O Spross aus Isais Wurzel, gesetzt zum Zeichen für die Völker – vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: o komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht länger! (O-Antiphon vom 19.12.)
An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Feldzeichen für die Völker; die Nationen werden nach ihm fragen und seine Ruhe wird herrlich sein. (Jesaja 10,10)
Dies ist der Vers, der der heutigen Antiphon zugrunde liegt. In der Tradition der Kirche wird er mit einem weiteren Vers zusammen gelesen:
Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. (Jesaja 53,2)
Weihnachten ist ein Fest, das emotional stark mit Traditionen in Verbindung gebracht wird. Da gibt es in jeder Familie eigene Festtagsbräuche. Es ist ein Fest, das hohe Erwartungen mit sich bringt, und das viele von uns deswegen jedes Jahr feiern wollen, „wie wir es immer feiern“.
In diesem Jahr 2020, das nun mal einen gewaltigen Einschnitt in unser aller Leben darstellt, werden entsprechende Erwartungen an ein „perfektes Weihnachtsfest“ mancherorts notwendiger Weise untererfüllt bleiben.
Wie mag es Maria und Josef gegangen sein, als Maria ihr Kind in Betlehem zur Welt bringen musste? Weit weg von Zuhause, wollten sie in einer Herberge übernachten – zweifelsohne ein besserer Ort für eine hochschwangere Frau, als dies eine Scheune sein könnte – aber es war kein Platz in der Herberge. Also haben sie – wohl mit Müh und Not – eine Bleibe in einem Viehstall gefunden. Sie konnten ihr Kind, den Messias, ja Gott selbst (!) in nichts anderes legen, als in das Stroh einer Futterkrippe.
Wir neigen dazu, auch diese Geschichte emotional positiv zu verklären, denn sie wird ja üblicher Weise vorgelesen, wenn Weihnachten „wie immer“ gefeiert wird. Wir laufen jedoch Gefahr, zu übersehen, dass es sich bei der Geschichte der Geburt Christi um eine Erzählung großer Not handelt – eine Situation, die nicht der Hoffnung von Maria und Josef für Marias Kind entsprochen haben kann.
Ja, zu Weihnachten kommt Gott in die Welt!
Aber er kommt nicht voll Pracht als mächtiger Herrscher. Er liegt als schwaches, machtloses, von seiner Mutter absolut abhängiges Baby in dem Stroh einer Futterkrippe. Er bedient nicht die Erwartungen der Menschen!
Lenken wir unseren Blick wieder auf das diesjährige Weihnachtsfest, das unsere durch andere Jahre geprägten Erwartungen in vielen Fällen nicht erfüllen wird.
Dieses Weihnachten wird anders. Aber vielleicht kann uns gerade dieses Weihnachten das „Andere“ des Weihnachtsfests vor Augen stellen, wie es ein „normales“ Weihnachten nicht könnte. Vielleicht hilft uns gerade das diesjährige Weihnachtsfest, Christus an der Realität der Krippe zu nahen.
Auf diesem „dürren Boden“ können wir mit der Strophe eines Weihnachtslieds von Paul Gerhardt singen: „Du fragest nicht nach Lust der Welt, noch nach des Leibes Freuden; du hast dich bei uns eingestellt, an unsrer Statt zu leiden, suchst meiner Seele Herrlichkeit durch Elend und Armseligkeit; das will ich dir nicht wehren.
Br. Josef Ellendorff OSB