Impuls am 2. Sonntag nach Weihnachten (3.1.2021)

Als tiefes Schweigen das All umfing, (…) da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab.  (Weish 18,14-15)

Wann haben Sie sich im Familien- oder Freundeskreis das letzte Mal Geschichten erzählt?
Eine Geschichte kann bedeuten: Ein Märchen, wie sie früher erzählt wurden. Oder: Den Kindern oder Enkelkindern von der eigenen Kindheit und ihren Abenteuern erzählen. Oder: lustige Geschichten, die man von anderen gehört hat. Oder: Ein Buch mit Geschichten nehmen, um vorzulesen.
Früher war es üblich, in der Winterzeit zu erzählen. Die Nächte sind lang und das Wetter kalt, Arbeit draußen ist kaum möglich. Da saß man in der „guten Stube“ am Ofen und einer erzählte oder las Geschichten vor, während die anderen zuhörten. Das stiftet Gemeinschaft und verankert jeden einzelnen in Kultur und Geschichte der Familie und der näheren Umgebung. Es ist ein urmenschliches Phänomen.
Papst Franziskus sagte dazu in seiner Botschaft zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel 2020: „Der Mensch ist nicht nur das einzige Lebewesen, das Kleidung braucht, um seine Verwundbarkeit zu verhüllen (vgl. Gen 3,21) – er ist auch das einzige, das von sich erzählen, sich in Geschichten ‚kleiden‘ muss, um sein Leben zu bewahren. Wir weben nicht nur Kleider, sondern auch Erzählungen: die menschliche Fähigkeit zu ‚weben‘ bringt Textilien und Texte hervor.“
Ein schönes Bild: Texte und Geschichten sind die Textilien, die uns unsere seelische Verwundbarkeit verhüllen und uns mit einer ganz persönlichen Zugehörigkeit kleiden. Das ist etwas, was uns Sicherheit gibt und uns prägt. Wir werden durch unsere eigene Geschichte zu ganz einzigartigen Menschen, aber auch durch die Geschichten anderer.
Das weiß auch die Bibel. Aus diesem Grund besteht sie fast nur aus Geschichten, aus dem, was Menschen mit Gott und mit dem Nächsten erlebt haben, und sie ordnet an zu erzählen. „Wenn dich morgen dein Kind fragt (…), dann sollst du deinem Kind antworten:“ (Dtn 6, 20f.) und es soll die Geschichte des Exodus erzählt werden.
Wir leben in den schweren Zeiten einer Pandemie. Wir sind auf uns und auf unseren engsten Kreis zurückgeworfen. Die Welt umfängt scheinbar tiefes Schweigen, weil wir nicht so feiern können, wie wir es gewohnt sind. Müssen wir da in Trübsal  verstummen? Müssen uns die Worte fehlen?
Ich würde behaupten: Nein!
Warum? Weil ein Wort vom Himmel in die Welt gesprungen ist und es selbst, das die große Geschichte der Welt erzählt, soweit ging, dass es Fleisch wurde und es uns Kunde gebracht hat – also Geschichten erzählt. (vgl. Joh 1,14.18) Alle Texte der heutigen Messe fordern uns auf, zu erzählen von früher und von unserer Hoffnung.
Darum noch einmal meine Frage: Wann haben Sie sich das letzte Mal Geschichten erzählt?
Und mein Vorschlag: Nutzen Sie diese weihnachtliche Gelegenheit, um sich im Kreis Ihrer Lieben – real oder digital – zu treffen, es sich bei Gebäck und warmen Getränken gemütlich zu machen und um zu erzählen: Geschichten gegen die Einsamkeit und das Schweigen der Pandemie und den dunklen Winter, um uns so mit Worten zu stärken, wie auch Gottes Wort als Mensch uns stärken will.

Br. Symeon Müller OSB