60 Jahre II. Vatikanisches Konzil (1)
Am 11. Oktober 1962, vor 60 Jahren, wurde in Rom das II. Vatikanische Konzil eröffnet. Es brachte viele Veränderungen auch in unserer Gemeinschaft mit sich. Anlässlich des Jahrestages der Konzilseröffnung möchten wir in einer kleinen Artikelserie an diese bewegten Zeiten in der Kirche erinnern, um aus dieser Erinnerung heraus Impulse für die Zukunft zu gewinnen. Wir beginnen mit einem Beitrag über die liturgischen Veränderungen in unserer Gemeinschaft von Königsmünster. Alle Artikel finden Sie auch im aktuellen „Gruß aus Königsmünster“:
Liturgie auf dem Weg – Königsmünster im Zeichen der Erneuerung
P. Maurus Runge OSB
Am 11. Oktober 1962 hielt Papst Johannes XXIII. in Rom eine viel beachtete Rede zur Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils. Drei Jahre zuvor hatte er es in der Benediktinerabtei St. Paul vor den Mauern vor den versammelten Kardinälen ausgerufen. Es sollte dem „aggiornamento“ der Kirche dienen, ihrer „Verheutigung“, ihrem Ankommen im 21. Jahrhundert. In seiner Eröffnungsrede wendete sich der Papst gegen „Unglückspropheten, die immer das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde.“ Und er nennt die Geschichte eine „Lehrmeisterin des Lebens“. In der konkreten Geschichte muss der Glaube so verkündet werden, dass die Menschen das Zeitlose der frohen Botschaft des Evangeliums verstehen können.
Die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils hatten Auswirkungen auf den Benediktinerorden, auf die Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien und natürlich auch auf das junge Kloster Königsmünster. „Liturgie auf dem Wege“ – so ist ein zusammenfassender Artikel über die Veränderungen in unserer Gemeinschaft im Gefolge des Konzils überschrieben, der im Jahresbericht 1970 erschien. Der internationale Äbtekongress, der 1966 in Rom stattfand, befasste sich mit der neuen Situation, welche vor allem im Dekret über eine „zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens“ (Perfectae Caritatis) und in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ grundgelegt wurde. Das Hauptanliegen war die Einführung der Muttersprache statt des Lateinischen im Stundengebet. Wie schwierig diese Diskussion war, zeigt ein Brief von Papst Paul VI., den alle Delegierten des Äbtekongresses bei der Ankunft in ihren Zimmern vorfanden. Darin forderte der Papst, dass die lateinische Sprache und der Gregorianische Choral beibehalten werden sollten. Abt Harduin Bießle, der damals unser Kloster beim Kongress vertrat, schreibt im Jahresbericht: „Wir können uns aber nicht vorstellen, dass der Heilige Vater auf dieser Forderung besteht, wenn er einsieht, dass wir Mönche in der Muttersprache andächtiger und lieber, aber auch zur größeren Erbauung der Gläubigen unser Offizium verrichten. Bei der Eucharistiefeier werden dagegen wohl noch viele gerne den Choral in Verbindung mit der lateinischen Sprache beibehalten.“ Diese Worte spiegeln die kontroversen Diskussionen, aber auch einen möglichen Kompromiss wider, der sich anbahnte.
Da die sog. „Confoederatio benedictina“ kein zentral geführter Orden ist, sondern aus rechtlich selbstständigen Gebilden besteht, konnte der Äbtekongress nur Empfehlungen aussprechen, die dann von den Gremien vor Ort in rechtlich bindende Beschlüsse umgesetzt werden mussten. Diese Aufgabe übernahm das 10. Generalkapitel der Benediktinerkongregation von St. Ottilien, das vom 10. bis 26. Oktober 1966 im Anschluss an den Äbtekongress stattfand – und zwei Jahre später wegen des enormen Diskussionsbedarfs fortgesetzt wurde. Unter dem Vorsitz des damaligen Erzabtes Suso Brechter kamen alle Oberen der zehn damals selbstständigen Klöster mit je einem Delegierten aus den Gemeinschaften in St. Ottilien zusammen. Das wichtigste Bestreben war die Eingliederung der Laienbrüder in die klösterliche Familie. Vor dem Konzil bestand die Klostergemeinschaft im Grunde aus zwei Konventen, den Priestern und Klerikern (Studenten auf dem Weg zum Priestertum) und den sog. Laienbrüdern, die in unserer Kongregation allerdings von Beginn an gerade in den Missionsgebieten einen hohen Stellenwert besaßen als diejenigen, die die ganze Infrastruktur aufgebaut haben. Die Laienbrüder legten keine feierliche Profess ab, hatten eine andere Kleidung als die Priester und ein kürzeres deutsches Stundengebet. Das Generalkapitel ebnete nun den Weg dafür, dass auch die Laienbrüder die feierlichen Gelübde ablegen konnten und als volle Mitglieder mit Stimmrecht zur Gemeinschaft gehörten.
All das galt es in den einzelnen Klöstern umzusetzen. Königsmünster gehörte dabei zu einer Gruppe von Klöstern, die die Konzelebration mehrerer Priester in der Eucharistie erproben sollten, bevor sie für die ganze Kirche erlaubt wurde. Die gerade 1964 eingeweihte Abteikirche hatte in vielem, was das Konzil theologisch beschloss, prophetischen Charakter. In Königsmünster wurde ein Ausschuss für liturgische Fragen ins Leben gerufen, der als Arbeitsteam Vorschläge für Reformen ausarbeitete, sammelte und prüfte. Zu gewissen Zeiten wurde die gesamte Gemeinschaft eingebunden – man kann sich vorstellen, dass es auf so einem wichtigen Feld für ein Benediktinerkloster, wie es die Liturgie ist, zu hitzigen Diskussionen gekommen ist. Alles Neue wurde dann zunächst ad experimentum, auf Probe eingeführt – so halten wir es übrigens noch heute. Der damalige Zeremoniar P. Gregor Mias, aber auch P. Michael Hermes und P. Clemens Brunnert erwarben sich große Verdienste für eine schnelle Umsetzung der Konzilsbeschlüsse in unserer Gemeinschaft. In unermüdlicher Arbeit wurden Texte gesucht, übersetzt, zusammengestellt, Melodien übertragen oder neu komponiert und alles wieder kritisch gesichtet, dann geschrieben, vervielfältigt, geheftet und im Stundengebet ausprobiert. All das ließ den kleinen Konvent von Königsmünster schnell an seine Grenzen kommen. So war die Freude groß, als in der Abtei Münsterschwarzach eine neue Ordnung des Stundengebetes erarbeitet wurde, der sich unsere Gemeinschaft in vielem anschließen konnte.
Am 9. März 1970 war es dann soweit: an diesem Tag erklang zum ersten Mal in Königsmünster ein gemeinsames deutsches Chorgebet. Brüder und Patres beteten als eine Gemeinschaft gemeinsam. Auch wurde eine neue Tagesordnung eingeführt, deren Qualität sich schon dadurch auszeichnete, dass sie unverändert bis vor wenigen Jahren beibehalten wurde.
Der Bericht von 1970 endet mit den Worten: „Wird es wohl jemals wieder eine „endgültige“, eine „fertige“ Liturgie geben? Die Kirche ist das Volk Gottes auf dem Weg. Sie muss sich stets neu orientieren. Das aber erhält sie lebendig und dynamisch. Unser Konvent hat sich mit der Kirche auf den Weg gemacht.“ Auf diesem Weg befinden wir uns auch heute noch. Wenn die Geschichte wirklich eine „Lehrmeisterin des Lebens“ ist, wie es Papst Johannes sagte, dann wird auch Liturgie in der Geschichte nie fertig sein. Sie wird sich organisch verändern, und nachfolgende Generationen werden vielleicht neue oder ganz andere Dimensionen (wieder)entdecken. Wichtig ist, dass eine Gemeinschaft über diese Prozesse im Gespräch bleibt und dass wirklich jeder mit seiner persönlichen Meinung sein darf und gehört wird. So wird man ohne Polarisierungen zu tragfähigen Lösungen kommen, so wie es unsere Vorfahren in den 1960er Jahren gemeinsam geschafft haben. Wäre dieses benediktinische Hören aufeinander und vor allem das Geltenlassen verschiedener Meinungen nicht ein wichtiger Bestandteil auch für die Diskussionen um kirchliche Reformen heute?