Impuls am Freitag nach Aschermittwoch (24.02.2023)

RB 4 (Die Werkzeuge der geistlichen Kunst), V. 8

Alle Menschen ehren.

Die ersten Werkzeuge der geistlichen Kunst sind von den sog. Zehn Geboten inspiriert, dem Grundgesetz des jüdisch-christlichen Lebens. Interessant ist, dass Benedikt das vierte Gebot – „Vater und Mutter ehren“ – ausweitet auf „Alle Menschen ehren“. Das Gebot wird sozusagen universalisiert. Nicht mehr nur die Eltern, die eigenen Verwandten sollen geehrt werden, sondern alle Menschen. Die Begründung dazu findet sich im Gebot der Nächstenliebe, das uns am Anfang des Kapitels begegnet ist. Martin Buber übersetzt dieses Gebot folgendermaßen: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Das gemeinsame Menschsein ist die Basis für das Gebot, alle Menschen zu ehren.

Wohlgemerkt: es heißt, dass wir alle Menschen ehren sollen. Nicht lieben, denn das wäre wohl eine hoffnungslose Überforderung. Ich kann nicht allen Menschen in affektiver Liebe zugetan sein, auch denen, die es nicht gut mit mir meinen oder die mir unsympathisch sind. Ich kann aber versuchen, ihnen in Ehrfurcht zu begegnen, wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass sie Menschen sind wie ich, dass wir verbunden sind durch das Band des Menschseins.

Heute ist der erste Jahrestag des Ukrainekrieges. Vielleicht kann uns dieses „Werkzeug“ eine Anleitung geben, wie Menschen in Frieden miteinander leben können. Indem sie sich als Kinder der einen Menschheitsfamilie begreifen und einander die Ehre erweisen, die auch Gott dem Menschen erwiesen ist – indem Er selbst Mensch geworden ist. Vielleicht ist dieser Grundsatz gerade für die Zeit nach dem Krieg wichtig, wenn es zu Verhandlungen kommt und Menschen, die einander bis aufs Blut bekämpft haben, wieder zusammenleben müssen. Für heute bleibt uns nur, inständig um Frieden zu beten.

P. Maurus Runge OSB