Predigt am Zweiten Fastensonntag (16.03.2025)

von P. Maurus Runge OSB

Ein sehr einprägsames und beeindruckendes Erlebnis bei einer meiner Reisen nach Tansania ist für mich der Besuch der sog. Kalambo Falls an der Grenze zu Sambia gewesen. Es handelt sich dabei um die zweitgrößten Wasserfälle in Afrika. Man nähert sich ihnen über ein Hochplateau und steigt dann ca. 1000 Stufen in die Tiefe hinab. Einmal angekommen, erlebt man ein gewaltiges Naturschauspiel. Das Wasser stürzt mit gewaltiger Kraft den Berg hinab und versinkt unten in einem mystisch anmutenden Nebel. Was für mich diese Naturerfahrung aber noch kostbarer machte, war, dass ich sie nicht alleine erlebte, sondern gemeinsam mit einem guten Freund, einem Mitbruder aus einem unserer tansanischen Klöster. Wir saßen gemeinsam an den Wasserfällen, hielten ein kleines Picknick, sprachen miteinander oder betrachteten einfach nur schweigend das Naturschauspiel – bevor wir uns wieder an den anstrengenden Aufstieg zum Plateau machten.
Naturerfahrung auf der einen Seite, menschliche Begegnung auf der anderen Seite – beides zusammen machte diese Erfahrung für mich zu einer Gipfelerfahrung, einem wahren Tabor-Erlebnis. Auch bei Jesus und seinen Jüngern im heutigen Evangelium kommen beide Aspekte zusammen. Die überwältigende Naturerfahrung im Aufstieg auf den Tabor und menschliche Begegnungen: Nicht umsonst nimmt Jesus drei seiner engsten Freunde mit auf den Berg. Und auf dem Berg spricht er mit Mose und mit Elija wie mit Freunden.
Kein Wunder, dass Petrus drei Hütten bauen will, diese wunderbare, so schwer begreifliche und gnadenhafte Erfahrung also festhalten und verstetigen will. Auch ich dachte mir bei meinem persönlichen Tabor-Erlebnis, wie schön es wäre, dort lange zu bleiben und die gemeinsame Gegenwart miteinander zu genießen. Allein – der Alltag ruft wieder. Jesus und die Jünger müssen den Berg wieder hinabsteigen nach Jerusalem, wo Leiden und Kreuz auf sie warten.
Mitten in der Fastenzeit, quasi als Gegenpol zur Versuchungsgeschichte vergangene Woche, hören wir die Begebenheit von Jesu Verklärung auf dem Tabor. Wie wichtig sie anscheinend ist, sehen wir daran, dass drei Evangelisten sie uns überliefern. Wir erleben sozusagen einen Vorschein der Auferstehung, eine Unterbrechung der Fastenzeit. So wie auch die Sonntage der Fastenzeit keine eigentliche Fastenzeit sind, sondern Vorschein der Auferstehung, Unterbrechung des Alltags im Fest. „Kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung“. So hat es Johann Baptist Metz präzise auf den Punkt gebracht. Wir alle brauchen im tristen, grauen Alltag, solche lichtvollen Unterbrechungen, Gipfelerfahrungen, Momente des Glücks, der Freundschaft, um Kraft zu schöpfen für unseren weiteren Weg. Und diese Momente können wir nicht machen und erst recht nicht festhalten, auch wenn wir uns in Zeiten von Handykameras zumindest besser daran erinnern können – sie werden uns geschenkt. Und genauso schnell, wie sie gekommen sind, gehen sie auch wieder.
In diesen geschenkten Gipfelerlebnissen verschwimmen die verschiedenen Zeitebenen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen ineinander.
Vergangenheit: Mose und Elija, die großen Gestalten von Israels Vergangenheit, der Tora und der Propheten, erscheinen und reden mit Jesus wie Freunde.
Gegenwart: ein Augenblick tiefster Präsenz ereignet sich hier. Ich darf einfach da sein – in der Gegenwart Gottes und in der Gegenwart des Freundes, der Freundin.
Zukunft: das Gespräch, das Jesus führt, dreht sich um die Zukunft, um das gewaltsame Ende, das für die Jünger –  und wohl auch für Jesus – so schwer zu verstehen ist. Und einen Vorschein dieser Zukunft dürfen die Jünger schon in der Gegenwart erleben, wenn sie Jesus im Lichtglanz sehen – und dann gleich wieder die Wolke, die sie überschattet: Symbol des Nicht-Machbaren, Vergänglichen. Was bleibt, ist die Zusage, die die Stimme aus der Wolke verkündet: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Diese Zusage ist auch uns gesagt: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, diese ist meine auserwählte Tochter.“ Auch wir sind auserwählte, geliebte Kinder Gottes. Mit dieser Zusage können wir dann getrost hinabsteigen vom Berg der Verklärung in unseren oft tristen Alltag. Und wenn wir unsere Gipfelerlebnisse als kostbaren Schatz in uns tragen, dann kann sich vielleicht gerade dieser Alltag als eigentlicher Ort der Verklärung erweisen: als Ort der Gegenwart Gottes, seiner Präsenz in uns. AMEN.