Nicht unaufrichtig Frieden schließen. (RB 4,25)

Das heutige Werkzeug hat gleich mehrere Komponenten.
Erst einmal dreht sich alles um die Unaufrichtigkeit in einer Gemeinschaft oder auch in einer Beziehung, und die Folgen daraus.
Es kann nicht wirklich gelingen, zu einem Frieden zu kommen, wenn eine Partei unlautere Absichten hat oder nur der eigene Vorteil im Mittelpunkt steht. Der Wille zum Frieden beider Seiten muss der Kern allen Handelns sein. Nur aufrichtiges Annähern führt zu einem Friedensschluss.
Die Folgen einer Unaufrichtigkeit können fatal sein, wie uns ja auch oft die Weltgeschichte schon gelehrt hat. Und auch in der Legendensammlung der „Dialoge“, die vom Leben des heiligen Benedikt handelt, gibt es anschauliche Geschichten, in welchen Benedikt von unaufrichtigen Mitbrüdern sogar nach dem Leben getrachtet wird.
Falscher Friede hat nichts mit wirklichem Frieden zu tun, auch wenn sich alle dabei anlächeln und ein „gutes Gefühl“ haben.
Eine weitere Komponente des Werkzeugs dreht sich um die Beziehung zu uns selbst: Sind wir aufrichtig mit uns, und nehmen wir uns auch so an, wie wir sind? Wie machen wir Frieden mit uns?
Nur wenn wir versuchen, uns ganzheitlich zu sehen, kann auch Veränderung gelingen. Und nur wenn wir mit uns ehrlich sind, erkennen wir auch, wo unsere Grenzen (dabei) sind.
Hier kommt nun die dritte Komponente des Werkzeugs ins Spiel: unsere Aufrichtigkeit in der Beziehung zu Gott.
Wie erwarten wir Gott, wenn er uns in seinem unendlichen Frieden entgegeneilt? Und wie werden wir sein, wenn dieser Frieden uns dann ganz einfach aufrichtet?

Br. Balthasar Hartmann OSB

Den Zorn nicht zur Tat werden lassen.
Der Rachsucht nicht einen Augenblick nachgeben.
Keine Arglist im Herzen tragen.
(RB 4,22-24)

Wer kennt das nicht: Oft fängt es beim Frühstück am Morgen an, da ärgert man sich über seinen Nächsten, weil vielleicht gerade die Butter vor den eigenen Augen geleert wurde. So eine Frechheit. Jetzt hat man keine Butter mehr. Sowas Blödes, wer will schon in den Vorratsraum gehen. Schließlich will man frühstücken. Die Zeit ist eh knapp. Das war doch extra, nur um mich zu ärgern. Wut schafft Ärger, und beide bringen Zorn in unser Herz. Und das alles am Morgen während der so kostbaren Frühstückszeit! Ja, in solchen Situationen kann dann ein Vulkan der Gefühle ausbrechen. Man fängt wie ein kleines Kind an zu toben, ob nun erst innerlich oder dann gar äußerlich. Ärger, Zorn und Frust gehören zum Alltag und können diesen dann ganz schön versauen. Schlimmer, die Rachsucht sucht uns heim: Na warte, wenn es wieder Butter gibt, dann zeig ich es dir aber…

In seinen Werkzeugen der geistlichen Kunst warnt der heilige Benedikt seine Mönche vor diesem Tsunami der Gefühle, indem er rät: „Den Zorn nicht zur Tat werden lassen. Der Rachsucht nicht einen Augenblick nachgeben. Keine Arglist im Herzen tragen.“ Hier greift der Mann vom Monte Cassino den roten Faden der Bergpredigt und ihrer Friedenslehre auf. Die Keime des Zorns sollen wir nicht in unseren Herzen sprießen lassen, denn dann wächst dort das Unkraut der Rachsucht wild heran. Unser Herz wird zum Nährboden eines Wutreaktors. Es brodelt und dampft in uns, bis es zischt und explodiert. Diese Gefühlslage macht uns innerlich unglücklich und hindert uns daran, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, denn es kommt wie ein Bumerang zurück.

Die Fastenzeit kann uns hier eine Werkstunde sein. Nutzen wir diese Zeit und üben uns in Gelassenheit ein. Wenn wir uns ärgern und Wut im Herzen spüren, dann stellen wir doch unsere innere Ampel auf Rot und bleiben einen Moment stehen und atmen durch. Vielleicht hilft es uns in dieser Situation, einen Spaziergang zu machen oder beim Sport uns auszutoben. Um die Nerven zu beruhigen, hilft jede Art der Bewegung. Eine andere Möglichkeit: Den Geist fliegen lassen, indem wir einen ruhigen Raum aufsuchen, vielleicht eine Kerze anzünden. In der Stille die Augen schließen und dem Geist Freiraum schenken. „Die Enge meines Herzens mach weit.“ Vielfach hilft auch Musik, um negative Emotionen zu lösen. Oder wir können die aufgestaute Wut einfach wegtanzen. Die Fastenzeit will uns Raum schenken, damit wir uns kre-aktiv in der Gelassenheit einüben. Dann löst sich die Enge unseres Herzens und es kann sich weiten. Das ist gut für die Nächstenliebe, aber auch für die Liebe zu uns selbst. Denn Frieden entsteht zunächst in meinem Herzen, dann kann ich auch friedvoll mit meinen Nächsten umgehen und der Zorn wird nicht zum Gewitter der Arglist im Herzen, das mit Pfeilen um sich schießt, sondern zum Klang des liebenden Herz.Rhythmus.

Br. Benedikt Müller OSB

Sich dem Treiben der Welt fremdmachen.
Nichts der Liebe zu Christus vorziehen.
(RB 4,20-21)

Diese beiden Werkzeuge erschließen sich für mich nur in ihrem Zusammenhang aufeinander. „Sich dem Treiben der Welt fremdmachen“ – das ist kein Selbstzweck. Askese übe ich nicht um der Askese willen, sondern weil da etwas ist, das die Mühe lohnt, das um vieles kostbarer ist als das „Treiben der Welt“. Und das ist eben die „Liebe zu Christus“, der wir nichts vorziehen sollen. In der Vorlage Benedikts geht dieser Satz noch weiter: „Der Liebe zu Christus nichts vorziehen, weil auch er uns nichts vorgezogen hat.“ Das macht noch einmal den Geschenkcharakter der Liebe Christi aus, der vorgängig zu unserer menschlichen Antwort darauf ist.

Noch etwas erscheint mir wichtig. Es heißt nicht, dass wir uns von der Welt als solcher fernhalten sollen. Sondern nur vom „Treiben der Welt“. Im Lateinischen steht hier „saeculi actibus“, von weltlichen Akten bzw. Handlungen. Es geht also nicht um eine Weltflucht an sich, sondern um ein Fremdmachen von dem, was dem übergeordneten Ziel der Liebe Christi schadet, was mich davon abbringt. In diesem Sinne könnte es heute eine gute Übung sein, mich zu fragen, was mich von dieser Liebe abhält, was ich alles in meinem alltäglichen Leben der Liebe Christi vorziehe.

P. Maurus Runge OSB

Tote begraben.
Bedrängten zu Hilfe kommen.
Trauernde trösten.
(RB 4,17-19)

Unsere Übung in der Zeit auf Ostern hin wird konkret, wenn wir trauernde Menschen trösten. Zu unserem Menschsein gehört es auch, dass wir alle des Trostes bedürfen. Trost hat viel mit menschlicher Präsenz und Mitgefühl zu tun. Der Maßstab Jesu wird konkret: „ Was darf ich dir tun?“. Wenn wir Leid, Schmerz und Verlust auszuhalten haben, dann sind Menschen für uns ein Segen, die mit uns mitfühlen. Tragend werden dann die Aussagen: „ Ich bin für Dich jetzt da“ oder „ Ich versuche dich zu verstehen und ich fühle mit dir in deinem Schmerz“. Bedenken wir, dass das schlichte Halten des Trauernden lindernd wirkt. Diese Solidarität hat Jesus stets gelebt. Zumal wir an einen Gott glauben dürfen, der selbst Schmerz kennt.

Jesus Christus ist solidarisch und mitfühlend in unseren schmerzlichen Etappen des Lebens, da er selbst die dunkelsten Abstiege durchschritten hat. Diese mitfühlende Kompetenz Gottes hat einen österlichen Schimmer, wenn wir dann bewusst an Ostern singen werden: „Christ will unser Trost sein, Kyrieleis“.

Br. Emmanuel Panchyrz OSB

Arme bewirten.
Nackte bekleiden.
Kranke besuchen.

(RB 4,14-16)

In diesen drei „Werkzeugen“ der geistlichen Kunst gibt die Benediktsregel klare Hilfen, wie Nächstenliebe konkret wird. Die Fastenzeit lädt uns Christen ein, Gott neu zu begegnen. Der Dienst an den Armen, den Nackten und den Kranken ist nicht nur eine helfend menschliche und solidarische Tat, sondern Gottesdienst. In den Armen, den Nackten und den Kranken begegnen wir Christus selbst. Christus ist immer, besonders an den menschlichen Rändern, präsent. Der Dienst  an den Armen und Kranken ist eine Nagelprobe, ob wir mit unserer Nachfolge ernst machen. Die Regel Benedikts will als klare Parallele zum Matthäusevangelium (Mt 25) verstanden werden. Der Dienst an den Armen und Kranken ist Dienst an Christus.

Unser Wort sei Tat!

Br. Emmanuel Panchyrz OSB

Sich Genüssen nicht hingeben. Das Fasten lieben. (RB 4,12-13)

Was kann ich genießen?
Und: Kann ich überhaupt noch genießen?
Ist es dazu nicht notwendig, auch einmal Dinge zu lassen – „zu fasten“? Mich nicht mit allem Möglichen zuzustopfen… Um so meine tiefsten Sehnsüchte noch wahrzunehmen, auszuhalten…

Und wie sieht es mit meiner Fähigkeit aus, mich ganz hinzugeben? Einer Sache, einem Menschen, Gott…? Kann ich mich loslassen – oder ist die Angst zu groß, mich zu verlieren?
Oder gebe ich mich nur „Genüssen“ hin, um nicht zum Eigentlichen zu kommen?

Auch mit diesen beiden Werkzeugen will uns Benedikt in die Tiefe, auf den Grund unseres Lebens führen.  Und auch hier letztlich die Frage: Worauf baue ich?

P. Jonas Wiemann OSB

Sich selbst verleugnen, um Christus zu folgen. Den Leib in Zucht nehmen. (RB 4,10-11)

Spätestens seit der Initiative „Out in Church“ bekomme ich bei dem geistlichen Werkzeug der Selbstverleugnung ein ungutes Gefühl. Machte diese Initiative doch gerade auf schmerzliche und beschämende Weise bewusst, wie der Druck, die eigene Identität oder sexuelle Orientierung nach außen hin (und zum Teil auch innerlich) immer wieder verleugnen zu müssen, Menschen krank und unglücklich macht.

Auch in der Rezeptionsgeschichte der Benediktsregel wurde noch im letzten Jahrhundert die Forderung nach Selbstverleugnung als wirksames Instrument geistlicher Macht genutzt, um Menschen klein zu halten, und als fromm klingende Ausrede, um Menschen gerade nicht in ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung mit ihren Talenten und Begabungen zu fördern.

Das Wort der Selbstverleugnung geht auf die Aufrufe Jesu zur Nachfolge zurück (vgl. Mt 16,24 oder auch Lk 9,23): „…, um Christus zu folgen.“ Liest man diese Bibelstellen im Kontext, dann geht es Jesus um die Bereitschaft des Einzelnen, sich selbst mit Haut und Haar, also einfach ganz in die Nachfolge zu stellen.

Mit einer inneren Bereitschaft, die auch das Aushalten von Unverständnis und Ablehnung bei anderen bis hin zur Verfolgung nicht scheut.

Den Leib in Zucht zu nehmen ist in der Benediktsregel eine Form, wie sich die Nachfolge konkretisieren soll. Die Nachfolge Christi mit der eigenen, ganzen Person und mit jeder Faser meines Menschseins scheint mir hier der entscheidende Schlüssel zu sein: Denn wenn ich das ernst nehme, dann geht es natürlich nicht in erster Linie um mich, sondern um die Hinordnung auf Christus. So macht die Selbstverleugnung vielleicht Sinn.

Wirkliche Nachfolge ereignet sich aber vor allem aus einer freien Entscheidung heraus. Und die „Freiheit eines Christenmenschen“ macht eben auch aus, dass er sich selbst als Mensch mit all seinen guten und schlechten Seiten, seinen Talenten und Schwächen annehmen und lieben darf (und natürlich auch einschließlich seiner sexuellen Identität oder Orientierung), eben weil er sich als Mensch mit all seinen guten und schlechten Seiten, seinen Talenten und Schwächen, eben mit Haut und Haar in seinem Menschsein als von Gott angenommen und geliebt wissen darf.

P. Vincent Grunwald OSB

Und keinem anderen antun,
was man nicht selbst erleiden möchte.

RB 4,9

Die „Goldene Regel“, die Benedikt bei den Werkzeugen der geistlichen Kunst einfügt, findet sich in fast allen Religionen und Kulturen, über die Jahrtausende hinweg. Und es ist ja auch die einfachste Formel, die ein gutes und friedliches Zusammenleben ermöglicht.

Die positive Wendung, die auch Jesus verkündet, ist vielleicht noch herausfordernder: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Mt 7,12) Ich gönne auch dem Anderen das, was ich ersehne, erwarte. Ich öffne mich für sie, achte ihre Eigenheiten und Bedürfnisse – wie meine. So wird aus Leben Begegnung.

Für die Juden und uns Christen hat diese „Goldene Regel“ einen besonderen Hintergrund: Als Ebenbilder Gottes, als seine Kinder, dürfen und müssen wir einander achten. Ja, auch die, die mir vielleicht nicht so liegen.

Und: Gottes eigenes Handeln an uns soll auch unser Handeln am Nächsten begründen: „„Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (Lev 19,34)

Warum gelingt uns das alles so oft nicht?
Es könnte doch so leicht sein …

P. Guido Hügen OSB

RB 4 (Die Werkzeuge der geistlichen Kunst), V. 8

Alle Menschen ehren.

Die ersten Werkzeuge der geistlichen Kunst sind von den sog. Zehn Geboten inspiriert, dem Grundgesetz des jüdisch-christlichen Lebens. Interessant ist, dass Benedikt das vierte Gebot – „Vater und Mutter ehren“ – ausweitet auf „Alle Menschen ehren“. Das Gebot wird sozusagen universalisiert. Nicht mehr nur die Eltern, die eigenen Verwandten sollen geehrt werden, sondern alle Menschen. Die Begründung dazu findet sich im Gebot der Nächstenliebe, das uns am Anfang des Kapitels begegnet ist. Martin Buber übersetzt dieses Gebot folgendermaßen: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Das gemeinsame Menschsein ist die Basis für das Gebot, alle Menschen zu ehren.

Wohlgemerkt: es heißt, dass wir alle Menschen ehren sollen. Nicht lieben, denn das wäre wohl eine hoffnungslose Überforderung. Ich kann nicht allen Menschen in affektiver Liebe zugetan sein, auch denen, die es nicht gut mit mir meinen oder die mir unsympathisch sind. Ich kann aber versuchen, ihnen in Ehrfurcht zu begegnen, wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass sie Menschen sind wie ich, dass wir verbunden sind durch das Band des Menschseins.

Heute ist der erste Jahrestag des Ukrainekrieges. Vielleicht kann uns dieses „Werkzeug“ eine Anleitung geben, wie Menschen in Frieden miteinander leben können. Indem sie sich als Kinder der einen Menschheitsfamilie begreifen und einander die Ehre erweisen, die auch Gott dem Menschen erwiesen ist – indem Er selbst Mensch geworden ist. Vielleicht ist dieser Grundsatz gerade für die Zeit nach dem Krieg wichtig, wenn es zu Verhandlungen kommt und Menschen, die einander bis aufs Blut bekämpft haben, wieder zusammenleben müssen. Für heute bleibt uns nur, inständig um Frieden zu beten.

P. Maurus Runge OSB

RB 4 (Die Werkzeuge der geistlichen Kunst), V. 3-7

Du sollst nicht töten; nicht die Ehe brechen; nicht stehlen; nicht begehren; nicht falsch aussagen.

Was sollen solche Anforderungen für Mönche bedeuten? Es erklärt sich ja eigentlich von selbst, dass wir nicht töten, nicht die Ehe brechen, nicht stehlen usw.

Das 4. Kapitel der Benediktsregel ist auch eine Taufkatechese. Der Täufling bekam die wichtigsten christlichen Regeln auf diese Weise mitgeteilt. In der Osternacht feiern wir auch unsere ganz persönliche Tauferneuerung. Wir erinnern und erneuern unser Taufversprechen. In der Vorbereitung auf Ostern hin ist es hilfreich, sich mit den elementaren Fragen, was die Nachfolge Jesu für mich bedeutet, auseinanderzusetzen. Worte können verletzen und sogar töten; Treue muss ich auch in schwierigen Zeiten üben und nicht vorschnell aufgeben; mit dem, was ich habe, darf ich zufrieden sein. Ich bin eingeladen, Achtung vor dem Anderen, meinem Gegenüber zu haben und zu leben. Das sind in der Umkehrung Handlungsanweisungen, die ich mir immer wieder in Erinnerung rufen darf.

Br. Benjamin Altemeier OSB