von Br. Anno Schütte OSB
Im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner geht es ums Gebet. Wir hörten: „Beide gehen zum Tempel hinauf um zu beten.“ Jesus bietet eine Gebetsschulung an – auch für uns.
Obwohl er zur religiös-gesellschaftlichen Elite gehört, bewirkt das Beten des Pharisäers nichts. Das des Zöllners dagegen schon: „Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, der andere nicht“ sagt Jesus. Der Pharisäer kreist in seinem Beten nur um sich selbst – herablassend auch gegenüber dem Zöllner: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.“ Mit moralischer Überheblichkeit hebt er seine eigenen Leistungen hervor. Detailliert breitet er seine formale Pflichterfüllung aus – sein Beten verkommt zu Selbstbeweihräucherung, sein Dank an Gott ist vergiftet durch seine Verachtung anderer Menschen: Er erniedrigt sie um sich selbst zu erhöhen, er missbraucht sie als Instrumente seiner Selbstverliebtheit. Er meint sich eigenmächtig den Himmel verdienen zu können. Es geht mehr um sein Ego als um Gott.
Alles an der Figur des Zöllners ist anders: Als Vertreter einer heidnischen Staatsmacht kann er keine religiöse Expertise oder gesellschaftliche Anerkennung vorweisen. Im Gegenteil: Zöllner galten als korrupte Handlanger und gierige Profiteure der verhassten römischen Besatzungsmacht. Der Zöllner drängt sich im Tempel nicht vor, sondern bleibt ganz hinten stehen. Er wagt nicht seine Augen zum Himmel zu erheben, er weiß um seine Erdgebundenheit. Er schaut in sich hinein – das Schlagen an seine Brust ist auch ein An-Klopfen bei sich selbst, er geht in die auch dunkle Wahrheit seines Lebenshauses hinein – so wie es ist. Er taucht hinab in die Tiefe seiner Person, dort ist er auch ein Sünder. Er steigt hinab in sein Gewissen, bis an den Abgrund seiner nackten Existenz, bis zum toten Punkt. Ihm geht es um mehr als um moralische Verfehlungen – dann hätte er nur um Vergebung seiner Sünden gebeten. Im Gegensatz zum Pharisäer braucht er nicht viele Worte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Ausdrücklich bittet er um Gnade. Das ist die unbedingte Liebeszuwendung Gottes, die seine ganze Person durchdringen und von innen her neu beleben soll. Er ist offen und bereit für eine allumfassende Wandlung vom Tod ins Leben, die allein Gott begründen und an der er mitwirken kann.
Christen nennen das Auferstehen – Ostern, das feiern wir hier – und können es im Alltag leben. In Jesus Christus schenkt Gott uns diese Gnade unüberbietbar, ohne jegliche Vorbedingung und nie endend. Wir können nichts Besseres tun, als uns – wie der Zöllner – dafür von Grund auf zu öffnen und sie miteinander menschlich zu teilen – so wird Gottes Lieben erfahrbar. Schon die Bereitschaft dafür reicht für einen neuen Anfang.
Dazu ist der Pharisäer nicht – noch nicht – bereit. Angst dominiert sein Herz – seine narzisstisch-isolierende Selbsterhöhung ist eine Droge, sein Gebet nur eine egostabilisierende Fassade. Die wird eines Tages zusammenbrechen, dann wird er erniedrigt zu dem, was er eigentlich ist: ein Mensch wie jeder andere, angewiesen auf unbedingtes geliebt sein, auf göttliche Gnade. Der Zöllner ist schon jetzt unten, in seiner Lebenswirklichkeit, im Gottvertrauen bereit und offen sich von Gott lieben und wandeln zu lassen – gerade auch als Sünder. Diese Haltung nennt Jesus gerechtfertigt und in ihr gehalten und gefasst geht er nach Hause – nach Hause hinab, in die Niederungen des Alltags – hier wird die Gnade Gottes ihn weiter erhöhen.
Später am leeren Grab Jesu geht es wieder hinab. Ein Engel sendet die Jünger: „Geht hinab nach Galiläa, er geht euch voraus – dort werdet ihr ihn sehen.“ Die Wandlung des Alltags kann endgültig beginnen: Gott wird erniedrigen und erhöhen – damit alle und alles aus seiner Gnade aufersteht und lebt.