Impuls an Karfreitag (02.04.2021)

Und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! (aus Lk 23,32-49)

Wir haben gestern am Gründonnerstag unsere Kirche leergeräumt. Alle Kerzen, alles Schmückende ist weg. Der Tabernakel ist leer, und das ewige Licht erloschen. Es ist seltsam, heute am Karfreitag kann man in der Abteikirche eine Weite erleben, die ganz weit von dem scheint, was wir heute in der Sterbestunde Jesu erfahren und erleben. Der Vorhang ist zerrissen, und wir blicken auf einen Raum, der durch seine Leere Dinge sichtbar macht, die andern Tags verborgen bleiben.
Als der Jesuit Hugo Makibi Enomiya-Lassalle, in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in Japan dem Buddhistischen Weg des Zen begegnete und er begann, sich intensiv mit der Zen Meditation auseinanderzusetzen, da begegnete er einem Zen Meister, der ihn durch seine große Ruhe und Gelassenheit tief beeindruckte. Er wusste, dass der Zen Mönch im Zweiten Weltkrieg Schreckliches erlebt hatte und dass er in dieser Zeit mehrmals fast verhungert wäre. Trotz alledem war er nicht verbittert.
Lassalle fragte ihn eines Tages, wie es denn komme, dass er so in sich ruhe, und dass er gegen niemanden einen Groll hege? Der Meister erzählte ihm, dass er genau in der Zeit, als er so Schreckliches erleben musste, eines Tages in sich einen Raum fand, in dem vollkommener Frieden war. Dieser Ort war kein Fluchtraum oder ein Raum der inneren Immigration. Er berichtete Lassalle, dass sich, in dem Moment, da er den Raum gefunden hatte, alles um sich wandelte. All der Schrecken war auf einmal für ihn unwesentlich geworden.
Man kann besonders an einem Tag wie heute so eine Geschichte gut falsch verstehen. All das Leid, der Schmerz, der Menschen zugefügt wird, ist erst einmal wesentlich. Grausamkeit und Leid sind Realitäten in unserer Welt, und sie gehen uns alle an. Auch die Passion erzählt ja heute dies.
Doch gleichzeitig sind eben alle Lebewesen, auch immer viel mehr als nur ihre Existenz.
Wir sind nicht nur statisch, sondern immer auch im Wandel.
Wir haben es ja gerade in der  Fastenzeit erlebt, durch die wir gegangen sind.
Und wir werden diese Wandlung in unserem Sterben erleben. Es werden dann Dinge sichtbar werden, es werden sich Räume öffnen, die sonst verborgen bleiben.

Wir erfahren es heute, und wir werden es an Ostern erleben.

Br. Balthasar Hartmann OSB