Impuls am Montag der Fünften Fastenwoche (27.3.2023)

Den Eigenwillen hassen.
(RB 4,60)

„Das ist doch wieder typisch katholisch. Den eigenen Willen zu hassen, das ist doch nicht gesund. Zu lange hat man Menschen in unserer Kirche mit solchen unmenschlichen Forderungen gebrochen. In so einer Kirche kann ich unmöglich bleiben.“ So ähnlich werden Sie vielleicht gedacht haben, als Sie das heutige Werkzeug aus der Benediktsregel gelesen haben. Und ich kann Sie gut verstehen. Wäre es tatsächlich so, wie ich es in der fiktiven Rede am Anfang beschrieben habe – ich möchte auch nicht in so einer Kirche sein und bleiben.

Das, was hier mit Eigenwille übersetzt wird – im lateinischen Original heißt es „propria voluntas“ – meint aber gar nicht den eigenen Willen, den freien Willen des Menschen. An dem ist nämlich nichts Böses, denn Gott hat uns schließlich als freie Menschen erschaffen. Und auch den Entschluss, ins Kloster einzutreten, habe ich aus freiem Willen getroffen – sonst wären meine Gelübde kirchenrechtlich auch gar nicht gültig. Benedikt betont diesen freien Willen des Menschen am Anfang seiner Regel sehr deutlich: „Wer ist der Mensch, der das Leben will und gute Tage zu sehen wünscht?“ (RB Prol. 15) Und einen Vers später sagt er: „Wenn du das hörst und antwortest: Ich…“ Die Grundentscheidung meines Lebens treffe ich aus freiem Willen, und auch im Kloster höre ich nicht auf, „Ich“ zu sagen – eine Klostergemeinschaft besteht aus sehr unterschiedlichen Individuen.

Was Benedikt mit dem neuen Wort „Eigenwillen“ bezeichnet und so verteufelt, sind eher die kleinen Begehrlichkeiten meines Egos, die mich nach und nach daran hindern, meiner Grundentscheidung zum Leben zu folgen. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein: das Streben nach Macht, Karrieresucht, Gewinnstreben, Neid, Eifersucht, … Es geht also beim heutigen Werkzeug nicht darum, mein Ich und meine Freiheit aufzugeben, es geht darum, dass all die kleinen Begehrlichkeiten des Lebens mich nicht von dem wegführen, wofür ich mich einmal in Freiheit entschieden habe: dem zu folgen, der mich zum Leben führen will.

P. Maurus Runge OSB