Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von Abt Aloysius Althaus OSB

Schwestern und Brüder im Glauben,

Wie sehr hat sich unser Leben nun schon über Monate verändert! Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, die Kinder wochenlang zu Hause betreuen, bittere Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dazu Abstand, Hygienevorschriften, Mund und Nasenschutz, und und und…

Es gibt niemanden, dessen Leben von den Auswirkungen der Pandemie nicht verändert worden wäre in diesem Jahr. So unterschiedlich die Auswirkungen waren und sind, für uns alle heißt das: vertraute Gewohnheiten aufgeben, neue Wege ausprobieren, Distanz halten, Ungewissheit ertragen lernen. Und nun feiern wir Weihnachten am Ende dieses so ganz anderen Jahres 2020.

ABER

Erinnern wir uns, Jesus ist auch mitten im Chaos zur Welt gekommen. Für Maria und Josef war alles Vertraute, alle Sicherheit, alle menschliche Nähe weggefallen. Mitten in der Nacht, in Kälte und Einsamkeit ist Jesus zur Welt gekommen.

ALSO

Beinhaltet sich doch auch für uns heute eine Chance in der Feier der Geburt des Gotteskindes!

Viele große Dinge beginnen ganz klein. –

genau das feiern wir heute Nacht: Den kleinen Anfang einer großen Liebe.

Ein Kind wird geboren, ärmlich, am Rande einer unbedeutenden Stadt…

Der kleine Anfang eines Lebens, so klein, wie unsere menschlichen Dinge ihren Anfang nehmen: Genauso klein haben auch wir unser Leben einst begonnen.

Klein jeder Anfang von Freundschaft und Liebe, klein der erste Funke von Hoffnung in schweren Zeiten. Klein der erste Schritt zu Versöhnung und Frieden nach langem Streit.

Anfänge sind zerbrechlich, bedroht wie dieses kleine Kind in der Krippe im Stall zu Betlehem.

Und genau das ist die Botschaft der Weihnacht: Gott fängt seine Geschichte mit uns Menschen an: klein, zerbrechlich, unauffällig, und vor allem: zutiefst menschlich. Gott wird Kind!

Indem sich das Kind in der Krippe von Anfang an auf Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit einlässt, weist es auf eine Alternative im Umgang mit Verletzlichkeit. Mit dieser Art und Weise, wie die Menschwerdung Jesu beginnt, antwortet Gott auf die Wunden der Welt, nicht indem er sich unverwundbar macht, sondern indem er das Wagnis eingeht, verwundbar zu werden. Bereits die Menschwerdung in Jesus ist ein Akt der Selbsthingabe Gottes, in der sich Gott selbst schutzbedürftig und absolut solidarisch mit den Kleinsten zeigt.

In der Hingabe steckt Lebenskraft.

Wir feiern Heilige Nacht und jede und jeder von uns sollte sich fragen: Was verbinde ich damit?

Ein frommes Spiel der Liturgie? Kerzenschein und Krippenidylle?

Oder bringe ich den Mut auf, mich den Nachtseiten und Tiefen meines Lebens zu stellen? IHM die „Ställe“ meiner Armseligkeit und Müdigkeit, der Resignation und Enttäuschung zu öffnen?

Denn gerade in sie hinein ist ER geboren! Er ist in den Abgründen, in den Finsternissen bei uns, heißt es in der Schrift: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.

Schwestern und Brüder,

es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall – am Schluss der Galgen.

In dieser Nacht hat es begonnen, ganz klein und zugleich kraftvoll. Er, der menschgewordene Gottessohn sagt: ICH BIN DA! ICH BIN BEI DIR! ICH BIN DEIN LEBEN!

Kann Gott näher an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann ER ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als ER es getan hat in dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?

Karl Rahner bekennt: …sein letztes, tiefstes und schönstes Wort hat Gott gesprochen, das Wort, das er nie mehr rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus…

Zu dieser Weihnachtsbotschaft gehört aber noch ein Zweites: Weihnachten braucht Menschen, die Gottes Anfängen trauen.

Natürlich: Das Risiko bleibt. Nicht jeder Anfang gelingt. Nicht jede Hoffnung findet Erfüllung. Manche ausgestreckte Hand wird zurückgewiesen. Und wer weiß, ob das verliebte Ehepaar seinen Weg wirklich bis zum Ende gemeinsam gehen kann? Ob der junge Mönch seinem Professversprechen treu bleibt?

Gott lässt sich nicht festlegen. Und er lässt die Menschen ihren Weg gehen.

Ja: Ein Risiko bleibt, trotz Weihnachten, und deshalb braucht es Menschen. Menschen, die diesen Glauben miteinander teilen und einander ermutigen. Braucht es Menschen wie Maria und Josef, die einem Traum gefolgt sind und einem Gott, der sie ganz andere Wege geführt hat. Denen wir trauen dürfen, wenn sie uns sagen: FANG AN, brich auf, es lohnt sich!

Es braucht Menschen wie die Hirten damals, die einander zurufen: Lasst uns nach Betlehem gehen! Kommt, wir wollen Gottes Wort und Gottes Anfang trauen. Und die so die Verzagten und Erschöpften mitnehmen, die Mut machen zum Aufstehen, zum ersten Schritt.

Es braucht Menschen, die heute Weihnachten feiern, die sich berühren lassen durch dieses Kind. Die deshalb morgen wagen, den Anfängen in ihrem Leben zu trauen. Und dann die Botschaft weitertragen: Es lohnt sich.

Schwestern und Brüder,

Beten wir DEN an, der in dieser Heiligen Nacht in unsere Welt, in unser Leben gekommen ist. Bekennen wir mit dankbarem Herzen unseren Glauben: Für uns und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.

Vergessen wir nicht – angesichts der Liebe Gottes – selber die Liebe zu üben und  – angesichts des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein. Liebe will Gegenliebe. Liebe will Antwort.

Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die Höchstform das Verzeihen.

Ich wünsche uns allen, dass uns, in dieser Heiligen Nacht, die Erkenntnis aufleuchtet: Heute öffnet sich auch für mich ein wenig der Himmel, weil Gott mir ganz nahe ist, weil seine Gegenwart wie ein Lichtstrahl sogar in die dunklen Winkel meines Herzens hineinleuchtet.

Trauen wir auch mit mancher Träne in den Augen den kleinen Anfängen, denn in der Krippe beginnt neues Leben – ein Neuanfang. Amen.

von P. Johannes Sauerwald OSB

Wie kommt der göttliche Trost zum Menschen?

Wer in den augenblicklichen Lebensumständen zurechtzukommen sucht und sich umschaut, ob es früher schon einmal ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat,  und wie man die Krise damals überstanden hat, und dann auf die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja stößt, findet eine bemerkenswerte Weise vor, wie einer der größten Tiefpunkte in der Geschichte des Volkes Israel, die Zeit des babylonischen Exils, bewältigt worden ist.

Den Hintergrund dieses Textes, so ahnt der Leser, bildet die seelische Krise, die durch die Vertreibung ins Exil entstanden war. Der Verlust ihrer Heimat setzte den Menschen zu, sie drohten, ihre Identität zu verlieren. Das stürzte sie in tiefe Trauer, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Irgendwann müssen sie so weit gekommen sein, dass sie sich gesagt haben: Es wird sich nichts mehr ändern. Wir sitzen hier in der Fremde fest, entrechtet, unterdrückt, ohnmächtig, unserer Feste und Lieder beraubt, ohne die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Unser Volk und alles, was uns heilig und kostbar war, unser geistiges Erbe werden bald aus der Geschichte ausgelöscht sein, vergangen und vergessen.

Was hat der Prophet einem da noch zu sagen? Durchhalteparolen einhämmern? Appelle verkünden, Vorhaltungen machen? Nichts von dem macht der Prophet. Er sammelt eine Gruppe wacher Menschen um sich, die noch nicht aufgegeben haben, und ruft ihnen zu: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Diese Worte hat er sich nicht selbst ausgedacht, denn er hat die Stimme Gottes gehört, sie durch die Trauer hindurch, über alle Hoffnungslosigkeit hinweg, erlauscht. Was diese Stimme ihm sagt, kommt unerwartet, denn sie klingt ganz anders, als die Leute sicher angenommen hätten. Trösten, das ist jetzt die Hauptsache. Trösten, das heißt: Gut zureden, zu verstehen geben, dass da einer ist, der um die Nöte und Ängste der Menschen weiß, dass Gott selbst es ist, der mit euch fühlt. Gott rechnet nicht die Sünden vergangener Zeiten auf, macht den ins Elend Geratenen keinen Vorwurf, lehnt sie nicht ab. Ganz eindringlich ist der Auftrag gesagt: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Und das meint: Sagt etwas, das wirklich zu Herzen geht und dort ankommt, wo die Trauer sich eingenistet hat – und das ist etwas anderes, als bloß „husch-husch“ eine optimistische Stimmung zu verbreiten.

Was der Trost bewirken soll, ist ein Mentalitätswandel, und der kommt nur zustande, wenn eine neue Überzeugung entsteht. Die Überzeugung muss sich von innen her bilden, sonst verfliegt der Trost wieder.
Zu einem echten Trost gehört mehr als Empathie, nämlich eine neue Perspektive. Was aber ist in der Lage, Mut zu machen? Nach rein menschlichem Ermessen ist zwar die Lage hoffnungslos, aber die Initiative geht ja von Gott aus, von seinen Möglichkeiten.
Der entscheidende Satz lautet: „Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht.“ Das ist der Fixpunkt der Perspektive.

Das ist nicht abstrakt-fromm daher gesagt, sondern soll heißen: Gott kommt und macht dem Exil ein Ende. Wir wissen im Nachhinein aus dem Verlauf der Geschichte Israels, dass es politische Vorgänge in Mesopotamien waren, die die Voraussetzungen dafür waren, dass die Verschleppten wieder nach Hause ziehen konnten. Als das Reich Babylon am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts zerfiel, übernahm die persische Großmacht die Vormacht-stellung in dieser Gegend. Sie war es auch, die den Juden die Rückkehr ins Stammland gestattete. Aber vom biblischen Glauben her war es Gott selbst, der die Geschicke lenkte und in seiner Bundestreue dem Volk ermöglichte, mit ihm eine neue Zukunft zu beginnen. Er sammelte es um sich und führte es weiter.

Damit hat der Prophet den Zielpunkt genannt, die Wendung zum Guten. Doch ist seine eigentliche Botschaft noch nicht an ihr Ende gekommen. Es geht ihm um mehr. Nämlich das, worauf es jetzt ankommt. Weil Gott kommt und seine Herrlichkeit sichtbar machen will, gilt es, sich jetzt darauf einzustellen. Jetzt ist es vor allem wichtig, die Hindernisse zu beseitigen, die Gottes Kommen im Wege stehen. Diese Hindernisbeseitigung macht der Prophet mit einem anschaulichen Bild klar: dem Bild des Landschaftsumbaus. „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße1“ Das sind die horizontalen Umbaumaßnahmen. Dann nennt er die vertikalen: „Was krumm ist, soll gerade werden, was hügelig ist, werde eben!“

Wenn wir in einer Landschaft vorwärts kommen wollen, werden wir manchmal durch schwieriges Gelände aufgehalten. Es zu überwinden, kostet Zeit und Mühe. Ähnlich ist es, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unzugänglich sind. Sie lassen einen nicht an sich herankommen. Es kostet viel Geduld, um Ärger zu vermeiden und sich zu verständigen. Auch Gott hat es nicht leicht, uns zu erreichen, bei uns mit seinen guten Absichten anzukommen, etwa um uns zu heilen, zu trösten oder neuen Schwung zu verleihen. Wir machen es ihm mit unseren Eigenwilligkeiten, unseren Fixierungen auf Lieblingsideen und selbstbezogenen Wünschen nicht leicht, uns zu erreichen und wirklich heranzulassen. Wir haben uns vielleicht schon so sehr an unsere Fehler gewöhnt, an gewisse Schwächen und sogenannte „Sachzwänge“, dass wir gar nicht mehr damit rechnen, uns in diesen Punkten ändern zu können. Das gilt nicht nur für den jeweils Einzelnen, sondern ist bei Institutionen, Gruppierungen, bei gesellschaftlichen Unternehmen und Staaten zu beobachten. Es kann sogar die Strukturen der Staaten untereinander bestimmen, mit schwerwiegenden Folgen.

Wenn wir nun auf Weihnachten zugehen, dann haben wir eine gute Gelegenheit, das Kommen Gottes in der Menschwerdung Christi anzubahnen. Denn er will uns ja dort treffen, wo wir uns befinden und ihn benötigen. Wenn er sich uns in seiner Herrlichkeit zeigt, dann schenkt er uns auch Kraft und Mut, dann verleiht er uns eine von innen kommende Überzeugung, die durch Hindernisse und Unwegsamkeiten hindurch in der Lage ist, seine Gegenwart, seine liebende Nähe zu erfahren. Das ist eine Zusage, die uns in dieser Krise helfen wird.

von Abt Stephan Schröer OSB

Er ist anders, der erste Advent in diesem Jahr.

Meine Schwestern, meine Brüder,

wir hier in der Abteikirche sind eine kleine Schar. Und wahrscheinlich nicht alle in einer freudigen Erwartung, wie sie zum Advent gehört. Eher nachdenklich mag sich der eine oder andere fühlen, nicht frei von Sorgen und Unsicherheit.

Und draußen vor der Kirche. Es gibt keinen Adventsmarkt. Da gehen die Gedanken zurück in die vergangenen Jahre. Viele Menschen waren unsere Gäste, bekannte Gesichter, und solche, die voller Erwartung zum ersten Mal kamen. Sie kamen, um all das anzuschauen, was über lange Wochen von vielen hilfreichen Händen vorbereitet worden war, um zu probieren, das Gebäck, den Stollen, den Glühwein, die Gerichte aus unsere Küche, oder um schon etwas für das Weihnachtsfest zu kaufen. Um zusammen zu sitzen und zu sprechen, in der Oase, im Forum, vor der Kirche, im Laden. Und in den Einstimmungen in der Kirche zu spüren, wie schön diese Zeit sein kann, die auf das Fest der Menschwerdung führt. Eine Zeit der Begegnung, der Nähe, der Vorfreude.

Der erste Advent in diesem Jahr, er ist anders.

Die Pandemie hat die Vorzeichen gesetzt. Angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit macht es Sinn, Regeln aufzustellen, Selbstverständliches einzuschränken, Abstand zu halten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und manches zu streichen, was mit festlicher Nähe zu tun hat. Eine Situation, wie sie so für uns alle neu ist.

Und verständlich ist es, wenn viele in Sorge sind und Fragen haben: Wie wird es Weihnachten? Die Familie? Die Reisen? Wie lange geht das noch? Und wann wird die Möglichkeit bestehen, durch eine Impfung geschützt zu werden? Fragen, die uns auch heute Morgen umtreiben. Und wie feiern wir Gottesdienst angesichts dieser Fragen? Gottesdienst im Advent, dieser Zeit, die von Hoffnung und Erwartung geprägt ist und ja den Blick auf Weihnachten öffnen will, dieses Fest, das wie kein anderes mit gelungenem Leben zu tun hat.

Meine Schwestern, meine Brüder,

wir sollten es auf jeden Fall jetzt gemeinsam versuchen. Und es liegt nahe, die Texte zu befragen, die uns heute dabei begleiten. Am meisten berührt  haben mich die Sätze aus dem Markus-Evangelium, kurz und einprägsam. Jesus im Gespräch mit seinen engsten Vertrauten, mit Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas. Und dann, als er von dem Türhüter erzählt und dessen Sorge, wenn der Hausherr auf Reisen ist, eine kurze Forderung, die an Intensität noch gewinnt, weil sie zweimal wiederholt wird: Gebt Acht und bleibt wach! Und dann: Seid wachsam! Und: Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam.

Beim ersten Hören wirkt es wie die Einladung zu einer eigenen Pandemie-Predigt.

„Seid wachsam“, das ist die sinnvolle und verständliche Ermahnung der politisch Verantwortlichen. „Seid wachsam“: Das ist sicher auch das Wort derer, die den wissenschaftlichen Hintergrund erforschen und erklären und auf die Folgen des  Corona-Virus verweisen. Eine  solche „Pandemie-Predigt“ allerdings möchte ich nicht halten. Erst recht nicht, wenn ich daran denke, welche Fülle von Nachrichten uns täglich begleitet und uns auch wegen mancher Widersprüchlichkeit, Falschinformation und Polemik oft ratlos, verwirrt, auch hin und wieder aggressiv zurück lässt.

Eher bescheiden möchte ich fragen: Wie könnte unser Advent in diesem Jahr aussehen angesichts der Fakten, die unsere Zurückhaltung, unsere Ernsthaftigkeit und manche Einschränkung fordern. Manches ist anders. Und für manche ist es eine schwere Zeit.

Das Wort Jesu von der Wachsamkeit ist ja, wie wir eben gehört haben, an alle gerichtet, also auch an uns, die wir jetzt hier zusammen sind.

„Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“

„Das sage ich allen.“ Eine Aufforderung, die alle erreichen will und die auch alle mittragen und weitertragen sollen. Und wenn ich zwischen den Zeilen lese und es richtig heraushöre, ist hier von einer Wachsamkeit die Rede, die nicht voller Angst erstarrt und nur die Vorschrift kennt und dass ich alles richtig mache. Nein, sie ist offen für Neues, für Überraschungen. Sie schaut voller Achtsamkeit hin und nimmt wahr, was alles möglich ist. Und sie ist aktiv. Sie ist eben voller Erwartung.

Also: Sei wachsam.

Wie kann das sein, in diesem Advent? Die Einschränkungen unseres Alltags schenken uns Zeit. Für manche ist es die Einladung, auszuruhen, durchzuatmen,

Kraft zu schöpfen. Das tut gut. Für andere ist es vielleicht die Einladung, zuhause aufzuräumen. Eine Sache, die noch so sinnvoll sein mag, aber in der Regel in der Begeisterung  nicht von Dauer ist und oft von sehr beschränktem Erfolg. Oder es wird berichtet, dass Baumärkte ein unverhofftes Umsatzplus verzeichnen. Das deutet auf erheblichen Reparaturbedarf in den eigenen vier Wänden. Sicher, es wird auch manche geben, die sich langweilen, herumhängen und die Tage vertrödeln. Aber ich spüre, es bringt mich meiner Frage nicht näher, wie Wachsamkeit in diesem Advent Gestalt finden kann.

Es geht ja um Advent, übersetzt also um „Ankunft“. Advent, sprachlich ist das Wort verwandt mit dem englischen „Adventure“, was ja „Abenteuer“ meint. Advent hat mit Warten und Erwartung zu tun und damit mit Zukunft.

Und es geht um eine Ankunft besonderer Art. Es geht um die Gegenwart Gottes unter uns. Jetzt schon, in unserem Alltag. Menschwerdung Gottes… Das ist auf Aufbruch gestimmt, auf Neubeginn, auf Zukunft. Das hat mit unseren Tagen zu tun, mit unserem Leben. Und wenn ich das, was mich Weihnachten erwartet,

in aller Kürze umreißen soll, dann ist es dies: Das Staunen über diesen Gott, der sich um uns Menschen sorgt. Über diesen Gott, der uns nachgeht bis zur Menschwerdung. Über diesen Gott, der trotz aller Probleme und Katastrophen in unserer Welt, trotz manchen Leids vielleicht ganz in meiner Nähe, uns immer wieder deutlich macht, dass er uns nicht allein lässt. Sich von diesem Gott anrühren lassen, das ist Weihnachten. Und ihn zu erwarten, das ist Advent, ihn zu entdecken in meinen Tagen.

Es geht um diesen Jesus, der uns allen unsere Einmaligkeit und  Würde zeigt und es ein Leben lang nicht lassen kann, von diesem neuen Leben zu erzählen und es zu teilen, und uns an unsere Möglichkeiten in der Kraft des Geistes Gottes zu erinnern.

Wenn ich auf diesen Advent schaue, der so anders ist, stiller als sonst und nachdenklicher, frage ich mich, ob das nicht auch eine Einladung sein kann, neu und einmal ganz anders über mein Leben nachzudenken. Wie könnte dieser Advent im Alltag für mich aussehen? Nicht, dass ich Ihnen Rezepte an die Hand geben möchte. Das würde mich überfordern. Und mit Sicherheit würde ich Dinge sagen, die sie nur langweilen. Noch dazu würde es Ihre Entdeckerfreude einschränken. Und das möchte ich nicht.

Ich möchte Sie nur einladen, Ihren Alltag neu in den Blick zu nehmen, unter adventlichen Vorzeichen. Vielleicht ist manches Gewohnte und Selbstverständliche einer neuen Aufmerksamkeit wert. Vielleicht hat manches mit dem Leben zu tun, das auf der Strecke geblieben ist.

Advent, geschenkte Zeit, um neu nachzudenken, über mich, ganz persönlich, mich zu erinnern an Dinge, die ich einmal begonnen und gern getan hätte, die aber im Alltagstrott untergegangen sind. Mal wieder mit Menschen, denen ich vertraue, in Ruhe zu sprechen, und mit solchen, mit denen es Streit gab, Versöhnung zu suchen. Schöne Dinge im Alltag neu zu entdecken, Musik, Bücher, das Erlebnis in der Natur. Neues auszuprobieren, schöpferische Begabungen zuzulassen oder ganz neu zu entdecken. Vielleicht wird es dann wirklich abenteuerlich.´Das alles hat mit meinem Leben zu tun.

Und vielleicht entdecke ich dann tief in meinem Herzen Spuren, die mit dem Advent, der  Ankunft, der Ankunft Gottes in meinem Alltag zu tun haben. Advent mitten in meinem Alltag, mitten in meinem Leben, dass Gott dabei ist, schon jetzt. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen ich mich schwer tue, weil manches nicht geht, oder wenn ich mich erschöpft fühle und getrieben, wenn ich mir selbst im Weg stehe und mich selbst nicht leiden kann, kann der Advent neu den Blick freigeben und schärfen und Neues möglich machen, was mit meinem Leben zu tun hat.

Mein Wunsch für uns an diesem ersten Advent ist, dass wir erfahren dürfen, dass Gott jetzt schon dabei ist, in unseren Herzen, damit das Unerwartete geschehen kann, und uns eine neue befreiende Sicht auf unseren Lebensweg geschenkt ist und von da auch ein offener Blick auf die Menschen, die mit uns leben, besonders für die, die es in diesen Tagen schwer haben, weil sie krank sind oder hilflos oder einsam sind und vielleicht ausgerechnet auf mich warten.

Vielleicht ist es auch ein Weg, neu  Mut zu schöpfen in einer Welt,  die ja in mancher Hinsicht bedroht ist, und Mut zu finden zum kritischen Blick und  zu Schritten, die mit Frieden zu tun haben.

Meine Schwestern, meine Brüder,

ich wünsche Ihnen die Gegenwart Gottes in diesem Advent. Und erinnere noch einmal an das Wort des Apostels Markus von der Wachsamkeit. Vielleicht gibt es manches zu entdecken,  was mit unserem Leben zu tun hat. Vielleicht können wir neu spüren, dass wir von Gott getragen sind.

„Habt acht! Bleibt wach! Seid wachsam!“

von Abt Aloysius Althaus OSB

Das Christkönigsfest ist ein Fest des Lobpreises. Gott gebührt Lob und Ehre, weil er uns im Leben und Sterben und in der Auferweckung seines Sohnes gezeigt hat: Jesus Christus ist Alpha und Omega, ist Anfang und Ende. Jesus Christus und die Liebe werden das letzte Wort haben.
Und somit fragt Jesus im gehörten Evangelium nicht nach dem Glauben, sondern nach der Liebe.
Vielleicht sind wir und unsere Kirche viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir Gottes Wort und den Glauben in die Sprache des modernen Menschen übersetzen können, während wir uns auf die einzige Sprache, die alle Menschen sprechen, auf die Sprache der Liebe, zu wenig verstehen.
In diesem Sinn finde ich ein Wort der Dichterin Hilde Domin anregend und hilfreich. Sie schrieb: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zum letzten Atemzug.“ 

Schwestern und Brüder,
ich denke, das könnte ein Weg für uns alle sein!
NICHT IM STICH LASSEN –SICH NICHT UND ANDERE AUCH NICHT.
Hören wir unter diesem Vorzeichen noch einmal die Worte des Evangeliums:
„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben… ich war krank und ihr habt mich besucht…“

Eindringliche Worte. Manchmal sind wir selbst die Bedürftigen und wünschen uns sehnlichst, dass uns einer hilft, uns stärkt, uns besucht, zumindest uns mit einem Wort, mit einer Geste nahe ist. Die Rollen und die Lagen, in denen wir sind, wechseln im Lauf unseres Lebens immer wieder: Wir sind stark, um für andere da zu sein, wir sind schwach und auf andere angewiesen. Beides sind wir.
Ja, nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht-.
Wo Menschen am Mitmenschen so handeln, dort ereignet sich das, was Jesus Reich Gottes nennt: Dort sind Frieden, Gerechtigkeit und Liebe möglich.
Gerade hier in unserer Friedenskirche, im Blick auf unser Christ-Königs-Kreuz, wird es mir immer wieder bewusst:

Lass dich lieben, denn nur in der Liebe wirst du dich selber aushalten können.
Du wirst Dich bekehren können, Dich zuwenden können und dann sehen, dass Du die Liebe brauchst, die du aus dir selber nicht hast, die Liebe, die dich heil machen kann. Lass mich an dich heran, damit Du liebend wirst.

Wo Menschen hingegen ihre Freiheit dazu nutzen, auf Kosten anderer zu leben, wachsen Unrecht, Neid, Gewalt und Krieg.

Eine Mysteriengeschichte

Da ist eine kleine französische Stadt, verschlafen, festgelegt, beengend, versunken in Grabesruh. Die Bewohner dieser Stadt: kleinbürgerlich, sittenstreng, ängstlich, irgendwie „gefesselt“. Keiner tanzt aus der Reihe. Sonntags geht man zur Kirche. Der Bürgermeister regiert und korrigiert dem Pfarrer auch die Sonntagspredigt.
Ausgerechnet in der Fastenzeit nimmt eine Frau in dieser Stadt Wohnung. Und eröffnet – in der Fastenzeit – eine Chocolaterie! Dort dreht sich alles um Pralinen, köstliche Dinge aus Schokolade, vielfältig und wohlschmeckend.
Und diese Frau versteht zu verkaufen. Energisch, charmant, einfühlsam und liebenswürdig. Sie bezaubert die Menschen in der kleinen Stadt. Manchmal ist sie allerdings auch traurig und unsicher und bedrückt. Ein Mensch eben und keine Ikone!
Dieser Laden, die Frau und die Schokolade stören die Leute auf, stören den Lebenslauf in der Stadt. Etwas Neues und Ungeahntes kommt in Gang. Es entsteht Bewegung.
Die Frau und ihre Schokolade gewinnen die Menschen. Der Laden wird zum Treffpunkt all derer, die der Kleinkariertheit ihrer Umgebung entfliehen wollen.
Begegnungen, Freundschaften, Gespräche wachsen.
Es gibt aber auch heftigen Widerstand, Feindschaft, Verleumdung, ja Todesgefahr.
Soll die Frau ihren Laden zumachen?
Doch der Strom der Offenheit, des neu erwachten Vertrauens, der Hoffnung ist nicht zu stoppen.
Lösung, Lockerung, Aufbruch, Heiterkeit, Fröhlichkeit, Lachen. Eine neue Zeit in dieser kleinen Stadt.

Mir scheint, diese Geschichte hat eine tiefe Symbolik. Diese Frau und das Medium „Schokolade“ stehen für Heil und Glück, für Verwandlung und Neugeburt, für Auferstehung, für Erlösung. Alles verändert sich. Es wächst eine neue Stadt, eine neue Welt.

Bei den Menschen dieser Geschichte findet sich das, was Kennzeichen jeder christlichen Gemeinde und Gemeinschaft sein sollte:

  • Annahme des anderen
  • Offen für Freunde, Pilger und Fremde
  • Teilnehmen und teilgeben
  • Ein neuer kommunikativer Umgang miteinander
  • Dankbarkeit als Antwort auf das Geschenk des Lebens und der Gemeinsamkeit.

Die Geschichte hat mir wieder einmal die Augen geöffnet. Sie ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, eine Ostergeschichte, eine Erlösungsgeschichte unseres Alltags. Der tiefste Sinn menschlichen Lebens und christlichen Glaubens bricht hier auf.

Meine Schwestern und Brüder,

uns bedrücken oft genug Sorgen und Ängste. Viele von uns kennen Einsamkeit, Armut und Leid. In der Welt, in der wir leben, verdüstert sich oft der Horizont.
Da hinein nun kommt die Botschaft dieses Sonntags, des Christkönigsfestes. Die liturgischen Texte sprechen von „Herrschaft Gottes über allen und allem“, vom „Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit“, von der Gegenwart Christi in den Hungrigen und Durstigen, den Obdachlosen, Nackten und Kranken, sprechen vom Geschenk „ewigen Lebens“.
Der Christkönigssonntag ist eine Oster-Erinnerung. Ein Sonntag, der von der Nähe und Freundschaft Gottes berichtet; der uns an das tiefste Geheimnis unseres Lebens erinnern möchte: Du wirst geliebt und kannst lieben. Du bist in einer Gemeinschaft und kannst Gemeinschaft gewähren. Du bist erlöst und kannst andere erlösen. Mitten im Alltag treffen wir auf den gegenwärtigen Herrn und Bruder Jesus Christus, wenn wir nur die Augen des Glaubens öffnen.
Und am Ende unseres Lebens steht nicht die Dunkelheit des Grabes, sondern die Einladung zu einem großen Fest, zu neuem Leben!

Die Frohe Botschaft des heutigen Festes will Ermutigung sein, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Es geht um eine nüchterne, alltägliche und unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Im Sinn Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen.
Wir vergegenwärtigen in dieser Eucharistiefeier und darüber hinaus Jesus als einen Menschen, der in wehrloser Liebe die Mächte und Gewalten erleidet, der sich hingibt in den Tod, der sich auf den Willen Gottes horchend der Gefahr des Scheiterns und der Vernichtung aussetzt und die Lebensbedrohung auf diese Weise entmachtet.
Es liegt an jeder und jedem von uns persönlich, ob ich mich von dieser Liebe prägen lasse.

Wenn wir es wagen, dann werden wir spüren, was die heutige Präfation so schön ausdrückt: Das Reich der Wahrheit, in dem es nicht um Rechthaben geht; das des Lebens, in dem Menschen befreit und angstfrei aufatmen können; das Reich der Heiligkeit, dass mich einlädt, ganz der zu sein, der ich bin; ein Reich der Gnade, da wir alle begreifen, dass wir das Wesentliche im Leben eh nur geschenkt bekommen können; ein Reich der Gerechtigkeit, die mehr meint, als Recht zu bekommen; ein Reich der Liebe, die unser Markenzeichen sein sollte und dann auch das Reich des Friedens, das dort einzieht, wo der Mensch Gott und den Nächsten wie sich selbst liebt.

Schwestern und Brüder,

wir sind eingeladen, uns vom auferstandenen Herrn berühren und von seiner Kraft verwandeln zu lassen. Um dann andere zu verwandeln. Wir sind eingeladen, an diesem Christkönigsfest noch einmal Ostern zu erfahren und weiterzugeben. Geschieht das, dann wird sich leise auch unser Lebensraum verändern, ja, liebevoll das Antlitz der Erde erneuern. Amen.

von P. Maurus Runge OSB

Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.

Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.

Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.

Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.

Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja  keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!

Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.

Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.

In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:

„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen.
Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“

Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.

von Br. Emmanuel Panchyrz OSB

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Laut orientalischem Brauch haben die Freundinnen der Braut bei einer Hochzeit den Auftrag, den Bräutigam mit Lampen – die Exegeten sprechen von ölgetauchten Lichtfackeln – zu empfangen und ihn in den Hochzeitssaal zur Braut zu geleiten. Es sind zehn an der Zahl. Der Bräutigam kommt in der Nacht – verspätet. Die fünf klugen haben vorgesorgt, sie haben Ölvorräte; die törichten bzw. die dummen haben kein Öl mehr. Sie müssen zum Krämer, um neues Öl zu besorgen. Diese kommen dann zu spät zum Hochzeitssaal. Die Tür ist bereits verschlossen. Sie rufen: „Herr, mach uns auf!“  Darauf die Stimme des Bräutigams: „Ich kenne euch nicht“. Die genug Öl dabei hatten, können zum Feiern in den Hochzeitssaal, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Unser gerade gehörtes Gleichnis, das für das Himmelreich, die gerechte Welt Gottes, steht, befindet sich in der großen Endzeitrede des 24.  und des 25. Kapitels des Matthäusevangeliums. Eingerahmt ist es in die Beschreibung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Schilderung der Wiederkunft Christi. Bedeutend ist die Aussage, dass niemand die Stunde kennt, wann der Menschensohn kommen wird, nicht die Engel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.  Der Rahmen am Ende: Das große Weltgericht mit der Scheidung der Schafe von den Böcken. Dann folgt die Aussage des Weltenherrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dazwischen zeichnet Matthäus vier Gleichnisse. Das heutige ist das dritte. Die jeweilige Hauptintention ist es, jetzt Christus zu begegnen. Wir werden aufgefordert, wie die klugen Jungfrauen wachsam zu sein, um dem Bräutigam zu begegnen. Der Bräutigam ist Christus. Dieser Christus kommt jetzt und überraschend.

Beim Lesen des Gleichnisses stellten sich bei mir auch Widerstände ein. Diese Widerstände waren auch mit Verstörung gepaart. Die klugen Frauen teilen nicht ihr Öl. Werden wir uns nicht gerade diese Woche, am Martinsfest, der christlichen Haltung des Teilens erinnern? So wie Martin von Tours seinen Mantel mit dem Bettler teilt, so sind wir als Christen eingeladen zu teilen. Das Öl möchte ich deuten als die Bereitschaft, dem kommenden Bräutigam entgegen zu gehen, den gegenwärtigen Christus zu empfangen. Diese sehnsuchtsvolle Offenheit und Bereitschaft, den gegenwärtigen Christus zu empfangen, kann nur eine innere Haltung sein. Diese innere Haltung will ein Leben lang in einem spirituellen Prozess eingeübt werden. Diese innere Haltung kann ich nicht an einen anderen Menschen weitergeben. Ich kann diese Haltung auch nicht dem Anderen überstülpen. Ebenso kann ich diese spirituelle Haltung nicht einfach beim Händler besorgen. Auf mich kommt es an.

So möchte ich heute das Gleichnis verstehen: Eine Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit wird gefordert in meiner persönlichen Nachfolge.  Auf das Heute und auf das Jetzt kommt es an. Es ist eine klare Absage bezüglich all unserer Aufschiebetaktiken: demnächst irgendwann einmal. Wir wissen es ja alle schon, dass es auf das Jetzt ankommt. Das ist unsere innere Wachsamkeit. So beten wir jeden Dienstag im Morgengebet: „Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wann das sein wird, weiß keiner von uns. Uns bleibt heute allein der Schluss des Gleichnisses: „Seid also wachsam. Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“

Mein zweiter Widerstand beim Lesen: Die Tür wird vor der Nase zugesperrt. Es gleicht einem kalten Fallen der Tür ins Schloss. Heißt es nicht bei Lukas: „Klopft an, und es wird euch geöffnet“? Und heißt es nicht in der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“? Wenn wir ehrlich auf unser Leben schauen, kennen wir das Phänomen der vertanen Chancen. Es ist das Unwiederbringliche, das nicht mehr Nachzuholende. Wir alle kennen das Zuwenig und das Zuspät. Das, was wir noch gerne gesagt oder getan hätten: Ein Wort der Liebe, eine Bitte um Vergebung. Ein Letztes: Es ist alles gut jetzt. Töricht sind wir alle. Wir kennen doch unsere ablaufende Frist. Der November  mit seiner vergänglichen Stimmung erinnert uns daran. Wir können in unserem Leben nichts verschieben. Unsere Zeit steht nicht in unseren Händen. Und es bleibt ernst: Es gibt die Wahrheit des vertanen Lebens. Welche Lebensschule ergibt sich daraus? Wir müssen gegenwärtig sein und dem gegenwärtigen Christus begegnen. Gott selbst ist Gegenwart. Es bedarf unserer inneren Aufmerksamkeit und unserer Achtsamkeit und einer Beachtung unserer Innerlichkeit, um dem Göttlichen in unserem Leben zu begegnen. Eine Möglichkeit ist in unserer mönchischen Tradition die Vertiefung in das Wort Gottes.  Der Christ wie der geistliche Mensch übt. Es genügt aber nicht nur, innerlich zu sein und „Herr, Herr“ zu sagen, sondern der lautere Ausdruck der spirituellen Haltung ist der Blich auf die Ränder des Lebens. Den gegenwärtigen Christus erkennen wir im Armen, im Entrechteten, im Kranken und im Fremden.

Ein dritter Widerstand: Die Stimme des Bräutigams: „ Ich kenne Euch nicht!“ Eines der unheimlichsten Worte der Evangelien, wie ich finde. Warum erkennt der Bräutigam sie nicht?

Ein wesentlicher Punkt im Gleichnis ist die Erwartung des Bräutigams. Kluge wie Dumme wollen den Bräutigam sehen. Das Erwarten meint doch die Hoffnung. Existentielle Hoffnung meint im Christlichen immer, dass uns über unseren Tod hinaus Heil geschenkt wird. Göttliches Heil steht jenseits unserer Todesgrenze. Der Hochzeitssaal steht ja für unser seelisches Erlösungsbild. Im Fest werden wir jenseits unseres Todes Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Heil will uns allen von Gott her geschenkt werden. Diese Zuwendung Gottes haben wir nicht in der Hand. Wir haben es nicht im Griff. Wir Menschen bleiben Empfangende. Wir dürfen Hoffnung haben. Diese Hoffnungsperspektive ist das Erkennungsmerkmal derer, die mit der Sache Jesu, seinem Reich, ernst machen. Und wenn nicht? Wenn wir diese Hoffnung nicht in uns schüren, dann verändern wir uns bis zur Unkenntlichkeit. Wir werden nicht erkannt! Auch im geistlichen Leben können wir uns bis zur Unkenntlichkeit verändern.

In Hinblick auf unsere Sterblichkeit möge unser Hoffnungsbild von Folgendem geprägt sein:

Das Lebenslicht unserer Lebenslampe wird einmal ausgelöscht, da die göttliche Sonne, die keinen Untergang mehr kennt, über unserer Existenz aufgegangen ist. Möge dieses Hoffnungsbild mich,  uns alle hier trösten. Amen.

von P. Helmut Bochnick OSB

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Frage, die hinter dem Fest Allerheiligen, das wir heute feiern, steht, könnte so lauten: Was ist das Ziel unseres Lebens? Woraufhin sind wir unterwegs?

Gerade in der momentanen Jahreszeit, in der sich die Natur mehr und mehr in den winterlichen Ruhezustand zurückzieht, wo vieles abstirbt und zu Ende geht und wo vielleicht auch wir selber uns mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert sehen oder sie uns neu bewusst wird, erinnert uns das Fest Allerheiligen an unsere christliche Berufung und Hoffnung.

Berufung und Hoffnung:
Beides nämlich, der Ruf Jesu in die Nachfolge, der an uns in der Taufe ergangen ist, aber auch die in der Auferstehung Jesu begründete Hoffnung im Tod und über den Tod hinaus, machen deutlich, dass es sich beim Fest Allerheiligen um ein Fest des Lebens, um ein im wahrsten Sinne des Wortes lebendiges Fest, ein freudiges, hoffnungsvolles und Hoffnung machendes Fest handelt.
Das die Liturgie einleitende Tagesgebet hielt uns vor Augen, dass wir heute eingeladen sind, „die Verdienste aller Heiligen zu feiern.“

Einige dieser Heiligen sind uns von Kindheit an wohl vertraut, wie zum Beispiel St. Martin, der heilige Nikolaus oder die heilige Barbara, deren Lebensgeschichten wir nicht zuletzt in liebgewordenen Traditionen alljährlich erinnern. Andere Heiligengestalten wiederum sind uns im Gegensatz dazu selbst vom Namen her weniger oder gar nicht bekannt.

Doch wer die Heiligenlisten zu Rate zieht, wird sehr schnell feststellen, dass hier Frauen und Männer aus ganz verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Alter und Wesen verzeichnet sind.

Aber all diese Heiligen haben gemeinsam, dass sie sich von der Botschaft Jesu haben ansprechen und treffen lassen, und dass sie Jesus nachgefolgt sind und in ihrer Betroffenheit die Seligpreisungen, die wir im heutigen Evangelium gehört haben, zum Maßstab ihres Lebens gemacht haben.

Diese Menschen haben sich auf Jesu Botschaft eingelassen und sie zu ihrer Lebensmitte gemacht, haben ihr mit ihren je eigenen, von Gott geschenkten Talenten und Möglichkeiten eine Gestalt gegeben und auf diese Weise die Botschaft vom Reich Gottes schon in dieser Welt Wirklichkeit werden lassen.

Sie haben eine oder mehrere dieser Verheißungen des heutigen Evangeliums lebendig werden lassen und damit gezeigt, dass es sich bei den Seligpreisungen nicht um eine bloße Traumwelt, eine Vision oder Utopie handelt. Ihre Lebensgeschichten lehren uns vielmehr, dass die Botschaft Jesu lebbar und verwirklichbar ist.

Grundlage dafür war, dass sich die Heiligen vor Gott arm gemacht und arm gewusst haben. Sie sind mit offenen, leeren Händen vor Gott gestanden, einerseits im Wissen, dass sie von seiner Zuwendung abhängig sind und andererseits mit dem Vertrauen, dass Gott es ist, der ihre leeren Hände mit seiner Nähe, mit seinem Frieden, mit seiner Kraft füllen kann.

Diese empfangende Haltung hat die Heiligen die Welt mit den Augen Gottes anschauen lassen. Und das hat sie zu jenen Akzentsetzungen in ihrem Leben, zu jenen Taten, Entscheidungen oder Haltungen verholfen, auf die wir, wenn wir ihr Leben betrachten, manchmal mit Bewunderung, manchmal auch mit Verwunderung, manchmal vielleicht auch mit Entsetzen und dann auch wieder mit großem Staunen blicken.

Das Fest Allerheiligen nimmt also alle Menschen in den Blick, die den Weg der Nachfolge Jesu gegangen sind und seine Botschaft in ihrem Umfeld, in ihrer Zeit, in ihrer Situation und mit ihren Möglichkeiten gelebt haben.
Und dazu zählen nicht nur jene Menschen, die wir als Heilige verehren.
Dazu zählen auch all jene stillen, unbekannten, zum Teil längst vergessenen Menschen, die dem Glauben Gestalt gegeben haben und die bei Gott zur Vollendung gelangt sind.

Sie alle sind die „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, von denen Johannes im Buch der Geheimen Offenbarung im 7. Kapitel, Vers 9 sagt, dass „sie niemand zählen konnte“.

In der Präfation des heutigen Festtages heißt es:
„Heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Schwestern und Brüder, die schon zur Vollendung gelangt sind.“

Es sind unsere Schwestern und Brüder, nicht irgendwelche Übermenschen, die das heutige Fest in den Blick nimmt.

Dieser Lobpreis ist bemerkenswert, denn er schlägt förmlich eine Brücke zwischen denen, die bei Gott schon vollendet sind und uns, die wir noch auf dem Weg zum Ziel unseres Lebens sind.

Als Christen wissen wir um die Vorläufigkeit dieses Lebens und richten unseren Blick nach vorne, wo uns ein Leben über den Tod hinaus verheißen ist.

Die Heiligen, auf die wir heute blicken, halten uns diesen Blick und die Hoffnung auf den Himmel offen.

Ihr Leben, ihre Verdienste sollen uns nicht frustrieren oder demotivieren, weil wir meinen, sie kopieren zu müssen und gleichzeitig spüren, dass uns manche ihrer Taten zu groß, zu heroisch, zu unerreichbar erscheinen.

Was unsere Schwestern und Brüder in der Vollendung in ihrem Leben auf Erden ausgezeichnet hat, ist, dass sie der Verheißung gefolgt sind, die Jesus mit den Seligpreisungen seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben hat.

Die große Anzahl der Heiligen zeigt, wie vielfältig diese Nachfolge aussehen kann und wie vielfältig daher auch Heiligkeit gelebt, erkennbar und spürbar werden kann.

Das heutige Fest Allerheiligen macht uns deshalb Mut, wie viele Menschen vor uns auf dem Weg der Nachfolge Jesu zu gehen und dabei heilig zu werden. Denn dazu sind wir berufen: Heilige zu sein! Jetzt schon! Wir wissen es bloß noch nicht – oder schon nicht mehr…

Und es ist ein Weg, der uns zum Leben führt: zum Leben Gottes und seiner Heiligen, unserer Schwestern und Brüder. Amen.

von P. Guido Hügen OSB

„Gönne dich dir selbst!
An der Lust des Tages, die dir zusteht,
geh nicht achtlos vorbei!“

Liebe Schwestern und Brüder,
was klingt wie Zeilen aus einem Ratgeber zur Selbstfindung
oder einer Anleitung zum Glücklichsein,
sind tatsächlich Worte aus der Bibel,
aus dem Buch Jesus Sirach im 14. Kapitel.

Gönne Dich dir selbst!
Sei dir selber wertvoll!
Weil du Gott wertvoll bist.

Achte auf Dich, nimm dich selber ernst,
schau auf das, was dir gut tut
– es ist dir geschenkt!

Und dann – so heißt es weiter bei Jesus Sirach:
„Wer sich selbst nichts Gutes gönnt,
wem kann der Gutes tun?!“

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“
benennt es Jesus im Evangelium.

Das „Liebe deinen Nächsten“ hat uns unsere christliche Prägung
gut anerzogen.
Und es ist ja auch wichtig – gerade in Zeiten wie dieser.
Den Anderen sehen,
auf den Anderen Rücksicht nehmen,
für den Anderen da sein.

Und trotzdem:
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

Das „wie dich selbst“ gehört sich nicht bei uns
– egoistisch sein gehört sich nicht.

In Supervisionen und Beratungen sage ich immer wieder:
der Mensch muss egoistisch sein,
muss sich um sich selbst sorgen.

Wenn nicht gerade in sozialen Berufen
am Ende nicht immer öfter der Burn-out stehen soll.
Ich kann nicht mehr… !!!

Er darf nur nicht egozentrisch werden
– mich selber immer in den Mittelpunkt stellen
und ständig um mich kreisen.

Aber wie will ich andere lieben, für andere da sein,
wenn ich mich selbst nicht liebe,
nicht für mich da bin?

Und andere lieben – gelingt uns das?!

Für andere da sein?
Andere akzeptieren, mich selber zurücknehmen,
den anderen wertschätzen, ihm Chancen geben?

Überlegen Sie einmal, ob und wie Sie das
in der letzten Woche getan haben.

War es nicht oft eher das Gegenteil?
Kommen wir nicht viel zu oft an unsere Grenzen?

Es gibt doch so viele Gründe:
Wenn ich mich vom anderen bedrängt fühle,
wenn ich den anderen nicht verstehe,
wenn ich mich selber beweisen muss,
weil ich mich minderwertig fühle.
Den Menschen am Rande
lasse ich gerne am Rande stehen.

Wer meine Hilfe braucht
– bekommt er oder sie diese?

Wohl niemand von uns kann sich da ausnehmen.

Wir spüren es immer wieder:
wir verletzen und sind verletzt,
Eifersucht und Machtgelüste lodern in uns.

Der oder die neben mir:
Wie oft gönne ich ihm oder ihr nichts.

Weil ich mir selbst nichts gönne?

Weil ich nicht spüren kann,
dass ich Gottes geliebtes Kind bin
und auch im Anderen Gottes geliebtes Kind sehe?

Die anderen als meine Geschwister annehmen,
und mit Gottes Augen sehen kann?!

 

Die Lesung des heutigen Tages aus dem Buch Exodus
geht weit darüber hinaus.

„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen
oder ausbeuten.“
„Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen.
Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit,
werde ich auf ihren Klageschrei hören.
Mein Zorn wird entbrennen …“

 

In mir höre ich das Geschrei von Menschen,
die ungerecht behandelt und versklavt werden,
die für sich und ihre Kinder ein besseres Leben wünschen,
und elendig ertrinken,
den stummen Ruf der Armen auch in unseren Orten,
die sich nicht wagen, herauszutreten.
Die gerade in dieser Zeit Vereinsamten und Verzweifelten.

„Wenn er zu mir schreit, höre ich es,
denn ich habe Mitleid.“

Haben wir Mitleid?
Oder ist es uns nicht eigentlich egal?!
Uns geht es ja gut.

 

Noch einmal zurück zum ganz Konkreten.

Was gönne ich denn dem Bruder, der Schwester neben mir?
Auch das, was mir vielleicht etwas „wegnimmt“,
was mich einschränkt, mich begrenzt?

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“
heißt eben auch: gönne auch dem anderen das,
von dem du meinst, dass es nur für ich ist.

Und bei allem:
„An der Lust des Tages, die dir zusteht,
geh nicht achtlos vorbei.“

Die Lust, die dir zusteht.
Du musst sie dir nicht erwerben, erkaufen, erschleichen.
Sie steht dir zu!

Also: geh nicht achtlos vorbei.

 

Ist das nicht die große Sünde:
dass wir Gottes Geschenk für uns – und für die anderen! –
nicht annehmen?!

Es achtlos liegen lassen?

„Den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen,
mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“

Mein ganzes Leben soll ER prägen.
Sein Geschenk – mich selbst –
und die „Lust des Tages“ darf ich annehmen.

Lassen wir es uns ruhig von einem Heiligen sagen:

Aus einem Brief von Bernhard von Clairvaux
an Papst Gregor III.:

Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst.
Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft,
aber ich sage: Tu es immer wieder einmal.
Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da,
oder jedenfalls sei es nach allen anderen.

von Br. Justus Niehaus OSB

„ ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‘ Die Münze trägt sein Bild. Dadurch gehört sie ihm. Wem gehören wir? Doch wohl kaum dem Staat. Zwar sind wir auch geprägt, gleichsam als eine lebendige Münze. Wir tragen das Bild Gottes. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Diese Prägung besiegelt unsere Verpflichtung Gott gegenüber. Das Siegel fordert uns mehr als das Siegel des Kaisers. Alle Menschen tragen das Bild Gottes in sich, alle gehören ihm. Und deswegen sind wir alle Gott verpflichtet: ‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“

Dies sind nicht meine Worte, sondern Franz Kamphaus hat sich so zu diesem Evangelium geäußert. Mir sind die Worte des Geprägt seins nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Prägen kann man von der Handwerklichen Seite sehen oder von der Menschlichen. Was hat uns geprägt? Was hat sich uns eingeprägt? Was heißt es geprägt zu sein?

Ich erinnere mich noch als ich als Kind bei einem Ausflug zum Marine-Ehrenmal Laboe zum ersten Mal vor einem Automaten in dem man Münzen umprägen konnte stand. Man musste eine Münze hineinwerfen und eine Gebühr bezahlen um dann mit der eigenen Kraft einen großen Hebel zu drehen und so die Münze umzuprägen, so dass sie kein Geldstück mehr war, sondern das Ehrenmal zeigte. Als Kind war es unglaublich, dass so etwas möglich ist.

Lassen Sie uns heute auf beide Seiten schauen. Auf den handwerklichen Vorgang und die menschliche Prägung.

Schaut man sich an was beim Prägen passiert, fällt auf, dass der Rohling in seiner Masse bestehen bleibt. Es wird nichts hinzugefügt wie beim Modellieren und nichts Weggenommen wie beim sägen, gravieren, schleifen oder schnitzen. Es werden durch die Prägung nur Flächen hervorgehoben und andere treten in den Hintergrund um so ein Bild erstehen zu lassen.

Auch in uns ist Gottes Antlitz schon vorhanden. Es muss nichts hinzugefügt werden zu meiner Persönlichkeit und es muss auch nichts weggenommen werden von meiner Persönlichkeit um Gottes Antlitz auf mir erscheinen zu lassen, um Gott durch mich sichtbar zu machen. Ich bin schon vollkommen so wie ich bin. Ich bin ganz. Es ist alles in mir angelegt. Ich muss mich nur von ihm prägen lassen um sein Antlitz auf mir zum Vorschein zu bringen. Ich muss zulassen, dass Er durch mich sichtbar wird.

Zum Prägen braucht es Energie. Es braucht Kraft. Viel Kraft. Zum Handprägen einer Münze sind mehrere Schläge nötig. Gott hat diese Kraft, wie wir es in der Lesung gehört haben. Das Evangelium kam nicht nur im Wort, sondern mit Kraft und heiligem Geist. Er will, dass wir uns von ihm prägen lassen.

Nur nützt der beste Prägestempel nichts wenn er ins Leere haut. Zum Prägen braucht es nicht nur Prägestempel und Hammer, sondern auch ein Fundament das auf der Erde steht, das die Kraft aufnimmt und so das prägen erst möglich macht. Das sich zum Prägestempel hin ausrichtet um die Kraft aufzunehmen.

Bin ich bereit mich von Gott prägen zu lassen. Mich und meine Kraft auf ihn hin auszurichten. Seine Kraft an mir wirken zu lassen. Mich von ihm Formen zu lassen. Meine Kraft einzubringen, fest auf der Erde stehend. Paulus schreibt im Brief an die Gemeinde in Thessalonich von Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus und von der Mühe der Liebe die wir haben.

Oder lasse ich mich von anderen Dingen umprägen die nach Aufmerksamkeit schreien, die meine Kraft und Energie beanspruchen wollen. Wir kennen Sie: Hass, Neid, Angst, Vorurteile und Schubladen, Unsicherheiten, Wut, Unbarmherzigkeit,

in der Welt,

in unserer Gesellschaft aber auch

in unserem persönlichen Umfeld.

Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir unsere Energie auf sie richten und uns so von Ihnen umprägen lassen.

Jesus lässt sich im heutigen Evangelium nicht darauf ein. Er lässt die Pharisäer auflaufen. Er lässt sich nicht provozieren. Er bleibt auf Gott ausgerichtet. Standhaft in seiner Kraft. Er lässt ihren Prägestempel quasi ins Leere schlagen.

Bleiben auch wir auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Kraft ausgerichtet und lassen wir die anderen Prägestempel, die uns umprägen wollen ins Leere schlagen.

„‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“ So haben wir am Anfang von Franz Kamphaus gehört.

Lassen wir uns immer weiter von Gott prägen mit aller Kraft, damit sein Antlitz auf und durch uns immer stärker zu sehen ist. Damit er in dieser Welt durch uns sichtbar wird.

von Br. Benjamin Altemeier OSB

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

der Text des heutigen Evangeliums (Mt 22,1-14) wird besonders herausfordernd vom Ende her. Dort, wo der Mensch, der kein Hochzeitsgewand trägt, hinausgeworfen wird an den Ort der äußersten Finsternis. Und ganz am Ende des Evangeliums der Satz: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Was ist damit gemeint? Das lässt mich zunächst einmal ratlos zurück.

Gehen wir dennoch erst einmal an den Beginn des Evangeliums zurück.

Da lädt Gott in der Person des Königs die eingeladenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein. Ein Bild für die Gottesschau. Die Gäste haben aber andere Dinge zu tun. Und natürlich ist der Mensch frei, die Einladung abzulehnen. Dann aber werden die Diener getötet, und der König reagiert, indem er sein Heer schickt und die Stadt in Schutt und Asche legen lässt. Müssen wir nun unsere Vorstellung eines liebenden Gottes korrigieren? Nein, denn hier lässt sich die konkrete geschichtliche Erfahrung ablesen, dass die Menschen des ersten Bundes in Israel sich nicht alle der Jesusbewegung anschließen, also die Einladung aus der Sicht der Christen nicht angenommen haben. Die Stadt, die in Schutt und Asche liegt. ist Jerusalem, die 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde, nicht von Gott.

Dennoch stellt sich uns heute die Frage: Lasse ich mich von Gott stören in meinem Alltag? Ist er für mich präsent? Oder lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe?

Lasse ich mich von der Botschaft Jesu aufstören, gar aufschrecke? Oder hat sie längst keine Bedeutung mehr in meinem Leben? Höre ich „mit aufgeschrecktem Ohr“, wie es Benedikt im Prolog seiner Regel schreibt?

Die Botschaft Jesu, dass ein jeder Kind Gottes ist, wertvoll und geliebt;
die Botschaft Jesu: „Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“;
die Botschaft Jesu der Hinwendung zu den Bedürftigen, die uns auch heute fordert.

Dann erfolgt die zweite Einladung Gottes an den Menschen, und dieses Mal füllt sich der Festsaal. Die Botschaft Gottes durch Jesus richtet sich an alle. Ausnahmslos alle. Juden wie Heiden, Griechen wie Römer, und sogar an Böse und Gute. Alle sind gerufen. Auch die Bösen, und diese sogar als Erstes. Das war auch für die Christen, an die sich Matthäus richtet, verstörend. Damals wie heute gibt es in der Kirche, in den Gemeinden, in den Gemeinschaften die Selbstgerechten, die entscheiden wollen: Du gehörst dazu  – und Du nicht. Matthäus warnt auch uns, nicht eine Kirche ohne Sünder zu bilden, sondern, wie es Papst Franziskus ausdrückt, eine verbeulte Kirche, eine verbeulte Gemeinde, ja, liebe Schwestern und Brüder, eine verbeulte Gemeinschaft, in der der Sünder seinen festen Platz hat.

Aber nun zum Schluss, zum Menschen, der ohne Hochzeitsgewand kam und stumm blieb. Bei den Begriffen Hochzeit und Mahl wussten die Christen des Matthäus, dass es ums Ganze geht. Um die Gottesbegegnung, um den wiederkehrenden Christus, der uns begegnen will. Da müssen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, wachsam sein wie der Diener, der auf den Hausherrn wartet. Wir Christen sollen wachsam sein, kein verschnarchter und verschlafener müder Haufen.

Beim Hochzeitsgewand geht es nicht um den richtigen Dresscode. Wir Mönche nennen unser Gewand Habit. Daraus ableiten lässt sich der Begriff Habitus. Und dem schließt sich die Frage an: Habe ich den Habitus der Erwartung und der Sehnsucht?

Gott fragt uns: Was erwarten wir? Wonach sehnen wir uns? Hören wir die liebende, werbende Stimme Gottes noch? Die Frage Gottes lautet nicht: Was hast du erreicht? Was hast Du getan? Wieviel hast Du gebetet?

Gott fragt mich: Was bewegt mich? Was trägt mich? Was lässt mich hoffen?

Gott fragt mich: Wonach sehnst Du dich? Damit ich nicht stumm bleibe, kann ich mich vielleicht der Sehnsucht des Jesaja anschließen und antworten wie er:

Meine Sehnsucht ist:

Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen, und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde. Und weiter: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. (Jes 25,8-9)

Wenn wir uns dieser Verheißung anschließen können, sind auch wir berufen und auserwählt.