Tageslesung: 1 Samuel 2,1-10

Es ist für eine Frau im alten Israel ein schweres Schicksal, keine eigenen Kinder zu bekommen. Von einem solchen Verhängnis wird im 1. Buch Samuel erzählt. Es geht im 2. Kapitel um Hannah, die in ihrer Ehe mit Elkana kinderlos bleibt und darunter zu leiden hat. Doch dann nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und fleht Gott um ein Kind an. Und der schenkt ihr einen Sohn, den späteren Propheten Samuel. Dankbar stimmt die glückliche Mutter den Lobgesang an, der im heutigen Text nachgelesen werden kann. Sie, die Unfruchtbare, darf wider Erwarten einem Kind das Leben schenken, und dadurch erfährt sie Gottes Gnade.

Das Besondere an diesem Hymnus ist ein haarsträubend subversiver Gedanke:
Den Schwachen hebt er empor aus dem Staub
und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt;
er gibt ihm einen Sitz bei den Edlen,
einen Ehrenplatz weist er ihm zu.

Das ist nichts anderes als die Umkehrung der sozialen Verhältnisse:
Der HERR macht arm und macht reich,
er erniedrigt und er erhöht.

Diese Sichtweise stellt unsere  gewohnten Maßstäbe auf den Kopf. Wir finden sie auch an anderen Stellen der Bibel wieder, z. B. im Magnificat bei Lukas 1,46-56.
An ihrer persönlichen Erfahrung wird Hannah deutlich, dass Gottes Eingreifen die ungerechten Verhältnisse wieder zurechtrückt.

Im Advent verlangen wir danach, dass Gott in unser Leben kommt.
Aber ist er uns auch dann willkommen, wenn er nicht so ist, wie wir ihn gerne hätten?
Wenn seine große Güte unsere selbstgemachten Sicherheiten ankratzt und starren Prinzipien überflüssig macht?

P. Johannes Sauerwald OSB

Bibellesung: Sacharja 4,1-14

Wieder kam der Engel, der jeweils mit mir sprach. Er rüttelte mich auf, wie man jemand aus dem Schlaf weckt, und fragte mich: „Was siehst du?“ Ich antwortete: „Einen Leuchter aus Gold. Er trägt oben ein Ölbecken, an dessen Rand ringsum sieben Lichtschalen angebracht sind. Und jede Schale hatte sieben Schnäbel für die Dochte.  Links und rechts ragte über dem Leuchter je ein Ölbaum auf.  Was hat das zu bedeuten, Herr?“  „Verstehst du es nicht?“, fragte der Engel. „Nein, Herr“, erwiderte ich.
„Die sieben Lichtschalen sind die Augen des Herrn, die alles sehen, was auf der Erde geschieht.“ (Übersetzung: Gute Nachricht Bibel)

Das Bild vom Ölleuchter mit seinen sieben Lichtschalen, in denen insgesamt 49 Dochte brennen, hat auf mich eine beruhigende Wirkung.

Stell Dir einen großen, hohen Raum vor, in dem ein solcher Leuchter steht. Das brennende Öl verbreitet ein ruhiges und warmes Licht. Es flackert und rußt nicht, sondern lässt in der Dunkelheit eine stille Atmosphäre entstehen. Auf sichtbare Weise wird uns Unsichtbares vor Augen gestellt:
Die Präsenz Gottes, eine geistige Wirklichkeit, die mit ihrer Aufmerksamkeit alles umfängt.

Noch in  meiner Kindheit wurde gesagt. „Gott sieht alles, auch das, was keiner sieht.“ Da konnte einem schon angst und bange werden. Wer einen Fehler machte, entging dem Strafgericht nicht. Schwarze Erziehung! Die Bibel sieht es anders: „Ich bin auch bei den Zerschlagenen und Bedrückten, um den Geist der Bedrückten wieder aufleben zu lassen und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben.“ (Jes 57,15)
Wenn Du auf dieses Licht schaust und Dein Geist offen ist, dann kann es sein, dass es nach und nach in Dir still wird. Und je mehr Du Dich zurücknimmst, desto mehr wird die Gegenwart dieses Unsichtbaren in Deinen Innenraum einziehen. Wenn dies geschieht, ist es überhaupt nicht wichtig, dass das Licht vor Dir kein antiker Leuchter aus Gold ist, sondern einfach eine Kerze in Deinem Zimmer.
Was spürst Du dann?
Was geschieht in Dir?
Es kommt nicht darauf an, jetzt irgendetwas zu machen. Das würde nur stören. Dass die Zeit vergeht, merkst Du kaum. Eine unaufdringliche Kraft kommt Dir entgegen. Deine Wünsche verblassen. Du lässt sein, was jetzt da ist. Am Ende bist Du wahrscheinlich dankbar, dass Du Dich auf diese stille Zeit eingelassen hast.
Ihr sollt es sehen, und euer Herz wird sich freuen, wie eine Mutter will ich euch trösten“. (Jes 66,15f)

P. Johannes Sauerwald OSB

Ich tilge ihre  Schuld an einem einzigen Tag. An jenem Tag – Spruch des Herrn der Heerscharen – werdet ihr einander einladen unter Weinstock und Feigenbaum. (Sach 3,10 – ganze Lesung: Sach 3,1-10)

Aus unsrer heutigen Bibelstelle sind dies die einzigen Sätze, mit denen ich etwas anfangen kann. Warum?

Sie stehen für ein gastfreundlich-offenes Miteinander der Menschen in Friedenszeiten. Das Beisammensein unter fruchtbaren Gewächsen, Weinstock und Feigenbaum, gilt als ein Bild für paradiesische Zustände. Aller Argwohn unter den Menschen ist abgefallen, sie laden sich gegenseitig ein, begegnen sich draußen im Freien, vielleicht im Garten oder einem schönen Fleckchen in der Natur. Das gehört zum ungetrübten, unbeschwerten Leben dazu.

Nein, das wird nicht gesagt, um utopische Fantasien zu pflegen. Die Bibel wird durchzogen von Spuren einer unaufgebbaren Hoffnung. Der tiefste Grund für diese Hoffnung  ist der Zusammenhang von Friede und Vergebung. Die Menschen haben durch ihre gesamte Geschichte hindurch einander unendlich viel Leid angetan. Und tun es immer noch. Es sieht so aus, als gäbe es aus dieser Schuldgeschichte kein Entrinnen mehr, als sei der Friede bloß ein frommer Wunschtraum. Doch tiefer noch als diese fatale Signatur des Menschen – so die Vision des Sacharja – ist die Vergebung Gottes. Ihr Name ist – glauben die Christen: Jesus von Nazareth. Radikaler geht Vergebung nicht. An einem einzigen Tag wird die Schuld gelöscht, unglaublich! Und dann laden wir uns gegenseitig zum Picknick unter Weinstock und Feigenbaum ein.

Der Advent ist die Zeit zum Stillwerden und Warten.
Geben wir der Vision von Vergebung und Frieden in unseren Gebeten und Wartezeiten Raum.
Strecken wir uns nach ihr aus,
sehnen wir sie herbei.

P. Johannes Sauerwald OSB

Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte – Spruch des HERRN. (Sacharja 2,14; ganze Lesung: Sach 2,10-17)

Dieses Zitat des Propheten Sacharja lädt uns ein, es auf unsere Person hin zu übertragen.

Wir erwarten im Advent die Ankunft des Herrn. Diese Ankunft geschieht auch in uns selber, in unserer Person-Mitte, in unserem Herzen. Demnach darf die Adventszeit uns ermuntern, Gott in uns selbst zu suchen. Gott will ja auch in uns  – in unserer Mitte –  geboren werden. Bereiten wir doch in diesem Advent Gott eine willkommene Wohnung in uns. Diese  Wohnung Gottes will unser Herz sein, unserer innerer Zion.

So beschreibt es auch Meister Eckhart:

„Du musst ihn nicht eigens suchen, weder dort noch hier. Er ist ja nicht weiter weg als vor der Tür des Herzens.“

Br. Emmanuel Panchyrz OSB

Eine offene Stadt wird Jerusalem sein
wegen der vielen Menschen und Tiere in ihrer Mitte.
Ich selbst – Spruch JHWHs – werde für Jerusalem ringsum
eine Mauer von Feuer sein
und zur Herrlichkeit werden in ihrer Mitte. (Sacharja 2,8-9 – ganze Lesung: Sach 2,1-9)

Stichworte

offene Stadt
Mauer von Feuer
SEINE Herrlichkeit  in ihrer Mitte

also:

offene Stadt: frei hinein und hinausgehen
umhergehen, ohne bewaffnete Sicherheitsbeamte in der Nähe
keine Angst vor Messerstichen, Virusinfektionen oder Lavaströmen
Feuerschutz, durch Gott selbst
ohne äußere meterhohe Mauer wie im heutigen Jerusalem
JHWH – sozusagen “eine spirituell wirksame firewall“*
sein herrliches Wesen, mitten unter Menschen und Tieren, mitten in ihnen

Von einer solchen Stadt träumen terrorisierte Menschen
diese Stadt sieht der Prophet Sacharja als Wirklichkeit in einem Bild
eine Vision, die mehr ist als ein Traum oder eine schöne Idee

eine Inspiration im Advent

trinke Vertrauen, nicht nur einmal und nur kurz
nimm es mit, wenn Du in die Stadt gehst, andern begegnest, Menschen und Tieren
auf Mauern stößt
es ist das herrliche Kind, das kommt
in die Ängste der Gemeinschaft hinein

*zitiert nach Thomas Pola, Augen auf und durch, Neukirchener Verlag, S. 57

P. Johannes Sauerwald OSB

Im Jahr 519 v. Chr. empfängt der Prophet Sacharja eine Vision und hört Worte Gottes. In ihnen heißt es unter anderem:

 „Verkünde: So spricht der Herr der Heerscharen: Mit großem Eifer trete ich für Jerusalem und Zion ein.
Darum wende ich mich voll Erbarmen Jerusalem wieder zu. Man wird mein Haus dort aufbauen. Meine Städte werden wieder überfließen von Gütern. Der Herr wird Zion wieder trösten und er wird Jerusalem wieder auserwählen.“  (Sach 1,14-17 – ganze Lesung: Sach 1,7-17)

Dies soll er jenen Juden weitersagen, die aus dem Exil nach Jerusalem und der näheren Umgebung in die alte Heimat zurückgekehrt sind. Angesichts des desolaten Zustandes der zerstörten Königsstadt und der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Land muss die Ankunft  der Heimkehrer nach den Strapazen der Rückreise frustrierend gewesen sein. „Und hier sollen wir unsere Zukunft aufbauen, wie soll das denn gehen?“, so haben sie sich vielleicht kopfschüttelnd und entmutigt gefragt. Sie haben eigentlich Recht.

In dieser Situation schlägt die Stunde des Propheten. Er öffnet den Resignierenden die Augen für das Wirken Gottes, das an dem Punkt einsetzt, wo sie nicht mehr weiterkönnen.

„Mit großem Eifer“ wird die göttliche Macht sich für Zion einsetzen. Ein neuer Tempel wird gebaut werden, das sichtbare Zeichen für seine Präsenz bei der Bevölkerung Jerusalems. Er will bei ihnen wohnen und bei ihnen in „seinem Haus“ auch bleiben. Sie werden nicht allein sein, und dadurch bekommt ihr Zusammensein einen neuen Sinn und Halt. Bei ihm können sie Schutz suchen und sich bergen. Das wirkt sich auch nach außen hin sichtbar aus.

Fragen am Beginn des Advents:
– Welche Traurigkeiten halten mich, meine Familie oder Gemeinschaft oder die Gemeinde gefangen?
– Welche Probleme sind für mich so schwierig, dass ich/wir am liebsten aufgeben möchte(n)?
– Welche göttliche Verheißung in der Bibel reizt mich, ihr als einem konstruktiven Input mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie in konkrete Überlegungen hineinzunehmen?

Vielleicht findest Du jemanden, mit dem Du darüber gerne sprechen möchtest.
Wenn Du möchtest, kannst Du mir auch eine E-Mail schreiben.
Vielleicht hast du den Wunsch, diese Bibelstelle in ein Gebet einmünden zu lassen.

P. Johannes Sauerwald OSB

Das Buch des Propheten Sacharja

Das erste Kapitel Verse 1 bis 6:

Es war im zweiten Regierungsjahr von König Darius, im achten Monat. Da kam das Wort des Herrn zum Propheten Sacharja, dem Sohn des Berechja und Enkel von Iddo. Der Herr war zornig auf eure Vorfahren, ja, er war sehr zornig. Deshalb sollst du zu den Nachkommen sagen: So spricht der Herr der himmlischen Heere:
Kehrt um zu mir! – Ausspruch des Herrn der himmlischen Heere – Dann werde ich zu euch umkehren, spricht der Herr der himmlischen Heere. Seid nicht wie eure Vorfahren, zu denen die früheren Propheten gesagt haben: So spricht der Herr der himmlischen Heere: Kehrt endlich um von euren bösen Wegen! Macht Schluss mit euren schlimmen Taten!
Doch sie hörten nicht und achteten nicht auf mich.– Ausspruch des Herrn –
Wo sind jetzt eure Vorfahren? Und ihre Propheten, leben die heute noch? Meine Worte und Entschlüsse habe ich ja damals durch meine Knechte, die Propheten, ausrichten lassen.
Hat ihre Botschaft eure Vorfahren etwa nicht erreicht?

Ziemlich heftige Verse des Propheten an die Israeliten. Sacharja wirkte in der Zeit kurz nach dem babylonischen Exil in Jerusalem und war wohl selbst Priester. Er wirkte am Tempel und wandte sich an das zurückgekehrte Volk aus dem Babylonischen Exil.

Könnte man frohe, befreite Worte erwarten?
Wird alles wieder gut?

Sacharja sagt es deutlich:
Seid nicht wie eure Vorfahren!

Sagt uns heute:
klebt doch nicht am Vergangenen!

Kehrt endlich um!
Sucht neue Wege!

Heute mehr denn je.
Die „Kirche“ in ihrer jetzigen Form ist am Ende.
„Macht Schluss mit Euren schlimmen Taten!“

„Hat meine Botschaft euch etwa nicht erreicht?!“

P. Guido Hügen OSB

Ihr Tore, hebt eure Häupter, hebt euch, ihr uralten Pforten, denn es kommt der König der Herrlichkeit! (Ps 24,7)

Es ist eines der Kirchenlieder, das fast jeder kennt und das bei vielen Gottesdienstbesuchern regelmäßig in der Adventszeit für Gänsehaut und einen wohligen Schauer der Rührung und Ergriffenheit sorgt: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; es kommt der Herr der Herrlichkeit…“

Der Text ist inspiriert von Psalm 24 und wird im adventlichen Sinne auf die Ankunft des erwarteten Messias hin gedeutet. Am heutigen ersten Adventssonntag treten wir ein in eine Zeit der Vorbereitung und der Erwartung, um uns innerlich auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Der verheißene Messias, der als kleines Kind in unsere Welt kommt und als der Sohn Gottes den Lauf der Geschichte für immer verändert, will auch bei uns ganz persönlich ankommen. Und so sind es nicht nur die uralten Pforten von Stadttoren und Kirchenportalen, sondern es sind auch die Türen zu unserem Innersten und unseren Herzen gemeint. Stehen diese Türen offen für Christus und für all diejenigen, in denen er mir als mein „Nächster“ begegnen möchte und in ihrer Gestalt um Einlass bittet? Habe ich manche Türen meines Herzens aus Angst nur einen Spalt weit geöffnet oder sogar verschlossen? Wo würde ich mir wünschen, dass sich innerlich in mir etwas öffnet und aufgeht, so wie die uralten Pforten im Psalm? Vielleicht können diese Fragen eine kleine Anregung sein und Sie den heutigen Tag hindurch begleiten. Von Herzen wünsche ich Ihnen eine gesegnete und gnadenreiche Adventszeit!

P. Vincent Grunwald OSB

Liebe Leserin, lieber Leser,

in der Schriftlesung heißt es heute:
…sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk…. (aus Apg 2,42-47)

Eine ideale Beschreibung der ersten Gemeinde.
Einmütigkeit.
Freude.
Lauterkeit des Herzens.
Lobpreis.

Zu schön, um wahr zu sein!?

Wie sieht es in unseren Familien, Gemeinschaften und Gemeinden aus?
Wie geht es mir beim Lesen dieser Zeilen?
Hat es vielleicht schon beim Frühstück eine Auseinandersetzung gegeben?
Habe ich heute schon Gemeinschaft erlebt oder dazu beigetragen?
Ist mir schon ein Gedanke oder Wort der Dankbarkeit über die Lippen gekommen?

Was bedeutet für mich Gemeinschaft? Eine Antwort könnte lauten: Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft.
Diese Definition gefällt mir, kommt darin doch zum Ausdruck: Mir wird geholfen und ich kann mich einbringen. Ich denke, darin liegt ein erstes Angebot für diesen Tag, denn beides müssen wir üben.

Und ein zweites: Gemeinschaft (er)leben. Auch das bedarf der Einübung. Denn echtes Leben vermehrt sich!

Mit dem vorliegenden Impuls endet die Reihe der österlichen Impulse. Ich bedanke mich für Ihr Interesse und die positiven Rückmeldungen.
Bewahren Sie sich die Freude des Herzens und vergessen Sie bitte unsere Gemeinschaft von Königsmünster nicht.

Mit folgenden Gebetsworten wünsche ich Ihnen frohe und gesegnete Begegnungen.

Bekleide uns mit deiner Gnade,
erfülle uns mit deiner Liebe
und führe uns den Weg zur Vollkommenheit. 

Ihr
+ Aloysius Althaus OSB

 

Im Advent 2021 werden wir die Reihe der täglichen Impulse wieder aufnehmen. Wenn Sie die Impulse als E-Mail-Newsletter empfangen möchten, nutzen Sie bitte den Anmeldelink rechts auf dieser Seite.

Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird. (aus der Apostelgeschichte 2,37-41)

Im antiken Pantheon in Rom, das heute eine Kirche ist, gibt es an Pfingsten einen schönen Brauch. Um das Ausgießen des Heiligen Geistes darzustellen, werden am Ende des Pfingstgottesdienstes durch die Öffnung der Dachkuppel Rosenblätter in die Kirche gestreut, die dann in einem duftenden Blütenregen zu Boden fallen.
Ein ganz ähnliches Bild gibt es in dem Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von Marc Rothemund aus dem Jahr 2005. Im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität in München lassen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ Flugblätter zu Boden regnen. Es ist nur eine Filmszene, aber sie ist tatsächlich so ähnlich in Wirklichkeit passiert. Nach dieser Aktion wurde die Gruppe durch die Nationalsozialisten zerschlagen, ihre Mitglieder festgenommen, verurteilt und ermordet. Wenn man heutzutage im Lichthof der Universität steht, kann man sich gut vorstellen, wie das damals alles geschah. Der Ort ist äußerlich unverändert.

Es ist schon seltsam: Damals, im Februar 1943 schien alles so, als ob es vorbei wäre. Die Mühen und Hoffnungen der Gruppe gescheitert, zerstört. Kein guter Anfang, so scheint es.
Und doch ist die Saat, die Saat der Flugblätter, aufgegangen, und als die Blätter am Boden angekommen waren, hatten sie die Welt verändert.
Steht man im Lichthof, erlebt man um sich herum junge freie Menschen, die von ihrem Morgen träumen. Der Traum der Weißen Rose vom Wintertag 1943 ist zu ihrer Wirklichkeit geworden.
Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche, der Gemeinschaft. Es ist aber auch der Moment, in dem die Verheißung ausgesät wurde. Eine Verheißung, die wir säen sollten und die wir wachsen lassen können, deren Früchte aber für das Morgen bestimmt sein werden.

Br. Balthasar Hartmann OSB