Verlasst euch stets auf den Herrn;
denn der Herr ist ein ewiger Fels.
(Jes 26,4)

So heißt es in der Lesung des heutigen Tages.
Aufrufend, aufmunternd: baut auf IHN.

Aber auch abschmetternd, kalt:
Gott ein Fels?

Ja, auf den kann ich bauen.
Der gibt Halt.
Aber er ist kalt, unnahbar, hart,
die Begegnung ist einseitig, ohne Reaktion.

Ist Gott so?
Oft erfahre ich IHN so.
Das Evangelium (Mt 7,21.24-27) fordert mich auf,
auf einen solchen Felsen zu bauen.

Ich kann es tun –
weil ich diesem FELSEN Gott
begegnen darf auch und gerade als dem Liebenden,
bei dem ich mit meinen Fehlern und Macken „andocken“ kann,
von dem ich mich getragen weiß.

Dann ist ER kein Fels mehr – kalt und abweisend.
Dann ist ER Freund – warmherzig und bergend.

Wage ich es, auf IHN zu bauen?!

P. Guido Hügen OSB

Seit dem letzten Sonntag, dem Einstieg in den Advent, begleitet mich ein kurzer Text:

„So bist DU
mir
also wieder
da

oder vielmehr
ich bin Dir
wieder
da
mein Gott“

Irgendwie dreht er die gewohnte Perspektive um: „ vielmehr – ich bin dir – wieder da – mein Gott“. Für mich ist der Text ein Ansporn für die Zeit des Advents. Zu versuchen, für und vor Gott da-zu-sein. Aber wir wissen alle, wie schwer das ist. Da-sein. Vielleicht muss ich manches lassen – in diesem Advent. Weniger Internet, Facebook, Instagram,… Um einfach vor diesem Gott da-zu-sein. In der tiefen Gewissheit: Er ist da! Denn das ist sogar sein Name: „Ich bin der Ich-bin-da!“

Vielleicht kann ich ja dann an Weihnachten sagen: „Und jetzt bin auch ich ganz da!“

P. Jonas Wiemann OSB

 

Dieser Sommer ist längst gestorben. Das letzte Grün, das manche Büsche noch tragen, ist eine Erinnerung an längst entschwundene Zeiten. Der winterliche Garten hat immer etwas Verwunschenes. Still liegt er da: Nebel durchziehen ihn. Der Frost verzaubert ihn.  Und es wirkt, als ob er träumt.

„Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“. (Jes 11,1)

Vertraute, uralte Worte aus längst vergangenen Tagen! Mit diesem Satz beginnt eine biblische Prophezeiung. Sie gehört zum Advent wie die Lieder, die nur in diesen Tagen gesungen werden. Abgehauene Stämme und alte Wurzelstöcke werden noch einmal austreiben, die totgeglaubten Wurzeln sind noch aufrührerisch, ganz tief da unten. Das Leben kommt wieder. Das erzählt der Prophet Jesaja: wie aus einem abgestorbenen Baumstumpf etwas Neues wächst. Etwas ist abgeschnitten, ja, aber das ist nicht das Ende. Jesaja schaut in seiner Prophezeiung aber noch weiter und tiefwirkender – das Bild vom ewigen Frieden der Geschöpfe!

„Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.“ (Jes 11,6-9)

Diese Verheißung der fernen Zukunft führt uns der Prophet Jesaja in der heutigen Lesung vor Augen. Es ist die fernere Zukunft, die einen umfassenden Frieden der Schöpfung und zwischen den Geschöpfen bringen wird. Seine Vision führt uns gegenüber der Wirklichkeit in der Natur ein sehr abstraktes Bild vor Augen. Dieses utopische Bild ist ein starkes Symbol für das kommende Reich Gottes: Die tödlichen Feindschaften zwischen den Geschöpfen werden dort aufhören.

„An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig.“ (Jes 11,10)

Wenn wir begreifen wollen, wer Jesus ist, dann können wir auf die mächtigen Bilder dieser alten Verheißung des Jesaja blicken. Das Kind, das im Stall von Bethlehem geboren wird, ist nicht nur ein Kind, sondern in ihm kommt Gott selbst in unsere Welt. Mit Jesus erfüllen sich die Heilsankündigungen des Propheten Jesaja. Jesus ist das neue Reis, das aus dem Baumstumpf des Isai wachsen soll. Er ist der neue König aus dem Hause David, der da kommen soll. Mitten in einer dunklen und kalten Welt wird ein Kind geboren, es ist der Keim einer großen Hoffnung. ER wurzelt. Er knospt auf. In der Stille des Wintergartens des Lebens blüht eine Rose auf: Jesus Christus. Mit seinem Leben und Leiden, mit seiner Verkündigung der Liebe Gottes will er sich als Baum des Lebens in unserem Herzen verwurzeln. Neigen wir in diesen Tagen des Advents das Ohr unseres Herzens, und hören wir!

Br. Benedikt Müller OSB

 

Mit Advent verbinde ich Stille, Beschaulichkeit und manchmal auch Rückzug. Der heutige Tagesheilige, der Apostel Andreas, ist das genaue Gegenteil. Er lässt sich berufen und senden. Er verkündet das Evangelium in fremden Ländern. Der Advent ist also nicht nur eine Zeit der Besinnung, sondern auch eine Zeit der Sendung. Wohin lasse ich mich senden?

Viele Menschen lassen sich in dieser Zeit zur Hilfsbereitschaft senden. Sie wenden sich den Bedürftigen hier und in der weiten Welt zu. Eine bemerkenswerte Intensität der Hilfe und Solidarität bricht sich in ganz vielen Menschen Bahn. Mich berührt es jedes Jahr, mit wieviel Phantasie Menschen versuchen, anderen Menschen zu helfen und ihnen eine Freude zu bereiten. Und das sind längst nicht alles Christen. Karl Rahner hat einmal vom „anonymen Christentum“ gesprochen. In der Hilfsbereitschaft so vieler Menschen, seien es Christen oder nicht, erkenne ich dieses anonyme  Christentum. So viel an froher Botschaft wird durch die Hilfsbereitschaft vieler in die Welt gesandt.

Ich weiß nicht, ob sich der Apostel Andreas schon als Christ bezeichnet hätte. Ich finde das auch nicht wichtig. Aber er hat sich senden lassen, ganz konkret zu den Menschen in seiner Zeit. Mich berührt es, wie viele Menschen ihm darin folgen.

Br. Benjamin Altemeier OSB

Seht euch also vor, und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. (Mk 13,33)

„Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Wir alle erinnern uns wohl noch lebhaft an diese Worte, die Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März dieses Jahres in einer Rede an die Nation eindringlich formulierte. Sie machte damit eindrücklich die Bürgerinnen und Bürger auf den Ernst der Lage angesichts der Corona-Pandemie aufmerksam und mahnte zur Wachsamkeit. Ihre Worte haben bis heute nichts an Aktualität verloren. Auch wenn uns die immer wiederkehrende Mahnung zur Wachsamkeit, zur Beschränkung der Kontakte, zum Einhalten der Hygieneregeln manches Mal nerven mag, so ist sie doch wichtig, um Leben zu retten und Schwächere zu schützen.

Wir stehen heute am Anfang eines Kirchenjahres. Und auch das heutige Evangelium mahnt uns mehrmals zur Wachsamkeit. Allerdings ist es hier kein Virus, das ungefragt in den Alltag einbricht, sondern der „Hausherr“ selbst, der zu vorgerückter Stunde kommt, dann, wenn er am wenigsten erwartet wird.

Das Evangelium möchte uns keine Angst machen. Die Katastrophen, von denen kurz vorher die Rede ist (vglMk 13,24) sind nicht das Ende. Wenn der Hausherr kommt, der, dem wir letztlich gehören, der die Welt in seinen Händen hält, dann ist die Zeit der Katastrophen und Pandemien vorbei. Wir haben eine Hoffnung, die über alle Not, so schwer sie auch sein mag, hinausreicht.

Unsere im Advent beleuchtete Abteikirche soll solch ein Zeichen der Hoffnung sein. Inmitten der vielen Lichter des Advent, aber auch der leeren Straßen, weil in diesem Jahr eben vieles nicht stattfinden kann, strahlt sie in der Dunkelheit hoch über Meschede und weist hin auf den König des Friedens, den wir im Advent erwarten.

Wenn die Stimmung sich in diesen Tagen trübt und der Blick schwer wird, dann schauen Sie auf das Bild der beleuchteten Kirche und denken Sie daran: die Welt ist nicht verloren! Es gibt Hoffnung!

P. Maurus Runge OSB

Der Film „Babel“ des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu aus dem Jahr 2006 zeigt auf eindrückliche Weise, dass alles mit allem verbunden ist. Drei zunächst zusammenhanglos erscheinende Episoden in verschiedenen Regionen der Erde hängen doch miteinander zusammen. Ein Gewehrschuss in der Wüste von Marokko löst eine internationale Krise aus und verbindet das Schicksal von Menschen dort, in Japan und an der mexikanisch-amerikanischen Grenze.
Der Filmtitel „Babel“ erinnert an die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel, Symbol für den Größenwahn des Menschen, der dann letztlich in Sprachverwirrung und das Nicht-Verstehen mündet. Und auch im Film ist es oft das Nichtverstehen, das Aneinander-Vorbeireden, die körperliche und seelische Gewalt, die Verwirrung schafft. Erst am Ende des Films gibt es ein zartes Pflänzchen der Hoffnung, dass Kommunikation gelingen kann.

Pfingsten ist der biblische Gegenentwurf zu Babel. Hier ist die Vielfalt nicht verwirrend und führt in die Isolation, sondern Menschen verschiedener Kulturen beginnen einander zu verstehen, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Nicht menschengemacht und damit heillos überfordernd, wie es die Geschichte von Babel zeigt, sondern Geschenk des „Ruach“-Geistes, des „Atems“ Gottes, der Menschen befreit aufatmen lässt. So nennt der Journalist Heribert Prantl in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung die Pfingstgeschichte „eine Anti-Geschichte gegen das Virus, das den Kranken und der Gesellschaft den Atem nimmt.“ Eine Geschichte, die von „göttlicher Beatmung“ erzählt.

„Pfingsten ist die Vision, dass gegenseitiges Verstehen trotz dieser Vielfalt möglich ist.“ Das Ende des Films „Babel“ zeigt diese Vision in einer sehr zarten, leicht zerbrechlichen Form. Pfingstliche Aufbrüche sind nicht unbedingt laut, sondern kommen oft eher leise daher. Der Gottesgeist offenbart sich nicht immer in den kräftigen Bildern des aufrüttelnden Sturmes und der Feuerzungen, sondern manchmal im sanften, leisen Säuseln, das der Prophet Elija am Gottesberg erspürt, in der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie es Martin Buber großartig übersetzt. Mögen wir diese leisen Hoffnungszeichen in unserer schnellen Welt nicht übersehen!

Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. (Apg 1,14)

Am heutigen Siebten Ostersonntag, der liturgisch zwischen Christi Himmelfahrt und der Geistsendung an Pfingsten, also in einer Zwischen-Zeit liegt, finden wir uns wieder im Obergemach in Jerusalem gemeinsam mit den Aposteln, mit Maria, der Mutter Jesu, und weiteren Frauen und mit Jesu Brüdern. Es ist dasselbe Obergemach, in dem Jesus mit seinen Freunden am Abend vor seinem Tod das Abschiedsmahl hielt. Und es ist dasselbe Obergemach, in dem sich die Apostel nach Jesu Tod eingeschlossen haben, voller Angst und Zweifel, was nun nach dem Tod ihres Meisters werden soll. So ist das Obergemach ein Ort durchlebter Emotionen.

Jetzt ist die Stimmung anders: „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet.“ Der von Emotionen gefüllte Raum wird zum durchbeteten Raum, zum Raum, in dem die junge Kirche ihre Sehnsucht und Erwartung im Gebet vor Gott bringt. Es ist der Raum, in dem sich die Apostel vorbereiten auf ihre Mission, die an Pfingsten, am jüdischen Wochenfest, zum Durchbruch kommt.

Wo ist mein Obergemach? In welcher Stimmung bin ich dort? Ist es Raum des Abschieds, der Erinnerung an das, was einmal gewesen ist? Raum der Angst und Verzweiflung, in den ich mich einschließe und niemanden hereinlasse? Oder doch Raum des Gebetes, in dem meine Sehnsucht gut aufgehoben ist im doppelten Sinn des Wortes?

P. Maurus Runge OSB

 

Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt. (1 Petr 3,15)

In einem katholischen Podcast, in dem mehrmals in der Woche ganz unterschiedliche Menschen über ihr Leben in und ihren Umgang mit der Corona-Pandemie interviewt werden, wird jedem Gast am Ende dieselbe Frage gestellt: „Was gibt Ihnen Hoffnung in dieser Zeit?“ Am Ende eines Gespräches, in dem es vor allem um Schwierigkeiten und Probleme geht, mit denen die befragten Menschen zu tun haben – und derer gibt es viele – wird der Horizont geweitet auf Zukunft hin, auf das, was den Menschen mitten in der Krise Hoffnung macht. Nicht umsonst heißt der Podcast „Himmelklar“ – er sieht in großer Klarheit die Situation der Menschen in der Krise, richtet den Blick aber weiter, gen Himmel, auf das, was uns übersteigt und am Leben hält (er ist übrigens sehr hörenswert; den Link finden Sie im Text).

In den Worten des Ersten Petrusbriefs, die der heutigen Lesung entnommen sind, steht ebenfalls die Aufforderung, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Hoffnung ist die Tugend der Zukunft. Sie eröffnet neue Räume über die oft triste Gegenwart hinaus und zeigt uns, was alles an Möglichkeiten, die Wirklichkeit werden wollen, in der Luft liegt. Und genau deswegen ist sie auch keine bloße Vertröstung, wie es ihr immer wieder vorgeworfen wird. Denn Hoffnung kann das Potential wecken, das in mir zum Besseren angelegt ist. Sie kann aus Möglichkeit Wirklichkeit machen – und setzt ihr Heil dennoch nicht auf den Menschen allein – das würde uns hoffnungslos überfordern – sondern weiß sich rückgebunden an einen, der all unsere verloren geglaubten Hoffnungen einmal erfüllen wird – auch die Hoffnungen der Zu-Kurz-Gekommenen, der sog. Opfer der Geschichte.

Was gibt ihnen Hoffnung in dieser Zeit? Ich lade Sie ein, einmal über diese Frage nachzudenken und für sich zu beantworten. Das kann die Perspektive auf diese Zeit vielleicht schon verändern.

P. Maurus Runge OSB

Bild: Gianni Crestani auf Pixabay

Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! (Joh 14,1)

In diesen Tagen ist es nicht unbedingt einfach, diesem Rat Jesu am Anfang des heutigen Evangeliums zu folgen. Denn wer ist gerade nicht verwirrt bei den vielen oft widersprüchlichen Meldungen und Meinungen, bei unterschiedlichen Herangehensweisen an die Krise, bei so vielen Fake News und Verschwörungstheorien, vor denen selbst hochrangige Kardinäle der Kirche nicht gefeit sind?
Wer sollte nicht das Vertrauen verlieren, wenn Menschen in der näheren Umgebung krank werden, im schlimmsten Fall sogar sterben?
Wer sollte sich nicht sorgen um die Gesundheit, um die wirtschaftliche Existenz, um liebe Freunde und Bekannte?

Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Jesu Wort klingt wie eine Beruhigungspille, eine billige Vertröstung, welche die Realität nicht wahrhaben will.

Aber dieses Wort ist ganz und gar nicht realitätsfremd. Es ist Teil der sog. Abschiedsreden Jesu – gesprochen im Schatten des Kreuzes, am Vorabend von Jesu Passion. Jesus hat die Realität klar gesehen. Er hat gespürt, dass es mit ihm zu Ende geht, und er hat die Angst und Sorge seiner Jünger vorausgesehen. Und so spricht er ihnen Worte der Stärkung und Ermutigung zu. Worte des Trostes, die auch in schweren Zeiten tragen sollen. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Habt Vertrauen, dass es einen gibt, der alle Unsicherheiten überdauert, der in allen Stürmen des Lebens Halt gibt. Ja, das mag manchmal wie eine Beruhigungspille  wirken. Aber auch eine Beruhigungspille kann für den Moment helfen, Schmerz lindern, das Herz ruhig machen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder Orte finden, an denen Sie Ihr Herz festmachen können, wo Sie den Anker werfen und neuen Mut schöpfen können.

P. Maurus Runge OSB

Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. (Joh 10,4)

Der Vierte Ostersonntag wird auch als „Guter-Hirte-Sonntag“ bezeichnet; denn im Evangelium wird das Verhältnis der Jünger zu Jesus mit dem Bild vom Hirten und seiner Herde von Schafen beschrieben. Die Schafe kennen ihren Hirten, sie hören seine Stimme und folgen ihm – im Gegensatz zu einem Fremden, der sich irgendwie Zutritt zur Herde verschaffen will.

Das Bild vom Schafen und seinem Hirten ist uns heute suspekt, wenn es auf den Priester, den „Pastor“, also den Hirten seiner Schäfchen übertragen wird. Da kann etwas von Unmündigkeit und Willenlosigkeit mitklingen, von Schafen, die ohne eigenen Willen gehorsam ihrem Hirten folgen. Dabei sind wir doch in Taufe und Firmung zu mündigen Christen geworden, mit einer unzerstörbaren Würde ausgestattet, gesandt zu einer je unverwechselbaren Aufgabe.

Gerade in der Diskussion um öffentliche Gottesdienste in diesen Tagen, die oft auf öffentliche Eucharistiefeiern reduziert wird, erlebe ich, wie solch ein antiquiertes und der Realität nicht entsprechendes Bild fröhliche Urständ feiert. Da geben die „Hirten“ Richtlinien vor, sprechen von einer „Versorgung“ ihrer Herde. Und es wird vergessen, dass Schafe alles andere als willenlose und unmündige Geschöpfe sind, dass sie durch Taufe und Firmung geistbegabt sind und dass es somit durchaus andere Formen als die pure „Versorgung“ mit Gottesdiensten gibt. Vielleicht lädt uns diese Zeit gerade dazu ein, kreativ zu werden, die eigenen Möglichkeiten zu entdecken, aus einer reinen Versorgungsmentalität rauszukommen hin zu einer echten Kirche der Beteiligung. Dann können wir einander vom „Leben in Fülle“ weitergeben, zu dem Jesus uns alle, Schafe wie Hirten, berufen hat.

P. Maurus Runge OSB