Hier finden Sie die Predigten unserer Brüder – sofern diese mit der Veröffentlichung einverstanden sind – zum Nachlesen. Gerade in der Zeit, in der unsere Gottesdienste wegen der Verbreitung des Coronavirus nicht öffentlich sind, möchten wir Ihnen so Anteil geben an unserem Leben.

von P. Matthias Skeb OSB

Liebe Schwestern und Brüder,

ich möchte Ihre Aufmerksamkeit heute Morgen auf die Lesung aus dem Buch Exodus (Ex 32,7-14) lenken.

Das ist eine ungewöhnliche und unglaubliche Geschichte, die Geschichte vom „Goldenen Kalb“ und von der Auseinandersetzung zwischen Mose und Jahwe. Vielleicht fühlen wir uns durch sie befremdet und peinlich berührt, denn hier tritt uns nicht die vertraute, schon fast zum Klischee erstarrte Gestalt eines liebenden, sondern eines aufbrausenden Gottes entgegen, der sein Volk vernichten will.

Nicht weniger ungewöhnlich ist die Rolle, die Mose in dieser Geschichte spielt. Sein leidenschaftlicher Einspruch klingt nicht wie die Bitte eines Geschöpfes, das ergeben Gottes Ratschluss akzeptiert, sondern eher wie das Plädoyer eines Rechtsanwalts, der den wütenden Richter zu beruhigen sucht und mahnt, nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Mehr noch, Mose erdreistet sich, mit göttlichen Worten Gott gegen Gott auszuspielen, wenn er ihn an die früher gewährte Hilfe und an das Versprechen erinnert, das er schon den Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte. Mose erinnert Gott nachdrücklich und entschieden an seine eigenen Zusagen. Soll das alles hinfällig sein?

Kurz vor dem Beginn der Lesung lesen wir im Buch Exodus, dass Mose einige Zeit bei Gott auf dem Berge weilte, um das Bundesangebot Gottes zu erhalten und die Weisungen, die das Leben vor Gott regeln sollen (32,1). Dort erfährt Mose vom Herrn selbst, was am Fuße des Berges während seiner Abwesenheit geschehen ist. Ihn selbst ist das wohl entgangen. Das Volk hatte sich „ein goldenes Kalb“ gegossen, das als Gottesbild dienen sollte; es hatte sich vor diesem niedergeworfen und ihm Schlachtopfer dargebracht und diesem Machwerk von Menschenhand sogar die Rettung aus Ägypten zugeschrieben. Das Volk hat sein Gottesbild, von dem es sich Rettung und ein gelungenes Leben erwartet, selbst fabriziert und zwar just in dem Moment als Mose auf dem Berg von Gott selbst erfährt, wie er sich das Leben mit seinem Volke vorstellt. – Ein Gott nach „Hausmacherart“. Menschen legen sich ihr Gottesbild selbst zurecht, anstatt sich sagen zu lassen, wer er ist: Glaube an Gott als Projektion irgendeines diffusen Bauchgefühls und Bedürfnisses von irgendwem von irgendwoher
Und gerade mit diesem dummen Kalb, werden die Israeliten bei ihren Zeitgenossen gut angekommen sein. Der Applaus und die Zustimmung der umgebenden Gesellschaften waren bestimmt gesichert, denn Stierbilder und Stierkulte waren in den Hochkulturen des Alten Orients weit verbreitet. Dass der biblische Autor nicht von einem Stier spricht, sondern von einem Kalb, zeigt nur seinen ätzenden Spott gegenüber dem orientalischen Stierkult. Der Stier verkörperte je nach Kontext Zeugungskraft, Fruchtbarkeit, Vitalität, Kampfkraft, Überlegenheit, Macht und Stärke – alles gesellschaftsfähige Qualitäten. Man durfte sich akzeptiert fühlen von den Zeitgenossen. Der Glaube an Jahwe, einen persönlichen Gott, der selbst sein Volk führt und sagt, wie es Volk sein soll, ist zu banaler Religiosität verkommen, ganz auf der Linie der Erwartungen der Zeitgenossen. Für den Verfasser des Exodus-Buches steht fest: Dieses Verhalten bedeutet Abfall, der ins Verderben führt. Was hier geschehen ist, kann nicht bloß als Ergebnis einer „schwachen Stunde“ entschuldigt oder als Folge von Ahnungslosigkeit oder Dummheit gedeutet werden. Sich ein Gottesbild oder die Botschaft des Glaubens selbst so zurechtzulegen, dass sie möglichst gleichgeschaltet ist mit gesellschaftlichen Idealen und opportunistisch an sie angepasst ist, das ist der Kern von Götzendienst. Das ist eine Urversuchung für den Glauben, auch unter uns Christen, auch in der Kirche! Heute mehr denn je! – Anlass genug, uns zu fragen, wie unsere „Golden Kälber“ aussehen, um die wir aufgeregt unsere Tänze aufführen und offensichtlich auch aufführen sollen. Ich muss hier nicht ins Detail gehen. Christus hat uns aufgefordert, Salz der Erde zu sein, nicht der fromme Zuckerguss auf dem Einheits-Keks gesellschaftlicher Mehrheitsmeinungen, der nur fett macht und dumm.

Noch einmal zurück zur Lesung. Mit ihrem schändlichen Treuebruch fordern die Israeliten selbst Gottes Urteil heraus.
Die Rede vom „lieben Gott“ und vom „guten Vater“, wie sie im Evangelium anklingt und wie sie uns allzu leicht über die Lippen geht, kann dazu führen, die Tatsache der Sünde zu verharmlosen, die sich „Götzendienst“ nennt und gewissenmaßen die Ursünde ist, dass nämlich der Mensch sein will wie Gott und die die Kontrolle darüber haben will, wie Gott ist. Gott nimmt diese Sünde ernst wie seine Auseinandersetzung mit Mose zeigt. Nein, dieses Streitgespräch beinhaltet nicht ein vermenschlichtes Gottesbild, in dem Gott mit einem Menschen feilscht, wie ein orientalischer Händler auf einem Basar. Es ist letztlich nur eine literarische Einkleidung. Gerade die literarische Form des dramatischen Streit-Dialogs will deutlich machen, wie schwer die Sünde des Götzendienstes wiegt, die darin besteht, sich sein Gottesbild, sein Kirchenbild und seine Beziehung zu Gott nach dem Kriterium gesellschaftlicher Opportunität zurechtzulegen und an den Obsessionen gesellschaftlicher Meinungsmacher auszurichten. Wider Erwarten verzehrt Gott sein Volk nicht, er gibt ihm die Möglichkeit, zu ihm zurückzukehren, immer wieder, in unfassbarer Geduld. Gott ist eben viel größer und barmherziger als das, was wir Menschen uns über ihn ausdenken können. – Um welche blökenden Kälber wir auch tanzen. Wir Christen und wir Katholiken im Besonderen sollten das gesunde Selbstbewusstsein haben, den goldenen Kälbern unserer Zeit entgegenzutreten und nicht um sie herumzutanzen. Wer sonst soll das heute noch tun? Haben wir also den Mut zu einer intelligenten Form des „unmodisch“-Seins: nicht „altmodisch“, nicht „neumodisch“, sondern „un-modisch“, weil gesellschaftliche Moden und Obsessionen für das Bild, das wir von Gott und seiner Kirche haben, letztlich kein Maßstab sind. Die Heilige Schrift weiß das noch und die junge Kirche der ersten Jahrhunderte wusste das ebenfalls. Haben wir das vergessen?

Miteinander oder Gegeneinander

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

I.

Das Evangelium lässt mir heute nichts anderes übrig, als eine Höllenpredigt zu halten.
Schließlich hieß es dort: „Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Ísaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid.“

Um etwas anschaulicher zu machen, worum es geht, möchte ich mit einer kleinen Geschichte beginnen, die vermutlich viele von Ihnen kennen:
Ein Rabbi, so wird erzählt, habe Gott gebeten, ihm einmal den Himmel zu zei­gen. Da er im Gebet nicht nachließ, sandte ihm Gott einen Propheten, der ihn zu einem kleinen Ausflug ins Jenseits mitnehmen sollte. Dabei kamen sie in einen großen Saal, angefüllt vom Geschrei und Fluchen ausgehungerter Men­schen, die um große Kessel mit wohlschmeckender Speise saßen. Vergeblich versuchten sie, mit langen Löffeln, die man nur am Stielende anfassen konnte, die Speise zum Munde zu führen. Ihr erfolgloses Unternehmen brachte sie zu Raserei und Verzweiflung. „Was ist das hier“, fragte der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, antwortete dieser.
Bald darauf betraten sie einen zweiten großen Raum. Auch hier saßen Men­schen um Kessel mit angenehm duftender Speise; sie waren wohlgenährt und vergnügt und unterhielten sich in fröhlicher Weise. Auch sie hatten nur lange Löffel, um die Speise zum Munde zu führen. Sie hatten das Problem aber da­hingehend gelöst, dass jeder seinem Nachbar gegenüber das Essen reichte. „Was ist das“, fragte der Rabbi. “Der Himmel“ antwortete der Prophet.

Die Geschichte will auf die Frage hinaus, was der Unterschied zwischen Himmel und Hölle ist – und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass es keinen gibt. Die Bilder für den Himmel und die Hölle sind genau gleich: Ein Saal, in dem, so heißt es in der Bildsprache des Erzählers, „Kessel mit wohlriechender Speise“ bereit stehen, die darauf wartet genossen zu werden.

Der Unterschied zwischen Himmel und Hölle sind die Menschen. Es gibt Menschen, die vollenden ihr Leben als solche, die die wunderbarste Begabung des Menschen gepflegt und geübt haben, nämlich die Begabung „himmlisch“ zu leben; und es gibt Menschen, deren schreckliches Lebensergebnis besteht in der Fähigkeit, sich und anderen den Himmel zur „Hölle“ zu machen.

Ich glaube, die Vorstellungswelt dieser Geschichte trifft das mit „Himmel“ und „Hölle“ Gemeinte entschieden besser als ein idyllischer „Himmel“ mit Barockengelchen oder eine als Drohmittel benutzte „Hölle“ mit kleinen Teufelchen. Der Himmel ist nicht die Belohnungsanstalt für die Braven und die Hölle ist nicht die Strafanstalt für diejenigen, die zu viele Fehlerpunkte auf dem Konto haben.

II.

Leider ist eine Jahrhunderte lang übliche Art, „Himmel“ und „Hölle“ als Einrichtungen zur Belohnung und Bestrafung darzustellen, mitschuldig daran, dass das eigentlich Gemeinte kaum ernst genommen wird, – mit der fatalen Folge, dass wir eine entscheidende Dimension des Menschseins ausblenden, obwohl wir zugleich merken, dass wir sie nicht loswerden. Es ist die Tatsache, dass unsere Art zu leben nicht folgenlos ist, dass wir tatsächlich eine letztgültige Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen unserer Existenz haben und nicht einfach nur das Produkt zufällig glücklicher oder schwieriger Lebensumstände sind.

Noch einmal in der Bildsprache der Geschichte gesagt: Entweder bleibe ich gegen meine Mitmenschen hungrig und gierig oder ich kann mit ihnen gesättigt und zufrieden sein. Entweder nütze ich meine Lebenszeit, um für den Himmel zu trainieren und „kann Himmel“, wenn ich dort ankomme, oder ich gewöhne mich so an die Hölle, dass ich nur „Hölle kann“, und deshalb im Himmel lebensunfähig bin.
Was ist die entscheidende Lebensregel des Himmels?
Ich bin nicht selbst meines Glückes Schmied, sondern ich bin da wirklich Mensch nach Gottes Vorstellung, wo ich im Wechselspiel von beschenkt Werden und Schenken mitmache und dieses Wechselspiel Tag um Tag, Situation für Situation einübe und trainiere. In der Bildlichkeit der Geschichte: Wo ich mir das, was ich zum Leben brauche, selber zusammenraffe, werde ich zur wild um mich schlagenden Furie, zum leibhaftigen „Teufel“. Doch da, wo ich es schaffe, mich anzuvertrauen und für andere zu sorgen, da bin ich im besten Sinn des Wortes ein „Engel“.

Sie merken: So zu leben ist in der Tat etwas völlig anderes als das, was wir für normal halten, die  wir doch alle mehr oder weniger ausgeprägt nach der Devise leben: „Der einzige, auf den ich mich verlasse, bin ich selbst.“ Deshalb ganz nüchtern meine These: Vom Himmel sind wir alle noch ziemlich weit entfernt. Oder anders gewendet: Eigentlich haben wir erst einen kleinen Bruchteil dessen, was Jesus wirklich will, tatsächlich verinnerlicht und realisiert.

III.

Wie kann das gehen, für den Himmel zu trainieren, durch die „enge Tür“ zu kommen? Das Bild enthält eigentlich schon die Antwort. Jeder weiß: Wenn ein Loch für mich zu klein ist, werde ich nie durchkommen, sondern trotz noch so großer Anstrengung früher oder später hoffnungslos festsitzen. Der einzige Weg ist: Ballast abladen.

Dazu einige ganz direkte „Testfragen“ für jede und jeden persönlich:
Wo habe ich mich so mit Sicherheit, mit Macht und Geld, mit Erwartungen und Ansprüchen bepackt, dass darüber meine innere Freiheit verloren gegangen ist?

Wo machen mich starre Ansichten so unbeweglich, dass ich nicht mehr die Wirklichkeit und das Mögliche sehe, sondern nur noch meine Angst- oder Machtphantasien?

Wo habe ich mich so sehr verbissen in den Wahn, ich müsste alles selber machen, dass niemand mir helfen kann, – selbst wenn ich buchstäblich umstellt bin von Menschen, die auf nichts sehnlicher warten als auf die Gelegenheit mir Gutes zu tun?

Wo habe ich mich derartig auf meine eigenen Nöte und Ängste fixiert, dass ich überhaupt nicht mehr mitbekomme, wie vielen es mindestens ebenso schlecht oder noch viel schlechter geht?

Finde ich, dass nur das etwas wert ist, was ich selbst geleistet habe, oder kann ich genießen, was mir andere „einfach so“ zukommen lassen?

Ich könnte jetzt noch lange fortfahren mit Beispielen für Situationen, die zur Hölle werden, wenn ich mit aller Gewalt meine eigene Haut retten will. Dabei könnte jeder Augenblick meines Lebens, sogar jede Durststrecke, der Himmel sein, wenn sie mich ganz schlicht dazu brächten, den Kreislauf der Liebe in Gang zu setzen, das wunderbare Wechselspiel von Empfangen und Geben, – als Kontrast zum eiskalten „Ich will auf niemanden angewiesen sein“.

Zusammengefasst: So lange wir von der fixen Idee besessen sind, uns den Himmel selbst zu machen, hat Gott keine Chance, – und wo Gott keine Chance hat, da ist die Hölle – und das nicht erst im Jenseits, sondern hier und jetzt.
Gott wartet auf Menschen, die sich von ihm den Himmel schenken lassen können und ihn weiterschenken. Dann ist das Evangelium Wirklichkeit: „Man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“

von P. Klaus-Ludger-Söbbeler OSB

„Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“ (zu Gal 5,1.13-18 und Lk 9,51-62)

Kaum ein Wort hat in Geschichte und Gegenwart mehr Wirkung als das Wort „Freiheit“. Da wo Freiheit lockt, sind Menschen fasziniert, wo Freiheit in Gefahr gerät, herrscht Alarmzustand. Die Ansage dass der Mensch „zur Freiheit berufen“ ist, ist eine der segensreichsten Spuren der biblischen Religionen – des Judentums und des Christentums – in der Weltgeschichte. Für das Volk Israel war die Erfahrung, dass Gott da ist, wo der Mensch frei ist von der Beherrschung durch Menschen der schlechthinnige Grundimpuls, – beginnend mit dem Auszug aus der Knechtschaft des Pharao in die Freiheit Gottes. Jesus hat diesen Grundimpuls seiner jüdischen Wurzeln verkörpert: Nicht einmal Kreuz und Tod setzen der Freiheit eine Grenze, weil die Grenze des Daseins in Raum und Zeit nicht das Ende, sondern der Übergang in die Vollendung ist.

Doch spätestens seit der Europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts hat sich die Christenheit den Kampf um die Freiheit aus der Hand nehmen lassen, – weil sie zu sehr verstrickt war in den Kampf um die Macht: Statt zur Freiheit zu befähigen, hat man kirchlicherseits Freiheit zur Bedrohung erklärt, – vor der man die Menschen meinte schützen zu müssen. Christ zu sein reduzierte sich in der Erfahrung vieler auf ein System kaum verständlicher und mit äußerem Druck durchgesetzter Regulierungen. Das fatale Ergebnis sehen wir heute: Immer mehr Menschen halten Religion für etwas Überflüssiges oder sogar Schädliches. Die Kirchen ihrerseits sind so sehr damit beschäftigt, sich selbst am Laufen zu halten, dass sie kaum noch Kraft haben, ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, – nämlich, den Menschen den Zugang zu einer im Gottvertrauen gründenden Freiheit zu ermöglichen. Die Kirche ist dazu da, für Gott den Platz zu schaffen, der seiner unendlichen Größe entspricht. Wo sie den Verengungen des Daseins nur eine weitere hinzufügt, stellt sie sich tatsächlich selbst infrage.

Dabei ist aus Gottvertrauen gelebte Freiheit dasjenige, was die Welt in der vielfach verfahrenen Gegenwartssituation so dringend brauchen würde, – angesichts der allgegenwärtigen Bedrohungen der Freiheit und angesichts der missbräuchlichen Verwechselung von Freiheit entweder mit verantwortungsloser Beliebigkeit oder mit schrankenloser Selbstüberhöhung. Wie wichtig und zugleich wie gefährdet dieser Freiheitsauftrag der Kirche ist, wusste schon Paulus, als er an die Galater schrieb: „Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“

Freiheit im biblischen Sinn hat zum Ziel, dass die Menschen unbelastet sind von allem, was nicht menschlich ist, damit sie die Menschen sein können, die die sie eigentlich sind, – ohne all die unnötigen und zerstörerischen Zwänge, die sie sich selbst auferlegen oder von anderen aufgedrückt bekommen. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild“ weiß die Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27). „Ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde“, sagt Jesus (Jo 15,15)

„Abbild Gottes“ ist ein Mensch da, wo er nicht von der Angst getrieben wird zu kurz zu kommen. „Freund Jesu“ ist ein Mensch da, wo in ihm das Vertrauen lebendig ist, dass er nicht leben muss, um zu sterben, sondern dass er sterben wird um zu leben.

Solche Freiheit entsteht weder durch am Schreibtisch konstruierte Freiheitstheorien noch durch aggressive Befreiungsschläge; Solche Freiheit wächst in alltäglichen Situationen, wie sie das heutige Evangelium an einer ganzen Kette von Beispielen vorführt:

  • „Man nahm Jesus nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht.“
    Ein freier Mensch kann akzeptieren, auf Ablehnung zu stoßen, ohne sich selbst untreu zu werden und ohne sich mit Zwang und Gewalt durchzusetzen.
  • „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“
    Ein freier Mensch kommt ohne ichbezogene Absicherungen und ohne blockierende Panzerungen aus, weil Gott Sicherheit genug ist.
  • „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“
    Momentum der Freiheit ist der jeweilige Augenblick. Ihn kann ich in Freiheit annehmen, oder ich kann ihn – gelähmt durch die Verstrickung in Vergangenes oder die Angst vor dem Kommenden – dumpf verstreichen lassen und damit wertlos machen.
  • „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“
    Die Vergangenheit kann das Fundament sein, auf dem wir auf- und weiterbauen, – sie wird jedoch zum Fluch, wo sie uns fesselt, indem wir uns an sie klammern, um das Voranschreiten zu vermeiden.

Kurz: Jeder Mensch hat als wichtigsten Lebensauftrag, das kleine Stückchen Zeit und Welt, das jetzt und hier ist, für Gott frei zu halten, damit der Mensch nicht Knecht von irgendwem oder irgendwas ist sondern Abbild Gottes. –
Wo immer das gelingt, da hat der Zuspruch des Paulus an die Galater zu wirken begonnen: „Zur Freiheit hat Christus uns befreit.“

von Br. Anno Schütte OSB

Predigttext: Lk 9,18-24

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich? – Petrus antwortete: Für den Christus Gottes.“ – Diese Antwort klingt nicht oberflächlich oder angelernt. Da ist einer von jemandem überzeugt. Vielleicht sogar begeistert? Petrus bekennt klar und mutig in kürzester Form seinen Glauben: Jesus ist der Christus – also der Gesalbte, der Messias und Sohn Gottes. Für ihn ist Christus der Erlöser aller Menschen. – Jesus lässt das Bekenntnis so stehen, keine Korrektur oder Ergänzung – es gilt. Doch anstatt Petrus und die anderen Jünger zu ermutigen, diese Wahrheit zu verbreiten, hörten wir Erstaunliches: „Er befahl ihnen und wies sie an, es niemandem zu sagen.“

Warum weist Jesus sie an, das nicht zu tun? Es wäre doch im Sinne der Verbreitung der Sache Jesu, seines Evangeliums, seiner frohen Botschaft von der Erlösung.

Zudem war es bisher in ihrer Bewegung gut gelaufen: Direkt vor dem gehörten Abschnitt aus dem Lukasevangelium wird von der wundersamen Speisung der Fünftausend berichtet – das wird für Furore und ein positives Image gesorgt haben. Und davor hatten die Jünger – erstmals von Jesus ausgesandt – das Evangelium verkündet und überall geheilt. Die Kunde ihrer Erfolge drang bis in höchste Kreise vor: Sogar der Herrscher Herodes hat den Wunsch, Jesus zu sehen.  – Alle Signale stehen also eigentlich auf Grün: Ihre Bewegung könnte weiter an Fahrt gewinnen.

Warum also verbietet Jesus, das Christusbekenntnis von Petrus zu verbreiten? Versteht Jesus darunter etwas Anderes? Vielleicht ahnt Jesus eine Gefahr: Wollen Petrus und die Jünger mit ihm, dem ersehnten Christus-Messias, groß rauskommen – vielleicht unbewusst? Erfolge können berauschen und übermütig machen. Das kann dann auf Kosten anderer gehen: Sie werden klein gemacht, um selbst noch größer zu erscheinen.

Und hat sich diese Gefahr nicht bestätigt? Bei allem segensreichem Engagement – zweifellos – aller Hingabe bis ins Martyrium: In der Welt- und Kirchengeschichte wurde auch klein gemacht, ausgegrenzt, nach Macht gegiert, von oben herab abgekanzelt und im Geist und in der Tat gemordet, um selbst groß rauszukommen. Bis heute zeigt sich, wie brutal Menschen werden können, wenn sie „groß“ geworden sind und wie viele ihnen dabei – oft um der eigenen Vorteile willen – folgen.

Dahinter steckt letztlich die Angst, selbst nicht genug zu sein. Die Erfahrung der eigenen Grenzen und der Unvollkommenheit ist ja real und treibt uns um – auch ins Negative. Menschen tun – neben allem Guten – auch Böses und unterlassen das Gute. Jesus ist Realist, deshalb weiß er, dass die Boshaftigkeit Teil menschlicher Freiheit ist und dass besonders diejenigen, die groß rausgekommen sind brutale Täter auch an ihm werden: „Und er sagte: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden.“ – Offensichtlich ahnt er auch aus tiefster Nacht den aufgehenden Morgen, der ihm geschenkt wird…

Worauf gründet Jesu Hoffnung? Ein Blick zurück hilft weiter: Bei seiner Taufe hatte sich der Himmel geöffnet und er hörte: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Jesus erfährt Gott als absolute Liebeszusage. Im Tod wird sie endgültig bestätigt und ihn auferwecken. Gottes Gegenwart beruhigt schon in diesem Leben existenziell und setzt Liebesenergie frei. Dieser Jesus lebt und liebt intensiv! Davon haben die Leute und seine Jünger mittlerweile erfahren: Einige durch Heilungen, und bei der Speisung der Fünftausend haben viele davon – wortwörtlich – etwas abgekriegt. Vielleicht erinnerte sich Jesus im Gebet – damit begann unser Abschnitt – an diese absolute und unzerstörbare Liebesverbundenheit mit Gott. Dies ist die innere Qualität des Selbstverständnisses Jesu. Sie ist das Fundament seines Christus-Seins. Sie braucht nicht von oben herab auf Kosten anderer zu leben, sondern geht nach unten, zu den Menschen, so wie sie sind, um ihnen die unzerstörbare göttliche Liebesverbundenheit anzubieten – an sie zu erinnern, weil sie im Grunde schon in ihnen ist und immer war.

Schritte auf dem Erlösungsweg dahin bietet Jesus allen an. Seinen Jüngern – auch uns – lädt er ein ihm zu folgen. Dabei werden wir einzeln angesprochen – Jesus will keine Meute, die willenlos hinter ihm herläuft: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“ Es kommt darauf an, mit Jesus, dem Christus, verbunden zu bleiben und auf diesem Grund ins Vertrauen zu gehen. „Sich verleugnen“ könnte dann heißen: Weniger dem eigenen Ego folgen, sondern mal was Anderes – möglichst Liebevolleres – ausprobieren, sein Leben ändern und auch ändern lassen. „Das tägliche Kreuz aufzunehmen“ könnte bedeuten die Last des Lebens anzunehmen, weil wir nur so erfahren, dass wir auch in der Schwere Getragene sind, so, wie der Erdboden uns bei jedem Schritt von Neuem trägt. „Das Leben um seinetwillen verlieren“ kann uns ahnen lassen, dass wir mehr erhalten, wenn wir teilen: „Geben ist seliger denn nehmen.“ Das können wir tun. Auch das weiß der Volksmund: „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude!“

von P. Erasmus Kulke OSB

Als der 1996 verstorbene Pastoralpsychologe Henry Nouwen, ein angesehener Professor und international äußerst erfolg­reicher geistlicher Autor in eine tiefe Sinnkrise geriet, zog er sich für 7 Monate in ein Trappistenkloster zurück. Als er den Abt nach einem Rat fragte, der ihm in dieser schwierigen Situation helfen könnte, sagte der: „Machen Sie zum Mittel­punkt Ihres Meditierens das Wort: Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“ Henry Nouwen stutzte, denn herrlich fühlte er sich zu dem Zeitpunkt natürlich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich leer, ausgepowert, niedergeschlagen.

Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben Sie gerade auch gestutzt, vielleicht aus einem ähnlichen Grund, weil sie sich auch nicht herrlich fühlen. Vielleicht aber auch, weil Sie meinen, dass das doch sehr vermessen und anmaßend ist. Nun, der Trappistenabt war ein großer geistlicher Meister. Als solcher kannte er sicherlich das oft zitierte Wort des Irenäus von Lyon, eines Kirchenvaters aus dem 2. Jahrhundert: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch.“ Ein wahrhaft gewaltiges Wort, das sicherlich auch uns guttäte, wenn wir es meditieren würden. Natürlich hat Irenäus von Lyon das nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern auf dem Fundament biblischer Offenbarung eine Wahrheit pointiert formuliert.

In unserem heutigen Evangelium klingt etwas sehr Ähnliches an, wenn Jesus zu seinem Vater betet: „Ich habe ihnen [ge­meint sind die Jünger] die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast.“ Doch was meint eigentlich der Begriff „Herr­lichkeit“? Wenn die Bibel von der Herrlichkeit Gottes spricht, meint sie damit die unfassbare, wunderbare, lebendige Aus­strahlung Gottes, seine Schönheit, seine gewaltige Größe und Kraft, sein erhabenes majestätisches göttliches Wesen, dass sich oft in einem strahlend hellen Lichtglanz äußert, wie zum Beispiel bei der Verklärung Jesu auf dem Tabor. Auch Jesus Christus, der „vor aller Zeit aus dem Vater geboren“ ist, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, ist diese Herrlichkeit zu eigen. Er selbst spricht ein paar Verse vor unserem heutigen Ab­schnitt davon: „Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war!“ (Joh 17,5) Und aus lauter Liebe zu uns Menschen, weil er uns ganz nahe sein wollte, hat er auf diese Herrlichkeit verzichtet und ist Mensch geworden. „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ So formuliert es der Philipperbrief (2,6f.).

Er ist Mensch geworden, weil er uns so sehr liebt, dass er ganz eins sein möchte mit uns und uns an seinem göttlichen Leben, an seiner Herrlichkeit Anteil geben will. „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ So haben wir es gerade im Evangelium gehört. Wenn man das recht bedenkt, ist das schon wirklich gewaltig. Die christliche Tra­dition spricht hier von einem „wunderbaren Tausch“. Der Schöpfer des Menschen, Gott, wird selbst ein Mensch und schenkt uns Menschen seine Gottheit. Ja, Gott gibt sich in Jesus uns Menschen ganz und gar hin, behält nichts für sich zurück, auch nicht seine göttliche Herrlichkeit.

Der große Mystiker Johannes vom Kreuz sagt: „Was Gott be­ansprucht, ist, uns zu Göttern durch Teilhabe zu machen, wie er es von Natur aus ist, so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“ Ja, indem wir ganz eins mit Gott werden, werden wir immer mehr in ihn verwandelt, „so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt.“

Das ist die große Sehnsucht Gottes, seine herzliche Einladung an uns: in Liebe ganz eins zu sein, immer mehr eins zu werden mit ihm, wir in ihm und Er in uns. Das gilt nicht nur „spiritu­ellen Überfliegern“, nicht nur besonders „frommen“ Men­schen, Ordensleuten oder Priestern, sondern allen. Weil er uns alle unendlich liebt. Hier geht es um nicht weniger als um das Fundament unseres christlichen Glaubens!

An uns liegt es, mit unserem Glauben wirklich ernst zu machen, diese Einladung anzunehmen, mit Gott in einem Be­ziehungsverhältnis zu leben, in einer tiefen Lebens- und Lie­besgemeinschaft. Und was kann schöner und beglückender sein als mit jemanden ganz eins zu sein, von dem man weiß, dass er mich bedingungslos und unermesslich liebt?

Von Gott her ist das Eins-sein immer schon da. Das muss ich mir nicht erst verdienen, erwerben, weil Gott „in jeglicher Menschenseele, und sei es die des größten Sünders der Welt, wesenhaft wohnt und gegenwärtig ist”, wie Johannes vom Kreuz sagt. Vielmehr geht es darum, wach zu werden für diese tiefste Wahrheit unseres Wesens, und dann daraus mein Leben zu gestalten, mich der Liebe Gottes hinzugeben und mich von ihm verwandeln zu lassen, damit seine göttliche Herrlichkeit immer mehr Raum greift in mir, immer mehr durch mich hin­durch scheint und strahlt. Damit ich spüre, dass das Wort wahr ist: Ich bin die Herrlichkeit Gottes!

von P. Maurus Runge OSB

Ich muss gestehen, dass ich mit dem heutigen Hochfest „Christi Himmelfahrt“ als Kind nie so richtig etwas anfangen konnte. Es war zwar schön, einen zusätzlichen Ferientag zu haben (ein Luxus, der Menschen aus Italien oder Spanien nicht vergönnt ist, denn hier fällt Christi Himmelfahrt wie auch das Fronleichnamsfest auf einen Sonntag), doch die Botschaft hinter dem Fest war mir nie so ganz eingängig. „Himmelfahrt“ – das klingt mehr nach Science Fiction und göttlicher Hebebühne als nach etwas, das mir in diesem Leben weiterhilft, das mir zeigt, wie ich im Alltag leben soll.
Später habe ich dann im Theologiestudium gelernt, dass Himmel nicht unbedingt der physische Ort am Himmelsgewölbe ist, sondern eher ein Zustand der Verbundenheit und Gemeinschaft. Das Englische kennt hierfür zwei unterschiedliche Wörter: „sky“ für den physischen Himmel über mir mit Sonne, Mond und Sternen, und „heaven“ für all das, was wir theologisch-spirituell unter Himmel verstehen.
Doch trotzdem stellt sich angesichts der Lage unserer Welt und Kirche für mich die drängende Frage: Wie kann ich den offenen Himmel feiern, in den Jesus eingegangen ist, wenn der Himmel für so viele Menschen weltweit nicht von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus, sondern vom Artilleriefeuer der Kriegsmaschinen erleuchtet wird?
Wie kann ich den Himmel feiern, wenn dieser Himmel für unzählige Menschen verdunkelt wird, weil sie im Raum der Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben?
Wie kann ich an einen offenen Himmel über uns glauben, wenn so vielen Menschen, und zwar nicht den Gleichgültigen, sondern den Engagierten dieser Himmel durch die Kirche so sehr verdunkelt wird, dass sie ihn in dieser Kirche nicht mehr zu sehen vermögen und diese Kirche verlassen, auf allen Ebenen? Und wenn die einzige Reaktion vieler nicht konsequentes Handeln ist, ein Ändern des Systems, das offensichtlich Missbrauch begünstigt, sondern Floskeln der Betroffenheit, eine regelrechte „Betroffenheitslyrik“ und „Erschütterungserschütterung“, wie es die Journalistin Christiane Florin auf den Punkt bringt?

Mitten in meine Zweifel hinein höre ich den Satz aus der Himmelfahrtserzählung der Apostelgeschichte, den wir zu Beginn im Introitus gesungen haben, der also sozusagen als Leitmotiv, als Grundton über diesem Tag steht: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11) Und ich lese die kraftvollen Sätze aus beiden Lesungen, die die Jünger zur Zeugenschaft, zur Verkündigung, zum Handeln aufrufen: „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samárien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) – „Angefangen in Jerusalem, seid ihr Zeugen dafür. Und siehe, ich werde die Verheißung meines Vaters auf euch herabsenden.“ (Lk 24,48-49)

Also: Nicht ein ängstliches In-den-Himmel-Starren, das Lösungen von oben, in einer fernen Zukunft erwartet, sondern ein kraftvolles Einstehen für die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth mitten in dieser Welt – als Geist-Begabte, von ihm gesegnete Menschen.
Keine Betroffenheitslyrik, die in offiziellen Statements oder ellenlangen Facebook-Postings sagt, man habe verstanden und werde sich ändern, Schritte der Veränderung einleiten, sondern jetzt das tun, was mir möglich ist, um die befreiende Botschaft Jesu zu verkünden – mag es auch den Widerspruch derer hervorrufen, die schon immer zu wissen glaubten, was katholisch ist und was nicht.

Was wäre aus dem Christentum geworden, wenn die ersten Jünger ängstlich im Obergemach geblieben wären und nicht hinausgegangen wären auf die Straßen und Marktplätze der Welt? Ihre Kleider wären vielleicht sauberer geblieben, und ihre Herzen unverwundeter, aber um welchen Preis? Die Apostelgeschichte, die wir in dieser Osterzeit wieder gehört haben, zeigt doch ganz deutlich den großen Freimut der Jünger, die Wahrheit Jesu Christi zu verkünden, auch gegen den Widerstand der Herrschenden. Sie zeigt den Mut der ersten Christen, mehr sein zu wollen als eine jüdische Splittergruppe, sondern sich bewusst fremden Kulturen auszusetzen und sich in dieser Auseinander-setzung neu zu finden.

Das Fest Christi Himmelfahrt führt mich nicht in einen fernen Himmel über mir, der nichts mitbekommt vom Leid dieser Welt. Sondern es stellt mich in die Verantwortung, mich hier und jetzt dafür einzusetzen, dass dieser Himmel sichtbar ist und bleibt für die Menschen, dass niemandem dieser Himmel verdunkelt wird. Jesus mag zwar physisch nicht mehr anwesend sein in dieser Welt – er bleibt aber anwesend überall da, wo Menschen seine Botschaft zu leben versuchen, sei es innerhalb, sei es außerhalb der Kirche. In diesem Sinne gibt es dann doch viele Erfahrungen des Himmels mitten in dieser Welt – da wo Menschen ganz unkompliziert geholfen wird, wo ihnen zugehört wird, wo sie ihre Geschichte, auch ihre Leid-Geschichte in dieser Kirche erzählen können.

Ja, wir werden dabei nicht mit heiler Haut davonkommen, nicht als Einzelne und nicht als Kirche. So manche Wunde wird bleiben, und wir werden sie mit uns tragen. Wir werden, wie es Hilde Domin in einem Gedicht schreibt, „eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.“ „Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.“ Dieser Wunsch ähnelt ein wenig den Betroffenheitsrhetorikern unserer Tage, die meinen, es wäre mit ein paar salbungsvollen Worten getan. Auch Jesus ist nicht einfach so in den Himmel aufgenommen worden, sondern durch das Kreuz hindurch, als Verwundeter. Er ist und bleibt der verwundete Gekreuzigte, auch in der sprichwörtlichen Herrlichkeit. Allein diese Bitte taugt nach Hilde Domin: „Dass wir aus der Flut, dass wir aus der Löwengrube und aus dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.“ Das wäre dann auch eine Himmelfahrt, die so ganz anders ist als die im Triumphwagen hinauf – weil der Himmel nicht weit weg ist, sondern uns ganz nah, innerlicher als unser Innerstes. AMEN.

von P. Maurus Runge OSB

Liebe Schwestern und Brüder!

Vor knapp zwei Wochen, mitten in der Karwoche, fand ein großes „Live-Event“ auf dem Burgplatz in Essen vor der Kulisse des Essener Domes statt, das ein großer privater Fernsehsender ausgerichtet hat. Es wurde mit vielen mehr oder weniger bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern, mit Einspielern und Livemusik und Thomas Gottschalk als Erzähler eine Geschichte aufgeführt, die viele Menschen berührt, ja zu Tränen gerührt hat. Das Event trug den Namen „Die Passion – die größte Geschichte aller Zeiten“ – und es handelte sich tatsächlich um die Passionsgeschichte von Jesus Christus, die wir in derselben Woche in den Kirchen gehört haben. Die Worte waren wörtlich den Evangelien entnommen, die Geschichte selber ist so übersetzt worden, als geschehe sie in der Gegenwart mitten in der säkularen Großstadt Essen. So fand das Messiasbekenntnis des Petrus im größten Essener Einkaufszentrum statt, die Lebensmittel für das Letzte Abendmahl wurden an einer Imbissbude gekauft, und die Ölbergszene wurde auf das Gelände der Zeche Zollverein verlagert. Manches daran war für christliche Augen sicherlich zunächst verstörend, doch ich finde, dass gerade in solcher Verstörung und Irritation auch etwas Heilsames liegen kann – denn haben wir uns nicht so sehr an die Passionsgeschichte gewöhnt, dass wir gar nicht mehr das Herausfordernde, Provozierende, Berührbare daran erleben? Da hilft so manche Störung, neu auf die zeitlos aktuelle Botschaft dieser Story hinzuhören. Das moderne Passionsspiel, das übrigens völlig auf brutale Bilder der Kreuzigung verzichtete, wurde immer wieder durch deutsche Popsongs unterbrochen, moderne Passionslieder sozusagen, deren Text erstaunlich gut zur Geschichte passten. Parallel zur Geschichte, die auf dem Burgplatz erzählt wurde, trugen ganz unterschiedliche Menschen in einer Prozession ein großes Lichtkreuz durch die Essener Innenstadt und berichteten dabei von ihren Erfahrungen und Lebensschicksalen – berührende Glaubenszeugnisse, die vielleicht nicht immer klassische Kirchenbiographien waren, aber nicht weniger authentisch und echt.

Mich hat dieses moderne Passionsspiel seltsam berührt. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass ein Privatsender, der sonst nicht unbedingt für christliche Botschaften bekannt ist, etwas schafft, wozu wir in unseren Kirchen immer weniger in der Lage zu sein scheinen: viele Menschen zusammenzubringen, die innerlich angerührt, ja auch ehrfürchtig, an dieser Geschichte teilnehmen – und vielleicht sogar am Ende verändert zurück in ihren Alltag gehen; am Ende stand der Appell zu Solidarität und Nächstenliebe, auch im Angesicht der vielen modernen Passionsgeschichten von Menschen heute, in der Ukraine, Russland, im Heiligen Land und anderswo.

Als Leitmotiv über dieser Veranstaltung stand ein Satz, der einem Lied der Gruppe Revolverheld entnommen ist, das am Ende der Jesus-Darsteller über den Dächern der Stadt Essen gesungen hat: „Halt dich an mir fest, wenn dein Leben dich zerreißt. Halt dich an mir fest, wenn du nicht mehr weiterweißt. Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt.“

Was hat das nun alles mit dem heutigen Oktavtag von Ostern zu tun und mit dem Evangelium der Begegnung des Auferstandenen mit Thomas, das wir gerade gehört haben?
Wir stehen am Ende der Osteroktav. Morgen geht nach den Osterferien für viele von uns das Alltagsleben weiter. Die Frage, die über diesem Tag steht, lautet: Was bleibt? Was bleibt von der Feier der Kar- und Ostertage der letzten Wochen, von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi? Was bleibt von der österlichen Hoffnungsbotschaft in einer Zeit, die ganz und gar nicht zur Hoffnung einlädt? Was bleibt, „wenn das Leben uns zerreißt und wenn wir nicht mehr weiterwissen“?

An diesem Übergang begegnet uns der Apostel Thomas. Er war bei der ersten Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Jesus nicht dabei. Er weigert sich zu glauben, wenn er nicht die Wunden berühren kann, wenn er es nicht mit allen Sinnen fühlen kann, wenn er sich ganz wörtlich an den Wunden Jesu festhalten kann. Und Jesus geht auf seinen Wunsch ein. Er sagt zu ihm: „Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite! Halt dich an mir fest, weil das alles ist, was bleibt!“

„Berühre die Wunden!“ So lautet ein Buchtitel des tschechischen Priesters und Theologen Tomás Halík. Jesus ist nicht als strahlender Sieger auferstanden – auch wenn wir ihn gerne so besingen. Er ist mit seinen Wundmalen auferstanden. Und er lädt uns ein, seine Wunden zu berühren, uns berühren zu lassen von seinen Wundmalen, die uns in den Wunden unserer Welt und der vielen Menschen in ihr entgegenkommen. „Lass dich berühren von meiner Passion, wo auch immer sie erlebt und durchlitten wird – innerhalb und außerhalb unserer Kirchen, auf den Schlachtfeldern der Welt, in den großen und kleinen menschlichen Dramen von Schuld, Verrat, Verleugnung, Gewalt.“

Unsere Osterkerze bringt in diesem Jahr diese Botschaft eindrücklich ins Bild. An der Stelle der fünf klassischen Wundmale finden sich Friedenstauben, Boten des Friedens. Sie scheinen aus diesen Wundmalen hervorzufliegen, um den Frieden, den der Auferstandene seinen Jüngern zuspricht, in die Welt hinaus zu tragen: „Friede sei mit euch!“ Kein triumphaler Frieden, sondern ein verwundeter Friede, der sich nicht an den Wunden der Menschen vorbei, sondern durch diese Wunden hindurch seinen Weg bahnt. Das ist die Hoffnungsbotschaft von Ostern, die bleibt und die wir auch weiter verkünden müssen – als Protest gegen die Diktatoren dieser Welt! AMEN.

von Br. Justus Niehaus OSB

 

Liebe Schwestern und Brüder,

ich finde es jedes Jahr wieder berührend den Introitus also den Eingangsgesang von Ostern zu singen. Er ist für mich eine gute Möglichkeit Auferstehung zu deuten. Es ist dieses intime Gespräch des Sohnes mit dem Vater, der den Introitus so besonders macht. Es ist kein Triumphgesang mit Pauken und Trompeten, sondern es ist die Begegnung des Sohnes, der vom Vater gerettet, ja aufgefangen wurde.

Ich bin auferstanden und bin immer bei dir. Halleluja.

Du hast deine Hand auf mich gelegt. Halleluja.

Wie wunderbar wurde dein Wissen um mich.

Jesus ist Gott, aber er ist auch Mensch. Er hat Todesangst gehabt. Er musste den Tod am Kreuz sterben. Er musste sich fallen lassen am Kreuz, in den Tod hinein. Sich fallen lassen in diesen grausamen Erstickungstod. Er musste dies als Mensch, mit diesem letzten Zweifel, der den Glauben vom Wissen trennt, tun. Ohne Netz und doppelten Boden sich fallen lassen allein im Vertrauen, dass der Vater seinen Sohn nicht allein lässt.

Diesen intimen Moment des Sohnes mit dem Vater – die Erleichterung, das nicht enttäuschte Vertrauen in den Vater, wird uns am Anfang dieses Gottesdienstes vor Augen geführt. Kein Triumph und Herrlichkeit sondern Berührung und Liebe. Dieser Glaube und das Vertrauen des Menschen Jesu zu seinem Vater.

Ein Zweiter Mensch, der mich jedes Jahr berührt ist Maria Magdalena, diese Apostolin der Apostel. Sie läuft zum Grab und sieht, der Stein ist weg. Sie läuft zurück um Hilfe zu holen. Mit den zwei Jüngern kehrt sie verunsichert wieder. Doch sie lassen sie alleine am Grab zurück. Erst als sie alleine zur Ruhe kommt spricht Jesus sie an. Und auch dann muss sie sich ganz zu ihm wenden um ihn zu erkennen. Welches Gefühlschaos in ihr geherrscht haben muss. Erst der Tod, dann die vermeindliche Grabschändung und dann die Erkenntnis: Er lebt.

Dieses Gefühlschaos kann ich in der heutigen Zeit gut nachvollziehen. Erst über zwei Jahre Pandemie, in der wir alle nur mühsam tastend die nächsten Schritte gemacht haben, immer in der Angst sich und Andere anzustecken. Aber auch immer die Hoffnung, dass es Schritte zur Normalität gibt. Vorsichtige Schritte zu Normalisierung des Lebens künden sich an.

Dann geschieht Ende Februar, das Unfassbare, welches wir eigentlich überwunden zu haben glaubten. Ein Staat in Europa greift einen anderen Staat mit Waffengewalt an. Krieg in Europa. Wieder ein Rückschlag, Ohnmacht und Sorgen. Helfen wollen und gleichzeitig nicht in einen Krieg hineingezogen werden wollen.

Die Jüngerinnen und Jünger damals hätten sich auch lieber einen Messias gewünscht, der mit Macht kommt. Als triumphaler Held, der das jüdische Volk von seinen römischen Besatzern befreit und in Jerusalem einzieht. Aber so kommt Gott nicht in diese Welt.

Er kommt ganz leise. Er kommt nur zu denen, die an ihn glauben. Er kommt, wenn sie nicht damit rechnen. Er kommt, wenn sie zusammensitzen und die Türen verschlossen sind. Er bleibt nicht weg. Dies im Einzelnen zu deuten überlasse ich in den nächsten 50 Tagen meinen Brüdern.

Ein Wort des auferstandenen Christus an seine Jünger taucht dabei aber immer wieder auf. Es ist auf der diesjährigen Osterkerze: Friede sei mit euch! Wir bekommen vom Auferstandenen den Frieden zugesprochen, den wir nicht nur in Europa, gerade mehr als dringend brauchen.

Das jüdische Schalom meint aber mehr als Frieden. Es meint zunächst Unversehrtheit und Heil. Doch es ist nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit, Frieden und Ruhe. Im Alten Testament wird Schalom als „Zustand, der keine unerfüllten Wünsche offen lässt“ beschrieben.

Oder um es mit dem jüdischen Gelehrten Montefiori zu sagen:

„… der Friede, der allein versöhnt und stärkt, der uns beruhigt und unser Gesichtsbild aufhellt, uns von Unrast und von der Knechtung durch unbefriedigte Gelüste frei macht, uns das Bewusstsein des Erreichten gibt, das Bewusstsein der Dauer, inmitten unserer eigenen Vergänglichkeit und der aller Äußerlichkeiten.“

Dies alles zu begreifen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dauert für die Jüngerinnen und Jünger 50 Tage. Es braucht Zeit dies alles zu Verstehen und zu Verinnerlichen.

Haben wir das Vertrauen, dass Jesus in seinen Vater gesetzt hat.

Haben wir die Offenheit, von der Pater Matthias heute Nacht gesprochen hat, um Christus zu erkennen, wenn er uns begegnen will.

Lassen wir uns diesen Frieden Gottes in dieser Osterzeit immer wieder zusprechen, damit er in uns wirken kann. Damit er durch uns in diese Welt kommen kann. Damit auch wir Pfingsten davon erzählen können.

Schalom Alechem!

Friede sei mit euch!

von P. Matthias Skeb OSB

Liebe Schwestern und Brüder!

Als ich ein Student im ersten Semester war, erhielten wir einmal als Hausaufgabe den Auftrag, einen Aufsatz eines berühmten deutschen Philosophen zu lesen, der um 1800 in Berlin lebte: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Titel des Aufsatzes lautete: „Wer denkt abstrakt?“. Wer denkt wohl schon abstrakt? Besonders die Philosophen selbst, Mathematiker, Physiker, Astronomen, Informatiker. Das dachte ich mir. Falsch gedacht! Hegel dachte an geistig ziemlich schlicht gestrickte Leute im Kleinbürgertum Berlins zu seiner Zeit, also an Leute, denen man spontan eine Abstraktionsleistung eigentlich nicht zutrauen würde. Wie das? Was er als Abstraktion bezeichnet, meint „übertriebene Vereinfachung“, Denken in Schablonen und Klischees, Absehen von der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit. Komplexe Wirklichkeit, handlich abgefüllt auf kleine Flaschen. Sprachlich drücke sich das aus in Formulierungen wie: „Das ist doch nichts anderes als…“ Einmal ehrlich: Wie häufig kommt uns das oder Ähnliches über die Lippen oder mindestens in den Sinn? Die Sichtweisen, das Verhalten eines anderen Menschen sind doch nichts anderes als dumm, gefährlich, hinterweltlerisch usw. Ähnlich schablonenhaft sagen wir: die Lehrer, die da oben auf dem Klosterberg, die Kirche, die Priester, die Wissenschaftler, die Politiker, das fehlerhafte Gesamtsystem „Katholische Kirche“, wie sich kürzlich ein typischer „Systemvertreter“ weit aus dem Fenster lehnte. Wenn wir heute häufig von angeblich „alternativlosen“ Entscheidungen, „alternativlosen“ Standpunkten, Forderungen oder Konsequenzen hören, die wir akzeptieren sollen, ist das eine moderne Version der gleichen geistigen Schlichtheit, die da sagt: „Das ist doch nichts anderes als…“ Je schlichter gedacht, desto lauter geäußert. Für das Osterevangelium gibt es diese billige Eindeutigkeit nicht, als ob es nur eine alternativlose Schlussfolgerung gäbe: Jesus ist nichts anderes als auferstanden, beziehungsweise: Jesus ist nichts anderes als tot.

Aber schauen wir genauer hin. Die Frauen also gehen nach dem Tod Jesu zur Beerdigungsroutine über und wollen den Leichnam salben, wie es üblich war. Da passiert etwas, was die Routine durchbricht. Das Grab ist offen, der Leichnam verschwunden; sie sind ratlos. Der Leichnam ist nicht mehr da, und von einem Auferstandenen ist weit und breit nichts zu sehen. Da zeigen sich unbekannte Männer in leuchtenden Gewändern und deuten die Abwesenheit Jesu als Zeichen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Der Menschensohn ist auferstanden wie er selbst gesagt hat“; und wer ihn jetzt noch im Grab sucht, sucht das Leben am  falschen Ort. Dass diese Frauen mit einem Schlag zum Osterglauben gekommen wären, davon lesen wir nichts.  Ein erster Hinweis: Ostern feiern, heißt: Nicht zu vorschnellen Urteilen kommen, Deutungen offenlassen, die Ambivalenz der Situation und die Ratlosigkeit aushalten, und einen Rat annehmen: Suchen wir den Lebenden und das Leben nicht bei den Toten!
Was die Frauen berichten, nehmen die Apostel nicht ernst: Das kann doch gar nicht sein! Das hat es ja noch nie gegeben! Was die wohl gesehen haben? Besser sich nicht bewegen und erst einmal weitermachen wie immer. Wir kennen diese Form vom Behäbigkeit und Bräsigkeit, die sich nicht in Bewegung setzen will, auch wenn klar ist, dass man gescheitert ist: vor die Wand gelaufen, mit seinem Latein am Ende, abgewirtschaftet und ohne Zukunft. Den Lebenden bei den Toten suchen? Nur Petrus will das nicht, ausgerechnet Petrus. Er steht auf, geht zum Grab, sieht die Leinenbinden da liegen, nicht aber den Leichnam und geht erstaunt nach Hause. – Und immer noch keine Eindeutigkeit, noch immer kein Osteralleluja. Das ist der zweite Hinweis: Ostern feiern heißt: aufstehen, hinschauen, staunen können – und noch einmal: keine voreiligen Schlüsse ziehen. Am Ende zeigte sich der Auferstandene selbst, wo und wie er es wollte.

Das Evangelium verkündet uns die Osterbotschaft still, suchend und auch zweifelnd; es lässt ehrlichen Dialog zu. Es polarisiert nicht, schlägt keine Türen zu. Es drängt sich nicht auf. Es steht in wohltuendem Kontrast zu forsch und lauthals vorgetragenen alternativlosen Erklärungen, Folgerungen und Forderungen. Die Präsenz des Auferstanden geht den Jüngern erst nach und nach im Zeichen seiner Nicht-Präsenz auf.

Ich meine, auf die Rhetorik alternativloser Standpunkte zu verzichten, ist auch eine kluge Entscheidung, wenn es darum geht, Debatten und Auseinandersetzungen zu gestalten. Und davon gibt es zur Zeit viele. Wir sind in unserer Gesellschaft in der Gefahr, dass diese Debatten bei aller Scheinliberalität immer hysterischer, immer unduldsamer, immer manipulativer geführt werden. Uns wird über Medien und Netzwerke massiv und sehr effektiv eingetrichtert, was wir zu denken und zu wollen haben. Das gilt bisweilen auch für die Reformdiskussionen, die wir innerhalb der kath. Kirche führen – ganz egal, wie man persönlich nun zu einzelnen Inhalten steht. Nichts ist alternativlos. Leise Töne sind immer hilfreich, lautstarke Patentrezepte nie. Ich arbeite seit fast 20 Jahren als Theologieprofessor an einer Universität im europäischen Ausland, mit Studenten aus aller Herren Länder: meistens aufgeschlossenen, intelligenten, engagierten und aufrichtigen jungen Christinnen und Christen. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Wenn mir in dieser Zeit eines klar geworden ist über unsere Katholische Kirche, dann das: Wir sind als Katholiken nicht Teil irgendwelcher lokaler Kirchentümer, sondern immer verwiesen auf die eine Weltkirche — mit ihren ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Mentalitäten, die nicht einfach nur deshalb dumm, veraltet oder unreif sind, weil sie vielleicht von unseren  Lieblingsideen und speziellen deutschen Befindlichkeiten abweichen. Die Weltkirche ist das Korrektiv, das uns geschenkt ist, damit unser Denken nicht einseitg, selbstverliebt und provinziell wird. Hören wir also hin, was sie uns zu sagen hat, die Weltkirche! Wir selbst und unsere Positionen sind alles andere als alternativlos.

Wir lernen vom Osterevangelium auch, wo der richtige Ort ist, an dem jeder Einzelne von uns in dem, was ihn / sie bewegt, das Leben und den Lebenden suchen und finden kann: Hinhören auf andere und ihre Worte ernstnehmen, den geistigen Horizont erweitern, uns vortasten statt mit Patentlösungen aufwarten, leise Töne anschlagen, Türen offenhalten, selbst genau hinschauen wie Petrus und sich ein eigenes Bild machen, notfalls eingestehen, dass man nicht imstande ist, sich ein ernsthaftes eigenes Bild zu machen, und dann erst einmal schweigen und schließlich die Offenheit, die Anwesenheit des Auferstandenen im Zeichen seiner Abwesenheit zu suchen.

Das ist eine Frage der Einübung in die österliche Sichtweise des Lebens. Und wenn wir diese Haltungen unser ganzes Leben eingeübt haben, werden wir uns irgendwann vor dem Auferstandenen selbst einfinden, der am Ufer steht und uns zuruft: „Ich bin es, fürchtet Euch nicht!“. Amen.

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

Keiner kann Lebensglück erzwingen, – weder durch Leistung noch durch perfekt geplante Karriere- und Lebensstrategien.

Von daher versteht sich, dass jede und jeder von uns manchmal dasteht wie der ältere Sohn: Wir haben alles richtig gemacht, aber sehen nicht den erwarteten Ertrag, weil das Leben eben kein Lohnbüro ist, weil das Schicksal keine Tarifverträge kennt, die man bei Arbeitsgericht einklagen kann.
Manchmal läuft es aber – Gott sei Dank – auch andersherum:  Wir stehen da wie der jüngere Sohn, der beschenkt und gefeiert wird, – obwohl er weiß, dass er das alles andere als „verdient“ hat.

Was im Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ geschieht, ist unverdient. Das erleben die beiden Brüder auf ihre je eigene, völlig gegensätzliche Art und Weise. Und auf ihre Art haben auch beide Recht:  Der jüngere Sohn konnte nicht mit Großzügigkeit rechnen, weil er sich völlig verrannt hatte. Und der ältere Sohn meint, er sei nicht auf Großzügigkeit angewiesen, weil er Leistung erbracht hatte und sich berechtigt sieht, dem Vater mangelnde Lohngerechtigkeit vorzuwerfen.

Beide Brüder erleben, dass ihre eigenen Möglichkeiten und Denkmuster ausgereizt sind und nichts bringen. – Doch jetzt kommt der gewichtige Unterschied, auf den Jesus mit dem Gleichnis hinauswill. Beide gehen mit diesem entscheidenden Augenblick grundverschieden um:
Der Ältere sucht den Fehler beim Vater, der nicht seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit entspricht. Nicht die Beziehung zum Vater ist ihm wichtig, sondern dass der Vater seine Forderung erfüllt. Er will den Vater nicht als Vater, sondern als Chef mit Lohnbüro.

Genauso hatte der jüngere Sohn angefangen, als er sich das ihm erbrechtlich zustehende Geld beim Vater abholt, um es dann durchzubringen. Nur hat er, im Unterschied zum älteren Bruder, dazugelernt: Geld bringt spätestens dann nichts mehr, wenn es ausgegeben ist. Aber, o wirkliches Wunder! Er erlebt: Mit leeren Händen dastehen heißt nicht, ins Leere greifen, sondern mit leeren Händen dastehen macht die Hände, den Geist, das Herz frei, um sich vom Vater umarmen zu lassen. Endlich darf der Vater Vater sein und muss sich nicht mehr als Lohnauszahler missbrauchen lassen. Deshalb ist das unsägliche Glück dieser Situation beidseitig und deshalb ein wirklicher Grund zum Feiern: Der jüngere Sohn ist erlöst aus seiner selbstverschuldeten Verstrickung und der Vater darf sein, wer er wirklich ist

Der Vater steht dafür, dass das „Ende des Lateins“, nicht das Ende aller Dinge ist. Vorbei ist zwar der Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Aber etwas anderes, bisher Unmögliches fängt neu an: Zu empfangen – statt „nimm was du kriegen kannst“, Beschenkt Werden – statt Verdienen:   Zuneigung, Vertrauen, Schenken, Beschenkt Werden, Feiern, Da-Sein-Dürfen ohne Berechnung, – kurz all das, was in klassischer Kirchensprache den „Himmel“ ausmacht. –
Der Himmel fängt an, wo einer davon ablässt, das Paradies auf Erden zu erzwingen: An dieser Stelle ist der jüngere Bruder dem älteren um einen entscheidenden Schritt voraus.

Den Himmel kann man sich nicht verdienen; wer seine Schultern bepackt mit seinen Leistungsansprüchen an sich selbst und an die anderen, bleibt Buchstäblich „in der Himmelstür hängen“, wie der ältere Sohn, –  so wie der jüngere Sohn die Tür nicht gefunden hat, solange er meinte, den Himmel mit seinem Jet-Set-Leben auf eigene Faust organisieren und kaufen zu können.

Himmel ist da, wo Menschen Gott eine Chance lassen, so wie der jüngere Sohn dem Vater die Chance ließ, einfach gut und großzügig zu sein. Wer den Himmel sucht, braucht nichts anderes tun, als den Menschen und Gott die Gelegenheit zu geben, großzügig zu sein. Großzügigkeit annehmen, ohne sich zu schämen und sich zu freuen, wenn anderen Großzügigkeit erwiesen wird: Das ist der Himmel, für den wir Menschen bestimmt sind und außerhalb dessen wir unter unseren Möglichkeiten bleiben.

So lange einer den Großmotz gibt, der Großzügigkeit weder annehmen noch schenken kann, sondern sie als schwächlich verachtet oder plump ausnutzt, so lange hat niemand – kein Mensch und kein Gott – die Chance, ihm gegenüber großzügig zu sein, solange ist buchstäblich „Hölle“ angesagt.

Hier liegt die Frage, vor die uns das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ stellt: Auf welcher Seite finde ich mich wieder?
– Auf der Seite des älteren Sohnes, der Gott nicht Gott sein lässt, weil er alles selber macht, so als wäre er selber Gott?
– Oder sehe ich mich auf der Seite des jüngeren Sohnes, der die Großzügigkeit des Vaters annimmt, weil er Gott seinen Gott und seinen Vater sein lässt?