von Br. Anno Schütte OSB
Die frohe Botschaft von der Geburt Jesu, die wir in dieser Nacht feiern, beginnt mit einem Befehl: „Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen.“ Der Kaiser im fernen Rom will sein gesamtes Volk erfassen um sich mehr Einnahmen zu verschaffen und Quirinius, sein Statthalter vor Ort, soll den Befehl umsetzen. Eine systemische Hierarchie kontrolliert ein riesiges Reich, den „ganzen Erdkreis“. Diese Herrschaft war räumlich und zeitlich unbegrenzt angelegt und abgesichert. Deshalb ließ sich der Kaiser auch als Gott verehren, das untermauerte den umfassenden Anspruch – nicht nur das Geld, auch die Seelen – und damit der ganze Mensch – sollte vereinnahmt werden.
In dieses Reich wird Jesus geboren; später wird es zerbrechen und untergehen. Das Reich Gottes, von dem der erwachsene Jesus künden wird, bleibt. Während der Kaiser von den Menschen nimmt, sie ausnimmt, schenkt Gott sich den Menschen ganz – im Kind. Mit der Geburt Jesu gründet Gott endgültig und für ewig sein Reich in dieser Welt. Gott kommt nicht als kaiserliches Kind in einem der Paläste Roms, sondern in einer Randprovinz des Reiches, unter einfachsten ärmlichen Bedingungen zur Welt und in die Welt. Gott wählt den Stall, das Unten – nicht den Palast, das Oben. — Die Kontraste zwischen diesen Reichen könnten kaum größer sein.
Gott gebiert sich in unsere Menschenwelt, Maria und Josef sind dafür erwählt. Sie sind offen für Gottes Wirken und willig-beweglich tun sie einfach, was getan werden muss: „So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt. (…) Sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“
Hirten werden die ersten Zeugen der Geburt Jesu. Hirten sind treusorgend präsent und setzen, wenn’s drauf ankommt, ihr ganzes Leben ein. Das wird Jesus später tun – endgültig und unüberbietbar vollendet im Tod am Kreuz. Schon am Anfang klingt an, was Jesus Zeit seines Lebens und umfassend nach seiner Auferstehung sein wird: Er ist der gute Hirt.
Die Hirten der Weihnacht lagern auf freiem Feld, keine äußeren und inneren Mauern engen sie ein, sie sind bewegliche Menschen. Das freie Feld versinnbildlicht ihre innere offene Seelenlandschaft: Sie sind empfänglich für Gottes umstrahlendes Licht und gerade ihnen erscheint der Engel, der die Freude der Geburt verkündet. Die soll dem ganzen Volk zuteilwerden – alle sind eingeladen. Auch das weist auf Zukunft hin: Nach Jesu Tod, am Ostermorgen wird wieder ein Engel eine große Freude, die Botschaft vom leeren Grab verkünden. Und der Auferstandene sendet seine Jüngerschaft – auch uns – mit dieser frohen Botschaft zu allen Geschöpfen: Gott liebt alle – unzerstörbar – und wandelt Tod in Leben.
Die Hirten halten Nachtwache bei ihrer Herde – sie sind präsent in dunkler Zeit. Auch wir haben uns in einer Nacht versammelt – ihr Dunkel steht für unsere Welt mit ihrer schrecklichen Gewalt und ihren ungelösten Problemen. Gefühle von ohnmächtiger Lähmung und Depression können sich verbreiten und lähmen oder toben sich in aggressiven Lügen, Hass und noch größerer Gewalt aus.
Können wir neu anfangen? Was können wir tun?
Das aktive Wachsein der Hirten, ihre offene Aufmerksamkeit für die Botschaft der rettenden Geburt sind ein aufmunternder Appel an uns: Seid wachsam! — Sehen wir die Gefahren, die der Herde, uns – dem Volk, drohen? Ergreife ich verantwortungsvoll die neuen Möglichkeiten, die sich mir anbieten? Die Hirten können nur gemeinsam wirksam ihre Herde schützen. Engagiere ich mich für das Gemeinwohl? Höre ich hin und zu? Teile ich – und teile ich mich mit? Bin ich beweglich für gute Kompromisse um Lösungen zu finden? Widerspreche und widerstehe ich bösen Gedanken und Machenschaften? Leiten und begleiten wir uns auf „grüne Auen“, dorthin, wo das Leben für alle kraftvoll wachsen kann?
Mit der Geburt Jesu schenkt Gott sich uns in einem Kind. Kinder sind in vor allem lernende Menschen, sie wollen die Welt und das Leben erkunden, erwachsen werden. Sie leben nicht in der Perspektive „Das kann ich nicht!“ oder „Das geht nicht!“, sondern in einer Haltung offener Entwicklung – sie sehen die Möglichkeiten. Ihr Lebensmotto lautet: „Das kann ich noch nicht!“ und: „Das probiere ich aus und irgendwann kann ich das!“ Es will dazulernen, seinen Spiel-Raum und Horizont in die Welt hinein weiten.
Könnte diese kindliche Haltung ein Weg zur Lösung der scheinbar unlösbaren Probleme und Konflikte in der Welt sein? Jesus zumindest wird später sagen: „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.“
Wir alle sind eingeladen, mit den Hirten das göttliche Kind zu suchen, das göttliche Kind in jedem von uns. Im Kind offenbart sich Gott besonders nah erfahrbar. Ein Kind lässt sich lieben und schöpft daraus Wachstumskraft. Dazu sind wir alle eingeladen, denn Gott kann nicht anders als lieben – mitten in uns hinein, mitten durch uns in diese Welt hinein – auch wenn ich es gerade nicht spüre. Vielleicht suchen wir noch mit irrenden Kinderschritten, aus ihnen kann ein schwungvoll-weiter Lebensweg werden. Gott traut uns das zu und wirbt ständig um uns.
Bin ich bereit, mich als Gotteskind lieben, auf die Welt hin gebären zu lassen, zur Welt zu kommen? Dann könnte Christus, sein Evangelium, auch durch mich, durch jeden von uns zur Welt kommen: Wunderbar einmalig, überraschend lebendig, genuss- und kraftvoll und wenn es sein muss auch anarchisch frech und durch fairen Streit hindurch. Denn wir alle sind – auch als Anfänger – geliebte Christ-Kinder, an denen Gott sein Wohlgefallen hat.