu Tränen gerührt hat. Das Event trug den Namen „Die Passion – die größte Geschichte aller Zeiten“ – und es handelte sich tatsächlich um die Passionsgeschichte von Jesus Christus, die wir in derselben Woche in den Kirchen gehört haben. Die Worte waren wörtlich den Evangelien entnommen, die Geschichte selber ist so übersetzt worden, als geschehe sie in der Gegenwart mitten in der säkularen Großstadt Essen. So fand das Messiasbekenntnis des Petrus im größten Essener Einkaufszentrum statt, die Lebensmittel für das Letzte Abendmahl wurden an einer Imbissbude gekauft, und die Ölbergszene wurde auf das Gelände der Zeche Zollverein verlagert. Manches daran war für christliche Augen sicherlich zunächst verstörend, doch ich finde, dass gerade in solcher Verstörung und Irritation auch etwas Heilsames liegen kann – denn haben wir uns nicht so sehr an die Passionsgeschichte gewöhnt, dass wir gar nicht mehr das Herausfordernde, Provozierende, Berührbare daran erleben? Da hilft so manche Störung, neu auf die zeitlos aktuelle Botschaft dieser Story hinzuhören. Das moderne Passionsspiel, das übrigens völlig auf brutale Bilder der Kreuzigung verzichtete, wurde immer wieder durch deutsche Popsongs unterbrochen, moderne Passionslieder sozusagen, deren Text erstaunlich gut zur Geschichte passten. Parallel zur Geschichte, die auf dem Burgplatz erzählt wurde, trugen ganz unterschiedliche Menschen in einer Prozession ein großes Lichtkreuz durch die Essener Innenstadt und berichteten dabei von ihren Erfahrungen und Lebensschicksalen – berührende Glaubenszeugnisse, die vielleicht nicht immer klassische Kirchenbiographien waren, aber nicht weniger authentisch und echt.

Mich hat dieses moderne Passionsspiel seltsam berührt. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass ein Privatsender, der sonst nicht unbedingt für christliche Botschaften bekannt ist, etwas schafft, wozu wir in unseren Kirchen immer weniger in der Lage zu sein scheinen: viele Menschen zusammenzubringen, die innerlich angerührt, ja auch ehrfürchtig, an dieser Geschichte teilnehmen – und vielleicht sogar am Ende verändert zurück in ihren Alltag gehen; am Ende stand der Appell zu Solidarität und Nächstenliebe, auch im Angesicht der vielen modernen Passionsgeschichten von Menschen heute, in der Ukraine, Russland, im Heiligen Land und anderswo.

Als Leitmotiv über dieser Veranstaltung stand ein Satz, der einem Lied der Gruppe Revolverheld entnommen ist, das am Ende der Jesus-Darsteller über den Dächern der Stadt Essen gesungen hat: „Halt dich an mir fest, wenn dein Leben dich zerreißt. Halt dich an mir fest, wenn du nicht mehr weiterweißt. Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt.“

Was hat das nun alles mit dem heutigen Oktavtag von Ostern zu tun und mit dem Evangelium der Begegnung des Auferstandenen mit Thomas, das wir gerade gehört haben?
Wir stehen am Ende der Osteroktav. Morgen geht nach den Osterferien für viele von uns das Alltagsleben weiter. Die Frage, die über diesem Tag steht, lautet: Was bleibt? Was bleibt von der Feier der Kar- und Ostertage der letzten Wochen, von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi? Was bleibt von der österlichen Hoffnungsbotschaft in einer Zeit, die ganz und gar nicht zur Hoffnung einlädt? Was bleibt, „wenn das Leben uns zerreißt und wenn wir nicht mehr weiterwissen“?

An diesem Übergang begegnet uns der Apostel Thomas. Er war bei der ersten Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Jesus nicht dabei. Er weigert sich zu glauben, wenn er nicht die Wunden berühren kann, wenn er es nicht mit allen Sinnen fühlen kann, wenn er sich ganz wörtlich an den Wunden Jesu festhalten kann. Und Jesus geht auf seinen Wunsch ein. Er sagt zu ihm: „Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite! Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt!“

„Berühre die Wunden!“ So lautet ein Buchtitel des tschechischen Priesters und Theologen Tomás Halík. Jesus ist nicht als strahlender Sieger auferstanden – auch wenn wir ihn gerne so besingen. Er ist mit seinen Wundmalen auferstanden. Und er lädt uns ein, seine Wunden zu berühren, uns berühren zu lassen von seinen Wundmalen, die uns in den Wunden unserer Welt und der vielen Menschen in ihr entgegenkommen. „Lass dich berühren von meiner Passion, wo auch immer sie erlebt und durchlitten wird – innerhalb und außerhalb unserer Kirchen, auf den Schlachtfeldern der Welt, in den großen und kleinen menschlichen Dramen von Schuld, Verrat, Verleugnung, Gewalt.“

Unsere Osterkerze bringt in diesem Jahr diese Botschaft eindrücklich ins Bild. An der Stelle der fünf klassischen Wundmale finden sich Friedenstauben, Boten des Friedens. Sie scheinen aus diesen Wundmalen hervorzufliegen, um den Frieden, den der Auferstandene seinen Jüngern zuspricht, in die Welt hinaus zu tragen: „Friede sei mit euch!“ Kein triumphaler Frieden, sondern ein verwundeter Friede, der sich nicht an den Wunden der Menschen vorbei, sondern durch diese Wunden hindurch seinen Weg bahnt. Das ist die Hoffnungsbotschaft von Ostern, die bleibt und die wir auch weiter verkünden müssen – als Protest gegen die Diktatoren dieser Welt! AMEN.

von Br. Justus Niehaus OSB

 

Liebe Schwestern und Brüder,

ich finde es jedes Jahr wieder berührend den Introitus also den Eingangsgesang von Ostern zu singen. Er ist für mich eine gute Möglichkeit Auferstehung zu deuten. Es ist dieses intime Gespräch des Sohnes mit dem Vater, der den Introitus so besonders macht. Es ist kein Triumphgesang mit Pauken und Trompeten, sondern es ist die Begegnung des Sohnes, der vom Vater gerettet, ja aufgefangen wurde.

Ich bin auferstanden und bin immer bei dir. Halleluja.

Du hast deine Hand auf mich gelegt. Halleluja.

Wie wunderbar wurde dein Wissen um mich.

Jesus ist Gott, aber er ist auch Mensch. Er hat Todesangst gehabt. Er musste den Tod am Kreuz sterben. Er musste sich fallen lassen am Kreuz, in den Tod hinein. Sich fallen lassen in diesen grausamen Erstickungstod. Er musste dies als Mensch, mit diesem letzten Zweifel, der den Glauben vom Wissen trennt, tun. Ohne Netz und doppelten Boden sich fallen lassen allein im Vertrauen, dass der Vater seinen Sohn nicht allein lässt.

Diesen intimen Moment des Sohnes mit dem Vater – die Erleichterung, das nicht enttäuschte Vertrauen in den Vater, wird uns am Anfang dieses Gottesdienstes vor Augen geführt. Kein Triumph und Herrlichkeit sondern Berührung und Liebe. Dieser Glaube und das Vertrauen des Menschen Jesu zu seinem Vater.

Ein Zweiter Mensch, der mich jedes Jahr berührt ist Maria Magdalena, diese Apostolin der Apostel. Sie läuft zum Grab und sieht, der Stein ist weg. Sie läuft zurück um Hilfe zu holen. Mit den zwei Jüngern kehrt sie verunsichert wieder. Doch sie lassen sie alleine am Grab zurück. Erst als sie alleine zur Ruhe kommt spricht Jesus sie an. Und auch dann muss sie sich ganz zu ihm wenden um ihn zu erkennen. Welches Gefühlschaos in ihr geherrscht haben muss. Erst der Tod, dann die vermeindliche Grabschändung und dann die Erkenntnis: Er lebt.

Dieses Gefühlschaos kann ich in der heutigen Zeit gut nachvollziehen. Erst über zwei Jahre Pandemie, in der wir alle nur mühsam tastend die nächsten Schritte gemacht haben, immer in der Angst sich und Andere anzustecken. Aber auch immer die Hoffnung, dass es Schritte zur Normalität gibt. Vorsichtige Schritte zu Normalisierung des Lebens künden sich an.

Dann geschieht Ende Februar, das Unfassbare, welches wir eigentlich überwunden zu haben glaubten. Ein Staat in Europa greift einen anderen Staat mit Waffengewalt an. Krieg in Europa. Wieder ein Rückschlag, Ohnmacht und Sorgen. Helfen wollen und gleichzeitig nicht in einen Krieg hineingezogen werden wollen.

Die Jüngerinnen und Jünger damals hätten sich auch lieber einen Messias gewünscht, der mit Macht kommt. Als triumphaler Held, der das jüdische Volk von seinen römischen Besatzern befreit und in Jerusalem einzieht. Aber so kommt Gott nicht in diese Welt.

Er kommt ganz leise. Er kommt nur zu denen, die an ihn glauben. Er kommt, wenn sie nicht damit rechnen. Er kommt, wenn sie zusammensitzen und die Türen verschlossen sind. Er bleibt nicht weg. Dies im Einzelnen zu deuten überlasse ich in den nächsten 50 Tagen meinen Brüdern.

Ein Wort des auferstandenen Christus an seine Jünger taucht dabei aber immer wieder auf. Es ist auf der diesjährigen Osterkerze: Friede sei mit euch! Wir bekommen vom Auferstandenen den Frieden zugesprochen, den wir nicht nur in Europa, gerade mehr als dringend brauchen.

Das jüdische Schalom meint aber mehr als Frieden. Es meint zunächst Unversehrtheit und Heil. Doch es ist nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit, Frieden und Ruhe. Im Alten Testament wird Schalom als „Zustand, der keine unerfüllten Wünsche offen lässt“ beschrieben.

Oder um es mit dem jüdischen Gelehrten Montefiori zu sagen:

„… der Friede, der allein versöhnt und stärkt, der uns beruhigt und unser Gesichtsbild aufhellt, uns von Unrast und von der Knechtung durch unbefriedigte Gelüste frei macht, uns das Bewusstsein des Erreichten gibt, das Bewusstsein der Dauer, inmitten unserer eigenen Vergänglichkeit und der aller Äußerlichkeiten.“

Dies alles zu begreifen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dauert für die Jüngerinnen und Jünger 50 Tage. Es braucht Zeit dies alles zu Verstehen und zu Verinnerlichen.

Haben wir das Vertrauen, dass Jesus in seinen Vater gesetzt hat.

Haben wir die Offenheit, von der Pater Matthias heute Nacht gesprochen hat, um Christus zu erkennen, wenn er uns begegnen will.

Lassen wir uns diesen Frieden Gottes in dieser Osterzeit immer wieder zusprechen, damit er in uns wirken kann. Damit er durch uns in diese Welt kommen kann. Damit auch wir Pfingsten davon erzählen können.

Schalom Alechem!

Friede sei mit euch!

von P. Matthias Skeb OSB

Liebe Schwestern und Brüder!

Als ich ein Student im ersten Semester war, erhielten wir einmal als Hausaufgabe den Auftrag, einen Aufsatz eines berühmten deutschen Philosophen zu lesen, der um 1800 in Berlin lebte: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Titel des Aufsatzes lautete: „Wer denkt abstrakt?“. Wer denkt wohl schon abstrakt? Besonders die Philosophen selbst, Mathematiker, Physiker, Astronomen, Informatiker. Das dachte ich mir. Falsch gedacht! Hegel dachte an geistig ziemlich schlicht gestrickte Leute im Kleinbürgertum Berlins zu seiner Zeit, also an Leute, denen man spontan eine Abstraktionsleistung eigentlich nicht zutrauen würde. Wie das? Was er als Abstraktion bezeichnet, meint „übertriebene Vereinfachung“, Denken in Schablonen und Klischees, Absehen von der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit. Komplexe Wirklichkeit, handlich abgefüllt auf kleine Flaschen. Sprachlich drücke sich das aus in Formulierungen wie: „Das ist doch nichts anderes als…“ Einmal ehrlich: Wie häufig kommt uns das oder Ähnliches über die Lippen oder mindestens in den Sinn? Die Sichtweisen, das Verhalten eines anderen Menschen sind doch nichts anderes als dumm, gefährlich, hinterweltlerisch usw. Ähnlich schablonenhaft sagen wir: die Lehrer, die da oben auf dem Klosterberg, die Kirche, die Priester, die Wissenschaftler, die Politiker, das fehlerhafte Gesamtsystem „Katholische Kirche“, wie sich kürzlich ein typischer „Systemvertreter“ weit aus dem Fenster lehnte. Wenn wir heute häufig von angeblich „alternativlosen“ Entscheidungen, „alternativlosen“ Standpunkten, Forderungen oder Konsequenzen hören, die wir akzeptieren sollen, ist das eine moderne Version der gleichen geistigen Schlichtheit, die da sagt: „Das ist doch nichts anderes als…“ Je schlichter gedacht, desto lauter geäußert. Für das Osterevangelium gibt es diese billige Eindeutigkeit nicht, als ob es nur eine alternativlose Schlussfolgerung gäbe: Jesus ist nichts anderes als auferstanden, beziehungsweise: Jesus ist nichts anderes als tot.

Aber schauen wir genauer hin. Die Frauen also gehen nach dem Tod Jesu zur Beerdigungsroutine über und wollen den Leichnam salben, wie es üblich war. Da passiert etwas, was die Routine durchbricht. Das Grab ist offen, der Leichnam verschwunden; sie sind ratlos. Der Leichnam ist nicht mehr da, und von einem Auferstandenen ist weit und breit nichts zu sehen. Da zeigen sich unbekannte Männer in leuchtenden Gewändern und deuten die Abwesenheit Jesu als Zeichen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Der Menschensohn ist auferstanden wie er selbst gesagt hat“; und wer ihn jetzt noch im Grab sucht, sucht das Leben am  falschen Ort. Dass diese Frauen mit einem Schlag zum Osterglauben gekommen wären, davon lesen wir nichts.  Ein erster Hinweis: Ostern feiern, heißt: Nicht zu vorschnellen Urteilen kommen, Deutungen offenlassen, die Ambivalenz der Situation und die Ratlosigkeit aushalten, und einen Rat annehmen: Suchen wir den Lebenden und das Leben nicht bei den Toten!
Was die Frauen berichten, nehmen die Apostel nicht ernst: Das kann doch gar nicht sein! Das hat es ja noch nie gegeben! Was die wohl gesehen haben? Besser sich nicht bewegen und erst einmal weitermachen wie immer. Wir kennen diese Form vom Behäbigkeit und Bräsigkeit, die sich nicht in Bewegung setzen will, auch wenn klar ist, dass man gescheitert ist: vor die Wand gelaufen, mit seinem Latein am Ende, abgewirtschaftet und ohne Zukunft. Den Lebenden bei den Toten suchen? Nur Petrus will das nicht, ausgerechnet Petrus. Er steht auf, geht zum Grab, sieht die Leinenbinden da liegen, nicht aber den Leichnam und geht erstaunt nach Hause. – Und immer noch keine Eindeutigkeit, noch immer kein Osteralleluja. Das ist der zweite Hinweis: Ostern feiern heißt: aufstehen, hinschauen, staunen können – und noch einmal: keine voreiligen Schlüsse ziehen. Am Ende zeigte sich der Auferstandene selbst, wo und wie er es wollte.

Das Evangelium verkündet uns die Osterbotschaft still, suchend und auch zweifelnd; es lässt ehrlichen Dialog zu. Es polarisiert nicht, schlägt keine Türen zu. Es drängt sich nicht auf. Es steht in wohltuendem Kontrast zu forsch und lauthals vorgetragenen alternativlosen Erklärungen, Folgerungen und Forderungen. Die Präsenz des Auferstanden geht den Jüngern erst nach und nach im Zeichen seiner Nicht-Präsenz auf.

Ich meine, auf die Rhetorik alternativloser Standpunkte zu verzichten, ist auch eine kluge Entscheidung, wenn es darum geht, Debatten und Auseinandersetzungen zu gestalten. Und davon gibt es zur Zeit viele. Wir sind in unserer Gesellschaft in der Gefahr, dass diese Debatten bei aller Scheinliberalität immer hysterischer, immer unduldsamer, immer manipulativer geführt werden. Uns wird über Medien und Netzwerke massiv und sehr effektiv eingetrichtert, was wir zu denken und zu wollen haben. Das gilt bisweilen auch für die Reformdiskussionen, die wir innerhalb der kath. Kirche führen – ganz egal, wie man persönlich nun zu einzelnen Inhalten steht. Nichts ist alternativlos. Leise Töne sind immer hilfreich, lautstarke Patentrezepte nie. Ich arbeite seit fast 20 Jahren als Theologieprofessor an einer Universität im europäischen Ausland, mit Studenten aus aller Herren Länder: meistens aufgeschlossenen, intelligenten, engagierten und aufrichtigen jungen Christinnen und Christen. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Wenn mir in dieser Zeit eines klar geworden ist über unsere Katholische Kirche, dann das: Wir sind als Katholiken nicht Teil irgendwelcher lokaler Kirchentümer, sondern immer verwiesen auf die eine Weltkirche — mit ihren ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Mentalitäten, die nicht einfach nur deshalb dumm, veraltet oder unreif sind, weil sie vielleicht von unseren  Lieblingsideen und speziellen deutschen Befindlichkeiten abweichen. Die Weltkirche ist das Korrektiv, das uns geschenkt ist, damit unser Denken nicht einseitg, selbstverliebt und provinziell wird. Hören wir also hin, was sie uns zu sagen hat, die Weltkirche! Wir selbst und unsere Positionen sind alles andere als alternativlos.

Wir lernen vom Osterevangelium auch, wo der richtige Ort ist, an dem jeder Einzelne von uns in dem, was ihn / sie bewegt, das Leben und den Lebenden suchen und finden kann: Hinhören auf andere und ihre Worte ernstnehmen, den geistigen Horizont erweitern, uns vortasten statt mit Patentlösungen aufwarten, leise Töne anschlagen, Türen offenhalten, selbst genau hinschauen wie Petrus und sich ein eigenes Bild machen, notfalls eingestehen, dass man nicht imstande ist, sich ein ernsthaftes eigenes Bild zu machen, und dann erst einmal schweigen und schließlich die Offenheit, die Anwesenheit des Auferstandenen im Zeichen seiner Abwesenheit zu suchen.

Das ist eine Frage der Einübung in die österliche Sichtweise des Lebens. Und wenn wir diese Haltungen unser ganzes Leben eingeübt haben, werden wir uns irgendwann vor dem Auferstandenen selbst einfinden, der am Ufer steht und uns zuruft: „Ich bin es, fürchtet Euch nicht!“. Amen.

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

Keiner kann Lebensglück erzwingen, – weder durch Leistung noch durch perfekt geplante Karriere- und Lebensstrategien.

Von daher versteht sich, dass jede und jeder von uns manchmal dasteht wie der ältere Sohn: Wir haben alles richtig gemacht, aber sehen nicht den erwarteten Ertrag, weil das Leben eben kein Lohnbüro ist, weil das Schicksal keine Tarifverträge kennt, die man bei Arbeitsgericht einklagen kann.
Manchmal läuft es aber – Gott sei Dank – auch andersherum:  Wir stehen da wie der jüngere Sohn, der beschenkt und gefeiert wird, – obwohl er weiß, dass er das alles andere als „verdient“ hat.

Was im Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ geschieht, ist unverdient. Das erleben die beiden Brüder auf ihre je eigene, völlig gegensätzliche Art und Weise. Und auf ihre Art haben auch beide Recht:  Der jüngere Sohn konnte nicht mit Großzügigkeit rechnen, weil er sich völlig verrannt hatte. Und der ältere Sohn meint, er sei nicht auf Großzügigkeit angewiesen, weil er Leistung erbracht hatte und sich berechtigt sieht, dem Vater mangelnde Lohngerechtigkeit vorzuwerfen.

Beide Brüder erleben, dass ihre eigenen Möglichkeiten und Denkmuster ausgereizt sind und nichts bringen. – Doch jetzt kommt der gewichtige Unterschied, auf den Jesus mit dem Gleichnis hinauswill. Beide gehen mit diesem entscheidenden Augenblick grundverschieden um:
Der Ältere sucht den Fehler beim Vater, der nicht seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit entspricht. Nicht die Beziehung zum Vater ist ihm wichtig, sondern dass der Vater seine Forderung erfüllt. Er will den Vater nicht als Vater, sondern als Chef mit Lohnbüro.

Genauso hatte der jüngere Sohn angefangen, als er sich das ihm erbrechtlich zustehende Geld beim Vater abholt, um es dann durchzubringen. Nur hat er, im Unterschied zum älteren Bruder, dazugelernt: Geld bringt spätestens dann nichts mehr, wenn es ausgegeben ist. Aber, o wirkliches Wunder! Er erlebt: Mit leeren Händen dastehen heißt nicht, ins Leere greifen, sondern mit leeren Händen dastehen macht die Hände, den Geist, das Herz frei, um sich vom Vater umarmen zu lassen. Endlich darf der Vater Vater sein und muss sich nicht mehr als Lohnauszahler missbrauchen lassen. Deshalb ist das unsägliche Glück dieser Situation beidseitig und deshalb ein wirklicher Grund zum Feiern: Der jüngere Sohn ist erlöst aus seiner selbstverschuldeten Verstrickung und der Vater darf sein, wer er wirklich ist

Der Vater steht dafür, dass das „Ende des Lateins“, nicht das Ende aller Dinge ist. Vorbei ist zwar der Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Aber etwas anderes, bisher Unmögliches fängt neu an: Zu empfangen – statt „nimm was du kriegen kannst“, Beschenkt Werden – statt Verdienen:   Zuneigung, Vertrauen, Schenken, Beschenkt Werden, Feiern, Da-Sein-Dürfen ohne Berechnung, – kurz all das, was in klassischer Kirchensprache den „Himmel“ ausmacht. –
Der Himmel fängt an, wo einer davon ablässt, das Paradies auf Erden zu erzwingen: An dieser Stelle ist der jüngere Bruder dem älteren um einen entscheidenden Schritt voraus.

Den Himmel kann man sich nicht verdienen; wer seine Schultern bepackt mit seinen Leistungsansprüchen an sich selbst und an die anderen, bleibt Buchstäblich „in der Himmelstür hängen“, wie der ältere Sohn, –  so wie der jüngere Sohn die Tür nicht gefunden hat, solange er meinte, den Himmel mit seinem Jet-Set-Leben auf eigene Faust organisieren und kaufen zu können.

Himmel ist da, wo Menschen Gott eine Chance lassen, so wie der jüngere Sohn dem Vater die Chance ließ, einfach gut und großzügig zu sein. Wer den Himmel sucht, braucht nichts anderes tun, als den Menschen und Gott die Gelegenheit zu geben, großzügig zu sein. Großzügigkeit annehmen, ohne sich zu schämen und sich zu freuen, wenn anderen Großzügigkeit erwiesen wird: Das ist der Himmel, für den wir Menschen bestimmt sind und außerhalb dessen wir unter unseren Möglichkeiten bleiben.

So lange einer den Großmotz gibt, der Großzügigkeit weder annehmen noch schenken kann, sondern sie als schwächlich verachtet oder plump ausnutzt, so lange hat niemand – kein Mensch und kein Gott – die Chance, ihm gegenüber großzügig zu sein, solange ist buchstäblich „Hölle“ angesagt.

Hier liegt die Frage, vor die uns das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ stellt: Auf welcher Seite finde ich mich wieder?
– Auf der Seite des älteren Sohnes, der Gott nicht Gott sein lässt, weil er alles selber macht, so als wäre er selber Gott?
– Oder sehe ich mich auf der Seite des jüngeren Sohnes, der die Großzügigkeit des Vaters annimmt, weil er Gott seinen Gott und seinen Vater sein lässt?

von Br. Robert Sandrock OSB

Liebe Schwestern und Brüder,

vor vielen Jahren, als man noch ohne Maske dicht an dicht im Zug saß, sprach mich meine Sitznachbarin, eine ältere Dame, an. Wir kamen in ein längeres Gespräch, und nach einiger Zeit zeigte sie mir, dass sie gerade ein Buch über Brustkrebs las. Natürlich wollte ich nicht indiskret sein, und gleich zu Beginn nach ihren Krankheiten fragen. Deshalb fragte ich: „Sind Sie Ärztin oder Krankenschwester?“ Ihre Antwort war direkt: „Nein, ich bin selbst an Brustkrebs erkrankt, und ich bin froh darüber.“ Sie teilte mir mit, dass sie erfolgreich operiert worden war, aber natürlich könne sie nicht sicher sein, dass der Krebs nicht doch irgendwann zurückkehre. Dadurch habe sie gelernt, das Leben mehr zu schätzen und jeden Tag bewusster zu genießen. Wir tauschten unsere Adressen aus und blieben viele Jahre in Kontakt. Sie hatte als Krankenschwester und Reiseleiterin gearbeitet, ihr Mann war aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückgekommen und die einzige Tochter hatte den Kontakt mit ihr abgebrochen. Neben einem – nicht aufdringlichen – Glauben an Gott wurde sie von ihrem Sinn für Kunst durch das Leben getragen. „Ich habe so viel Schönes sehen dürfen“, schrieb sie mir einmal.

Wo finden wir Orientierung angesichts der vielen Katastrophennachrichten? Auf den Gedanken, bei den Bischöfen oder im Hirtenbrief nach Orientierung zu suchen, wird in diesen Tagen wohl niemand kommen. Aber die Leseordnung der Kirche bietet uns heute einen der schönsten und wichtigsten Texte der Bibel. Mose, ein Flüchtling aus Ägypten, hat beim Hirtenvolk der Midianiter Obdach gefunden und ist jetzt der arme Schwiegersohn eines Priesters und Herdenbesitzers. Mitten in seinem banalen, langweiligen Alltag macht er eine Gotteserfahrung und bekommt einen Auftrag, der seine Langeweile vertreibt, aber auch seine Sicherheit für immer beendet: „Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus.“ Es ist der Auftrag, das unterdrückte Volk zu befreien. Der Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus dem Sklavenhaus, wird das Urerlebnis des Volkes Israel werden, und auch wir werden in vier Wochen, in jener wunderbaren Osternacht, wieder die Lesung vom Durchzug durch das Rote Meer in die Freiheit hören. Gott sagt, „Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie zu befreien.“ Gott kennt das Leid der Männer, Frauen und Kinder, die zu Opfern von brutalen Diktatoren geworden sind, er kennt das Leid der Flüchtlinge, der Kranken und Einsamen, er kennt das Leid der Schöpfung, und er kennt auch unser Leid. Wir dürfen bei der Aussage, „Ich bin herabgestiegen“, durchaus daran denken, dass Gott Mensch geworden ist, dass er am Kreuz gestorben ist. Nicht umsonst empfinden so viele Menschen das Bild von Jesus am Kreuz oder das Bild von Maria mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß als so tröstlich.

Aber das ist immer noch nicht der Höhepunkt der heutigen Lesung: Gott hat einen Namen, einen unaussprechlichen, einen geheimnisvollen Namen. Für die Juden wurde der Name so heilig, dass nur noch der Hohepriester ihn aussprechen durfte, wenn er einmal im Jahr am höchsten Festtag das Allerheiligste des Tempels betrat. Seit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.Chr. weiß niemand mehr mit Sicherheit, wie der Name Gottes auszusprechen ist, zumal im hebräischen Urtext der Bibel nur die Konsonanten J – H – W – H überliefert sind. Nach alter Tradition steht an den fast 7000 Stellen, wo der Gottesname im Alten Testament vorkommt, die Übersetzung „der Herr“.

Die Deutung, die unser Text uns gibt, ist eher ein Rätsel als eine Erklärung: „Ich bin der ich bin“. Die ältere Einheitsübersetzung hat an die Erfahrung gedacht, dass Gott uns immer begleitet, auch im Leid, und deshalb übersetzt: „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘.“

„So viel Schönes“ hat meine alte Freundin in ihrem Leben erfahren dürfen. Auch wir machen in diesen Tagen viele schöne, tröstliche Erfahrungen: All die vielen Menschen, die sich jetzt in ihrem Alltag, in ihrer Langeweile und in ihrer Sicherheit stören lassen, die Platz für Flüchtlinge bereit stellen, die Spenden geben, die sich auf Schulhöfen in Blau und Gelb gekleidet aufstellen, um die ukrainische Fahne nachzubilden, all die vielen kleinen und großen Zeichen der Solidarität. Unserer Abtei sind in der vergangenen Woche fast die Kerzen ausgegangen, weil so unerwartet viele Menschen eine Kerze in der Marienkapelle angezündet haben. Viele von uns sind in den vergangenen Wochen und Monaten an Corona erkrankt – und genesen. Wir können froh und dankbar sein, dass es eine Impfung gibt und gute – leider schlecht bezahlte – Krankenpfleger, gute Forscherinnen und Ärzte in unserem Land. Sogar – das ist leider etwas untergegangen angesichts der vielen schlechten Nachrichten – in unserer Kirche scheint sich durch das unaufhörliche Engagement von Christen und besonders Christinnen etwas zu bewegen. Zumindest stimmen die Beschlüsse des Synodalen Weges von Anfang Februar hoffnungsvoll.

Auch wenn wir nicht wie Mose ein ganzes Volk befreien können – und das auch nicht müssen –, so können wir doch unseren kleinen Beitrag leisten. Es ist schön, dass Energiesparen jetzt gegen den Klimawandel und auch gegen Diktatoren hilft. Gott sagt uns zu, dass er uns in unserem Leben begleitet: „Ich bin da, ich kenne euer Leid, ich bin herabgestiegen, um euch zu befreien.“

von P. Erasmus Kulke OSB

Liebe Schwestern und Brüder,

dieser Jesus muss schon eine gewisse Faszination auf Petrus und seine Fischerkollegen ausgeübt haben. Sonst wären sie wohl nicht seiner Aufforderung gefolgt und wären ein weiteres Mal zum Fischen auf den See hinausgefahren. Immerhin hatten sie sich die ganze Nacht völlig umsonst abgemüht und nichts gefangen. Und Jesus war kein Fachmann in Sachen Fischerei. Und trotzdem haben sie auf ihn gehört. Vielleicht waren sie von dem Wort Gottes, dass er gerade den Menschen verkündet hatte, so tief berührt. Vielleicht haben sie es aus Dankbarkeit getan, weil Jesus zuvor schon die Schwiegermutter des Petrus geheilt hatte. Jedenfalls machen sie nun den Fang ihres Lebens. Die Netze, die in der Nacht gähnend leer geblieben waren, sind nun über und über voll mit Fischen, so dass sie zu reißen drohen. Und da schwant es wohl dem Petrus: hier muss Gott selbst seine Hand im Spiel haben. Hier steht ihm in Jesus der Heilige Gottes gegenüber. Und da bekommt er es mit der Angst zu tun. Er hat Angst, dass er vor Gott nicht bestehen kann. „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr“, platzt es aus ihm heraus. Im Angesicht des Heiligen und Reinen schlechthin fühlt er sich „schmutzig“, sündig, unrein und unwürdig.
Ähnlich ergeht es Jesaja, von dem wir in der Lesung gehört haben. Als er Gott zu Gesicht bekommt ruft er aus: „Weh mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich.“
Angst vor Gott, Angst, vor ihm nicht bestehen zu können: ich glaube, dass es das bei vielen Gläubigen heute immer noch gibt, auch wenn das manchen vielleicht gar nicht so bewusst ist. Die Älteren von uns sind vielleicht noch von einer schwarzen Pädagogik geprägt, in der den Kindern Angst vor Gott gemacht wurde, um sie gefügig zu machen. „Ein Auge ist, das alles sieht, selbst was in dunkler Nacht geschieht!“
Auch manches Kirchenlied vermittelte ein angstmachendes Gottesbild, wie z.B. „Strenger Richter aller Sünder, treuer Vater deiner Kinder, der du in dem Himmel wohnst, drohest, strafest und belohnst.“
Gott als strenger und strafender Richter, als akribischer Buchhalter, der Zeit meines Lebens jede noch so kleinste Sünde unerbittlich notiert, solche angstmachenden Gottesbilder sitzen oft sehr tief, oft in unserem Unbewussten und gerade deshalb werden sie gar nicht so selten an nachfolgende Generationen
weitergegeben, auch das oft unbewusst.
Letztlich sind das dämonische Gottesbilder, denn sie führen uns von Gott weg. Denn wie soll ich jemanden lieben, vor dem ich in meinem tiefsten Innern Angst habe. Den werde ich mir doch vielmehr weit vom Leib halten. Und so lebe ich in einem ständigen Zwiespalt.
Das Ermutigende an dem heutigen Evangelium ist, dass es Jesus gar nicht stört, dass Petrus ein Sünder ist. Das wusste er ja sicherlich schon, bevor Petrus es bekannt hat. Vielmehr sagt er zu ihm: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“
Ja, vor Gott müssen wir uns nicht fürchten, weil wir unvollkommen sind, manchmal Böses denken oder tun, versagen, weil wir Sünder sind. Das ist zutiefst menschlich. Das ist unsere Wahrheit. Doch Gott liebt uns so, wie wir sind, bedingungslos. Und so, wie wir sind, mit unseren Grenzen und Schwächen, will er auch uns in seinen Dienst nehmen. So wie den Petrus, der ihn dreimal verleugnet hat, und der trotzdem der Apostelfürst geworden ist und gemeinhin als erster Papst gilt. So wie Jesaja. So wie viele andere „Helden“, die uns in der Bibel begegnen und die oft gar nicht heldenhaft daherkamen. Der folgende Text bringt es auf den Punkt:

Jakob war ein Betrüger,
Petrus war impulsiv,
David hatte eine Affäre,
Noah betrank sich,
Jonah lief von Gott weg,
Paulus war ein Mörder,
Miriam war eine Tratschtante,
Martha machte sich viele Sorgen,
Gideon war unsicher,
Thomas war ein Zweifler,
Sarah war ungeduldig,
Elijah war depressiv,
Moses stotterte,
Zachäus war klein,
Abraham war steinalt
und Lazarus war tot.
Gott ruft nicht die Qualifizierten. Er qualifiziert die Berufenen.

Einer, der das begriffen hat und es auch lebt, ist unser Papst Franziskus. Wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst hat er in einem Interview gesagt: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Papstes hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Dieses Bekenntnis aus dem Munde eines Jesuiten – und das ist Franziskus durch und durch – ist aber gar nicht so verwunderlich. Denn am Anfang der großen ignatianischen Exerzitien, die jeder Jesuit zu Beginn seines Ordenslebens macht, steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Sündhaftigkeit, der Verstrickung in den Strukturen des Bösen – und das begegnet uns schon auf den ersten Seiten der Bibel. Das heißt, man stellt sich seinen eigenen Abgründen, seinen Schattenseiten, seiner eigenen Wahrheit, ungeschminkt. Doch dann geht es in den Exerzitien weiter und der Exerzitant richtet seinen Blick auf Jesus, wie er aus lauter Liebe zu uns Menschen vom Himmel herabsteigt und Mensch wird, wie er uns sündige Menschen in seine Nachfolge ruft und wie er in seiner großen Liebe bis zum Letzten geht und für uns sein Leben hingibt. In den Exerzitien erkenne ich also nicht nur, dass ich ein Sünder bin, sondern zugleich, dass ich als Sünder in unvorstellbarem Maße von Gott geliebt bin – und von ihm berufen bin. Und das ermöglicht mir, mich selbst anzunehmen, zu meinen Schwächen, meinem Versagen, zu meinen Schattenseiten zu stehen. Und das gibt mir eine große innere Freiheit, die es mir ermöglicht, der Liebe in meinem Leben mehr Raum zu geben, das Böse durch das Gute zu besiegen – mit Gottes Hilfe.
Ja, vor Gott brauche ich keine Angst zu haben. Er liebt mich so wie ich bin. Und so wie ich bin, will er mich als Mitarbeiter an seinem Reich des Friedens.
Und so möchte ich schließen mit Worten eines unbekannten Verfassers, die mit „Ermutigende Worte Jesu an Dich!“ überschrieben sind:

„Ich kenne dein Elend, die Kämpfe, die Drangsale deiner Seele, die Schwächen deines Leibes. Ich weiß auch um deine Feigheit, deine Sünden, und trotzdem sage ich dir: ‚Gib mir dein Herz, liebe mich, so wie du bist!‘
Wenn du darauf wartest, ein Engel zu werden, um dich der Liebe hinzugeben, wirst du mich nie lieben. Wenn du auch feige bist in der Erfüllung deiner Pflichten und in der Übung der Tugenden, wenn du auch oft in jene Sünden zurückfällst, die du nicht mehr begehen möchtest, liebe mich, so wie du bist!
In jedem Augenblick und in welcher Situation du dich auch befindest, im Eifer oder in der Trockenheit, in der Treue oder Untreue, liebe mich, so wie du bist! Ich will die Liebe deines armen Herzens; denn wenn du wartest, bis du vollkommen bist, wirst du mich nie lieben!
Wenn du mir deine Liebe schenkst, werde ich dir so viel geben, dass du zu lieben verstehst, weit mehr als du dir erträumen kannst. Denke jedoch daran, mich zu lieben, so wie du bist!“

von P. Guido Hügen

„Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage!
Erschrick nicht vor ihnen
– denn ich bin mit dir, um dich zu retten
– Spruch des Herrn.“

Worte aus der heutigen Lesung.

„Nach 2000 Jahren steckt die Kirche Roms
in den Schuhen des Fischers fest im Sumpf.
Eine Hand mit dem Fischerring
will sich flehentlich zum Himmel erheben.
Doch der Himmel brennt,
die Engel fliehen
und überall sind dunkle Wolken.“

Worte aus einem Leserbrief der WP vom Freitag.

Und dazwischen feiern wir Gottesdienst.

„Ihr müsst bitte ganz dringend damit aufhören“,
sagt Gott im gerade neu erschienen Buch von Annette Jantzen:
„Wenn Gott zum Kaffee kommt“.

„Womit?“ frage ich.
„Ruft mich nicht weiter in Eure Kirchen und Gebete,
als wäre nichts gewesen.“

Ein Outing im Ersten Programm
von über 120 Mitarbeitenden der Kirche,
die sich als homosexuell und queer bekennen,
zu ihrer Liebe und zu ihrer Lebensform stehen.

Ein Gutachten,
das Missbrauch an Kindern und Jugendlichen
und deren Vertuschung
wieder einmal bloßlegt.

Und gerade vor drei Tagen
wurde die KPE, eine sehr fundamentalistische
Pfadfindergruppierung
von der Bischofskonferenz anerkannt.

Menschen aus meinem engsten Freundeskreis
treten aus der Institution Kirche aus.
Menschen, von denen ich weiß,
wie wichtig ihnen ihr Glaube ist.

Dass es „nicht mehr so weiter geht“,
dass sich etwas ändern muss in der Kirche,
das haben in den letzten Tagen
etliche Bischöfe und Generalvikare gesagt.

Der „Synodale Weg“
mag ein Hoffnungszeichen sein.
Aber torpedieren ihn nicht schon viel zu viele
Bischöfe, Menschen unter uns?

Braucht es wirklich erst
den totalen Zusammenbruch?!

Weit davon entfernt sind wir nicht mehr,
auch wenn manche es immer noch
nicht verstehen wollen.

Der Prophet Jeremia erfährt,
wie Gott ihm den Rücken stärkt für seine Botschaft.
Sogar gegen die
„Könige und Priester und die Bürger des Landes.“

Propheten sind keine Weissager
oder Kaffeesatzleser Gottes.

Sie sollen die Worte Gottes verkünden,
sollen eintreten für seine Botschaft der Liebe und Freiheit.

Gelegen oder ungelegen.

In der Taufe wurde es auch uns
bei der Salbung mit dem Chrisam zugesagt:
Als Glied Christi
sind wir „Priester, König und Prophet in Ewigkeit.“

Und was heißt das?

Es macht wohl wenig Sinn,
immer nur und immer wieder
auf Missbrauchsgutachten, Aktionen
und Hashtags zu schauen.
So grundlegend wichtig sie sind!

Aber: müssen wir nicht erst einmal auf uns selbst schauen?

Mich wird Gott einmal fragen:
„Was hast du getan?“

Vieles habe ich getan
in meinem Leben.

Viele Versagen gab es.
Für manche konnte ich um Verzeihung bitten.
Bei manchen hatte ich noch nicht den Mut.

Das trifft uns als Gemeinschaft.
Stehen wir zur Schuld des Einzelnen,
zu unserer gemeinsamen Schuld?

Das trifft jeden Einzelnen, jede Einzelne von uns
– uns alle, die wir hier zusammen sind.

Wir haben nicht die Unschuld Jesu,
der „mitten durch sie hindurch schritt
und wegging.“

Wir haben Schuld.
Auch wenn wir sie gerne verdrängen.

Ist es nicht an uns,
sie einzugestehen,
auf den oder die andere zuzugehen
und um Verzeihung zu bitten?

Pfarrer Andreas Fink
fragt in einem Video-Clip sehr eindringlich:
„Wo sind wir denn daran beteiligt,
dass Verbrechen geschehen konnten,
dass Verbrechen verdeckt wurden,
dass Menschen auch ob ihrer sexuellen Identität
ausgegrenzt, kirchlich ausgeschlossen wurden?“

Ich kann mich da nicht freisprechen.

Doch die Botschaft Jesu ist klar.

Unser Evangelium von heute ist eine Fortsetzung
des Evangeliums des vergangenen Sonntags.

Da sagt Jesus:
„Er hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht.“

Wenn wir die frohe Botschaft wieder verstehen,
wenn wir uns aus unserer Gefangenschaft
in das oft so Enge und Traditionelle befreien lassen,
wenn wir uns die Augen öffnen lassen
und wieder neu sehen

– ob wir dann nicht endlich wieder
zu Prophetinnen und Propheten werden?!

„Alle sollen es hören und sich freuen.“
Diese leicht abgewandelten Worte aus dem Psalm 34
sind für mich seit langem
Richtschnur und Weisung.

Ja, alle sollen die frohe Botschaft hören,
sollen sich endlich wieder freuen können.

Mich treffen die Worte von Annette Jantzen,
wenn sie Gott antwortet,
warum sie denn trotzdem weiter macht
und Gottesdienst feiert.

„Weil ich mich daran festhalten will,
dass du trotzdem noch da bist“, heißt es im Buch.
„Und ich nicht weiß, wohin sonst.“

Und weiter:
„Und weil ich mich vor dem Moment fürchte,
wo ich merke, dass ich das alles nicht mehr kann.“

Vielleicht ist es eine gute Aufgabe in die neue Woche hinein,
einmal zu überlegen,
wem ich die gute Botschaft verkünden möchte?!

Wo ich Gewalt und Machtmissbrauch,
wo ich Ohnmacht, Scham und Wut
ein Positives entgegen setze.

„Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage!
Erschrick nicht vor ihnen
– denn ich bin mit dir, um dich zu retten
– Spruch des Herrn.“

 

 

Annette Jantzen, Wenn Gott zum Kaffee kommt, Echter Verlag Würzburg, 2022

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Lesejahr C
Lesung: 1 Kor 12,12-31a
Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21

Das antike Korinth war eine Metropole des Handels, eine Weltstadt, in der Menschen verschiedener Völker, Kulturen und Religionen lebten.
Teil dieser bunten Gesellschaft war auch die christliche Gemeinde von Korinth. Paulus selbst hat sie im Jahr 50 gegründet und war aufgrund seines anderthalbjährigen dortigen Aufenthalts gut mit ihr vertraut.
Die meisten der ca. hundert Gemeindemitglieder stammten aus heidnischen Traditionen, doch gab es auch einen bedeutenden judenchristlichen Anteil. Die Mehrheit bildeten Sklaven, Freigelassene, Hafen- und Lohnarbeiter, Matrosen und Handwerker, dazu kamen einige wenige begüterte und angesehene Leute.
Diese Vielfalt sozialer und religiöser Prägungen forderte die Gemeinde heraus und führte zu vielfältigen Spannungen und Spaltungen in theologischen, ethischen und sozialen Fragen. Diese Streitigkeiten veranlassten Paulus schließlich, der Gemeinde von Korinth einen Brief zu schreiben.

In den Spannungen der Gemeinde von Korinth zeigt sich ein Thema, dass die Kirche Jesu Christi bis heute begleitet: Die Verbindung von Einheit und Verschiedenheit.
Wie aktuell dieses Thema bis heute ist, zeigt sich nicht zuletzt an der am vergangenen Mittwoch begonnenen diesjährigen Weltgebetswoche für die Einheit der Christen (18. – 25.01.2022).

Um die notwendige Verbindung von Einheit und Vielfalt in Kirche und Gemeinde zu illustrieren, nimmt Paulus in seinem Brief das in der Antike populäre Bild des menschlichen Organismus auf: Wie der Leib nur einer ist und trotzdem viele Glieder hat, so hat die Gemeinde viele Glieder, ist aber nur ein Leib.

Paulus weist darauf hin, dass die Gemeinde nicht nur in irgendeiner Beziehung zum Leib Christi steht, sondern der Leib Christi ist: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm“ (12,27). Denn „durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (12,13).
D.h., die Gemeinde muss sich nicht erst durch ihr Verhalten zum Leib Christi entwickeln, sondern an ihrem Leben soll erkennbar werden, was alle durch die Taufe schon sind: Leib Christi.

So verdeutlicht Paulus mit dem Bild vom Organismus des Leibes Christi sowohl das Verhältnis der Gemeinde zu Christus, als auch die Beziehungen der einzelnen Glieder untereinander. Sie sind aufgrund ihrer Verschiedenheit zwar nicht gleichartig, wohl aber gleichwertig. Alle Glieder des Leibes sind gleich wichtig und gleich nötig, sie sind aufeinander abgestimmt und voneinander abhängig.

Wenn Einheit nicht mit Einheitlichkeit verwechselt wird, können Vielfalt und Verschiedenheit als ein Reichtum erfahren werden, der allen dient.
Dann gilt: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit.“ (12,26)

Der Theologe Gotthard Fuchs nimmt dieses Bild auf und denkt es systemisch weiter. Dabei knüpft er an die Methode der Fußreflexzonenmassage an: „Jeder Massagedruck an Fersen, Sohle, Zehen schickt energetische Grüße an das entsprechende Organ und kann über gesund und krank informieren. … Schon der kleine Zeh kann seismographisch auf Störungen im Gesamtsystem aufmerksam machen.“ Übertragen auf den Leib Christi bedeutet das: „Jeder einzelne Christ zum Beispiel kann für den kirchlichen Gesamtkörper … von größter Signalwirkung sein, mindestens in diagnostischer Sicht. … Vermutlich würde man bei einem der Organe, die sich gern für besonders zentral halten, erhebliche Infektionen oder gar Krankheiten feststellen, die bis zum kleinen Zeh durchschlagen: in Gestalt zum Beispiel eines klerikalistischen Amtsverständnisses oder einer obrigkeitlichen Kirchenauffassung. Womöglich müsste am Gesamtkörper eine Immunschwäche diagnostiziert werden: Glaubensmüdigkeit, Mittelmaß, mangelnde Leidenschaft“ (CiG Jg. 69 (2017), 459).

Diese Diagnose des kirchlichen Gesamtkörpers ist uns schon seit einigen Jahren bekannt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat sich Papst Franziskus z.B. gegen den Klerikalismus und den mangelnden Kontakt vieler kirchlicher Amts- und Würdenträger zu den Menschen und ihren Lebenswelten gewandt.

Aktuell präsent wurde dies am vergangenen Donnerstag in München, als die Gutachter einer Kanzlei das mehrbändige Ergebnis ihrer Arbeit als „Bilanz des Schreckens“ vorstellten, was die Öffentlichkeit erneut erschütterte und weiterhin bewegt.

Viele haben mittlerweile das Vertrauen in die Kirche verloren, für manche bleibt nur noch der Kirchenaustritt.
Angesichts dieser Situation betont Bischof Overbeck von Essen die Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen und die Ursachen des Missbrauchs-Skandals zu erkennen und zu überwinden, zudem sagt er: „Wir müssen uns als katholische Kirche erneuern; gerade bei den großen Fragen der Machtkontrolle, der Geschlechtergerechtigkeit und der Sexualmoral, um nur einige Themen zu nennen, die beim Synodalen Weg kontrovers diskutiert werden. … Das wird nur gelingen, wenn wir keine Kirche des Stillstands sind, sondern eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns“ (WP 22.1.22, PPL2).

Für eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns bietet das heutige Evangelium programmatische Orientierungspunkte, denn hier stellt Jesus zu Beginn seines Wirkens in Nazareth mit den Worten des Propheten Jesaja fünf Kernpunkte seiner Verkündigung vor:

  • Den Armen eine frohe Botschaft bringen, d.h. Zuwendung zu den Armen und Benachteiligten, sich von ihrer Not berühren lassen, ihnen eine Stimme geben und Wege zum Leben zeigen.
  • Den Gefangenen die Entlassung verkünden, d.h. Menschen von Regeln, Strukturen und Haltungen befreien, die Leben verhindern, und sie dafür stärken, den Weg in die Freiheit zu wagen.
  • Den Blinden das Augenlicht geben, d.h. Menschen ermutigen, ihren Blick zu heben, auf- und hinzuschauen, einander Ansehen zu geben und die Augen für die eigene Wahrheit zu öffnen.
  • Die Zerschlagenen in Freiheit setzen, d.h. sich jenen zuwenden, die unter der Last bedrückender Erfahrungen leiden, die von den Erwartungen anderer erdrückt oder von äußeren oder inneren Konflikten zerrieben werden.
  • Ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen, d.h. Versöhnung suchen mit sich und den anderen und gemeinsam neue Wege wagen.