von Abt Stephan Schröer OSB
Meine Schwestern, meine Brüder,
in einer bedrückenden, verwirrenden und bedrohlichen Zeit feiern wir Gottesdienst, heute am Gründonnerstag. Politische Skandale, Korruption, Gewalt und Elend in vielen Teilen unserer Welt. Die Kirche wie gelähmt angesichts mancher Unglaubwürdigkeit, mancher ungelöster Fragen und mancher interner Erschütterungen, und das begleitet von vielen Menschen, die sich von ihr verabschieden.
Und die Corona-Pandemie, die nun schon lange dauert und wohl noch dauern wird, der Druck der steigenden Zahlen, die Unsicherheit, wie es weiter geht, und all das, was uns im Alltag ganz nah und persönlich berührt. Eine Fülle von Nachrichten stürzt auf uns ein, oft widersprüchlich, oft im nächsten Augenblick von einer neuen Meldung überholt. Oft ist es schwer, sich ein Bild zu machen und eine verlässliche Orientierung zu finden. Eine verwirrende Zeit.
Wenn ich mit Freunden spreche, oder mit meinen Brüdern, spüre ich, wie die Pandemie auch unsere Gespräche begleitet. Durchaus einsichtig ist vieles, was geregelt werden muss, aber auch mancher Unmut und manches Unverständnis ist nicht zu überhören.
Für viele ist es eine schwere Zeit, wenn im nächsten Umfeld jemand „coronabedingt“ erkrankt, wenn es im Beruf nicht läuft, oder in der Ausbildung, in der Schule, im Studium, wenn diese Zeit mir manche Einschränkung zumutet, wenn Reisen nicht möglich sind oder kulturelle Ereignisse oder Familienfeste.
Ganz direkt spüren wir es, wenn alltägliche Kontakte nicht sein können, und Distanzregelungen selbstverständliche Nähe verbieten, wenn man sich nicht treffen, nicht besuchen kann und gemeinsame Unternehmungen gestrichen werden.
Viele sind allein. Viele sind müde, verdrossen und gereizt. Viele sind einsam.
Wir, meine Brüder und Sie, die Sie uns im Internet begleiten, feiern heute Gründonnerstag. Wir feiern in einer leeren Kirche. Das ist für mich kein schöner Anblick, der verlassene große Raum und die leeren Bänke.
Und traurig erinnere ich mich an die früheren Jahre, in denen wir gerade in den Kar- und Ostertagen mit vielen Menschen zusammen sein und feiern konnten, darunter auch die, die immer wieder kamen und für uns ein vertrauter Teil von Ostern waren.
Meine Schwestern, meine Brüder,
Sie, die Sie jetzt über das Internet dabei sind, möchte ich ganz herzlich auch im Namen meiner Brüder begrüßen. Ich möchte uns allen wünschen, dass wir trotz der Distanz etwas von dem Gemeinsamen erfahren dürfen, was uns gerade heute, am Gründonnerstag, miteinander verbindet. Fühlen sie sich in den Kreis unserer Gemeinschaft hineingenommen, so gut es geht.
Ein Mahl feiern wir heute.
Der Apostel Paulus hat uns gerade im ersten Brief an die Korinther daran erinnert, und der Evangelist Johannes. Kurze Texte sind es, aber sehr eindringlich und denen, die sich Christen nennen, vertraut wie kaum andere Worte der Heiligen Schrift.
Johannes erinnert kurz und bündig: „Es fand ein Mahl statt.“
Ein Mahl, das ist Alltag, die Mitte des Alltags. Der Ort, sich zu treffen, sich zu stärken, zu erzählen, gemeinsam zu überlegen und zu planen, zu genießen und zu spüren, wir gehören zusammen.
„Es fand ein Mahl statt.“
Und es war ein besonderes Mahl. Paulus hat es uns gerade erklärt, wenn er sagt:
„Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Tut dies, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.“
Wenn ich in der Bibel lese, sind oft gerade die kurzen Worte, die von Jesus erzählen, auch die, die mich am meisten bewegen und in der Erinnerung lebendig bleiben.
Und noch etwas:
Wir wissen auch, wie oft die Stunden vor wichtigen Ereignissen eine besondere Bedeutung bekommen. Vielleicht erschließt es sich erst im Rückblick. Auch hier wissen wir um die dunklen Tage, die kommen werden: Die Verurteilung Jesu, sein Leiden, sein Tod, und: das Unglaubliche seiner Auferstehung.
Und die Aufforderung „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ fordert unsere Antwort und nimmt uns in die Verantwortung, bis heute. Das letzte Abendmahl Jesu feiern wir als sein Vermächtnis, jetzt, in dieser Stunde, wie so oft.
Gott selbst wählt das Mahl als Zeichen seiner Fürsorge. So kümmert er sich um uns Menschen. Er will uns nah sein und uns stärken. Er lässt uns nicht im Stich
Es geht um die verborgene Gegenwart Jesu in unserer Mitte Nicht umsonst sprechen wir vom Geheimnis unseres Glaubens, um dann zu bestätigen:
„Deinen Tod , o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit.“
Wie gesagt: „Wir“.
Es geht nicht nur um Erinnerung, heute am Gründonnerstag. Erinnerung wird Gegenwart.
Und wenn wir, die Gemeinschaft der Mönche, gleich einen großen Kreis um den Altar, den Ort des Abendmahls, bilden, spüren wir, wie sehr es hier um die Mitte unseres Glaubens geht und uns diese Mitte zusammen bindet. So sehr mich auch unsere leere Kirche in diesem Jahr traurig stimmt, im Wechselspiel der Steinmauern und der Lichtöffnungen erlebe ich ganz neu und klar, wie sehr alles auf den Altar hin ausgerichtet ist, wie unsere Kirche um diesen Altar herum gebaut ist und den Blick frei gibt auf das, was wir heute feiern. Gemeinschaft in Gottes Gegenwart.
„Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Das fordert unsere Antwort.
Und wenn der Evangelist Johannes menschlich anrührend davon erzählt, dass Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht und sie so einlädt, einander zu dienen, unterstreicht das für mich noch einmal, wie sehr Gottes Gegenwart seinen Ort in unserem Alltag hat, mit uns zu tun hat, und wie sehr wir in der Pflicht sind, diesen Alltag zu gestalten, durch unseren Dienst.
Meine Schwestern, meine Brüder,
wir feiern Gründonnerstag in der Zeit der Pandemie. Wir feiern in einer leeren Kirche. Wir feiern in einer schweren Zeit. Müde fühlen wir uns vielleicht, gereizt und einsam.
Andererseits feiern wir die bergende Gegenwart Gottes. Das hat mit Trost zu tun und mit der Ahnung, ja der Sehnsucht, was Alltag, was Leben in seinem Reichtum sein kann Und mit der Gelassenheit, daran mitwirken zu dürfen. Das Abendmahl Jesu mit den Jüngern, ein immer neuer Beginn zu einer gastlichen Welt.
In diesen Tagen werden es wahrscheinlich nur ganz kleine Schritte sein, die wir gehen können. Der aufmerksame Blick auf die, die einsam sind, und dankbar sind für einen Gruß, einen Besuch oder ein Gespräch, eine Ermunterung oder eine Hilfe im Alltag.
Und wenn Sie heute Abend in der kleinen Runde der Familie oder der Freunde Mahl halten, und wenn wir, die Mönche, uns in unserem Refektorium zu einem festlichen Abendessen und zu einem Glas Wein versammeln, erfahren wir mit aller Dankbarkeit, was wir aneinander haben. Und dass wir Kraft schöpfen dürfen, um aufzubrechen, in aller Gelassenheit, weil Gott dabei ist.
Zum Schluss nur noch dieses kurze Wort an die Freunde unserer Gemeinschaft, die sonst ganz selbstverständlich hier mit uns Ostern gefeiert haben. Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr wieder gemeinsam diese Tage begehen können und im wirklich großen Kreis Gründonnerstag Abendmahl halten können, um danach in vertrauter Runde zusammen zu sein. Ich freue mich darauf, dass wir uns wiedersehen.