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von Abt Aloysius Althaus OSB

Schwestern und Brüder im Glauben,

Wie sehr hat sich unser Leben nun schon über Monate verändert! Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, die Kinder wochenlang zu Hause betreuen, bittere Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dazu Abstand, Hygienevorschriften, Mund und Nasenschutz, und und und…

Es gibt niemanden, dessen Leben von den Auswirkungen der Pandemie nicht verändert worden wäre in diesem Jahr. So unterschiedlich die Auswirkungen waren und sind, für uns alle heißt das: vertraute Gewohnheiten aufgeben, neue Wege ausprobieren, Distanz halten, Ungewissheit ertragen lernen. Und nun feiern wir Weihnachten am Ende dieses so ganz anderen Jahres 2020.

ABER

Erinnern wir uns, Jesus ist auch mitten im Chaos zur Welt gekommen. Für Maria und Josef war alles Vertraute, alle Sicherheit, alle menschliche Nähe weggefallen. Mitten in der Nacht, in Kälte und Einsamkeit ist Jesus zur Welt gekommen.

ALSO

Beinhaltet sich doch auch für uns heute eine Chance in der Feier der Geburt des Gotteskindes!

Viele große Dinge beginnen ganz klein. –

genau das feiern wir heute Nacht: Den kleinen Anfang einer großen Liebe.

Ein Kind wird geboren, ärmlich, am Rande einer unbedeutenden Stadt…

Der kleine Anfang eines Lebens, so klein, wie unsere menschlichen Dinge ihren Anfang nehmen: Genauso klein haben auch wir unser Leben einst begonnen.

Klein jeder Anfang von Freundschaft und Liebe, klein der erste Funke von Hoffnung in schweren Zeiten. Klein der erste Schritt zu Versöhnung und Frieden nach langem Streit.

Anfänge sind zerbrechlich, bedroht wie dieses kleine Kind in der Krippe im Stall zu Betlehem.

Und genau das ist die Botschaft der Weihnacht: Gott fängt seine Geschichte mit uns Menschen an: klein, zerbrechlich, unauffällig, und vor allem: zutiefst menschlich. Gott wird Kind!

Indem sich das Kind in der Krippe von Anfang an auf Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit einlässt, weist es auf eine Alternative im Umgang mit Verletzlichkeit. Mit dieser Art und Weise, wie die Menschwerdung Jesu beginnt, antwortet Gott auf die Wunden der Welt, nicht indem er sich unverwundbar macht, sondern indem er das Wagnis eingeht, verwundbar zu werden. Bereits die Menschwerdung in Jesus ist ein Akt der Selbsthingabe Gottes, in der sich Gott selbst schutzbedürftig und absolut solidarisch mit den Kleinsten zeigt.

In der Hingabe steckt Lebenskraft.

Wir feiern Heilige Nacht und jede und jeder von uns sollte sich fragen: Was verbinde ich damit?

Ein frommes Spiel der Liturgie? Kerzenschein und Krippenidylle?

Oder bringe ich den Mut auf, mich den Nachtseiten und Tiefen meines Lebens zu stellen? IHM die „Ställe“ meiner Armseligkeit und Müdigkeit, der Resignation und Enttäuschung zu öffnen?

Denn gerade in sie hinein ist ER geboren! Er ist in den Abgründen, in den Finsternissen bei uns, heißt es in der Schrift: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.

Schwestern und Brüder,

es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall – am Schluss der Galgen.

In dieser Nacht hat es begonnen, ganz klein und zugleich kraftvoll. Er, der menschgewordene Gottessohn sagt: ICH BIN DA! ICH BIN BEI DIR! ICH BIN DEIN LEBEN!

Kann Gott näher an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann ER ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als ER es getan hat in dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?

Karl Rahner bekennt: …sein letztes, tiefstes und schönstes Wort hat Gott gesprochen, das Wort, das er nie mehr rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus…

Zu dieser Weihnachtsbotschaft gehört aber noch ein Zweites: Weihnachten braucht Menschen, die Gottes Anfängen trauen.

Natürlich: Das Risiko bleibt. Nicht jeder Anfang gelingt. Nicht jede Hoffnung findet Erfüllung. Manche ausgestreckte Hand wird zurückgewiesen. Und wer weiß, ob das verliebte Ehepaar seinen Weg wirklich bis zum Ende gemeinsam gehen kann? Ob der junge Mönch seinem Professversprechen treu bleibt?

Gott lässt sich nicht festlegen. Und er lässt die Menschen ihren Weg gehen.

Ja: Ein Risiko bleibt, trotz Weihnachten, und deshalb braucht es Menschen. Menschen, die diesen Glauben miteinander teilen und einander ermutigen. Braucht es Menschen wie Maria und Josef, die einem Traum gefolgt sind und einem Gott, der sie ganz andere Wege geführt hat. Denen wir trauen dürfen, wenn sie uns sagen: FANG AN, brich auf, es lohnt sich!

Es braucht Menschen wie die Hirten damals, die einander zurufen: Lasst uns nach Betlehem gehen! Kommt, wir wollen Gottes Wort und Gottes Anfang trauen. Und die so die Verzagten und Erschöpften mitnehmen, die Mut machen zum Aufstehen, zum ersten Schritt.

Es braucht Menschen, die heute Weihnachten feiern, die sich berühren lassen durch dieses Kind. Die deshalb morgen wagen, den Anfängen in ihrem Leben zu trauen. Und dann die Botschaft weitertragen: Es lohnt sich.

Schwestern und Brüder,

Beten wir DEN an, der in dieser Heiligen Nacht in unsere Welt, in unser Leben gekommen ist. Bekennen wir mit dankbarem Herzen unseren Glauben: Für uns und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.

Vergessen wir nicht – angesichts der Liebe Gottes – selber die Liebe zu üben und  – angesichts des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein. Liebe will Gegenliebe. Liebe will Antwort.

Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die Höchstform das Verzeihen.

Ich wünsche uns allen, dass uns, in dieser Heiligen Nacht, die Erkenntnis aufleuchtet: Heute öffnet sich auch für mich ein wenig der Himmel, weil Gott mir ganz nahe ist, weil seine Gegenwart wie ein Lichtstrahl sogar in die dunklen Winkel meines Herzens hineinleuchtet.

Trauen wir auch mit mancher Träne in den Augen den kleinen Anfängen, denn in der Krippe beginnt neues Leben – ein Neuanfang. Amen.

von P. Johannes Sauerwald OSB

Wie kommt der göttliche Trost zum Menschen?

Wer in den augenblicklichen Lebensumständen zurechtzukommen sucht und sich umschaut, ob es früher schon einmal ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat,  und wie man die Krise damals überstanden hat, und dann auf die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja stößt, findet eine bemerkenswerte Weise vor, wie einer der größten Tiefpunkte in der Geschichte des Volkes Israel, die Zeit des babylonischen Exils, bewältigt worden ist.

Den Hintergrund dieses Textes, so ahnt der Leser, bildet die seelische Krise, die durch die Vertreibung ins Exil entstanden war. Der Verlust ihrer Heimat setzte den Menschen zu, sie drohten, ihre Identität zu verlieren. Das stürzte sie in tiefe Trauer, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Irgendwann müssen sie so weit gekommen sein, dass sie sich gesagt haben: Es wird sich nichts mehr ändern. Wir sitzen hier in der Fremde fest, entrechtet, unterdrückt, ohnmächtig, unserer Feste und Lieder beraubt, ohne die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Unser Volk und alles, was uns heilig und kostbar war, unser geistiges Erbe werden bald aus der Geschichte ausgelöscht sein, vergangen und vergessen.

Was hat der Prophet einem da noch zu sagen? Durchhalteparolen einhämmern? Appelle verkünden, Vorhaltungen machen? Nichts von dem macht der Prophet. Er sammelt eine Gruppe wacher Menschen um sich, die noch nicht aufgegeben haben, und ruft ihnen zu: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Diese Worte hat er sich nicht selbst ausgedacht, denn er hat die Stimme Gottes gehört, sie durch die Trauer hindurch, über alle Hoffnungslosigkeit hinweg, erlauscht. Was diese Stimme ihm sagt, kommt unerwartet, denn sie klingt ganz anders, als die Leute sicher angenommen hätten. Trösten, das ist jetzt die Hauptsache. Trösten, das heißt: Gut zureden, zu verstehen geben, dass da einer ist, der um die Nöte und Ängste der Menschen weiß, dass Gott selbst es ist, der mit euch fühlt. Gott rechnet nicht die Sünden vergangener Zeiten auf, macht den ins Elend Geratenen keinen Vorwurf, lehnt sie nicht ab. Ganz eindringlich ist der Auftrag gesagt: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Und das meint: Sagt etwas, das wirklich zu Herzen geht und dort ankommt, wo die Trauer sich eingenistet hat – und das ist etwas anderes, als bloß „husch-husch“ eine optimistische Stimmung zu verbreiten.

Was der Trost bewirken soll, ist ein Mentalitätswandel, und der kommt nur zustande, wenn eine neue Überzeugung entsteht. Die Überzeugung muss sich von innen her bilden, sonst verfliegt der Trost wieder.
Zu einem echten Trost gehört mehr als Empathie, nämlich eine neue Perspektive. Was aber ist in der Lage, Mut zu machen? Nach rein menschlichem Ermessen ist zwar die Lage hoffnungslos, aber die Initiative geht ja von Gott aus, von seinen Möglichkeiten.
Der entscheidende Satz lautet: „Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht.“ Das ist der Fixpunkt der Perspektive.

Das ist nicht abstrakt-fromm daher gesagt, sondern soll heißen: Gott kommt und macht dem Exil ein Ende. Wir wissen im Nachhinein aus dem Verlauf der Geschichte Israels, dass es politische Vorgänge in Mesopotamien waren, die die Voraussetzungen dafür waren, dass die Verschleppten wieder nach Hause ziehen konnten. Als das Reich Babylon am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts zerfiel, übernahm die persische Großmacht die Vormacht-stellung in dieser Gegend. Sie war es auch, die den Juden die Rückkehr ins Stammland gestattete. Aber vom biblischen Glauben her war es Gott selbst, der die Geschicke lenkte und in seiner Bundestreue dem Volk ermöglichte, mit ihm eine neue Zukunft zu beginnen. Er sammelte es um sich und führte es weiter.

Damit hat der Prophet den Zielpunkt genannt, die Wendung zum Guten. Doch ist seine eigentliche Botschaft noch nicht an ihr Ende gekommen. Es geht ihm um mehr. Nämlich das, worauf es jetzt ankommt. Weil Gott kommt und seine Herrlichkeit sichtbar machen will, gilt es, sich jetzt darauf einzustellen. Jetzt ist es vor allem wichtig, die Hindernisse zu beseitigen, die Gottes Kommen im Wege stehen. Diese Hindernisbeseitigung macht der Prophet mit einem anschaulichen Bild klar: dem Bild des Landschaftsumbaus. „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße1“ Das sind die horizontalen Umbaumaßnahmen. Dann nennt er die vertikalen: „Was krumm ist, soll gerade werden, was hügelig ist, werde eben!“

Wenn wir in einer Landschaft vorwärts kommen wollen, werden wir manchmal durch schwieriges Gelände aufgehalten. Es zu überwinden, kostet Zeit und Mühe. Ähnlich ist es, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unzugänglich sind. Sie lassen einen nicht an sich herankommen. Es kostet viel Geduld, um Ärger zu vermeiden und sich zu verständigen. Auch Gott hat es nicht leicht, uns zu erreichen, bei uns mit seinen guten Absichten anzukommen, etwa um uns zu heilen, zu trösten oder neuen Schwung zu verleihen. Wir machen es ihm mit unseren Eigenwilligkeiten, unseren Fixierungen auf Lieblingsideen und selbstbezogenen Wünschen nicht leicht, uns zu erreichen und wirklich heranzulassen. Wir haben uns vielleicht schon so sehr an unsere Fehler gewöhnt, an gewisse Schwächen und sogenannte „Sachzwänge“, dass wir gar nicht mehr damit rechnen, uns in diesen Punkten ändern zu können. Das gilt nicht nur für den jeweils Einzelnen, sondern ist bei Institutionen, Gruppierungen, bei gesellschaftlichen Unternehmen und Staaten zu beobachten. Es kann sogar die Strukturen der Staaten untereinander bestimmen, mit schwerwiegenden Folgen.

Wenn wir nun auf Weihnachten zugehen, dann haben wir eine gute Gelegenheit, das Kommen Gottes in der Menschwerdung Christi anzubahnen. Denn er will uns ja dort treffen, wo wir uns befinden und ihn benötigen. Wenn er sich uns in seiner Herrlichkeit zeigt, dann schenkt er uns auch Kraft und Mut, dann verleiht er uns eine von innen kommende Überzeugung, die durch Hindernisse und Unwegsamkeiten hindurch in der Lage ist, seine Gegenwart, seine liebende Nähe zu erfahren. Das ist eine Zusage, die uns in dieser Krise helfen wird.

von Abt Stephan Schröer OSB

Er ist anders, der erste Advent in diesem Jahr.

Meine Schwestern, meine Brüder,

wir hier in der Abteikirche sind eine kleine Schar. Und wahrscheinlich nicht alle in einer freudigen Erwartung, wie sie zum Advent gehört. Eher nachdenklich mag sich der eine oder andere fühlen, nicht frei von Sorgen und Unsicherheit.

Und draußen vor der Kirche. Es gibt keinen Adventsmarkt. Da gehen die Gedanken zurück in die vergangenen Jahre. Viele Menschen waren unsere Gäste, bekannte Gesichter, und solche, die voller Erwartung zum ersten Mal kamen. Sie kamen, um all das anzuschauen, was über lange Wochen von vielen hilfreichen Händen vorbereitet worden war, um zu probieren, das Gebäck, den Stollen, den Glühwein, die Gerichte aus unsere Küche, oder um schon etwas für das Weihnachtsfest zu kaufen. Um zusammen zu sitzen und zu sprechen, in der Oase, im Forum, vor der Kirche, im Laden. Und in den Einstimmungen in der Kirche zu spüren, wie schön diese Zeit sein kann, die auf das Fest der Menschwerdung führt. Eine Zeit der Begegnung, der Nähe, der Vorfreude.

Der erste Advent in diesem Jahr, er ist anders.

Die Pandemie hat die Vorzeichen gesetzt. Angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit macht es Sinn, Regeln aufzustellen, Selbstverständliches einzuschränken, Abstand zu halten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und manches zu streichen, was mit festlicher Nähe zu tun hat. Eine Situation, wie sie so für uns alle neu ist.

Und verständlich ist es, wenn viele in Sorge sind und Fragen haben: Wie wird es Weihnachten? Die Familie? Die Reisen? Wie lange geht das noch? Und wann wird die Möglichkeit bestehen, durch eine Impfung geschützt zu werden? Fragen, die uns auch heute Morgen umtreiben. Und wie feiern wir Gottesdienst angesichts dieser Fragen? Gottesdienst im Advent, dieser Zeit, die von Hoffnung und Erwartung geprägt ist und ja den Blick auf Weihnachten öffnen will, dieses Fest, das wie kein anderes mit gelungenem Leben zu tun hat.

Meine Schwestern, meine Brüder,

wir sollten es auf jeden Fall jetzt gemeinsam versuchen. Und es liegt nahe, die Texte zu befragen, die uns heute dabei begleiten. Am meisten berührt  haben mich die Sätze aus dem Markus-Evangelium, kurz und einprägsam. Jesus im Gespräch mit seinen engsten Vertrauten, mit Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas. Und dann, als er von dem Türhüter erzählt und dessen Sorge, wenn der Hausherr auf Reisen ist, eine kurze Forderung, die an Intensität noch gewinnt, weil sie zweimal wiederholt wird: Gebt Acht und bleibt wach! Und dann: Seid wachsam! Und: Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam.

Beim ersten Hören wirkt es wie die Einladung zu einer eigenen Pandemie-Predigt.

„Seid wachsam“, das ist die sinnvolle und verständliche Ermahnung der politisch Verantwortlichen. „Seid wachsam“: Das ist sicher auch das Wort derer, die den wissenschaftlichen Hintergrund erforschen und erklären und auf die Folgen des  Corona-Virus verweisen. Eine  solche „Pandemie-Predigt“ allerdings möchte ich nicht halten. Erst recht nicht, wenn ich daran denke, welche Fülle von Nachrichten uns täglich begleitet und uns auch wegen mancher Widersprüchlichkeit, Falschinformation und Polemik oft ratlos, verwirrt, auch hin und wieder aggressiv zurück lässt.

Eher bescheiden möchte ich fragen: Wie könnte unser Advent in diesem Jahr aussehen angesichts der Fakten, die unsere Zurückhaltung, unsere Ernsthaftigkeit und manche Einschränkung fordern. Manches ist anders. Und für manche ist es eine schwere Zeit.

Das Wort Jesu von der Wachsamkeit ist ja, wie wir eben gehört haben, an alle gerichtet, also auch an uns, die wir jetzt hier zusammen sind.

„Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“

„Das sage ich allen.“ Eine Aufforderung, die alle erreichen will und die auch alle mittragen und weitertragen sollen. Und wenn ich zwischen den Zeilen lese und es richtig heraushöre, ist hier von einer Wachsamkeit die Rede, die nicht voller Angst erstarrt und nur die Vorschrift kennt und dass ich alles richtig mache. Nein, sie ist offen für Neues, für Überraschungen. Sie schaut voller Achtsamkeit hin und nimmt wahr, was alles möglich ist. Und sie ist aktiv. Sie ist eben voller Erwartung.

Also: Sei wachsam.

Wie kann das sein, in diesem Advent? Die Einschränkungen unseres Alltags schenken uns Zeit. Für manche ist es die Einladung, auszuruhen, durchzuatmen,

Kraft zu schöpfen. Das tut gut. Für andere ist es vielleicht die Einladung, zuhause aufzuräumen. Eine Sache, die noch so sinnvoll sein mag, aber in der Regel in der Begeisterung  nicht von Dauer ist und oft von sehr beschränktem Erfolg. Oder es wird berichtet, dass Baumärkte ein unverhofftes Umsatzplus verzeichnen. Das deutet auf erheblichen Reparaturbedarf in den eigenen vier Wänden. Sicher, es wird auch manche geben, die sich langweilen, herumhängen und die Tage vertrödeln. Aber ich spüre, es bringt mich meiner Frage nicht näher, wie Wachsamkeit in diesem Advent Gestalt finden kann.

Es geht ja um Advent, übersetzt also um „Ankunft“. Advent, sprachlich ist das Wort verwandt mit dem englischen „Adventure“, was ja „Abenteuer“ meint. Advent hat mit Warten und Erwartung zu tun und damit mit Zukunft.

Und es geht um eine Ankunft besonderer Art. Es geht um die Gegenwart Gottes unter uns. Jetzt schon, in unserem Alltag. Menschwerdung Gottes… Das ist auf Aufbruch gestimmt, auf Neubeginn, auf Zukunft. Das hat mit unseren Tagen zu tun, mit unserem Leben. Und wenn ich das, was mich Weihnachten erwartet,

in aller Kürze umreißen soll, dann ist es dies: Das Staunen über diesen Gott, der sich um uns Menschen sorgt. Über diesen Gott, der uns nachgeht bis zur Menschwerdung. Über diesen Gott, der trotz aller Probleme und Katastrophen in unserer Welt, trotz manchen Leids vielleicht ganz in meiner Nähe, uns immer wieder deutlich macht, dass er uns nicht allein lässt. Sich von diesem Gott anrühren lassen, das ist Weihnachten. Und ihn zu erwarten, das ist Advent, ihn zu entdecken in meinen Tagen.

Es geht um diesen Jesus, der uns allen unsere Einmaligkeit und  Würde zeigt und es ein Leben lang nicht lassen kann, von diesem neuen Leben zu erzählen und es zu teilen, und uns an unsere Möglichkeiten in der Kraft des Geistes Gottes zu erinnern.

Wenn ich auf diesen Advent schaue, der so anders ist, stiller als sonst und nachdenklicher, frage ich mich, ob das nicht auch eine Einladung sein kann, neu und einmal ganz anders über mein Leben nachzudenken. Wie könnte dieser Advent im Alltag für mich aussehen? Nicht, dass ich Ihnen Rezepte an die Hand geben möchte. Das würde mich überfordern. Und mit Sicherheit würde ich Dinge sagen, die sie nur langweilen. Noch dazu würde es Ihre Entdeckerfreude einschränken. Und das möchte ich nicht.

Ich möchte Sie nur einladen, Ihren Alltag neu in den Blick zu nehmen, unter adventlichen Vorzeichen. Vielleicht ist manches Gewohnte und Selbstverständliche einer neuen Aufmerksamkeit wert. Vielleicht hat manches mit dem Leben zu tun, das auf der Strecke geblieben ist.

Advent, geschenkte Zeit, um neu nachzudenken, über mich, ganz persönlich, mich zu erinnern an Dinge, die ich einmal begonnen und gern getan hätte, die aber im Alltagstrott untergegangen sind. Mal wieder mit Menschen, denen ich vertraue, in Ruhe zu sprechen, und mit solchen, mit denen es Streit gab, Versöhnung zu suchen. Schöne Dinge im Alltag neu zu entdecken, Musik, Bücher, das Erlebnis in der Natur. Neues auszuprobieren, schöpferische Begabungen zuzulassen oder ganz neu zu entdecken. Vielleicht wird es dann wirklich abenteuerlich.´Das alles hat mit meinem Leben zu tun.

Und vielleicht entdecke ich dann tief in meinem Herzen Spuren, die mit dem Advent, der  Ankunft, der Ankunft Gottes in meinem Alltag zu tun haben. Advent mitten in meinem Alltag, mitten in meinem Leben, dass Gott dabei ist, schon jetzt. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen ich mich schwer tue, weil manches nicht geht, oder wenn ich mich erschöpft fühle und getrieben, wenn ich mir selbst im Weg stehe und mich selbst nicht leiden kann, kann der Advent neu den Blick freigeben und schärfen und Neues möglich machen, was mit meinem Leben zu tun hat.

Mein Wunsch für uns an diesem ersten Advent ist, dass wir erfahren dürfen, dass Gott jetzt schon dabei ist, in unseren Herzen, damit das Unerwartete geschehen kann, und uns eine neue befreiende Sicht auf unseren Lebensweg geschenkt ist und von da auch ein offener Blick auf die Menschen, die mit uns leben, besonders für die, die es in diesen Tagen schwer haben, weil sie krank sind oder hilflos oder einsam sind und vielleicht ausgerechnet auf mich warten.

Vielleicht ist es auch ein Weg, neu  Mut zu schöpfen in einer Welt,  die ja in mancher Hinsicht bedroht ist, und Mut zu finden zum kritischen Blick und  zu Schritten, die mit Frieden zu tun haben.

Meine Schwestern, meine Brüder,

ich wünsche Ihnen die Gegenwart Gottes in diesem Advent. Und erinnere noch einmal an das Wort des Apostels Markus von der Wachsamkeit. Vielleicht gibt es manches zu entdecken,  was mit unserem Leben zu tun hat. Vielleicht können wir neu spüren, dass wir von Gott getragen sind.

„Habt acht! Bleibt wach! Seid wachsam!“

von Abt Aloysius Althaus OSB

Das Christkönigsfest ist ein Fest des Lobpreises. Gott gebührt Lob und Ehre, weil er uns im Leben und Sterben und in der Auferweckung seines Sohnes gezeigt hat: Jesus Christus ist Alpha und Omega, ist Anfang und Ende. Jesus Christus und die Liebe werden das letzte Wort haben.
Und somit fragt Jesus im gehörten Evangelium nicht nach dem Glauben, sondern nach der Liebe.
Vielleicht sind wir und unsere Kirche viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir Gottes Wort und den Glauben in die Sprache des modernen Menschen übersetzen können, während wir uns auf die einzige Sprache, die alle Menschen sprechen, auf die Sprache der Liebe, zu wenig verstehen.
In diesem Sinn finde ich ein Wort der Dichterin Hilde Domin anregend und hilfreich. Sie schrieb: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zum letzten Atemzug.“ 

Schwestern und Brüder,
ich denke, das könnte ein Weg für uns alle sein!
NICHT IM STICH LASSEN –SICH NICHT UND ANDERE AUCH NICHT.
Hören wir unter diesem Vorzeichen noch einmal die Worte des Evangeliums:
„Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben… ich war krank und ihr habt mich besucht…“

Eindringliche Worte. Manchmal sind wir selbst die Bedürftigen und wünschen uns sehnlichst, dass uns einer hilft, uns stärkt, uns besucht, zumindest uns mit einem Wort, mit einer Geste nahe ist. Die Rollen und die Lagen, in denen wir sind, wechseln im Lauf unseres Lebens immer wieder: Wir sind stark, um für andere da zu sein, wir sind schwach und auf andere angewiesen. Beides sind wir.
Ja, nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht-.
Wo Menschen am Mitmenschen so handeln, dort ereignet sich das, was Jesus Reich Gottes nennt: Dort sind Frieden, Gerechtigkeit und Liebe möglich.
Gerade hier in unserer Friedenskirche, im Blick auf unser Christ-Königs-Kreuz, wird es mir immer wieder bewusst:

Lass dich lieben, denn nur in der Liebe wirst du dich selber aushalten können.
Du wirst Dich bekehren können, Dich zuwenden können und dann sehen, dass Du die Liebe brauchst, die du aus dir selber nicht hast, die Liebe, die dich heil machen kann. Lass mich an dich heran, damit Du liebend wirst.

Wo Menschen hingegen ihre Freiheit dazu nutzen, auf Kosten anderer zu leben, wachsen Unrecht, Neid, Gewalt und Krieg.

Eine Mysteriengeschichte

Da ist eine kleine französische Stadt, verschlafen, festgelegt, beengend, versunken in Grabesruh. Die Bewohner dieser Stadt: kleinbürgerlich, sittenstreng, ängstlich, irgendwie „gefesselt“. Keiner tanzt aus der Reihe. Sonntags geht man zur Kirche. Der Bürgermeister regiert und korrigiert dem Pfarrer auch die Sonntagspredigt.
Ausgerechnet in der Fastenzeit nimmt eine Frau in dieser Stadt Wohnung. Und eröffnet – in der Fastenzeit – eine Chocolaterie! Dort dreht sich alles um Pralinen, köstliche Dinge aus Schokolade, vielfältig und wohlschmeckend.
Und diese Frau versteht zu verkaufen. Energisch, charmant, einfühlsam und liebenswürdig. Sie bezaubert die Menschen in der kleinen Stadt. Manchmal ist sie allerdings auch traurig und unsicher und bedrückt. Ein Mensch eben und keine Ikone!
Dieser Laden, die Frau und die Schokolade stören die Leute auf, stören den Lebenslauf in der Stadt. Etwas Neues und Ungeahntes kommt in Gang. Es entsteht Bewegung.
Die Frau und ihre Schokolade gewinnen die Menschen. Der Laden wird zum Treffpunkt all derer, die der Kleinkariertheit ihrer Umgebung entfliehen wollen.
Begegnungen, Freundschaften, Gespräche wachsen.
Es gibt aber auch heftigen Widerstand, Feindschaft, Verleumdung, ja Todesgefahr.
Soll die Frau ihren Laden zumachen?
Doch der Strom der Offenheit, des neu erwachten Vertrauens, der Hoffnung ist nicht zu stoppen.
Lösung, Lockerung, Aufbruch, Heiterkeit, Fröhlichkeit, Lachen. Eine neue Zeit in dieser kleinen Stadt.

Mir scheint, diese Geschichte hat eine tiefe Symbolik. Diese Frau und das Medium „Schokolade“ stehen für Heil und Glück, für Verwandlung und Neugeburt, für Auferstehung, für Erlösung. Alles verändert sich. Es wächst eine neue Stadt, eine neue Welt.

Bei den Menschen dieser Geschichte findet sich das, was Kennzeichen jeder christlichen Gemeinde und Gemeinschaft sein sollte:

  • Annahme des anderen
  • Offen für Freunde, Pilger und Fremde
  • Teilnehmen und teilgeben
  • Ein neuer kommunikativer Umgang miteinander
  • Dankbarkeit als Antwort auf das Geschenk des Lebens und der Gemeinsamkeit.

Die Geschichte hat mir wieder einmal die Augen geöffnet. Sie ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, eine Ostergeschichte, eine Erlösungsgeschichte unseres Alltags. Der tiefste Sinn menschlichen Lebens und christlichen Glaubens bricht hier auf.

Meine Schwestern und Brüder,

uns bedrücken oft genug Sorgen und Ängste. Viele von uns kennen Einsamkeit, Armut und Leid. In der Welt, in der wir leben, verdüstert sich oft der Horizont.
Da hinein nun kommt die Botschaft dieses Sonntags, des Christkönigsfestes. Die liturgischen Texte sprechen von „Herrschaft Gottes über allen und allem“, vom „Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit“, von der Gegenwart Christi in den Hungrigen und Durstigen, den Obdachlosen, Nackten und Kranken, sprechen vom Geschenk „ewigen Lebens“.
Der Christkönigssonntag ist eine Oster-Erinnerung. Ein Sonntag, der von der Nähe und Freundschaft Gottes berichtet; der uns an das tiefste Geheimnis unseres Lebens erinnern möchte: Du wirst geliebt und kannst lieben. Du bist in einer Gemeinschaft und kannst Gemeinschaft gewähren. Du bist erlöst und kannst andere erlösen. Mitten im Alltag treffen wir auf den gegenwärtigen Herrn und Bruder Jesus Christus, wenn wir nur die Augen des Glaubens öffnen.
Und am Ende unseres Lebens steht nicht die Dunkelheit des Grabes, sondern die Einladung zu einem großen Fest, zu neuem Leben!

Die Frohe Botschaft des heutigen Festes will Ermutigung sein, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Es geht um eine nüchterne, alltägliche und unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Im Sinn Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen.
Wir vergegenwärtigen in dieser Eucharistiefeier und darüber hinaus Jesus als einen Menschen, der in wehrloser Liebe die Mächte und Gewalten erleidet, der sich hingibt in den Tod, der sich auf den Willen Gottes horchend der Gefahr des Scheiterns und der Vernichtung aussetzt und die Lebensbedrohung auf diese Weise entmachtet.
Es liegt an jeder und jedem von uns persönlich, ob ich mich von dieser Liebe prägen lasse.

Wenn wir es wagen, dann werden wir spüren, was die heutige Präfation so schön ausdrückt: Das Reich der Wahrheit, in dem es nicht um Rechthaben geht; das des Lebens, in dem Menschen befreit und angstfrei aufatmen können; das Reich der Heiligkeit, dass mich einlädt, ganz der zu sein, der ich bin; ein Reich der Gnade, da wir alle begreifen, dass wir das Wesentliche im Leben eh nur geschenkt bekommen können; ein Reich der Gerechtigkeit, die mehr meint, als Recht zu bekommen; ein Reich der Liebe, die unser Markenzeichen sein sollte und dann auch das Reich des Friedens, das dort einzieht, wo der Mensch Gott und den Nächsten wie sich selbst liebt.

Schwestern und Brüder,

wir sind eingeladen, uns vom auferstandenen Herrn berühren und von seiner Kraft verwandeln zu lassen. Um dann andere zu verwandeln. Wir sind eingeladen, an diesem Christkönigsfest noch einmal Ostern zu erfahren und weiterzugeben. Geschieht das, dann wird sich leise auch unser Lebensraum verändern, ja, liebevoll das Antlitz der Erde erneuern. Amen.

von P. Maurus Runge OSB

Ich nehme an, Ihnen ist das eben gehörte Gleichnis von den Dienern, denen von ihrem Herrn Talente anvertraut worden sind, bekannt. Wir wissen, wie es ausgeht. Wir haben das schon oft gehört, selbst bis in die Widerstände hinein, die dieses Gleichnis gerade am Ende bei vielen hervorruft, wo dem vorsichtigen – das Gleichnis spricht negativ vom „nichtsnutzigen“ – Diener das eine Talent genommen wird und er in die äußerste Finsternis geworfen wird – mit viel Heulen und Zähneknirschen.

Genau dieses Gewohnte ist unser Problem. Deshalb ist es gut, sich einmal unvoreingenommen in die ursprünglichen Hörer dieses Gleichnisses hineinzuversetzen – eine arme Landbevölkerung von einfachen Leuten, Tagelöhnern, Arbeitern. Wenn diese davon hören, dass ein reicher Mann auf Reisen geht und im Vorbeigehen seine „Talente“ verteilt, dann wird ihnen wahrscheinlich der Atem gestockt haben. Denn ein Talent, das sind ca. 10.000 Denare – mit einem Denar konnte ein Tagelöhner seine Familie einen Tag lang ernähren. Wenn wir heutige Maßstäbe ansetzen, dann sind wir bei einem Talent schnell an der Grenze von einer Million Euro angekommen. Fünf Talente sind also für den normalen Menschen zur Zeit Jesu eine unvorstellbar hohe Summe – unerreichbar in diesem Leben. Jesus erzählt hier also von Unvorstellbarem, das all unsere Maßstäbe übertrifft.

Wenn wir uns die Einleitung des Gleichnisses ansehen, dann sehen wir, dass Jesus auch gar nicht von Geschehnissen in diesem Leben erzählen will. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.“ Jesus erzählt also vom Himmelreich, vom Reich Gottes, von der Welt Gottes, die so ganz anders ist, als es bei uns zugeht. Und deshalb überspitzt er in seinen Gleichnissen immer wieder. Wir haben uns heute so sehr an diese Worte gewöhnt, dass wir uns diese Übertreibung erst wieder mühsam vergegenwärtigen müssen.

Wenn wir nun auf der reinen Bildebene bleiben, dann wirkt das Gleichnis gerade heute in Zeiten zusammenbrechender Finanzsysteme anstößig, provozierend. Gewinnmaximierung um jeden Preis, den Kleinen wird das, was sie gespart haben, weggenommen und den Großen gegeben – rücksichtsloser Kapitalismus wird noch belohnt? Das kann es doch nicht sein.

Das Wort „Talent“ gibt uns da einen Hinweis und führt uns auf eine einsichtigere Sachebene. Gott traut uns etwas zu. Er hat uns mit Talenten und Gaben beschenkt – und zwar im Überfluss, freigiebig, verschwenderisch. Wir können nun unsere Talente einsetzen, damit wuchern, unsere Gaben für den Aufbau unserer Gemeinschaften, unseres Landes etc. einsetzen – zum Wohl aller. Wir können aber auch unser Talent verstecken, tief in der Erde vergraben, damit es ja  keiner sieht und mich vielleicht herausfordert, es gemeinsam mit anderen einzubringen. Das kann ja auch ganz bequem sein – mal lieber nichts sagen und tun, mich heraushalten, sollen andere sich eine blutige Nase holen. Ja, wenn ich mein Talent einsetze, dann mache ich mich auch verletzlich, dann riskiere ich etwas, dann kann ich unter Umständen zu hoch pokern und alles verlieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Glauben hat auch mit Risiko zu tun!

Nun ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn zu oft war es in der Kirchengeschichte so – und manchmal bis heute in unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Arbeitsstellen – dass es gar nicht erwünscht ist, dass ich mein Talent einsetze. Dass der Herr des Evangeliums, der auf Reisen geht, eben nicht die Talente großzügig verteilt und seinen Mitarbeitenden etwas zutraut, sondern eher darauf bedacht ist, alles allein zu machen – oder nur die fördert, die ihm nicht gefährlich werden können. Es gehören also immer zwei Seiten dazu, um sicherzustehen, dass mein Talent gehoben werden kann – theologisch könnten wir vom Zusammenwirken von Gnade und Freiheit sprechen, von dem, der mir etwas schenkt und dem, der dieses Geschenk dann auch auspackt und nutzt.

Aus dem Sport und der Wirtschaft sind sog. Talent-Scouts bekannt. Menschen, die sich auf die Suche nach vielversprechenden Talenten machen und diese dann auch fördern. In einem bekannten Unternehmen gilt der Grundsatz, dass der Chef gerade die Mitarbeitenden fördern soll, die ihn einmal übertreffen können.

In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994 beschreibt Nelson Mandela in kraftvollen Worten, welche positiven Auswirkungen es auch auf andere haben kann, wenn ich meine Talente nicht verstecke, sondern nutze:

„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns, wer bin ich denn, um von mir zu glauben, dass ich brillant, großartig, begabt und einzigartig bin? Aber genau darum geht es, warum solltest Du es nicht sein?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen nützt der Welt nicht. Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen, nur damit sich andere Menschen um dich herum nicht verunsichert fühlen.
Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns liegt, auf die Welt zu bringen. Sie ist nicht in einigen von uns, sie ist in jedem. Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“

Ich wünsche uns in dieser Woche, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern das Risiko eingehen, sie einzusetzen, und dass wir genau so zum Talentscout für andere werden können. AMEN.

von Br. Justus Niehaus OSB

„ ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‘ Die Münze trägt sein Bild. Dadurch gehört sie ihm. Wem gehören wir? Doch wohl kaum dem Staat. Zwar sind wir auch geprägt, gleichsam als eine lebendige Münze. Wir tragen das Bild Gottes. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Diese Prägung besiegelt unsere Verpflichtung Gott gegenüber. Das Siegel fordert uns mehr als das Siegel des Kaisers. Alle Menschen tragen das Bild Gottes in sich, alle gehören ihm. Und deswegen sind wir alle Gott verpflichtet: ‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“

Dies sind nicht meine Worte, sondern Franz Kamphaus hat sich so zu diesem Evangelium geäußert. Mir sind die Worte des Geprägt seins nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Prägen kann man von der Handwerklichen Seite sehen oder von der Menschlichen. Was hat uns geprägt? Was hat sich uns eingeprägt? Was heißt es geprägt zu sein?

Ich erinnere mich noch als ich als Kind bei einem Ausflug zum Marine-Ehrenmal Laboe zum ersten Mal vor einem Automaten in dem man Münzen umprägen konnte stand. Man musste eine Münze hineinwerfen und eine Gebühr bezahlen um dann mit der eigenen Kraft einen großen Hebel zu drehen und so die Münze umzuprägen, so dass sie kein Geldstück mehr war, sondern das Ehrenmal zeigte. Als Kind war es unglaublich, dass so etwas möglich ist.

Lassen Sie uns heute auf beide Seiten schauen. Auf den handwerklichen Vorgang und die menschliche Prägung.

Schaut man sich an was beim Prägen passiert, fällt auf, dass der Rohling in seiner Masse bestehen bleibt. Es wird nichts hinzugefügt wie beim Modellieren und nichts Weggenommen wie beim sägen, gravieren, schleifen oder schnitzen. Es werden durch die Prägung nur Flächen hervorgehoben und andere treten in den Hintergrund um so ein Bild erstehen zu lassen.

Auch in uns ist Gottes Antlitz schon vorhanden. Es muss nichts hinzugefügt werden zu meiner Persönlichkeit und es muss auch nichts weggenommen werden von meiner Persönlichkeit um Gottes Antlitz auf mir erscheinen zu lassen, um Gott durch mich sichtbar zu machen. Ich bin schon vollkommen so wie ich bin. Ich bin ganz. Es ist alles in mir angelegt. Ich muss mich nur von ihm prägen lassen um sein Antlitz auf mir zum Vorschein zu bringen. Ich muss zulassen, dass Er durch mich sichtbar wird.

Zum Prägen braucht es Energie. Es braucht Kraft. Viel Kraft. Zum Handprägen einer Münze sind mehrere Schläge nötig. Gott hat diese Kraft, wie wir es in der Lesung gehört haben. Das Evangelium kam nicht nur im Wort, sondern mit Kraft und heiligem Geist. Er will, dass wir uns von ihm prägen lassen.

Nur nützt der beste Prägestempel nichts wenn er ins Leere haut. Zum Prägen braucht es nicht nur Prägestempel und Hammer, sondern auch ein Fundament das auf der Erde steht, das die Kraft aufnimmt und so das prägen erst möglich macht. Das sich zum Prägestempel hin ausrichtet um die Kraft aufzunehmen.

Bin ich bereit mich von Gott prägen zu lassen. Mich und meine Kraft auf ihn hin auszurichten. Seine Kraft an mir wirken zu lassen. Mich von ihm Formen zu lassen. Meine Kraft einzubringen, fest auf der Erde stehend. Paulus schreibt im Brief an die Gemeinde in Thessalonich von Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus und von der Mühe der Liebe die wir haben.

Oder lasse ich mich von anderen Dingen umprägen die nach Aufmerksamkeit schreien, die meine Kraft und Energie beanspruchen wollen. Wir kennen Sie: Hass, Neid, Angst, Vorurteile und Schubladen, Unsicherheiten, Wut, Unbarmherzigkeit,

in der Welt,

in unserer Gesellschaft aber auch

in unserem persönlichen Umfeld.

Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir unsere Energie auf sie richten und uns so von Ihnen umprägen lassen.

Jesus lässt sich im heutigen Evangelium nicht darauf ein. Er lässt die Pharisäer auflaufen. Er lässt sich nicht provozieren. Er bleibt auf Gott ausgerichtet. Standhaft in seiner Kraft. Er lässt ihren Prägestempel quasi ins Leere schlagen.

Bleiben auch wir auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Kraft ausgerichtet und lassen wir die anderen Prägestempel, die uns umprägen wollen ins Leere schlagen.

„‚Gebt Gott, was Gottes ist.‘
Was wir Gott zu geben haben, … sind wir selber, wir ganz, mit Leib und Seele. Wir gehören keiner Macht dieser Welt, sondern Gott allein.“ So haben wir am Anfang von Franz Kamphaus gehört.

Lassen wir uns immer weiter von Gott prägen mit aller Kraft, damit sein Antlitz auf und durch uns immer stärker zu sehen ist. Damit er in dieser Welt durch uns sichtbar wird.

von Br. Benjamin Altemeier OSB

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

der Text des heutigen Evangeliums (Mt 22,1-14) wird besonders herausfordernd vom Ende her. Dort, wo der Mensch, der kein Hochzeitsgewand trägt, hinausgeworfen wird an den Ort der äußersten Finsternis. Und ganz am Ende des Evangeliums der Satz: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Was ist damit gemeint? Das lässt mich zunächst einmal ratlos zurück.

Gehen wir dennoch erst einmal an den Beginn des Evangeliums zurück.

Da lädt Gott in der Person des Königs die eingeladenen Gäste zum Hochzeitsmahl ein. Ein Bild für die Gottesschau. Die Gäste haben aber andere Dinge zu tun. Und natürlich ist der Mensch frei, die Einladung abzulehnen. Dann aber werden die Diener getötet, und der König reagiert, indem er sein Heer schickt und die Stadt in Schutt und Asche legen lässt. Müssen wir nun unsere Vorstellung eines liebenden Gottes korrigieren? Nein, denn hier lässt sich die konkrete geschichtliche Erfahrung ablesen, dass die Menschen des ersten Bundes in Israel sich nicht alle der Jesusbewegung anschließen, also die Einladung aus der Sicht der Christen nicht angenommen haben. Die Stadt, die in Schutt und Asche liegt. ist Jerusalem, die 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde, nicht von Gott.

Dennoch stellt sich uns heute die Frage: Lasse ich mich von Gott stören in meinem Alltag? Ist er für mich präsent? Oder lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe?

Lasse ich mich von der Botschaft Jesu aufstören, gar aufschrecke? Oder hat sie längst keine Bedeutung mehr in meinem Leben? Höre ich „mit aufgeschrecktem Ohr“, wie es Benedikt im Prolog seiner Regel schreibt?

Die Botschaft Jesu, dass ein jeder Kind Gottes ist, wertvoll und geliebt;
die Botschaft Jesu: „Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“;
die Botschaft Jesu der Hinwendung zu den Bedürftigen, die uns auch heute fordert.

Dann erfolgt die zweite Einladung Gottes an den Menschen, und dieses Mal füllt sich der Festsaal. Die Botschaft Gottes durch Jesus richtet sich an alle. Ausnahmslos alle. Juden wie Heiden, Griechen wie Römer, und sogar an Böse und Gute. Alle sind gerufen. Auch die Bösen, und diese sogar als Erstes. Das war auch für die Christen, an die sich Matthäus richtet, verstörend. Damals wie heute gibt es in der Kirche, in den Gemeinden, in den Gemeinschaften die Selbstgerechten, die entscheiden wollen: Du gehörst dazu  – und Du nicht. Matthäus warnt auch uns, nicht eine Kirche ohne Sünder zu bilden, sondern, wie es Papst Franziskus ausdrückt, eine verbeulte Kirche, eine verbeulte Gemeinde, ja, liebe Schwestern und Brüder, eine verbeulte Gemeinschaft, in der der Sünder seinen festen Platz hat.

Aber nun zum Schluss, zum Menschen, der ohne Hochzeitsgewand kam und stumm blieb. Bei den Begriffen Hochzeit und Mahl wussten die Christen des Matthäus, dass es ums Ganze geht. Um die Gottesbegegnung, um den wiederkehrenden Christus, der uns begegnen will. Da müssen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, wachsam sein wie der Diener, der auf den Hausherrn wartet. Wir Christen sollen wachsam sein, kein verschnarchter und verschlafener müder Haufen.

Beim Hochzeitsgewand geht es nicht um den richtigen Dresscode. Wir Mönche nennen unser Gewand Habit. Daraus ableiten lässt sich der Begriff Habitus. Und dem schließt sich die Frage an: Habe ich den Habitus der Erwartung und der Sehnsucht?

Gott fragt uns: Was erwarten wir? Wonach sehnen wir uns? Hören wir die liebende, werbende Stimme Gottes noch? Die Frage Gottes lautet nicht: Was hast du erreicht? Was hast Du getan? Wieviel hast Du gebetet?

Gott fragt mich: Was bewegt mich? Was trägt mich? Was lässt mich hoffen?

Gott fragt mich: Wonach sehnst Du dich? Damit ich nicht stumm bleibe, kann ich mich vielleicht der Sehnsucht des Jesaja anschließen und antworten wie er:

Meine Sehnsucht ist:

Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen, und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde. Und weiter: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. (Jes 25,8-9)

Wenn wir uns dieser Verheißung anschließen können, sind auch wir berufen und auserwählt.

von P. Maurus Runge OSB

„Theologie ist Biografie“ – dieser kleine Satz, der auch der Titel der Lebenserinnerungen des 2014 verstorbenen Theologen Herbert Vorgrimler ist, klingt zunächst nach einer Binsenweisheit. Jedes theologische (und auch nichttheologische) Denken ist von biografischen Voraussetzungen des Denkenden abhängig. Es ist für meine Theologie nicht unerheblich, ob ich in den Slums von Manila, in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet oder in einem kleinen Dorf in Niederbayern geboren wurde. Jedes menschliche Denken und Handeln entsteht auch aus biografischen Prägungen, die zu entdecken zur Lebensaufgabe werden kann.

„Theologie ist Biografie“ – den Satz kann man aber auch in umgekehrter Perspektive verstehen, dass theologisches Denken rückgebunden sein muss an die eigene Biografie, den persönlichen Lebensvollzug. Lehre und Leben müssen im Einklang miteinander sein. Wer in seinem Denken ständig die Barmherzigkeit Gottes verkündet, in seinem Leben diese Barmherzigkeit aber oft genug vermissen lässt, der macht sich im Reden und Handeln unglaubwürdig, dem nimmt man die Botschaft irgendwann nicht mehr ab, die er in wohlfeilen Worten verkündet. Auch das kann zur Lebensaufgabe jedes mündigen Christen werden, hinter der wohl viele von uns manches Mal zurückbleiben.

Wohl kein anderer hat den Zusammenhang von Theologie und Biografie, von Lehre und Leben, so erfahren, ja erleiden müssen wie Paulus, der große Völkermissionar, der die christliche Botschaft der Erlösung bis an die Grenzen der damaligen Welt brachte. Besonders deutlich und berührend wird das für mich in den Kapiteln 9 bis 11 seines Römerbriefes, in denen er sein Ringen um seinen Weg eindrücklich beschreibt – als jemand, der einerseits Jesus Christus und seine Botschaft persönlich erfahren hat, der aber andererseits die Beziehung zu dem Volk, dem er sich biografisch immer noch zugehörig weiß, nicht kappen will. Den Anfang haben wir heute in der Lesung gehört (Röm 9,1-5).

Dieser Saulus-Paulus ist Jude und hat als Jude mit seinen Glaubensgeschwistern leidenschaftlich die Anhänger des „neuen Weges“ des Jesus Christus verfolgt. In einem für ihn überwältigenden und umstürzenden Bekehrungserlebnis wandelt er sich zum treuen und ebenso leidenschaftlichen Jünger Jesu – ohne seine biografischen Wurzeln und die Menschen, denen er sich auch weiterhin verbunden fühlt, zu verraten. Und er entgeht dabei der Gefahr vieler Neubekehrter heute, die von ihrem früheren Leben nichts mehr wissen wollen und die Menschen, die einmal ihre engsten Freunde und Gefährten waren, verdammen – nur weil sie einem anderen Glauben anhängen. Nein, Saulus-Paulus leidet darunter, dass so viele seiner früheren Weggefährten seinen Weg, den er doch als richtig und heilbringend erkannt hat, nicht mitgehen können. Er „möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein“ um seiner Brüder willen, „die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“ Er weigert sich, seine jüdischen Glaubensgeschwister einfach zu verdammen, sondern möchte in seinem theologischen Denken einen Weg finden, ihnen Erlösung und Heil nicht abzusprechen. Er möchte die Wurzel seines Lebens nicht abschneiden, sondern ist davon überzeugt, dass seine jüdischen Wurzeln auch den Christen Paulus tragen und bereichern können – „Theologie ist Biografie“.

Am 9. August gedenkt die Kirche der hl. Edith Stein (durch den Sonntag wird in diesem Jahr ihr Festtag liturgisch verdrängt). Auch sie ist eine Frau, deren theologisches Denken zutiefst geprägt ist von ihrer Biografie. Als geborene Jüdin, promovierte Philosophin und konvertierte Christin, die dann als Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel eingetreten ist, wird ihr das Suchen und Fragen des Paulus nicht unbekannt gewesen sein. In Solidarität mit ihren jüdischen Geschwistern ist sie nach Auschwitz deportiert worden, wo sie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Bei ihrem Abtransport in das Vernichtungslager soll sie zu ihrer leiblichen Schwester Rosa gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Stellvertretung bis zur letzten Konsequenz.

Stellvertretung – mit diesem kühnen Gedanken versucht auch Paulus, sein Dilemma zu lösen. Im Bild von dem Ölbaum und seinen Zweigen sieht er sich selbst, den gebürtigen Juden und neuen Christen, als „wilden Zweig“, der zeitweilig die Stelle der „edlen Zweige“, seiner jüdischen Geschwister, einnimmt, bis irgendwann einmal alle Zweige am Ölbaum vereint sein werden. Das ist für ihn kein Grund, überheblich auf seine jüdischen Glaubensgeschwister herabzuschauen, sondern bewusst an dieser Stelle, stellvertretend für sein Volk diesen Platz einzunehmen.

Wie Gott einmal die Erlösungsgemeinschaft zwischen Juden und Christen vollenden wird, das ist seine Sache, bleibt Geheimnis. Klar ist nur: „Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Gott kündigt seinen einmal geschlossenen Bund mit dem Volk Israel nicht auf. So ruft es Paulus am Ende seines theologischen Ringens um die bleibende Erwählung und Rettung Israels aus,wie es uns in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefes überliefert ist. Und am Ende überlässt er die Lösung seines existentiellen Dilemmas dem Gott, der immer größer ist als unsere theologischen Begriffe und zu dem Juden und Christen gleichermaßen beten: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! … Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 11,33.36)

 

von P. Cosmas Hoffmann OSB

Lesung:          1 Petr 3, 15 – 18        
Evangelium:  Joh 14, 15 – 21

Auch an diesem Wochenende demonstrieren Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie. Dabei fällt die bunte Mischung der Teilnehmenden auf. Neben denen, die berechtigter Weise gegen die Einschränkungen einiger Grundfreiheiten protestieren, finden sich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, zudem versuchen Rechtspopulisten diese Proteste für ihr Interesse an Verunsicherung und Destabilisierung zu nutzen.

In der Folge kommt es zu Polarisierungen, Verteufelung der anderen, Hass, Wut und Aggression, die sich in Angriffen auf Polizisten und auch auf Journalisten entladen.

Die Reaktionen seitens der Politik sind gemischt, einerseits eine gewisse Fassungslosigkeit angesichts der teilweisen Verweigerung notwendiger Verhaltensregeln, kruder Verschwörungsphantasien und aufgeheizter Stimmungen, andererseits die ausdrückliche Bestätigung des Rechts auf Meinungsfreiheit verbunden mit der Bitte, diese in angemessener und gewaltloser Weise zu nutzen.

In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.

Dieses Recht ist zum einen Ausdruck der in Artikel 1 Absatz 1 gemachten Aussage und Forderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zum anderen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen wichtig, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, um so in der gemeinsamen Auseinandersetzung dieses Gemeinwesen zum Wohle aller zu gestalten.

Dahinter steht die Einsicht, dass jede und jeder vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte und dem eigenen Kontext eine je eigene Weise der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Keiner sieht alles, aber gemeinsam sieht man mehr und kann so der Wirklichkeit näher auf die Spur kommen und entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen treffen. Die Vielfalt der Meinungen somit als eine Ressource gemeinsamer Weltverantwortung und Lebensgestaltung.

Eine Ressource, die Benedikt in seiner Regel ausdrücklich zu nutzen empfiehlt, wenn er fordert, dass vor wichtigen Entscheidungen alle Brüder gehört werden sollen.

Doch die Vielfalt der Meinungen kann auch eine Herausforderung sein, die verunsichert und bedrohlich wirkt: Wem oder was soll oder kann ich glauben?

Zudem verwechseln manche die eigene Meinung mit Tatsachenbehauptung oder halten die Behauptung schon für eine Tatsache oder gar für die Wahrheit, um schließlich anderen fake news vorzuwerfen.

Je mehr ich jedoch von meiner Meinung als einer Tatsache oder der Wahrheit überzeugt bin, desto schärfer reagiere ich auf andere Meinungen.

Je mehr mich andere Meinungen nerven, desto verunsichernder und bedrohlicher empfinde ich die Vielfalt von Meinungen und klammere mich noch mehr an meine Meinung.

Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Teufelskreis, in dem der Mensch sich verrennt, sich einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Meinungen anderer entzieht, sich so dem Bemühen um eine gemeinsame Gestaltung von Gesellschaft und Welt verweigert.

Ganz anders klingt das heutige Evangelium, in dem Jesus seinen Jüngern, den Beistand, den Geist der Wahrheit verheißt, der sie führen soll.

Es ist die Fortsetzung des Evangeliums vom vergangenen Sonntag, wo Jesus von sich sagte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Somit ist dieser Geist der Wahrheit der Geist Jesu. Der Heilige Geist, das Band der Einheit zwischen Vater und Sohn, in dem auch wir durch den Sohn mit dem Vater verbunden sind.

Doch wie können wir diesen Geist der Wahrheit erkennen, um durch ihn die Wahrheit, Christus erkennen zu können?

Im Umgang mit dieser Frage kann ein zentraler Begriff der Benediktsregel hilfreich sein: discretio – mit diesem Begriff wird die Kunst der Unterscheidung bezeichnet.

Darunter verstehen wir heute zumeist die Bestimmung des guten Maßes, die Unterscheidung zwischen Zuviel und Zuwenig.

Im frühen Mönchtum verstand man darunter vor allem die Unterscheidung der Geister, die bereits der 1. Korintherbrief (12,10) als Geistesgabe, als Charisma nennt.

Dieses Charisma der Unterscheidung der Geister war in Korinth besonders gefordert, weil die Gemeinde dort in sich zerstritten war, so nennt Paulus gleich zu Beginn des Briefes vier Gruppierungen, die sich auf Paulus, Apollos, Kephas oder Christus beziehen, wobei jede meint, allein im Besitz der Wahrheit zu sein.

Diese Zerstrittenheit zeugt von keinem guten Geist, eher vom Widergeist oder Abergeist, der stets verneint und verwirrt und somit dem Geist Christi, der zur Einheit führt, völlig entgegensteht.

Joseph Ratzinger bringt es so auf den Punkt: Während der Geist Gottes „jenes Zwischen (ist), in dem der Vater und der Sohn eins sind als der eine Gott“ gilt vom Widergeist, dass er „allenthalben ‚dazwischen‘ steht und Einheit hindert“.

Damit ist ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der Geister genannt: Der Geist Gottes verbindet, der Widergeist trennt. Wes Geistes Kind jemand ist, zeigt sich meist an seinem Tun und dessen Folgen. Diese Einsicht entspricht schon dem Unterscheidungskriterium zwischen wahrer und falscher Prophetie, auf das sich auch Jesus bezieht, wenn er sagt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,16).

Paulus wird dazu in seinem Brief an die Galater ganz konkret und nennt die jeweiligen Geistesfrüchte (Gal 5, 19-25):

Der Widergeist bringt die Werke des Fleisches hervor: … Maßlosigkeit, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen.
Der Geist Gottes aber: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut …

Origenes, einer der Begründer einer Theologie der Spiritualität, der um 200 gelebt hat, nimmt diese Gedanken des Paulus auf, fasst sie zusammen und sieht die Wirkung des guten Geistes in tiefer Ruhe und echter Verbundenheit.

D.h. die Frucht des Geistes nach innen ist die Verbundenheit mit mir selbst, psychologisch ausgedrückt die Selbstkongruenz, die innere Stimmigkeit, das Ruhen in sich.

Die Frucht des Geistes nach außen ist die Verbundenheit mit den anderen, die ich als Nächste, als Schwestern und Brüder wahrnehme und achte.

Die Frucht des Geistes ist damit letztlich die communio, die Gemeinschaft, nach innen mit mir selbst, nach außen mit den anderen.

Das ist auch die Grundhaltung für gelungene Kommunikation genannt, für einen guten Umgang mit der Meinungsfreiheit: Bei-sich-selbst-sein und zugleich dem anderen zugewandt-sein.

Damit sind mir auch die Kriterien gegeben, mit denen ich mein eigenes Kommunikationsverhalten beurteilen kann:

Wie sage ich meine Meinung? Wann, wo, wem? Welche Worte wähle ich? Wie ist der Ton? Welche Einstellung oder Haltung dem anderen gegenüber wird darin erkennbar? Welche Bedeutung, welche Wirkung hat der Inhalt?

Dienen Inhalt und Form meiner Meinungsäußerung der communio, der Gemeinschaft, der Verbundenheit mit den anderen oder wirken sie eher trennend und untergraben ein gutes Miteinander?

Ein konkretes Beispiel dafür, wie wir Christen unseren Standpunkt vertreten sollen, findet sich in der heutigen Lesung aus dem 1. Petrusbrief, die uns dazu ermutigt, anderen zu begegnen und zu bezeugen, woran wir glauben und wofür wir stehen. Dabei wird hier noch ausdrücklich auf die Art und Weise aufmerksam gemacht, in der dies geschehen soll.

„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber mit Sanftmut und Milde und in Bescheidenheit und Respekt.“

von Br. Justus Niehaus OSB

Schafe. Warum vergleicht Jesus uns mit Schafen? Warum keine Ziegen, Schweine, Kühe, Rinder? Warum Schafe? Schauen wir, was diese Tiere ausmacht, warum Jesus uns mit Schafen vergleicht. Zufällig besitzen wir ja einige Exemplare Waldschafe, und ich darf als „Mietling“ mich ab und zu mit ihnen beschäftigen.

Eigentlich müsste also unser Bruder Isidor hier stehen und die Predigt halten. Aber hier nun einige Beobachtungen eines Mietlings im Schafstall.

Als ich über diese Predigt nachdachte, kam mir als erstes das letzte Silvesterfest in den Sinn.

Isidor sprach mich um halb neun abends an, ob ich ihm bitte bei den Schafen helfen könnte. Die Schafe sollten in den Stall, damit sie sich nicht durch die Böller um Mitternacht erschrecken, voll Panik in die Netze laufen und ungewollt ausbrechen. Im Schafstall musste irgendetwas passiert sein, dass die Schafe geängstigt hatte. Sie wollten nicht dorthin. Isidor hatte es seit fünf Uhr versucht, aber alleine war nichts zu machen. Wir trieben also zu zweit die Schafe durch eine Gasse von der Weide bis vor die Mistplatte. Hier weitete sich der Zaun und führte um die ganze Mistplatte. Isidor hatte vorne gelockt und ich stand als Absicherung hinten. Bis zur Mistplatte war es kein Problem, aber kein Schaf machte auch nur einen Schritt auf die Platte. Einige wollten schon zurück auf die Weide, aber dort stand ich nun im Weg. Pattsituation. Um die Schafe als Gruppe nicht in Panik zu versetzen, blieb ich relativ ruhig. Isidor hatte schon alle Lockmittel wie Kraftfutter und Äpfel bereit, aber es war nichts zu machen. Ab und zu schaffte er es, ein Schaf zu überzeugen, einen Schritt auf die Mistplatte zu machen, aber sobald dieses Schaf merkte, dass die anderen ihm nicht folgten, kehrte es um und löste so den Fluchtreflex der ganzen Herde aus. Auch wenn sich eines der ängstlicheren Tiere durch eine Kleinigkeit erschrak, blickten wieder alle Augen auf mich und den Fluchtweg zur vermeintlich sicheren Weide, anstatt auf die Stimme ihres Hirten zu hören und in den Stall zu gehen, wo es frisches Heu, Wasser und Kraftfutter gab. Wir spielten dieses Spiel eine gute Dreiviertelstunde. Ein Schaf durch langes Zureden auf die Mistplatte, eine kleine Unsicherheit, ein Fluchtreflex und alles war wieder auf Anfang. Es war zermürbend.

Dann nach einer gefühlten Ewigkeit das Einsehen. Warum auch immer. Ein Gefühl von Einsehen. Plötzlich setzte sich die Herde langsam und vorsichtig Richtung Stall in Bewegung. Auch die skeptischen Tiere gingen mit und lösten keinen Herdenfluchtinstinkt mehr aus. Es war geschafft. Einmal in Bewegung ging es ganz schnell. Es war kein Zögern mehr zu spüren. Die Herde hatte sich auf den Weg gemacht. Die Schafe waren im Stall. Was der letzte Auslöser war, kann ich nicht sagen. Warum sie sich schließlich fügten und ihrem Hirten folgten, kann ich nicht sagen.

Mir ist nur die Hilflosigkeit, ja die Machtlosigkeit des Hirten in der Situation vor Augen: dort zu stehen und außer gutem Zureden und Locken nichts machen zu können. Kein Zwang, kein Befehl, nur Geduld und Ausdauer, nur ruhig bleiben, frische Nahrung und gutes Zureden haben geholfen. Wer einmal so eine Situation erlebt hat, versteht, was Hirte sein bedeutet. Es heißt nicht herrschen, sondern Geduld und Barmherzigkeit. Es heißt sich in die Herde reindenken, dranbleiben, damit die Schafe den Klang der Stimme nicht verlernen, damit auch in Notsituationen wie dieser noch Vertrauen vorhanden ist. Es heißt sich alle Tiere anzusehen, zu bemerken, ob eines hinkt, ob es zurückbleibt, ob es niest, ob es krank ist. Ob es seine Lämmer versorgt oder Unterstützung braucht. Ob es im Frühjahr genug regnet, damit man im Sommer heuen kann, um im nächsten Winter genug Nahrung zu haben. Sie nachts heim zu holen in den sicheren Stall. Und all das nicht durch Befehl, sondern durch Locken und Rufen, durch Geduld und Barmherzigkeit.

Dies alles tut Gott für uns. Er allein ist der gute Hirte. An seiner Barmherzigkeit und Geduld sollen wir niemals verzweifeln, wie es so schön in der Benediktsregel heißt. Nur durch ihn kommen wir an frische Nahrung, wenn wir ihm unser Vertrauen schenken und auf seine Stimme hören, die uns ruft.

Wir sind alle Schafe. Das hat auch der Komponist des Allelujas und der Communio nochmal betont, da im Originaltext der Vulgata das Wort Schafe an dieser Stelle nicht steht. Er hat es also bewusst eingefügt und vertont.

Wir alle sind Schafe. Und jeder, der sich zum Hirten macht, stößt den eigentlichen Hirten weg. Er stößt Gott zur Seite. Damit keine Missverständnisse aufkommen: es gibt in einer Schafherde durchaus Leittiere und Hierarchie. Eine Schafherde ist aber kein Patriarchat mit dem Recht des Stärkeren, auch wenn die imposanten Böcke uns das weismachen möchten. Es ist ein Matriarchat in dem die älteren Muttertiere den Ton bestimmen.

Es gibt Tiere, die vorangehen und dem Hirten vertrauen, und es gibt die Skeptischen und alle Formen dazwischen. Es gib diejenigen, die im Alltag Vertrauen haben und in Notsituationen nicht. Und es gibt diejenigen, bei denen es genau anders herum ist. Es gibt diejenigen, die nur mitlaufen, diejenigen, die voranstürmen und diejenigen, die bremsen. Sie alle werden durch den Hirten zusammengehalten. Er kennt uns alle beim Namen und wir kennen ihn. Er hat uns alle im Blick und sorgt für uns.

Wir, die wir hier zusammen sind, gehören – hoffentlich –  zu den Schafen, die dem Hirten mehr vertrauen und auf seine Stimme hören und so andere ermutigen können, es uns gleich zu tun. Durch unser Beispiel und unser Vorangehen. Er führt uns an frische Wasser. Durch ihn bekommen wir Nahrung in Fülle und Schutz in der Nacht. Höre, das ist unser Auftrag. Und nicht zu zaghaft und misstrauisch zu sein gegenüber dem Hirten, sondern vertrauensvoll.

Dann können wir gleich in der Communio voll Freude in das Blöken einstimmen.  Me meae