Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis (25.8.2024)

„Du wirst des Weges geführt, den du gehst.“

Predigt zu Joh 6,60-69 am 25.08.2024

von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB

 

Jede Beziehung, jede Gruppe kennt diese Erfahrung: Irgendwann ist mir der andere, den ich so gut zu kennen glaubte, total fremd und eine Riesenenttäuschung. Bleischwere Enttäuschung hat die Leichtigkeit der Anfangsbegeisterung verschluckt. Auch ich selbst kann auf einmal dastehen und mich selbst nicht mehr wiedererkennen. …

So eine Situation nennen wir dann Krise: Sinnkrise, Beziehungskrise, Lebenskrise. Es ist ein nahezu allgemeingültiger Grundsatz, fast nichts schlimmer zu finden als eine Krise. Dann geht es oft so: Je heftiger wir eine Krise vermeiden wollen, desto schneller ist die nächste da! – Warum eigentlich diese Krisenpanik? Im Griechischen heißt „KRISIS“ Entscheidung. Das rückt unsere ganzen Krisenvermeidungsstrategien in ein sehr seltsames Licht. Ist unsere Angst vor einer Krise in Wirklichkeit die Angst, uns zu entscheiden?

Das Evangelium heute beschreibt die große Krise in der Jüngerschaft Jesu. Vielen wird mulmig, weil Jesus mit seinem Anspruch zu weit geht. Man muss sich entscheiden: Die meisten gehen, einige bleiben – klarer, in anderer Weise, entschiedener als vorher.

So bitter es ist, eine Krise durchstehen zu müssen: Wenn ich mich ihr stelle, hat sie im Rückblick meist heilsame Folgen: Sie zwingt zu Entscheidungen, – und die getroffen zu haben, wirkt entlastend. Nur: Oft verwenden wir unendlich viel Energie darauf, eine Krise „im Keim zu ersticken“, so als wäre es etwas Ungehöriges, Fragen und Probleme mit sich selbst, mit einem Lebenspartner, mit der Politik, mit der Gesellschaft, mit der Kirche, mit meinem Orden oder auch mit seinem Gott zu haben. Eine Krise, ein „Nicht-mehr-Können“ ist wahrlich nichts Ungehöriges. Ungehörig ist, den falschen Anschein zu erwecken, als sei alles in Ordnung. Irgendwann ist es Zeit, Fragen in den Raum zu stellen; denn nur gestellte Fragen können eine Antwort finden. Nicht gestellte Fragen treiben einen bald hierhin, bald dorthin, immer schneller, immer weiter, immer planloser.

Wann endlich gebe ich dem, was mich selbst andauernd umtreibt, die Möglichkeit, sich von einem nagenden Unbehagen in eine vernehmbare und klare Frage zu verwandeln? Welche Frage treibt mich um, wenn ich nicht mehr bereit und in der Lage bin, andere zu verstehen, sondern nach allen Seiten urteile und verurteile? Was steckt dahinter, wenn ich Menschen, Zeit und Dinge in unglaublich großen Mengen verbrauche, weil ich nirgendwo zufrieden sein kann? Was steckt dahinter, wenn sich um mich herum Unsicherheit und Angst verbreiten? Sind nicht all das Methoden, die Fragen zu überspielen, die eigentlich fällig sind: Wo ist der Weg – und was ist das Ziel?

Denn: Den Weg findet nur der, der ihn geht: Und: Wer geht, der wird eine Erfahrung machen, die ihm verschlossen war, solange er der Frage nach dem Weg und dem Ziel ausgewichen ist. Wer geht, der wird – staunend möglicherweise – wahrnehmen: „Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße“ (Johannes Bours). Das, was man vor lauter Krisenpanik für unmöglich gehalten hatte, wird möglich, wenn man ins Leben hineingeht.

Dieser Augenblick, in dem einer über seinen eigenen Schatten springt, ist es, in dem wir mit unserem ganzen Leben, mit Verstand, Leib und Seele an etwas rühren, was sich mit Worten nicht klarmachen lässt, dass nämlich Christus der Weg mitgeht: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Oder übersetzt: Die Lebensstrecke, die mir zugemutet ist, ist kein blindes Schicksal ohne Richtung und Ziel. Mein Lebensweg, so wie er ist, und wie immer er aussehen mag, ist der Ort, an dem die Menschenfreundlichkeit Gottes auf mich wartet, – wenn ich nur gehe!

Wenn du nur endlich die Fragen, die dich umtreiben, stelltest, würde dich die Antwort auf den richtigen Weg bringen.

Wenn du nur endlich losgingest, würdest du merken, dass es nicht nötig ist, aufzubegehren oder sich zu verweigern.

Wenn du nur endlich das Kreuz der Krise riskiertest, wäre es dir möglich, dem zu begegnen, der durch den Tod hindurch ins wirkliche Leben gelangt ist.