Impuls am 29. Dezember – Weihnachtsoktav

Am heutigen 29. Dezember, meinem Namenstag, der traditionell auch der Gedenktag König Davids ist, möchte ich ein paar Gedanken zu meinem Namenspatron Jonathan teilen:

Jonathan ist der Sohn Sauls, des ersten Königs des Volkes Israel. Er ist somit auch der geborene Nachfolger, wodurch die Rivalität zu David, der von JHWH zum zweiten König Israels erwählt wird, vorprogrammiert scheint. Jonathan hätte jeden Grund gehabt, David zu verachten – ganz wie sein Vater Saul, an dessen Seite er schließlich auch im Kampf stirbt (vgl. 1 Sam 31,2). Doch „Jonathan liebte David wie sein eigenes Leben“ (1 Sam 18,2). So rational und logisch sich Jonathan auch stets im 1. Buch Samuel verhält – sei es zu Beginn in den Vorstößen gegen die Philister oder später bei den Versuchen, David auf seiner Flucht vor Saul zu helfen – die Liebe zu David ist der Punkt, an dem er irrational handelt, an dem er sogar auf seinen eigenen Thronanspruch verzichtet:

Eine Unvernunft um der Liebe willen.

Jonathan gerät zwischen die Fronten von David und Saul. Er bleibt seinem Vater treu, ohne David zu verraten; und er hält seine Liebe zu David, ohne Saul zu verlassen. Jonathan nimmt die Gestalt des idealen Vermittlers ein, dem es irgendwie gelingt, den Todfeind seines eigenen Vaters über alles zu lieben, ohne dessen Zorn auf sich zu laden. Wie durch ein Wunder schafft er es, in solch einer problematischen Situation selbst ganz unparteiisch zu bleiben und keine der beiden ihm so lieben Seiten gegeneinander auszuspielen oder im Stich zu lassen. Jonathan ist somit auch der Inbegriff der Treue und der Zuverlässigkeit, und er ist für mich das Sinnbild des Brückenbauers.

Dabei fällt mir besonders auf, wie Jonathan stets unauffällig und diskret in seinem Vorgehen bleibt. Nicht zuletzt durch seinen Verzicht auf die Thronfolge wird deutlich, dass Jonathan niemand ist, der große Anerkennung und viel Reichtum (was er leicht haben könnte) braucht.

Für mich hängt dies auf eine bestimmte Weise auch mit Weihnachten zusammen.

Angenommen, wir wären dazu angehalten, eine Menschwerdung Gottes zu inszenieren, wie hätten wir das Ganze vonstatten gehen lassen?
Das Naheliegendste wäre es doch, ihn in einem Palast zur Welt kommen zu lassen, wo er als Thronfolger und neuer Herrscher über seine ganze Schöpfung regieren könnte. Wieso ist der Messias eigentlich nicht als Königssohn zur Welt gekommen? Möglich wäre das Gott doch gewesen. Und wir hätten ihm doch bestimmt gerne gehorcht in dieser Position – schließlich wäre er ja Sohn Gottes!

Gott wurde Mensch in den für uns denkbar unwürdigsten Verhältnissen: Er wurde in einer kalten Winternacht in einem Stall geboren, weil seine Eltern keinen Platz in einer Herberge bekamen. Keine Mutter würde ihr Kind in eine Futterkrippe legen – doch Maria hatte keine andere Wahl. Kurz darauf muss die Familie nach Ägypten fliehen, um dem kindermordenden Herodes zu entkommen.
Und es kommt noch schlimmer: Das Leben Gottes auf Erden endet mit Geißelung und Folter. Jesus wird bespuckt, geschlagen, mit Dornen gekrönt, zur Schau gestellt und verlacht. Er endet am Kreuz, sein Leben mit der Todesstrafe.
Warum tut Gott seinem Sohn und sich selbst das an?

Der Grund ist die Liebe zu seiner Schöpfung.

Gott möchte mehr von uns als unseren Gehorsam, er wünscht sich – so wie im Grunde wir alle (und da ist unsere Ähnlichkeit zu Gott besonders spürbar) – die Erwiderung seiner Liebe.
Am Oktavtag gedachte die Kirche früher (und die evangelische Kirche noch heute) der Beschneidung Jesu: Die menschliche Seite Jesu, die gehorsam unter dem jüdischen Gesetz steht, gerät in den Mittelpunkt.
Doch blinder Gehorsam wäre Gott viel zu einfach. Er sehnt sich nach seiner in Sünde verirrten Schöpfung und möchte, dass auch wir uns nach ihm sehnen. Und er macht es uns eigentlich ziemlich leicht:
Ein schwaches, wehrloses Kind in einer Krippe – man müsste gänzlich in Dunkelheit versunken sein, um kein Mitgefühl, keine Liebe zu empfinden.

Wäre er ein königlicher Herrscher, hätten wir vielleicht (mehr oder weniger) Gottes Geboten eine Zeit lang gehorcht. Wir hätten ihn aber niemals lieben können.
Nun wird Gott nicht nur als schwaches Kind geboren, sondern verzichtet sogar auf jeden Herrschaftsanspruch. Obendrein gibt er sein Leben für uns, seine Freunde, und für unsere Sünden dahin.

Gott handelt irrational um der Liebe willen.

Den Kreis schließen möchte ich, indem ich auf einen weiteren Namen zu sprechen komme:
Vor zwei Tagen, am 27.12., war der Gedenktag des Evangelisten Johannes, der in diesem Jahr ausnahmsweise vom Sonntag der Weihnachtsoktav verdrängt wurde.
Johannes zeigt uns in seinem Evangelium ein Beispiel wirklich verstandener mystischer Liebe Gottes. Der an Jesu Brust ruhende „geliebte Jünger“, der keines apostolischen Amtes bedarf (vgl. Joh 21,20-22) erinnert mich an den an Davids Brust ruhenden Jonathan. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich die Namen so ähneln und dass sie so dicht zusammen ihr Gedenken feiern.

Br. Jonathan von Holst OSB