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Impuls zu Apg 1,15-26

Die Nachwahl des Matthias findet statt, um die Zahl der zwölf Apostel nach dem Tod des  Judas Iskarioth wieder herzustellen. Diese Zwölferzahl repräsentiert die Gesamtheit des Volkes Israel. Keiner von den Stämmen Israels soll verlorengehen. Und im Fortlauf der Apostelgeschichte werden die Apostel in alle Welt gesandt. Damit weitet sich die Zwölferzahl auf die ganze Welt. Es ergeht der Missionsbefehl an alle Welt.

Der Apostel Matthias wird in Trier verehrt. Er soll uns das Evangelium gebracht haben. Das kann uns in besonderer Weise mit dieser Textstelle in Verbindung bringen.

Br. Benjamin Altemeier OSB

Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters.
(Apg 1,4 – ganze Lesung: Apg 1, 1-14)

Im Moment blicken wir wieder mal bange nach Jerusalem und in das Heilige Land. Wieder einmal scheint ein Krieg kurz bevorzustehen. Die Heilige Stadt, Heimat dreier großer Weltreligionen, kommt nicht zum Frieden.
Manchmal fragt man sich, warum es denn so schwer sein muss, endlich einen gemeinsamen Frieden zu finden.
Doch sind wir mal ehrlich mit uns selber: Wann haben wir selbst denn einmal wirklich inneren Frieden und sind ausgesöhnt? Auch uns fällt es schwer Frieden zu finden oder sich mit jemandem auszusöhnen. Landen wir in einem Konflikt oder im Strom unserer Verletzungen, dann sind wir oft auf Krawall gebürstet, oder wir wollen manchmal auch vor lauter Wut einfach alles hinschmeißen und weglaufen.
Der Heilige Benedikt rät uns im Prolog seiner Regel, nicht immer gleich zu fliehen, wenn wir einmal wieder von unseren Emotionen übermannt werden.  Und daran ist etwas Wahres dran. Emotionen sind gut, und es kann uns helfen, sich in sie zu stürzen oder dorthin zu fliehen. Aber am Ende ist es doch immer besser, einen friedlichen Weg zu finden oder zumindest einen Pfad, der uns alle in eine friedvolle Zukunft führen wird.
Jerusalem bedeutet nicht nur endlose Konflikte, Hass und Gewalt, es ist der Ort, an dem alles geschehen ist und alles geschehen wird. Drei große Religionen legen darüber Zeugnis ab.  Wir alle sollten dort aushalten, um das erfahren zu dürfen.
Hoffen wir im Weg auf Pfingsten zu, dass man im Heiligen Land diesen Pfad der Hoffnung und Verheißung finden wird, und wünschen wir uns alle Frieden.
Wir sehen uns in Jerusalem!

Salam, Shalom, Pace!

Br. Balthasar Hartmann OSB

1 Der HERR ist mein Licht und mein Heil: Wen sollte ich fürchten?
Der HERR schützt mein Leben: Vor wem sollte ich bangen?
(…)
4 Eines erbat ich vom HERRN, danach verlangt mich: im Haus des HERRN zu wohnen alle Tage meines Lebens, die Freundlichkeit des HERRN zu schauen und nachzusinnen in seinem Tempel.
5 Er birgt mich unter seinem Dach am Tag des Unheils, er beschirmt mich im Schutz seines Zeltes, er hebt mich empor auf den Felsen.
(…)
7 Höre, o HERR, den Ruf meiner Stimme, sei mir gnädig und gib mir Antwort!
8 Mein Herz denkt an dein Wort: „Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz, o HERR, will ich suchen.
9 Verbirg mir nicht dein Antlitz, weise deinen Knecht nicht im Zorne zurück, du hast mir doch immer geholfen. Verstoß mich nicht, verlass mich nicht, du Gott meines Heiles.
(…)
13 Ich aber glaube fest: Die Güte des HERRN werde ich schauen im Land der Lebenden.
14 Harre auf den HERRN und sei stark, fasse Mut und harre des HERRN.

(Psalm 27 – Übersetzung: Münsterschwarzacher Psalter)

Schaut hin – so lautet das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentages, der derzeit digital und dezentral stattfindet. Schaut hin. Schaut genau hin, hinterfragt, nehmt wahr! Aufforderung nicht nur in Zeiten von Fake-News und Populismus. Aufforderung zur Achtsamkeit und zur Wertschätzung.

Der Blick in die Bibelstelle des Mottos, Mk 6,38, zeigt noch eine weitere Perspektive. Angesichts der hungrigen Menschen fordert Jesus die Jünger auf nachzuschauen, was sie denn noch zu essen haben. Der Blick auf das Kleine, auf das ganz Eigene ist gefragt. Was sehe ich denn bei und in mir – das ich teilen, mit-teilen, weitergeben kann. Brot, Glauben, Hoffnung. Das wenige reicht.

Der Psalm 27, der heutige Text der Bibellesung, dringt noch tiefer. „Sucht mein Angesicht!“ (Ps 27,8) Schaut auf mich – und lasst euch von mir anschauen. Bei mir findet ihr Kraft, Geborgenheit, Hilfe, Leben.
Als wir uns 1984 diesen Psalmvers für unsere Zeitliche Profess auswählten, mahnte uns damals Pater Michael mit dem Wort an Moses: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.“ (Ex 33,20)

Mit Jesus hat sich das grundlegend geändert. Gott wird Mensch und nimmt das Gesicht, den Körper eines Menschen an. Von Angesicht zu Angesicht schaut er dem Menschen in die Augen und ins Herz.

Lasse ich mich anschauen?
Halte ich dem Blick stand?
Schaue ich selber hin?
Was entdecke ich im Blick Gottes?

Harre auf den HERRN und sei stark, fasse Mut und harre des HERRN.

P. Guido Hügen OSB

Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen! Öffne deinen Mund, richte gerecht, verschaff dem Bedürftigen und Armen Recht. (Spr 31,8-9 – ganze Lesung: Spr 31,1-9)

Immer wieder gibt es die Diskussion, ob Religion Privatsache sei. Oder: Muss Religion politisch sein? Wenn wir den Abschnitt aus dem Buch der Sprichwörter ernst nehmen, stellt sich diese Frage nicht. Religion – und speziell auch das Christentum –  hat anwaltliche Funktion. Sie muss auf Missstände hinweisen und sich einmischen. Überall wo Unrecht herrscht und Unterdrückung geschieht, wird dem Reich Gottes Gewalt angetan. Da ist Kirche gefordert. Aber nicht nur die Kirche als Institution, sondern ein jeglicher Christ. Dort wo wir Unrecht wahrnehmen, dürfen wir nicht schweigen. Da wo wir Unrecht wahrnehmen, dürfen wir nicht warten. Warten auf das, was andere denken, warten, bis es eine offizielle Mitteilung gibt. Ich wünsche mir Christen und ich wünsche es mir bei mir selbst, dass wir uns einmischen, da wo Unrecht geschieht. Dass wir die Angst überwinden. Ziel für uns Christen ist es, MitarbeiterInnen der Gerechtigkeit zu sein.

Br. Benjamin Altemeier OSB

Das Staunen über Gott und die Menschen als sein Ebenbild – Spr 30,1-6 weitergedacht.

Wie gerne würden wir uns Gott* erklären. Es gibt – in der Geschichte und auch in der Gegenwart – genug Versuche, Ansätze und propagierte Wahrheiten: „So und so ist er…“

Ganz bewusst, wenn auch sehr provokativ, habe ich nach Gott* das Gendersternchen gesetzt. Sehr oft kommt ja das berühmte Bild des Alten mit grauem Bart. Ist das so? Kann ich Gott* so fassen und einzwängen?
Meine ganz persönliche Glaubensantwort: Nein.

Ausdruck eines Bewusstseins dieser Offenheit soll auf sprachlicher Ebene das Gendersternchen im Bezug auf Menschen sein. Schauen wir doch einmal unseren Mitmenschen an: Kann ich sagen, der ist so und so? Oder: Der ist Mann, Frau, Divers? Oder: So und so denkt der Mitmensch? Spätestens seit über das Gendern diskutiert wird, sollte klar werden, dass eine klare, einfache, eindeutige Einteilung eben nicht machbar ist. Das gilt sowohl, weil wir noch nicht ganz verstehen, wie der Mensch ist. Es gibt zu viele Rätsel, und die Wahrheit ist nicht einfach schwarz-weiß. Wenn ich auf den Mitmenschen unvoreingenommen zugehen möchte, ist und bleibt er mir ein Fremder, eine Andere, wie der Philosoph Lévinas es gesagt hat. Es ist ein Ausdruck des Respekts dem Anderen gegenüber, wenn ich ihn nicht direkt in Schubladen sortiere, sondern versuche, diesen Menschen zu verstehen. Mit einem wachen Blick, mit einem liebenden Herzen kann ich mein Gegenüber immer wieder neu entdecken, ohne dass diese Fremdheit ganz verschwinden wird. Ich kann meinem Gegenüber den Raum geben zum Selbstausdruck.

Im heutigen Tagesabschnitt (Spr 30,1-19) lesen wir die Worte Agurs, der versucht Gott* zu erfassen und es dann aufgibt. „Weisheit hab ich nicht gelernt, und Erkenntnis des Heiligen habe ich nicht.“ (Spr 30,3) Ein Erfassen und Durchdringen Gottes* gibt es nicht. „Wer ist hinaufgefahren zum Himmel und wieder herab?“ (V. 4) Bei Gott* bleibt eine Fremdheit bestehen, selbst in seinem Wort, das als Schlüssel gilt. „Tu nichts zu seinen Worten hinzu.“ (V. 6) Ich lese es als: Sei dir bewusst, dass deine Interpretation nicht Gott* entsprechen muss oder dass es nur ein Aspekt, der persönlich geprägt ist, sein kann. Für mich ein Ausdruck des Staunens. Immer wieder neu auf Gott* zu zugehen. Immer neu etwas zu entdecken. Im Bewusstsein, dass Gott* immer das größte Denkbare ist (Anselm von Canterbury) und es sogar übersteigt.

Realisiert sich nicht gerade darin die Ebenbildlichkeit Gottes* im Menschen? Dass wir immer mit Respekt und Liebe anerkennen müssen, mein*e Nächste*r ist immer anders, als ich es mir vorstelle. Man kann die Menschen – wie eben auch Gott – nicht in ein simples Schema einpassen. Es ist immer mehr in ihnen.

Das sich immer wieder bewusst zu machen, ist herausfordernd und anstrengend, aber fordert auch heraus in einer Welt, die zum Staunen anregt, wie mit dem Blick eines Kindes – ganz unvoreingenommen.

Br. Symeon Müller OSB

Ein musikalischer Impuls zu Psalm 47

Jedes Jahr im Mai findet der EUROVISION SONG CONTEST statt.  So auch dieses Jahr am 22. Mai in Rotterdam. Viele Lieder des sogenannten ESC spiegeln eine religiöse, spirituelle Botschaft wieder, und viele Lieder setze ich in der OASE im Rahmen meiner Kurse in den Meditationen ein. Der israelische Beitrag aus dem Jahr 1989 verbindet auf wunderschöne Weise Psalm 47 und das heutige Fest Christi Himmelfahrt.

Auf der Straße des Königs

(freie Übersetzung des Liedes DERECH HA MELECH von Shaike Paikov, ESC Israel 1989)

Ein Morgen voller Tau
und der Weg des Königs ist vor mir
Die Harfe und die Krone haben mich gerufen
Zur Auffahrt zum König
Meine Gedanken summen in mir
Ich schaue zu einem Sonnenstrahl
Meine Gedanken spiegeln sich in den Wolken
Ich schaue auf, das Pferd auf den Wolken ist wunderschön,
Es trägt mich auf dem Rücken
Auf.Fahrt auf den Weg des Königs

Der Weg des Königs ist mein einziger Weg
Die Harfe des Königs ist mein Lied
Der Weg des Königs ist mein Traum, ist mein Rätsel,
Die Harfe des Königs ist meine einzige Liebe
Ich klatsche in die Hände
Ich juble meinem König zu

Der Tag, der mit dem Sonnenaufgang geboren wird,
in den Zeiten des Kreislaufes der Natur
Der Tag kommt und wächst und stirbt plötzlich heimlich
Und in mir entsteht ein wunderbares goldenes Lied
Dem Universum schenke ich ein Gebet
Ich schaue auf, das Pferd auf den Wolken ist wunderschön
Er trägt mich auf dem Rücken

Auf.Fahrt auf den Weg des Königs …
Der Weg des Königs ist mein einziger Weg
Die Harfe des Königs ist mein Lied
Der Weg des Königs ist mein Traum, ist mein Rätsel,
Die Harfe des Königs ist meine einzige Liebe
Ich klatsche in die Hände
Ich juble meinem König zu

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Br. Benedikt Müller OSB

Impuls zu Spr 29, 1-18

Beim heute betrachteten Text des ökumenischen Bibelleseplans fällt mir der starke Dualismus auf, der diese Verse – genau wie bereits die Verse des vorhergehenden Kapitels – durchzieht: Auf der einen Seite steht der gerechte Mensch, auf der anderen Seite der Gottlose.

 

Am Beispiel von Vers 4:

Der Gerechte
Ein König gibt durch das Recht dem Land Bestand;

Der Gottlose:
aber wer nur Abgaben erhebt, zerstört es.

 

Als Leser dieser Bibelworte darf man sich womöglich fragen: Auf welcher Seite dieses Dualismus stehe ich? Und ganz ehrlich: So kategorisch, wie der biblische Autor es an dieser Stelle sieht, ist die Welt zum Glück nicht. Das merke ich in meinem eigenen Leben: Hier und dort handle ich richtig, an anderer Stelle bin ich mir meiner Fehler bewusst.

Und selbst diese Einsicht greift im Prinzip noch zu kurz! Am liebsten hätten wir schnelle Antworten, um unser Handeln – und das der Mitmenschen – in die Kategorien Richtig und Falsch bzw. Gut und Böse einordnen zu können. Das macht uns das Leben zwar einfacher, aber so neigen wir dazu, die Menschen mit einem sehr engen Blick in unsere eigenen Kategorien zu packen.

Die Welt ist aber nicht Schwarz oder Weiß, sondern es gibt viele verschiedene Farben: Sie ist bunt! Was für mich stimmig und gut erscheint, mag für jemand anderen der falsche Weg sein. (Das wird auch an den hier betrachteten Versen deutlich: Man beachte die Pädagogik, die in den Versen 15 und 17 als sinnvoll erachtet wird. In der Zeit, aus der der Text stammt, war diese Weise der Aufzucht von Kindern leider üblich, heute wissen die meisten Eltern es – Gott sei Dank – besser!)

Insofern denke ich, dass die Bibel an dieser Stelle zu kurz greift.

Gut ist also m. E. am vorliegenden Text: Er beabsichtigt, uns auf den richtigen Weg zu führen. Die Art und Weise, wie dies geschehen soll – nämlich kategorisch – entspricht aber nicht der Realität des Facettenreichtums menschlichen Lebens.

Als gläubiger Mensch kann ich sagen: Ja, es gibt eine absolute Wahrheit – nämlich Gott – aber es gibt so viele Wege zu dieser Wahrheit, wie es Menschen gibt!

 

Lassen wir den Menschen die Freiheit, ihren Weg zu Gott zu gehen!

Br. Josef Ellendorff OSB

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich lade Sie heute ein, die Schriftverse Sprüche 28, 12-28 vollständig zu lesen und in Ihrem Herzen zu erwägen.
Sicherlich finden wir uns in den einzelnen Inhalten wieder. Ich denke, der Schreiber möchte uns einen Spiegel vor Augen halten, damit wir unser Tun und Lassen überprüfen.
Ja, überprüfen und nicht den Zeigefinger erheben und von sich wegweisen, auf die Schwester, den Bruder.
Gerecht und Gottlos
Barmherzig und Unbarmherzig
Verstand und Unverstand
Treue und Untreue 

Fragen wir uns ehrlichen Herzens: Was sollte in mir gefestigt werden und wo benötige ich die Hilfe und den Beistand Gottes zur Umkehr, zur Kurskorrektur?

In einem Text von Henri J.M. Nouwen heißt es:
Vielleicht habe ich Gott nie Einlass in mein Inneres gewährt, damit er mir mein wahres Ich und mein Selbstverständnis geben konnte.
Aber wann wird Gott endlich all meine Abwehrstellungen durchbrechen, damit ich das nicht nur mit meinem Verstand, sondern mit meinem Herzen erkenne und vollziehe? 

Wir sind fast in der Mitte des Wonnemonats Mai angekommen. Vielleicht kann uns die Natur ein Vorbild sein. Das frische Grün, die Entfaltung der Natur. Das Leben regt sich. Die Schöpfung blüht erneut auf.
Ein Bild auch für mein Inneres.  Gewähre ich Gott Einlass, damit er mich berührt mit seinem Erbarmen, seiner Liebe, seinem Licht? Damit ER das aufbreche, was der Erneuerung bedarf?

Ich wünsche Ihnen einen Tag voller Licht und Wärme.
Ich wünsche Ihnen den Mut, sich von Gott berühren und beschenken zu lassen.
Ich wünsche Ihnen die Kraft, ihre Augen, Ohren und das Herz zu öffnen.

Mein Gebet begleitet Sie!

Ihr
+ Aloysius Althaus OSB

Impuls zu Spr 27,1-7

Gut gemeint sind die Schläge eines Freundes, trügerisch die Küsse eines Feindes. (Spr 27,6)

Die heutige Textstelle aus dem Buch der Sprichwörter hat einen direkten Bezug zum Gesetz des Mose, in dem es heißt: „Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Mitbürger zurecht, so wirst du seinetwegen keine Sünde auf dich laden.“

Das Gesetz bestätigt also das Sprichwort, welches aussagt, „die Schläge eines Freundes sind gut gemeint“ und wird vom andern Ende aus erweitert durch die Aussage: „Trügerisch [hingegen sind] die Küsse eines Feindes“.

Es wird also mit Nachdruck vermittelt: Die gut gemeinte Zurechtweisung eines Nächsten (selbst wenn sie sich wie ein Schlag anfühlt) ist keine Sünde:
Besser offener Tadel als Liebe, die sich nicht zeigt. (Vers 5)

Die Schrift fordert uns heute dazu auf, kritikfähig, oder um es mit dem Wort des 5. Verses zu sagen, offen zu bleiben, auch wenn wir vielleicht schon einiges an Erfahrung gesammelt haben und meinen, bereits gesättigt zu sein durch unser Wissen.

Doch
Wer satt ist, will auch den besten Honig nicht mehr sehen; dem Hungrigen aber schmeckt sogar das Bittere süß. (Vers 7)

Ich glaube fest, dass wir tief im Innern alle noch hungrig sind, dass wir nur oft müde und gemütlich, vielleicht sogar ängstlich geworden sind, unseren Hunger mit Neuem zu stillen; stattdessen greifen wir auf die bewährten Mittel zurück, wir verkriechen uns – das verschafft uns ein Gefühl von Sicherheit und bestätigt ein anderes Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Doch trauen wir uns auch, das Bittere zu kosten! Lassen wir uns doch auch mal von anderen etwas sagen – besonders von denen, deren Meinung zu teilen uns manchmal schwer fällt.

Nur wenn wir kritikfähig, offen, ja hungrig bleiben, ganz gleich, wie viel wir schon zu wissen glauben, eröffnet sich das Potenzial, dass Bitteres süß wird und dass Liebe sich zeigt.

Br. Jonathan von Holst OSB

Über Psalm 1 – Die Frage „Wo verwurzele ich mich?“ als Schlüssel für das Psalmenlesen

„Wohl dem Mann, der…!“ Ein grandioser Eröffnungstext für eines der wirkmächtigsten Bücher der Heiligen Schriften Israels, sowohl im Judentum wie auch im Christentum, für das Buch der Psalmen. In beiden religiösen Traditionen, die sich auf diese antike Religion berufen, haben die Psalmen als tehilim, als Preisungen im liturgischen Gebetsleben einen festen Platz.

In den ersten beiden Psalmen wird dem Leser quasi eine Brille angeboten, die es ihm ermöglicht, das, was folgt, deutend zu verstehen. Beide bilden gleichzeitig auch den Auftakt zum sogenannten „Davidpsalter“, den Texten (Ps 1-41), die dem großen König Israels selbst zugeschrieben werden. Psalm 2, ein Königspsalm, ist im Christentum sehr bekannt, da er – ein altorientalisches Krönungsritual schildernd, in welchem der neue Herrscher zum Sohn des höchsten Landesgottes adoptiert wird und so Macht über seine Feinde bekommt – auf Jesus aus Nazareth als den Christus gedeutet wird, was nichts anderes als Messias heißt, ein weiterer altorientalischer Königstitel („Gesalbter“). „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt!“ sagt JHWH. Ganz in altorientalischer Natur wird hier von dem Sieg über Feinde gesprochen. Man wird an das ägyptische Motiv der „Erschlagung des Feindes“ erinnert, wie es auf vielen Tempelwänden noch heute von Touristen bewundert wird.

Psalm 1 scheint hier einen ganz anderen, moderneren Ton anzuschlagen. Das wunderschöne Bild vom Baum, „der gepflanzt ist an Wasserbächen“ (Ps 1,3), wirkt sehr idyllisch. Aber auch hier trifft der Leser auf die Zweiteilung vom Gerechten und den Frevlern. Die Frevler sind (in alttestamentlicher Sprache) Personen, die sich gegen JHWH auflehnen und seinen Bund brechen (vgl. auch Ps 2,2). Das macht sie zu „Spreu, die der Wind verstreut“ (Ps 1,4b). Sie haben keine Standfestigkeit, sondern werden von allen möglichen Einflüssen hin und her geworfen. Alles, was sie vorhaben, können sie nicht umsetzen. Es sind nichtige Pläne.

Der zentrale Fokus des ersten Psalms liegt jedoch auf dem Mann, der so überschwänglich gepriesen wird. „Wohl dem Mann, der (…) hat Lust an der torah JHWHs und sinnt über seine torah am Tag und in der Nacht.“ Hier wird ein messianisches Idealbild gezeichnet. Vor allem anderen, auch der königlichen Bedeutung und seiner Macht in Ps 2, steht die Beziehung zum Bund. Nicht Aktionismus und Planen sind entscheidend, sondern eine tiefe Verwurzelung in Gott, die in einer ständigen Suche nach ihm und in der Freude an seinem Bund sich zeigt. „Schau dir die anderen an! Korrigiere sie und sag ihnen, wie es sein soll!“ wird hier nicht gesagt, sondern „Verwurzele dich selbst, suche deine Beziehung zu JHWH, der mit dir einen Bund geschlossen hat, und denke nach über eben diesen Bund, den er nicht allein mit dir, sondern noch mit vielen anderen geschlossen hat, deinen Brüdern und Schwestern.“

So wird die Lesebrille deutlich, die alles andere erschließt: Es geht, spirituell gelesen, um ein Durchleben dieser Beziehung zu Gott, um ein Durch-Lieben, manchmal auch ein Durch-Kämpfen. Manchmal wird da zugesagt: „Mein Kind bist du!“, und manchmal tönt nur der Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2)

Hier liegt dann auch der Schlüssel für die Stellen, die für uns heutige Menschen verstörend sind, weil sie einem ganz anderen Kulturkreis angehören. Die altorientalische Sprache und Bildsymbolik wird aufgenommen, weil es die Sprache dieser Zeit ist. Sie kennt keine andere, und wir heute verstehen vieles vielleicht auch nicht mehr. Nicht einfach ausklammern, sondern sie aus einem ganz bestimmten Blickwinkel lesen und deuten. Heilige Schrift ist Gotteswort „durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat“ (DV 12), wie es das Zweite Vatikanische Konzil bezeichnet. Ein Text darf auch in seiner Fremdheit und seiner heute abstoßenden Sprache bestehen. Dies ist ein Bestandteil des Durchlebens der Beziehung und ihr Ausdruck, da darf auch mal geflucht werden. Das Durchleben lässt sich gut mystisch als Tanz verstehen. Es ist nicht statisch, sondern dynamisch. Es muss nicht immer alles rosarot sein, das wäre ein Verkennen der menschlichen Wirklichkeit. Aber wenn man sich verwurzelt in der Beziehung zu Gott und seinem Bund, wozu uns Psalm 1 aufruft, dann darf man auch hoffen, dass man „seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter nicht verwelken.“ (Ps 1,3) Dies erfordert aber auch eine ständige Rückkehr zur torah, zum Nachsinnen über Gottes Bund und ein Ausrichten an ihm. Benediktinisch gesprochen: stabilitas, Beständigkeit.

Br. Symeon Müller OSB