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41 Und als er nahe hinzukam und die Stadt sah, weinte er über sie 42 und sprach: Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. 43 Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen 44 und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du besucht worden bist.
45 Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler hinauszutreiben, 46 und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus wird ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. 47 Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, 48 und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn alles Volk hing ihm an und hörte ihn. (Lk 19,41-48)

Es ist ein Abschnitt voller Emotionen, in dem uns ein Jesus vor Augen geführt wird, der von ganz unterschiedlichen Gefühlen überwältigt wird. In Jerusalem angekommen, ist es zunächst Trauer, die ihn übermannt. Jesus schämt sich seiner Tränen nicht, wenn er Jerusalem, wörtlich: „die Stadt des Friedens“ sieht, die ihrem Namen so gar keine Ehre macht: „Wenn doch auch du erkanntest an diesem Tag, was zum Frieden dient!“ Eine große Sehnsucht spricht aus diesem Satz.
Nach der Trauer kommt der Zorn. Als Jesus in den Tempel kommt – eher ist hier der Vorhof des Tempels gemeint, wo die Händler und Geldwechsler ihren Ort hatten – überkommt ihn die Wut darüber, dass hier kaum noch etwas vom Tempel als Bethaus zu spüren ist.
Trauer und Zorn sind urmenschliche Emotionen. Jesus scheut sich nicht, zu diesen Emotionen zu stehen – weil ihm Jerusalem, die Stadt des Friedens, so wichtig ist, weil ihm Gott und seine Herrschaft so wichtig sind.

Was ist mir wichtig im Leben? Was ist mir so wichtig, dass die Emotionen hochkochen?

P. Maurus Runge OSB

28 Nach dieser Rede zog Jesus voran und ging nach Jerusalem hinauf. 29 Und es geschah: Er kam in die Nähe von Betfage und Betanien, an den Berg, der Ölberg heißt, da schickte er zwei seiner Jünger aus 30 und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt! Wenn ihr hineinkommt, werdet ihr dort ein Fohlen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! 31 Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr es los?, dann antwortet: Der Herr braucht es. 32 Die Ausgesandten machten sich auf den Weg und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte. 33 Als sie das Fohlen losbanden, sagten die Leute, denen es gehörte: Warum bindet ihr das Fohlen los? 34 Sie antworteten: Weil der Herr es braucht. 35 Dann führten sie es zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Fohlen und halfen Jesus hinauf. 36 Während er dahinritt, breiteten die Jünger ihre Kleider auf dem Weg aus. 37 Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte, begann die Schar der Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten. 38 Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe! 39 Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, weise deine Jünger zurecht! 40 Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien. (Lk 19,28-40)

Die meisten von uns werden diese Bibelstelle kennen. Sie wird jedes Jahr an Palmsonntag verlesen. Ich möchte heute auf den letzten Satz der Perikope eingehen.

Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister weise deine Jünger zurecht! Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.

Für mich ergeben sich daraus zwei Fragestellungen: Gibt es für mich eine Wahrheit? Und: Habe ich den Mut, für diese Wahrheit einzustehen?

Gibt es für mich eine Wahrheit? Das heißt nicht, im Fundamentalismus andere zu bevormunden, sondern es heißt, für sich eine Wahrheit gefunden zu haben und anderen ihre Wahrheit nicht abzusprechen. Es heißt aber auch, diese für sich gefundene Wahrheit nicht zu verstecken. Sie in den Diskurs der Gesellschaft zu stellen. Das erfordert Mut. Dass ich an Jesus glaube als den Erlöser, dass ich an ein Leben nach dem Tod glaube, das in der heutigen Zeit zu bekennen ist mutig. In einer Zeit der berechtigten Kirchenkritik zu bekennen, dass ich an Jesus glaube, ist mutig. Ich wünsche Ihnen in dieser Woche, dass sie Zeit finden, sich zu fragen: An welche Wahrheit glaube ich? Und: Habe ich den Mut zum Bekenntnis?

Br. Benjamin Altemeier OSB

Impuls zu Psalm 34

Fallschirm

„Der Engel des Herrn umschirmt, die ihn fürchten, und er befreit sie!“ Das ist für mich der schönste Vers des 34. Psalms, den wir Mönche montags in der Komplet beten. Ein schönes biblisches Bild für die Engel, besonders für den Schutzengel. Es ist auch ein Trostbild: Du bist behütet. Du kommst nicht zu Fall. Gott schenkt dir einen Schutzengel, der dich umschirmt, so wie der Fallschirm den Fallschirmspringer hält und trägt. Unter Gottes Fallschirm kommst du nicht zu Fall. Und dennoch bist du frei, denn Gott schnürt dich los und hilft dir heraus. Er schnürt uns los, in dem Schutzraum, den er selbst uns garantiert. Aber wenn Gott dir selber einen Schutzraum schafft, dann kannst du ja deine Kräfte frei entfalten, und du sollst diese Kräfte nutzen. Nutzen, um in schwierigen Situationen das Notwendige zu tun, eben das, was jetzt dringend getan werden muss. Manchmal ist es etwas Konkretes. Es kann aber auch sein, dass es „nur“ darum geht, etwas auszuhalten, was uns kaum erträglich erscheint. Gott hilft dir hindurch, auch durch die Not-Situationen. Durch die dunklen Stunden, die zunächst so gar nicht zum Lobe Gottes aufrufen. Wenn du das aber für dich erkannt hast, dann kannst du eben doch Gott „allezeit loben“, wie es im 34. Psalm heißt. Auch in den schmerzhaften Zeiten. Denn: Du kannst diese Zeiten ja in dem Schutzraum Gottes durchleben. Du kannst nicht tiefer fallen als in Seine Hand.

Br. Benedikt Müller OSB

Lk 19,11-27: Von den anvertrauten Pfunden

11Als sie nun zuhörten, sagte er ein weiteres Gleichnis; denn er war nahe bei Jerusalem und sie meinten, das Reich Gottes werde sogleich offenbar werden. 12Und er sprach: Ein Mann von edler Herkunft zog in ein fernes Land, um ein Königtum zu erlangen und dann zurückzukommen. 13Der ließ zehn seiner Knechte rufen und gab ihnen zehn Pfund und sprach zu ihnen: Handelt damit, bis ich wiederkomme! 14Seine Bürger aber waren ihm feind und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche.

15Und es begab sich, als er wiederkam, nachdem er das Königtum erlangt hatte, da ließ er die Knechte zu sich rufen, denen er das Geld gegeben hatte, um zu erfahren, was sie erhandelt hätten. 16Da trat der erste herzu und sprach: Herr, dein Pfund hat zehn Pfund eingebracht. 17Und er sprach zu ihm: Recht so, du guter Knecht; weil du im Geringsten treu gewesen bist, sollst du Macht haben über zehn Städte.18Der zweite kam auch und sprach: Herr, dein Pfund hat fünf Pfund erbracht. 19Zu dem sprach er auch: Und du sollst über fünf Städte sein.20Und der dritte kam und sprach: Herr, siehe da, hier ist dein Pfund, das ich in einem Tuch verwahrt habe; 21denn ich fürchtete mich vor dir, weil du ein harter Mann bist; du nimmst, was du nicht angelegt hast, und erntest, was du nicht gesät hast. 22Er sprach zu ihm: Mit deinen eigenen Worten richte ich dich, du böser Knecht. Wusstest du, dass ich ein harter Mann bin, nehme, was ich nicht angelegt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe, 23warum hast du dann mein Geld nicht zur Bank gebracht? Und wenn ich zurückgekommen wäre, hätte ich’s mit Zinsen eingefordert. 24Und er sprach zu denen, die dabeistanden: Nehmt das Pfund von ihm und gebt’s dem, der zehn Pfund hat. 25Und sie sprachen zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn Pfund. 26Ich sage euch aber: Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat.27Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich über sie herrsche, bringt her und macht sie vor mir nieder.

Wagen wir es also, ICH zu sein!

 

Als ich dieses Gleichnis Jesu las, dachte ich: „Ja klar, kenne ich. Aber – es ist irgendwie anders als sonst…!“ Und tatsächlich, vergleicht man es mit der Fassung im Matthäusevangelium, die uns aus der Liturgie viel bekannter ist, dann fällt ein fundamentaler Unterschied auf. Hier bei Lukas bekommt jeder der zehn ausgesuchten Knechte ein Pfund! Bei Matthäus heißt es dagegen: „Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten!“ (Mt 25,14-15)

Die beiden Evangelisten schildern uns zwei unterschiedliche Lebensauffassungen. Der eine: Alle sind gleich und haben gleich viele Charakterstärken mit auf den Lebensweg bekommen. Also die gleiche Ausgangslage für alle! Der andere: Das Leben ist ungerecht. Die einen haben viele Stärken mitbekommen – die anderen wenig. Eine völlig unterschiedliche Ausgangslage.

Wie empfinde nun ich? Was hat mich mein Leben bisher gelehrt? Alle haben dieselben Risiken und Chancen – oder: Der eine ist bevorteilt, der andere – und hier vor allem ich selbst – ist im Nachteil. Ich glaube, es kann sehr heilsam sein, sich einmal diesen Gedanken zu stellen. Wie viele Konflikte unseres Lebens hängen an dieser Frage. Ganz besonders deutlich wird sie, oft ein Leben lang, bei Geschwistern ausgefochten. „Du warst doch immer Papas Liebling! Und ich wurde überhaupt nicht wahrgenommen in meinem Bemühen…“ Und so tun wir unser ganzes Leben nichts anderes – als doch endlich wahrgenommen zu werden. Überall. Immer wieder.

Interessant ist nun, dass beide Evangelisten bei der Reaktion des Herrn, nach seiner Rückkehr, auf das Handeln seiner Knechte übereinstimmen. Es kommt nicht so sehr darauf an, wieviel diese mit dem ihnen anvertrauten Silbergeld erwirtschaftet haben. Sondern vor allem, dass sie überhaupt etwas daraus gemacht haben. Die einzige Haltung, die kritisiert wird, ist die der Angst, des Versteckens.

Eigentlich ist das doch sehr tröstlich! Ich muss in meinem Leben nicht der „tolle Hecht“, der „Tausendsassa“ sein. Ich darf das, was mir ganz persönlich an Stärken mit auf den Weg gegeben ist (ob viel oder wenig), weiterentwickeln. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Und am Ende wird es reichen, ist es gut.

Jeder Mensch hat seinen besonderen Weg. Mit jedem Menschen ist etwas Neues in die Welt gesetzt, was es noch nicht gegeben hat, etwas Erstes und Einziges. Es ist nicht noch einmal zu tun, was ein anderer, und wäre es der Größte, schon verwirklicht hat. Darum lautet für Rabbi Sussja die Frage der Fragen:

In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ‘Warum bist du nicht Mose gewesen?’ Man wird mich fragen: ‘Warum bist du nicht Sussja gewesen?’“

Wagen wir es also, ICH zu sein!

P. Jonas Wiemann OSB

1 Dann kam er nach Jericho und ging durch die Stadt. 2 Und siehe, da war ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war reich. 3 Er suchte Jesus, um zu sehen, wer er sei, doch er konnte es nicht wegen der Menschenmenge; denn er war klein von Gestalt. 4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. 5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben. 6 Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. 7 Und alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. 8 Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück. 9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. (Lk 19,1-10)

Fast wirkt es so, als ob Zachäus nicht nur in den Maulbeerfeigenbaum steigt, um Jesus von Ferne zu sehen, sondern auch, um sich vor ihm zu verstecken. Vielleicht ist dies tatsächlich ein Ausdruck seiner eigenen Sehnsucht nach Heil und seiner Scham vor seinem eigenen Un-Heil.

Ihm, dem Oberzöllner, d.h. einem, der mit dem ungeliebten römischen Staatswesen kooperierte und sich am System der Steuereintreibung bereicherte – der einen Reibach gemacht hat – werden seine eigenen Sünden bekannt gewesen sein. Nur durch seine Unehrlichkeit konnte er Reichtum erlangen. So sucht er, in seiner Scham, eine vermeintlich sichere Distanz zum Heiligen, Heilenden.

„Da kommt also jemand in meine Stadt, von dem sich die Menschen Heil versprechen… Wär ja schon schön. Mal sehen… Aber ich selbst hab ja zu viel verbockt – bin ja wohl unwürdig, gerettet zu werden…?“

Jesus begnügt sich nicht damit, nur zu den ganz normalen Menschen zu gehen. Er hat entschieden, die größten Sünder zu retten. Und so geht er direkt zu Zachäus, dessen Herz er kennt, und sucht den Kontakt mit ihm, dem Sünder.

Als Zachäus also Jesus bei sich aufnimmt, bekehrt er sich und bekennt sich zu seiner Umkehr. Er zeigt guten Willen. So kann Jesus ihm das Heil zusprechen!

 

Was ergibt sich für uns? Auch wir erfahren uns in vielen Bereichen als sündige, widersprüchliche Menschen. Letztendlich ist die zentrale Frage des heutigen Textes aus dem Lukasevangelium: „Wer ist würdig, gerettet zu werden?“

Verstecke ich mich aus Angst vor meiner eigenen Umkehr im Maulbeerfeigenbaum? Oder lasse ich mich von Jesus ansprechen? Und was ist meine Antwort?

Dann darf ich wieder gewiss sein: Wenn es bei Zachäus mit der Heilung geklappt hat, wird es auch bei mir klappen.

Mit dem Psalmisten dürfen wir also beten: „Du hast entschieden, mich zu retten!“ (Ps 71,3)
Ich darf, selbst wenn ich meine eigenen Unzulänglichkeiten wahrnehme, und sie mich oft frustrieren mögen, darauf vertrauen, dass Gott mich – wenn ich es will – retten wird. Wenn ich will! Das ist keine Einladung, sich zurückzulehnen, sondern die Aufforderung, sich vertrauensvoll auf den Weg zu machen.

Er wird das, was er in meiner Taufe begonnen hat, auch zu Ende führen!

Br. Josef Ellendorff OSB

31 Jesus versammelte die Zwölf um sich und sagte zu ihnen: Siehe, wir gehen nach Jerusalem hinauf; und es wird sich alles erfüllen, was bei den Propheten über den Menschensohn geschrieben steht. 32 Denn er wird den Heiden ausgeliefert, wird verspottet, misshandelt und angespuckt werden 33 und man wird ihn geißeln und töten und am dritten Tag wird er auferstehen. 34 Doch die Zwölf verstanden das alles nicht; der Sinn der Worte war ihnen verschlossen und sie begriffen nicht, was er sagte.

(Lk 18,31-34 – ganze Tageslesung: Lk 18,31-43)

In den Tageslesungen aus dem Lukasevangelium machen wir heute einen großen Sprung und gehen direkt ins 18. Kapitel, wo Jesus den Jüngern sein Schicksal vorhersagt – Leiden, Auslieferung, Verspottung, Misshandlung, Tod. Es wird ernst. Der Konflikt mit den religiösen Autoritäten, von dem wir in der Tageslesung gestern gehört haben, spitzt sich zu. Dass Jesus auch von der Auferstehung spricht, scheinen die Jünger vor lauter Leidensweissagungen gar nicht mehr zu hören.

„Doch die Zwölf verstanden das alles nicht.“ Wie sollten sie auch? Ein Messias, der durch das Leiden hindurchgeht, das war für sie jenseits aller Vorstellungskraft. Indem sie Jesus auf seinem Leidensweg begleiten, müssen sie noch einen langen und auch schmerzhaften Lernprozess durchmachen.

Und wie ist es mit mir? Verstehe ich Jesus? Oft geht es mir, wenn ich ehrlich bin, so wie den Jüngern. Ich verstehe das alles nicht. Es erschließt sich mir kein Sinn. Es ist wohl so wie mit den Jüngern. Ich muss mit Jesus mitgehen, ihn auf dem Weg seiner Passion begleiten, an seiner Seite sein – um vielleicht nach einem langen Lernprozess besser begreifen zu können.

P. Maurus Runge OSB

37 Jesus sprach noch mit seinen Zuhörern, als er von einem Pharisäer zum Mittagessen eingeladen wurde. Er ging mit und setzte sich an den Tisch. 38 Entrüstet beobachtete der Gastgeber, dass sich Jesus vor dem Essen nicht die Hände gewaschen hatte, wie es bei den Juden vorgeschrieben war. 39 Jesus bemerkte seinen Unwillen und wandte sich zu ihm: „Äußerlich seid ihr Pharisäer ohne Fehler, ihr glänzt wie die Becher, aus denen ihr trinkt. Aber innerlich seid ihr schmutzig und verkommen. 40 Ihr Scheinheiligen! Ihr wisst doch ganz genau, dass Gott beides geschaffen hat – Äußeres und Inneres. Meint ihr da wirklich, dass er nur auf das Äußere achtet? 41 Eure Schüsseln und Becher sind voll. Gebt das, was drin ist, den Armen, dann seid ihr auch vor Gott rein!
42 Wehe euch, ihr Pharisäer! Sogar von Küchenkräutern wie Minze und Raute und auch von allen anderen Gewürzen gebt ihr Gott den zehnten Teil. Aber das, was viel wichtiger wäre – Gerechtigkeit und die Liebe zu Gott –, ist euch gleichgültig. Doch gerade darum geht es hier: das Wesentliche tun und das andere nicht unterlassen.“

(Lk 11,37-42 (nach: Hoffnung für alle) – gesamte Tageslesung: Lk 11,37-54)

„Außen hui – innen pfui“ pflegte meine Oma zu Menschen zu sagen, die sich äußerlich gut, sauber, wichtig, rechtschaffen, „herausgeputzt“ gaben – und innerlich so ganz anders waren. Es ist wie die Kurzfassung der heutigen Tageslesung. Aber ist das so einfach?

Die Pharisäer sind Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen und aus ihm heraus leben. In gewisser Weise sind sie die Elite der damals Glaubenden. Und doch geht Jesus mit ihnen nicht gerade zimperlich um. Er wirft ihnen vor, dass sie die Gesetzestreue höher ansetzen als die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Ja, dass sie die Gerechtigkeit nicht beachten – und die Menschen am Rande der Gesellschaft, die es nötig hätten, im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lassen.

Und ich merke, dass diese Worte mich meinen. Nicht einen konkreten Menschen damals, sondern mich in meiner doch so oft pharisäischen Haltung. Stehe ich damit nicht oft genug Gott selbst im Wege durch mein (Nicht-)Zeugnis, trage seine Liebe nicht zu denen, die sie nötig hätten?

Da ist ein schöner Gottesdienst wichtiger als die Möglichkeit, Menschen nahe zu kommen. Da schreibe ich lieber Texte, als auf Menschen zuzugehen. Da fühle ich mich gut und wichtig, wenn andere mir das auch noch sagen – statt zu sehen, wen ich alles übersehe, wem ich weh tue, wen ich nicht beachte. Gelder für wichtige Hilfsprojekte kann ich organisieren. Aber mich der Bettlerin am Straßenrand zuzuwenden, schaffe ich nicht.

Jesus macht deutlich: das eine tun ohne das andere zu lassen. Nur: Gerechtigkeit und Liebe müssen an erster Stelle stehen. Nicht ich.

P. Guido Hügen OSB

33 Niemand zündet eine Leuchte an und stellt sie in einen versteckten Winkel oder unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, damit alle, die eintreten, das Licht sehen. 34 Die Leuchte des Leibes ist dein Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann ist dein ganzer Leib hell. Wenn es aber krank ist, dann ist auch dein Leib finster. 35 Achte also darauf, dass das Licht in dir nicht Finsternis ist! 36 Wenn nun dein ganzer Leib hell ist und nichts Finsteres in ihm ist, dann wird er ganz hell sein, wie wenn die Leuchte dich mit ihrem Strahl bescheint. (Lk 11,33-36)

„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel!“ Das sagte früher meine Mutter zu mir, wenn ich mich nicht traute, irgendetwas zu tun, wo ich zwangsläufig im Rampenlicht stände – beim Schultheater, in der Musikgruppe, beim Lektorendienst im Gottesdienst. Sie ermutigte mich, meine Talente nicht zu vergraben, sondern zu nutzen – und genau deshalb habe ich das dann getan, zwar mit viel Lampenfieber und Zittern, aber auch mit der Erfahrung, dass es eigentlich gar nicht so schlimm war.
Wer im Licht steht, der wird gesehen. Das ist positiv und negativ. Nicht nur der Applaus am Ende zählt, sondern jeder Versprecher wird wahrgenommen – oft mehr von mir selbst als von anderen.

„Achte also darauf, dass das Licht in dir nicht Finsternis ist!“ Ich bin für mein Licht selbst verantwortlich. Wenn ich einmal im Licht stehe, dann muss ich damit rechnen, dass da vielleicht auch etwas zum Vorschein kommt, dass ich lieber im Dunkeln gelassen hätte. Deshalb ist manchmal auch die Vorsicht des Kindes angebracht, das sich nicht traut, im Licht zu stehen. Gerade unsere Mediengesellschaft ist unbarmherzig im Aufdecken des eigenen Schattens.

Mir hilft es in solchen Situationen oft innezuhalten. Mich zu vergewissern, dass ich durch nichts aus dem Licht Gottes herausfallen kann. Mich neu anfüllen zu lassen von Seinem Licht, das auch das Dunkle in mir erleuchtet. Nicht grell wie ein Scheinwerfer, sondern sanft wie eine Nachttischlampe.

P. Maurus Runge OSB

29 Als immer mehr Menschen zusammenkamen, begann Jesus zu sprechen: Diese Generation ist eine böse Generation. Sie fordert ein Zeichen; aber es wird ihr kein Zeichen gegeben werden außer das Zeichen des Jona. 30 Denn wie Jona für die Einwohner von Ninive ein Zeichen war, so wird es auch der Menschensohn für diese Generation sein. 31 Die Königin des Südens wird beim Gericht mit den Männern dieser Generation auftreten und sie verurteilen; denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo. 32 Die Männer von Ninive werden beim Gericht mit dieser Generation auftreten und sie verurteilen; denn sie sind auf die Botschaft des Jona hin umgekehrt. Und siehe, hier ist mehr als Jona. (Lk 11,29-32)

Was ist eigentlich so schlimm daran, ein Zeichen zu fordern? Nicht alles einfach so hinzunehmen, einfach „zu glauben“, sondern den Dingen auf den Grund gehen zu wollen? Für die Wissenschaft ist dieses Vorgehen Standard. Jede neue Hypothese wird zunächst einmal hinterfragt, von allen Seiten beleuchtet, bis sie wirklich hieb- und stichfest ist. An den Forschungen am Coronavirus kann man das hautnah miterleben.

Jesus geht es hier wohl nicht um Wissenschaftsfeindlichkeit. Er will keinen Gegensatz zwischen Wissen und Glauben aufbauen. Ihm geht es nicht um einen Sachverhalt, den man verifizieren oder falsifizieren kann, nüchtern und ohne jedes Pathos. Nein, Jesus geht es um die zwischenmenschliche Ebene, um die Beziehung zwischen ihm und seinen Jüngern. Und da kann es nicht darum gehen, immer neue Zeichen und Beweise zu fordern, sondern zwischen Menschen geht es um Vertrauen – manchmal auch um einen Vertrauensvorschuss. Liebe und Freundschaft lassen sich nicht beweisen. Das heißt dann natürlich auch, dass mein Vertrauen enttäuscht werden kann, dass ich aufs falsche Pferd gesetzt habe. Das gehört zum Risiko des Glaubens dazu.

Jesus führt den Propheten Jona als Zeichen für seine Jünger an. Jona ist ein Prophet, der die Menschen zur Umkehr aufrief – und der selbst immer wieder umkehren musste. Hin zu einem Gott, der größer ist als unsere Vorstellungen von ihm. So muss auch ich immer neu umkehren, meine Bilder und Vorstellungen, wie Gott ist bzw. wie ich ihn haben möchte, lassen und mich neu in das Risiko des Glaubens hineinwagen. Im Bewusstsein, dass alles auch ganz anders sein könnte. Aber im Vertrauen, dass es doch richtig sein könnte.

P. Maurus Runge OSB

Tageslesung: Psalm 25

Fernglas

Im Sommer ein paar schöne Tage in den Südtiroler Bergen genießen. Wanderungen in den Bergen. Stille erleben und pure Natur erblicken. Den Augen.Blick genießen. Der Rucksack ist gefüllt. Freiheit fast über den Wolken finden. Den Blick auf das Gipfelkreuz gerichtet. Ein Fernglas darf nicht fehlen, um Steinböcke oder Adler oder die Bergspitze mit dem uralten Gletscher ins Visier zu nehmen. Wie oft habe ich das Fernglas schon in die Hand genommen, um es in eine ganz bestimmte Richtung zu schwenken, damit ich die Wunderwelt der Südtiroler Berge in den Blick nehmen kann. Wenn ich durch ein Fernglas schaue, kann es sein, dass ich lange suchen muss, bis ich meinen Blick.Punkt gefunden habe. Habe ich es geschafft, dann kann ich mich einen Augen.Blick an dem Erblickten erfreuen. Im 25. Psalm hören wir: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn, denn er wird meinen Fuß aus dem Netz ziehen.“ Im Leben gibt es immer wieder Situationen, in die ich mich verstricke. Moment.Aufnahmen, in denen ich mich verliere. Augen.Blicke, wo ich falle oder festsitze. Gefangen im Netz der eigenen Verstrickungen. In diesen Moment ist ein guter Blick.Punkt mit klarer Aussicht wichtig. Mit dem Fernglas meiner Seele suche ich in meinem Herzen Gottes Augen, denn ich weiß, dass seine Augen stets auf mir ruhen. Gott schaut mich an. Er schenkt mir ein Ansehen, auch wenn ich mich in den Verstrickungen des Lebens verheddert habe. Ich werde von ihm gesehen und er wird mich aus meinen Netzen der Dunkelheit mit seiner leuchtenden, warmen Liebe befreien. Durch den An.Blick Gottes ist über den Augen.Blick der Ewigkeit hinaus das Netz der unbarmherzigen Verstrickungen zerrissen, und ich bin frei – in seiner Liebe frei.

Br. Benedikt Müller OSB