Impuls am Mittwoch der Zweiten Weihnachtswoche (5.1.2022)

Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wirst du bleiben?  Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen’s und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.  Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa ziehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach! Philippus aber war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und des Petrus. Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth. Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh! Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist. Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen. Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!  Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres sehen als das. (Joh 1,35-51)

Vor kurzem zeigte der Sender Arte den Dreiteiler „Das Seil“.
In der Serie geht es um ein Team von Wissenschaftlern in einer astronomischen Forschungsstation mitten im norwegischen Nirgendwo. Eines Tages entdeckt einer der Wissenschaftler im tiefen Wald ein Seil, das scheinbar kein Ende hat. Einige Forscher tun sich zusammen, und folgen dem Seil, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Und es beginnt für sie eine abenteuerliche Reise. Dem Zuschauer wird bei dieser Geschichte schnell klar, dass es sich bei dem Seil um eine Metapher handelt, eine pessimistische Metapher für die Weltreligionen. Je länger die Forscher dem Seil folgen, desto mehr wollen sie zu seinem Ende kommen, und wissen, was dort auf sie wartet, sie werden davon immer mehr besessen. Das Seil wird zur Obsession, die alles bestimmt und verteidigt werden muss, und es folgen daraus Gewalt, Misstrauen und Tod. Der scheinbare Halt führt zur Haltlosigkeit.
Tatsächlich habe ich mich nach dem Sehen der Serie ein wenig gefragt, ob meine Momente der Berufung nicht auch eigentlich nur ein Seil waren, welches ich auf einmal im Wald gefunden habe. Eine Illusion in einer haltlosen Zeit. Wir alle haben Momente der Berufung erfahren, und erfahren sie immer wieder. Doch ist dieser Ruf nur eine Illusion, die uns scheinbar Halt in der Wahrheit verspricht? Ganz klar kann man das sicher nicht mit Ja oder Nein beantworten. Doch klar ist, dass der Ruf in uns etwas bewegt hat und wir uns auf den Weg gemacht haben. Und wenn ich die heutige Berufungsgeschichte lese, dann bewegt sie mich immer wieder auf neue.
Können Sie sich an einen der Momente ihrer Berufung erinnern?
Ich erinnere mich, dass mich eines Tages plötzlich die Stille gerufen hat. Ganz langsam ist sie in mein Leben getreten. Das war außergewöhnlich, denn als Kind hatte ich vor der Stille Angst, und als junger Mensch sucht man Trubel und Spaß.
Einmal hatte ich ein besonderes Erlebnis mit Stille.
Nach dem Tod meines Vaters bin ich viel gewandert. Mich hatte es getröstet, einfach zu laufen und die Natur zu erleben. Bei einer dieser Wanderungen an einem warmen Märztag ging ich einen Weg entlang und von einem Schritt auf den anderen war alles auf einmal vollkommen still. Es war, wie wenn ich in eine Blase aus Stille getreten wäre. Kein Vogelgesang, kein anderes Geräusch, nur mein Herzschlag war zu hören.
So plötzlich wie sie gekommen war, war sie auch schon wieder vorbei. Wie ein scheues Tier.
Dieser Moment war für mich kein gefundenes Seil, da war kein Halt, keine Erklärung der Welt, keine Angst, da war nur Weite und Freiheit.

Br. Balthasar Hartmann OSB