Ankommen an der Krippe (Mt 2,1-12)
Mathematik ist eine Sprache, die eine besondere Welt zu beschreiben vermag. Sie kann aber auch Bilder für das Seelenleben eröffnen.
So fühlen wir Menschen uns manchmal so, wie die Mathematik einen „Strahl“ erklärt: es ist eine Linie, die an einem Punkt beginnt und sie streckt sich unbegrenzt aus. Definiert wird diese Linie allein durch 2 Punkte – mehr nicht. Sie geben die Position im Raum unverwechselbar an.
Wir sind unterwegs auf unserer Lebenslinie. Mitunter stellen wir uns die Frage, woher wir kommen. Mehr noch fragen wir aber, was das Ziel unseres Lebens sein könnte. Es ist die uralte Frage nach Herkunft und Zukunft.
Die Sterndeuter kennen diesen Zusammenhang aus einem größeren Kontext. Sie folgen einem Stern, einem Phänomen, das sie am Himmel beobachten. Der spiegelt sich in ihrer Seele wieder und die Bewegung beginnt. Ihre Deutung aus den tradierten Menschheitserfahrungen sagt, dass es ein Ziel geben muss, einen Fixpunkt auf den dahinfließenden Lebenslinien. Sie erwarten diesen Punkt als etwas ganz Großes, als Chance, als endgültigen Ankommen. Das ermutigt sie, die Reise intensiver zu beginnen, die Berge und Hürden zu überwinden, Gefahren zu meistern. Sie stellen sich der ständigen Herausforderung des Lebens: dem Warten, der Einseitigkeit, der frustrierten Langeweile.
Sie finden in der Tat einen ersten Anhalts-und Ausgangspunkt und wagen den Aufbruch. Als der Stern die Bewegung verliert und stillsteht, erwarten sie das große Ziel, die endgültige Ankunft, eine Heimat.
Sie finden aber wenig Endgültiges: ein Kind, eine Mutter, den Vater und das alles in erbärmlichen Umständen. Sie suchen einen Palast und finden einen Stall, sie schauen nach einem mächtigen König aus und erleben einen obdachlosen Asylanten. Sie sehnten sich nach Endgültigkeit und finden Vorübergang.
War der Weg vergeblich? Mit dem Bild aus der Mathematik würde ich sagen: Sie fanden den zweiten Koordinatenpunkt ihres Lebensweges. Er zeigt die Richtung eindeutig an. Ein so definierter Weg gibt mitunter mehr Halt, als das noch so großartige, aber immer menschengedachte Ziel.
Das Ziel unseres Lebens ist uns allen übrigens durchaus klar. Wir können es als Ende oder als Durchgang erwarten und haben es doch nie in der Hand. Den Weg dahin aber können wir suchen und ausrichten. Er fällt uns leichter, wenn wir zumindest eine Richtung verfolgen können.
P. Abraham Fischer OSB