Impuls am Dienstag der 1. Adventswoche (1.12.2020)
Dieser Sommer ist längst gestorben. Das letzte Grün, das manche Büsche noch tragen, ist eine Erinnerung an längst entschwundene Zeiten. Der winterliche Garten hat immer etwas Verwunschenes. Still liegt er da: Nebel durchziehen ihn. Der Frost verzaubert ihn. Und es wirkt, als ob er träumt.
„Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“. (Jes 11,1)
Vertraute, uralte Worte aus längst vergangenen Tagen! Mit diesem Satz beginnt eine biblische Prophezeiung. Sie gehört zum Advent wie die Lieder, die nur in diesen Tagen gesungen werden. Abgehauene Stämme und alte Wurzelstöcke werden noch einmal austreiben, die totgeglaubten Wurzeln sind noch aufrührerisch, ganz tief da unten. Das Leben kommt wieder. Das erzählt der Prophet Jesaja: wie aus einem abgestorbenen Baumstumpf etwas Neues wächst. Etwas ist abgeschnitten, ja, aber das ist nicht das Ende. Jesaja schaut in seiner Prophezeiung aber noch weiter und tiefwirkender – das Bild vom ewigen Frieden der Geschöpfe!
„Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.“ (Jes 11,6-9)
Diese Verheißung der fernen Zukunft führt uns der Prophet Jesaja in der heutigen Lesung vor Augen. Es ist die fernere Zukunft, die einen umfassenden Frieden der Schöpfung und zwischen den Geschöpfen bringen wird. Seine Vision führt uns gegenüber der Wirklichkeit in der Natur ein sehr abstraktes Bild vor Augen. Dieses utopische Bild ist ein starkes Symbol für das kommende Reich Gottes: Die tödlichen Feindschaften zwischen den Geschöpfen werden dort aufhören.
„An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig.“ (Jes 11,10)
Wenn wir begreifen wollen, wer Jesus ist, dann können wir auf die mächtigen Bilder dieser alten Verheißung des Jesaja blicken. Das Kind, das im Stall von Bethlehem geboren wird, ist nicht nur ein Kind, sondern in ihm kommt Gott selbst in unsere Welt. Mit Jesus erfüllen sich die Heilsankündigungen des Propheten Jesaja. Jesus ist das neue Reis, das aus dem Baumstumpf des Isai wachsen soll. Er ist der neue König aus dem Hause David, der da kommen soll. Mitten in einer dunklen und kalten Welt wird ein Kind geboren, es ist der Keim einer großen Hoffnung. ER wurzelt. Er knospt auf. In der Stille des Wintergartens des Lebens blüht eine Rose auf: Jesus Christus. Mit seinem Leben und Leiden, mit seiner Verkündigung der Liebe Gottes will er sich als Baum des Lebens in unserem Herzen verwurzeln. Neigen wir in diesen Tagen des Advents das Ohr unseres Herzens, und hören wir!
Br. Benedikt Müller OSB