60 Jahre II. Vatikanisches Konzil (2)
Anliegen des II. Vatikanischen Konzils, das vor 60 Jahren eröffnet wurde, finden sich schon in der Benediktsregel. P. Klaus-Ludger geht in seinem Beitrag dem Zusammenhang zwischen Konzil und dem Kapitel der Benediktsregel über den gemeinsamen Rat der Brüder nach:
Der Freiheit Gottes Raum verschaffen – zum inneren Zusammenhang zwischen dem „Ratskapitel“ der Benediktsregel und dem Zweiten Vatikanischen Konzil
P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB
Das Zweite Vatikanische Konzil kam zusammen, um den Glauben ins Gespräch zu bringen mit den Themen und Fragen, die die Menschen bewegen. Diese Fragestellung und auch die Grundhaltung, in der das Konzil verlief, weisen eine erstaunliche Nähe zum dritten Kapitel der Benediktsregel – „Über den Rat der Brüder“ – auf:
Sooft etwas Wichtiges im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen und selbst darlegen, worum es geht. Er soll den Rat der Brüder anhören und dann mit sich selbst zu Rate gehen. Was er für zuträglicher hält, das tue er. Dass aber alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist. Die Brüder sollen jedoch in aller Demut und Unterordnung ihren Rat geben. Sie sollen nicht anmaßend und hartnäckig ihre eigenen Ansichten verteidigen. Vielmehr liegt die Entscheidung im Ermessen des Abtes: Was er für heilsamer hält, darin sollen ihm alle gehorchen. Wie es jedoch den Jüngern zukommt, dem Meister zu gehorchen, muss er seinerseits alles vorausschauend und gerecht ordnen. (RB 3,1-6).
Eines der entscheidenden Themen des Konzils war die Frage nach der Freiheit des Menschen.
Denn kaum ein Wort hat in Geschichte und Gegenwart mehr Wirkung als das Wort „Freiheit“. Da wo Freiheit lockt, sind Menschen fasziniert, wo Freiheit in Gefahr gerät, herrscht Alarmzustand. Die Ansage, dass der Mensch „zur Freiheit berufen“ ist, ist eine der segensreichsten Spuren der biblischen Religionen – des Judentums und des Christentums – in der Weltgeschichte. Für das Volk Israel war die Erfahrung, dass Gott da ist, wo der Mensch frei ist von der Beherrschung durch Menschen der schlechthinnige Grundimpuls, – beginnend mit dem Auszug aus der Knechtschaft des Pharao in die Freiheit Gottes. Jesus hat diesen Grundimpuls seiner jüdischen Wurzeln verkörpert: Nicht einmal Kreuz und Tod setzen der Freiheit eine Grenze, weil die Grenze des Daseins in Raum und Zeit nicht das Ende, sondern der Übergang in die Vollendung ist.
Doch spätestens seit der Europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts hatte sich die Christenheit den Kampf um die Freiheit aus der Hand nehmen lassen, – weil sie zu sehr verstrickt war in den Kampf um die Macht: Statt zur Freiheit zu befähigen, hat man kirchlicherseits Freiheit zur Bedrohung erklärt, – vor der man die Menschen meinte schützen zu müssen. Christ zu sein reduzierte sich in der Erfahrung vieler auf ein System kaum verständlicher und mit äußerem Druck durchgesetzter Regulierungen. Das fatale Ergebnis sehen wir heute: Immer mehr Menschen halten Religion für etwas Überflüssiges oder sogar Schädliches. Die Kirchen ihrerseits sind so sehr damit beschäftigt, sich selbst am Laufen zu halten, dass sie kaum noch Kraft haben, ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, – nämlich, den Menschen den Zugang zu einer im Gottvertrauen gründenden Freiheit zu ermöglichen. Die Kirche ist dazu da, für Gott den Platz zu schaffen, der seiner unendlichen Größe entspricht. Wo sie den Verengungen des Daseins nur eine weitere hinzufügt, stellt sie sich tatsächlich selbst infrage.
Dabei ist aus Gottvertrauen gelebte Freiheit dasjenige, was die Welt in der vielfach verfahrenen Gegenwartssituation so dringend brauchen würde, – angesichts der allgegenwärtigen Bedrohungen der Freiheit und angesichts der missbräuchlichen Verwechselung von Freiheit entweder mit verantwortungsloser Beliebigkeit oder mit schrankenloser Selbstüberhöhung. Wie wichtig und zugleich wie gefährdet dieser Freiheitsauftrag der Kirche ist, wusste schon Paulus, als er an die Galater schrieb: „Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“
Freiheit im biblischen Sinn hat zum Ziel, dass die Menschen unbelastet sind von allem, was nicht menschlich ist, damit sie die Menschen sein können, die sie eigentlich sind, – ohne all die unnötigen und zerstörerischen Zwänge, die sie sich selbst auferlegen oder von anderen aufgedrückt bekommen. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild“ weiß die Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27). „Ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde“, sagt Jesus (Jo 15,15).
„Abbild Gottes“ ist ein Mensch da, wo er nicht von der Angst getrieben wird zu kurz zu kommen. „Freund Jesu“ ist ein Mensch da, wo in ihm das Vertrauen lebendig ist, dass er nicht leben muss, um zu sterben, sondern dass er sterben wird um zu leben.
Solche Freiheit entsteht weder durch am Schreibtisch konstruierte Freiheitstheorien noch durch aggressive Befreiungsschläge. Solche Freiheit wächst in Situationen, wie sie das dritte Kapitel der Benediktsregel aufzeigt:
Ein offenes, schwieriges oder gar strittiges Thema ehrlich beim Namen nennen:
„Sooft etwas Wichtiges im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen und selbst darlegen, worum es geht.“
Gründlich zuhören und das Gehörte bedenken, bis sich Schritt um Schritt Klarheit entwickelt. Die eigene Sicht so einbringen, dass sie durch sich selbst überzeugt und nicht indem eine Drohkulisse aufgebaut wird:
Der Abt soll den Rat der Brüder anhören und dann mit sich selbst zu Rate gehen. …Dass aber alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist. … Die Brüder sollen jedoch in aller Demut und Unterordnung ihren Rat geben. Sie sollen nicht anmaßend und hartnäckig ihre eigenen Ansichten verteidigen. Vielmehr liegt die Entscheidung im Ermessen des Abtes: Was er für heilsamer hält, darin sollen ihm alle gehorchen.
Eine der Gott und den Menschen entsprechende Entscheidung treffen, die von allen akzeptiert wird:
Was der Abt für zuträglicher hält, das tue er. … Die Entscheidung liegt im Ermessen des Abtes: Was er für heilsamer hält, darin sollen ihm alle gehorchen. Wie es jedoch den Jüngern zukommt, dem Meister zu gehorchen, muss er seinerseits alles vorausschauend und gerecht ordnen.